Die soziale Netzwerkanalyse (SNA) verkörpert eine strukturelle Analyse sozialer Beziehungen und stellt somit ein Instrument zur Erfassung sozialer Ressourcen und sozialen Kapitals dar. Die Anfänge der Netzwerkanalyse und der Netzwerktheorie können bis in das vorletzte Jahrhundert skizziert werden. Eine Reihe von vielfältigen Entwicklungslinien verschiedenster Forschungsfelder und Fachdisziplinen sind verwoben zur heutigen sozialen Netzwerkanalyse. Die Analyse sozialer Netzwerke beinhaltet ein großes theoretisches Potential und findet eine vermehrte Anwendung in unterschiedlichsten Forschungsrichtungen.
Das Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der sozialen Netzwerkanalyse anhand ausgewählter Aspekte und Beispiele.
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Abkürzungen
Symbolverzeichnis
1. Einleitung
2. Soziale Netzwerkanalyse (SNA)
2.1. Einführung und Definition
2.2. Soziometrische Analyse und Graphentheorie
2.2.1. Starke und schwache Verbindungen
2.2.2. Strukturelle Löcher und Brokerpositionen
2.3. Dichte als ausgewählte netzwerkanalytische Maßzahl
3. Case Manager aus Sicht der SNA
3.1. Definition Case Management und Kernfunktionen des Case Managers
3.2. Anwendung ausgewählter Analyseverfahren der SNA
3.3. Kritische Betrachtung
4. Anwendung der SNA im Rahmen der Studie von Reagans und Zuckerman
4.1. Vorstellung der Studie
4.1.1. Kausalmodell und Hypothesen
4.1.2. Zugrunde liegende Netzwerktheorien
4.2. Methoden
4.3. Ergebnisse
5. Fazit
Verzeichnis der zitierten Literatur
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1: Grad der Verbundenheit (Degree)
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: Graph auf N = {1,…,5}
Abbildung 2: Gerichtete (links) und ungerichtete (rechts) Kanten
Abbildung 3: Netzwerk mit starken und schwachen Verbindungen
Abbildung 4: Soziogramm eines Case Management-Netzwerks im Krankenhaus
Abbildung 5: Netzwerk des Patienten y mit Case Manager
Abbildung 6: Netzwerk des Patienten y ohne Case Manager
Abbildung 7: Kausalmodell in Anlehnung an Reagans/Zuckerman (2001, S. 507)
Verzeichnis der Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Symbolverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die soziale Netzwerkanalyse (SNA) verkörpert eine strukturelle Analyse sozialer Beziehungen und stellt somit ein Instrument zur Erfassung sozialer Ressourcen und sozialen Kapitals dar. Die Anfänge der Netzwerkanalyse und der Netzwerktheorie können bis in das vorletzte Jahrhundert skizziert werden. Eine Reihe von vielfältigen Entwicklungslinien verschiedenster Forschungsfelder und Fachdisziplinen sind verwoben zur heutigen sozialen Netzwerkanalyse.[1] Die Analyse sozialer Netzwerke beinhaltet ein großes theoretisches Potential und findet eine vermehrte Anwendung in unterschiedlichsten Forschungsrichtungen.[2] Das Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung der sozialen Netzwerkanalyse anhand ausgewählter Aspekte und Beispiele. Das einführende Kapitel legt den Fokus auf die soziale Netzwerkanalyse selbst. Neben einer Einführung und Definition werden die soziometrische Analyse und die Graphentheorie in den Vordergrund gestellt. Dabei finden insbesondere starke und schwache Verbindungen Erwähnung. Dies wird ergänzt mit den Erläuterungen über strukturelle Löcher und die Besonderheit der Brokerposition. Abschließend wird die Dichte als ausgewählte netzwerkanalytische Maßzahl vorgestellt. Vor diesem Hintergrund wird im nachfolgenden Kapitel die Funktion des Case Managers aus der Sicht der SNA betrachtet. Ein selbst entworfenes Beispiel bietet die Grundlage zur Anwendung der ausgewählten Aspekte der Netzwerkanalyse, unter anderem in Form der Berechnung der Dichte. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der SNA wird im Rahmen der Studie „Network, diversity, and productivity: The social capital of corporate R&D teams“ von Reagans und Zuckerman geboten. Daher befasst sich ein Kapitel mit den Inhalten, Methoden und Ergebnissen dieser Studie. Den Abschluss bildet das Fazit, welches das theoretische Potential der SNA untermauert.
2. Soziale Netzwerkanalyse (SNA)
2.1. Einführung und Definition
Die Soziale Netzwerkanalyse ist einerseits eine Theorieperspektive auf soziale Beziehungen und andererseits eine Methode zur Beschreibung und Analyse sozialer Netzwerke in Form eines Sets formaler Verfahren. Als interdisziplinär verwendeter Ansatz dient die SNA der Untersuchung verschiedener Netzwerke in unterschiedlichen Forschungsdisziplinen. Soziale Netzwerke bilden dabei den Untersuchungsgegenstand.[3]
Im Allgemeinen wird unter sozialen Netzwerken ein Geflecht sozialer Beziehungen verstanden, bestehend aus einer definierten Menge von individuellen, kollektiven oder korporativen Akteuren.[4] Rein formal definiert stellt ein Netzwerk eine abgegrenzte Menge von Knoten und der zwischen ihnen verlaufenden Kanten dar. Diese Definition findet Orientierung an der graphischen Veranschaulichung von Netzwerken im Soziogramm oder im Graph (siehe 2.2).[5]
Ein soziales Netzwerk beinhaltet für seine Mitglieder verschiedene potentielle Ressourcen. Dabei soll das Augenmerk auf das Sozialkapital gerichtet werden, welches mit Hilfe der SNA erfasst werden kann.[6] Über eine exakte Definition von Sozialkapital ist man sich in der Literatur uneins.[7] Sozialkapital ist einerseits zu verstehen als eine bedeutende soziale Ressource innerhalb von Netzwerkbeziehungen (ressourcenorientierte Sichtweise) und anderseits als ein Aspekt der Sozialstruktur, welcher vielfältigere Handlungsoptionen auf der Ebene von Einzelakteuren, Akteursgruppen oder Gesellschaften ermöglicht (strukturelle Sichtweise).[8] Es gilt jedoch zu beachten, dass Interaktionen in sozialen Netzwerken nicht unbedingt zu Sozialkapital führen müssen, sondern unter Umständen auch zu einer sozialen Belastung (social liability) werden können.[9]
Ziel der SNA ist es, soziale Netzwerke abzubilden und zu analysieren, um aus diesen Resultaten neue Erkenntnisse in der Netzwerkforschung zu gewinnen.
2.2. Soziometrische Analyse und Graphentheorie
In der Netzwerkanalyse werden soziale Netzwerke typischerweise als Graphen, als Relationen oder als Soziomatrizen dargestellt.[10] Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Visualisierung sozialer Netzwerke anhand von Graphen.
Auf solche Graphen ist die mathematische Graphentheorie anwendbar.[11] Die wesentlichen Vorteile dieser Darstellungsform liegen in ihrer Einfachheit und Anwendungsbreite für die unterschiedlichsten Netzwerke. Die Hauptnachteile resultieren aus der fehlenden Möglichkeit zur Abbildung von Kausalbeziehungen sowie der mit der Netzwerkgröße steigenden Unübersichtlichkeit.
Soziogramme beruhen auf einer Konzeption sozialer Netzwerke als Graphen. Mathematisch ist ein Graph definiert als ein Paar G = (N, E) disjunkter Mengen, wobei E eine Teilmenge von [N]² ist. Die Elemente von E nennt man Kanten (edges), diese sind also 2-elementige Teilmengen von N.[12] Als Knoten (nodes) des Graphen G bezeichnet man die Elemente von N. Knoten verkörpern Akteure, diese wiederum können u.a. einzelne Individuen, Teams, Organisationen und Unternehmen repräsentieren.
Die Abbildung 1 zeigt einen Graphen auf N = {1,…,5} mit der Kantenmenge E= {{1,2}, {1,3}, {2,3}, {3,4}}. Alle Akteure außer dem Akteur 5 sind benachbart (adjazent). Der Akteur 5 ist unverbunden, da ihn weder ein direkter noch ein indirekter Weg mit den anderen Akteuren verbindet. Die Zahl der Akteure in der Nachbarschaft bezeichnen den Grad der Verbundenheit, den so genannten Degree (of connection).[13] Eine Übersicht über die Grade der Verbundenheit der Akteure aus Abbildung 1 bietet die Tabelle 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Graph auf N = {1,…,5}
Quelle: Eigene Darstellung
Die zuvor beschriebene formale Definition eines Graphen lässt keine Aussage über die bildliche Darstellung zu. Die Anordnung der Knoten und die Darstellung der Linien im Soziogramm unterliegen keinen speziellen Regeln, sondern sollten in Hinblick auf Übersichtlichkeit und Zweckmäßigkeit abgebildet werden.[14]
Entscheidender in Soziogrammen ist das Muster der Beziehungen zwischen den Knoten, da dieses Merkmal Aufschluss über Nähe und Distanz gibt (siehe 2.2.1). Für jede Kante muss daher die Unterscheidung getroffen werden, ob es sich um eine symmetrische oder asymmetrische Beziehung handelt. Zum Bespiel ist dies bei der Ermittlung des Degrees zu beachten. Unter einer symmetrischen Beziehung versteht man eine gleichwertige, wechselseitige Interaktion zwischen zwei Akteuren. Zur Darstellung dieser Beziehungsform verwendet man ungerichtete Kanten in Form von Linien (siehe Abbildung 2, rechts). Asymmetrischen Beziehungen bezeichnen einseitig gerichtete Beziehung zwischen zwei Akteuren. In diesem Fall visualisiert man die gerichteten Kanten mit einseitigen Pfeilen (siehe Abbildung 2, links).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Gerichtete (links) und ungerichtete (rechts) Kanten
Quelle: Eigene Darstellung
Zusätzlich können den Kanten Werte zugewiesen werden. Solche bewerteten oder gewichteten Graphen besitzen, neben der Menge von Knoten und Kanten, eine der Kantenmenge gleich große Menge von Werten. Dies kann zusätzlich zur Angabe der Werte im Soziogramm auch durch verschiedene Linienstärken oder Farbtöne dargestellt werden.[15]
Ähnliches gilt für die Visualisierung von Informationen bei Knoten. Die Größe der Knoten eignet sich am besten für quantitative Attribute wie das Einkommen, Farbton und -sättigung ermöglichen die Darstellung von nominalen (z.B. Geschlecht) und ordinalen Informationen (z.B. Teamgröße).[16]
2.2.1. Starke und schwache Verbindungen
In der SNA wird der Fokus auf die Beziehungen zwischen den Akteuren gelegt. Eine bedeutende Rolle nimmt dabei die Stärke sozialer Beziehungen ein. Granovetter stieß in den 70er Jahren auf die Differenzierung zwischen starken und schwachen Beziehungen, wobei er die Rollenbeziehung zur Operationalisierung der Beziehungsstärke verwendete.[17] Private Beziehungen wie Freunde und Familie klassifizierte Granovetter als starke Beziehungen, sogenannte „strong ties“, wo hingegen berufliche Beziehung „weak ties“ repräsentierten. In der sozialen Netzwerkanalyse kann die Stärke von Beziehungen unterschiedlich operationalisiert werden. Weitere Operationalisierungen beinhalten die Kontakthäufigkeit oder die Enge der persönlichen Beziehungen.[18]
Die Abbildung 3 zeigt ein Netzwerk mit schwachen und starken Beziehungen, bestehend aus den dichten Netzwerkteilgruppen A, B und C. Die Netzwerkteilgruppe A ist beispielhaft eingekreist.[19]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Netzwerk mit starken und schwachen Verbindungen
Quelle: Eigene Darstellung
Starke Beziehungen lassen sich als intensive, familiäre oder freundschaftliche Verknüpfungen beschreiben. In Abbildung 3 sind diese als durchgezogene Linien dargestellt. Sie gehen mit Solidarität sowie Vertrauen einher und bilden die Grundlage für sozialen Einfluss. Ein Akteur kann aufgrund des Zeitfaktors und der intensiven Kontaktpflege nur eine begrenzte Anzahl an starken Beziehungen besitzen, weshalb solche dichten Netzwerkteilgruppen oftmals durch ökonomische Pflege und soziale Schließung gekennzeichnet sind.[20] Auf diesem hohen Solidaritäts- und Hilfepotential der dichten Netzwerkteilgruppe basiert das Sozialkapital starker Beziehungen. Gleichzeitig herrscht eine starke soziale Kontrolle, die als soziale Belastung (social liability) empfunden werden kann.
Schwache Beziehungen, sogenannte „weak ties“ sind hingegen eher lockere und weniger redundante Verbindungen. Diese sind daher in Abbildung 3 als gestrichelte Linien dargestellt. Sie liefern verschiedenartige, oftmals neue Informationen und Werte. Da „weak ties“ auch die Überbrückung von größeren Distanzen in Netzwerken ermöglichen, nehmen sie in „Mobilitäts-, Modernisierungs-, Innovations- und Diffusionsprozessen“ eine entscheidende Position ein.[21] Die Stärke schwacher Beziehungen liegt im Zugang zu sozialen Ressourcen außerhalb der eigenen, dichten Netzwerkteilgruppe. Ihnen kommt in Netzwerken oftmals eine wichtige Funktion zur Überbrückung struktureller Löcher zu.[22]
2.2.2. Strukturelle Löcher und Brokerpositionen
Burt erweiterte Granovetters Konzept der schwachen Beziehungen um den Begriff des „structural hole“. Dabei sind nichtredundante Kontakte durch sogenannte strukturelle Löcher verbunden, welche durch Netzwerkkontakte überbrückt werden können.[23] In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um „weak ties“. Demnach erschließt sich nach Burt das Sozialkapital in Form struktureller Autonomie aus der Netzwerkposition eines Akteurs als Brückenverbindung zwischen verschiedenen dichten Netzwerkteilgruppen.
In Abbildung 3 verkörpert der Akteur c1 eine Brokerposition, die auch als Brücke oder cutpoint in der Netzwerktheorie bezeichnet wird. In dem gewählten Beispiel verbindet er als Broker über schwache Beziehungen die Netzwerkteilgruppen A und B miteinander, womit er eine strategische Position bezüglich der Informationsflüsse im Netzwerk einnimmt.[24] Einerseits erfährt er schneller vermehrt nicht redundante Informationen als andere, anderseits ist er in der Lage die Informationsweiterleitung gezielt zu beeinflussen. Diese strukturelle Macht des Akteurs ist abhängig von seiner eigenen Netzwerkposition, seinen eigenen Netzwerkbeziehungen und der Vernetzungsstruktur innerhalb des Netzwerks. Darüber hinaus erlangt er weitere unternehmerische Handlungspotentiale und kann den Zugang zu bestimmten Ressourcen kontrollieren (Gatekeeper).[25]
[...]
[1] Vgl. Scott 2000, S. 8 ff.
[2] Vgl. Henning 2006, S. 29 ff.
[3] Vgl. Hass; Mützel 2008, S. 49.
[4] Vgl. Wassernan; Faust 1994, S. 17 ff.
[5] Vgl. Knoke; Yang 2008, S.8 ff.
[6] Vgl. Weber 2008, S. 24 f.
[7] Einen Überblick zahlreicher Definitionen präsentieren Adler und Kwon (2002, S.20 f.).
[8] Vgl. Gabbay; Leenders 2001, S. 2 ff.
[9] Vgl. Gabbay; Leenders 2001, S. 5 f.
[10] Vgl. Trappmann; Hummell; Sodeur 2005, S. 13 ff.
[11] Vgl. Wassernan; Faust 1994, S. 93 ff.
[12] In Anlehnung an Jungnickel 2008, S. 2 ff.
[13] Vgl. Diestel 2006, S. 5.
[14] Vgl. Diestel 2006, S. 2 ff.
[15] Vgl. Trappmann; Hummell; Sodeur 2005, S. 16.
[16] Vgl. Pfeffer 2008, S. 234 f.
[17] Vgl. Granovetter 1973, S. 1360 ff.
[18] Vgl. Marsden 1990, S. 455 ff.; Wegener 1991, S. 60 f.; Fuchs 2006, S. 147.
[19] Auf einzelne Teilgruppen in Netzwerken wie beispielsweise Cliquen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden.
[20] Vgl. Weyer 2000, S. 37 ff.
[21] Vgl. Jansen 2000, S. 39.
[22] Vgl. Burt 1992, S. 25 f.
[23] Vgl. Burt 1992, S. 18. Im Anschluss an Granovetter und Burt hat auch Krackhardt im Jahr 1999 die besondere Position schwacher Verbindungen in Netzwerken herausgestellt.
[24] Vgl. Burt 2005, S. 17 ff.
[25] Vgl. Weyer 2000, S. 40.
- Quote paper
- Djamila Endrulat (Author), 2010, Soziale Netzwerkanalyse. Case Manager und Anwendung der SNA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143673