Die vorliegende Arbeit zur „Themenkarriere von Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit“ widmet sich den Wirkungszusammenhängen, die zur Ausgestaltung der Rentenreform 2000 und damit zur Abschaffung des Begriffs der Berufsunfähigkeit geführt haben. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. An diesem Beispiel wird herausarbeiten, welche Ursachen zur „Rentenreform 2001“ geführt haben, ferner werden die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Rentenreformgesetz 1957 (auch RRG 1957) und der Rentenreform 2001 sowie die mit dem jüngsten Rentenreformgesetzen einhergehenden wesentlichen Veränderungen in der Rentenrechtslage verdeutlicht.
Diese Untersuchung wird exemplarisch am Begriff der „Berufsunfähigkeit“ durchgeführt, an dessen Beispiel der Wandel in der Rentengesetzgebung verdeutlichen wird - von dessen umfassender Einführung in das Recht der Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1957 bis hin zu dessen Abschaffung durch die Rentenreform 2000. Ferner werden die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Berufsunfähigkeitsrente durch die Einführung des Terminus der Erwerbsminderungsrente, mit der gleichzeitig ein Wechsel hin zu einer Einstufung der Betroffenen nach deren „Restleistungsvermögen“ einher ging, aufgezeigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zu Arbeitsunfähigkeit, Berufunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit
2.1 Zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit
2.2 Zum Begriff der Berufsunfähigkeit
2.3 Zum Begriff der Erwerbsunfähigkeit
3 Rentenbestände und Sozialbudget 1972 bis 1999
4 Zur Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1957
5 Das RRG 1999
6 Die Rentenreform 2000
6.1 Die Reform der Erwerbsminderungsrenten
6.2 Die grundlegendsten Änderungen im Überblick
7 Zusammenfassung und Schlussfolgerung
7.1 Die Profiteure der Rentenreform 2000
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die vorliegende Arbeit zur „Themenkarriere von Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit“ widmet sich den Wirkungszusammenhängen, die zur Ausgestaltung der Rentenreform 2000 und damit zur Abschaffung des Begriffs der Berufsunfähigkeit geführt haben.
Mein besonderes Augenmerk wird dabei auf der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit liegen. An diesem Beispiel möchte ich herausarbeiten, welche Ursachen zur „Rentenreform 2001“ geführt haben, ferner möchte ich die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Rentenreformgesetz 1957 (auch RRG 1957) und der Rentenreform 2001 sowie die mit dem jüngsten Rentenreformgesetzen einhergehenden wesentlichen Veränderungen in der Rentenrechtslage verdeutlichen.
Diese Untersuchung werde ich exemplarisch am Begriff der „Berufsunfähigkeit“ durchführen, an dessen Beispiel ich den Wandel in der Rentengesetzgebung verdeutlichen möchte - von dessen umfassender Einführung in das Recht der Arbeiter- und Angestelltenversicherung 1957 bis hin zu dessen Abschaffung durch die Rentenreform 2000. Ferner möchte ich die Folgen der Ersetzung des Begriffs der Berufsunfähigkeitsrente durch die Einführung des Terminus der Erwerbsminderungsrente, mit der gleichzeitig ein Wechsel hin zu einer Einstufung der Betroffenen nach deren „Restleistungsvermögen“ einher ging, aufzeigen.
Die Eingrenzung des Themas auf die Rentenreform 2000 habe ich getroffen, da ich der Ansicht bin, dass sich insbesondere die Ausgestaltung des Rentenreformgesetzes dazu eignet, aufzuzeigen, welche Akteure vom Inkrafttreten des Reformierten Rentensystems der Bundesrepublik Deutschland profitiert haben und für wen diese Reformierung der Rentengesetzeslage einen einschneidenden Nachteil bedeutet hat.
2 Zu Arbeitsunfähigkeit, Berufunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit
Um zuvorderst erst einmal Klarheit darüber zu schaffen, über welche Begrifflichkeiten gesprochen wird, wenn hier von Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit die Rede ist, und was diese im einzelnen bedeuten, sollen diese Begriffe im Folgenden genauer erläutert werden. Zu unterscheiden gilt es bei dieser Betrachtung zwischen der genauen Definition der Berufsunfähigkeit und der der Erwerbsunfähigkeit. Diese müssen dabei in Abgrenzung von der allgemeinen Arbeitsunfähigkeit betrachtet werden, von welcher sie sich trotz der ihnen immanenten Ähnlichkeiten deutlich unterscheiden.
2.1 Zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit
Im Falle der Arbeitsunfähigkeit wird recht allgemein lediglich auf eine vorliegende Krankheit des Arbeitnehmers abgestellt. Eine explizite Mindestdauer wird dabei nicht gefordert. Jedoch ist eine „vom Arzt festgestellte Krankheit arbeitsrechtlich erst bedeutsam, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer hindert, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen oder er diese nur in der Gefahr, seinen Gesundheits- oder Krankheitszustand zu verschlechtern, fortsetzen kann“ (Balle 2000: 61).
Bei der Bestimmung der Arbeitsunfähigkeit ist also ein gewisser Grad an Erkrankung erforderlich, der sich unmittelbar auf die jeweils ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers auswirken muss. Dabei muss dementsprechend berücksichtigt werden, in welchem Beruf der Betroffene bis unmittelbar vor Eintritt der Krankheit tätig war. Denn die verschiedenen Erkrankungen wirken sich auf die jeweilig verschiedenen Berufe unterschiedlich aus. So ist ein verstauchter Knöchel im Falle eines Sachbearbeiters durchaus zu vernachlässigen, da dieser seine Tätigkeit ohnehin im überwiegendem Maße im Sitzen ausführt. Im Falle eines Bauarbeiters wäre besagte körperliche Einschränkung jedoch ein eindeutiges Berufshindernis. Die Arbeitsunfähigkeit kann nach Balle daher nicht losgelöst von dem jeweiligen Arbeitnehmer und der von ihm zu verrichtenden Tätigkeit bestimmt werden.
Unter dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist daher „im engeren Sinne die Unfähigkeit zur Verrichtung der jeweils unmittelbar vorher geleisteten Tätigkeit zu verstehen, nicht hingegen im weiteren Sinne die Unfähigkeit zur Verrichtung der für die ganze Berufsgruppe in Betracht kommenden Tätigkeit“ (Balle 2000: 62). Es wird also lediglich darauf abgestellt, in welchem Beruf der Arbeitnehmer zuletzt vor Eintritt der ihn behindernden Erkrankung tätig gewesen ist
und ob er genau diesen Beruf trotz Erkrankung noch ausführen kann oder nicht. Das genaue Ausmaß der Erkrankung ist dabei unerheblich.
Im Gegensatz zu den Begriffen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, die eine abgestufte Leistungsfähigkeit kennen, stellt eine Arbeitsunfähigkeit also einen Zustand dar. Der Zustand der Arbeitsunfähigkeit liegt vor, oder eben nicht. In welchem Maße, ist dabei unerheblich. So liegt dieser Zustand auch dann vor, und zwar im vollen Umfang, „wenn der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten teilweise erbringen kann. Der Arbeitnehmer ist nämlich nicht verpflichtet, Teilleistungen zu erbringen und der Arbeitgeber ist umgekehrt auch nicht verpflichtet, Teilleistungen des Arbeitnehmers anzunehmen“ (Balle 2000: 63). Es gibt also keine Staffelung hinsichtlich des verbliebenen „Arbeitsvermögens“.
Demzufolge kann nach Balle festgestellt werden, dass sich die arbeitsrechtlich relevante Krankheit (die Arbeitsunfähigkeit) „von der Berufs- und Erwerbsfähigkeit begrifflich erheblich unterscheidet“, da die Beurteilungskriterien einerseits im Arbeitsverhältnis (Arbeitsunfähigkeit), andererseits jedoch im Arbeitsmarkt (Berufs- und Erwerbsunfähigkeit) angesiedelt sind. Darüber hinaus liegt bei Berufs- und Erwerbsfähigkeit ferner eine quantitative Abstufung der Leistungsfähigkeit vor, da auch auf die Dauer der Erkrankung abgestellt wird. Dies ist jedoch im Hinblick auf die Betrachtung der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig nicht der Fall (Balle 2000: 65).
2.2 Zum Begriff der Berufsunfähigkeit
Dem gegenüber steht die Berufsunfähigkeit. Der Begriff der Berufsunfähigkeit ist in § 43 Abs. 2 SGB VI gesetzlich definiert. Berufsunfähig sind demnach
„… Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung
auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch
gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigem Kenntnissen
und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die
Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen
Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar
ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig
ist nicht,, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.“
So schlüssig der Begriff der Berufsunfähigkeit auf den ersten Blick auch erscheint, so stark ist er mit Schwierigkeiten in seiner Auslegung behaftet. Daher handelt es sich aufgrund seiner komplexen Struktur bei diesem Versicherungsfall nach Balle um den problematischsten des Sozialversicherungsrechts, da entscheidend ist, in wie weit das Restleistungsvermögen des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt verwertbar ist. Diese Beurteilung erfolgt regelmäßig auf der Grundlage sozialmedizinischer Begutachtungen, bei der die körperliche und geistige Belastbarkeit, die mögliche tägliche Arbeitszeit und zusätzliche Leistungseinschränkungen festgestellt werden (Balle 2000: 30).
Die Maßstäbe, nach denen diese bemessen werden, sind jedoch nicht genau geregelt und daher alles andere als genau. Zur Feststellung der Berufsunfähigkeit setzt das Gesetz ein solches Maß an Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwächen der körperlichen und geistigen Kräfte des Versicherten voraus, dass die Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigem Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.
Die gemeinsame Voraussetzung aller Fälle der Berufsunfähigkeit ist also „eine Funktionsbehinderung des Versicherten.“ Dabei braucht „der Betroffene diese vielleicht nicht einmal als unangenehm oder schwerwiegend zu empfinden. Entscheidend ist die Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit je nach Art der maßgeblichen Berufe“ (Laudor 1973: 14).
Zwar gab es den Begriff der Berufsunfähigkeit vor Einführung in die Arbeiterrenten-versicherung bereits in der Angestelltenversicherung, in das Recht der Arbeiterrenten-versicherung hielt er jedoch erst mit der Rentenreform im Jahre 1957 Einzug. Damit sollten „Arbeitern und Angestellten die im wesentlichen gleiche Sicherung zur Verfügung gestellt“ werden, indem „die Leistungen für die Arbeiter an diejenigen für die Angestellten angehoben wurden“ (Tennstedt 1971: 73). Mit dieser Maßnahme sollte, so Tennstedt, eine Verbesserung der Situation der „invaliden“ Arbeiter erfolgen, indem eine Angleichung an die bisher ausschließlich in der Angestelltenversicherung geltenden Verweisungsmaßstäbe auch in der Arbeiterrentenversicherung entsprechend angewendet werden (Tennstedt 1971: 78). Mit der Rentenreform 1957 fand also de facto zumindest in dieser Hinsicht eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten statt.
2.3 Zum Begriff der Erwerbsunfähigkeit
Im Gegensatz zur Berufsunfähigkeit wird „zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit vorausgesetzt, dass auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann oder, dass nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielt werden können“ (Rüth 1976:10). Per Gesetzes-Definition gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI sind demnach alle die Versicherten erwerbsunfähig,
„ … die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt; erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach §1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können.
Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.“
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