Unter dem Titel „Authentische Polizei- und Kriminalgeschichten …“ hat der Autor, Kriminaldirektor a.D. Ernst Hunsicker, in Teil 1 (1962 bis April 1988), Teil 2 (Mai 1988 bis 1996), Teil 3 (1997 bis 2004 – seinem Enkel Marvin gewidmet) und Teil 4 (Nachträge von 1962 bis 2009) seine mit Bildern hinterlegten Stationen und Situationen bei der Schutz- und Kriminalpolizei auf rund 570 Seiten zu Papier gebracht. Diese vier Bücher (Druckausgaben, eBooks) enthalten neben den Polizei- und Kriminalgeschichten auch viel an Dokumentation, was vorrangig für den Autor und seine berufliche Tätigkeit von Bedeutung war, die Leserinnen und Leser, die mehr über (Kriminal-)Fälle wissen möchten, aber nicht so sehr interessieren dürfte. In diesem Buch (1. Auflage, Dezember 2009) wird deshalb weitgehend auf „Beiwerk“ verzichtet. Highlights an Fällen, Ereignissen und Erlebnissen aus der schutz- und kriminalpolizeilichen Praxis – von der Grundausbildung an der Landespolizeischule Niedersachsen (Jahre 1962/63) bis zur Pensionierung (Jahr 2004) des Autors – stehen im Vordergrund. Fotos und Bilder runden auch dieses Werk ab. Wen das Berufsleben des Autors und die lokale Polizeigeschichte dieser Ära eingehender interessiert, kann sich nach wie vor aus den Teilen 1 bis 4 umfassend informieren.
Die 2. Auflage (Oktober 2011) wurde überarbeitet, in Teilen ergänzt und um drei Kapitel erweitert (20. Kapitel: Begegnung mit gekrönten und ungekrönten Häuptern, 21. Kapitel: Ende der Dienstzeit, 22. Kapitel: „Pensionärsdasein“). Der Untertitel ist mit dem Zusatz „und die Zeit danach“ versehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel Berufswahl
2. Kapitel Landespolizeischule Niedersachsen, Hann. Münden – Grundausbildung – (April 1962 bis März 1963)
3. Kapitel Landesbereitschaftspolizei Niedersachsen, Hannover (April 1963 bis September 1965)
4. Kapitel Polizeiabschnitt Lingen / Ems (Oktober 1965 bis März 1967)
5. Kapitel Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück – Ausbildung für die Kriminalpolizei – (April 1967 bis März 1968)
6. Kapitel Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück (April 1968 bis September 1972)
7. Kapitel Landespolizeischule Niedersachsen – Oberstufenlehrgang – (Oktober 1972 bis September 1973)
8. Kapitel Zwischenstation in Osnabrück: Stress und nichts als Stress (Oktober 1973 bis Juli 1974)
9. Kapitel Der Kommissarslehrgang (August 1974 bis Februar 1975)
10. Kapitel Drei Jahre Stabsarbeit in Osnabrück (März 1975 bis Januar 1978)
11. Kapitel Intermezzo bei der Kriminalpolizeiinspektion Lingen / Ems (Februar 1978 bis Oktober 1978)
12. Kapitel Ungewohntes und arbeitsintensives Lehrerdasein an der Landespolizeischule Niedersachsen, Hann. Münden (November 1978 bis Juni 1979)
13. Kapitel Zwei Jahre Studium für den höheren Polizeivollzugsdienst (Juli 1979 bis Juni 1981)
14. Kapitel Erneute Rückkehr zur Landespolizeischule Niedersachsen (Juli 1981 bis Juni 1982)
15. Kapitel Fast sechs Jahre Polizeiausbildungsstätte (ASt) Bad Iburg (Juli 1982 bis April 1988) 16. Kapitel Kriminalpolizeiinspektion Osnabrück (Mai 1988 bis Oktober 1993)
17. Kapitel Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Lingen / Ems (November 1993 bis September 1994)
18. Kapitel Polizeiinspektion Osnabrück-Stadt / Leiter des Zentralen Kriminaldienstes (Oktober 1994 bis zur Pensionierung im Februar 2004)
19. Kapitel Exkurse „Frauengeschichten“
20. Kapitel Begegnung mit gekrönten und ungekrönten Häuptern
21. Kapitel Ende der Dienstzeit
22. Kapitel „Pensionärsdasein“
Anhang
Biografien und Monografien von Ernst Hunsicker
sowie
Fachbücher mit Ernst Hunsicker
Berufliche Vita des Verfassers in Kurzform
1. Kapitel Berufswahl
Nach erfolgreichem Abschluss der Realschule in Meppen (Ems) wollte ich zur Seefahrtsschule und später zur Handelsmarine. Meine Mutter Herta Lappe, verw. Hunsicker, geb. Bayer, die ihren ersten Ehemann – und somit meinen leiblichen Vater – Friedrich Wilhelm („Fritz“) Hunsicker im 2. Weltkrieg als „Flieger“ bei einem Feindflug über dem Mittelmeer verloren hatte, war jedoch strikt dagegen. Sie hatte große Angst, dass mich als ihrem einzigen Kind auf hoher See ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. Da ich noch nicht volljährig war, hätte meine Mutter ihre schriftliche Zustimmung zu dieser Marineausbildung geben müssen. Dazu war sie aber nicht bereit, wofür ich heute großes Verständnis habe.
So schnell wollte ich mich aber nicht von meinem Plan abbringen lassen, und ich ging zu einer Info-Veranstaltung „Seefahrt“ des Arbeitsamtes. Im Anschluss erschien ein Polizeihauptkommissar, der über den Polizeiberuf informierte und diesen in den höchsten Tönen mit den abschließenden Worten „Sie haben den Marschallstab im Tornister!“ lobte. An den Marschallstab mochte ich nicht glauben, trotzdem fand ich wohl Gefallen an diesem Beruf. Meine Mutter hatte – wie wohl viele andere Mütter und Väter – auch hierzu leichte Bedenken. Unterstützung erhielt ich aber durch meinen zweiten Vater Heinrich Lappe, sodass das Unternehmen „Polizeidienst“ starten konnte.
Der für meinen Wohnort Rühle (heute Meppen, Landkreis Emsland) zuständige Stationspolizist war von meinem Berufswunsch begeistert, denn er war davon überzeugt, mich für diesen Beruf geworben zu haben. Wohl nicht ganz uneigennützig, denn damals gab es noch zwei Tage Sonderurlaub für eine erfolgreiche Werbung. Außerdem erklärte der Stationspolizist meinen Eltern, dass ich auf jeden Fall mit einer Kofferschreibmaschine ausgestattet sein müsse, die er selbstverständlich besorgen könne. So kam eine Kofferschreibmaschine „Olympia Monica“ frühzeitig ins Haus.
Tatsächlich hatte ich mich vorher bei der Landespolizeischule Niedersachsen in Hann. Münden (Kurzform: Münden) beworben, und ich wurde auch zum 1. April 1962 in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen als „Polizeiwachtmeister“ eingestellt. Vorher waren noch eine schriftliche und mündliche Eignungsprüfung zu bestehen sowie eine polizeiärztliche Untersuchung zu überstehen. Damit nicht genug: Der Stationspolizist musste sich zu meinem Leumund äußern; ein Beamter der polizeilichen Staatsschutzdienststelle Nordhorn „besuchte“ meine Eltern und erkundigte sich bei unseren Nachbarn.
Die Bahnfahrt von Meppen nach Münden war keine Anreise, sondern fast eine „kleine Weltreise“ von ungefähr acht Stunden.
Am Bahnhof Münden wurden wir bereits von unseren Ausbildern erwartet und mit einem „Grukw“ (Gruppenkraftwagen = Lkw mit Plane und Holzbänken) zur Polizeischule „kutschiert“, wo wir ab sofort Teilnehmer des 24. Grundausbildungslehrgangs waren.
2. Kapitel Landespolizeischule Niedersachsen, Hann. Münden – Grundausbildung – (April 1962 bis März 1963)
Der Ton unserer Ausbilder, die mit ihrer Amtsbezeichnung („Herr Polizeioberwachtmeister“ usw.) angesprochen wurden, war überwiegend rau und wenig herzlich. Meine Gruppe im 3. Zug der III. Lehr-Hundertschaft hatte Glück, denn unser Ausbilder („Tulle“ M.) gehörte zu der humaneren Sorte, was auch – bei aller Härte – für unsere höherrangigen Vorgesetzten (Zugführer Jürgen L. und Hundertschaftsführer Hans-Joachim „Henny“ J.) galt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
Polizeiwachtmeister Ernst Hunsicker ( Juli 1962)
Das Zusammenleben auf einer „Stube“ (offizielle Bezeichnung) von ca. 30 qm Größe, die sich sieben Wachtmeister zum Schlafen und Leben teilen mussten, war schon gewöhnungsbedürftig. Das Mittagessen wurde im Speisesaal eingenommen; Frühstück und Abendbrot gab es in Form von „Kaltverpflegung“ auf der Stube. Duschen durften wir nur nach dem Dienstsport und nach schweißtreibender Formalausbildung („Nach hinten weg, Marsch, Marsch!“, „Volle Deckung!“ und immer wieder „Achtung!“). Zum Duschen mussten wir vorher auf dem Flur antreten. Das Duschen wurde von den Ausbildern überwacht, weil sich zum Beispiel einige wenige Polizeiwachtmeister zierten, ihre Badehosen auszuziehen. Übrigens: Beamtinnen gab es zu der Zeit noch nicht im Polizeidienst.
Exzessives:
Bier aus Stöckelschuhen
Das mit den Beamtinnen stimmt nicht so ganz. Es gab ganz wenige bei der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP). Besonders Qualifizierte schafften auch den Sprung in den gehobenen Dienst („Kommissarslaufbahn“). Dazu mussten die geeigneten Frauen und Männer der Kriminal- wie auch der Schutzpolizei grundsätzlich einen Oberstufenlehrgang (zwölf Monate), einen Vorbereitungslehrgang und danach einen Kommissarslehrgang (acht Monate) besuchen.
Unser spezieller Auftrag war es, die Damen und Herren des Oberstufenlehrgangs morgens mit Kaffee und Tee zu versorgen, d.h., wir mussten je eine Kanne Kaffee und Tee vor einem separaten Wohnbereich in einem anderen Wohnblock abstellen. Wenn wir diesen Auftrag mal vergessen hatten, gab es eine Beschwerde und wir erhielten einen Sonderdienst verpasst (z.B. einen zusätzlichen Wachdienst am Wochenende).
Doch dann geriet unser Bild von der anständigen Polizei ins Wanken. Wir, einige „Stubenkameraden“ und ich, gingen nach dem Abendessen und den täglich erforderlichen Schularbeiten in eine Mündener Kneipe. Dort trafen wir auf einen Teil unserer vermeintlich blitzsauberen „Oberstufler“, die wir jeden Morgen mit Getränken zu versorgen hatten. Sie, Damen und Herren gleichermaßen, waren ziemlich betrunken. Wir trauten unseren Augen nicht, als die „Herren“ den „Damen“ die Stöckelschuhe auszogen, die Schuhe mit Bier füllten und anschließend das Bier aus den Schuhen tranken.
Ich gehe davon aus, dass die „Oberstufler“ das Bestehen des Lehrgangs oder die Rückgabe gelungener Klausurarbeiten auf übermütige und unbekümmerte Weise ausgiebig gefeiert haben.
Die Ausbilder achteten nicht nur auf körperliche Sauberkeit, sondern auch auf pünktliche Nachtruhe (in den ersten sechs Monaten grundsätzlich 22.00 Uhr, am Wochenende 23.00 Uhr), einen ordentlichen Kurzhaarschnitt (damals orientierten wir uns mehr an den Pilzköpfen der „Beatles“), saubere Stuben, Spinde und Kleidung. Unsere Wäsche wurde von der Reinigung „Schneeweiß“ gewaschen und geplättet.
In den ersten Wochen erhielten wir nach Dienstschluss wiederholt „Besuch“ vom so genannten Stammpersonal, das sich aus gutem Grund äußerst zuvorkommend und freundlich zeigte. Es wurde uns dringend empfohlen – und wer mochte sich da schon widersetzen – eine Kofferschreibmaschine anzuschaffen (die hatte ich ja bereits), in die „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP), in den „Polizeisportverein (PSV) Hann. Münden“ und in die „Deutsche Lebens- und Rettungsgesellschaft“ (DLRG) ein- sowie verschiedenen Versicherungen und Kassen beizutreten.
Besonderer Wert wurde auch auf körperliche Fitness gelegt. Neben der Formalausbildung (ein mehrere Stunden andauendes Hin und Her auf dem Ausbildungsplatz) standen Leichtathletik (das Sportabzeichen war Pflicht), Geräteturnen, Schwimmen (das DLRG-Leistungsabzeichen musste gemacht werden) und Waldlauf auf dem Wochenprogramm. Hinzu kam die Geländeausbildung im Bereich Meensen/Jühnde.
Zur Abwechselung ein Ernteeinsatz
Im September 1962 wurde unsere Hundertschaft vierzehn Tage lang jeden Morgen zu einem riesigen Bohnenfeld nach Geismar bei Göttingen gefahren. Die Bohnen waren notreif und mussten dringend vom Strauch. Pro Zentner gepflückte Bohnen gab es zusätzlich 20 DM, die jeden Abend bar ausgezahlt wurden. Wenn man sich anstrengte, konnte man pro Tag auf einen guten Zentner Bohnen kommen und mehr als 20 DM mit nach Hause nehmen. Ein Teil des Baren wurde am Abend in Getränke und halbe Hähnchen umgesetzt. Beim Pflücken tat sich besonders Ausbilder Rainer G. hervor, der sich gerade einen nagelneuen VW Käfer gekauft hatte.
Apropos Geismar:
Orientierungsmarsch bei klirrender Kälte
An einem Wintertag 1962/63, es waren etwa zwanzig Grad unter Null und es lag ziemlich viel Schnee, wurde unsere Hundertschaft jeweils in Gruppenstärke am frühen Morgen im Raum Geismar „ausgesetzt“. Wir erhielten einen Kompass, eine Geländekarte und eine Marschzahl mit dem Auftrag, auf schnellstem Wege die etwa 25 km entfernt liegende Unterkunft (Kaserne) in Hann. Münden zu erreichen.
Meine Gruppe war besonders ehrgeizig. Ich und weitere Marschierer hätte lieber unterwegs in einer Waldgaststätte eine kurze Pause gemacht und etwas Alkoholfreies getrunken, da sich im Marschgepäck lediglich eine kleine Feldflasche mit schwarzem Tee befand. Die Mehrheit wollte aber durchmarschieren. Wir kamen total kaputt und mit blutverschmierten Gesichtern (Äderchen im Gesicht waren von der „beißenden“ Kälte aufgeplatzt) gegen Mittag in unserer Unterkunft an. Der Ehrgeiz hatte sich aber gelohnt: Da wir mit großem Zeitabstand als erste Gruppe zurück waren, gab es zur Belohnung am Nachmittag dienstfrei.
Nach unserer Rückkehr habe ich erst einmal zwei Liter Milch getrunken und eine Tafel Schokolade verspeist, um dann für mehrere Stunden in einen Tiefschlaf zu versinken. Das ging aber nicht nur mir so.
Nun darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Ausbildung überwiegend sportlich ausgerichtet war. Nein, wir wurden auch unterrichtet (Fachausbildung, Allgemeinbildung) und an der Pistole (P 38) sowie am US-Karabiner ausgebildet. Großer Wert wurde auf die Waffenpflege gelegt. Nicht nur nach jedem Übungsschießen mussten die Waffen in alle Einzelteile zerlegt und gründlich gereinigt werden.
„Erschossene Koreaner“
An den Rohren unserer US-Karabiner befanden sich eingefeilte Kerben. Es ging das Gerücht um, dass so markierte US-Karabiner bereits im Koreakrieg (1950 - 1953) im Einsatz waren. Jede Kerbe sei Indiz für einen erschossenen Nordkoreaner.
In diesem Zusammenhang konnte ich mich noch entsinnen, dass wir während meiner ersten Schuljahre, die ich in Lengerich (Westfalen) verbrachte, das Lied „Ei, ei, ei Korea, der Krieg kommt immer näher … “ gesungen haben. Über die Bedeutung eines solchen Schwachsinns waren wir uns als Kinder offenbar nicht im Klaren.
Mit diesen US-Karabinern „zogen wir auch in den Krieg“, wie die Ausbildung im Gelände manchmal scherzhaft umschrieben wurde. Tatsächlich hatte diese Geländeausbildung mit der Grundausbildung bei der Bundeswehr viele Gemeinsamkeiten.
Einmal kam es knüppeldick:
Große Geländeausbildung
Die letzten vierzehn Tage vor dem Sommerurlaub (1962) zogen wir täglich mit unseren US-Karabinern und Platzpatronen ins Gelände. Auf dem Dienstplan stand „Große Geländeausbildung, Ausbildungsorte Barlissen, Meensen, Wiershausen“. Wir wurden täglich von morgens bis abends durch die Gegend gescheucht. Laufend kamen angeblich Tiefflieger von vorne, von hinten oder von der Seite, verbunden mit dem Kommando „Volle Deckung!“. Tatsächlich waren weit und breit keine Flugzeuge zu sehen, schon gar nicht Tiefflieger.
Einmal hatte ein genervter Wachtmeister die Faxen dicke. Er ging nach dem Kommando „Volle Deckung!“ nur in die Hocke, woraufhin sich etwa folgendes Wortgefecht ergab:
Ausbilder (schreiend): Volle Deckung! Volle Deckung!
Wachtmeister: Bin ich doch, Herr Oberwachtmeister!
Ausbilder: Sind Sie nicht!
Wachtmeister: Doch, ich hocke hinter einer Mauer!
Ausbilder (zornesrot): Ich sehe keine Mauer!
Wachtmeister: Ich sehe auch keine Tiefflieger!
Für solche Scherze hatten unsere Ausbilder überhaupt kein Verständnis. Das Ergebnis kann man sich vorstellen: „Volle Deckung!“ für diesen Wachtmeister und seine Gruppe bis zur völligen Erschöpfung.
Am Rande der Erschöpfung war ich auch einmal: Meine Gruppe musste über einen längeren Zeitraum durch einen kleinen Bach robben, der sehr moderig war. Der US-Karabiner baumelte um den nach oben gestreckten Hals, da die Waffe auf keinen Fall mit Wasser oder Moder in Berührung kommen durfte. Im und über dem Wasser war reichlich Getier (vorwiegend Schnecken und Mücken). An meiner Seite kroch Stubenkollege „Carlo F.“, der direkt neben meinem Ohr einen Schuss aus seinem Karabiner abgab. Ich dachte, mir fliegt das Trommelfell raus. Aber, ein Indianer kennt keinen Schmerz. Ich robbte weiter, doch die Tränen flossen reichlich vor lauter Erschöpfung und Wut.
Kleine Abwechselungen boten nur die Pausen an der Feldküche („Gulaschkanone“), wo es Essen und Getränke gab.
Ach ja, Getränke. Behauptet wurde immer wieder, in den Getränken der Polizeiküche sei Hängolin, das angeblich den Sexualtrieb von Kasernierten „dämpfen“ soll, enthalten.
Kurzer Prozess bei einem Fehlverhalten:
Die letzte Nachtzigarette
Stubenkollege „Carlo F.“ hatte die Angewohnheit, nach dem abendlichen Stubendurchgang (22.00 bzw. 23.00 Uhr), der durch einen Ausbilder erfolgte, noch eine Zigarette zu rauchen. Der Rest der Stube lag dann schon im Bett. Einmal hörten wir Schritte auf dem Flur, die sich kurz nach dem Stubendurchgang rückkehrend unserer Stube näherten. C. warf, bevor der erwartete Ausbilder unsere Stube betrat, seine noch glühende Zigarette in den Besenschrank. Der Ausbilder roch den frischen Qualm (auch wohl schon auf dem Flur), sah C. in sein Bett springen und bemerkte den qualmenden Besenschrank. Am nächsten Tag musste „Carlo“ seine Sachen packen und den Polizeidienst quittieren.
Mit fünfzig Stunden Dienst pro Woche kamen wir nicht aus, zumal wir auch noch samstags bis 13.00 Uhr ausgebildet wurden. Und das alles bei einem Monatsgehalt von gut 200 DM, was aber 1962 bei freier Verpflegung und Unterkunft ein Haufen Geld war. Das meiste davon wurde für Essen und Getränke ausgegeben, denn die Kaltverpflegung bestand aus Brot, Margarine, Marmelade und überwiegend Leberwurst, die wir wegen ihrer Farbe und Konsistenz als „Betonwurst“ bezeichneten.
Es gab auch Kulturelles im Angebot:
Sommernachtstraum in Bad Hersfeld (mit Götz George)
An einem lauen Sommerabend wurden wir mit Gruppenkraftwagen nach Bad Hersfeld gefahren, wo in einer Burgruine Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit dem auch noch heute bekannten Schauspieler Götz George aufgeführt wurde. Dazu mussten wir unsere Uniformen anziehen. Ausnahmsweise war es erlaubt, weiße Oberhemden zur Uniform zu tragen. Ein Privileg, das sonst nur den so genannten „Oberbeamten“ (Kommissare, Räte, Direktoren) zustand. Einige dieser Spezies trugen selbst im Sommer private Handschuhe aus besonders feinem und hellem Leder.
Das Halten von Haustieren war strengstens verboten. Wobei sich die Frage stellte, sind weiße Mäuse Haustiere.
Stinkende Mäuse
Eines Tages brachte Stubenkollege Hartmut K. ein Art Aquarium mit, in dem sich eine weiße Maus befand. Kurz darauf musste ich wegen einer Erkrankung mit hohem Fieber ins Krankenrevier der Polizeischule, wo ich etwa zwei Wochen blieb. Meine Krankheit wurde im Wechsel mit rotem Pulver (Abführmittel) und schwarzem Pulver (Kohlepulver gegen Durchfall) behandelt. Das hohe Fieber, verbunden mit Appetitlosigkeit, hatte mich ziemlich geschwächt.
Als ich nach meiner Entlassung aus dem Krankenrevier auf meine Stube zurückkam, wimmelte es in dem Aquarium nur so von Mäusen. Ganz offenbar war die zunächst allein im Aquarium lebende Maus weiblich und bereits tragend bei ihrem Einzug in unsere Stube.
Die Mäuse verbreiteten einen solchen Gestank, dass ich mich erst einmal kräftig übergeben musste. Ich forderte Hartmut auf, sofort die Mäuse abzuschaffen. Aber wohin damit?
Schließlich wurde eine Lösung gefunden: Jeden Abend steckten sich Hartmut und auch wohl noch andere Polizeischüler ein paar Mäuse in die Taschen, um sie dann in Mündener Kneipen freizulassen. Hartmut und Kollegen haben sich nach ihren Erzählungen tüchtig amüsiert. Insbesondere darüber, dass die weiblichen Gäste beim Anblick der Mäuse auf Stühle und Tische sprangen.
(Un-)sportliches:
Um eine einigermaßen ordentliche Note im Fach Sport zu erreichen, musste neben dem Sportabzeichen auch der DLRG-Leistungsschein gemacht werden.
Tauchen bis kurz vorm Ertrinken
Mit (Kleider-)Schwimmen, Retten und Tieftauchen gab es bei mir keine Probleme. Lediglich beim Streckentauchen über 25 Meter hatte ich 5 Meter vor dem Tauchziel immer wieder den Kopf vorzeitig aus dem Wasser.
Hinzu kam im Göttinger Hallenbad die Schwierigkeit, dass bei einer Beckenlänge von 20 Metern unter Wasser gewendet werden musste, um dann noch die restlichen 5 Meter tauchend zurückzulegen.
Außer mir gab es unter den Polizeischülern noch andere „Kurztaucher“, was nicht ohne Konsequenzen blieb: Jeden Sonntagmorgen fuhren im Winter 1962/63 um 07.00 Uhr die „Tauchschüler“ mit einem Ausbilder abwechselnd in die Hallenbäder nach Göttingen und Kassel, weil es in Hann. Münden noch kein Hallenbad gab.
Während meine Stubenkollegen sich noch in ihren Betten räkelten, musste ich bereits um 06.30 Uhr aufstehen.
Eingehüllt in einen Trainingsanzug, einen langen Wintermantel und einer „Hausmütze weich“ auf dem Kopf fuhren wir auf der Ladefläche eines Gruppenkraftwagens (kleiner LKW mit Plane) zu unseren „Tauchbecken“.
Nachdem ich zum 3. oder sogar zum 4. Mal erfolglos diese „Tauchreisen“ absolviert hatte, musste etwas passieren:
Die Nacht vor dem nächsten „Tauchgang“ habe ich im Bett mit Atemübungen verbracht. Manchmal glaubte ich, dass mir durch das lange Luftanhalten der Kopf platzen würde. Aber diese Strapazen hatten sich gelohnt – ich tauchte nach der Ankunft in Göttingen in das Hallenbecken ab, um erst nach 25 Metern wieder mit dem Kopf aus dem Wasser zu kommen. Ich glaubte, kurz vorm Ertrinken zu sein.
Halleluja, ich hatte es geschafft und konnte danach sonntags ausschlafen.
Die einjährige Grundausbildung an der Polizeischule war hart und lehrreich. Nach dem Bestehen mehrerer Prüfungen wurden wir in die Landesbereitschaftspolizei, Abteilungen Hannover und Braunschweig, versetzt. Mich führte der Weg nach Hannover. Später kehrte ich wiederholt nach Münden zurück, wo ich insgesamt annähernd fünf Jahre meiner Dienstzeit verbracht habe.
3. Kapitel Landesbereitschaftspolizei Niedersachsen, Hannover (April 1963 bis September 1965)
Am 1. April 1963 kam ich in die 1. Ausbildungs-Hundertschaft. Reinhard K., unser Ausbilder, war wieder so ein Glücksfall. Er scheuchte uns in der „Vahrenwalder Heide“ bis hinter den nächsten Erdhügel. Außerhalb des Blickwinkels von Vorgesetzten war er dann ein toller Kumpel und verordnete „Erst mal hinsetzen und ausruhen!“.
Das Wohnen in der neuen Wohngemeinschaft war schon wesentlich luxuriöser. Wir waren nur noch zu sechst auf der Stube; insbesondere gab es einen separaten Schlafraum.
Das Jahr in der 1. Hundertschaft verging ziemlich schnell. Der Dienst war aber nicht so kurzweilig wie im Jahr davor: Beispielsweise wurden wir nachts zu Bezirksstreifen eingeteilt. Das waren Doppelstreifen zu Fuß oder auf dienstlichen Fahrrädern in den Außenbezirken von Hannover. An der Polizeischule hatte man uns viel Theorie vermittelt; die polizeiliche Praxis war uns dagegen völlig fremd. Wir waren immer froh, wenn wir mal angesprochen und lediglich nach dem Weg bzw. einer Straße gefragt wurden. Einen Stadtplan hatten wir ja dabei. Den Verantwortlichen in der Polizei war dabei offensichtlich auch nicht ganz wohl, denn alle zwei Stunden musste ein festgelegter Kontrollpunkt „angelaufen“ bzw. „angefahren“ werden, um festzustellen, ob wir uns nicht verlaufen oder verfahren hatten. Funkgeräte standen uns nämlich nicht zur Verfügung.
Streifentätigkeiten:
Kleine Ruhepausen im „Hainhölzer Bahnhof“
Einer meiner Streifenkollegen war im Stadtteil „Hainholz“ groß geworden und kannte sich dort bestens aus. Im „Hainhölzer Bahnhof“ gab es ein paar lauschige Ecken, und im Winter war es dort auch einigermaßen warm. Publikumsverkehr gab es dort zur Nachtzeit nicht. Zwischen den Kontrollzeiten haben wir dann hin und wieder diesen Bahnhof aufgesucht, um uns mit geschlossenen Augen ein wenig von dem nächtlichen Streifendienst zu erholen.
„Verpflegung“ durch einen Krankenpfleger
Ein Streifenbezirk befand sich auch im Bereich des „St. Vinzenzstiftes“. Wenn wir uns dem Vinzenzstift näherten, lag ein bestimmter Krankenpfleger („K.“ wie Krankenpfleger) bereits auf der Lauer. Er galt als überaus polizeifreundlich, verpflegte uns mit geschmierten Broten und zeigte uns, sofern es die Zeit zuließ, Fotos von seinen vielen Reisen. Nicht bekannt war mir bis dahin seine schwule Neigung. Später bekam ich diese dann aber hautnah zu spüren. (Einzelheiten folgen unter „K., der mehr als fürsorgliche Krankenpfleger“).
Besonders unbeliebt war die Bestreifung des Innenministeriums an der „Lavesallee“. Jeweils zwei Polizeiwachtmeister wurden während der Nacht dem Pförtner zugeteilt. Eine Stunde war für den Rundgang um das Innenministerium eingeplant. Danach war der andere Kollege dran und man selbst hatte eine Stunde Pause, um danach wieder das Ministerium zu umkreisen.
Auch nicht viel Abwechselung bot die Industriemesse während der Messetage. In meinem ersten Dienstjahr in Hannover durfte ich den Verkehr an einer Parkplatzein- und ausfahrt regeln. Der Messeeinsatz begann aber schon eine Woche vor Beginn der eigentlichen Messe, sodass sich in dieser Vorphase der Verkehr von selbst regelte.
Später gab es dann aber aus einem anderen Anlass ein Highlight:
Verkehrsregelung auf einer Großkreuzung
Bei Fußballländerspielen kamen wir auch zum Einsatz. Einmal erhielten wir den Auftrag, einen erfahrenen Verkehrspolizisten auf einer Kreuzung am Maschsee zu unterstützen (Arthur-Menge-Ufer /Culemannstraße/Willy-Brandt-Allee/Rudolf-von-Bennigsen-Ufer) . Der „Verkehrskollege“ stand mit seinem Verkehrsregelungsstab mitten auf der Kreuzung. Auf sein Zeichen hin mussten wir Wachtmeister an vier Stellen dafür sorgen, dass die Fußgänger sicher auf die andere Straßenseite kamen.
Nach Ende des Spiels, als der abfließende Verkehr stark zunahm, winkte mich „Kollege Verkehrspolizist“ zu sich. Ich dachte, dass er auf der Kreuzung Unterstützung braucht. Mir sackte fast das Herz in die Hose, als er mir seinen Verkehrsregelungsstab in die Hand drückte, um sich dann in Richtung Toilette zu verabschieden. Nach etwa zehn Minuten kam er zurück.
Ich war heilfroh, als der Kollege wieder auftauchte und dass ich kein Chaos auf der Kreuzung verursacht hatte. Er blieb aber am Straßenrand stehen, und ich durfte den Verkehr bis zum Einsatzende verantwortlich regeln. Hinterher war ich mächtig stolz, dass alles so glatt gelaufen war.
Beteiligt war ich auch an anderen Großeinsätzen: Besonders ist mir der Besuch von Queen Elizabeth II. und Prinzgemahl Philipp im Mai 1965 in Erinnerung. Auf dem Flughafen Hannover waren wir als Ehrenhundertschaft eingesetzt. Aus einem anderen Anlass mussten wir für Bundeskanzler Konrad Adenauer auf dem Militärflughafen Wunstorf einen Streckenabschnitt schützen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
Ministerpräsident Dr. Diederichs neben der Queen (Mai 1965)
Eine Polizeischau der besonderen Art:
Alkohol an der Kugel
Aktiv beteiligt war unsere Hundertschaft auch an Polizeischauen in Hannover, Braunschweig und Salzgitter. Wir mussten Kugeln, die sonst beim Kugelstoßen zum Einsatz kamen, synchron durch die Luft werfen. Das wurde Wochen vorher auf dem Ausbildungsplatz mit Hingabe geübt.
Bei den Polizeischauen waren wir mit unserer Übung immer erst zum Schluss an der Reihe. Die Polizeischau in Braunschweig fand bei Dunkelheit statt. Für diesen Zweck waren die Kugeln, um im Scheinwerferlicht einen besonderen Leuchteffekt zu erzielen, mit Phosphorfarbe präpariert worden.
Wir saßen auf unserem Gruppenfahrzeug und verbrachten die Wartezeit mit Tee trinken. Sehr schnell fiel uns ein, dass der Tee mit ein bisschen Rum noch besser schmecken könnte. Aus der Stadiongaststätte wurde eine Flasche Rum auf unser Gruppenfahrzeug geschmuggelt. Die Kollegen, die auf den anderen Kfz saßen, bekamen Wind von der Aktion „Tee mit Rum“ und versorgten sich auch mit diesem Zuckerrohrschnaps. Unsere Ausbilder waren ahnungslos. Da es ziemlich kalt war, tat uns dieses Getränk so richtig gut.
Bei unserem Kugeleinsatz war die gesamte Hundertschaft mehr oder weniger angesäuselt. Das führte zu allerhand Kugelverlusten, und mancher Kugelakrobat suchte krabbelnd nach seiner Kugel. Die Zuschauer haben das, wie wir später hörten, so gut wie nicht bemerkt, wohl aber unsere Ausbilder. Es gab ein Donnerwetter, und bei der nächsten Polizeischau waren wir unter strenger Bewachung der Ausbilder.
Freizeitaktivitäten:
Während meiner Freizeit war ich häufiger im „Savoy“ am Marstall. Das „Savoy“, in dem es täglich Lifemusik gab, war wegen der vielen hübschen Mädchen auch im Kollegenkreis sehr beliebt.
Es gab aber auch noch andere Interessen wie der Besuch von Fußballspielen. „Hannover 96“ spielte in der gerade gegründeten 1. Bundesliga. Dann waren da noch die Fußballländerspiele, die ich zusammen mit Kollegen besuchte, wenn wir nicht selbst durch den Polizeieinsatz gefordert waren.
Hin und wieder bin ich auch zum Berufsboxen in die Stadionsporthalle gegangen. Eine besondere Show boten die Veranstaltungen mit Norbert Grupe („Prinz von Homburg“)[1] und dem niederländischen Schwergewichtler Wim Snoek, der für seinen kurzen Prozess bekannt war.
An Wochenenden begleiteten wir oft unsere polizeieigene Beatkapelle „the stokers“, die vorwiegend im Raum Peine spielte. Hin und wieder gingen wir auch in die nahe gelegene Kneipe „Gibraltareck“ oder wir hielten uns in der Polizeikantine auf. Selbstverständlich wurde in der Freizeit auch für die Polizeiberufsschule gelernt.
Insgesamt bot Hannover viel Abwechselung in der Freizeit: Konzerte mit Tony Sheridan, der schon zusammen mit den legendären „Beatles“ aufgetreten war, und den damals populären Chubby Checker und Jack Hammer, die die Musik für die Modetänze „Twist“ und „Hully Gully“ lieferten, gehörten ins private Programm.
In Hannover habe ich auch wieder angefangen, selbst Fußball zu spielen. Meine Fußballkarriere war mit meiner Entscheidung, zur Polizei zu gehen, abrupt zu Ende. Immerhin stand ich bis dahin im Tor der A-Jugend des „SV Meppen“ und gehörte auch zur Kreisauswahl. Im „Polizeisportverein Hannover“ reichte es nach längerer Pause und mit nicht mehr ganz so großer Begeisterung für die 2. Herrenmannschaft.
Kontakt mit einem schwulen Krankenpfleger:
K., der mehr als fürsorgliche Krankenpfleger
In einem Spiel sprang ich als Torwart einem gegnerischen Angreifer entgegen, der, obwohl ich den Ball bereits unter Kontrolle hatte, voll durchzog und mir heftig gegen die linke Schulter trat. Ich verspürte einen starken Schmerz, der auch nicht nachließ. Man brachte mich zum Sanitätsbeamten, der meine sofortige Einlieferung ins „St. Vinzenzstift“ veranlasste. Dort fixierte man meinen linken Arm mit viel Verbandsmaterial auf der Brust, sodass ich nur noch bedingt handlungsfähig war.
Freudig begrüßt wurde ich von K., dem mir von meinen Streifengängen ja bereits bekannten Krankenpfleger. Er tat sehr fürsorglich. Von dem Fußballspiel war ich noch ziemlich verdreckt und K. erklärte, dass ich erst einmal duschen müsste. Das war auch in meinem Sinne. K. kam mit.
Ehe ich wusste, was mir geschah, fing K. an, mich im Genitalbereich besonders sorgfältig zu waschen. Das war zu viel der Fürsorge. Ich schubste ihn mit meiner freien rechten Hand zurück und erklärte ihm deutlich, dass er umgehend das Badezimmer verlassen möge. Fortan waren die Verhältnisse geklärt und seine Fürsorge hielt sich von nun ab sehr in Grenzen.
Alarme und Probealarme:
Flächenbrand am „Steinhuder Meer“
Es kam hin und wieder vor, dass während der Freizeit Alarm oder auch Probealarm ausgelöst wurde. An einem Abend, es war schon ziemlich spät, kam es zu einer echten Alarmauslösung. Eine größere Wald-, Busch- und Heidefläche am „Steinhuder Meer“ brannte. Ich hielt mich mit einigen Kollegen in einem Nebenraum der Kantine auf, wo wir gerade Tischfußball spielten.
Alles was Beine hatte, rannte auf die Stuben, um sich in die Einsatzanzüge zu werfen und das Einsatzgerät „an den Mann zu bringen“. Danach war Antreten auf dem Ausbildungsplatz. Die 1. Ausbildungs-Hundertschaft, zu der ich ja gehörte, rückte mit den Gruppenkraftfahrzeugen in Kolonne aus. Auf dem Weg zum Einsatzort kam ein solches Fahrzeug in einer scharfen Rechtskurve von der Fahrbahn ab, d.h., es fuhr geradeaus und kam in einem großen Sandhaufen zum Stehen. Zwei folgende Kolonnenfahrzeuge schafften die Kurve auch nicht und fuhren ebenfalls in den Sandhaufen, sodass drei Autos nebeneinander im Sand „parkten“. Da ansonsten nichts passiert war, gab es erst einmal ein großes Gelächter; die drei Kraftfahrer waren nicht nur an diesem Tage Zielscheine spöttischer Bemerkungen.
Als wir am „Steinhuder Meer“ ankamen, brannte es immer noch. Wir wurden in kleinere Gruppen aufgeteilt und mit Feuerpatschen in das Feuer geschickt. Jeder war eifrig bemüht, die immer wieder auflodernden „Buschfeuer“ mit den Feuerpatschen zu bekämpfen. Auf einmal stellte ich fest, dass ich keinen Kontakt mehr zur Gruppe hatte und mutterseelenallein zwischen kleineren Feuern und mitten im Qualm stand. Ich bekam leichte Panik und rief nach meiner Gruppe. Aber weit und breit war nichts zu hören und erst recht nichts zu sehen, weil die Augen brannten und zusätzlich tränten. Es war ein Gemisch aus Angst- und Qualmtränen.
Wie Phönix aus der Asche tauchte dann ein Kollege auf. Gemeinsam haben wir es geschafft, uns mit den Feuerpatschen aus dieser bedrohlichen Lage zu befreien.
Im Herbst 1963 begann für mich und viele andere die Fahrschule, die etwa drei Monate dauerte. Wir wurden sehr intensiv für die Führerscheine der Klasse III (Pkw und Lkw bis 7,5 t) und der Klasse I (Motorräder) ausgebildet. Die Fahrschule erfolgte mit Gruppenkraftwagen (Grukw) der Firma „Hanomag“ und auf Motorrädern (250 ccm) aus dem Hause „BMW“. Die Fahrlehrer gingen nicht gerade zimperlich mit uns um. Wenn bei der Fahrt mit dem Grukw ein Verkehrszeichen nicht beachtet wurde, gab es schon mal mit der Anhaltekelle einen Schlag auf den Schädel.
Tragisches:
Tod eines Kollegen durch fahrlässige Waffenhandhabung
Während meiner Zeit in der 1. Hundertschaft lagen wir während der Mittagspause auf unseren Betten und dösten bis zum Dienstbeginn vor uns hin. Durch einen schussartigen Knall, der aus unserer unmittelbaren Nähe kam, wurden wir schlagartig hellwach, ohne diesen Knall zunächst irgendwie zuordnen zu können.
Es stellte sich dann aber bald heraus, dass etwas Tragisches passiert war: Kraftfahrer der 1. Hundertschaft, die in dem Stockwerk über uns wohnten, hatten kurz zuvor auf dem Ausbildungsplatz vor dem Unterkunftsgebäude ihre Waffen entladen (Waffenappell).
Nach der Rückkehr auf die Stuben hat ein Kraftfahrer – aus welchen Gründen auch immer – seine Dienstwaffe (Pistole P 1 bzw. P 38, Walther) gezogen und in Richtung eines anderen Kraftfahrers abgedrückt. Dabei ging der „Waffenhantierer“ davon aus, dass seine Waffe entladen war, sich also keine Patrone im Lauf befand. Dem war aber nicht so, denn es löste sich ein Schuss, von dem ein Kollege getroffen wurde, der kurz darauf an den Verletzungen verstarb.
Ein weiterer Kollege hatte Glück, weil das Geschoss, das den Körper des tödlich Verletzten durchschlug, an seinem Kopf vorbei flog, um dann in der dahinter liegenden Wand einen Schussdefekt zu verursachen.
Nach der Führerscheinausbildung meldete ich mich als Kraftfahrer und kam so in die 2. Hundertschaft, die als Elitehundertschaft galt und in Anlehnung an die berühmt-berüchtigte US-Militärakademie allgemein als „West Point“ bezeichnet wurde.
Das erste eigene Auto:
Im April 1964 konnte ich mir mit finanzieller Unterstützung meiner Eltern mein erstes Auto kaufen. Es war ein DKW 1000, mit dem es häufiger auf Reisen ging.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
„DKW 1000“, blau/weißes Dach, H - ME 464, mit
Ernst Hunsicker als stolzem Halter
Sonderaufgaben:
Bei unserem Schirrmeister, Polizeiobermeister (POM) M., der im 2. Weltkrieg bei der Luftwaffe war, hatte ich „ein Stein im Brett“, nachdem er wusste, dass mein leiblicher Vater „Fritz“ Hunsicker im Oktober 1943 von englischen Spitfirepiloten über dem Mittelmeer vor Italien abgeschossen worden war, als vermisst galt und später für tot erklärt wurde. Fortan durfte ich seinen privaten „Opel-Rekord“ pflegen, was eine große Ehre war. Außerdem wurde ich bei Übungen und Kontrollen als Fahrer eines „DKW-Munga“ (Geländewagen) für den Hundertschaftsführer und für Beamte des höheren Dienstes eingesetzt.
Als der Sachbearbeiter für das Kraftfahrzeugwesen einmal für längere Zeit ausfiel, musste ich ihn vertreten. Meine wichtigste Aufgabe war es, die Fahrtenbücher der Hundertschaftsfahrzeuge nach den Monatsenden abzuschließen, d.h., Listen über gefahrene Kilometer, Benzin-/Ölverbrauch, Reparaturen usw. zu führen. Beim ersten Mal wurden im Gruppenstab (vorgesetzte Stelle), dem die Fahrtenbücher und Listen vorzulegen waren, noch ein paar kleine Systemfehler festgestellt. Das nächste Mal war alles fehlerfrei. Mein Schirrmeister war begeistert, denn eine fehlerlose Monatsabrechnung hatte es bis dahin nach seinen Angaben noch nie gegeben. Prompt kam auch eine Anfrage aus dem Gruppenstab, ob ich Interesse an einer dortigen Verwendung hätte. Hatte ich aber nicht, weil ich unbedingt in den Einzeldienst im Emsland oder im Raum Osnabrück wollte. Verantwortlich dafür war meine Freundin Walburga Wehkamp aus Rühle; später (1968) haben wir geheiratet.
Das letzte schöne Ereignis während der Zeit bei der Bepo Hannover war eine zweitägige Weiterbildungsfahrt der Kraftfahrer im September 1965 nach Hamburg. Drei Tage danach wurde ich nach Lingen/Ems versetzt. So war ich wieder in der Nähe von Rühle.
Ernst Hunsicker …
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
… vor dem Ortsschild von
Rühle
Kreis Meppen
Reg. Bez. Osnabrück
Zollgrenzbezirk
(August 1965)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
… ganz seriös im Wald bei Rühle (September 1965)
4. Kapitel Polizeiabschnitt Lingen / Ems (Oktober 1965 bis März 1967)
Zum 1. Oktober 1965 wurde ich zum Regierungspräsidenten in Osnabrück, den es damals noch gab, versetzt und dem Polizeiabschnitt Lingen (Ems) zugeteilt. Ich war quasi wieder in der „alten Heimat“ und durfte jetzt richtigen Polizeidienst machen. Mein erster Dienst war ein Nachtdienst.
Ist das etwa der wahre Polizeidienst?
Kein guter Auftakt
An diesen Nachtdienst – in Lingen war gerade Kirmes – habe ich überhaupt keine gute Erinnerung. Kurz nach Dienstantritt erklärte mir mein Streifenführer (ein älterer Kollege), dass er mal kurz eine Gaststätte an der Waldstraße aufsuchen müsse, um etwas zu klären. Ich musste draußen im Streifenwagen warten, um auf den Funk zu achten.
Nach etwa einer Stunde kam der Gastwirt und brachte mir eine Cola, was nach einer weiteren Stunde noch einmal geschah. Nach rund drei Stunden kam mein Streifenführer nicht mehr so ganz nüchtern aus der Gaststätte, und für ihn war der Nachtdienst gelaufen. Dafür hatte ich überhaupt kein Verständnis und ich hoffte, dass dies wohl eine Ausnahme sein würde.
Bestimmte Gaststätten in der Stadt Lingen wie auch im ehemaligen Landkreis Lingen waren dafür bekannt, dass die Gäste von dort aus alkoholisiert mit Autos nach Hause, zur nächsten Gaststätte oder auch sonst wo hinfuhren. Diese Örtlichkeiten haben wir besonders zur Nachtzeit „ins Visier genommen“ und viele „Blutproben gemacht“.
Nicht nur Blutproben
Am 3. Februar 1967 waren Kollege Dieter W. und ich als Fahrer gegen 02.30 Uhr mit der Funkstreife „OS - 3077“, einem fabrikneuen Mercedes 190 (Benziner), auf einer Kreisstraße in Suttrup (zwischen Freren und Beesten) unterwegs, an der auch eine dieser bekannten Gaststätten lag.
Plötzlich war vor uns ein „Opel-Rekord Caravan“ mit Bersenbrücker Kennzeichen (BSB). Wir überholten dieses Auto und hielten es an. Im Auto saßen zwei Männer. Als wir gerade aus unserem Dienst-Kfz ausgestiegen waren, wurde der „Opel-Rekord“ in Bewegung gesetzt, und die Insassen flüchteten mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Beesten. Wir nahmen sofort die Verfolgung auf.
Zwischendurch wurde die Geschwindigkeit durch den Fahrer des Fluchtfahrzeuges erheblich reduziert, und der Beifahrer ließ sich wagemutig aus dem Auto fallen, um gleich darauf nach mehreren erdnahen Saltos in einem Waldstück zu verschwinden.
Kurz vor Beesten kamen wir in einer scharfen Linkskurve von der Fahrbahn ab. Ursächlich dafür war die Winterbereifung (mit damals noch zulässigen Spikes), die sich aber bei frühlingshaften Temperaturen gar nicht mehr auf den Felgen befinden durfte.
Jedenfalls hatte Kollege Dieter gerade das Funkgeschirr in die Hand genommen und meldete „Wir verfolgen …“. Weiter kam er nicht, denn wir landeten im Graben und „rasierten“ auch noch einen Strommast, sodass der Mast am Boden lag und die Leitungen gerissen waren.
In unmittelbarer Nähe befand sich ein Bauernhof, wo wir an die Scheiben klopften. Der Bauer wurde wach und erklärte „Ich habe kein Licht im Haus!“(als Folge der gerissenen Stromleitungen). Er kam dann aber raus und zog unseren Streifenwagen mit seinem Trecker aus dem Graben. Stoßstange und Kotflügel rechts waren demoliert, die „Funkstreife“ aber noch fahrbereit.
Inzwischen waren Kollegen aus Lingen eingetroffen, um unseren Unfall aufzunehmen. Auch der wagemutige Beifahrer aus dem Fluchtfahrzeug erschien am Unfallort, um zu erklären, dass es sich bei dem Fahrer um eine Zufallsbekanntschaft aus Fürstenau handele. Und wir trauten unseren Augen nicht: Selbst der Fahrer kehrte wieder aus Richtung Beesten zurück und passierte langsam die Unfallstelle. Wahrscheinlich wollte er seinen Beifahrer wieder aufnehmen.
Dieter und ich sprangen in „unseren Daimler“ und nahmen erneut die Verfolgung auf. Schließlich fuhr sich der vor uns Flüchtende in einem Feldweg fest und setzte anschließend seine Flucht zu Fuß fort. Dieter rannte noch hinter ihm her, während ich mit der „Funkstreife“ auf der Kreisstraße auf und ab fuhr. Ich hörte dann noch Schüsse, die Dieter zur Positionsbestimmung (Signalschüsse) aus seiner Dienstpistole, einer Walther P 38 (9 mm), abgegeben hatte.
Der Verfolgte blieb verschwunden, sein Beifahrer wurde festgenommen, das Fluchtauto sichergestellt. Im Laufe der Nacht ergab sich nämlich noch, dass der „Opel-Rekord“ kurz zuvor aus einer verschlossenen Halle in Fürstenau entwendet worden war und die Täter zudem in der Halle einen Zigarettenautomaten aufgebrochen hatten.
Kollegen der für Fürstenau zuständigen Kripo Osnabrück nahmen sich des Beifahrers an, der ein Geständnis ablegte und nun auch den Namen seines Mittäters wusste. Dieser, ein hinreichend bekannter Einbrecher, konnte dann auch festgenommen werden.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Vereinigten Elektrizitätswerke Energie AG (VEW) wegen dem abrasierten Strommast keine Ansprüche gegen die Polizei geltend gemacht haben und die demolierte „Funkstreife“ repariert wurde, ohne mich in Regress zu nehmen. In meinem Einsatz- und Unfallbericht durfte ich, so die Weisung unseres Schirrmeisters, auch nichts von der Spike-Bereifung schreiben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
Ernst Hunsicker bei einer Unfallaufnahme in Varenrode
(Altkreis Lingen); rechts im Bild die „Funkstreife“,
Mercedes 190, „OS - 3077“
Während meiner Dienstzeit in Lingen habe ich zweimal von der Schusswaffe gegen Tiere Gebrauch gemacht, danach Schusswaffen zum Glück nur noch bei der Schießausbildung eingesetzt.
Der beißwütige Hund
Auf der Polizeiwache erschien gegen Mittag der polizeilich bekannte B., der erklärte, sein Hund, ein belgischer Riesenschnauzer, sei aus dem Zwinger ausgebrochen. Er selbst könne den beißwütigen Hund nicht wieder einfangen; zudem bestehe die Gefahr, dass der Hund das frei zugängliche Grundstück verlasse und auf der Straße Leute anfalle.
Ich bin daraufhin allein mit einem Funkstreifenwagen auf das Grundstück gefahren. Der Riesenschnauzer, ein gewaltiges Tier, sprang sofort an meiner Fahrerseite gegen das Auto. Ich habe die Seitenscheibe so weit heruntergedreht, dass ich die Pistole (Walther P 38) nach draußen halten und auf den Hund schießen konnte. Mit dem ersten Schuss sackte der Hund zusammen, und ich konnte mich ihm gefahrlos nähern. Ich musste dann noch mehrere Schüsse in Kopf und Nacken des Hundes abgeben, um ihn zu töten.
Als ich wegfuhr, ging ich vom Tod des Hundes aus. Kurz darauf erschien B. noch einmal auf der Wache und teilte mit, dass der Hund immer noch zucken würde. Ein Kollege aus unserer Ablöseschicht ist dann noch einmal losgefahren, um dieses Ungetüm mit weiteren Schüssen zu erlösen.
Wahrlich keine Ruhmestat. Allerdings hatten wir auch nie gelernt, wie Tiere möglichst schmerzfrei zu töten sind.
Die ausgebrochene Kuh
In Lingen kam es häufiger vor, dass Kühe, Ochsen oder auch Bullen vom Schlachthof ausbüxten. Kollege Jochen T. und ich erhielten über Funk den Auftrag, uns um eine solche Kuh zu kümmern, die an der „Lindenstraße“ in einen Hinterhof getrieben worden war. Vorher hatte das Tier aber in der Lingener Innenstadt für reichlich Aufregung und Panik gesorgt. Polizist und Jäger T. war begeistert, dass er seine Bockflinte, die wir erst aus seinem Haus an der Waldstraße holen mussten, einsetzen konnte.
Am Einsatzort stellten wir fest, dass der Hinterhof mit einem Anhänger versperrt worden war, folglich die Kuh nicht wieder ausreißen konnte.
Wir wurden von mehreren Schlachtern erwartet, die bereits die Messer wetzten. Kollege T. brachte von sicherer Position seine Bockflinte in Stellung, während ich mit meiner Pistole in Bereitschaft war. Nach dem Schuss aus der Bockflinte ging die Kuh vorne in die Knie. Ein Schlachter und ich liefen zur angeschossenen Kuh. Als der Schlachter gerade das Messer ansetzten wollte, kam diese wieder hoch. Der Schlachter nahm meine Hand und setzte den Lauf meine Waffe unmittelbar unter den Hörnern an. Ich drückte ab, und die Kuh war erledigt.
Mit Jägern und der Jägersprache hatte ich es in Lingen häufiger zu tun. Wir jungen Beamten aus Lingen mussten hin und wieder nachts mit den „Stationsbeamten vom Lande“ in deren Dienstbereichen Streife fahren. Es passierte nicht viel. Nach meiner Erinnerung kam es höchstens mal zu Streitigkeiten in Gaststätten.
Meistens hatte ich zwei Stationsbeamte im Auto, die in ihrer Freizeit „dem Wilde nachstellten“. Die Jagd war während dieser Streifen auch immer das Hauptthema. Dienstliche Belange spielten kaum eine Rolle. Wichtig war aber, wo mal ein Rehbock oder ein Schmalreh geschossen worden war, wo es Damhirsche gab, welche Jagdwaffe man gerade erworben hatte, usw.
Welche Gefahren von Schusswaffen ausgehen können, musste ich auch selbst erfahren:
Schussauslösung durch falsche Waffenhandhabung
In einem Nachtdienst wurde ein Einbruch in einen Karosseriebaubetrieb in Lingen, Rheiner Straße (unmittelbar neben der Fernfahrergaststätte „Ewige Lampe“ gelegen), gemeldet.
Ein Firmenangehöriger erwartete uns bereits vor dem Betrieb. Mein Kollege Jürgen Z. und ich haben unsere Schusswaffen durchgeladen, um dann mit vorgehaltener Waffe die Büro- und Fabrikationsräume zu durchsuchen. Die Durchsuchung war ziemlich zeitaufwendig, weil in einer größeren Halle fertige bis halbfertige Karosserien und Karosserieaufbauten standen, die alle abgesucht werden mussten. In den Räumen wurden aber keine Einbrecher festgestellt.
Anschließend wollten wir unsere Schusswaffen wieder in einem Flur vor dem Bürotrakt entladen. Plötzlich gab es einen lauten Knall, weil sich aus der Pistole meines Kollegen ein Schuss gelöst hatte. Das Projektil prallte als Querschläger vom Fußboden zurück in die Deckenvertäfelung. Puh – und mal wieder Glück gehabt.
Und noch einmal Glück, weil die Grundsätze der Eigensicherung nicht beachtet wurden. An der Polizeischule und in der Bereitschaftspolizei wurde uns die Theorie hinreichend vermittelt und auch praxisnah geübt; in der praktischen Umsetzung setzte dann aber Nachlässigkeit – gepaart mit mangelnder Erfahrung – ein.
Gefährliche „Tankbetrüger“ – oder:
Eigensicherung als Lebensversicherung
Kollegen der Polizei Nordhorn teilten uns mit, dass ein mit drei Männern besetzter Pkw an einer Tankstelle in Nordhorn betankt worden sei, ohne die Tankung anschließend zu bezahlen. Die Fluchtrichtung sei nicht genau bekannt. Unter Hinweis auf die Kfz-Marke und die Kfz-Farbe wurden wir um Mitfahndung gebeten.
Ein älterer und eigentlich erfahrener Kollege und ich fuhren auf der B 213 Richtung Nordhorn, um an einem Parkplatz Position zu beziehen. Und siehe da, der beschriebene Pkw mit drei Männern an Bord fuhr uns „direkt in die Arme“, d.h., wir konnten den Fahrer auf den Parkplatz weisen. Die drei Männer erklärten, das Bezahlen der Tankung vergessen zu haben.
Da sich die Männer nicht hinreichend ausweisen konnten, haben wir alle 3 in den Fond unseres Streifenwagens „verfrachtet“, um dann zu unserer Dienststelle zu fahren.
Die „Sistierung“ haben wir den Kollegen in Nordhorn mitgeteilt, die daraufhin erklärten, nach Lingen zu kommen, um die Männer zur Durchführung weiterer Ermittlungen zu übernehmen.
So war es dann auch. Die drei Männer wurden abgeholt und die Sache schien damit für uns erledigt.
Aber dann kam der Hammer: Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, wurden die Männer (Täter) vorläufig festgenommen und in Haftzellen eingeschlossen. Vor dem Einschließen wurden alle durchsucht, und erst jetzt wurde festgestellt, dass ein Täter eine scharfe Schusswaffe mit Munition mitführte.
Großes Glück gehabt, wenn man überlegt, was alles hätte passieren können. Aber es war mir eine Lehre fürs weitere Polizeileben!
Trunkenheit im Straßenverkehr:
Auf den Spuren eines Trunkenheitsfahrers
Zusammen mit meinem Kollegen Jürgen Z. war ich auf nächtlicher Streifenfahrt im Raum Lengerich-Bawinkel. In Gersten kam uns aus Richtung Haselünne (Altkreis Meppen / Ems) ein Pkw-Fahrer entgegen. Wir hielten rechtzeitig, um diesem Fahrer mit der Anhaltekelle ein Stoppzeichen zu geben, was dieser jedoch ignorierte. Nur durch einen Sprung zur Seite konnten wir uns in Sicherheit bringen.
Da wir den Streifenwagen erst wenden mussten, hatte der „Flüchtling“ einen ziemlichen Vorsprung. Doch uns kam „Kommissar Wetter“ zur Hilfe, denn es hatte gerade angefangen, leicht zu nieseln. Auf der Fahrbahn konnten wir so bestens die Reifenspuren und somit auch die Fluchtrichtung erkennen, sodass wir bereits nach kurzer Zeit den Flüchtigen auf Grund „verräterischer Spuren“ vor uns hatten.
Der Verfolgte erhöhte, da er die Gefahr im Nacken spürte, die Geschwindigkeit. Allerdings kam er mitten in Lengerich abrupt zum Stehen, weil er von der Fahrbahn abgekommen war und mit der Vorderachse seines Pkw auf einem Hydranten hing.
Als wir diesen Ort erreichten, war der Pkw in Qualm gehüllt, denn der Fahrer versuchte bei durchdrehenden Reifen erfolglos, sich aus diesem Schlamassel zu befreien.
Nachdem wir den stark alkoholisierten Fahrer, der aus dem Altkreis Meppen kam, aus seinen Pkw herausgezogen hatten, erklärte dieser, nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Diese sei ihm bereits wegen einer früheren Trunkenheitsfahrt entzogen worden.
Was folgte, war eine Blutprobenentnahme durch den regionalen Blutprobenarzt Dr. S., der nur wenige Häuser entfernt in Lengerich wohnte.
Nach Rückkehr auf der Lingener Wache musste noch die Strafanzeige wegen diverser Delikte geschrieben werden.
Besondere Vorsicht unter Alkoholeinfluss
Während einer anderen nächtlichen Streifenfahrt kam uns zwischen Mundersum und Bramsche (jeweils Altkreis Lingen) ein Kfz entgegen. Auf schnurgerader Strecke konnten wir dieses Fahrzeug bereits in weiter Entfernung ausmachen. Schon nach kurzer Zeit stellten mein Streifenkollege und ich fest, dass wir uns einem stehenden Kfz näherten.
Am Pkw angekommen erklärte uns der volltrunkene Fahrer lallend, dass er auf Grund seiner Alkoholisierung bei Gegenverkehr vorsorglich anhalte. Der Aufforderung, sein Kfz zu verlassen, kam der Fahrer nur zögerlich nach, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme kam der Fahrer an einer Blutprobe nicht vorbei. Das Ergebnis war dann auch entsprechend: über 3,0 Promille.
Die Eilfahrten mit Sondersignalen – also mit „Blaulicht und Martinshorn“ – zu schweren Unfällen waren nicht nur für uns als Fahrzeugbesatzung gefährlich, sondern auch für unbeteilte Passanten – in diesem Fall für marschierende Soldaten.
„Soldatenglück“
Im Winter wurde bei Schnee und Eis ein schwerer Unfall mit Personenschaden auf der so bezeichneten „Todeskreuzung“ in Wietmarschen-Schwartenpohl, damals Landkreis Lingen, gemeldet.
Auf dem Weg zum Unfallort kam ich als Führer eines Streifenwagens, Mercedes 180, auf glatter Fahrbahn in einer Kurve vom rechten Weg ab und landete zum Entsetzen meines Streifenführers, Heinrich W., auf einem Acker. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn nicht neben der Fahrbahn gerade eine Bundeswehrkolonne marschiert wäre. Die Soldaten haben aber die auf sie zukommende Gefahr rechtzeitig erkannt und konnten sich in Sicherheit bringen.
Glück im Unglück für alle Beteiligten: Die Soldaten waren unverletzt, und wir kamen mit Hilfe der schiebenden Soldaten wieder auf die Fahrbahn zurück, um danach mit weniger Eile zum Unfallort zu gelangen.
Heutzutage hört, sieht und liest man immer wieder von großartig angelegten Bombenräumungen mit allen denkbaren Vorsichtsmaßnahmen, was bestimmt richtig ist. Polizeibeamte, die den 2. Weltkrieg erlebt und überlebt haben, waren da weniger zimperlich.
„Bombentransport“ im Kofferraum
An der Lindenstraße in Lingen wurde bei Baggerarbeiten eine Granate aus dem 2. Weltkrieg freigelegt. Heinrich W., ein Kollege mit Fronterfahrung, und ich erhielten den Auftrag, uns um diese Granate zu kümmern. Für mich war es der erste Einsatz dieser Art.
Am Fundort angekommen, nahm mein Streifenführer und „Kriegsveteran“ das Fundstück und verstaute es im Kofferraum, um dann anschließend mit dieser gefährlichen Fracht durch die Lingener Innenstadt zum Bauhof zu fahren.
Dort angekommen traute ich meinen Augen nicht, als ein Bauhofarbeiter die Granate nahm und aus nicht geringer Entfernung auf einen größeren Haufen Granaten und Bomben warf, die völlig ungesichert in einer Ecke des Bauhofes lagerten.
Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können.
Die 60er Jahre sind mit der heutigen Zeit einfach nicht zu vergleichen. Es war auch die Zeit der Geschenke, die damals noch bedenkenlos angenommen wurden.
Noch kein richtiges „Korruptionsgewissen“
Korruption war während der 60er Jahre in Polizeikreisen ein Fremdwort. Heute hört man noch hin und wieder, was der Polizei in dieser Zeit nicht nur zur Weihnachtszeit und zu den Jahreswechseln so alles zugesteckt wurde. Manchmal ist auch die Rede von Kollegen, die im „Organisieren“ besonders geschickt und erfolgreich waren.
In Lingen war es zum Beispiel selbstverständlich, dass gegen Ende des Nachtdienstes und mit Beginn des Frühdienstes von der nahe gelegenen Molkerei für alle Schichtdienstkollegen Milch geholt wurde, ohne diese zu bezahlen. Ebenso selbstverständlich wurde im Nachtdienst die örtliche Tageszeitung „abgestaubt“.
Da es auf der Wache kein Fernsehgerät gab, hatte unser sehr pflichtbewusster Schichtführer Adolf B. nichts dagegen einzuwenden, wenn wir bei „leergefegten“ Straßen ein besonderes Fußballspiel vor dem Fernseher in der Fernfahrerkneipe „Ewige Lampe“, Lingen, verfolgten. Für einen möglichen Einsatz waren wir ja telefonisch erreichbar.
Mit Beginn des Fußballspiels holten wir uns bei Artur H., dem „Lampenwirt“, eine Cola und legten zur Bezahlung eine 1-DM-Münze auf den Tresen. Artur schenkte die Cola ein und gab uns zwei 50-Pfennig-Stücke so geschickt zurück, dass für die anwesenden Gäste der Eindruck eines ordnungsgemäßen Zahlvorgangs entstand.
Noch heute habe ich wegen dieser Vorgänge – obwohl es sich um kleinere Zuwendungen handelte – ein schlechtes Gewissen.
Häufiger kam es auch zu Schlägereien, zu denen wir „schlichtend“ hinzugezogen wurden:
Massenschlägerei bei „Mia“ W.
Während eines Nachtdienstes erhielt unser Schichtführer, Polizeihauptmeister (PHM) Adolf B., einen Anruf von der Gastwirtin „Mia“ W. Sie meldete eine Schlägerei in ihrer Gaststätte. Außer PHM B. waren für den gesamten Bereich des Landkreises Lingen nur Kollege Jürgen Z. und ich im Dienst.
Nach unserer und allgemein polizeilicher Erfahrung eskalieren Schlägereien in Gaststätten häufig erst mit dem Eintreffen der Polizei. Deshalb hatten wir es auch bei diesem Einsatz nicht besonders eilig. Wir wollten erst mal an der Gaststätte vorbeifahren. Dazu kam es aber nicht, weil mehrere Personen vor der Gaststätte standen und auf sich aufmerksam machten.
Nach Verlassen unserer „Funkstreife“ wurden wir draußen von Gästen „kurz in die Lage eingewiesen“. Es hieß, dass Monteure einer Ölbohrfirma alles kurz und klein schlagen würden. Mehrere Personen seien bereits verletzt. Wir betraten den Gastraum, um sofort von vier Männern, die sich mit abgebrochenen Stuhlbeinen bewaffnet hatten, angegriffen zu werden. Zum Glück waren die Aggressoren stark betrunken, sodass es uns mit Unterstützung der Gäste gelang, dem Treiben ein schnelles Ende zu setzen.
Als die vier Angreifer auf dem Boden lagen, mussten wir diese noch vor Übergriffen der Gäste schützen. Mit der Unterstützung von alarmierten Kollegen, die erst aus dem Bett geholt werden mussten, wurden die vier Täter festgenommen und der Dienststelle zugeführt. Gegen alle hat das Amtsgericht Lingen dann Haftbefehl erlassen.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Tätern um Monteure handelte, die drei Monate in Nordafrika nach Erdöl gebohrt und jetzt ihren Lohn erhalten hatten. Solche Zwischenfälle mit „verwilderten“ Ölbohrern waren in Lingen übrigens nicht die Ausnahme.
Immer wieder glücklich ausgehende Situationen:
Schwerer Verkehrsunfall und großes Glück am eigenen Leibe
Am 27. Februar 1966, gegen 13.35 Uhr, war ich mit meinem Pkw, „DKW 1000“, jetzt LIN - CX 69, auf der Fahrt zwischen Rühle (Kraftwerk), wo meine Eltern noch wohnten, und Rühlermoor, um dort für den SV Rühle, dem ich mich kurz zuvor angeschlossen hatte, Fußball zu spielen.
Ich kam aber nicht weit, denn nur ein paar hundert Meter von der elterlichen Wohnung entfernt wollte ich von der Kreisstraße nach links in eine Gemeindestraße abbiegen. Die Fahrtrichtungsänderung hatte ich rechtzeitig angezeigt. Während des Abbiegens „knallte“ mir von hinten ein Pkw, „Mercedes“ (Leihwagen), mit hoher Geschwindigkeit in meinen Wagen, sodass ich mit meinem Pkw auf eine Verkehrsinsel geschleudert wurde und mich danach mehrfach überschlug. Mein Wagen kam wieder auf den Rädern zum Stehen. Durch den Aufprall schleuderte ich aber mitsamt dem Fahrersitz in den Fond. Da die Türen klemmten, konnte ich mein völlig demoliertes Kfz nur durch eine Fensteröffnung verlassen.
Die vier Personen (2 Männer, 2 Mädchen) aus dem anderen Unfallfahrzeug leisteten mir überhaupt keine Hilfe. Im Gegenteil: Von einem etwa 15 Jahre alten Mädchen wurde ich ausgelacht, und sie schrie auch noch: „Schon wieder ist ein Sonntag versaut!“ Alle behaupteten, ich hätte die Fahrtrichtungsänderung nicht angezeigt.
Zu bemerken ist allerdings, dass sich kurz vor der Unfallstelle ein unbeschrankter Bahnübergang befand, vor dem es eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 20 km/h gab. Nach Zeugenangaben hat der Mercedesfahrer diesen Bahnübergang mit viel zu hoher Geschwindigkeit überquert.
Wie dem auch sei: Ich erlitt durch den Unfall nur ein paar Prellungen. Beide Versicherungen haben die Schäden zum Teil beglichen. Wegen des dem Unfall vorausgegangen Nichteinhaltens der zulässigen Geschwindigkeit wurde der Mercedesfahrer zu einer Geldbuße von 100 DM verurteilt.
Noch einmal Glück am Bahnübergang
Während einer Streifenfahrt passierten wir zwischen Emsbüren und Salzbergen (Bereich Ahlde) einen beschrankten Bahnübergang. Unmittelbar hinter dem Bahnübergang ratterte hinter uns bei geöffneten Schranken ein Zug über die Gleise. Wir haben dem Schrankenwärter, der den Zug „verschlafen“ und folglich die Schranken nicht geschlossen hatte, anständig die Leviten gelesen. Ich weiß nicht mehr, wozu wir uns entschieden haben; meine aber, dass es bei diesem mahnenden Gespräch blieb, weil dem Schrankenwärter bei einer Meldung die Entlassung gedroht hätte.
Unmöglicher Revierleiter oder unmögliche Pressemitteilung?
Mit unserem Revierleiter (ich nenne ihn mal R.) kam ich überhaupt nicht klar. Einmal ließ er mich morgens gegen 11.00 Uhr nach einem Nachtdienst von Kollegen aus dem Bett holen. Ich erhielt Order, mich sofort bei R. wegen einer Pressemitteilung zu melden. Was war geschehen?
Eine unmögliche Pressemitteilung?
Ich hatte im Nachtdienst einen Verkehrsunfall aufgenommen. Als ich mit dem Schreiben der Unfallanzeige beschäftigt war, kam mein Schichtführer Adolf B. zu mir und fragte, ob er für mich die Pressemitteilung schreiben solle. Ich hatte selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden. Anschließend zeigte mir Herr B. die Pressemitteilung, die ganz in meinem Sinne war. Mein Revierleiter hatte aber etliche Einwände.
Ich habe auf Weisung des Revierleiters die Pressemitteilung neu formuliert, fand aber keine Gnade, sodass R. sich selbst ans Werk machte. Ihm, R., habe ich nicht gesagt, dass die ursprüngliche Pressemitteilung von meinem Schichtführer gefertigt worden war.
Mit B. habe ich in der nächsten Schicht darüber gesprochen. Er war insbesondere darüber entsetzt, dass ich nach einem Nachtdienst wegen einer solchen Lappalie aus dem Bett geholt worden war. Er, B., der einzige Beamte unseres Reviers mit Abitur, ging im nächsten Tagesdienst schnurstracks zu R., um diesem, wie er sich ausdrückte, einmal deutlich die Meinung zu sagen. Dazu war er auch durchaus in der Lage.
Kurz nach meinem Dienstantritt in Lingen habe ich eine Bewerbung für die Zulassung zur Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst geschrieben. Mein Abschnittsleiter D. machte mir klar, dass ich noch zu jung für diese Ausbildung sei, womit er vielleicht Recht hatte. Ich wurde aber auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet.
Erfahrungen mit der Strafjustiz:
Richter H.: gnadenlos
In Freren, einem kleinen Ort im damaligen Landkreis Lingen, gab es wohl eines der kleinsten Amtsgerichte in Deutschland. Dort herrschte einzig und allein Richter H., ein kantiger und kauziger Mann. Seine Gerichtsverhandlungen hielt er im Befehlston ab. Man kam sich vor wie auf einem Kasernenhof.
Wer es als Angeklagter oder Rechtsanwalt auch nur ansatzweise wagte, eine polizeiliche Zeugenaussage in Zweifel zu ziehen, hatte schon verloren.
Einmal bekam ich aber als Zeuge auch „mein Fett weg“, weil ich es gewagt hatte, zu einer Gerichtsverhandlung in Zivilkleidung zu erscheinen. Vor dem Amtsgericht Freren und somit bei Richter H. herrschte für Polizisten absoluter Uniformzwang.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Foto: privat
Polizeihauptwachtmeister (PHW) Ernst Hunsicker (Februar 1967)
Kurz darauf erhielt ich von einer Stellenausschreibung für den Vollzugsdienst in der Kriminalpolizei Kenntnis. Ich habe es erneut mit einer Bewerbung versucht und durfte an einem schriftlichen und mündlichen Auswahlverfahren bei der Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück und im Landeskriminalamt Hannover teilnehmen.
Der mündliche Teil des Auswahlverfahrens im Landeskriminalamt vor einer Kommission hochrangiger Kriminalbeamter war ziemlich stressig. Nach einiger Zeit bekam ich Nachricht, dass ich für den Kriminaldienst geeignet sei, und ich durfte mich am 1. April 1967 bei der Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück zum Dienstantritt melden. Meine Amtsbezeichnung lautete von da ab „Polizeihauptwachtmeister im Kriminaldienst“.
Ach ja, nach dem Vorliegen dieser Bewerbung musste ich mich bei meinem Abschnittsleiter melden. Er wollte mich umstimmen und machte mir Hoffnung, bei einer weiteren Bewerbung zur Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst der Schutzpolizei zugelassen zu werden. Nun wollte ich aber nicht mehr und bestand auf Weiterleitung meiner Bewerbung für den mittleren Kriminaldienst.
Zu unseren Aufgaben gehörte auch die Aufnahme aller Verkehrunfälle. Darunter waren auch etliche mit tödlichem Ausgang. Einer ist mir noch besonders im Gedächtnis:
Der Unfalltod von drei jungen Menschen
In einem Nachtdienst wurden wir (Dieter W. und ich) zu einem Verkehrsunfall gerufen, der sich auf gerader Strecke zwischen Lingen und Thuine ereignete.
Ein „VW Käfer“ hatte sich regelrecht um einen Baum gewickelt. Im Pkw befanden sich zwei junge Frauen und zwei junge Männer. Ein Mann, der aus dem Fahrzeug geschleudert worden war, überlebte. Die anderen drei jungen Menschen erlitten tödliche Verletzungen.
Am Unfallort erschienen „Hilfswillige“, die teils erheblich alkoholisiert waren. Wir hatten große Mühe, die Alkoholisierten davon abzuhalten, die leblosen und eingeklemmten Körper mit Brachialgewalt aus dem Pkw zu zerren.
Die Unfallursache konnte damals nur vermutet werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Pkw-Fahrerin auf dieser wildreichen Strecke einem Stück Wild ausweichen wollte und dabei von der Fahrbahn abkam.
Im Laufe der Nacht erschienen die Angehörigen der Verstorbenen auf der Wache, weil sie einfach nicht glauben wollten, dass ihre Kinder bzw. Geschwister tödlich verunglückt waren. Wir mussten dann immer wieder diese Tragödie vermitteln.
Schon damals hat es sich bewährt, bei der Übermittlung von Todesnachrichten einen Geistlichen und zusätzlich einen Arzt (am besten den Hausarzt) hinzuzuziehen.
Ein anderer Pkw-Fahrer hatte bei überhöhter Geschwindigkeit einmaliges Glück, weil ihn sein Schutzengel offenbar mit großer Geschwindigkeit begleitete:
Die „fliegende“ Kuh
Dieser Pkw-Fahrer, der mit seinem „Fiat Spider“ in den frühen Morgenstunden im Sommer bei Tageslicht zwischen Salzbergen und Holsterfeld eine schmale Gemeindestraße nach eigenen Angaben mit ca. 140 km/h (!) befuhr, übersah eine ausgewachsene Kuh, die von einer Weide entwichen war und mitten auf der Straße gestanden haben muss. Die Kuh wurde von dem „Fiat Spider“ so erfasst, dass sie in hohem Bogen in die Weide zurückflog. Dieser Zusammenprall bedeutete den Tod der Kuh. Der „Fiat Spider“ war ohne Dach. Der Pkw-Fahrer hatte den Unfall völlig unverletzt überstanden.
Zu meinem „Abschied“ aus dem uniformierten Polizeidienst wurde ich „ausgekleidet“ und musste meine gesamte Ausrüstung abgeben. Abschied nehmen musste ich auch von Familie Sch., bei der ich während meiner Lingener Zeit mit Familienanschluss in Lingen-Laxten, Am Mühlenbach, gewohnt habe.
5. Kapitel Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück – Ausbildung für die Kriminalpolizei – (April 1967 bis März 1968)
Die Ausbildung für den kriminalpolizeilichen Dienst bei der Landeskriminalpolizeistelle (LKP-Stelle) Osnabrück war umfassend. In den ersten vier Wochen erhielt ich zusammen mit den anderen Kriminalanwärtern praxisorientierten Unterricht. Danach wurden wir in den acht Kommissariaten informatorisch beschäftigt, durften auch schon Anzeigen, Vermerke und kleinere Berichte schreiben.
Durchschriften aller Schriftstücke waren auf dem Dienstweg dem jeweiligen Kommissariatsleiter, Inspektionsleiter und dem Kripochef Waldemar („Waldi“) B. vorzulegen. Danach erhielten wir unsere „Ergüsse“ zurück, die sich auf dem Dienstweg durch verschiedenfarbige Randnotizen nahezu in Kunstwerke verwandelt hatten. Besonders großen Wert legte man auf rechtliche und fachliche Richtigkeit, Rechtsschreibung sowie Gliederung/Aufbau der schriftlichen Arbeiten.
Die Randnotizen waren nicht nur konstruktiv-kritisch, sondern auch durchaus aufbauend.
Fast unglaubliche Geschichten:
Während meiner Ausbildung habe ich mehrere – fast unglaubliche – Geschichten erlebt. Auf zwei davon gehe ich mal etwas näher ein:
„Sie sind für die Kriminalpolizei ungeeignet!“
Eines Tages wurde ich von dem Geschäftszimmerbeamten Franz T. mit strenger Miene aufgefordert, mich umgehend bei Kriminalhauptkommissar (KHK) Otto Sch. zu melden. Ich ahnte nichts Gutes, war mir aber keiner Schuld bewusst.
Von KHK Sch. wurde ich mit einem bösen Blick taxiert und mit „Sie sind für die Kriminalpolizei ungeeignet!“ empfangen. Ich erkundigte mich vorsichtig nach dem Grund. Sch. war ungehalten, dass ich überhaupt eine solche Frage zu stellen wagte. Dann ergab sich etwa folgender Dialog, der hier verkürzt wiedergegeben wird:
Sch.: Der Kriminaldienst zeichnet sich durch ein hohes Maß an Verschwiegenheit aus.
Hunsicker: Das sehe ich auch so.
Sch.: Dann sollten Sie das aber auch beherzigen.
Hunsicker: Tue ich auch.
Sch.: Tun Sie nicht. Der Kollege … hat Ihnen doch vor ein paar Tagen Fotos von seiner Frau gezeigt und Sie haben anderen Kollegen davon erzählt.
Hunsicker: Nein. Was wäre übrigens so schlimm daran, wenn mir der Kollege Fotos von seiner Frau gezeigt und ich darüber im Kollegenkreis gesprochen hätte?
Sch. (zögernd): Es waren etwas delikate Fotos.
Hunsicker: Solche Fotos habe ich nie gesehen.
Sch. (jetzt stark erregt): Das darf doch wohl nicht wahr sein.
Hunsicker: Doch, das ist die Wahrheit.
Sch. (inzwischen zweifelnd): Sie sind doch Herr … (namentlich genannt wurde ein anderer Kriminalanwärter mit in etwa gleich lautendem Namen).
Hunsicker: Nein, mein Name ist Hunsicker.
Sch. (ohne sich zu entschuldigen): Sie können jetzt gehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Kriminalrat Waldemar Burghard (42), Niedersachsens jüngster Regierungs- und Kriminalrat, macht’s möglich: Ganoven meiden Osnabrück. Denn die Kriminalpolizei dieser Stadt konnte in einem Jahr 150 Verbrecher – davon 88 schwere Jungen – dingfest machen.[2]
Unter Kripochef Waldemar B. wurde im 5. Kommissariat eine Fahndung von bundesweiter Vorbildfunktion aufgebaut, für die Kollege Werner Sch. verantwortlich war. Die Fahnder waren insbesondere zur Nachtzeit „auf Streife“, um Informationen über Straftaten und Straftäter zu gewinnen. Dazu wurden auch Lokale aufgesucht, in denen eine bestimmte Klientel verkehrte (Straftäter, Hinweisgeber/Informanten, Dirnen, „HwG-Personen“[3]).
„Wir machen keine Gefangenen im Milieu!“
Zusammen mit Chef-Fahnder Werner Sch. und Fahnder Heinrich K. war ich auf einer solchen Streife, und wir suchten auch die „Capri-Bar“ an der „Iburger Straße“ in Osnabrück auf. Sch. und K. standen an der Theke und unterhielten sich mit dem Gastwirt. Ich saß etwas abgesetzt an einem Tisch, um das mir bis dahin wenig bekannte Milieu auf mich wirken zu lassen.
Plötzlich schrie eine Frau auf, und ich sah, wie ein Mann auf diese Frau einschlug, ihr die Handtasche entriss und damit nach draußen flüchtete. Ich rannte hinter dem Täter her und konnte ihn in einem Hauseingang stellen.
Mächtig stolz kam ich mit dem Täter und der geraubten Handtasche in die „Capri-Bar“ zurück. Ich erwartete Anerkennung, fing mir aber einen Anschiss von K. ein, der mich wissen ließ, dass sich die Fahndung nicht um solche Straftaten im Milieu kümmert. Drohend kam hinterher „Die Strafanzeige schreiben Sie aber!“, was in diesem Augenblick für mich das geringere Übel war.
Kontakt mit einem Schwerverbrecher:
Bruno Fabeyer
Während meiner informatorischen Beschäftigung im 5. Kommissariat lernte ich auch den Schwerverbrecher Bruno Fabeyer[4] kennen. Der unter anderem wegen eines Tötungsdelikts an dem 46 Jahre alt gewordenen Polizeiobermeister Heinrich Brüggemann bundesweit gesuchte „Waldmensch Fabeyer“ war am 24. Februar 1967 verhaftet worden und saß in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Osnabrück ein. Fahndungsbeamter Helmuth H. hatte in der JVA noch einige Fragen an Fabeyer.
Der tat aber im Vernehmungszimmer so, als wären wir gar nicht anwesend. Als Kollege H. ein paar Zigaretten vor sich auf den Tisch legte, „schoss“ Fabeyer geradezu über den Tisch und riss die Zigaretten in Raubkatzenmanier an sich. Danach war er zugänglicher und im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten gesprächsbereit.
Kriminalpolizeiliche Ausbildungspraxis:
Die erste „Leichensache“
Während meiner Ausbildungszeit im 1. Kommissariat, in dem hauptsächlich unnatürliche Todesfälle („Leichensachen“) und Branddelikte bearbeitet wurden, hatte ich keinen festen „Bärenführer“[5] . Die Zuteilung richtete sich zumeist nach den Neueingängen, die im Nachtdienst bzw. am Wochenende „angefallen“ waren.
Bei der geografischen Ausdehnung der LKP-Stelle Osnabrück (zuständig für die Stadt und den Landkreis Osnabrück) verging kaum ein Nachtdienst/Wochenende ohne Leichen- oder Brandsachen, die im „Ersten Angriff“ von den Beamten der Kriminalwache (K-Wache)[6] bearbeitet wurden. Die weiteren Ermittlungen erfolgten dann als Sofortsachen durch das 1. Kommissariat als dem zuständigen Fachkommissariat.
Eines Morgens wurde ich dem Kollegen „Rudi“ H. zugeteilt, der einen gerade gemeldeten Suizid in Hasbergen abschließend bearbeiten musste. Auf dem Dachboden eines Marktes hatte sich ein Mann erhängt; Fremdverschulden konnte ausgeschlossen werden. Kein spektakulärer Fall, aber für mich erste praktische Hinweise, was bei so genannten „Hängeleichen“ und unnatürlichen Todesfällen allgemein zu beachten ist (beispielsweise Bewertung der Strangfurche, der Totenflecken und der Totenstarre; Entkleiden der Leiche). Und immer wieder der Hinweis, dass auch bei „Hängeleichen“ ein Fremdverschulden nicht auszuschließen ist (z.B. Verdeckung eines Tötungsdeliktes).
Die Ausbildung im 1. Kommissariat mit vielen unnatürlichen Todesfällen und Brandsachen war für meine spätere Tätigkeit auf der Kriminalwache und danach im Kriminaldauerdienst von besonderer Bedeutung, denn gerade beim „Ersten Angriff“ können in diesen Ermittlungsbereichen schwerwiegende Fehler gemacht werden.
In der Zeit vom 6. Dezember 1967 bis 29 März 1968 nahm ich an dem 34. Lehrgang Fachprüfung II (Kripo) im weit entfernten Uelzen teil. Ich war mit 23 Jahren der weitaus jüngste Lehrgangsteilnehmer.
6. Kapitel Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück (April 1968 bis September 1972)
Nach diesem Lehrgang wurde ich mit Wirkung vom 1. April 1968 vom Polizeianschnitt Lingen (Ems ) zur Landeskriminalpolizeistelle (LKP-Stelle) Osnabrück versetzt, zum Kriminalmeister ernannt und dem 3. Kommissariat (Betrug, Unterschlagung, Fälschungen, Wirtschaftskriminalität, Beamtendelikte) zur Dienstverrichtung zugewiesen.
Das 3. Kommissariat war mein Wunschkommissariat, da es mir dort während meiner informatorischen Beschäftigung besonders gefallen und ich eine gute Erinnerung an den Kommissariatsleiter, Kriminaloberkommissar (KOK) Albert R., hatte. KOK R. war ein ausgezeichneter Fachmann und zugleich ein hervorragender Ausbilder für den kriminalpolizeilichen Nachwuchs.
Als „Neuer“ musste ich damit anfangen, was allen Anfängern in diesem Kommissariat vorher auch widerfahren war. Ich erhielt überwiegend Vorgänge, die mit betrügerisch agierenden Dachrinnenreinigern und Zeitschriftenwerbern („Drücker“) zu tun hatten.
Die Tätigkeit war aber durchaus interessant, da diese Klientel fast ausschließlich überörtlich Straftaten beging. Ich hatte dadurch auch häufiger mit einer ethnischen Minderheit zu tun, die „auf Rinne“ unterwegs war. Die Kontakte zu den Sinti waren – im dienstlichen Interesse – ganz ordentlich. Manchmal wurde ich auch helfend in Anspruch genommen.
Eine suizidgefährdete Sintiza
Eines Tages bekam ich von einem Arzt den Hinweis, dass sich eine Patientin (ich nenne sie mal Frau X) in großer Gefahr befinde, Selbsttötung zu begehen. Frau X sei wegen Depressionen bereits seit Jahren bei ihm in Behandlung.
Ich habe Frau X in ihrer Wohnung aufgesucht, um mir ein Bild zu machen. Frau X berichtete, dass sich ihr Ehemann in der Justizvollzugsanstalt befinde und keinen Hafturlaub erhalte. Zur Klärung einer wichtigen familiären Angelegenheit müsse er aber unbedingt ein paar Tage Urlaub bekommen.
Ich war überzeugt, dass die von ihrem Arzt befürchtete Selbsttötung nicht vorgespielt war. Über die Staatsanwaltschaft Osnabrück konnte ich erreichen, dass Herr X drei Tage Hafturlaub bekam, von dem er auch pünktlich zurückkehrte.
Mein Entgegenkommen hatte viele Jahre später für mich positive Nachwirkungen (vgl. 18. Kapitel, „Autoattacke“ gegen Hunsicker).
In der Anfangszeit saß ich zusammen mit zwei weiteren Beamten („Hannes“ O., Gerd W.) in einem Dienstzimmer am „Neuer Graben“, wo sich einige ausgelagerte Kommissariate befanden. Das Hauptgebäude („Mutterhaus“) war an der „Hannoverschen Straße“. Zu dritt auf einem Zimmer war es nicht so ganz einfach, zumal es auch kein separates Vernehmungszimmer gab. Aber irgendwie haben wir uns arrangiert. Bald darauf konnte ich in das Dienstzimmer des Kollegen „Bobby“ L. wechseln, wo wir zu zweit saßen. Mit Bobby habe ich mich bestens verstanden. Mehr scherzhaft bezeichnete er sich selbst gern als „Bürovorsteher“.
„Falscher Türke“:
Ibrahim S.: ein Passfälscher und Fliegenfänger von Format
Während meiner Zeit im 3. Kommissariat ging ein Hinweis auf einen türkischen Passfälscher ein, der sich in ein näher bezeichnetes Hotel in der Osnabrücker Innenstadt eingemietet hatte.
Nach entsprechenden Ermittlungen erhielten wir einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für das Hotelzimmer, das wir in Anwesenheit des hinzugezogenen Hoteliers – aber in Abwesenheit der nicht angetroffenen Zielperson – durchsucht haben.
Tatsächlich fanden wir im Hotelzimmer einen großen Koffer voller Fälschungsutensilien (Blankopässe, Fotos, Siegel, Stempel, Adressen einer Vielzahl von Personen usw.). Darunter auch mehrere Pässe mit abweichenden Personalien, die aber alle das Foto ein und derselben Person enthielten. Ganz offensichtlich war unsere Zielperson unter verschiedenen Aliasnamen und mit entsprechend gefälschten Pässen unterwegs.
KOK R., unser Kommissariatsleiter, wurde telefonisch in Kenntnis gesetzt. Er kam, um uns bei der vorläufigen Festnahme der erwarteten Zielperson zu unterstützen.
Nach einiger Zeit erschien dann auch Ibrahim S. (oder so). Er war völlig überrascht und wir konnten ihn problemlos vorläufig festnehmen. Das Amtsgericht Osnabrück erließ einen Haftbefehl und Ibrahim S. kam als Untersuchungshäftling in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Osnabrück, wo er mehrere Monate bis zu seiner Abschiebung in die Türkei einsaß. Bis dahin waren aber noch umfangreiche kriminalpolizeiliche Ermittlungshandlungen angesagt.
Wenn die Akten von der Staatsanwaltschaft mit weiteren Ermittlungsaufträgen bei mir als Sachbearbeiter eingingen, befanden sich darin immer gleich mehrere Beschwerdeschreiben des Herrn S. Insbesondere war er mit den Haftbedingungen in der JVA Osnabrück nicht einverstanden. Zum Beweis waren den Akten Briefumschläge beigefügt, in denen sich so genannte Stubenfliegen befanden, die Ibrahim S. in seiner Zelle gefangen und anschließend getötet hatte.
Ungewöhnliche „Wohnqualität“:
„Bretterranchromantik“ im südlichen Landkreis Osnabrück
In einem kleinen Kurort im südlichen Landkreis Osnabrück lebte eine Großfamilie, die aus drei oder vier Generationen bestand, gut 10 Personen umfasste und in einer windschiefen „Bretterranch“ hauste. Solche Wohnumstände kannte ich bis dato nur aus alten Wildwest-Filmen.
Ein Teil der Familienmitglieder war bei der Polizei mehr oder weniger bekannt und löste wiederholt Polizeieinsätze aus. Auch die Kolleginnen der damals noch existenten Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) mussten sich um die minderjährigen Familienmitglieder kümmern.
Aktuell lagen Strafanzeigen von Versandhäusern vor, weil dort Sachen bestellt worden waren, die nach Erhalt unbezahlt blieben.
Als wir, mein selbsternannter „Bürovorsteher“ „Bobby“ L., die WKP-Kollegin Ute K. und ich mit unserem mausgrauen VW-Standard an dieser „Bretterranch“, die mitten auf einem Acker stand, ankamen, wurden wir von einer Horde Kinder eigenartig „empfangen“: Fußtritte und Spuckattacken gegen unseren Dienstwagen.
Für Kollegin Ute, die nicht zum ersten Mal dieses Anwesen „besuchen“ durfte, war das nichts Neues. Sie hatte uns schon vor Erreichen der Örtlichkeit diesbezüglich gewarnt.
Die Bretterbude bestand, wie die Kollegin feststellte, nur noch zur Hälfte; die andere Hälfte diente im vorausgegangenen Winter wohl zur Befeuerung der Ofenstelle in einem noch verbliebenen Raum von maximal 30 qm. In diesem Raum lebten und schliefen alle Familienmitglieder. Vegetieren wäre eigentlich der richtige Ausdruck.
Einfach unvorstellbare und unhaltbare Zustände in jeder Beziehung Ende der 60er Jahre.
Eine weitere Kuriosität:
Ablagesystem „A bis Z“ und „Erben K.“
„Bobby“ L. hatte einen Vorgang wegen Konkursverschleppung o.Ä. gegen einen Fleischmarkt aus dem Osnabrücker Raum in Bearbeitung. Ein Beschuldigter wohnte in einem Bungalow im Dienstbereich der Kripo Delmenhorst.
Mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Gepäck und mit Unterstützung von zwei Kollegen der örtlichen Kripo wollten „Bobby“ und ich den Bungalow durchsuchen. Im/am Objekt wurde niemand angetroffen, sodass ein Schlüsseldienst zum Öffnen der Haustür herangezogen werden musste.
In Abwesenheit des Beschuldigten und möglicher Familienmitglieder konnten wir uns in aller Ruhe in den Räumlichkeiten umsehen.
In einem Büroraum stießen wir auf ein Ablagesystem mit Fächern der Buchstaben von A bis Z. Die Fächer waren überwiegend leer; offenbar gab es nicht so ganz viel zum Ablegen. Zwei Fächer waren jedenfalls belegt: Unter „ C “ lagen mehrere Jerry C otton-Hefte[7] und unter „ W “ stießen wir auf ein Knäuel w eißer W olle. Wir fanden das damals ziemlich lustig.
Ob wir auch Beweiserhebliches für das Konkursverfahren sichergestellt haben, weiß ich nicht mehr. An eine „tatanzeigende Entdeckung“ (Zufallsfund gemäß § 108 StPO) kann ich mich noch gut erinnern:
Neben einer Matrizenmaschine lagen ein paar hundert hektographierte Schreiben mit der Überschrift „Erben K.“[8] . Inhaltlich dieser Schreiben war angeblich eine Person namens K. in der Tschechoslowakei verstorben, und unser Beschuldigter gab vor, als „Rechtsberater“ beauftragt worden zu sein, die Erben für einen lukrativen Nachlass der Person K. ausfindig zu machen. Klar, dass sich aus dem Schreiben auch ergab, dass vor Aufnahme dieser Tätigkeit erst einmal eine nicht unerhebliche Bearbeitungsgebühr auf das Konto des „Rechtsberaters“ zu überweisen war.
Das System war leicht zu durchschauen: Personen mit dem Namen „K.“, die sich ja schnell aus Telefonbüchern herausfinden ließen, sollten ein solch Hoffnung erweckendes Schreiben erhalten, wobei es „unserem Rechtsberater“ wohl nur auf die einzustreichende Bearbeitungsgebühr ankam. Folglich haben wir die Matrize und die hektographierten Schreiben sichergestellt und eine Strafanzeige wegen Verdachts des (versuchten) Betruges und wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz geschrieben.
Am nächsten Tag meldete sich der von der Durchsuchung und Sicherstellung Betroffene telefonisch bei „Bobby“. Er war äußerst ungehalten, denn ihm war ein vielleicht lukratives Geschäft „durch die Latten gegangen“.
Die Landeskriminalpolizeistelle Osnabrück verfügte zu der Zeit über drei Mordkommissionen, die bei Tötungsdelikten zum Einsatz kamen. Durch eine Kollegin, die den Auftrag hatte, eine Dienstanweisung über die Besetzung dieser Mordkommissionen zu schreiben, bekam ich mit, dass ich Mitglied der 1. Mordkommission geworden war. Es galt als ganz besondere Auszeichnung, zur 1. Mordkommission zu gehören.
[...]
[1] Norbert Grupe junior, (*25. August 1940 in Berlin; †10. März 2004 bei Puerto Vallarta, Mexiko), war ein deutscher Profiboxer.
Grupe begann seine sportliche Karriere in den 50er Jahren an der Seite seines Vaters in Wrestling-Shows. Bei Auftritten in den USA legte er sich hierfür den Namen Prinz Wilhelm von Homburg zu, unter anderem auch weil sein deutscher Name im Englischen „Groupie“ ausgesprochen wurde.[…] 1962 wechselte er über zum Profiboxen. Von 46 Profikämpfen gewann er 29; jedoch konnte der Halbschwergewichtler nie einen Weltmeister- oder Europameistertitel erringen.
Legendär ist sein Auftritt am 21. Juni 1969 im Aktuellen Sportstudio des ZDF nach seiner Niederlage in der dritten Runde gegen Óscar Bonavena, als Grupe im Laufe des Interviews auf Fragen des Moderators Rainer Günzler nicht mehr antwortete. […] Hintergrund war ein vorangegangener Beitrag Günzlers für die ZDF-Sendung Sportspiegel, in dem sich Günzler kritisch mit den sportlichen Leistungen Grupes auseinandersetzte und sich eher abfällig zu Grupes manchmal skurrilen Auftritten in der Öffentlichkeit ausließ. Daraufhin soll Grupe vor Freunden geschworen haben: „Das kriegt der zurück!“ … (Norbert Grupe – Wikipedia)
[2] Die ‚James Bonds’ von Osnabrück – Die Kriminalisten vom ‚5. K’ geben das Beispiel: Mit modernen Methoden fängt man mehr Verbrecher, in: BILD am SONNTAG vom 20. Juni 1965 (doppelseitiger Bericht).
[3] HwG = H äufig w echselnder G eschlechtsverkehr.
[4] Bruno Fabeyer:
- „Er starb einsam und anonym - Bis zuletzt mißtraute er fast allen“und „Er hat wie ein Fuchs im Wald gelebt und die Polizei genarrt“ - Verbrecherjagd als Medienspektakel: Gegen Bruno Fabeyer war der Fahndungsapparat hilflos - Der Gejagte wollte kein Mörder sein; jeweils in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 1. Mai 1999, Seite 13 (ganzseitige Berichterstattung).
- Kerstin Staben, Jagd auf den Waldmenschen – Die Suche nach einem Phantom (NDR 1 Niedersachsen), Seiten 33-39, in: Dem Verbrechen auf der Spur – Die spektakulärsten Kriminalfälle Niedersachsens, Schlütersche Verlagsgesellschaft Hannover (2006).
- Kriminalfälle: Raubmörder Fabeyer aus Niedersachsen (gesendet auf „N 3 - Hallo Niedersachsen“ am 24.06.2006, 19.30 Uhr; Ernst Hunsicker als Interviewpartner von Kerstin Staben).
[5] Bezeichnung für Beamte, denen man zur Ausbildung in einem Fachkommissariat fest zugeteilt war.
[6] Die Kriminalwache war außerhalb der Regeldienstzeit durch zwei Beamte besetzt, die aus fast allen Fachkommissariaten kamen (Weibliche Kriminalpolizei und Erkennungsdienst versahen Rufbereitschaft): Ein in der Sachbearbeitung erfahrener Kriminalbeamter fungierte als Wachhabender, ein zumeist jüngerer Kriminalbeamter war als so genannter „Läufer“ eingesetzt, und er führte die Ermittlungen an den Tat- bzw. Ereignisorten. Erste später wurde der Kriminaldauerdienst (KDD) mit vier festen Wachgruppen eingerichtet.
[7] Jerry Cotton – Wikipedia: „ Jerry Cotton ist die im deutschsprachigen Raum kommerziell erfolgreichste Serie von Kriminalromanen. Sie werden der Trivialliteratur bzw. den so genannten Heftromanen zugerechnet. Erfinder der Serie ist Delfried Kaufmann. Die Gesamtauflage beträgt ca. 850 Millionen Exemplare;“ …
[8] Köhler, Körner o.Ä.
- Quote paper
- Ernst Hunsicker (Author), 2009, Highlights: Authentische Polizei- und Kriminalgeschichten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141851
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