Betrachtet man die Entwicklung menschlicher Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte, lässt sich eine deutliche Wandlung der Definitionen privat und öffentlich erkennen. Im Folgenden sei aufgezeigt, inwieweit die von Hannah Arendt gewählte Unterscheidung dieser Bereiche, welche sie der Auffassung der Antike entlehnt, nach wie vor Validität besitzt.
Besitzt Hannah Arendts Definition des privaten und öffentlichen Raumes Aktualität im Kontext unserer heutigen Gesellschaft ?
Betrachtet man die Entwicklung menschlicher Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte, lässt sich eine deutliche Wandlung der Definitionen privat und ö ffentlich erkennen. Im Folgenden sei aufgezeigt, inwieweit die von Hannah Arendt gewählte Unterscheidung dieser Bereiche, welche sie der Auffassung der Antike entlehnt, nach wie vor Validität besitzt. Hierzu bedarf es einer profunderen Analyse dieser beiden adversen Begrifflichkeiten.
Zu Zeiten Platons existierte eine signifikante Dichotomie zwischen dem Oikos ( [privater]Haushalt ) und der Polis (Stadtstaat). Privatheit bezeichnete in der Antike im weitläufigeren Sinne den Bereich einer Hausgemeinschaft, deren Fortbestand durch ökonomisches Handeln garantiert werden sollte. Nur wer sein Überleben sicherte und materielle Güter mehrte, war ohne Existenzangst und konnte sich somit dem öffentlichen Bereich - der Polis - zuwenden.
Diese wiederum ermöglichte freie Interaktion zwischen gleichwertigen Mitgliedern der Gemeinschaft, sodass ein öffentlicher Raum entstand, in dem über allgemeinwohlrelevante Interessen „verhandelt“ werden konnte. Für Hannah Arendt bildete dieser Raum die Grundbedingung für Freiheit, denn hier trat die Einzigartigkeit des Individuums zutage, Pluralität war gegeben, Handeln wurde möglich.
„Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir geboren wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.“1
Der Begriff „öffentlich“ beschreibt nach Arendt zum einen die Wahrnehmung anderer Menschen - Präsenz verleiht ihnen und der Welt „Realität“ - und zum anderen „die Welt selbst“, genauer das Gemeinsame zwischen Menschen und ihren Angelegenheiten. Letzteres ist fortwährender Verhandlungsgegenstand in eben jener Öffentlichkeit.
Zur Verdeutlichung bedarf es der Kenntnis um die arendtsche Separation der Bereiche Arbeit, Herstellen und Handeln. Die zyklisch verlaufende Arbeit bezieht sich lediglich auf den privaten Bereich und dient demnach ausschließlich der Sicherung des physischen Lebens. Das linear verlaufende Herstellen hingegen intendiert die Schaffung einer Heimat durch ein Hervorbringen beständiger Produkte. Lediglich die Kunst stellt einen besonderen Kasus dar: „Die Grundbedingung des Herstellens ist die 'Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität' (VA14), wobei das Kunstwerk einen Sonderfall darstellt, weil es im Gegensatz zu anderen Gegenständen keinen unmittelbaren Zweck erfüllt. Seine Aufgabe ist es, Zeugnis von der Vergangenheit zu geben und den Menschen die Orientierung in einer Welt zu ermöglichen [...] “2
Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Begriffen vollzieht sich das Handeln nicht materiell, sondern auf kommunikativem Wege: „Seine Grundbedingung ist die Pluralität, denn handelnd setzen sich die Menschen zueinander in Beziehung.“3
Die von M.T. Cicero geprägte und von Hannah Arendt aufgegriffene Äußerung „ inter homines esse “ verdeutlicht den inneren Imperativ des Menschen unter Menschen zu sein und mit ihnen zu interagieren.
Wird die Verwirklichung dieses Grundbedürfnisses durch externe Einflüsse wie zum Beispiel Isolation gestört, verhindert dies freiheitliches Agieren und ruft eine innere Befremdlichkeit hervor: „In diesem Zwielicht, in dem niemand mehr weiß, wer einer ist, fühlen Menschen sich fremd, nicht nur in der Welt, sondern auch untereinander; und in der Stimmung der Fremdheit und Verlassenheit gewinnen die Gestalten der Fremdlinge unter den Menschen, die Heiligen und die Verbrecher, ihre Chance.“4
Denn nur im Handeln offenbart der Mensch sich selbst; ohne Vermittlungsprozesse gelangt er durch sein Handeln in das Reich der Freiheit, welches durch Arbeiten und Herstellen nicht erreicht werden kann.
Welche Aspekte und Entwicklungen führten letztlich zu einem Wandel des Verständnisses der Begriffe privat und öffentlich in Anbetracht eines sich diversifizierenden Gesellschaftssystems?
[...]
1 Arendt, H.: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München : Piper, 2008, S. 165
2 Vowinckel, Annette: Arendt. Leipzig: Reclam, 2006, S. 41
3 Ebd. S. 41
4 Arendt, H.: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München : Piper, 2008, S. 170
- Quote paper
- Claudia Seifert (Author), 2009, Besitzt Hannah Arendts Definition des privaten und öffentlichen Raumes Aktualität im Kontext unserer heutigen Gesellschaft?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143956