Die Arbeit untersucht poetologische Strategien und den gattungsspezifischem Umgang mit historischem Wissen anhand des Dramas "Heldenplatz" von Thomas Bernhard und des Gedichts "wien: heldenplatz" von Ernst Jandl.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: ‚Heldenplatz’-Sprache(n) – Selbstbeschwingung oder emanzipatorische Vorlage?.
2. Thomas Bernhards „Heldenplatz“ – Wirkungsweisen eines grossartigen Etikettenschwindels?
2.1. Pathologischer Heimathasser oder sensibler Komiker? Der „Heldenplatz“ als punktgenaues Endspiel
2.2. Der Mahlstrom der Sprache – der Monolog als Weise der Existenzerhaltung der Vereinzelten
2.3 Die Öffentlichkeit als Theaterbühne – Funktionsweise eines grotesken ‚Skandals’
3. Ernst Jandls „wien : heldenplatz“ – Sprachchemie, Massenphänomenologie, Politische Grammatik?
3.1. „zu sagen gebe es schliesslich nur eines; dieses aber immer wieder, auf immer neue weise“ – Jandls Poetologie der heruntergekommenen Sprache
3.2. Ein ästhetisches Abziehbild politischer Erkenntnis: Sich mit Kürzest-Andachten der Wirklichkeit ausliefern
3.3. Das Unsagbare sagbar machen – um damit irrationale Phänomene einzufangen?
3.4. Keine Abbildung in einer instrumentalisierten Sprache – ein erkenntnistheoretischer Fortschritt?
4. Überbefrachtung da, Subversion dort: Zwei Strategien (post)-moderner Literaturproduktion
5. Bibliographie
1. Einleitung: ‚Heldenplatz’-Sprache(n) – Selbstbeschwingung oder emanzipatorische Vorlage?
Prima vista ähneln sich die literarischen ‚Heldenplätze’ Jandls und Bernhards ausser in der Leseanleitung durch den Prätext kaum: Gedicht und Drama bedingen gattungstechnische Unterschiede, die sich in der Form der beiden literarischen Bearbeitungen eines Stücks österreichischer Nationalgeschichte, das eben im Titel unwillkürlich anklingt, niederschlagen. – Daraus ergeben sich notwendigerweise gewichtige sprachliche und formale Differenzen; diese zu thematisieren ist nicht das Ziel dieser vergleichenden Analyse. Vielmehr soll es darum gehen, mit Blick auf einen allfällig feststellbaren politischen Gehalt der beiden kanonisierten Stücke österreichischer Literatur Analogien herzustellen: Ist das ‚gesellschaftskritische’ Literatur?
Bernhard und Jandl situieren sich in der ästhetischen (Post-)Moderne – dementsprechend luzide ist ihr Umgang mit dem sprachlichen ‚Ausgangsmaterial’; der neue, der andere, der verfremdete, der zerstörerisch-schaffende Umgang mit den Signifikanten wird zum leitenden Movens der literarischen Weltkonstruktion. In einem Wort: Die Sprache wird zur zentralen Schaltstelle jeglicher Interpretations(an)gebote. – Oder beschwingt sie sich etwa nur selbst? Gerade bei zwei literarischen Texten, die sich relativ offenkundig an eine ausserliterarische historische Wirklichkeit anlehnen – wenn sie sich auch nicht explizit darauf berufen –, scheint es mir besonders attraktiv, in erster Linie ihren ‚systeminternen’ sprachlichen Gehalt zu analysieren sich nicht sofort der Dominanz der Signifikate zu beugen, um in Gutsherrenart alle Literatur als fern wirkende Gesellschaftskritik zu apostrophieren. Lässt sich diese nicht nur im Reden der Bernhardschen Figuren und in der ‚Aussage’ des Jandleschen Gedichts, sondern auch je in Qualität der Sprache als poetischem Emanzipationsakt feststellen? Nebst einer poetologischen Kontextualisierung der Stücke in die Gesamtwerke Jandls und Bernhards sind es demnach simple Fragen, die aufgeworfen werden: Wie funktionieren die beiden Dichter-Sprachen? Was lösen sie aus? Welche Verstörungsmomente sind in ihrem Sinngehalt fundiert, welche auf der Ebene ihrer sprachlichen Ästhetik?
Wie intensiv literarische Sprache nicht nur ihre eigene Realität gebiert, sondern öffentlichkeitswirksam werden kann, lässt sich exemplarisch am Wirbel ablesen, den Bernhards ‚Heldenplatz’ – erstaunlicherweise, oder doch nicht? – zu entfachen vermochte. Gerade auch im Hinblick auf eine Einschätzung unabhängig von ausserliterarischen Begleiterscheinungen erscheint es mir deshalb richtig, auf die Kategorie des Sprachspiels als teilweise selbstgesetzlicher Macht fokussieren. Dadurch lassen sich auch selektive Rezeptionszusammenhänge – durch den Autor intendiert oder nicht – besser nachvollziehen und einordnen.
Welcher der beiden ‚Heldenplätze’ ist denn also eigentlich der ‚Radikalere’? Auch darum soll es hier gehen.
2. Thomas Bernhards „Heldenplatz“ – Wirkungsweisen eines grossartigen Etikettenschwindels?
„die Wiener sind Judenhasser / und sie werden immer Judenhasser bleiben / in alle Ewigkeit“ – „in Österreich Jude zu sein bedeutet immer / zum Tode verurteilt zu sein / die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen / der Judenhass ist die reinste die absolut unverfälschte Natur / des Österreichers“ – „Am liebsten würden sie / wenn sie ehrlich sind / uns auch heute genauso wie vor fünfzig Jahren / vergasen / das steckt in den Leuten / ich täusche mich nicht / wenn sie könnten / würden sie uns auch heute noch ohne Umstände / umbringen.“[1]
2.1. Pathologischer Heimathasser oder sensibler Komiker? Der „Heldenplatz“ als punktgenaues Endspiel
Thomas Bernhards „Heldenplatz“ ist eine Art literarisches und persönliches Endspiel: In diesem grotesken Figuren-Drama, termingerecht und zielgerichtet auf die Gleichzeitigkeit paradoxer Jubiläen (100 Jahre Burgtheater, 50 Jahre seit Österreichs Anschluss an Hitler-Deutschland) lanciert, kulminieren all die poetischen Charaktere und Intentionen zu einer kristallinen Form totalisierender Bernhardscher Schmährede im literarischen Modus. Die aufgespannte Thematik ist zwar alles andere als neu und ein in vielen Werken ein bereits genuin und permanent ausgeleuchteter Topos – die Einsamkeit, Hilflosigkeit, Tatenlosigkeit der Figuren, die radikalen Angriffe auf Heimat, Österreich und dessen nazistische Vergangenheit, usw. –, dennoch: Im „Heldenplatz“ laufen die berufenen Verbalaggresseure, diese vereinsamten und handlungsunfähigen, dem Mahlstrom wirkungsmächtig miteinander verschränkter Vergangenheit und Gegenwart[2] völlig unterworfenen körperlich angeschlagenen, aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen weitgehend ausgeklinkten, zumeist älteren Sprachstürmer zu einzigartig offensiver Schärfe und Schlagkraft auf.
Aus diesem Gesamtzusammenhang objektiv-gesellschaftlicher Sensibilitäten heraus, die sich an den angekündigten Jubiläen und der proklamierten ‚feierlich-angemessenen’ Zurückhaltung in Bezug auf die ‚Feierlichkeiten’ rund um den ‚Anschluss’ von 1938 kristallisierten und das diffuse österreichische Opfergefühl[3] (auch nach der Waldheim-Affäre) von neuem unterfütterten, ist die Skandalisierungsfähigkeit obiger Zitate – wenn auch dem literarischen Kontext entzogen – bereits evident und nachvollziehbar, berücksichtigt man die spezifischen Funktionsmechanismen einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit unter erhöhtem Aufmerksamkeitsgrad und einer Boulevardpresse, die sich gerne und ausführlich um die ‚nationale Ehre’ zu kümmern wusste. Gerade die gesellschaftlichen Tiefenbeben und der geschürte und für den Boulevardjournalismus idealtypisch zu instrumentalisierende, als nicht-fiktiv interpretierte ‚Angriff auf die Heimat’ gaben schliesslich – paradox – den ebenso apodiktisch und argumentationsarm polemisierenden Figuren aus dem „Heldenplatz“ vice versa doch noch recht. – Weder im Drama selbst noch in der öffentlichen und realen Verlängerung dessen wird argumentativ differenziert; beiden Orts sind die starren Frontlinien hermetisch aufgezogen, die Schuldigen benannt, ist Bewegung der Positionen ausgeschlossen.[4] – Bernhard wusste, woraus er sich einliess; gewiss intendierte der Schriftsteller bereits die Rezeptionsmechanismen, die seinem Stück, das gerade im Vergleich mit dem ausgefeilten und programmatischen Alterswerk „Auslöschung. Ein Zerfall“ weder ästhetisch noch bezüglich inhaltlicher Dichte her mitzuhalten vermag, zugrunde lagen und in der spezifischen Figurenkonstellation und der Verschränkung der Thematik mit einem ebenso unaufgearbeiteten wie dunklen Kapitel aktuellster österreichischer Nationalgeschichte korrelierten. Er genoss es, diejenigen bis zur Kenntlichkeit zu entstellen, die ihn nun in der realen Wirklichkeit, in Leserbriefen, auf der Strasse mit dem Tod bedrohten.[5] Jene, die er in seinem gesamten Werk als potenzielle Auslöscher und Vernichter holzschnittartig charakterisiert hatte, verwirklichten sich nun nicht mehr bloss in der Kunstdarstellung durch ein kleinbürgerlich-konservatives Kunstverständnis, oft untertönt von einem kruden Nationalismus und erschreckend reaktionärer ‚Heimatliebe’ – sondern auch ganz real. Bernhard simulierte in seinen Werken, und also auch im „Heldenplatz“, gleichsam die Reaktionsmechanismen einer verunsicherten und überforderten Öffentlichkeit, die das Travestiespiel eines gewieften Autors nicht decodieren konnte, der konsequent – im Zusammenspiel mit Claus Peymann – das eigene Werk und die Inszenierung der eigenen Person zwischen Fiktionalität und Realität meisterhaft schillern liess.[6]
So erstaunt es kaum, dass in der hochstilisierten Auseinandersetzung rund um das Theaterstück „Heldenplatz“ gemeinhin nicht nur die Relationen verloren gingen, sondern auch die spezifischen Funktionen eines literarischen Werks, das in erster Linie in ästhetischen Kategorien zu kommentieren ist, von einem ausserliterarischen, mit kruden politischen Metaphern operierenden Diskurs überschüttet und zugeschüttet wurden. – Die grundsätzliche Dichotomie zwischen ausserpoetischer Wirklichkeit und den immanenten allgemeinen Notwendigkeiten eines künstlerischen Genres – hier der Literatur und im speziellen des Dramas – gingen in der gemeinhin auf polemischer Basis geführten ‚Auseinandersetzungen’ ebenso unter wie die grundsätzliche Ebenenverschiebung der Literatur im allgemeinen wie der besonderen Bernhardschen Werk- und Schriftstellerbiographie im speziellen.
Im „Heldenplatz“ sind es jüdische Rückkehrer, 1938 zur überstürzten Emigration gezwungen, Repräsentanten eines intellektuellen städtischen Grossbürgertums, die ihre Pauschalangriffe in ein seltsam derbes, im Grunde völlig inadäquates Vokabular kleiden; solche Nuancen gingen im empörten Aufschrei nach ‚anständiger, aufbauender Kunst’ und dergleichen unter[7] – für diejenigen, die sich stellvertretend als Österreicher angegriffen fühlten, war klar: Bernhard hatte seine arrivierte als international anerkannter Schriftsteller dazu missbraucht, im Gewand des unangreifbaren Künstlers Häme und Jauche über die Heimat auszuschütten.
„Die Zuhörer haben immer taube Ohren es wird geredet aber nicht verstanden….in jedem Wiener steckt ein Massenmörder, aber man darf sich die Laune nicht verderben lassen, Es ist die Logik ganz einfach in der Schicksalsgemeinschaft.“[8]
Aufmerksamen und langjährigen Bernhard-Lesern ist bei der „Heldenplatz“-Lektüre natürlich nicht entgangen, dass dieses Drama auf einen längst internalisierten, immer wieder durchdringenden, beinahe inventarisierten Stock an deskriptiven Metaphern aufbaut, die sein Werk und seine Betrachtung der ‚österreichischen Heimat’ seit jeher fundiert haben: Österreich und seine Bürger als ‚nationalsozialistisch’ zu bezeichnen oder die Termini ‚nationalsozialistisch, sozialistisch und katholisch’ als gleichwertig und als austauschbare Folien, weitgehend inhaltsentleerte Etiketten und provokatorisch ‚überbefrachtete’, semantische Leerstellen zu benützen, hat in Bernhards literarischen Werken Tradition.[9]
[...]
[1] Thomas Bernhard: Heldenplatz, Frankfurt am Main1 1995 [1988] (= Suhrkamp Taschenbuch 2474), S. 84 und 114f.
[2] Vgl. Jeanette Malkin: „Thomas Bernhard, Jews, Heldenplatz“, in: Claude Schumacher (Hg.): Staging the holocaust. The shoa in drama and performance, Cambridge 1998, S. 288 und 292f. Malkin wendet Bachtins Chronotopos-Theorie auf Bernhards “Heldenplatz” an und weist darin folgerichtig und textlich gut fundierbar eine verräumlichte Erinnerung nach: Der „Heldenplatz“ situiert sich in einer symbolgeladenen (Wiener) Erinnerungs-Geographie, in der bei den Helden des Stücks Gegenwart und Vergangenheit als identitätsbildende und identitätsstiftende Orte auftreten und gleichzeitig die Verschränkung der Orts- mit der Raumdimension evozieren. – Auf diesen Aspekt hin liesse sich Bernhards „Heldenplatz“ gewinnbringend noch vertiefter untersuchen (zum Gesamtwerk Bernhards existiert eine entsprechende Dissertation, die das Theaterstück „Heldenplatz“ allerdings nicht thematisiert; Uwe Betz: Polyphone Räume und karnevalisiertes Erbe. Analysen des Werks Thomas Bernhards auf der Basis Bachtinscher Theoreme, Würzburg 1997. (= Literaturwissenschaftliche Beiträge zur Moderne und ihrer Geschichte 4).
[3] Vgl. Brigitte Felderer: „Uns ist nichts zu heiss. Ein Theaterbrand in der ‚Neuen Kronen Zeitung’“, in: Wolfram Bayer (Hg.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa, Wien/Köln/Weimar 1995, S. 211, und Oliver Bentz: Thomas Bernhard. Dichtung als Skandal, Würzburg 2000 (= Würzburger Wissenschaftliche Schriften 337).
[4] Diejenigen Kommentatoren, die also die Szenerie als ‚öffentliches Theater’ bezeichneten, hatten genuiner Recht, als ihnen vielleicht selbst bewusst war. Nicht die groteske Einschätzung des Stücks und die allgemeinen Verlautbarungen verschiedener Akteure (Politiker, Künstler, empörte BürgerInnen) waren eine Fortsetzung des „Heldenplatzes“ in den Rezeptionsraum einer realen Öffentlichkeit – das ‚reale Theater’ bestand vielmehr darin, wie man mit den ‚symbolbelasteten’ und durch Bernhards Stück evozierten Vergangenheitspolitiken umging im öffentlichen Diskurs: Was sich in Österreichs öffentlicher Diskussion entlud, hätte Paul Nizon wohl mit seinem (auf Schweizer Verhältnisse gemünzten) Wort einen „Diskurs in der Enge“ genannt.
[5] Bentz, Skandal, S. 44-48. Bentz Dissertation schlüsselt Bernhards schriftstellerische ‚Skandal’-Biographie und die Empörungsmechanismen rund um seine Werke detailliert auf.
[6] Vgl. Sigfried Steinmanns aufschlussreichen und gescheiten Essay „Bernhard und Peymann – müssen sie ernst genommen werden? Realität und Fiktion zweier Störenfriede, in Text+Kritik…., insb. S. 104-106. Es sei auch hingewiesen auf Steinmanns luzide Erkenntnis der permanenten Tautologie-Produktion im Bernhard-Diskurs: „Die Sekundärliteratur ist eine Wucherung am Bernhardschen Textkörper. Keinem ist die Chance mehr gegeben, etwas zu sagen, was ihm der Autor nicht schon vor-gesagt hätte. Auch dieses Phänomen ist schon vor-erkannt, bevor jemand wirklich es als seine Erkenntnis verkaufen könnte.“ (S. 104)
[7] Vgl. Bentz, Skandal, bes. S. 37-43 und Felderer, Theaterbrand.
[8] Bernhard, Heldenplatz, S. 118.
[9] Bernhard Sorg: „Die Zeichen des Zerfalls. Zu Thoma Bernhards ‚Auslöschung’ und ‚Heldenplatz’, in: Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur 43 Thomas Bernhard (1991) [Neufassung der 3. Auflage], S. 84.
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