5000 Jahre Schriftsprache: Von den Hieroglyphen über Johannes Gutenberg zur schriftlichen Kommunikation im InterNetz
Durch die noch jungen Möglichkeiten der Netzkommunikation ergeben sich Änderungen der Standarddruckschriftsprachen, vor allem im Bereich der Unterhaltung und Freizeitgestaltung im Netz. Denn die schrift-basierte Sprache nimmt in vielen Kommunikationssystemen mündlich-basierte Formen an, wodurch eine Form der Nähe simuliert wird, auch wenn die schriftlich miteinander kommunizierenden Personen durch Kontinente und Zeitzonen voneinander getrennt sind.
Aus privatem Interesse habe ich mich vor einigen Jahren – noch vor Beginn meines Linguistikstudiums – als Mitglied der Internet-Community einer deutschen Frauenzeitschrift registrieren lassen. Beim Lesen mancher Diskussionsstränge stellte sich von Jahr zu Jahr zunehmend mehr die Frage, wie es möglich ist, sich in schriftlicher Form regelrecht zu „streiten“.
Welche schriftsprachlichen Mittel können einen Streit auslösen? Wie kommt es zu schriftlichen Eskalationen? Was kann zur Deeskalation beitragen? Wieso wird vor dem Bildschirm gelacht oder geweint? In welcher Form übt die schriftliche Ausdrucksweise mancher Community-Mitglieder Einfluss auf die Gefühle der Lesenden vor dem Bildschirm aus? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Magisterarbeit auf den Grund gegangen werden. Zur Beantwortung bedarf es nicht nur umfangreicher Recherchen in der sprachwissenschaftlichen Literatur, sondern auch in Abhandlungen aus der Sozialpsychologie, der Soziologie sowie den Kommunikations- und Medienwissenschaften.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Schriftliche Kommunikation im Internet
2.1 „Räume“ schriftlicher Kommunikation im Internet
2.2 Internetforen
2.2.1 Forentechnik
2.2.2 ForennutzerInnen
2.2.3 Online-Gemeinschaften
2.3 Emotionen
2.3.1 Nonverbale Kommunikation
2.3.2 Darstellung von Emotionalität im Internet
2.3.3 Nähe und Distanz
2.3.4 Schriftlich streiten im Internet
2.4 Besondere Darstellungsformen + Stilmittel in der interaktiven Schriftlichkeit
2.4.1 Akronyme und Inflektive
2.4.2 Hervorhebungen und Iterationen
2.4.3 Disclaimer und Onomatopoetika
2.4.4 Anreden, Begrüßungen und Verabschiedungen
2.4.5 Elliptische Konstruktionen und Fortsetzungspunkte
2.4.6 Interjektionen und Gesprächspartikeln
2.4.7 Assimilationen, Reduktionen und Dialekt
2.4.8 Graphostilistische und graphische Emoticons
3 Die Brigitte -Community
3.1 Statistische Angaben
3.2 Vorstellung spezieller Eigenheiten
3.3 Technische Möglichkeiten
4 Exemplarische Analyse eines Forenthreads
4.1 Skizze des Inhaltes
4.2 Vorstellung der TeilnehmerInnen
4.3 Die Vielfalt der besonderen Darstellungsformen + Stilmittel
4.4 Menschen – Buchstaben – Emotionen
4.4.1 Beginn der Diskussion / Episoden 1.) und 2.)
4.4.2 Der Spendenmarathon / Episoden 3.) bis 5.)
4.4.3 Kritik- und Streitsequenzen / Episode 6.)
4.4.4 „Frieden schaffen ohne Waffen“ / Episoden 7.) bis 9.)
4.4.5 Streit mit Threadschließung als Folge / Episoden 10.) und 11.)
4.4.6 Fazit
5. Schlusswort
Literaturverzeichnis
Anhang zur Magisterarbeit
Anhang I: 49 Postings in der Bildschirmansicht
Anhang II: Forenthread in der Druckversion
1 Einleitung
Die ersten Schriftformen wurden bekanntlich schon vor etwa 5000 Jahren in Ägypten und China entwickelt. Als Johannes Gutenberg dann Mitte des 15. Jahrhunderts verschiedene Methoden einführte, die den Buchdruck wirtschaftlich machten, hatte dies weitreichende Auswirkungen auf die Sprachgemeinschaften, da die Reichweite und Frequenz der Kommunikation aus der Distanz heraus zunahm (vgl. Schlobinski 2005: 6). In Anbetracht dieser langen Zeitspanne ist die seit 1989/1990 bestehende Möglichkeit, als Privatperson „worldwide“ (vgl. ebd.: 1) mit anderen Menschen schriftlich, teilweise sogar simultan, im Internet zu kommunizieren, als radikal neu anzusehen.
Durch diese noch junge Möglichkeit der Netzkommunikation ergeben sich wiederum Änderungen der Standarddruckschriftsprachen, vor allem im Bereich der Unterhaltung und Freizeitgestaltung im Netz. Denn die schrift-basierte Sprache nimmt in vielen Kommunikationssystemen mündlich-basierte Formen an, wodurch eine Form der Nähe simuliert wird (vgl. ebd.: 7), auch wenn die schriftlich miteinander kommunizierenden Personen durch Kontinente und Zeitzonen getrennt sind.
Aus privatem Interesse habe ich mich vor einigen Jahren – noch vor Beginn meines Linguistikstudiums – als Mitglied der Internet-Community einer deutschen Frauenzeitschrift[1] registrieren lassen. Beim Lesen mancher Diskussionsstränge[2] stellt sich von Jahr zu Jahr zunehmend mehr die Frage, wie es möglich ist, sich in schriftlicher Form regelrecht zu „streiten“.
Welche schriftsprachlichen Mittel können einen Streit auslösen? Wie kommt es zu schriftlichen Eskalationen? Was kann zur Deeskalation beitragen? Wieso wird vor dem Bildschirm gelacht oder geweint?
In welcher Form übt die schriftliche Ausdrucksweise mancher Community-Mitglieder („User“) Einfluss auf die Gefühle der Lesenden vor dem Bildschirm aus? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Magisterarbeit auf den Grund gegangen werden. Zur Beantwortung bedarf es nicht nur umfangreicher Recherchen in der sprachwissenschaftlichen Literatur, sondern auch in Abhandlungen aus der Sozialpsychologie, der Soziologie sowie den Kommunikations- und Medienwissenschaften.
In Kapitel 2 wird ein kurzer Überblick über verschiedene Arten schriftlicher Kommunikation im Internet, Möglichkeiten der Darstellung von Emotionalität – mit besonderem Augenmerk auf das schriftliche Streiten im Netz – sowie eine Auswahl besonderer Darstellungsformen und Stilmittel in der interaktiven Schriftlichkeit gegeben. Das 3. Kapitel beschäftigt sich mit der Beschreibung der Brigitte-Community, aus der ein umfangreicher Thread zur exemplarischen Analyse ausgewählt wurde, welche in Kapitel 4 erfolgt. Hier liegt mein Schwerpunkt in erster Linie auf der Vielfalt der nähesprachlichen und technischen Mittel im Kontext der Emotionalität. Mit einem Fazit, in dem die Forschungsergebnisse zusammenfassend erläutert und Antwortmöglichkeiten auf die zu Beginn gestellten Fragen angeboten werden, endet das 4. Kapitel.
2 Schriftliche Kommunikation im Internet
„Das Internet ist in den modernen Industrie- und Wissensgesellschaften eine nicht mehr wegzudenkende Kommunikationstechnologie, die als Voraussetzung für die Distribution und Produktion von Informationen und materiellen Produkten ebenso relevant ist, wie sie das Alltagsleben vieler Menschen und deren Kommunikationsverhalten beeinflusst.“ (Schlobinski 2005: 1)
Ein hervorstechendes Merkmal neuer Kommunikationstechnologien ist die Möglichkeit, mit einem oder mehreren (persönlich bekannten oder gänzlich fremden) Kommunikationspartner(n) in Kontakt zu treten, ohne sich am selben Ort aufhalten zu müssen und auch unabhängig von der Erreichbarkeit des/der Empfänger/s[3], da Botschaften gespeichert und später abgerufen werden können (vgl. Höflich 1987: 14).
Personen, die mittels eines elektronischen Mediums mit anderen Menschen Botschaften austauschen, müssen dies in der Regel tun, ohne diese Nachrichten durch Mimik, Gestik, Körperhaltung und -abstand, Prosodie etc. unterstreichen und sich dem Rezipienten somit eindeutiger verständlich machen zu können. Auch für den Empfänger einer Nachricht gilt, dass Botschaften anderer Diskursteilnehmer allein durch schriftsprachliche Mittel wahrgenommen werden können. Nach Höflich wird interpersonale Kommunikation verstanden als „regelgeleitetes, bedeutungsvolles und gleichwohl in umfassendere Handlungskonzepte eingebundenes situatives Geschehen“ (Höflich 1996: 25).
Schon in einer „face to face“ -Kommunikation zwischen zwei Gesprächspartnern besteht ein grundsätzliches Problem darin, dem Partner den eigenen Gesprächsbeitrag derart zu vermitteln, dass er versteht, was genau gemeint ist, da Äußerungen oftmals vage und/oder mehrdeutig beim Rezipienten ankommen. Kommunikationspartner geraten häufig in die Lage, sich nicht sicher sein zu können, die Bedeutungsvermittlung so eindeutig vollzogen zu haben, dass ein gegenseitiges Verstehen als Ziel erreicht wurde (vgl. ebd.: 30). Dennoch kann festgehalten werden, dass menschliche Kommunikation trotz diverser Unwägbarkeiten kein rein zufälliges Geschehen ist, weder im „face to face“ -Gespräch noch in interaktiver, elektronischer Kommunikation. Denn im Rahmen unseres Erstspracherwerbs lernen wir, uns an Regeln bzw. kommunikationsermöglichende Restriktiven zu halten (vgl. ebd.: 31).
Daher werden die in einem bestimmten Sprach- und Kulturraum gültigen Regeln zur Gesprächseröffnung, zum -verlauf, Rederecht, Sprecherwechsel etc. von nahezu all ihren native speakers intuitiv beherrscht (vgl. Schmitz 1996).
Ohne noch weiter auf diese äußerst vielschichtige Thematik einzugehen, lässt sich konstatieren, dass alle kommunikativen Handlungen kulturellen Standards unterliegen (vgl. Höflich 1996: 51). Diese haben sich im Bereich der elektronischen Kommunikation per Internet erst in den letzten drei bis vier Jahrzehnten entwickeln können und unterscheiden sich von den mündlichen Standards.
Kulturpessimisten sehen die das Internet nutzenden Menschen gern als schweigende einsame Gestalten, die vor dem PC sitzen und ihre sprachlichen Fähigkeiten verlieren, statt diese in Gesellschaft anderer Menschen weiter auszubilden.[4] Dabei wird die mündliche „face to face“ -Kommunikation in Form eines unerreichbaren Prototyps als Maßstab herangezogen (vgl. Thimm 2000: 9), obwohl der Vergleich mit persönlichen Briefen oder Leserbriefen in Zeitschriften näher liegen würde (vgl. Quasthoff 1997: 23). In der Tat hat die schriftliche Kommunikation per Computer ihre konzeptionellen Vorläufer z.B. in der Briefkommunikation. Unter den neuen Rahmenbedingungen der Netzkommunikation werden aber nicht nur sprachliche Muster aus etablierten schriftlichen Kommunikationsformen verwendet, sondern neue sprachliche Formen konzipiert, erprobt und schließlich konsequent verwendet (vgl. Weingarten 1997: 13).
Der zentrale Aspekt von computervermittelter Kommunikation ist die Interaktivität, mit der Raum- und Zeitzonen überwunden werden können (vgl. Runkehl/ Schlobinski/Siever 1998: 27). Quasi ohne Zeitverlust erreicht z.B. eine E-Mail ihren Adressaten in wenigen Minuten oder gar Sekunden (vgl. ebd.: 28), sofern dieser „online“, d.h. im Netz angemeldet, ist.
Zu den sprachwissenschaftlich bereits gut untersuchten Kommunikationspraxen zählen die Chat-[5], E-Mail- (vgl. Schlobinski 2005: 11) und Newsgroup-Kommunikation.
2.1 „Räume“ schriftlicher Kommunikation im Internet
Die Kommunikation im Chat[6] (-room) steht für eine nahezu synchrone schriftbasierte Direktkommunikation Pate und stellt somit eine absolute Novität in der Geschichte der Kommunikationsmedien dar (vgl. Storrer 2001b: 4).
Die im Chat produzierten Kommunikate sind üblicherweise an kurz zuvor produzierte Äußerungen anderer Teilnehmer gebunden und folgen in der Regel Paarsequenzen wie fragen-antworten oder bitten-danken. Das Treffen in einem Chatroom kann daher durchaus ein Telefonat oder eine Telefonkonferenz ersetzen und wird beruflich in dieser Funktion auch von verschiedenen Unternehmen bereits verwendet. Im Bereich der Freizeitaktivitäten dient das Chatten eher der Kontaktaufnahme und -pflege sowie dem Ausleben des Spieltriebs vieler Menschen, die sich in der Anonymität des Chats mit Hilfe unzähliger Masken verbergen oder enthüllen können (vgl. ebd.: 5).
Immer populärer wird die Kommunikation per E-Mail, die mittlerweile zu den häufigsten Internetaktivitäten gehört. Der „elektronische Brief“ hat sich als ernst zu nehmender Konkurrent der Institution „Post“ herausgestellt (vgl. Dürscheid 2005: 85), da er weder einen Briefumschlag noch eine Marke benötigt und innerhalb von Sekunden beim Empfänger eintrifft. Anders als beim Chat gibt es bei der E-Mail-Kommunikation Parallelen zu der vertrauten Form des papierenen Briefes (vgl. ebd.: 87).
Die E-Mail besteht aus einem briefumschlagähnlichen Header[7] und einem Body für den Textkörper, welcher optional um eine Signatur erweitert werden kann. Sie bietet zudem technische Möglichkeiten wie z.B. das Hinzufügen eines Hyperlinks[8] oder multimedialer Dateien sowie die Antwort-Funktion, welche ein Zitieren (Quoting)[9] ermöglicht (vgl. ebd.: 89f).
Die drei zentralen Komponenten des Schreibens, das Planen, Formulieren und Revidieren, können mehrfach durchlaufen werden, bevor die E-Mail versendet wird (vgl. ebd.: 90). Dennoch sind in der E-Mail-Kommunikation vergleichsweise mehr Schreibfehler zu finden als in Briefen, da der Leseprozess am Bildschirm wegen diverser Gegebenheiten in der Regel ungenauer abläuft (vgl. ebd.: 89).
Mit den negativen Auswirkungen der E-Mail-Technik z.B. in Form von Spam-Mails haben sich unter anderem Döring (2003) und Siever (2005) beschäftigt.
Als informelles, anarchistisches Netzwerk von Rechnern, die Nachrichten (News) austauschen, gilt das Usenet. Darin finden sich, nach thematischen Bereichen geordnet, Newsgroups – auch Diskussionsforen genannt – zu jedem denk- oder auch undenkbaren Thema. Im deutschsprachigen Raum beginnt jede Internetadresse einer Newsgroup mit dem Kürzel „de.“.[10] Daran schließen sich themenbezogene Kürzel wie „comp.“ (für Computerthemen), „rec.“ (Themen aus dem Freizeitbereich) oder „soc.“ (Kultur und Gesellschaft) sowie zur Subdifferenzierung geeignete weitere Informationen an (vgl. Thimm/Ehmer 2000:18).
Jede Newsgroup verfügt über eine Charta, einen kurzen Text, der Auskunft über die Themen gibt, die behandelt werden sollen (vgl. ebd.: 21), so dass jede Person sich vor ihrer Registrierung als Mitglied einen ersten Einblick verschaffen kann. Für Mitglieder besteht die Möglichkeit, eigene Beiträge an die Adresse der Newsgroup zu senden, welche dann an alle anderen Abonnenten der Group gesendet werden (vgl. ebd.: 22). Die Beiträge[11] verfügen E-Mail-ähnlich über Datums- und Absenderangaben sowie eine Betreffzeile. Ein Thema kann in einem Thread über einen längeren Zeitraum behandelt werden, wobei die Postings linear-chronologisch geordnet erscheinen. Oftmals ist eine große unbekannte Leserschaft[12] als nicht-partizipierende Öffentlichkeit mit „an Bord“.
Der Vergleich mit einem „globalen Schwarzen Brett“ liegt nahe (vgl. ebd.: 19). Allerdings trifft das nur auf den ersten Beitrag eines Threads zu, denn im realen Leben ist nur dieser (als Anfrage o. ä.) auf dem Schwarzen Brett angeschlagen, nicht aber sämtliche folgenden Antworten (vgl. Döring 1999: 24).
2.2 Internetforen
Auch die im World Wide Web (kurz: www), beheimateten Internetforen erreichen eine große Öffentlichkeit. Im Unterschied zu den Newsgroups sind sie jedoch üblicherweise auf einem organisations-, firmen-, oder gruppeneigenen Server gespeichert, erscheinen oftmals eingebunden in Homepages (etwa einer Zeitschrift, eines Fernsehsenders oder einer Interessengemeinschaft) und werden per URL (Uniform Ressource Locator) der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt (vgl. Habscheid 2005: 61).
Forenpostings bestehen (ähnlich E-Mails, Mailinglisten- und Newsgroup-Postings) aus Header und Body. Mehrere Postings zum selben Thema bilden den Thread. Es erscheint automatisch immer dieselbe Betreffzeile bei der Antwort, es sei denn, ein User macht sich explizit die Mühe, eine andere Betreffzeile zu schreiben (vgl. Döring 2003: 65). Wie in einer Newsgroup werden auch Forenpostings mit Datum, Betreff und Absender versehen, so dass die Absender – anhand des gewählten Pseudonamens – identifizier- und ansprechbar sind (vgl. Thimm & Ehmer 2000: 19). Im Gegensatz zu Newsgroup-Nachrichten sind Forenpostings nicht flüchtig. Vielmehr werden sie über einen langen Zeitraum gespeichert und teilweise sogar nach Abschluss der Diskussion archiviert.[13]
Die Überschriften der einzelnen Threads sind allen Usern als erstes zugänglich und laden sie ein, sich näher mit der Thematik zu befassen, also den Thread anzuklicken und die bisher eingegangenen Postings zu lesen. Innerhalb eines Threads sind drei Arten von Postings zu unterscheiden. Zuerst ist der Ini-tialbeitrag zu erwähnen, der ungerichtet ist und den Thread startet. Darauf folgen Postings, die Bezug auf Beiträge eines oder mehrerer User nehmen oder auch Beiträge mit Gesamtbezug, die sich nicht explizit auf Antworten anderer User beziehen (vgl. Stegbauer 2001: 162).
2.2.1 Forentechnik
Ein Forenbeitrag kann – wie auch ein E-Mail-Text – im nächsten Beitrag bzw. in der Antwort zitiert werden. Diese Zitierfunktion heißt Quoting. Der Beitragsschreiber kann den ganzen vorhergehenden Text oder Teile davon in sein eigenes Posting übernehmen (vgl. Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 32). Dadurch sind Auswirkungen auf die Textgestaltung zu beobachten. Denn die Integration von Bezugsstellen macht manche diskursdeiktischen Strategien, wie sie aus der herkömmlichen Briefkommunikation bekannt sind, überflüssig. Der Rezipient eines Beitrags, welcher ein Quoting enthält, ist allerdings angehalten, mindestens zwei Textebenen gleichzeitig kognitiv zu erfassen (vgl. Dürscheid 1999: 22). Wird beim Quoten die Angabe des Autors weggelassen, kann es zu Missverständnissen kommen (vgl. Thimm/Ehmer 2000: 22).
Bei Diskussionen im Thread entstehen durch das Quoting oftmals sehr komplexe Diskussionsbeiträge und das gesamte Korpus wird wesentlich umfangreicher.
Außerdem besteht im Bereich der Forenkommunikation die Möglichkeit, elektronische Verweise (Hyperlinks) auf andere Webadressen (Hypertexte) mit in ein Posting einzubauen (vgl. Jakobs/Lehnen 2005: 160). Hinter diesem Link verbergen sich entweder atomare Module wie etwa eine Zeichnung, eine Tabelle oder ein anderes Posting, oder komplexe Module, die den Weg zu einer privaten Homepage, Behörde, Firma etc. ebnen. Komplexe Module bestehen aus vielen einzelnen atomaren Modulen (vgl. ebd.: 163).
Hyperlinks sind an eine elektronische Umgebung gebunden. Als Textelement in einem Forenposting tragen sie, etwa in der Form von Deklarativen, zu der Konstitution von Sinn bei. Der User kann sie als Navigationshilfe zum Erlangen weiterer Informationen benutzen oder auch einfach überlesen (vgl. ebd.: 168). Da sich in den Hypertexten auch Bild- und Tondateien verbergen können, spielt die technische Ausstattung des eigenen Computers[14] eine große Rolle bei der Verwertbarkeit von Hypertexten.
2.2.2 ForennutzerInnen
Wer als User an einer Internet-Community aktiv teilnehmen möchte, wählt üblicherweise ein persönliches Pseudonym (einen persönlichen Nickname) aus mannigfaltigen Bereichen (Hobbys, Prominente, Flora und Fauna, Musik, Märchen, Comics, Phantasie etc.), um im anonymen Status interagieren zu können und trotzdem identifizierbar zu bleiben.
Hier ist die Forenkultur vergleichbar mit der Welt des Chattens und unterscheidet sich von der E-Mail- und der Newsgroup-Kultur (vgl. Runkehl/Schlobinski/Siever 1998: 85), in welchen eher unter dem realen Namen kommuniziert wird (vgl. Frindte/Köhler 1999: 65). Oftmals wird eine Zahl an den Nickname gehängt, die oftmals das Alter, das Geburtsjahr oder das Geburtsdatum darstellt. Im Diskurs werden diese Anhänge häufig nicht genutzt[15] (vgl. ebd.: 86).
Die Wahl des Pseudonamens wird als üblich angesehen, da dadurch ein Schutz der Privatsphäre gewahrt bleibt. Trotzdem wird in Online-Foren Authentizität gefordert, da keiner der vielen User, die sich mit einer Geschichte beschäftigen und persönliches Engagement einbringen, um einen Ratsuchenden zu unterstützen, am Ende erkennen möchte, dass er auf ein Fake (eine Fälschung)[16] hereingefallen ist (vgl. Döring 2003: 385). Ganz sicher ausgeschlossen werden kann dies in den Foren natürlich nie. Denn auch wenn ein User (trotz der Wahl eines Pseudonyms) ehrliche Angaben zu seiner Person bezüglich des Geschlechts, Alters und sozialen Status macht und dies auch von den anderen Usern annimmt, bleibt immer zu beachten, dass die wahrgenommene Wirklichkeit nicht real sein muss und die Kommunikation anonym bleibt (vgl. Thiedecke 2000: 27).
Aktive User finden sich in zwei Kommunikationsrollen wieder: Zum einen sind sie Rezipienten, die Beiträge lesen, zum anderen besteht die Möglichkeit, in die Produzentenrolle überzugehen und eigene Threads zu eröffnen (vgl. Runkehl/Schlobinski/Siever: 55) oder auf Beiträge anderer User zu antworten. Interessant ist das Verhältnis der User zu Beiträgen (poster to post ratio) oder der Threads zu Beiträgen (thread to post ratio). Bei der Betrachtung dieser Parameter kann erkannt werden, ob eine echte Interaktion stattfindet oder nur eine unidirektionale Dissemination von Beiträgen. Die relative Aktivität der einzelnen User kann Aufschluss darüber geben, wo ein User seinen Platz in der Zentrum-Peripherie-Struktur einer Gemeinschaft, aus der sich ein für die gesamte Forenstruktur wichtiger Kern von aktiven Teilnehmern (vgl. Androutsopulos/Ziegler 2003: 255) herausbildet, einnimmt.
Langjährige User einer Online-Community verfügen über gemeinsame Wissensbestände und Kommunikationsstile, die neue Nutzer zu Beginn ihrer Mitgliedschaft noch nicht teilen. So entwickelt sich ein Wort-Repertoire aus Quasi-Fachbegriffen, die nicht nur den neuen Mitgliedern fremd sind, sondern möglicherweise auch in anderen Foren und/oder Online-Gemeinschaften gar nicht vorkommen.[17] Teilweise bilden sich auch Höflichkeitsformalitäten hinsichtlich der Begrüßung, Adressierung und Verabschiedung sowie spezifische Routineformeln hinsichtlich des Zitierverfahrens oder der Mittel zum Ausdruck von Emotionen heraus (vgl. ebd.: 256).
In Diskussionsthreads ist die Auslebung kommunikativer Bedürfnisse der einzelnen User gut zu beobachten. Es kann sogar konstatiert werden, dass virtuelle Kommunikation ich-bezogener ist als die Kommunikation im Alltag (vgl. Soldo 2000: 110f). Manche Postings sind sehr kurz und knapp und verraten kaum etwas über den Schreibenden. Andere erstrecken sich in epischer Breite und stillen auf der einen Seite das Kommunikationsbedürfnis des Produzenten, beinhalten auf der anderen Seite aber auch unweigerlich viele Informationen – teils intimer Art – für den Rezipienten.
2.2.3 Online-Gemeinschaften
Um eine Online-Gemeinschaft zu bilden, ist ein gemeinsamer virtueller Treffpunkt und das Erreichen einer ausreichenden Anzahl an Teilnehmern ebenso notwendig wie eine regelmäßige Interaktion der Teilnehmer, die je nach Interesse an einem Thema in unterschiedlichen Abteilungen der Online-Gemeinschaft mit unterschiedlichen Kommunikationspartnern abläuft. Nur so kann es zur Herausbildung eines gemeinsam geteilten kommunikativen Repertoires sowie zur Entwicklung stärkerer Bindungen der verschiedenen Kommunikationsteilnehmer kommen (vgl. Androutsopoulos/Ziegler 2003: 254). In der Regel duzen sich die Kommunikationspartner (vgl. Dürscheid 1999: 26), was das Zusammengehörigkeitsgefühl fördert.
Die Kommunikation im Netz wird nicht nur durch die technischen Gegebenheiten bestimmt, sondern auch durch die Nutzer des Internets. Denn diese Menschen bilden virtuelle Gemeinschaften, nehmen aktiv an Diskussionen teil und gehen kreativ mit den Möglichkeiten der Netzkommunikation um (vgl. Frindte/Köhler 1999: 74).
Viele Personen lesen wochen- oder gar monatelang vor ihrer Registrierung Forenbeiträge und verwenden daher vom ersten Beitrag an gewisse Kommunikationsnormen, die in der jeweiligen Gemeinschaft gepflegt werden. So beziehen sich die User auf die Gemeinschaft selbst und entwickeln Verfahren der Kommunikationsregulation und der sozialen Kontrolle im gemeinsamen Miteinander. Der virtuelle Raum wird durch deiktische Ausdrücke wie „hier“ oder „bei uns“ zum virtuellen Zuhause vieler Teilnehmer (vgl. Androutsopoulos/Ziegler 2003: 255), die in Wirklichkeit in großer Entfernung voneinander agieren.
Die Bewertung der anderer Threadteilnehmer bzw. ihrer Beiträge zur Diskussion hängt unter anderem von dem Bekanntheitsgrad ab. Auf Beiträge von Personen, deren Schreibstil und Argumente man mag, wird in der Regel freundlicher eingegangen als auf Beiträge von Personen, die fremd sind, andere Themen bevorzugen und einen anderen Schreibstil präferieren (vgl. Stegbauer 2001: 179). Nicht anders läuft es in mündlichen Kommunikationssituationen ab; schließlich wird in allen sprachlich-kommunikativen Situationen „eine soziale Situation hergestellt, bestätigt und aufrechterhalten“ (Tophinke 2004: 97).
Die Interaktionsteilnehmer verständigen sich üblicherweise über ihre jeweiligen sozialen Rollen und ihr Verhältnis untereinander (vgl. ebd.: 97). Nach Beendigung der Interaktion ändern sich die Parameter zuweilen.
2.3 Emotionen
Als Basisemotionen bezeichnet Döring Ärger, Zuneigung, Freude, Überraschung, Traurigkeit, Furcht, Ekel und Erwartung. Beim Zusammentreffen von zwei oder mehr Basisemotionen können Sekundäremotionen wie Verachtung oder Optimismus auftreten. Reagieren Menschen emotional auf ein Ereignis, treten neurophysiologische Vorgänge wie z.B. ein beschleunigter Herzschlag, subjektive Erlebensweisen wie Angst oder Hoffnung sowie motorische Verhaltenskomponenten wie etwa weit aufgerissene Augen zu Tage (vgl. Döring 2003: 255).
Mimik und Gestik, das Blickverhalten und die Körperhaltung, der selbst gewählte Abstand zum Kommunikationspartner sowie der Stimmausdruck sind zentrale Modi des Ausdrucks von Emotionen. Eine Zuordnung von Basisemotionen zu Gesichtsausdrücken oder stimmlichen Merkmalen ist nahezu universell möglich (vgl. ebd.: 258).
2.3.1 Nonverbale Kommunikation
Gerade die oben erwähnten para- und nonverbalen Ausdrucksformen werden in „face to face“ -Situationen oftmals unreflektiert verwendet. Dagegen werden die entsprechenden Symbole in der computervermittelten Kommunikation grundsätzlich explizit und bewusst eingesetzt. Anders als in der spontanen, direkten Kommunikationssituation sind sie vom Benutzer editierbar. Außerdem können sie beliebig reproduziert werden (vgl. Döring 2003: 55).
Dennoch ist die Möglichkeit zur nonverbalen Kommunikation bei computervermittelter Kommunikation aufgrund technisch bedingter Restriktionen und nur begrenzt verfügbarer Zeichenkomplexe sehr eingeschränkt (vgl. Höflich 1996: 69). Die miteinander kommunizierenden Personen sind eindeutig räumlich getrennt. Allerdings trifft es nicht zu, dass der nonverbale Kanal „ausgeschaltet“ ist, „sodass jegliches Verhalten auf das schriftlich Geäußerte reduziert ist“ (Soldo 2001: 50), da die Internetuser gelernt haben, diese Defizite mit schriftlich nutzbaren Möglichkeiten per Tastatur und der – zusätzlichen – Verwendung von Emoticons (oder „Smileys“) auszugleichen.
Laut Brown (1986) bleibt es dabei, dass Sprache (auch Schriftsprache) als wichtigstes universales Medium der Kommunikation zu betrachten sei, während durch Nonverbalität lediglich begrenzte Bedeutungsbereiche ausgedrückt würden (vgl. Höflich 1996: 71).
2.3.2 Darstellung von Emotionalität im Internet
In der Alltagskommunikation findet die direkte Äußerung von Emotionen üblicherweise zwischen einander vertrauten Personen statt. In der Anonymität des Internetforums laufen „Gespräche“ zwischen sich in der Regel wildfremden Menschen ab, die oftmals emotional gefärbt sind und viel Persönliches preisgeben. Die User gehen damit kein großes Risiko ein, da durch die Anonymität eine natürliche Distanz gegeben und ein kommentarloser Rückzug jederzeit möglich ist (vgl. Kresic 2000: 109). Da in der interaktiven Kommunikation die bekannten nonverbalen Ausdrucksmittel fehlen, zeichnet sich die textbasierte Netzkommunikation unter anderem durch neue Sprachmittel und Symbole aus. Durch deren Anwendung lässt sich die emotionale Expressivität in der medialen Schriftlichkeit steigern (vgl. Döring 2003: 55).
Es kann davon ausgegangen werden, dass die verschiedenen Variationen sprachlicher und außersprachlicher Mittel von einigen Usern gezielt eingesetzt werden, um für sie wichtige kommunikative Situationen funktional zu steuern (vgl. Androutsopoulos/Ziegler 2003: 259). Diese Aussage erscheint mir bei der Analyse des ausgewählten Textkorpus von großer Tragweite. Denn wenn sich herausstellt, dass Emotionen von Rezipienten mit einer geschickten Auswahl sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel tatsächlich steuerbar sind, ist der Weg für die Beantwortung der eingangs gestellten Fragen geebnet. Aus diesem Grunde ist es auch wichtig, nicht nur auf die prozentuale Anzahl einzelner Mittel im Gesamtkorpus zu achten, sondern einzelne Postings – und einige darauf folgende – genauer zu betrachten.
2.3.3 Nähe und Distanz
Im Bereich der mündlichen Kommunikation neigen Personen, die sich fremd sind, zur „konzeptionell schriftlichen Sprache der Distanz“, während Menschen, die sich gut kennen, eher die „konzeptionell mündliche Sprache der Nähe“ (nach Koch/Oesterreicher 1994) bevorzugen (vgl. Kilian 2001: 64).
Die mediale Schriftlichkeit und Mündlichkeit beschreibt die graphische bzw. phonetische Realisierung von geschriebener vs. mündlicher Sprache. Um ein Nähe-Distanz-Kontinuum zu erklären, bedarf es der Unterscheidung zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Sprachformen der Nähe zeichnen sich u.a. durch offene Themengestaltung, Dialogsequenzen, Spontaneität und Emotionalität aus (vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 587). Dies kann aber sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form realisiert werden.
Sprachformen der Distanz, die sich z.B. durch geringe Kooperationsmöglichkeiten des Rezipienten und/oder soziale und emotionale Distanz der Interaktionspartner untereinander auszeichnen (vgl. ebd.: 587), sind ebenfalls in graphischer und phonetischer Form zu finden. Durch die graduelle Unterscheidung zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und Mündlichkeit kann ein Nähe-Distanz-Kontinuum beschrieben werden, in dem medial mündliche Kommunikationsereignisse wie ein Telefonat oder eine Vorlesung an der Universität ebenso Platz finden wie medial schriftliche Texte (vgl. ebd.: 588) in Form von Briefen, E-Mails oder auch Forenpostings, in denen dann durchaus Passagen konzeptioneller Mündlichkeit zu finden sind.
Nach Dürscheid zeichnet sich ein konzeptionell mündlicher Text auf syntaktischer Ebene durch verkürzte Sätze, Satzbrüche, Kongruenzfehler und asyndetische Konstruktionen aus. Im lexikalischen Bereich sind Wortwiederholungen, umgangssprachliche Ausdrücke, Dialektismen und Wortformverschmelzungen (Assimilationen) festzustellen (vgl. Dürscheid 1999: 18). Koch/Oesterreicher (1985) gehen noch mehr ins Detail und beschreiben die Sprache der Nähe folgendermaßen:
„[...]- im morphosyntaktischen Bereich hat man zu denken an Nachträge, Anakolute, Kongruenz‘schwächen‘, holophrastische Äußerungen, Segmentierungserscheinungen, an die Rhema-Thema-Abfolge sowie an den sparsamen Umgang mit der Hypotaxe.
- im lexikalischen Bereich sind zu nennen: passe-partout-Wörter, lexikalische ‚Armut‘, niedrige type-token-Relation; andererseits expressive Bildungen (Hyperbeln, Kraftwörter, etc.) und lexikalischer Reichtum in ganz bestimmten Sinnbezirken.
- im textuell-pragmatischen Bereich finden wir: Sprecher- und Hörer-Signale, Überbrückungsphänomene, Korrektursignale, Gliederungssignale, Abtönungspartikeln; häufig dient das Präsens als Erzähltempus, die Redewiedergabe erfolgt vorzugsweise durch direkte Rede; es werden andere Anforderungen an die Textkohärenz gestellt.“
(Koch/Oesterreicher 1985: 27)
Distanzsprache kann analog zur Sprache der Nähe gesehen werden. Betrachtet man die konzeptionelle Mündlichkeit im Zusammenhang mit der elek-tronischen Schriftlichkeit, gehören zu ihren Merkmalen
„[...] u.a. umgangssprachliche und soziolektale Lexik, sprechsprachliche Konstruktionen, Gesprächspartikeln, die Abbildung informeller Phonologie, Graphemiterationen zur Kennzeichnung von Lautdehnungen, durchgehende Kleinschreibung usw.“
(Androutsopoulos/Ziegler 2003: 252).
2.3.4 Schriftlich streiten im Internet
Streit ist eine verbale, kontroverse und nicht kooperative Form der Austragung eines Konfliktes (vgl. Spiegel 1995: 17, Luginbühl 2003[18]), bei dem mindestens zwei Interaktionspartner involviert sein müssen. Das Partnerimage wird von den Kontrahenten missachtet. Dies bedeutet, dass keine Rücksicht auf die Selbstbild-Bestätigung des Kommunikationspartners genommen wird, was laut Goffmann (1976) auf eine Verletzung der Strategien des Face-Managements hinweist.[19]
Ein Streit beginnt mit einem Anlass, welcher einen Verstoß gegen den Gesprächskonsens bildet, indem etwa Vorwürfe verbalisiert werden (vgl. Gruber 1996: 83ff). Findet sich kein den Anlass aufnehmender Interaktionspartner, wird der Streit unter Umständen gleich im Keim erstickt. Greift jedoch ein Ge-sprächsteilnehmer den Anlass auf und stellt Gegenargumente auf, liegt der Beginn einer dissenten Sequenz vor.[20] Es besteht die Möglichkeit, dass es zur Eskalation des Kommunikationsereignisses kommt; der Streit nimmt seinen Anfang. In dieser emotional bestimmten Phase kann es zu Unterbrechungen und Überlappungen der turns sowie zu einer lauteren Sprechweise – bis hin zum Geschrei – kommen. Außerdem werden Beleidigungen geäußert, die die Beziehungsebene in Gefahr bringen. Für die Beendigung stehen verschiedene Mittel zur Verfügung: Konfliktlösung, Themawechsel oder Kommunikationsabbruch.
Ein großer Unterschied zwischen dem Streiten von Angesicht zu Angesicht und dem schrift-basierten Streit besteht darin, dass einerseits Unterbrechungen und Überlappungen nicht möglich sind und andererseits para- und nonverbale Ausdrucksmittel fehlen. Hinzu kommt, dass in der Anonymität des Internet die Verpflichtung zur Übernahme kommunikativer Verantwortung geringer ist, da sich jeder Interaktionspartner jederzeit einfach aus einem Kommunikationsgeschehen zurückziehen kann (vgl. Luginbühl 2003). Diese Möglichkeit der Nicht-Kommunikation beinhaltet natürlich den Vorteil, auf unangenehme Äußerungen nicht öffentlich reagieren zu müssen (vgl. Soldau 2001: 51). Dennoch wird eindeutig schriftlich gestritten. Ein Grund dafür mag auch darin liegen, dass die Anomymität für beide Seiten gilt. Werden etwa Personen im Verlauf einer Diskussion persönlich angegriffen, können sie aus der Anonymität heraus heftiger reagieren, als es möglicherweise in einer „face to face“ -Kommunikations-situation geschehen würde (vgl. Luginbühl 2003).
In moderierten Chats und in Internetforen, die sich der Hilfe von Moderatoren bedienen, ist mit Sanktionen zu rechnen, wenn User sich wiederholt im Ton vergreifen und auf Deeskalationsversuche nicht einlenkend reagieren. Die User selbst können mit Hilfe der „Ignore“ -Funktion dafür sorgen, dass Postings der von ihnen z.B. aufgrund von Pöbeleien ignorierten Teilnehmer in der eigenen Bildschirmansicht ausgeblendet werden (vgl. Soldo 2001: 51).
Auch kann es bei schriftlich eskalierenden Streitereien vorkommen, dass ein Thread vom Betreiber der Seite unwiderruflich geschlossen wird, so dass kein User mehr die Möglichkeit hat, dort ein Posting abzusetzen. Jeder User hat es selbst in der Hand, auf Provokationen gereizt, gar nicht oder deeskalierend zu reagieren. Beispiele in Kapitel 4.4 werden diesen Punkt verdeutlichen.
[...]
[1] Die Homepage der Zeitschrift Brigitte (http://www.brigitte.de/) bietet auf ihrer Startseite u. a. einen Link (http://www.brigitte.de/foren/) zur Community an.
[2] In der Folge wird der Fachbegriff für einen Diskussionsstrang im Internet - Thread - verwendet.
[3] Im weiteren Verlauf der Arbeit wird bei Personenbezeichnungen aus sprachökonomischen Gründen das generische Maskulinum verwendet. Es sind jeweils weibliche und männliche Rezipienten gemeint. Eine Ausnahme wird in den Kapiteln 4.2 bis 4.5 gemacht.
[4] Radiobeitrag vom WDR 5: http://www.wdr5.de/sendungen/neugier_genuegt/790520.phtml
[5] „Chat“ bedeutet „Plausch“ oder „Schwätzchen“.
[6] Ein Chatroom ist eine meist themenspezifische Seite im Internet, auf der alle User verschiedene „Redebeiträge“ in schriftlicher Form abgeben können, die dann in zeitlicher Reihenfolge (deshalb ist die Tippgeschwindigkeit entscheidend) erscheinen und so ein aufgeschriebenes Gespräch widerspiegeln.
[7] Dieser enthält Angaben zu Absender, Datum und Uhrzeit der gesendeten Nachricht sowie eine Betreffzeile und Hinweise zu Dateianhängen.
[8] Siehe dazu Kapitel 2.2.1
[9] Auch das „Quoting“ wird in Kapitel 2.2.1 näher beschrieben.
[10] Für weitere Informationen zum Thema „Newsgroup“: http://www.www-kurs.de/newgroup.htm
[11] In der Folge wird der Fachbegriff für einen Thread-Beitrag - Posting - verwendet.
[12] Nicht als Mitglieder registrierte Gäste oder „Lurker“
[13] Diese Vorgehensweise ist von Forenbetreiber zu Forenbetreiber unterschiedlich.
[14] Ohne Lautsprecher kann eine Audiodatei nicht abgehört werden; Filmsequenzen sind ohne die Softwareausstattung mit einem Multimediaplayer nicht abspielbar.
[15] Beispiele zu dieser Thematik finden sich in Kapitel 4.4.
[16] Als „Faker“ werden Personen bezeichnet, die fiktionale Geschichten ins Netz stellen, ohne auf die Fiktionalität hinzuweisen.
[17] Siehe z. B. http://www.brigitte.de/foren/showthread.html?t=30362
[18] Die Arbeit des Zürichers Martin Luginbühl über „Streiten im Chat“ wurde als Formulierungshilfe für Verhaltensregeln bei einem Streit in dem Forum „rauchfrei-online.de“ (http://www.de44.de/cgi-bin/rfo001.pl?P1=u47iOKk&P2=steu_info) herangezogen.
[19] Eine Beachtung der Strategien würde das Einhalten von Höflichkeitsnormen, etwa in Form des Austeilens von Komplimenten oder des Vermeidens unangenehmer Gesprächsthemen beinhalten (vgl. Goffman 1976).
[20] Werden in der dissenten Sequenz lediglich konträre Standpunkte dargelegt und abschließend ausgehandelt, liegt lt. Gruber (1996) kein Streit vor.
- Quote paper
- Petra Hahn (M.A.) (Author), 2008, Zum Ausdruck von Emotionalität in der interaktiven Schriftlichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141773
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