[...] Hätte der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht unverzüglich einen hohen Kredit gewährt, so wäre der Bankrott nicht mehr abzuwenden gewesen. Die mit diesem Kredit verbundenen Auflagen führten 1991 in Verbindung mit einer neuen Regierung zu einer Reihe umfassender und bemerkenswerter Wirtschaftsreformen in Indien, vor allem in den Bereichen Finanzen, Internationaler Handel und Industrie.
In der Folge dieser Reformen vollzog sich in Indien eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung. Die Wachstumsraten etablierten sich im Mittel im hohen einstelligen Bereich, es entwickelte sich ein starker Dienstleistungssektor in dem Indien vor allem im Softwarebereich zur Weltspitze aufstieg. Allerdings ist zu beobachten, dass im Gegensatz zu anderen aufstrebenden Wirtschaftsnationen der Wandel sich nicht so sehr stark auf die Fertigungsindustrie bezieht, die eine große Zahl ungelernter Arbeiter beschäftigen würde und den wirtschaftlichen Aufschwung auf eine breite Basis stellen würde.
Darum stellt sich die Frage, warum sich in Indien trotz eines schier unermesslichen günstigen Arbeitskräfteangebotes die fertigende Industrie nicht so stark entwickelt wie in anderen Schwellenländern.
Zunächst werden die Reformen ab 1991 in den einzelnen Sektoren Internationaler Handel, Finanzen, Landwirtschaft und Industrie dargestellt, dann wird der Frage nachgegangen, welche Gründe es für das mangelhafte Wachstum im Bereich der arbeitsintensiven, fertigenden Industrie gibt und welche Reformen umgesetzt werden müssen, damit die wirtschaftlichen Erfolge auch diesen Sektor erreichen und somit den wirtschaftlichen Aufstieg Indiens auf eine breite Basis stellen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Reformen von 1991
2.1 Auslöser
2.2 Makroökonomische Ziele
2.3 Liberalisierung der Wirtschaft
3 Reformen in den einzelnen Wirtschaftssektoren
3.1 Außenhandel
3.2 Finanzsektor
3.3 Agrarsektor
4 Reformen und Herausforderungen im Industriesektor
4.1 Industriestruktur vor 1991
4.2 Reformen von 1991
4.3 Wirkung und Probleme der Reformen
5 Weitergehende Reformen im Industriesektor
5.1 Deregulierung des Arbeitsmarktes
5.2 Schnellere Abwicklung insolventer Firmen
5.3 Privatisierungen
5.4 Infrastruktur
6 Fortsetzung der Reformen
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Indien ist mit über 1,1 Milliarden Menschen das Land mit der weltweit zweitgrößten Bevölkerung nach China. Beide Lände gehören zusammen mit Russland und Brasilien zu den sogenannten BRIC-Staaten, welche bei anhaltend starkem Wirtschaftswachstum mittelfristig zu den dominierenden Wirtschaftsmächten der Welt zählen werden.
Und obwohl Indien in absoluten Zahlen ein mittlerweile beachtliches wirtschaftliches Gewicht hat und dieses durch jährliche Zuwachsraten im hohen einstelligen Bereich stetig vergrößert, sind große Teile der Bevölkerung von Armut betroffen. Nahezu ein Viertel der Bevölkerung (22%; etwa 250 Millionen Menschen) lebt unter der offiziellen Armutsgrenze, 58 Prozent der Bevölkerung arbeitet noch im landwirtschaftlichen Sektor (OECD, 2007, S. 8)
Indiens Wirtschaft schottete sich nach der Unabhängigkeit 1947 für mehrere Jahrzehnte von der Weltwirtschaft ab und verfolgte einen protektionistischen Kurs. Dabei blieben allerdings Qualität und Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt auf der Strecke. Die sehr stark vom Staat beeinflusste Wirtschaft bildete riesige, ineffiziente Staatsbetriebe und korrupte Verwaltungseinheiten. Der Export, auf den andere asiatische Länder als Motor des Wachstums und Fortschritts setzten, wurde missachtet, durch die dennoch nötigen Einfuhren häuften sich enorme Handelsbilanzdefizite auf, die 1991 nicht mehr ausgeglichen werden konnten und zu einer massiven Zahlungsbilanzkrise führten. (vgl. Rohtermund, 1999, S. 90)
Hätte der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht unverzüglich einen hohen Kredit gewährt, so wäre der Bankrott nicht mehr abzuwenden gewesen. Die mit diesem Kredit verbundenen Auflagen führten 1991 in Verbindung mit einer neuen Regierung zu einer Reihe umfassender und bemerkenswerter Wirtschaftsreformen in Indien, vor allem in den Bereichen Finanzen, Internationaler Handel und Industrie.
In der Folge dieser Reformen vollzog sich in Indien eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung. Die Wachstumsraten etablierten sich im Mittel im hohen einstelligen Bereich, es entwickelte sich ein starker Dienstleistungssektor in dem Indien vor allem im Softwarebereich zur Weltspitze aufstieg. Allerdings ist zu beobachten, dass im Gegensatz zu anderen aufstrebenden Wirtschaftsnationen der Wandel sich nicht so sehr stark auf die Fertigungsindustrie bezieht, die eine große Zahl ungelernter Arbeiter beschäftigen würde und den wirtschaftlichen Aufschwung auf eine breite Basis stellen würde.
Darum stellt sich die Frage, warum sich in Indien trotz eines schier unermesslichen günstigen Arbeitskräfteangebotes die fertigende Industrie nicht so stark entwickelt wie in anderen Schwellenländern.
Zunächst werden die Reformen ab 1991 in den einzelnen Sektoren Internationaler Handel, Finanzen, Landwirtschaft und Industrie dargestellt, dann wird der Frage nachgegangen, welche Gründe es für das mangelhafte Wachstum im Bereich der arbeitsintensiven, fertigenden Industrie gibt und welche Reformen umgesetzt werden müssen, damit die wirtschaftlichen Erfolge auch diesen Sektor erreichen und somit den wirtschaftlichen Aufstieg Indiens auf eine breite Basis stellen.
2 Reformen von 1991
2.1 Auslöser
Die schon beschriebene massive Zahlungsbilanzkrise von 1991 hatte mehrere Gründe. Ende der 1980er Jahre waren die Importe Indiens wesentlich schneller angestiegen als die Exporte, das daraus entstehende Handelsbilanzdefizit wurde durch andere Einkünfte ausgeglichen, welche die Zahlungsbilanz positiv erscheinen ließen. Dazu gehörte die Aufnahme von Auslandsschulden, die aber den Schuldendienst erhöhten. Zudem parkten viele Auslandsinder ihr Geld in Indien, die Regierung hatte ihnen hohe Zinsen und die Möglichkeit der unbeschränkten Rückübertragung ihrer Gelder ins Ausland garantiert. Auch arbeiteten am Persischen Golf viele Inder, welche einen großen Teil ihrer Löhne nach Indien überwiesen, und damit sehr wichtig für den Ausgleich der indischen Zahlungsbilanz waren. Sollte aber irgendwelcher Zweifel an der Kreditwürdigkeit Indiens entstehen, war mit einer raschen Kapitalflucht zu rechnen. (vgl. Rothermund, 2008, S. 103).
Mit dem Golfkrieg 1990/91 verloren viele Inder ihre Arbeit in der Golfregion und die Überweisungen nach Indien stockten. Durch den Ausfall der Rücküberweisungen der indischen Gastarbeiter gingen wichtige Deviseneinnahmen verloren, zudem verteuerten sich die Ölimporte drastisch und viele Auslandsinder zogen ihr geparktes Geld aus Indien ab. Dies alles führte zur schon beschriebenen schweren Zahlungsbilanzkrise von 1991 und den einschneidenden Reformen der indischen Wirtschaftspolitik. (vgl. Wagner, 1997, S. 28)
2.2 Makroökonomische Ziele
Indiens ökonomisches Reformprogramm von 1991, das maßgeblich vom ehemaligen Weltbanker und damals neuen indischen Finanzminister Manmohan Singh initiiert wurde, umfasste zwei wesentliche Grundzüge:
Zum einen die makroökonomische Stabilisierung des Landes durch die Reduzierung von Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizit etwa durch die Abwertung der Rupie um etwa 20 Prozent. Kurzfristig wurde die Zahlungsbilanzkrise abgewendet, auf lange Sicht aber bestehen durchaus Zweifel ob das Ziel der makroökonomischen Stabilität gesichert ist. Zwar sieht Panagariya (2008, S. 190) Indien nicht in der Gefahr einer erneuten Krise, allerdings warnt er davor, sich auf den kleinen Fortschritten der letzten Jahre auszuruhen, und Gosh (2003, S. 3) bescheinigt Indien keinen durchschlagenden Erfolg bei seinem Bemühen um makroökonomische Stabilität.
2.3 Liberalisierung der Wirtschaft
Der zweite Grundzug in der indischen Wirtschaftspolitik ab 1991 war eine angestrebte drastische Veränderung der Wirtschafts- und Produktionsstrukturen durch eine wachsende Rolle des Marktes in der Wirtschaft. Auf direktem Wege durch Privatisierungen oder der Reduzierung von staatlichen Investitionen und Interventionen, auf indirektem Wege durch Liberalisierung und dem Entfernen von Handelshemmnissen. Der Hauptantrieb hinter all diesen Maßnahmen sollte sein, Indiens Entwicklungsstrategie weg von einem planwirtschaftlich-projektionistischen hin zu einem marktwirtschaftlich-exportorientierten System zu führen. Indien sollte also seine relative ökonomische Isolation seit dem Ende der Kolonialzeit aufgeben und zurück in die Weltwirtschaft kommen.
Zu diesem Zweck wurden verschiedene Schritte unternommen. So wurde etwa der Außenhandel liberalisiert, der Industrie- und Dienstleistungssektor sowie das Finanz- und Bankenwesen reformiert. (vgl. Gosh, 2003, S. 4)
Im folgenden werden die Reformen in diesen einzelnen Sektoren nun dargestellt.
3 Reformen in den einzelnen Wirtschaftssektoren
3.1 Außenhandel
Das einstmals hochgradig restriktive Außenhandels- und Währungsregime ist stark gelockert worden. Indien hatte vor Beginn der Reformen 1991 das weltweit höchste Zollniveau mit durchschnittlich 87 Prozent, mittlerweile sind es im Schnitt 17 Prozent. Der Import von Investitions- und Zwischengütern ist vollständig freigegeben, Konsumgüter unterliegen seit 2001 nicht mehr dem Lizenzzwang.
Die Devisenzwangswirtschaft besteht nicht mehr, und seit 1993 ist die indische Rupie im Außenhandelsverkehr voll konvertierbar. Freilich liegt Indien selbst mit den reduzierten Zollsätzen im internationalen Vergleich im oberen Bereich, das Zollregime ist nach wie vor sehr komplex und intransparent, und der Abbau der Zollsätze wurde teilweise durch Strafzölle auf Einfuhren zu angeblichen Dumpingpreisen kompensiert. (vlg. Betz, 2007, S. 48f)
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- Arbeit zitieren
- Reinhard Humplmair (Autor:in), 2009, Sektorale Reformen in Indien unter besonderer Beachtung des Industriesektors, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143288
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