„Manchmal geht es mir durch den Kopf, die Geschichte meines Lebens nicht preiszugeben. Diese öffentliche Erklärung aber verpflichtet mich, auf dem einmal beschrittenen Wege weiterzugehen, so Montaigne.“
„Ich studiere mich selbst mehr als alles andere, das ist meine Metaphysik, das ist meine Physik, ich selbst bin der König der Materie, die ich behandle, und ich schulde niemandem Rechenschaft, so Montaigne.“
Indem Thomas Bernhard über seine eigene Kindheit schreibt, distanziert er sich gewissermaßen von ihr und gleichzeitig von sich selbst. Er betrachtet die wahrscheinlich schwierigste Zeit seines Lebens von außen, wie ein Zuseher, so, als wäre nicht er das Kind, dem diese Anhäufung von Ungerechtigkeiten, Lieblosigkeiten, Ablehnung und Inakzeptanz widerfahren wären.
Sein direkter, harter, aggressiver, unverblümter Stil reflektiert sein gebrochenes Wesen durch die Kindheit. Dennoch darf bei der Lektüre Thomas Bernhards Hang zur Übertreibung für das Extreme nicht außer Acht gelassen werden. Was nun als biographisch gewertet werden kann, was inszeniert ist oder schockierende Effekte erzeugen soll, kann aus dem Werk nicht herausgelesen, sondern nur vermutet werden.
In meiner Arbeit möchte ich herausfinden, wie die einzelnen Figuren des Romans zum Kind stehen und wie sich die Qualität dieser Beziehungen auf die restlichen Beziehungen und auf das Leben des Kindes, auf all seine Einstellungen und Wertvorstellungen auswirkt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hassliebe der Mutter
3. Der Großvater als Vaterfigur für das Kind
4. Die Abwesenheit des Vaters
5. Der Stiefvater- oder doch nur der Vormund?
6.Großmutter als Ernährerin
7. Die Bedeutung des Großvaters für die Familie
8. Resümee
Literaturnachweis
1.Einleitung
„Manchmal geht es mir durch den Kopf, die Geschichte meines Lebens nicht preiszugeben. Diese öffentliche Erklärung aber verpflichtet mich, auf dem einmal beschrittenen Wege weiterzugehen, so Montaigne.“[1]
„Ich studiere mich selbst mehr als alles andere, das ist meine Metaphysik, das ist meine Physik, ich selbst bin der König der Materie, die ich behandle, und ich schulde niemandem Rechenschaft, so Montaigne.“[2]
Indem Thomas Bernhard über seine eigene Kindheit schreibt, distanziert er sich gewissermaßen von ihr und gleichzeitig von sich selbst. Er betrachtet die wahrscheinlich schwierigste Zeit seines Lebens von außen, wie ein Zuseher, so, als wäre nicht er das Kind, dem diese Anhäufung von Ungerechtigkeiten, Lieblosigkeiten, Ablehnung und Inakzeptanz widerfahren wären.
Sein direkter, harter, aggressiver, unverblümter Stil reflektiert sein gebrochenes Wesen durch die Kindheit. Dennoch darf bei der Lektüre Thomas Bernhards Hang zur Übertreibung für das Extreme nicht außer Acht gelassen werden. Was nun als biographisch gewertet werden kann, was inszeniert ist oder schockierende Effekte erzeugen soll, kann aus dem Werk nicht herausgelesen, sondern nur vermutet werden.
In meiner Arbeit möchte ich herausfinden, wie die einzelnen Figuren des Romans zum Kind stehen und wie sich die Qualität dieser Beziehungen auf die restlichen Beziehungen und auf das Leben des Kindes, auf all seine Einstellungen und Wertvorstellungen auswirkt.
2. Hassliebe der Mutter
Um zu verstehen, warum das Kind sich seinem Großvater in diesem Ausmaß zuwendet, beschreibe ich im folgenden Abschnitt die Beziehungsproblematik zu seiner Mutter. Nachdem sie noch immer eine starke Kränkung in sich fühlt, weil sie vom Vater des Kindes verlassen wurde, überträgt sie all die negativen Gefühle, die sie mit ihm verbindet, direkt auf ihren Sohn. Er sehe ihm sehr ähnlich, meint sie und erinnere sie deshalb immer wieder an den Mann, der ihr Leben zerstört hätte. Trotzdem kann hier nicht nur von Hass gesprochen werden, denn als Mutterfigur fühlt sie sich schon; sie kann allerdings die negativen Emotionen nicht unterdrücken und empfindet somit eine Mischung aus Hass und Liebe ihrem
einzigen Kind gegenüber.[3]
„Ich fühlte naturgemäß ihre Liebe zu mir, gleichzeitig aber immer auch den Haß gegen meinen Vater, der dieser Liebe meiner Mutter zu mir im Wege stand. So war die Liebe meiner Mutter zu mir, dem unehelichen Kind, immer von dem Haß gegen den Vater dieses Kindes unterdrückt, sie konnte sich niemals frei und in der größten Natürlichkeit entfalten. Meine Mutter beschimpfte nicht mich im Grunde, sie beschimpfte meinen Vater, der sich ihr entzogen hatte, aus was für einem Grund immer, sie schlug nicht nur auf mich ein, sondern auch auf den Verursacher ihres Unglücks, wenn sie mich schlug.“[4]
Seine Mutter beschimpft und schlägt also nicht das Kind, sondern seinen Vater, der sich ihr entzogen hat. Sie schafft es nicht, sich auf die Liebe, die sie ihrem Kind gegenüber empfindet, vollständig einzulassen. In gewisser Weise kann sie als hilflose Frau gesehen werden, unfähig, ihre unterschiedlichen Gefühle voneinander zu separieren. Sie versucht, ihre Hilflosigkeit zu überdecken, indem sie ihren Sohn zu einem minderwertigen Objekt degradiert und sich über ihn erhöht. Ständig gibt sie ihm das Gefühl, nicht nur wertlos, sondern sogar ein Störfaktor in ihrem Leben zu sein. Wenn ein Kind immerzu durch solche Bewertungsmuster als schlecht bezeichnet und auch so behandelt wird, schlägt sich das selbstverständlich in seiner Wesensprägung nieder. Abgesehen vom Bettnässen, das das Kind bis ans Ende des Romans begleitet, zeigen sich vielzählige psychische Auffälligkeiten, die aus dem Liebesentzug der Mutter resultieren.
Schon als das Kind zur Welt kommt, schämt sie sich seinetwegen, weil es aus einer unehelichen Verbindung stammt. Zuerst will sie es in einem „Kloster […] lassen“[5], was nur kurzfristig funktioniert. Danach übergibt sie es einer Fischerfrau, die die Obhut über mehrere Babys hatte. Das Kind liegt, wie die anderen Säuglinge, in einer Hängematte und wird nur sonntags von seiner Mutter besucht. Das Verlassenwerden des Kindes endet also nicht mit dem Verlassen des Vaters, es setzt sich fort und bleibt in seinem Bewusstsein hängen. Dennoch nimmt das Kind seiner Mutter diese Handlungen nicht übel, sondern sieht sie als Notwendigkeit an:
„ […] [M]eine Mutter hatte keine andere Wahl. […] [D]enn die Woche über arbeitete sie als Haushaltshilfe, um sich erhalten und die Gebühr für meinen Schiffsaufenthalt bezahlen zu können. […] [Ich] denke [,dass] […] mein damaliger Meeraufenthalt meine ganze Geschichte [prägt]. Manchmal kommt es mir vor, wenn ich den Geruch des Meeres einatme, als wäre dieser Geruch meine erste Erinnerung.“[6]
Nicht der Geruch der Mutter, wie normalerweise bei Kindern, sondern der des Meeres erinnert das Kind an seine ersten Tage. Die Nähe, die es zu seiner Mutter aufbauen sollte, kommt nicht zustande. Gerade zu Beginn des Kinderlebens ist der Körperkontakt zur Mutter essentiell, um eine tiefe Verbundenheit aufbauen zu können.
Einfacher wäre es gewesen, hätte sich die Mutter sofort an ihre Eltern gewandt. Nicht nur Scham über ihr uneheliches Kind hielt sie davon ab:
„Ein Jahr lang getraute sich meine Mutter nicht, meinen Großeltern in Wien meine Geburt zu melden. Was sie fürchtete, weiß ich nicht. Der Vater als Romanschreiber und Philosoph durfte in seiner Arbeit nicht gestört werden, ich glaube fest, das war der Grund, warum mich meine Mutter so lange verschwieg.“[7]
Als sie nun ihren Eltern von ihrem Kind erzählt, wurde sie „mit offenen Armen in Wien aufgenommen“[8]. Vieles wäre dem Kind erspart geblieben, wenn sie diesen Schritt gleich gewagt hätte. Mit dem Einzug bei den Großeltern fühlte das Kind zum ersten Mal so etwas wie Familienzugehörigkeit. Die ersten positiven Erfahrungen, an die sich das Kind erinnern kann, hängen mit seinem Großvater zusammen. Der einzige Fixpunkt im Leben des Kindes, das einzige, dessen er sich sicher sein kann, ist seitdem sein Großvater, der dem Kind zwar keine lebensbejahende Grundhaltung vermitteln kann bzw. will, ihm aber trotz allem das Gefühl gibt, angenommen zu werden.
3. Der Großvater als Vaterfigur für das Kind
Die einzige Bezugsfigur des Kindes stellt sein Großvater dar. Nur von ihm fühlt er sich akzeptiert und geliebt. Zur Veranschaulichung dieser Konstellation zwischen Großvater und Kind gebe ich ein Beispiel aus dem Werk:
[...]
[1] Thomas Bernhard: Die Ursache. Eine Andeutung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2008. S.122.
[2] Ebd. S.132.
[3] Vgl. Christian Schachereiter. Johannes Freumbichler- Thomas Bernhard. Eine Begegnung. http://www.pi-linz.ac.at/ahs/arge/deutsch/germ/ bernhard.doc. (Stand:16.07.2009).
[4] Thomas Bernhard: Ein Kind. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1985. S.39.
[5] Ebd. S.59.
[6] Ebd. S.59f.
[7] Ebd. S.58.
[8] Ebd. S. 61-
- Quote paper
- Herta Mackeviciute (Author), 2009, Figurenanalyse und Familienbeziehungen in Thomas Bernhards „Ein Kind“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142569
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