Der Frage, ob ein Rechtsanwaltsmonopol erforderlich ist, lässt sich z.T. empirisch nachgehen. Man kann im Wege eines Rechtsvergleichs untersuchen, ob es Staaten ohne Rechtsanwaltsmonopol gibt. Je mehr Staaten ohne Rechtsanwaltsmonopol auskommen, desto mehr spricht dies gegen dessen Erforderlichkeit. In diesem Aufsatz wird zur Klärung dieser Frage dem Rechtsanwaltsmonopol in 24 europäischen Rechtsstaaten nachgegangen.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Deutscher Rechtskreis
C. Romanischer Rechtskreis
D. Skandinavischer Rechtskreis
E. Common Law
F. Mischsysteme aus Common Law und Civil Law
G. Das neue Europa
H. Schlussbemerkung
A. Einleitung
Am 1. Juli 2008 trat in Deutschland das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) in Kraft. Durch dieses wurde das bestehende Rechtsanwaltsmonopol[1] teilweise gelockert. Ein Kernbereich der Rechtsdienstleistung bleibt zwar beim Rechtsanwalt monopolisiert.[2] Indes darf ein erweiterter Personenkreis Rechtsdienstleistungen in Zusammenhang mit anderer Tätigkeit[3] sowie unentgeltliche Rechtsdienstleistungen[4] erbringen. Auch in vielen anderen Staaten dürfen bestimmte Rechtsdienstleistungen nur von Rechtsanwälten erbracht werden. Zumeist umfasst dieses Rechtsanwaltsmonopol gerichtliche, in einigen Staaten auch außergerichtliche Rechtsdienstleistungen.
Mit einem solchen Rechtsanwaltsmonopol sind erhebliche Freiheitsbeschränkungen verbunden. Der Staat untersagt potentiellen Konkurrenten die Berufsausübung in den monopolisierten Bereichen. Zudem nimmt der Staat den Verbrauchern einen Teil ihrer Freiheit bei der Auswahl eines Rechtsdienstleisters. Derartige Freiheitsbeschränkungen lassen sich nur rechtfertigen, wenn sie zum Schutz eines höherrangigen Rechtsguts erforderlich sind. Kein überzeugender Rechtfertigungsgrund ist der Schutz des Einkommens der Rechtsanwälte, weil dieses Ziel nach heutigem Verständnis nicht höherrangig einzustufen ist als das erwähnte Interesse der Konkurrenz und der Verbraucher. Das Rechtsanwaltsmonopol wird stattdessen zumeist mit dem Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierte Rechtsdienstleistungen gerechtfertigt.
Der Frage, ob ein Rechtsanwaltsmonopol erforderlich ist, lässt sich z.T. empirisch nachgehen. Man kann im Wege eines Rechtsvergleichs untersuchen, ob es Staaten ohne Rechtsanwaltsmonopol gibt. Je mehr Staaten ohne Rechtsanwaltsmonopol auskommen, desto mehr spricht dies gegen dessen Erforderlichkeit.
Im Folgenden wird zur Klärung dieser Frage dem Rechtsanwaltsmonopol in 24 europäischen Rechtsstaaten nachgegangen. Zur besseren Übersicht werden die Staaten nach Rechtskreisen systematisiert. Dabei wird zwischen einem deutschen, einem romanischen, einem skandinavischen und einem Common Law Rechtskreis unterschieden. Die untersuchten mittel- und osteuropäischen Staaten, die der Europäischen Union nach dem Ende des Kalten Krieges beigetreten sind, werden unter der Überschrift „das neue Europa“ zusammengefasst. Sonderregeln, die sich aus der EU-Freizügigkeit ergeben, bleiben unberücksichtigt.
Zur Begründung des im Jahr 2008 in Kraft getretenen Rechtsdienstleistungsgesetzes nahm der Gesetzgeber umfassende rechtsvergleichende Untersuchungen vor. Auf die ebenso aktuellen wie verlässlichen Ergebnisse dieser Untersuchungen kann im Folgenden zu einem großen Teil zurückgegriffen werden.
B. Deutscher Rechtskreis
Schweiz
„Die Schweiz kennt… kein generelles Rechtsberatungsmonopol für die außergerichtliche Rechtsberatung. Einschränkungen gibt es in einzelnen Kantonen für die gewerbliche bzw. entgeltliche Rechtsberatung. Auch die Vertretung vor Gericht ist, gestützt auf kantonale Vorschriften sowie vor eidgenössischen Gerichten aufgrund von Bundesgesetzen, in gewissen Fällen Anwälten vorbehalten. Allerdings herrscht in der Schweiz bisher kein Vertretungszwang vor Gericht...“[5].
Österreich
„Die österreichische Rechtsanwaltsordnung (RAO) sieht in § 8 Abs. 2 vor, dass die berufsmäßige Vertretung der Parteien grundsätzlich allein dem Rechtsanwalt als berufenem Vertreter in allen gerichtlichen und außergerichtlichen sowie in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten vorbehalten ist. Ausnahmen bestehen nach § 8 Abs. 3 RAO für Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer.“[6]
Griechenland
„In Griechenland besteht nach Artikel 39 der Rechtsverordnung Nr. 3026/1954 ein Rechtsberatungsmonopol der Anwaltschaft für die berufsmäßige, gerichtliche, teilweise behördliche und außergerichtliche Interessenwahrnehmung. Ein Nichtanwalt, der solche Tätigkeiten erbringt, kann auf Antrag der Anwaltsvereinigung bestraft werden. Es ist den Vorschriften allerdings nicht zu entnehmen, dass auch die nicht gewerbliche, gelegentliche, unentgeltliche Beratung ausschließlich den Anwälten vorbehalten ist.“[7]
[...]
[1] Vgl. zum Begriff der Monopolisierung bestimmter Tätigkeiten beim Rechtsanwalt BVerfGE 75, 246, 267.
[2] Vgl. § 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG).
[3] § 5 RDG.
[4] § 6 RDG.
[5] Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des RDG; Bundestags-Drucksache (BT-Drucks.) 16/3655, S. 29.
[6] BT-Drucks. 16/3655, S. 29.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text?
Dieser Text ist eine umfassende Sprachvorschau, die Titel, Inhaltsverzeichnis, Ziele und Schlüsselthemen, Kapitelzusammenfassungen und Schlüsselwörter enthält. Er untersucht das Rechtsanwaltsmonopol in verschiedenen europäischen Rechtsstaaten, systematisiert nach Rechtskreisen (deutscher, romanischer, skandinavischer und Common Law Rechtskreis) und beleuchtet die Situation im "neuen Europa" (mittel- und osteuropäische Staaten nach dem Kalten Krieg).
Was ist das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) und welche Bedeutung hat es?
Das RDG trat am 1. Juli 2008 in Deutschland in Kraft. Es lockerte das bestehende Rechtsanwaltsmonopol teilweise. Bestimmte Rechtsdienstleistungen bleiben weiterhin dem Rechtsanwalt vorbehalten, jedoch dürfen erweiterte Personengruppen Rechtsdienstleistungen in Zusammenhang mit anderer Tätigkeit oder unentgeltlich erbringen.
Warum wird das Rechtsanwaltsmonopol kritisch hinterfragt?
Das Rechtsanwaltsmonopol stellt eine Freiheitsbeschränkung dar, da es potentiellen Konkurrenten die Berufsausübung in bestimmten Bereichen untersagt und die Wahlfreiheit der Verbraucher einschränkt. Solche Beschränkungen müssen durch den Schutz höherrangiger Rechtsgüter gerechtfertigt sein, wobei der Schutz des Einkommens der Rechtsanwälte als Rechtfertigung nicht ausreicht.
Welche Staaten werden im Hinblick auf das Rechtsanwaltsmonopol untersucht?
Der Text untersucht das Rechtsanwaltsmonopol in 24 europäischen Rechtsstaaten, systematisiert nach deutschem, romanischem, skandinavischem und Common Law Rechtskreis, sowie die Situation im "neuen Europa". Beispiele sind die Schweiz, Österreich und Griechenland.
Welche Erkenntnisse werden über die Schweiz im Hinblick auf das Rechtsanwaltsmonopol genannt?
Die Schweiz kennt kein generelles Rechtsberatungsmonopol für die außergerichtliche Rechtsberatung. Einschränkungen gibt es in einzelnen Kantonen für die gewerbliche bzw. entgeltliche Rechtsberatung. Auch die Vertretung vor Gericht ist in gewissen Fällen Anwälten vorbehalten, jedoch herrscht bisher kein Vertretungszwang vor Gericht.
Wie ist die Situation in Österreich bezüglich des Rechtsanwaltsmonopols?
Die österreichische Rechtsanwaltsordnung (RAO) sieht vor, dass die berufsmäßige Vertretung der Parteien grundsätzlich allein dem Rechtsanwalt vorbehalten ist. Ausnahmen bestehen für Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer.
Wie sieht das Rechtsanwaltsmonopol in Griechenland aus?
In Griechenland besteht ein Rechtsberatungsmonopol der Anwaltschaft für die berufsmäßige, gerichtliche, teilweise behördliche und außergerichtliche Interessenwahrnehmung. Nichtanwälte, die solche Tätigkeiten erbringen, können bestraft werden. Die nicht gewerbliche, gelegentliche, unentgeltliche Beratung ist jedoch nicht ausschließlich den Anwälten vorbehalten.
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- Erich Stephkohn (Author), 2008, Der exklusive Kernbereich der Rechtsanwaltstätigkeit im europäischen Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141707