Verführer und Verführte in Dramen des Sturm und Drang.
Exemplarische Analysen von "Die Soldaten" und "Der Hofmeister" von J. M. R. Lenz sowie J. W. Goethes "Urfaust"
„Sie ist die erste nicht!“1 – Dieses spöttische Urteil Mephistos über Gretchens Schicksal, das schließlich mit Kerker und Hinrichtung endet, bringt zynisch auf den Punkt, was in der Literatur des 18. Jahrhunderts vielfach Thema ist: Gretchen ist nicht die Erste, die als Magd von einem einflussreichen Mann verführt und verlassen wird und zudem das aus dieser Verbindung entstandene Kind nach dessen Geburt tötet. Das Motiv der verführten Unschuld und das oftmals mit diesem verknüpfte Motiv des Kindsmords finden wiederholt Einzug in die Literatur. Insbesondere die Kindsmord-Thematik ist Teil der zeitgenössischen moralischen Diskussion.
Doch darüber hinaus kann Mephistos Zynismus ebenso auf das Thema dieser Arbeit, die Verführung, und somit auf die anderen beiden hier untersuchten Dramen "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" von J.M.R. Lenz übertragen werden, denn auch Gustchen und Marie sind nicht die Ersten, die einer Verführung erliegen. Insbesondere
Lenz’ Frauenfiguren gelten als Stellvertreterinnen für die Verführungstat an sich und unterstützen in der Vermittlung seiner Kritik an gesellschaftlichen Missständen.
In der folgenden Untersuchung mit dem Titel „Verführer und Verführte in Dramen des Sturm und Drang. Exemplarische Analysen von "Die Soldaten" und "Der Hofmeister" von J.M.R. Lenz sowie J.W. Goethes "Urfaust"“ soll geklärt werden, inwieweit die genannten Frauenfiguren tatsächlich dem klassischen Motiv der „verführten Unschuld“ entsprechen, ob sie selbst Einfluss auf ihr Schicksal haben oder sich eher passiv verhalten. Im Fokus stehen aber nicht nur die Frauen, sondern analog die entsprechenden Konstellationen unter den männlichen Figuren. Verführungsmotiv und die Rollen der männlichen und weiblichen Figuren sollen zudem in den Kontext der literarischen Bewegung des Sturm und Drang eingeordnet werden. Die genannten Dramen wurden ausgewählt, da Goethe und Lenz als jene Autoren angesehen werden können, die die Sturm-und-Drang-Periode wesentlich geprägt haben.
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1 Goethe, Urfaust, S. 57/Zeile 14. Zitiert wird der "Urfaust" in dieser Arbeit stets nach der Einzelausgabe,Stuttgart 1987/RUB. Da der "Urfaust" sowohl aus Dichtung als auch aus Prosa besteht, wird in den Fußnoten zu den jeweiligen Zitaten entsprechend nach Versen und Zeilen unterschieden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Sturm und Drang
- 2.1 Zur literarischen Bewegung
- 2.2 Lenz und Goethe im Fokus des Sturm und Drang
- 2.2.1 Jakob Michael Reinhold Lenz
- 2.2.2 Johann Wolfgang Goethe
- 2.3 Zur Dramentheorie des Sturm und Drang
- 3. Vorstellung der Dramen
- 3.1 Lenz' Dramen
- 3.1.1 Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung
- 3.1.2 Die Soldaten
- 3.2 Goethes Urfaust
- 4. Exkurs: 18. Jahrhundert – sozialhistorische Bezüge
- 4.1 Familie und Geschlechterrollen im gesellschaftlichen Kontext
- 4.2 Kindsmord im zeitgenössischen Diskurs
- 4.3 „Sie ist die erste nicht!“ – Die Quelle des Kindsmordmotivs im Urfaust
- 5. Verführung als literarisches Motiv
- 5.1 Motivgeschichte
- 5.2 Verführung in Dramen des Sturm und Drang
- 5.2.1 Voraussetzungen
- 5.2.2 Geschlechterrollen
- 5.2.2.1 Die Frau als Verführerin und als Verführte
- 5.2.2.2 Der Mann als Verführer und als Verführter
- 5.2.3 Täter und Opfer im Vergleich
- 5.2.4 Die Rolle des Retters
- 5.2.5 Die Schuldfrage – zwischen Konvention und „neuer Moral“
- 5.2.6 Bedeutung der Untersuchungsergebnisse für die literarische Bewegung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Darstellung von Verführung in ausgewählten Dramen des Sturm und Drang, konkret in Lenz' "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" sowie Goethes "Urfaust". Ziel ist es, die Rolle der weiblichen und männlichen Figuren als Verführer und Verführte zu analysieren, ihre Handlungsspielräume zu beleuchten und die Motive im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Dramentheorie des Sturm und Drang zu interpretieren.
- Die Darstellung von Geschlechterrollen und Machtstrukturen im Kontext von Verführung.
- Die Analyse des Motivs der "verführten Unschuld" und dessen Variationen in den ausgewählten Dramen.
- Die Einordnung der Dramen in die literarische Bewegung des Sturm und Drang.
- Die Untersuchung der Schuldfrage und der moralischen Implikationen der Verführung.
- Der Vergleich der unterschiedlichen Darstellung von Verführung bei Lenz und Goethe.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Rolle von Frauen und Männern als Verführer und Verführte in den ausgewählten Dramen des Sturm und Drang. Sie benennt die untersuchten Werke – Lenz' "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" sowie Goethes "Urfaust" – und skizziert den methodischen Ansatz der Arbeit, der die Analyse der Figurenkonstellationen im Kontext der literarischen Bewegung und der zeitgenössischen Gesellschaft umfasst. Der Bezug zu Mephistos zynischer Bemerkung über Gretchen im "Urfaust" dient als Ausgangspunkt für die Betrachtung der Verführung als wiederkehrendes Motiv in der Literatur des 18. Jahrhunderts.
2. Sturm und Drang: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die literarische Bewegung des Sturm und Drang, charakterisiert durch ihre zentralen Merkmale wie Individualismus, Emotionalität und Gesellschaftskritik. Es beleuchtet die Positionen von Lenz und Goethe innerhalb dieser Bewegung und beschreibt die spezifischen Merkmale ihrer Dramentheorie, die die Analyse der ausgewählten Werke fundiert. Der Abschnitt analysiert die individuellen Schreibstile und die zentralen Themen, die die beiden Autoren in ihren Dramen verarbeiten und welche Bedeutung diese für die Gesamtbewegung hatten.
3. Vorstellung der Dramen: Dieses Kapitel stellt die drei ausgewählten Dramen – Lenz' "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" sowie Goethes "Urfaust" – vor und beschreibt kurz ihre Handlung und die zentralen Konflikte. Es betont die sozialkritische Dimension von Lenz' Werken und die besondere Bedeutung von Marie in "Die Soldaten" sowie die Komplexität und die spezifischen Herausforderungen in der Interpretation von Goethes "Urfaust", der im Vergleich zu Faust I als eigenständige Einheit betrachtet werden soll. Es setzt das Verständnis der Handlung der Dramen als bekannt voraus und konzentriert sich auf die für die weitere Analyse relevanten Aspekte.
4. Exkurs: 18. Jahrhundert – sozialhistorische Bezüge: Dieser Exkurs beleuchtet den sozialhistorischen Kontext des 18. Jahrhunderts, insbesondere die Rolle von Familie und Geschlechterrollen sowie die zeitgenössische Diskussion um Kindsmord. Die Darstellung des sozialhistorischen Kontextes und insbesondere des Themas Kindsmord dient als Grundlage für ein besseres Verständnis der dargestellten Konflikte in den Dramen und den Handlungsmotiven der Figuren. Es unterstreicht den Zusammenhang zwischen dem literarischen Werk und der gesellschaftlichen Realität des 18. Jahrhunderts und bietet eine Interpretation des Kindsmordmotivs in Goethes "Urfaust" im Licht der zeitgenössischen Debatte.
5. Verführung als literarisches Motiv: Das Kapitel analysiert das Motiv der sexuellen Verführung in den ausgewählten Dramen. Es untersucht die Voraussetzungen der Verführung, die Geschlechterrollen der Verführer und Verführten und vergleicht die Täter und Opfer. Es befasst sich mit der Rolle möglicher Retter und analysiert die Schuldfrage im Kontext der jeweiligen Dramen und der gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Schließlich wird die Bedeutung der Ergebnisse für die literarische Bewegung des Sturm und Drang diskutiert, wobei die unterschiedlichen Intentionen von Lenz und Goethe im Umgang mit dem Motiv hervorgehoben werden.
Schlüsselwörter
Sturm und Drang, Verführung, Geschlechterrollen, Jakob Michael Reinhold Lenz, Johann Wolfgang Goethe, "Der Hofmeister", "Die Soldaten", "Urfaust", Sozialkritik, Kindsmord, Moral, Literatur des 18. Jahrhunderts.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Text: Analyse der Verführung in ausgewählten Dramen des Sturm und Drang
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese wissenschaftliche Arbeit analysiert die Darstellung von Verführung in ausgewählten Dramen des Sturm und Drang, speziell in Jakob Michael Reinhold Lenz' "Der Hofmeister" und "Die Soldaten" sowie Johann Wolfgang Goethes "Urfaust". Im Fokus steht die Untersuchung der Rollen von Frauen und Männern als Verführer und Verführte, ihrer Handlungsspielräume und der Motive im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Dramentheorie des Sturm und Drang.
Welche Ziele verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Darstellung von Geschlechterrollen und Machtstrukturen im Kontext von Verführung zu analysieren, das Motiv der "verführten Unschuld" und dessen Variationen zu untersuchen, die Dramen in die literarische Bewegung des Sturm und Drang einzuordnen, die Schuldfrage und die moralischen Implikationen der Verführung zu beleuchten und die unterschiedliche Darstellung von Verführung bei Lenz und Goethe zu vergleichen.
Welche Dramen werden untersucht?
Die Arbeit untersucht drei Dramen: Jakob Michael Reinhold Lenz' "Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung" und "Die Soldaten", sowie Johann Wolfgang Goethes "Urfaust".
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel: Eine Einleitung, ein Kapitel zum Sturm und Drang, ein Kapitel zur Vorstellung der Dramen, einen Exkurs zum sozialhistorischen Kontext des 18. Jahrhunderts und ein Kapitel zur Analyse des Motivs der Verführung. Zusätzlich enthält die Arbeit ein Inhaltsverzeichnis, eine Zusammenfassung der Kapitel, eine Zielsetzung mit Themenschwerpunkten und Schlüsselwörter.
Was wird im Kapitel "Sturm und Drang" behandelt?
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die literarische Bewegung des Sturm und Drang, charakterisiert durch Individualismus, Emotionalität und Gesellschaftskritik. Es beleuchtet die Positionen von Lenz und Goethe und beschreibt die Merkmale ihrer Dramentheorie.
Was wird im Kapitel "Vorstellung der Dramen" behandelt?
Dieses Kapitel stellt die drei ausgewählten Dramen vor, beschreibt kurz ihre Handlung und zentrale Konflikte, betont die sozialkritische Dimension von Lenz' Werken und die Komplexität von Goethes "Urfaust".
Worum geht es im Exkurs zum 18. Jahrhundert?
Der Exkurs beleuchtet den sozialhistorischen Kontext, insbesondere Familie, Geschlechterrollen und die zeitgenössische Diskussion um Kindsmord. Dies dient dem Verständnis der Konflikte in den Dramen und der Handlungsmotive der Figuren.
Wie wird das Motiv der Verführung analysiert?
Das Kapitel zur Verführung analysiert das Motiv in den ausgewählten Dramen, untersucht die Voraussetzungen, Geschlechterrollen der Verführer und Verführten, vergleicht Täter und Opfer, befasst sich mit der Rolle möglicher Retter und analysiert die Schuldfrage im Kontext der Dramen und der gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Die Bedeutung der Ergebnisse für den Sturm und Drang wird diskutiert.
Welche Schlüsselwörter sind relevant?
Schlüsselwörter sind: Sturm und Drang, Verführung, Geschlechterrollen, Lenz, Goethe, "Der Hofmeister", "Die Soldaten", "Urfaust", Sozialkritik, Kindsmord, Moral, Literatur des 18. Jahrhunderts.
Für wen ist diese Arbeit gedacht?
Diese Arbeit ist für ein akademisches Publikum gedacht, das sich für die Literatur des Sturm und Drang, Geschlechterrollen, und die Analyse literarischer Motive interessiert. Sie eignet sich für Studierende der Germanistik und Literaturwissenschaft.
- Quote paper
- Nadine Helms (Author), 2008, Verführer und Verführte in Dramen des Sturm und Drang, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143140