Die Leader-Member Exchange Theorie, die ihren Ursprung in der Social Exchange -, sowie Rollentheorie hat, befasst sich mit hierarchischen Zweierbeziehungen. Die beiden Personen entwickeln gemeinschftlich ein individuelles Austauschverhältnis. Anhand der Qualität dieses Austauschverhältnisses werden durch die in der Hierarchie höher gestellte Person endliche Ressourcen wie etwa Zeit oder Aufgaben unterschiedlich an die Untergebenen verteilt.
Das sogenannte Rollenentwicklungsmodell zeigt drei verschiedene Phasen auf, wie eine idealtypische Transformation einer Zweierbeziehung ablaufen kann. In den einzelnen Phasen, die eben durch ein bestimmtes Maß an Austausch, aber auch an gegenseitigem Vertrauen oder Engagement geprägt sind, werden verschiedene Rollen eingenommen. Diese sind wiederum mit einer Reihe von rollenspezifischer Vor- und Nachteile für beide Personen und das jeweilige Umfeld verbunden. Durch eine Zusammenfassung von Individuen mit in etwa den gleichen Rollen lassen sich Gruppierungen, die In-, Middle- und Out-Group, bilden. Eine Zugehörigkeit zu diesen Gruppen ist nicht grundsätzlich fix, sondern kann sich über die Zeit in beide Richtungen verändern. Zur Messung der LMX-Qualität können Skalen, die sich in den Parametern Dimensionalität und Perspektive unterscheiden, herangezogen werden. Dennoch gilt es in gewisser Weise zu bemängeln, dass diese Methodik, aber auch generell die gesamte, sehr universell konzipierte LMX Theorie dem komplexen Konstrukt einer Zweierbeziehung nicht nachkommt.
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlegende Konzeption der Leader-Member Exchange Theorie
1.1 Einleitung
1.2 Leitgedanken der Leader-Member Exchange Theorie
1.3 Ursprung und Wandel
2. Rollen und Gruppen
2.1 Entwicklung
2.2 In-Group
2.3 Out-Group
2.4 Gruppenintere Betrachtung
3. Messung
4. Transfer und exemplarische Betrachtung
4.1 Kultureller Kontext
4.2 Institutioneller Kontext
5. Kritische Betrachtung
6. Zusammenfassung
Anhang
Literatur
1. Grundlegende Konzeption der Leader-Member Exchange Theorie
1.1 Einleitung
„Der Fortschritt lebt vom Austausch des Wissens.“[1] - so Albert Einstein. Ganz gleich, was letztendlich genau unter dem genannten Fortschritt zu verstehen ist, es kommt dennoch deutlich zum Ausdruck, dass es der Austausch ist, der eine zentrale Rolle hinsichtlich positiver Entwicklungen und somit Erfolg spielt. Ein Austausch von Wissen, ein Transfer von Ressourcen. Doch was macht solche Austauschprozesse aus? Welche weiterführenden Implikationen ergeben sich aus ihnen, auch etwa indirekt für das Umfeld?
Im Folgenden sollen zunächst die Kerngedanken der Leader-Member Ex- change Theorie, die sich gezielt mit Austauschprozessen in hierarchischen Zweierbeziehungen beschäftigt, dargelegt werden. Nach der anschließenden Betrachtung des Ursprungs und des Wandels dieses Ansatzes, wird auf die Entwicklung der Rollen, die durch Austauschbeziehungen herausgebildet werden, eingegangen. Aufbauend darauf sollen die verschiedenen Gruppen, die sich wiederum aus der Zusammenfassung von Individuen mit ähnlichen Rollen ergeben, näher untersucht, sowie ein Überblick über die Messung von LMX gegeben werden. Im Anschluss werden potentielle Transferfelder aufge- zeigt und anhand einer Studie von Myres (2006) illustriert. In einem letzten Schritt sollen schließlich die Grenzen der Leader-Member Exchange Theorie kritisch hinterfragt werden.
1.2 Leitgedanken der Leader-Member Exchange Theorie
Führung - ein Begriff, über den in der Literatur insbesondere dahingehend Einigkeit besteht, dass er zahlreiche Herangehensweisen und facettenreiche Auffassungen erlaubt. Als ein bedeutsamer Ansatz lässt sich derjenige nach Robbins (2005) anführen. Hierbei lässt sich Führung als eine komplexe Interaktion zwischen Führungsperson, Geführtem und letzten Endes auch der Situati- on beschreiben. Es wird folglich eine Perspektive gewählt, die sowohl interper- sonalen, als auch situativen Komponenten der bzw. in der Wechselbeziehung Rechnung trägt.
Eben auf diese Austasuchbeziehung und die sich daraus ergebenden Implikationen fokussiert die Leader-Member Exchange Theorie, im Folgenden als LMX bezeichnet, die seit den ersten Studien in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer der bekanntesten Konzeptualisierungen von hierarchischen Zweierbeziehungen aufstieg.[2] Laut den ursprünglichen Vordenkern, Graen, Cashman, Danserau & Haga, beschreibt LMX
„the role-making processes between a leader and each individual subordinate and the social exchange relationship that develops over time.”[3]
Entscheidend ist hierbei, dass zwischen den beiden in einer Hierarchie zueinander stehenden Personen ein individuelles Austauschverhältnis entwickelt und ausgestaltet wird. Dies geschieht auf Basis eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Prozesses, weshalb also beide Parteien maßgeblich an der Bestimmung des Austauschverhältnisses beteiligt sind. Dennoch wird davon ausgegangen, dass im Normalfall die Führungsperson, sprich im klassischen Kontext des Geschäftlebens der Vorgesetzte, den Prozess initiiert.
Je nach individuellem Entwicklungsgrad und Qualität des Austauschverhältnis- ses verteilt der Vorgesetzte nun seine, ihm endlich zur Verfügung stehenden Ressourcen. Diese können hierbei durchaus auch abstrakte Formen, wie etwa Zeit oder Informationen annehmen. Sie sind jedoch direkt oder zumindest indirekt in Form möglicher Ergebnisse, für den Untergebenen im Allgemeinen vorteilhaft. Auf die Vor- und Nachteile, die aus unterschiedlich ausgeprägten Austauschbeziehungen resultieren, soll näher in Kapitel 2 eingegangen wer- den.
1.3 Ursprung und Wandel
LMX baut im Wesentlichen auf zwei bekannten Forschungsrichtungen bzw. Theorien auf. Zunächst lässt sich die sogenannte Social Exchange Theory nach Blau (1964) anführen. Ihr zufolge - wenn auch sehr selektiv unter dem Ge- sichtspunkt der für LMX bedeutsamen Aussagen - unterliegen soziale Bezie- hungen, vergleichbar mit ökonomischen, Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Allerdings unterscheiden sie sich unter anderem dahingehend, dass soziale Beziehungen zum Empfinden insbesondere von Verpflichtung, sowie Dankbar- keit und Vertrauen führen[4]. Letzteres spielt gerade bei wiederholtem Austausch und somit tendenziell einer höheren Intensität im Rahmen von LMX eine große Rolle. Als zweiter Ursprung von LMX ist die Rollentheorie aufzuzeigen. Führt man sich erneut den Unternehmenskontext vor Augen, so ist es wohl leicht nachvollziehbar, dass vor allem der Vorgesetzte dem Untergebenen ein gewis- ses Maß an Erwartungen entgegenbringt. Diese Erwartungen sind in diesem Fall der Rolle „Untergebener“ zuzuschreiben. Der Untergebene wiederum hat in der Regel seine Rolle weitestgehend internalisiert. Nichtsdestotrotz gibt es auch bzw. gerade hier, in dieser sich in den Grenzen der Hierarchie abspielenden Zweierbeziehung, einen gewissen Spielraum - die individuelle Ausgestaltung, LMX.
Doch nicht nur ein Blick auf die Wurzeln von LMX, sondern ebenfalls die Betrachtung der Entwicklung dieser Theorie selbst, scheint für ein tieferes Verständnis nützlich zu sein. In den ersten Publikationen noch als Vertical Linkage Theory bezeichnet, veränderte sich bis heute nicht nur der Name, sondern es lässt sich gleichermaßen eine inhaltliche Weiterentwicklung feststel- len[5]. So bilden zwar die „vertical dyads“, die hierarchischen Dyaden oder hierarchischen Zweierbeziehungen, weiterhin den Kern der Theorie, allerdings kam mehr und mehr die Frage nach einer Wirkung oder einem Zusammenspiel in bzw. mit einem größeren organisatorischen Umfeld ins Spiel.
2. Rollen und Gruppen
2.1 Entwicklung
Nach der Entwicklung von LMX soll nun im Folgenden die Entwicklung der Rollen innerhalb der LMX Theorie untersucht werden. In der Literatur wird zur Erläuterung oftmals das Rollenentwicklungsmodell nach Graen & Scandura (1987) bzw. nach Graen & Uhl-Bien (1991) herangezogen. Dieses untergliedert den Entwicklungsprozess zunächst in drei verschiedene Phasen: die „initial testing phase“, sprich eine Art Austarierungsphase, die Wachstums- und die Reifephase.
In der ersten Phase werden Motive, Haltungen und Ressourcen des jeweiligen Gegenübers bewertet und gegebenenfalls kommt es bereits zu ersten Profilie- rungsversuchen oder „Machtspielchen“.[6] Diese sind in erster Linie vor dem Hintergrund zu sehen, dass in dieser ersten Phase neben der allgemeinen Einschätzung ebenfalls Rollenerwartungen aufgebaut werden, sofern diese nicht ohnehin ex ante vorhanden sind.[7] Wenn die hauptsächlich formalen Anforderungen erfüllt werden und das meistens gegebene Grundvertrauen in die andere Person nicht verletzt wurde, kann die nächste Phase erreicht werden, die Wachstumsphase. Hier wird das Austauschverhältnis insgesamt differenzierter und zeichnet sich durch die Entwicklung von Respekt, Loyalität und dem nun erarbeiteten gegenseitigen Vertrauen aus. Eine erneute Intensi- vierung, weitestgehend geteilte Werte und auch ein sehr hohes Maß an Enga- gement und Kommunikation werden als Anzeichen für die dritte Phase, die Reifephase, angesehen.
Diesen verschiedenen Phasen lassen sich ebenfalls gemäß des Rollenentwicklungsmodells Rollen und damit letzten Endes Gruppenzugehörigkeiten zuordnen. So spricht man bei denjenigen Untergebenen, deren LMX-Qualität sich auf dem Niveau der ersten Stufe befindet, von der sogenannten Out-Group. Die Middle-Group umfasst jene, die sich in der zweiten Phase befinden und die InGroup diejenigen, die sich der Reifephase zuordnen lassen. Als Gruppe, die sich zwischen den beiden Polen, der In- und der Out-Group, befindet, ist die Middle-Group für die Forschung im Allgemeinen weniger aussagekräftig und soll daher im Folgenden nicht näher betrachtet werden.
Ebenfalls im Kontext des Rollenentwicklungsmodells wird häufig von der Idee eines Lebenszyklus’, der hinter der Entwicklung der Zweierbeziehung steht, gesprochen. So kann argumentiert werden, dass gegen Anfang eines Aus- tauschverhältnisses und insbesondere mittelfristig eine Weiterentwicklung relativ schnell stattfinden kann.[8] Dies entspricht, wenn man sich die Graphik eines Lebenszyklus’ vor Augen führt, der mittelfristig großen Steigung. Je weiter bzw. höher man jedoch kommt, desto schwieriger wird eine erneute Steigerung die Steigung wird flacher und scheint schließlich gegen ein bestimmtes Niveau zu konvergieren.
Intuitiv widerspricht ein solcher idealtypischer Verlauf wohl der grundlegenden Prämisse, dass es sich um stark von Individualität geprägten Austauschbezie- hungen handelt. Zudem scheint der durch das Rollenentwicklungsmodell nahe gelegte lineare Verlauf trügerisch zu sein. Zweifelsohne ist anzunehmen, dass die Austarierungsphase bzw. die Zugehörigkeit zur Out-Group den Ausgangs- punkt eines jeden Austauschverhältnisses im Sinne von LMX darstellt. Eine Weiterentwicklung ist jedoch auch durch eine Vielzahl von Austauschprozessen nicht unbedingt zwingend gegeben. Dies gilt ebenfalls für die zweite Stufe, da auch hier nicht unbedingt der Übergang zur dritten Phase stattfinden muss. Allerdings konnte eine Reihe an Prädiktoren nachgewiesen werden, bei denen eine Entwicklung Richtung In-Group Zweierbeziehung wahrscheinlicher ist. Als die wichtigsten können hierbei gemäß Lee, Park, Lee & Lee (2007) Kompetenz, Ähnlichkeit, Gegenseitigkeit, aber auch physische Attraktivität genannt werden. Zudem führen Fix & Sias (2006) den Prädiktor gleiches Geschlecht der beiden Austauschpersonen an.
Ungeachtet dieser Prädiktoren können etwa enttäuschende Vorfälle eine bereits etablierte Zweierbeziehung in Mitleidenschaft ziehen und im Rahmen des Modells eine „Zurückstufung“ bewirken. Die Rollen und die damit verbundenen Gruppenzugehörigkeiten sind folglich keineswegs als fix anzusehen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die bisherige Rolle und frühere Erfahrungen als Referenzpunkt herangezogen werden. Im Gegenteil, dies ist vermutlich sogar oftmals der Fall. Uhl-Bien drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: „The nature of the relationship formed influences future exchanges.“[9] Der Einfluss hierbei kann sowohl auf die Interpretation des Verhaltens des Gegenübers als auch auf das eigene Verhalten bezogen werden. Letzteres lässt sich wiederum im Kontext der Social Exchange Theory sehen. So werden etwa bisherige positive Erfahrungen als Erfolg bewertet und der Austauschbeziehung wird dadurch ein höherer Nutzen zugeschrieben. Dieser bedingt seinerseits die Neigung, auch zukünftig in das Austauschverhältnis zu investieren, positiv.[10]
2.2 In-Group
2.2.1 Vorteile für Untergebene, Vorgesetzten und Organisation
Da die Untergebenen der In-Group aufgrund ihres durch eine hohe Qualität gekennzeichneten Austauschverhältnisses zum Vorgesetzten einen überpro- portionalen Anteil an den von ihm verteilten Ressourcen bekommen, ergeben sich hieraus verschiedene Vorteile. Der jeweilige Untergebene profitiert einer- seits von informalen oder immateriellen Leistungen. Hier ist neben besserem Informationsfluss durch die zumeist intensive Kommunikation und größerer Unterstützung vor allen Dingen das Aufgabenspektrum zu nennen. Aufgrund des hohen Vertrauens wird der Untergebene in der Regel mit wichtigeren Aufgaben oder solchen, die besonders herausfordernd sind, betraut. Damit geht außerdem ein höheres Maß an Verantwortung und Autonomie einher.
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[1] Zitate-Datenbank. Austausch. Entnommen am 20.05.2008 von http://www.zitate- datenbank.service-itzehoe.de/menu/suche/_/fortschritt_wissen/2.
[2] Vgl. Bakar & Mustaffa, o.D., S. 4.
[3] Yukl, 2000, S. 117.
[4] Vgl. Greguras & Ford, 2006, S. 435.
[5] Vgl. Myres, 2006, S. 294.
[6] Vgl. Fairhurst, 1993; in: Fix & Sias, 2006, S. 36.
[7] Vgl. Yukl, 2000, S. 118.
[8] Vgl. Lidem, Wayne & Stilwell, 1993; in: Lapierre, Hackett & Taggar, 2006, S. 492.
[9] Uhl-Bien, 2000, S.147; in: Lapierre, Hackett & Taggar, 2006, S. 494.
[10] Vgl. Lapierre, Hackett & Taggar, 2006, S. 494.
- Arbeit zitieren
- Isabella Aberle (Autor:in), 2008, Leader-Member Exchange, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142228
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