Kontrollverlust ist Lust. Diese provokante These steht im Mittelpunkt des vorliegenden Werkes. Jahre lang schien dieser Grundsatz für Medien- und Erlebnisschaffende ungebrochen. Doch die heranwachsende Computerspiel- und Internet-Generation lässt sich nicht mehr nur berieseln. Sie sind es gewohnt, zu interagieren, selbst zu beherrschen und Macht auszuüben. Von dieser Veränderung sind neben den klassischen Medien vor allen Dingen auch die Freizeitparks betroffen. Neben Karussells, Achterbahnen und Geisterfahrten, früher Sinnbild des frivolen Vergnügens, ist nun auch die Interaktion ein gefragtes Medium. Dieses Buch verfolgt dabei einen völlig neuen Ansatz: Es zeigt, dass sich Interaktion und Kontrollverlust gar nicht erst ausschließen müssen und weist Auswege, wie Erlebniswelten die neuen Bedürfnisse trotzdem bedienen können, ohne ihren alten Grundsätzen untreu zu werden.
Inhaltsverzeichnis
0. PROLOG - ODER SOVIEL FREIHEIT WIE NÖTIG, SO VIEL KONTROLLE WIE MÖGLICH
1. ORGANISATORISCHES - ODER DAS KLEINGEDRUCKTE ZUERST
2. VORGEHENSWEISE - ODER DIE KUNST DER VERFÜHRUNG
3. GESCHICHTLICHES - ODER WIE AUS AMÜSEMENT THEMEN WERDEN
4. STATUS QUO - ODER ERLEBNISWELTEN UND IHRE TECHNIKEN IM ÜBERBLICK
4.1. MODELLTYPEN
4.2. KONTROLLE IN DEN MODELLTYPEN
4.3. ÜBER STORYTELLING UND DRAMATURGIE IN DEN MODELLEN
4.4. KOHÄRENZ UND THEMATISIERUNG DER MODELLE
4.5. SINNESMODALITÄT DER MODELLE
5. INTERAKTION - ODER VOM DESIGN DER SCHEINBAREN FREIHEIT
5.1. BESTANDSAUFNAHME
5.2. DER DIALOG ALS EXEMPLARISCHES INTERAKTIONS-MODELL
5.3. DAS SCRIPTING ALS GENERELLES INTERAKTIONSMODELL
5.4. INTERAKTIVES SCRIPTING UND GRUPPENERLEBNIS
5.5. ABSICHERUNG DURCH HILFESYSTEME
5.6. WARTESCHLANGEN UND ZEITPROBLEMATIK IN DER ERLEBNISWELTEN- INTERAKTION
5.7. TRIGGERING, NOTWENDIGKEITSKETTEN UND FEEDBACK
6. „EXPEDITION MANDORIA“ - ODER ANWENDUNGSBEISPIELE UNTER EINEM HUT
7. REDUKTION - ODER WAS ADVENTURES MIT SEX ZU TUN HABEN
8. EPILOG - ODER WAS VON DER FREIHEITÜBRIG BLEIBT
A. DANKSAGUNGEN
B. EXPERTENINTERVIEWS
C. EMPIRISCHE DATEN
D. QUELLENVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Szene aus The Game
Abbildung 2: Szene aus The Game
Abbildung 3: Szene aus The Game
Abbildung 4: Szene aus The Game
Abbildung 5: Szene aus The Game
Abbildung 6: Szene aus The Game
Abbildung 7: Szene aus The Game
Abbildung 8: Walt Disney stellt sein Disneyland-Konzept dem Fernsehpublikum vor
Abbildung 9: Flug über London in einer der ersten Themenattraktionen: Peter Pan’s Flight
Abbildung 10: Logo für Walt Disney Imagineering
Abbildung 11: Imagineers bei der Modellerstellung, hinten: das Storyboard der Geschichte
Abbildung 12: Artwork für eine Landschafts-Studie eines Disney Themenbereichs
Abbildung 13: Der Mount Everest als exakte Drahtgitter-Nachbildung in einem Disney Themenpark (im Bau), klein darunter: Das Artwork, dass das fertige Berglayout zeigt.
Abbildung 14: Der fertige „Mount Everest“ nach Vollendung der Konstruktionsphase
Abbildung 15: Walt Disney mit einem frühen Audio-Animatronic
Abbildung 16: Abraham Lincoln als Audio-Animatronic
Abbildung 17: Werbeplakat für die neue Attraktion - Disney verkaufte seine Themen-Geschichten immer wie einen „richtigen“ Film
Abbildung 18: Audio-Animatronic Szene aus „Pirates of the Caribbean“
Abbildung 19: Offizieller Übersichtsplan von „Walt Disney World“
Abbildung 20: Walt Disneys erste Konzeptstudie für „EPCOT“
Abbildung 21: Rechts: Die Monorail als Disneys hauseigenes Verkehrsmittel
Abbildung 22: Das Epcot Center als Ausstellungs- und Wissenseinrichtung
Abbildung 23: Gefälle-Test auf der Teststrecke der Attraktion „Test Track“
Abbildung 24: Werbekampagne für die Disney Cruise Line, die Gäste des Walt Disney World Resorts auf Wunsch auf eine eigene „Disney Insel“ verschifft.
Abbildung 25: Typhoon Lagoon, ein Wasserpark im Disney Resort, Storygrundlage: Ein Typhoon hat eine Lagune zerstört, zahlreiche Wracks zeugen von dem Unglück
Abbildung 26: Sich drehende Tassen ist ein gern genommenes Thema für ein klassisches Rundfahrgeschäft in Freizeitparks
Abbildung 27: Inversionselemente, im Vordergrund: eine „Cobral Roll“
Abbildung 28: Ungewöhnliche Fahrpositionen für ungewöhnliche Sinneseindrü>Coaster liegen die Passagiere unter der Schiene
Abbildung 29: Universal nutzt eine Achterbahn mit Abschusssequenz in ihrer Attraktion: „Rache der Mumie“, die damit eine Flucht entsprechend der Filmlizenz interpretieren soll.
Abbildung 30: Eine Szene aus dem „Big Thunder Mountain Railroad“
Abbildung 31: Gäste in einer Fahrsequenz nach dem ersten Abschnitt
Abbildung 32: Postkarten-Annonce für eine Freakshow mit behinderten Musikern
Abbildung 33: Fahrgäste in einem Fahrzeug während der Kilimanjaro Safaris-Tour
Abbildung 34: Verfolgungsjagd während der Safari
Abbildung 35: Szene aus einer Stunt Show eines Filmparks
Abbildung 36: „Tarzans Baumhaus“ - ein Laufgeschäft von Disney
Abbildung 37: It`s a small world (1966) wird als „Meilenstein“ der Darkrides bezeichnet, da es die erste Fahrattraktion war, die eine durchgängige Musik mit veränderter Themenvariation pro durchfahrenem Raum beinhaltete
Abbildung 38: Phantom Manor Anwesen von außen
Abbildung 39: „Atmosphären“-Gang innerhalb des Anwesens
Abbildung 40: Splash Mountain, eine klassische Wildwasserbahn
Abbildung 41: Rafting-Attraktion Kali River Rapids
Abbildung 42: In dem Simulator „Soarin“ werden die Besucher über eine IMAX-Kinoleinwand gehoben, um den Eindruck des Fliegens zu verstärken
Abbildung 43: Besucher passieren vor der Flugsequenz ein „ramponiertes“ Weltraumschiff in der Wartungshalle, um die Spannung und die Erwartungshaltung zu erhöhen
Abbildung 44: Eine Schießbuden-Attraktion auf einem Jahrmarkt
Abbildung 45: Mischung aus Achterbahn und Wasserattraktion
Abbildung 46: Fahrsequenz aus der „Typmischungs“-Attraktion Curse of DarKastle
Abbildung 47: Das Schloss in den Disneyland-Themenparks dient als Monument im Zentrum, um Menschen gleichmäßig im Park zu verteilen
Abbildung 48: Das Hub-Konzept des 1955er Disneylands aus der Vogelperspektive: Unten mittig: Die Main Street, leicht oben mittig: das Schloss als zentraler Verteilerpunkt für die angrenzenden „Länder“
Abbildung 49: Eine klassische Queueline mit Gitterabsperrungen auf kleinem Raum
Abbildung 50: Aufwendig gestaltete Queueline im Wartebereich von „Indiana Jones“
Abbildung 51: FASTPASS-Ticket mit aufgedrucktem Zeitfenster
Abbildung 52: In der Preshow zu Rock’n Roller Coaster in den Walt Disney Studios Paris trifft man die Musikgruppe Aerosmith in einem fiktivem Tonstudio und schaut ihnen bei den Aufnahmen zu, bevor man auf eine Achterbahn-Fahrt durch eine Musikdisco eingeladen wird.
Abbildung 53: Abenteuerlich thematisierte Gebäude
Abbildung 54: In einem Western-Themenbereich gibt es keine Restaurants sondern natürlich nur „Saloons“
Abbildung 55: Selbst kleinste Requisiten (hier: Etiketten für Spirituosen) werden je nach Thema eigens gestaltet und angefertigt
Abbildung 56: Szene aus The Game
Abbildung 57: Werbung für die Attraktion Alien Encounter
Abbildung 58: Ein sog. Head-Mikrophon zur Aufnahme von binauralem Sound
Abbildung 59: Auch die Hotelanlagen (hier die „Animal Kingdom Lodge“ mitten im Zoo-Gebiet) haben ihre ganz eigenen Duftnoten
Abbildung 60: Kontrollverlust in einer Achterbahn
Abbildung 61: Senritsu von außen
Abbildung 62: Szene in der Parkgarage des Senritsu Hospitals
Abbildung 63: Einfache interaktive Attraktion im deutschen Vergnügungspark „Tripsdrill“: Hier können Leute während der Fahrt andere Passanten nass spritzen.
Abbildung 64: DisneyQuest sind interaktive Themenpark-Komplexe mit virtuellen Spielen
Abbildung 65: Fahrsequenz aus Challenge of Tutankhamon mit drei alternativen Endpassagen
Abbildung 66: Symbolabbildung Space Invaders
Abbildung 67: Mitte der 90er bestimmt die Filmbranche die Adventure Game-Entwicklung
Abbildung 68: Szene aus einem typischen Adventurespiel: Der Spieler soll hier die phantastische Erlebniswelt und seine Geschichte erkunden und muss dabei mögliche Aufgaben lösen. Die Steuerung erfolgt für Adventures typisch sehr intuitiv mit der Maus und einigen Klicks.
Abbildung 69: Ein klassischer Multiple-Choice Dialog in einem Computerspiel (hier: Indiana Jones and the Fate of Atlantis): Der Spieler wählt einfach eine passende Antwort aus und erhält daraufhin von seinem Gegenüber das entsprechende Feedback. Bei „outcome-sensitiven“ Dialogen kann sich durch die Wahl der Antwort auch der Verlauf der Geschichte ändern
Abbildung 70: Interaktiver Dialog in einer Erlebniswelt: Einige Besucher reden mit der Disney-Figur „Stitch“
Abbildung 71: In „Laugh Floor - Comedy Club“ können die Zuseher mit ihren Mobiltelefonen mit den Darstellern auf der Leinwand interagieren
Abbildung 72: Disney-Characters mit „Talking Head“ Technologie in einer Show; Disney möchte damit über Kurz oder Lang die Kommunikation seiner Charaktere mit dem Besucher ermöglichen
Abbildung 73: Selbstständ]iger Straßen-Charakter mit Interaktionsmöglichkeit
Abbildung 74: Das Muppet Mobile Lab kann sich ebenfalls frei im Park bewegen, verschiedene Showeffekte vorführen und damit mit den Besuchern interagieren
Abbildung 75: Eine interaktive Befragung während einer Darkride-Fahrt
Abbildung 76: Script-Struktur der Attraktion Turtle Talk with Crush (exemplarisch), Eckige Sprechblasen sind Crush, runde der menschliche Gesprächspartner, geschwungene Klammern symbolisieren gesprochene Variablen, jede der sieben Phasen ist in einem Kasten umrandet, eigene Grafik
Abbildung 77: Disney-Kampagne für Turtle Talk with Crush
Abbildung 78; Kooperatives Design wird in sportlichen Erlebniswelten (hier ein Klettergarten) bereits seit längerem eingesetzt
Abbildung 79: Vier Gamer spielen das Adventure „Myst Online“ gemeinsam über das Internet
Abbildung 80: Szene aus The Game
Abbildung 81: Szene aus The Game
Abbildung 82: Szene aus The Game
Abbildung 83: Nahezu alle Computerspiele sind zeitabhängig (hier ein Autorennspiel) - Adventurespiele dagegen in der Regel nicht.
Abbildung 84: Beispiel-Komplettlösung
Abbildung 85: Beispiel für ein Tippeinblende-System in dem Spiel „Myst Masterpiece Edition“
Abbildung 86: Punkt für Punkt System in dem Spiel „Die Pandora Akte“: Der Spieler wählt zunächst den gewünschten Geschichtsstrang aus (hier: „Thomas Malloy suchen“) und bekommt dann eine Auflistung alle bereits ausgeführten Schritte sowie den nächsten noch auszuführenden Schritt angezeigt.
Abbildung 87: Ein Beispiel für ein Online-Hilfe-Forum
Abbildung 88: In „In Memoriam 2: Das letzte Ritual“ wird der Spieler zu einem „Phoenix Investigator“ und muss dabei einem Killer das Handwerk legen. Er spielt zwar alleine, kann jedoch über eine fiktive Webseite des Spiels mit anderen „Phoenix Investigators“ in Kontakt treten. Diese sind dann aber nicht fiktiv und gescriptet, sondern andere „lebende“ Spieler dieses ungewöhnlichen Adentures.
Abbildung 89: In „Simon the Sorcerer“ findet man das Passwort zum Zugang in die Zwergenmine auf einem Stein im Wald versteckt
Abbildung 90: In „Indiana Jones and the Fate of Atlantis” helfen uns bei Bedarf auch fremde Spielcharaktere bei der Suche nach einem Informanten weiter
Abbildung 91: In „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ wird dem Spieler der virtuelle Charakter „Sophia“ zur Seite gestellt, die man auch um Tipps bitten kann.
Abbildung 92: In „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ erstellt das Adventure je nach Fertigkeit des Spielers (hier drei unterschiedliche Vorgehensweisen bei demselben Rätsel) ein Profil und bietet dem Spieler kurze Zeit später entsprechend dazu drei alternative Spielpfade an (1. Bild: Lösung durch Dialog (=kooperative Adaption / Teamweg), 2. Bild: Lösung durch Knobelei (=kognitive Adaption / Puzzleweg), 3. Bild: Lösung durch Kampf (=kämpferische Adaption / Actionweg).
Abbildung 93: Szene aus Pirates of the Carribean: Battle for Buccaneer Gold
Abbildung 94: Szene aus The Game
Abbildung 95: Szene aus The Game
Abbildung 96: Einige Szenen aus der Preshow der Attraktion „Storm Riders“. Preshows dienen neben dramaturgischen Zwecken (hier wird vor der eigentlichen Hauptshow eine Wetterkontrollstation näher erklärt, um die Passanten auf das Thema vorzubereiten) auch strukturellen: Sie unterteilen die Besucher in Gruppen und sorgen für den schubweisen und zeitgesteuerten „Durchlauf“.
Abbildung 97: Einfaches Warteschlangen-Modell
Abbildung 98 Ein einfaches Warteschlangen-Netz
Abbildung 99: Komplett non-linearer Narrations-Ansatz ohne Warteschlangen-Konzept in der Attraktion „MagiQuest“
Abbildung 100: Szene aus The Uncertain Guest
Abbildung 101: Szene aus The Game
Abbildung 102: Das „Scripting-Haus“: Der Autor schreibt, das Feedbacksystem überwacht und Triggers und Hilfesysteme nehmen auf die Interaktion Einfluss
Abbildung 103: Szene aus The Game
Abbildung 104: Grobe Strukturierung des Vorplatzes der Attraktion
Abbildung 105: Schematische Darstellung eines Subplot-Konzepts
Abbildung 106: Beispielgrafik für ein Perlenkettenmodell - jede Gruppe besucht je nach Script die Räume in unterschiedlicher Reihenfolge, bis sie im dritten Raum das Zugangsobjekt für Kapitel 2 finden. 255 Abbildung 107: Abstürzender-Fahrstuhl-Attraktion in einem Themenpark (aus dem Film: Haunted Hill) 257 Abbildung 108: Symbolische Abbildung für einen verzweigenden Walkthrough. Warteschlangenüberwachungssysteme und multiple Räume sind in dieser Abbildung nicht berücksichtigt.
Abbildung 109: Symbolabbildung für das Finale mit zwei Endsequenzen (eigene Grafik)
Abbildung 110: Riles Island, ursprünglich geplante Heimat für den Myst-Themenpark
Abbildung 111: Szene aus The Game
Abbildung 112: Szene aus The Game
Abbildung 113: Szene aus The Game
Abbildung 114: Szene aus The Game
Abbildung 115: Szene aus The Game
Abbildung 116: Szene aus The Game
Abbildung 117: Albert Einstein
Abbildung 118: Adrienne wird von ihrem Ehemann überwältigt (Szene aus Phantasmagoria)
Abbildung 119: Weitere Szene aus Phantasmagoria auf dem ‚Stuhl des Grauens’
Abbildung 120: Allegra (zu Ted): „Das ist die Zukunft, Pikul. Alles fühlt sich total natürlich an.
Abbildung 121: Dialogszene mit zwei Adventurespielern und einem „virtuellen“ Charakter (r.)
Abbildung 122: Symbolische Sequenz, in der sich die zwei Spieler in die vom Spiel vorgescriptete Routine fallen lassen
Abbildung 123: Werbeplakat das für den Erlebnisbereich „Tomorrowland“ im Walt Disney World wirbt; der Slogan sagt: „Die Zukunft die niemals war, ist endlich hier!“
Abbildung 124: Szene aus The Game
Abbildung 125: Szene aus The Game
Abbildung 126: Szene aus The Game
Abbildung 127: Walt Disney
Abbildung 128: Zusammenfassendes Schaubild der Vorgehensweise und Ergebnisse
Abbildung 129: Erlebniswelt, „verdrehte“ Welt: Achterbahn, Riesenrad, Freefall-Tower in Disney’s California Adventure
Abbildung 130: Joe Belfiore (rechts) und sein Team „Game Control“
Tabelle 1: Sinnesbeurteilung durch Adventurespieler (n=316)
Tabelle 2: Interactive Darkride-Beurteilung durch Adventurespieler (n=316)
Tabelle 3: Aussagen zur Evaluation von Turtle Talk with Crush (n=316)
Tabelle 4: Aussagen zu Erlebniswelten mit explorativen und rätselartigen Interaktionsmustern (n=316)
Tabelle 5: Bewertung des Gesamtkonzepts (n=316)
Tabelle 6a-b: Motivation und Wiederbesuchswert (n=316)
Tabelle 7: Bevorzugte Elemente in Gesamtkontexten
Die Quellenangaben der Abbildungen sind im Quellenverzeichnis berücksichtigt.
Bei der Verwendung rein männlicher Endungen schließen diese die weibliche Bezeichnung mit ein.
Mögliche fremdbegriffliche Abkürzungen werden im Textfluss in eigenen Abschnitten erklärt.
„Virtuelle Realität ist doch im Grunde genommen gar nichts Neues.
Wir erschaffen hier virtuelle Realitäten schon seit mehr als 40 Jahren“[1]
- John Hench, Senior Vizepräsident Walt Disney Imagineering
Von 1955 bis 2004 Mitentwickler der Disney Themenparks
The Game
Nicholas Van Orten langweilt sich[2]. Frustiert sitzt er in seinem noblem Anwesen und feilt sich die Fingernägel. Auf dem Tisch steht ein halb geleertes Glas Champagner, im Fernsehen laufen wie immer die Businessnachrichten und aktuellen Aktienmeldungen des Cable Financal Networks durch. Finanziell hat es das Leben sehr gut mit ihm gemeint, ansonsten bot es für ihn in letzter Zeit aber nichts Aufregendes mehr.
Während der in den vereinigten Staaten hoch populäre Nachrichtensprecher Daniel Schorr weiter in einer monotonen Dauerschleife seine Meldungen herunterbrabbelt, wendet Van Orten seinen Blick auf die fast lebensgroße Clownspuppe, die er heute morgen auf der Einfahrt seiner Villa gefunden hatte. Absender: Unbekannt. Was hatte dieser Clown zu bedeuten?
Nachdenklich lässt er den Schlüsselbund, den er vor kurzem aus dem Mund der Puppe gezogen hatte, um seinen Zeigerfinger kreisen.
Nachrichtensprecher (währenddessen): „…was einen Anstieg der Arbeitslosigkeit und einen Rückgang der mittelständischen Betriebe zur Folge hat. Dagegen kündigten die Republikaner an, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes stimulierend für die lustlose Wirtschaft wäre. Bislang hat sich noch niemand dazu geäußert…“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Szene aus The Game
Van Orten greift zum Champagnerglas und setzt an.
Nachrichtensprecher (fährt fort): „…in wie weit es eine Auswirkung auf das verwöhnte Dasein des Nicholas Van Orten hätte.“
Van Orten stutzt. Was hatte der Nachrichtensprecher eben gesagt?
Nachrichtensprecher: „Demokraten und Republikaner konnten sich lediglich einigen, dass die Wirtschaft derzeit Zweifel an der Zukunft unseres Landes hat.“
Nein, er musste sich verhört haben! Er wendet sich erneut dem Clown zu und stochert mit seinem Taschenmesser neugierig in seinem Mund herum. Vielleicht befindet sich in dem Hohlraum ja noch ein weiterer Gegenstand ausser diesem ominösen Schlüssel!
Nachrichtensprecher: „Einer aktuellen Umfrage zu Folge rechnen 75% der Arbeiter damit in den nächsten fünf bis sechs Jahren ihren Arbeitsplatz zu verlieren. (kurze Bildstörung) Aber was kümmert das schon so einen aufgeblasenen Millionärsheini wie sie?“
Van Orten dreht sich erneut zum Fernseher, schüttelt den Kopf, und untersucht weiter die Öffnung der Puppe.
Nachrichtensprecher: „Die Börse an der Wallstreet meldet, dass der Dow Jones leicht angestiegen ist, nachdem verschiedene High Tech-Firmen höhere Gewinne erzielen konnten als erwartet war. Die Kurse fielen kurzfristig als bekannt wurde (es zischt erneut), dass Nicholas Van Orten niesen musste.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Szene aus The Game
Jetzt reicht es! Van Orten schießt herum und betrachtet entgeistert den Nachrichtensprecher. Dieser verschränkt die Arme und beugt sich nach vorne.
Nachrichtensprecher (leicht süffisant): „Wollen Sie den ganzen Abend damit verbringen, dem Clown im Mund rumzustochern?“
Van Orten (stotternd): „Ich, äh, ich wollte…“
Nachrichtensprecher: „Es ist ziemlich frustriend für mich, wenn Sie mir nicht zuhören!“
Van Orten (verängstigt): „Was geht hier vor?“
Nachrichtensprecher: „Das ist ihr Spiel, Nicholas. Und ich begrüße Sie dazu. Meine Aufgabe ist es, Sie in ein paar Grundregeln einzuweisen. Den ersten Schlüssel haben Sie bereits erhalten; weitere werden folgen. Sie werden nie wissen wo Sie sie finden und wofür sie sind. Also halten Sie ihre Augen offen!“
Van Orten: „Wie können Sie… Sie können mich sehen?“
Nachrichtensprecher: „Heben wir uns diese Frage für später auf!“ Van Orten (macht ein paar Schritte nach vorne): „Wie geht das?“
Nachrichtensprecher: „Im Augenblick ist eine witzig kleine Kamera auf sie gerichtet.“
Van Orten: „Das ist einfach unmöglich.“
Nachrichtensprecher: „Sie haben recht, einfach unmöglich! Sie unterhalten sich gerade mit ihrem Fernseher.“ Nach einer kurzen Pause: „Es ist eine Miniaturkamera.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Szene aus The Game
Van Orten beginnt, am Fernseher herumzustochern.
Nachrichtensprecher: „Wissen Sie eigentlich wie gefährlich das ist?“
Eine Hausangestellte betritt den Raum: „Mr. Van Orten?“
Der Fernseher schaltet sofort zurück in das herkömmliche Programm und Daniel Schorr leiert wieder die ewig gleichen Texte herunter. Van Orten dreht sich um und versteckt das Messer hinter seinem Rücken: „Ja Elsa, was gibt es denn?“
Elsa: „Ist alles in Ordnung?“
Van Orten (nervös): „Alles bestens. Danke.“
Elsa: „Ich bin dann soweit fertig, brauchen Sie noch irgendetwas.“
Van Orten (genervt): „Nein ich brauche nichts Elsa. Danke sehr. Gute Nacht.“
Elsa: „Gute Nacht.“ Sie verlässt den Raum. Nachrichtensprecher: „Wer war das?“ Van Orten: „Das geht sie nichts an!“
Nachrichtensprecher: „Sie wollen sicher wissen, wie die Kamera in ihr Haus gekommen ist?“
Van Orten: „Ja, das will ich!“
Das Bild zischt erneut und gebannt sieht sich Van Orten nun plötzlich selbst auf dem Schirm.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Szene aus The Game
Langsam versucht er sich an die Spiegelverkehrtheit zu gewöhnen und die im Raum versteckte Kamera zu lokalisieren.
Nachrichtensprecher: „Kalt. Kälter.“
Van Orten nähert sich dem Clown.
Nachrichtensprecher: „Warm. Wärmer.“
Van Orten starrt in die Augen des Clowns. Er schüttelt den Kopf: Er selbst hatte also die Kamera in sein Haus gebracht! Genervt schraubt er den Kopf ab. Im Fernseher zischt es erneut.
Nachrichtensprecher: „Schreiben Sie die Nummer auf. Das ist die Nummer der CRS-Hotline. Sie ist nur für Notfälle gedacht.“ Auf dem Fernseher erscheint eine Telefonummer, van Orten notiert. „Rufen sie nicht an, um herauszufinden, worum es bei dem Spiel geht. Das herauszufinden ist das Spiel. Viel Glück und herzlichen Glückwunsch! Ihr Team von CRS!“
Das Fernsehgerät schaltet wieder zurück zum normalen Börsenkurs-Programm.
Van Orten ahnte -wenn auch mit einigem Unbehagen-, dass sein sonst so ereignisloses Leben in Zukunft um einiges aufregender werden sollte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Szene aus The Game
0. Prolog - oder Soviel Freiheit wie nötig, so viel
Kontrolle wie möglich
Bei der eben beschriebenen Szene handelt es sich um einen Filmausschnitt aus „The Game“ (Fincher, 1997). In diesem meldet sich der Finanzmanager Nicholas Van Orten (Michael Douglas) zu einem „Spiel“ an, um seinem tristen Alltag zu entfliehen. Was folgt ist eine perfekte Inszenierung innerhalb seines Lebens. Wahrheit und Realität vermischen sich,
Ereignisse scheinen von einem unsichtbaren „Spiel- Regisseur“ exakt vorgeplant zu sein, Van Orten immer wieder in neue Situationen gelockt zu werden, ohne es zu merken - bis die Auftraggeber ihn am Ende genau da haben, wo sie ihn haben wollen - dazu aber später.
Vor einiger Zeit diskutierte ich mit Martin Mayer, technischer Projektleiter des so genannten Adventurespiels „Geheimakte Tunguska“ über diesen Film.
Adventure, Definition:[3] Bei einem Adventure handelt es sich um ein Computerspiel, bei dem gemäß der Fangemeinde vor allen Dingen die Elemente Story, Exploration, Charaktere und Rätsel im Vordergrund stehen. Sie zeichnen sich also neben einem generell hohen narrativen Anteil auch durch hohe kognitive Anforderungen an den Spielenden zum Lösen zahlreicher kleinerer, oft ineinander verschränkter Aufgaben und seitens der Erzählung durch komplexe narrative Zusammenhänge aus. Aktionen in einem Adventure, wie das Sprechen mit beteiligten Personen oder das Lösen eines Rätsels, führt dann in der Regel zu einer Fortführung der Geschichte. Diese Geschichte ist in einem Adventure also die Struktur gebende Konstante: Sie unterteilt das Spiel in verschiedene Kapitel und konkrete Aufgabenbereiche. Dadurch unterscheiden sich Adventurespiele auch von ähnlichen narrativen Spiel-Konzepten wie Rollenspielen, die sich durch freie Charaktergestaltung und deutlich größere Welten wesentlich dynamischer und damit unvorhersehbarer entwickeln.
Damals hatte ich gerade meine Bachelorarbeit
„Methoden interaktiven Storytellings“ beendet. Meine Aufgabe bei diesem Computerspiel-Projekt war es, meine dadurch gewonnen Erkenntnisse in das Spiel einfließen zu lassen und es nach diesen Qualitätsansprüchen zu evaluieren.
Für einen Adventuredesigner sind die in „The Game“ aufgeworfenen Fragen „täglich Brot“. Der Entwicklungszyklus sieht meistens so aus, dass zunächst ein grobes Story- Grundgerüst aufgebaut wird. Bereits vor der eigentlichen Interaktion steht somit Geschichte, Spannungsbogen und Ablauf des Spiels komplett fest.
Erst in einem zweiten Schritt wird dann versucht, den Plot mit Interaktionspunkten aufzufüllen: An welchen Stellen können wir dem Spieler die Handlungen übernehmen lassen? Wo eignet sich die Integration eines Rätsels? Welche Spielfigur könnte die notwendigen Informationen bereithalten und mit welcher Methode kann sie der Spieler erlangen?
Man wechselt also von der eigentlichen Erzählung der Geschichte in eine Inszenierung über, in der sich der Spieler frei bewegen und in der er interagieren kann und dessen Aufgabe es ist, durch eben jene Interaktionen weitere Informationen zu Sammeln und dadurch das
Voranschreiten der Geschichte auszulösen.
Die Inszenierung an sich ist nicht allzu komplex und erfordert in erster Linie „nur“ kreatives Denken, damit der Spieler durch immer wieder neue Ideen und narrative Strukturen überrascht wird. Problematisch wird es nur, wenn der Spieler eben nicht so handelt, wie man sich das als Designer vorgestellt hat. Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung kam ich ins Spiel.
Meine Aufgabe war es also, die Grenzen des Spieldesigns auszutesten: Wie reagiert das Adventure, wenn ich mich nicht an die vom Designer vorgegebenen Strukturen halte? Von narrativen „Sackgassen“ bis hin zu Logiklücken kann hier eine ganze Reihe an Problemen entstehen, die abgesichert werden müssen. Dafür gibt es eine Vielzahl an möglichen Modellen, die eingesetzt werden können.
Diese Arbeit wird sich nicht mit diesen Modellen beschäftigen - das wurde in „Methoden interaktiven
Storytellings“ bereits ausführlich getan. Trotzdem wird diese Arbeit eine Verwandtschaft mit meiner vorherigen aufweisen. Denn der entscheidende Punkt, mit dem man sich bei der Entwicklung eines „Adventurescripts“ immer wieder auseinandersetzen muss, ist die Frage nach der Selbst- und Fremd- bestimmung des Spielers.
Wie bereits erwähnt ist ein Adventurespiel alles andere als dynamisch: Es ist eine interaktive Geschichte und damit von einem Autor komplett vorgeplant[4]. Sie hat Anfang, Hauptteil und Schluss. Agiert der Spieler nicht so, wie man es von ihm erwartet, liegt es an der Auswahl des richtigen Modells, ihn wieder in den gewünschten Plot zu führen. Die Qualität des Modells richtet sich wiederum nach dem Empfinden des Spielers. Die beste Rückführung in den Plot ist die, die vom Spieler nicht als solche festgestellt wird. Schlecht ist sie dann, wenn sie als Gängelei seitens des Spiels wahrgenommen wird, insbesondere dann, wenn gewünschte Inter- aktionen vom Spiel einfach komplett ignoriert werden.
Es darf nicht vergessen werden, dass das Spiel auf Grund seiner Interaktionen funktioniert, das heißt: Das Wirksamkeitsgefühl des Spielers steht an oberster Stelle. „Methoden interaktiven Storytellings“ hat in einer sehr ausführlichen Analyse unter knapp 800 Spielern gezeigt, dass nichts frustrierender ist, wenn das Spiel nicht so „will“, wie man es selbst möchte.
Gleichzeitig sind diese Modelle natürlich gewissen Einschränkungen unter- worfen. Allein schon aus technischer Sicht lässt sich nicht für jede Aktion immer die perfekte Lösung programmieren, z.B. aus Komplexitätsgründen. Auch aus Spielersicht macht es häufig Sinn, die Freiheit etwas einzuschränken, beispielsweise wenn eine zu hohe Entscheidungs- bandbreite den Spieler kognitiv überfordert und damit die komplette Dramaturgie des fertigen Produkts darunter leidet.
Es gibt also keine pauschal beste Lösung. „Die Mischung macht´s.“[5] Diese Mischung zu finden, das Abwägen zwischen der Selbstbestimmung des Spielers und damit der Bedienung seines Wirksamkeitsempfindens und der Fremdbestimmung und damit der Absicherung der Geschichte samt Dramaturgie eigentlich Kernaufgabe interaktivem Storydesigns. In David Finchers „The Game“ wird das zum zentralen Thema des Films. Am Ende geht es nicht mehr nur darum, wie der Hauptdarsteller das Spiel spielt, sondern um die Frage, was von dem Gezeigten nun überhaupt Spiel ist und was nicht.
Insofern spielt der Film am Ende mit dem Zuseher selbst: Welche Situationen sind nur bloßer Zufall, welche exakt geplant? Und wie wird der Komplexitätsproblematik dieser Planung Einhalt geboten? Wie wurde der Protagonist dazu „gezwungen“, das zu tun, was er tut - ohne dass er es merkt? Letztendlich: Wer hat wirklich die Fäden in der Hand? Wie schafft man es, den Spieler so zu kontrollieren, ohne dass er es merkt, ja, dass es ihm sogar Spaß macht, kontrolliert zu werden? Sind wir am Ende etwa alle so kontrollierbar?
Ich gebe zu, dass mich dieser Gedanke seit meinem letzten Manuskript nicht mehr losgelassen hat. Während meiner Arbeit am Projekt „Geheimakte Tunguska“ wurde mir erst bewusst, welches ungeheuerliche Potential diese Thematik aufweist.
Adventuredesigner beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit diesem Phänomen, sie haben eine sehr hohe Professionalität, was interaktives, fremdbestimmtes Design betrifft. Ich habe in all meinen Recherchen keinen anderen Bereich gefunden, der auch nur annähernd diese Perfektion und dieses Know- How aufweist, wie bei der Adventurespiel-Entwicklung.
Der bisherige Einsatz dieses Wissens ist bislang noch relativ „harmlos“ - eben in Computerspielen, in Simulationen.
Was wäre, wenn dieses Wissen auch in anderen Bereichen Anwendung findet? Mit Sicherheit hat das Thema Fremdbestimmung die Menschheit immer wieder bewegt, wie allein schon ein Blick auf aktuelle Filmbeispiele belegt: In „Matrix“ (Wachwoski, 1999) werden Menschen an Maschinen angeschlossen, die ihnen ihr Leben lang eine heile Welt simulieren, in „eXistenZ“ (Cronenberg, 1999) schließen Spieler ihre Adventures direkt am Rückenmark an, um dem Erleben noch näher zu sein - und leiden am Ende unter dem totalen Realitätsverlust, weil sie zwischen Spiel- und Realitätsebene nicht mehr unterscheiden können.
Unter all diesen - sehr futuristischen - Filmen stimmte mich „The Game“ am nachdenklichsten. Der Film spielt nicht in der Zukunft sondern im Hier-und- Jetzt, die gezeigten Methoden sind bekannt und die technische Durchführung dem eines Adventures nicht unähnlich.
Der Film wurde äußerst positiv aufgenommen[6] - einzig der katholische Filmdienst hatte zu dem im Film nur sehr unterschwellig durchschimmerndem Thema „Kontrolle“ etwas zu sagen.
Fragwürdig würde „The Game“ demnach überall dort, „wo er distanzlos die Manipulation und Fremdbestimmung eines Menschen legitimiert und dies abschließend sogar als drastische Möglichkeit einer therapeutischen ‚Heilung’ ausgibt.“[7]
Diese Arbeit wird die medienethische Relevanz dieses Vorwurfs allerdings nur am Rande diskutieren (z.B. in Abschnitt 7) - es gibt Autoren die das ausführlicher und besser machen. Vielmehr soll sie das Potential der interaktiven Inszenierung und Planung illustrieren. Sind uns die Potentiale erst einmal bewusst, werden wir auch wissen, wie wir kompetent und ethisch mit diesen Methoden umgehen können. Nichts desto trotz werde ich mich im Folgendem immer mal wieder auf interessante Ausschnitte aus „The Game“ beziehen, wenn sie mir als Beispiel oder Erläuterung von Methoden interessant erscheinen.
Nicht Teil dieser Arbeit wird das Darlegen, die Analyse und Funktionsweisen einzelner Methoden sein. Dies wurde wie erwähnt bereits in „Methoden interaktiven Storytellings“ getan. Vielmehr sollen diese Methoden nun aus den Fängen einer Computersimulation herausgehoben und ihre Anwendbarkeit in anderen Bereichen getestet werden.
Ich erhoffe mir dadurch generelle Erkenntnisse über die Durchführbarkeit bestimmter Methoden auch jenseits der Virtualität und damit - letztendlich - erste Theoriemodelle für die generelle Anwendung interaktiver Applikationen, für welche der Schwerpunkt „So viel Freiheit wie nötig, so viel Kontrolle wie möglich“ eine entscheidende Prämisse ist.
Ich bin überzeugt davon, dass mit der zunehmenden Individualisierung unserer Gesellschaft das Verständnis für interaktives Storytelling, für interaktive Inszenierung und Gestaltung auch jenseits des Computers zu einer Schlüsselkompetenz heran- wächst: Die Videospielkultur vermehrt sich rasant - für viele jungen Menschen gehört die Interaktivität von Medien heute zu einer Selbstverständlichkeit. Selbst klassische Medien wie das Fernsehen erweitern ihre Dimensionen um die der Interaktion.
Das Aufgehen dieser Entwicklung in selbstbestimmten Konzepten wie dem web 2.0 ist dabei nur eine Seite der Medaille. Die Interaktion in ganz oder teilweise fremdbestimmten Konzepten unterzog sich bisher kaum einer wissenschaftlichen Analyse. Dabei sind gerade diese Konzepte für so viele Bereiche entscheidend:
Broadcaster, Werbung, Bildung, Politik, Tourismus, klassische Medien - all diese Disziplinen haben ein natürliches Kontrollbedürfnis: Broadcaster entscheiden darüber, was sie senden. Web 2.0 Applikationen wie z.B. YouTube tun das nicht. Ein Filmregisseur entscheidet, wie der Inhalt aussieht, den er sendet. Web 2.0 überlässt die komplette Dramaturgiegestaltung dem Nutzer. Die Bildung muss unerfahrene Nutzer erst Mal an die Hand nehmen und sie führen, bevor sie selbstständig lernen können. Web 2.0 Applikationen tun das nicht, da sie von Grund auf von einem aufgeklärten Nutzer ausgehen und ihm die volle Kontrolle überlassen.
Erläuterung web 2.0, Definition: Vereinfacht gesagt beschreibt das web 2.0 das Internet als Plattform, auf der alle Applikationen wie Software, aber auch Informationen und Wissen, miteinander verlinkt sind. Das web 2.0 wird somit durch eine „Architektur der Partizipation“[8] der einzelnen User erstellt, da jeder als Teil dieser Vernetzung am Ganzen mitwirken kann. Insofern funktioniert das web 2.0 ausschließlich für Nutzer, die eine entsprechende Medienkompetenz (technisches Verständnis etc.) bereits mitbringen.
Diese Arbeit will bei Leibe nicht den zweifelsohne großen Nutzen der neuen dynamisch-vernetzten Gesellschaft in Frage stellen. Sie will aber verdeutlichen, dass sich Interaktivität und Kontrolle nicht ausschließen müssen und dass dieses Thema -gerade in der heutigen Zeit - einer vertiefenden Diskussion würdig ist.
Die ganze Geschichte begann vor ein paar Tagen. Damals traf Nicholas Van Orten seinen lang verschwundenen Bruder Conrad im „City Club“, einem Nobelrestaurant nördlich von San Francisco:
„Das ist für dich.“ Conrad überreicht seinem Bruder einen weißen Briefumschlag. „Das wär nicht nötig gewesen“ erwidert Nicholas und öffnet den Umschlag. Heraus fällt eine kitischige Happy Birthday Glitzer-Karte.
Conrad lässt seinen Blick über Smokings der anwesenden Gäste gleiten. „Was schenkt man einem Mann, der schon alles hat?“
Als Nicholas die Geburtstagskarte öffnet befindet sich darin nur eine gold umrandetes Stück Papier. Er liest: „Consumer Recreation Services. Kunden Freizeit Service? Also Golfschläger hab ich schon.“
„Ruf da mal an.“ Conrad tippt auf das Papier.
Nicholas, skeptisch: „Warum?“ „Die bringen Spaß in deinen Alltag!“ „Spaß?“ „Du weißt doch, was das ist. Du hast es doch schon mal bei anderen Leuten gesehen. Das ist ein Unterhaltungsservice“ - „Ein Hostessen Service?“
Conrad beugt sich nach vorne. „Eine tief greifende Erfahrung.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Szene aus The Game
1. Organisatorisches - oder Das Kleingedruckte zuerst
Bevor wir uns näher mit den „tief greifenden Erfahrungen“ interaktiver Inszenierung auseinandersetzen, möchte ich zunächst einige Besonderheiten über die Struktur und den Inhalt dieser Arbeit erklären.
Zunächst daher einige Begriffserläuterungen, die im Folgenden eine Rolle spielen werden:
Interaktive Inszenierung: Von diesem Begriff habe ich hier bereits vorher ein paar Mal Gebrauch gemacht, genauso wie von den Ausdrücken „ Interaktives Storytelling “ oder den in den USA geläufigerem Begriff „ Interactive Fiction “ . Die letzteren beiden sind als stehende Begriffe aus meiner vorherigen Arbeit hervorgegangen. Während meiner Untersuchung von Adventure- und anderen Computerspielen erschien mir „ Interaktives Storytelling “ als Oberbegriff am sinnvollsten, da die strukturelle Planung eines Adventurespiels (das so genannte „ Scripting “ ) dem eines dramaturgischen und erzählerischen Spannungsbogen am nächsten kam. Für das Vorhaben dieser Arbeit scheint mir der Begriff des reinen „ Geschichten-Erzählen “ nicht immer ausreichend. Im Folgenden wird noch mehr die Planung in ihrer Gesamtheit im Mittelpunkt stehen. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden das „ Interaktive Storytelling “ an geeigneter Stelle mit „ Interaktive Inszenierung “ ersetzen.
Kontrolle und Kontrollverlust: Lange habe ich mich mit einer Kolleginüber diese Begrifflichkeiten diskutiert. Ihrer Meinung nach sei der Kontrollbegriff für das eigentliche Themenspektrum dieser Arbeit zu negativ konnotiert. Ich möchte trotzdem bei diesen beiden Begriffen bleiben. Mir ist bewusst, dass sie polarisieren und natürlich wären auch „ schwächere “ Ausdrücke wie „ leiten “ und „ sich leiten lassen “ denkbar. Ich möchte hier jedoch von einem, sagen wir, „ nicht gefärbten “ Kontrollbegriff ausgehen - und damit durchaus auch provozieren: Ich möchte belegen, dass das „ sich kontrollieren lassen “ nicht per se etwas „ Schlechtes “ ist, genauso wenig wie Kontrolle immer gleich einen „ Machtmissbrauch “ bedingen muss. Dass ich damit gewisse Ressentiments reize, ist mir durchaus bewusst und gewollt. Denn es geht hier auch darum, die Weitläufigkeit möglicher Beeinflussung unvoreingenommen zu betrachten - letztendlich bis hin zur Frage nach der Freiheit des eigenen Willens. Mir erscheint deshalb der „ totalitäre “ Begriff geradezu unausweichlich. Nur wenn ich mich mit diesem befasse, bin ich auch in der Lage, die Tragweite der diskutierten Ansätze abzuschätzen (auch, bzw. gerade auch die ethischen). Das gewisse „ Unbehagen “ einer „ political incorrectness “ seitens dieser Provokation ist also gewollt - wer sie umgehen möchte, kann die Begriffe gedanklich aber auch mit Selbst- und Fremdbestimmung ersetzen.
Methoden interaktiven Storytellings: Hierbei handelt es sich um die wissenschaftliche Arbeit, welcher dieser als Basis vorausgeht (Grünwald, 2005). Ich werde mich immer wieder auf diese Arbeit beziehen, wenn mir ein Transfer sinnvoll erscheint. Man möge es mir nachsehen, wenn ich mir - insbesondere bei dem Themenschwerpunkt „ Adventurespiele “ - eine nähere Erläuterung erspare oder hin und wieder kurze „ Crashkurse “ zu bestimmten Adventureaspekten (wie z.B. dem Scripting oder Hilfesysteme) gebe ohne eine gr öß ere didaktische Heranführung einzuplanen. Diese Aspekte können dann bei Bedarf in „ Methoden interaktiven Storytellings “ nachgeschlagen werden. In dieser Hinsicht stellt diese Arbeit damit eine konsequente Fortführung von „ Methoden interaktiven Storytellings “ dar.
Des Weiteren füge ich immer wieder einige Textblöcke ein, die grafisch vom restlichen Fließtext getrennt werden. Sie sind auch textlich unabhängig von der eigentlichen Arbeit und dienen in der Regel zur Erläuterung oder Illustrierung. Die verwendeten Textblöcke sind im Einzelnen:
The Game: Ich habe mich entschlossen, den Film „ The Game “ als Aufhänger für diese Arbeit zu verwenden. Ich bin der Ansicht, dass er sich inhaltlich sowie dramaturgisch sehr gut zur Strukturierung des Themas eignet. Hin und wieder werde ich deswegen einige Auszüge aus dem Film in die Arbeit einstreuen, um auf ein konkretes Thema hinzuführen.
Beispiel: Da diese Arbeit explorativen Charakter besitzt, um erst einmal einen Einblick in mögliche Schwerpunkte dieser Thematik zu erhalten, sollen die angesprochenen Punkte mit Beispielen illustriert werden. Es handelt sich dabei um eine qualitative Auswahl, d.h., der Auswahl ging keine ausführliche quantitative Analyse voraus (wie z.B. in „ Methoden interaktiven Storytellings “ ). Hier zählt vor allen Dingen der beschreibende Charakter. Zudem wäre auf Grund des relativ breit abgesteckten Feldes eine wirklich umfassende Dokumentenanalyse im Zeit- und Budgetrahmen nicht möglich. Vielleicht sind die Beispiele also nicht immer die am Besten verfügbaren, zur Verdeutlichung des Sachverhalts aber völlig ausreichend.
Erläuterung: Werden in der Arbeit bestimmte Begriffe und Themenkomplexe angesprochen, die vielleicht nicht jedem Leser geläufig sind, werden sie in diesen Kästen in Kurzform erklärt.
Ergebnisse: Die aus der methodischen Vorgehensweise erlangten Ergebnisse werden in diesem Block illustriert, z.B. als Grafik oder in Textform.
Feststellung: Hier werden gesammelte Ergebnisse, Gedanken und Vorschläge des Kapitels zusammengefasst und in Kurzform festgehalten.
Exkurs: Darstellungen, die keinen direkten Zusammenhang zur Arbeit aufweisen, aber dennoch Erwähnung finden sollen, werden hier erwähnt.
Es wird auch bereits aufgefallen sein, dass ich diese Arbeit aus einer eher subjektiven Sichtweise verfasse. Wenn ich zukünftig relativ häufig aus der ersten Person schreibe, so hat dies nichts mit fehlender wissenschaftlicher Distanz oder gar Arroganz zu tun. Im Gegensatz zur vorherigen Arbeit, die mehr quantitative und objektive Ergebnisse hervorbrachte, erschien mir ein selbstreflexives Vorgehen diesmal jedoch sinnvoller. Natürlich werde ich auch hier versuchen, mit korrekter wissenschaftlicher Methodik und bestmöglichster Präzision vorzugehen. Das Überprüfen und Evaluieren von Hypothesen soll diesmal aber weniger im Mittelpunkt stehen als das Finden neuer Hypothesen und Ansatzpunkte.
Der von mir gewählte Bereich ist - so scheint mir - noch relativ gering bis gar nicht erforscht. Es bieten sich also relativ wenige Anknüpfungspunkte für Ergebnisse aus anderen Arbeiten. In erster Linie möchte ich daher mögliche Forschungsfelder aufdecken, auch wenn ich sie nicht überall einer näheren Analyse unterziehen oder sie wegen fehlender Vergleichsliteratur verifizieren kann.
Die subjektive Erzählweise soll dies verdeutlichen. Es handelt sich hierbei um einen persönlichen Interessens- bereich, daher womöglich auch subjektiv gefärbt. Es handelt sich um erste Erkenntnisse, eigene Hypothesen und Vermutungen, nicht zwangsläufig um „knallharte“ Fakten. Nähere Analysen sind daher auf alle Fälle angebracht und natürlich auch wissenschaftlich erwünscht.
Nicholas Van Orten lehnt sich mit skeptischer Miene in seinem Stuhl zurück. In der Hand hält er einige psychologische Tests, die er ausfüllen soll. Ihm gegenüber sitzt Jim Feingold, Abteilungsleiter der Datenauswertung bei CRS.
Van Orten: „Was soll das Ganze?“
Feingold: „Damit wollen wir uns ein umfassendes Bild von ihren Fähigkeiten machen.“ -„Nein! Was soll das Ganze hier? Was verkaufen sie?“
Feingold lehnt sich zurück und holt tief Luft: „Das ist ein Spiel!“ - „Ein Spiel?“ - „Für jeden Teilnehmer speziell zugeschnitten. Es ist, als wären sie in den Ferien. Nur müssen sie da nicht hinfahren, die Ferien kommen zu ihnen.“
Feingold grinst.
Van Orten: „Und was für eine Art Ferien?“ - „Das ist jedes Mal anders.“ - „Amüsieren sie mich mit ein paar Einzelheiten!“ -„Wir geben unseren Kunden das, was ihnen fehlt“, erwidert Feingold. Van Orten verliert die Geduld: „Glauben sie ernsthaft, dass ich an einem Spiel teilnehme von dem ich nicht das Geringste weiß?“
Feingold: „Darf ich ihnen zwei Vorschläge machen: Erstens. Geben sie zu, dass es sich reizvoll anhört. Und zweitens: Sie brauchen sich heute noch nicht zu entscheiden.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Szene aus The Game
2. Vorgehensweise - oder Die Kunst der Verführung
Würden wir heute gefragt werden, ob wir gerne die Kontrolle verlieren, würden wir vermutlich antworten: „Nein. Wer verliert schon gern die Kontrolle?“ Kontrollverlust ist negativ konnotiert. Es bedeutet, nicht Herr über seiner Sinne und manipulierbar zu sein. Hört es sich für uns aber dennoch „reizvoll“ an, wie Feingold in der oben beschriebenen Szene behauptet?
Ich kann mich an eine Übung erinnern, die ich in meiner Schulzeit auf den sog. „Besinnungstagen“ durchführen musste: Einem Schüler werden die Augen verbunden, während ein anderer ihn in einem relativ komplexen Haus herumführt. Treppen rauf, Treppen runter - alles mit verbundenen Augen. Jeder Schüler war einmal „Führer“ und „Geführter“. Am Ende wurde diskutiert, welches Erlebnis besser war.
Ich bin mir nicht sicher, welche Erkenntnisse die Lehrer nun exakt aus dieser Aktion gewannen - vielleicht wurden damit unsere Charaktergesinnung analysiert - jedenfalls wurde am Ende festgestellt, dass das Führen zwar die „angenehmere“, da machtvollere Position ist, das Geführt werden durch die Ungewissheit aber als „spannender“ wahr- genommen wurde.
Empfinden wir durch den Kontrollverlust etwa Lust? Und ist nicht jede Art der Verführung eine Aufgabe der Kontrolle und die Hingabe des Vertrauens in die Hände des Kontrollierenden?
Fakt ist jedenfalls, dass Unwissenheit uns neugierig macht[9]. Sie begründet damit die Motivation, bestimmte Dinge zu tun, selbst wenn sie für uns den Kontrollverlust bedeuten.
Auf meiner Suche nach Anwendungen, die dieses Gefühl nach Außen transportieren, bin ich irgendwann bei den „Erlebniswelten“ hängen geblieben.
Unter Erlebniswelten definiere ich jede Schöpfung künstlicher oder alternativer Realitäten, welche das intensive „Erleben“ des „Besuchers“ zum Ziel haben, also z.B. Freizeitparks, Spaßbäder, Einkaufszentren, Erlebnisgastronomie, Erlebnistourismus etc. Nicht zu Erlebniswelten zähle ich hier virtuelle Weltschöpfungen (Computersimulationen, Rollenspiele, Onlinespiele etc.).
Erlebniswelten scheinen mir ein ideales Feld für weitere Analysen zu sein. Sie sollen deswegen den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden:
Erlebniswelten stehen für Kontrollverlust: Drastisch ausgedrückt könnte man sagen: Erlebniswelten sind Welten ohne Demokratie. Sie werden von wenigen Einzelnen geschaffen, die die Regeln in ihren Welten festsetzen. Gerade jener Kontrollverlust, jenes „Ü berlassen “ der Verantwortung an Andere ist, womit und wovon diese Welten leben: Das, was einem Einkaufszentrum der sinnliche „ Einkaufsrausch “ , ist dem Freizeitpark die gruselige Geister- oder rasende Achterbahn: Ist man mal „ drin “ , gibt es kein „ Entkommen “ mehr und ist völlig der Willkür des Schöpfers ausgeliefert.
Erlebniswelten schaffen Realitäten: Genau wie Computerspiele künstliche Welten erzeugen, tun dies auch Erlebniswelten. Themenparks beispielsweise legen sich ein bestimmtes Thema zu Grunde und gestalten dementsprechend ihre Parkanlage - man spricht dann auch von „ Thematisierung “ . Die so erzeugte „ künstliche Realität “ ist -ähnlich wie die virtuelle Realität- eine abgeschlossene, kohärente Einheit mit eigenen Angeboten, Regeln, Ritualen, und Möglichkeiten, eigenem Flair und Verhaltenskodex. Allein aus diesem Grund scheint mir der Schritt von der Virtualität in die der Erlebniswelten sehr nahe liegend. Erlebniswelten professionalisieren mediale Inszenierung:
Virtuelle Realität bedient in der Regel nur zwei unserer Sinne, nämlich das visuelle und das auditive System. Sieht man von noch wenig praktikablen Techniken wie dem Datenhandschuh oder dem 3D-Helm ab werden kaum andere Sinne bedient: Wir sehen das Bild auf einem 2-dimensionalen Bildschirm, wir hören den Ton aus Lautsprecherboxen. Wirklich „ fühlen “ können wir die virtuellen Bilder nicht, der komplette Tastsinn ist auf Eingabegeräte wie Tastatur und Maus reduziert. Für Entwickler virtueller Realitäten macht es das einfach: Sie müssen sich primär nur um zwei Dimensionen der Sinne und um die Interaktivität kümmern. Eine Erlebniswelt hingegen lebt davon, alle Sinne zu bedienen: Kinder können im Disneyland ihre aus dem Fernsehen bekannten Lieblinge „ berühren “ (taktile Wahrnehmung), sie können die Welten „ riechen “ (Geruchswahrnehmung), in sie „ hineinlaufen “ (kinästhetische Wahrnehmung) und sich dabei im Raum orientieren (vestibuläre Wahrnehmung). Sie sind „ echt “ . Für die Entwickler bedeutet das: Alle Sinneswahrnehmungen sind von Bedeutung, sie sind „ Profis “ in der Entwicklung perfekt abgestimmter Welten. Dieses Können wird essentiell wichtig, wenn es um die Kohärenz und Glaubwürdigkeit der interaktiven Inszenierung außerhalb der Virtualität geht und wird von der bisherigen Medienwissenschaft durch den Fokus auf rein audiovisuelle Medien nur allzu häufig ausgeklammert.
Erlebniswelten sind hochgradig emotionalisiert: Die Emotionalisierung von Erlebniswelten ist die direkte Folge des oben erwähnten Punktes. Zwar wird unsere heutige moderne Gesellschaft durch audiovisuelle Reizeüberflutet, unsere restlichen Sinne werden jedoch kaum bedient. Hier bieten Erlebniswelten „ multisensitive, also mit starken emotionalen und physischen Reizen dargeboten[e Erfahrungen] “ und vermitteln „ den Teilnehmern besondere und nichtalltägliche, vielfach spannende oder gar einmalige Erlebnisse “[10]. Der hohe Grad der Emotionalisierung unterscheidet Erlebniswelten wie Themen- und Vergnügungsparks von anderen (mittlerweile) „ alltäglichen “ Erlebnissen wie Fernsehschauen oder Musik hören. Die Freizeitforschung spricht vom „ Kontrasterleben “[11]: Der Besuch einer Erlebniswelt ist etwas besonderes, wird intensiver empfunden und bleibt demnach länger im Gedächtnis haften. Letzteres wird insbesondere wichtig, wenn es bei Erlebniswelten auch konkret um die Vermittlung von Inhalten geht. Aktuelle Forschungen[12] legen nahe, dass Erlebniswelten durch das starke Empfinden, die starke Fokussierung auf ein ganz bestimmtes (in der Regel positives) Erleben und die durch die Perfektion relativ geringe Ablenkungsgefahr ganz neue Perspektiven für die mediale Kommunikation eröffnen - sei es nun für den Bereich des reinen Storytellings, der Bildung oder des Marketings.
Erlebniswelten verführen die Massen: Die Konstruktion von Erlebniswelten ist meist teuer. Die Neuentwicklung von gr öß eren Themenkomplexen kostet oftmals mehrere Milliarden (sic!) Euro[13]. Damit sie wirtschaftlich arbeiten können müssen sie massenkompatibel sein. Sie „ erreichen damit eine Auslastung, von der andere Branchen nur träumen können “[14] und sind „ mitunter fast ein Segen für die Problematik von Massenmobilität ( … ) “[15]. Erlebniswelten sind damit nicht nur bei der Inszenierung Profis, sondern auch bei der Lenkung von Menschenströmen sowie der Massenabfertigung. Dies erscheint mir eine besondere Herausforderung bei der Gestaltung der Interaktivität. Adventurespiele beispielsweise richten sich fast immer nur an einen Endverbraucher, interaktives Storytelling für mehr als einen „ Mitspieler “ sind bislang nicht zu finden (sieht man einmal von den dynamischen Konzepten wie MMORPGs ab). Muss eine Inszenierung an mehrere Spieler gleichzeitig berücksichtigen, wird es insbesondere im Bereich der Dramaturgie problematisch: „ Der Freiheitsgrad muss ( … ) bei einem Multiplayer-Erlebnis wesentlich höher sein, als bei linearen Singleplayer-Adventures. Dieser hohe Freiheitsgrad erzwingt eine Spielmechanik, welche viele Einschränkungen beim Storytelling bewirkt. Es dürfte z.B. sehr schwierig sein, einen Spannungsbogen aufzubauen ( … ) “[16]. In dieser Hinsicht ist die Problematik von „ Massenkontrolle “ und „ Massenkontrollverlust “ ein völlig neues Feld im Bereich der interaktiven Inszenierung, das einer dringenden näheren Analyse bedarf.
MMORPG, Definition: MMORPG steht für „Massively Multiplayer Online Role-Playing Game” (zu deutsch etwa: Massen-Mehrspieler- Online-Rollenspiel). Im Gegensatz zum Adventure ist es ein dynmaisches Rollenspiel, das über das Internet gespielt wird. In der Regel gibt es keine computergenerierten Charaktere: Jeder Charakter wird von einem echten Mitspieler gemimt. Meist entwickeln sich die Geschichten in MMORPGs demnach nicht durch einen externen Erzähler und „Planer“ wie bei einem Adventure sondern innerhalb des dynamischen sozialen Gefüges unter den Spielern selbst.
Erlebniswelten sind nicht virtuell: Die Macher von „ realen “ Erlebniswelten müssen sich an zahlreiche Einschränkungen halten: physikalische, planerische, finanzielle,ökologische,ökonomische, juristische Gesetzm äß igkeiten müssen beachtet werden. Virtuelle Welten müssen dies nicht. Die eben erwähnte Problematik der „ Massenkontrolle “ lösen Programmierer einfach, indem sie ihre eigenen Regeln und Gesetze erschaffen. In einem Rollenspiel z.B. werden die verschiedenen, verfügbaren Rollenbilder (von „ Zauberfee “ bis „ Krieger “ ) mit ihren unterschiedlichsten Charaktereigenschaften (von „ stark “ bis „ klug “ ) so ausbalanciert, dass sie am Ende eine funktionierendes und dynamisches System ergeben. Probleme können bei Bedarf einfach später durch „ Updates “ nachkorrigiert werden. Drastisch ausgedrückt könnte man sagen, ist die virtuelle Weltgestaltung aus Sicht einer herausfordernden Vorwegplanung „ langweilig “ : Wer heute eine „ reale “ Erlebniswelt konstruiert muss von Beginn an exakt planen. Er kann sich seine „ Mitspieler “ nicht aussuchen sondern muss auf jeden „ Typus “ Mensch vorbereitet sein. Er muss sich an räumliche Gegebenheiten halten und kann auch nicht einfach mit „ ein paar “ Codezeilen schnell ein Schloss aus dem Boden „ stampfen “ . Er arbeitet viel mehr im „ Hier und Jetzt “ , viel näher am „ Menschen “ an sich. Gerade die Ausblendung von Virtualität halte ich aus Sicht der Interaktion füräußerst spannend, denn sie ist die Grundvoraussetzung, wenn man das „ Interaktive Storytelling “ aus der technischen Welt der Computerspiele endlich herausheben und in ein „ unabhängiges “ Modell „ Interaktiver Inszenierung “ integrieren möchte.
Ich werde also die Erlebniswelt im weiteren Sinne in den Mittelpunkt dieser Analyse stellen. Die Vorgehensweise soll sich dabei in folgende Punkte gliedern:
I. Geschichte der Erlebniswelten: Bereits „ Methoden interaktiven Storytellings “ hat gezeigt, dass es Sinn macht, sich mit der Geschichte eines Genres auseinanderzusetzen. Sie zeigt, warum die Narration im Bereich der Adventurespiele im Gegensatz zu anderen Computerspiel- Genres einen besonderen Stellenwert einnimmt. Dieser Block soll nun die Historie von Erlebniswelten kurz näher erläutern. Schwerpunkt soll auch hier das Storytelling- Verständnis von Erlebniswelten sein. Langfristig erwarte ich mir daraus Rückschlüsse, welche narrativen Methoden - insbesondere natürlich aus der Sicht der Interaktion - bei der Entwicklung innerhalb von Erlebniswelten noch Verbesserungspotential verbergen: Welche Modelle aus den Bereich interaktiver Medien finden derzeit in Erlebniswelten auf Grund der historischen Entwicklung und systematischen Prägung seitens der Branche nicht statt? Wo könnten Erlebniswelten von Adventures lernen und umgekehrt? Thematischer Schwerpunkt wird vor allen Dingen das „ Disneyland “ sein, da es zu den ersten „ Themenparks “überhaupt gehört. Die ersten Ideen, Konzepte und Umsetzungsmethoden stehen hier im Fokus. Ebenfalls von Interesse sollen hier die Inspirationsquellen sein, die Themenpark-Betreiber zur Schaffung ihrer Welten nutzen. Die primäre Methode hierbei wird Recherchearbeit sein.
II. Strukturen von Erlebniswelten: Welche Modelltypen haben sich bislang in Erlebniswelten entwickelt? Welche Technik benutzen sie, um ihre Geschichten zu erzählen? Wie bekommen Sie die großen Massen an Besuchern in den Griff, ohne dass das Gesamtkonzept leidet? Dieser Block wird eine deskriptive Analyse bereits vorhandener Beispiele aus verschiedenen Gesichtspunkten. Er ist mehr exemplarisch und mit Sicherheit nicht erschöpfend, dient aber als Basis für den dritten Abschnitt.
III. Interaktion in Erlebniswelten: Im Forschungsteil dieses Blocks werden die Erkenntnisse aus Abschnitt I. und II. fortgeführt und mit denen aus „ Methoden interaktiven Storytellings “ verknüpft: Welche interaktiven Methoden funktionieren in Erlebniswelten, und wie? Wie können Menschenüber Interaktion „ gelenkt “ werden? Wie vermeidet man Kontrollverlust und wie sichert man Systeme ab, in denen nicht so reagiert wird, wie die Planung es vorsieht? Das Ziel dieses Abschnittes ist es, durch gezielte Analysen einzelner Themenschwerpunkte (z.B. interaktiver Dialog, interaktives Hilfesystem, Absicherungssysteme etc.) am Ende auf erste Vorstellungen für Gesamtkonzepte zu stoßen, welche alle bereits existierenden Modelle (Adventuredesign, Erlebnisweltdesign, technische Möglichen, sinnesmediales Erleben, interaktives Storytelling, interaktive Führung etc.) in sich vereinen und damit neue Möglichkeiten für eine „ gesamtheitliche, interaktive Inszenierung “ schaffen.
IV. Ausblick: Im letzten Abschnitt werden nicht nur alle vorhandenen Ergebnisse noch mal kurz zusammengefasst sondern auch mögliche ethische Konsequenzen und Zukunftspotentiale des Themas sowie letzte freigeistige und ethische Aspekte angerissen.
Methodisch stehen vor allen Dingen kleinere Rechercheanalysen, Umfragen und Interviews im Mittelpunkt. Es handelt sich dabei insbesondere um:
Umfrage: Für ein tief greifenderes, marktorientiertes Verständnis von „ interaktiver Inszenierung “ wurde eine Umfrage unter gut 300 Probanden bewerkstelligt. Sie ist damit eine direkte Fortführung der Umfrage aus „ Methoden interaktiven Storytellings “ . Erneut wurde sie unter hochgradig professionalisierten Adventurespielern durchgeführt: 2005 hatte sich im Pre-Test gezeigt, dass diese Spieler ein bereits vertiefendes Verständnis für die Funktionsweise interaktiver Geschichten entwickelt haben, während andere Probanden bei derartigen Fragen nicht die notwendige Vorstellungs- und Abstraktionskraft mitbrachten. Es ist also weiterhin davon auszugehen, dass die Spieler von Adventures ein besonders großes Verständnis im Bereich storyintensiver Dramaturgie besitzen und ein homogenes Sample in der Umfrage vorzuziehen ist. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Adventurespieler nicht zwangsweise gleichzeitig aktive Nutzer „ realer “ Erlebniswelten wie Freizeitparks sind und somit einen „ unverfälschten “ Blick auf derartige Einrichtungen werfen können. Ein direkter Zusammenhang mit Freizeitparks wurde vermieden, die Fragen allgemein gehalten. Nutzer mit intensiven Freizeitparkerfahrungen wurden geclustert. Erwartungsgem äß verlief der Pre-Testäußerst positiv, so dass die Umfrage im Mai 2007 gemeinsam mit dem Branchenmagazin Adventure-Treff.de als Online-Umfrage gestartet wurde. Die Untersuchungsschwerpunkte waren: 1. „ Adventures jenseits von Hören und Sehen “ : Welche Möglichkeiten, Vorteile oder Gefahren bietet das Ansprechen anderer Sinne (z.B. Haptik) gegenüber dem sonst in virtuellen Welten vorherrschenden Hören und Sehen? Wie wichtig sind den Probanden die verschiedenen Sinne bezogen auf die interaktive Unterhaltung? 2. „ Gruppenerlebnis “ : Die meisten Adventures spielt man alleine. Es ist extrem schwer, eine interaktive Dramaturgie für mehr als nur eine Person zu designen (vgl. Methoden interaktiven Storytellings, Abschnitt 6.8). Da man Erlebniswelten meist aber in Gruppen besucht, wird das Thema Gruppendynamik für ein derartiges Design akut - deswegen wird das Thema hier noch einmal vertiefend abgefragt. Zwar ist das Sample diesmal mit gut 300 etwas kleiner als noch in Methoden interaktiven Storytellings (mit knapp 750 Befragten) - da die Fragen diesmal aber auch bedeutend spezifischer und abstrakter waren musste hier generell mit einer geringeren Grundgesamtheit an „ Expertenmeinungen “ gerechnet werden. Beide Umfragen, sowohl die aus 2005 wie jene aus 2007 sind dabei Grundlage für diese Arbeit.
[...]
[1] Zitiert nach: Kevin Rafferty, Bruce Gordon, (1996): "Imagineering - A Behind the Dreams Look at Making the Magic Real", Disney Enterprises, New York (eigene Übersetzung).
[2] Eigene Transkription von David Fincher (1997): "The Game", Film, Universal Studios, Los Angeles.
[3] aus: Sebastian Grünwald (2005): "Methoden interaktiven Storytellings", Manuskript, o.O.
[4] vgl. dazu auch die historische Analyse in Grünwald (2005), a.a.O.
[5] Martin Lassahn, zitiert nach ebd. (S. 316)
[6] vgl. Wikipedia (2007b): "The Game (Film)", Wikimedia Foundation, St. Petersburg, online im Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/The_Game_(Film) (Abruf: 22.03.2007),
[7] filmdienst, zitiert nach ebd.
[8] Frei übersetzt nach Tim O’Reilly: “What is Web 2.0“, ansonsten eigene Definitionsschöpfung
[9] vgl. Grünwald (2005), a.a.O.
[10] Horst W. Opaschowski (2000): "Erlebniswelten im Zeitalter der Eventkultur - Kathedralen des 21. Jahrhunderts", Germa Press Verlag GmbH, 2000 (S. 53).
[11] vgl. ebd.
[12] vgl. ebd.
[13] vgl. Andreas Hub (2006): "Dubailand", in: "Abenteuer und Reisen", Januar Ausgabe 2006, wdv, Bad Homburg.
[14] Opaschowski (2000), a.a.O. (S. 52).
[15] ebd. (S. 52).
[16] Martin Lassahn, zitiert nach Grünwald (2005), a.a.O.
- Quote paper
- Sebastian Grünwald (Author), 2007, Interaktivität in Erlebniswelten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142054
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