Keine zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, über ein anderes Thema zu schreiben. Von klein auf fasziniert von ihnen, sind sie fester Bestandteil meines Lebens geworden. Der Ritt auf dem Schaukelpferd setzt sich heute auf dem eigenen Braunen fort. Als gelernte Pferdewirtin bereite ich Jungpferde, helfe bei den täglich anfallenden Arbeiten auf dem Hof, erteile Unterricht und führe Lehrgänge durch. Die meisten meiner Schüler sind Jugendliche, für die ich in der Funktion des Jugendwartes weit über die Reitstunde hinaus zuständig bin. Hieraus ergibt sich der Bezug zu meiner Arbeit. Sie befasst sich mit „Pferdephantasien“, bzw. der symbolischen Bedeutung des Pferdes allgemein und im Besonderen für den Heranwachsenden. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf Mädchen, da Jungen sich nur ausnahmsweise im Stall blicken lassen. Offensichtlich sind sie mit anderen Inhalten beschäftigt. Dagegen können Mädchen ihre Bedürfnisse durch das Engagement mit dem Pferd anscheinend besser befriedigen.
In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, welche Funktion das Pferd als symbolischer Vertreter speziell für Mädchen in der Adoleszenz hat und ob hinter dem Wunsch nach einer Beziehung zu diesem Tier nicht auch andere Bedürfnisse stehen. Welche bewussten und unbewussten Wünsche werden hier untergebracht? Mit welchen Phantasien wird das Pferd ausgestattet? Kann es sich in der schwierigen Phase des Übergangs von Kindheit zu Erwachsensein als hilfreich erweisen?
Um dieses Phänomen einzukreisen, erscheint mir speziell die psychoanalytische Symboltheorie als hilfreich, da diese sich mit symbolischen Ersatzbildungen beschäftigt und deren unbewussten Inhalten nachgeht. Wie zu zeigen sein wird, finden sich dort mehrere theoretische Ansätze, die für meine Vermutungen über das Mädchen-Pferd-Phänomen aufschlussreich und weiterführend sind. Ich werde zunächst den Symbolbegriff, entwicklungspsychologische Aspekte des Jugendalters sowie die „Pferdewelt“ im Erleben des Mädchens getrennt voneinander erläutern. Anschließend versuche ich, einen Schnittpunkt dieser drei Bereiche zu finden.
In einem zweiten Teil möchte ich die Theorie praktisch überprüfen. In dieser Absicht führe ich ein Gespräch mit jugendlichen Reiterinnen zwischen 12 und 18 Jahren durch. Anschließend werte ich sie im Hinblick auf Bemerkungen aus, die über den symbolischen Gehalt des Pferdes Aufschluss geben. Dabei steht vor allem seine Bedeutung im subjektiven Erleben der Mädchen im Vordergrund.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Symboltheorie
2.1 Das Symbol in der Philosophie
2.2 Das Symbol in der Psychoanalyse
2.3 Selbstobjekt
2.4 Übergangsobjekt
2.5 Zentrale Aspekte der Symboltheorie für meine Arbeit
3. Entwicklungspsychologische Aspekte des Jugendalters
3.1 Veränderter gesellschaftlicher Status
3.2 Physische Veränderungen
3.3 Psychische Veränderungen
3.4 Bedürfnisse des Mädchens
4. Mädchens „Pferdewelt“
4.1 Im Kinderzimmer
4.2 Im Reitstall
4.3 Das Wesen des Pferdes im Umgang mit dem Menschen
4.4 Das Reiten
4.5 Die Stallfamilie und ihre Welt
5. „Grenzen reitend überwinden“ Die symbolische Bedeutung von Pferden für Mädchen
5.1 Das Pferd als symbolischer Vertreter
5.2 Die Rolle des Pferdes in der weiblichen Adoleszenz
5.3 „...wenn er fällt, dann schreit er...“
5.4 Die Überhöhung des Pferdes
5.5 Identifizierung mit dem Pferd
5.6 Das Pferd als Projektionsträger
5.7 Das Pferd als Übergangsobjekt
6. Empirische Durchführung
6.1 Methodisches Vorgehen
6.2 Das Gespräch
7. Phantasien ins Pferd
7.1 Das Pferd des Mädchens
7.2 Beziehung zum Pferd
7.3 Die „heile Welt“ des Pferdes
7.4 Reiten macht stark
7.5 Eltern – Mädchen – Pferde
7.6 Die Pferdewelt als Übergangsort
7.7 Pferde - Sehn - Sucht
8. Abschließende Diskussion
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
10.1 Transkription
10.2 Thematische Gliederung
1. Einleitung
Keine zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, über ein anderes Thema zu schreiben. Von klein auf fasziniert von ihnen, sind sie fester Bestandteil meines Lebens geworden. Der Ritt auf dem Schaukelpferd setzt sich heute auf dem eigenen Braunen fort. Als gelernte Pferdewirtin bereite ich Jungpferde, helfe bei den täglich anfallenden Arbeiten auf dem Hof, erteile Unterricht und führe Lehrgänge durch. Die meisten meiner Schüler sind Jugendliche, für die ich in der Funktion des Jugendwartes weit über die Reitstunde hinaus zuständig bin. Hieraus ergibt sich der Bezug zu meiner Arbeit. Sie befasst sich mit „Pferdephantasien“, bzw. der symbolischen Bedeutung des Pferdes allgemein und im Besonderen für den Heranwachsenden. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf Mädchen, da Jungen sich nur ausnahmsweise im Stall blicken lassen. Offensichtlich sind sie mit anderen Inhalten beschäftigt. Dagegen können Mädchen ihre Bedürfnisse durch das Engagement mit dem Pferd anscheinend besser befriedigen.
In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, welche Funktion das Pferd als symbolischer Vertreter speziell für Mädchen in der Adoleszenz hat und ob hinter dem Wunsch nach einer Beziehung zu diesem Tier nicht auch andere Bedürfnisse stehen. Welche bewussten und unbewussten Wünsche werden hier untergebracht? Mit welchen Phantasien wird das Pferd ausgestattet? Kann es sich in der schwierigen Phase des Übergangs von Kindheit zu Erwachsensein als hilfreich erweisen?
Um dieses Phänomen einzukreisen, erscheint mir speziell die psychoanalytische Symboltheorie als hilfreich, da diese sich mit symbolischen Ersatzbildungen beschäftigt und deren unbewussten Inhalten nachgeht. Wie zu zeigen sein wird, finden sich dort mehrere theoretische Ansätze, die für meine Vermutungen über das Mädchen-Pferd-Phänomen aufschlussreich und weiterführend sind. Ich werde zunächst den Symbolbegriff, entwicklungspsychologische Aspekte des Jugendalters sowie die „Pferdewelt“ im Erleben des Mädchens getrennt voneinander erläutern. Anschließend versuche ich, einen Schnittpunkt dieser drei Bereiche zu finden.
In einem zweiten Teil möchte ich die Theorie praktisch überprüfen. In dieser Absicht führe ich ein Gespräch mit jugendlichen Reiterinnen zwischen 12 und 18 Jahren durch. Anschließend werte ich sie im Hinblick auf Bemerkungen aus, die über den symbolischen Gehalt des Pferdes Aufschluss geben. Dabei steht vor allem seine Bedeutung im subjektiven Erleben der Mädchen im Vordergrund.
2. Symboltheorie
Mit dem Wort „symbolon“ war für die Griechen ein Erkennungszeichen gemeint (`was zusammengefügt werden muss´). Das gebrochene, also aus zwei Teilen bestehende Zeichen (z.B. Ring, Schale, Münze), diente durch sein Zusammenfügen dem Wiedererkennen der Besitzer. Ursprünglich ist es also die Idee des Zusammenhanges, die die Bedeutung bestimmt.[1]
In unserem Alltag finden wir vielerlei Symbole, z. B. Verkehrs- und Hinweiszeichen in öffentlichen Räumen, Zeichen, die auf Bahnhöfen und Flugplätzen auf der ganzen Welt identisch sind und von jedermann erkannt werden können. Sie weisen auf etwas hin, das an anderer Stelle konkret zu finden ist.
Das Symbol steht als Schrift- oder Bildzeichen mit verabredeter, überlieferter oder unmittelbar einsichtiger Bedeutung stellvertretend für die Darstellung eines Begriffs, Objekts, Verfahrens oder Sachverhalts.[2] Es verbindet das dargestellte Sinnbild mit dem eigentlich Gemeinten. Dabei schließt es nicht nur objektiv konkrete Objekte ein, sondern auch subjektiv imaginäre: Gedanken, Worte, Gefühle, Phantasien, Träume, Hoffnungen, Wünsche und Ängste. Während das Zeichen, welches ein Symbol repräsentiert, oft aus etwas Eindeutigem, z.B. einem Herz, besteht, ist das, was es symbolisiert, oft abstrakt und schwer zu erfassen, in diesem Fall die Liebe. Wichtig ist, dass Symbol und Symbolisiertes eine innere bzw. äußere Analogie oder Assoziation verbindet. Die jeweiligen Bedeutungen sind vom Individuum relativ unabhängig und können durch Überlieferungen entstehen und angeeignet werden.
Symbole weisen über sich hinaus. Sie fügen immer eine weitere Dimension hinzu, einen neuen Bedeutungsinhalt, der den ursprünglichen überschreitet.
Geprägt durch die Kultur und den situativen Zusammenhang treten sie in verschiedenen Bereichen auf: in Namen, Sprache, Literatur, in Gesten, in Wissenschaft, Kunst und Traum sowie in kulturellen und religiösen Riten.
2.1 Das Symbol in der Philosophie
Die Philosophie hat sich intensiv mit dem Begriff des Symbols auseinandergesetzt. Im Hinblick auf meine Thematik beziehe ich mich hier nur auf Ernst Cassirer, der vor allem in seinem Werk „Philosophie der symbolischen Formen“[3] die Ausdrucksformen des Geistes in Sprache, Mythos und Kunst untersuchte. Er ordnet den Menschen in die Reihe der Tiere ein, weist aber zugleich auf einen entscheidenden Unterschied hin: Im Gegensatz zum Tier verfügt der Mensch über ein differenziertes Reflexionsvermögen. Während das Tier reflexartig reagiert, vermag der Mensch abzuschätzen, zu überdenken und vorausschauend zu handeln.
Beim Tier sind Innen und Außen durch Merken und Wirken verknüpft. Der Mensch hingegen hat die Möglichkeit, Merken und Wirken über die Ebene der Symbole zu verbinden und gewinnt somit einen größeren Handlungsspielraum.
Der Mensch zeichnet sich nach Cassirer dadurch aus, dass er "gleichsam eine neue Methode entdeckt hat, sich an seine Umgebung anzupassen"[4] indem er als dritten Bereich die Symbolschicht einsetzt. "Deshalb sollten wir den Menschen als animal symbolicum definieren. Auf diese Weise können wir seine spezifische Differenz bezeichnen und lernen begreifen, welcher neue Weg sich ihm öffnet - der Weg der Zivilisation."[5]
In seiner Bezeichnung des Menschen als animal symbolicum hat Cassirer beides verdichtet: sowohl dessen Zugehörigkeit zur Reihe der Tiere als auch seine Fähigkeit zu symbolisieren.
2.2 Das Symbol in der Psychoanalyse
Sinnbilder spielen auch in der Psychoanalyse eine bedeutsame Rolle.
Nach dem Laplanche[6] bezeichnet der Ausdruck „symbolisch" einen indirekten und übertragenen „Vorstellungsmodus einer Idee, eines Konflikts, eines unbewussten Wunsches[...], der sich hauptsächlich durch die Konstanz des Zusammenhanges zwischen dem Symbol und dem Symbolisierten auszeichnet, wobei sich eine solche Konstanz nicht nur beim gleichen Individuum und von einem Individuum zum anderen findet, sondern auf den verschiedensten Gebieten (Mythos, Religion, Folklore, Sprache etc.) und bei sehr weit voneinander entfernten kulturellen Strömungen.“[7]
Für Sigmund Freud stellen Symbole zunächst Relikte von traumatischen Erfahrungen, dann von verdrängten Triebimpulsen dar.
Eindrucksvoll ist dies in der „Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“[8] dargestellt. Hier hat der kleine Hans eine Pferdephobie entwickelt. Er hat Angst, dass ihn auf der Gasse ein Pferd beißen werde. Freud entschlüsselt verschiedene Ebenen rund um den ödipalen Konflikt des kleinen Jungen, in dem es, in Anlehnung an die Ödipussage der griechischen Mythologie, um den Zwiespalt des Jungen geht, der die Mutter liebt und den Vater dafür fürchtet. Dabei steht das Pferd stellvertretend für den mächtigen Vater sowie für die eigenen aggressiven Triebimpulse bzw. für deren Abwehr. Es wird symbolisch für den dahinterliegenden, mehrfach determinierten Konflikt verwendet.
Die symbolische Beziehung verbindet dabei den manifesten Inhalt eines Verhaltens, eines Gedankens oder eines Wortes mit ihrer latenten Bedeutung. Man verwendet das Symbol um so mehr da, „wo die manifeste Bedeutung weitgehend fehlt.“[9]
Wenn Symbolisierungen Darstellungen unbewusster psychischer Konflikte sind, liegt das Ziel der analytischen Arbeit in der Desymbolisierung.
Anfänglich sieht Freud die Verbindung zwischen Symbol und Symbolisiertem lediglich in zufälligen Reizassoziationen. Erst in der „Traumdeutung“[10] erkennt er eine vom Individuum unabhängige Konstanz innerhalb der Bilder. Dabei sind die Inhalte reduziert auf Wünsche und Wahrnehmungen rund um den Körper, auf das sexuelle Triebgeschehen, aber auch auf Beziehungsaspekte zu einzelnen Familienmitgliedern.
Der englische Psychoanalytiker Ernest Jones, ein Schüler Freuds, erweitert den Symbolbegriff: Er sieht einen Bezug zu den affektgeladenen, unbewussten Ursymbolen, die für das Verständnis des kreativen Denkens, der Träume, Fehlleistungen und psychischen Störungen von zentraler Bedeutung sind.
Das Symbol tritt an die Stelle einer Idee und gewinnt in dieser Verbindung einen neuen sekundären Bedeutungsinhalt. Es ist kurz und klar, während der dargestellte Gehalt durchaus komplex sein kann.
Während für Freud und Jones das Symbol durch die Verdrängung verursacht wird, also durch einen Vorgang, durch den das Subjekt versucht, eine mit einem Trieb zusammenhängende Vorstellung in das Unbewusste zurückzustoßen oder dort festzuhalten[11], weist Carl Gustav Jung auf alles Unbewusste als Quelle hin: „Das Symbol ist Ausdruck eines im Bewusstsein noch nicht erkannten und begrifflich formulierten Inhalts“[12]. Es erlaubt seine Vergegenwärtigung, die auf andere Weise nicht zu erreichen ist. Über die Triebdynamik hinaus kann es alle menschlichen Verhaltensweisen, Gefühle und Einstellungen vertreten.
Jung entwickelte das Modell des „Kollektiven Unbewussten“, das von sogenannten Archetypen ausgeht. In diesen überlieferten bzw. vererbten Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen, die allen Menschen gemein sind, finden sich universelle Bilder. Sie sind für die individuelle und kollektive Lebensgestaltung relevant.
Diese archetypischen Grundmuster (Urbilder, Vorstellungen) tauchen in Träumen, Visionen, Mythen, Märchen und Religion auf. Klassische Archetypen sind z.B. der Held, die große Mutter, der alte Weise, Geburt und Tod.[13]
Die archetypischen Bilder stellen Teile des Unbewussten, also innere Zustände und Bedürfnisse, dar. Um diese auszudrücken, benutzt der Mensch Symbole. Daher sind in ihnen die archetypischen Grundmuster wiederzufinden. So beinhaltet für Jung jedes Symbol den Ausdruck eines (unbewussten) Archetypus.
Danach speist sich das Symbol sowohl aus dem „Kollektiven Unbewussten“, als auch aus individuellen Anlagen und Erfahrungen.
Während die Freudianer eher die Verdrängung und deren Aufdeckung, also den therapeutischen Prozess betonen, sieht Jung über die pathologische Bedeutung der einzelnen Symbolbildung hinaus die Funktion des Symbols überindividuell und weiterführend: Für ihn stellt das Phänomen der Symbolbildung sowohl für die Sicht auf die Welt und den einzelnen Menschen als auch für die persönliche Entfaltung eine Bereicherung dar.
In der Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie ist der Begriff des Symbols überdacht und revidiert worden. Auch bei dem erst kürzlich verstorbenen Psychoanalytiker Alfred Lorenzer ist, im Rückgriff auf Cassirers Begriff des Menschen als animal symbolicum, der Aspekt der Verknüpfung von Verdrängung und Symptom in den Hintergrund getreten, während der Symbolisierungsprozess als wichtiger Teil der individuellen Entwicklung, besonders der Entstehung der Objektrepräsentanzen, gesehen wird. Entwicklungsgeschichtlich setzt er mit der Wahrnehmung der Getrenntheit zwischen Ich und Objekt, sowie der Ambivalenz gegenüber dem Objekt ein.
Das Symbol repräsentiert das Objekt, anstatt es gleichzusetzen und wird als getrennt von ihm anerkannt. Es stellt mehr bzw. anderes dar, als es eigentlich ist. Durch zahlreiche Konnotationen erhält es eine erweiterte Dimension und ist mehrfach determiniert.
Ferner setzt es sich aus objektiven und subjektiven Aspekten zusammen, also einerseits daraus, was es selbst ist, und andererseits aus dem, was der Mensch an inneren Vorstellungen in ihm unterbringt.
Es ist dem Bewusstsein zugänglich und ermöglicht als Verzögerungsfaktor zwischen Subjekt und Objekt Reflexion und gedankliches Probehandeln anstelle von Triebabfuhr. Der Handlungsspielraum wird vergrößert. Zum Beispiel kann über Symbolisierung als schützender Bereich eine Impulsverzögerung stattfinden - Aggression und Libido werden vom Objekt zum Symbol verschoben.
Das Symbol kann aber auch dazu dienen, dass das Subjekt innere Zustände auf es überträgt und somit symbolisch darstellt. Wie auf einer flexiblen Projektionsfläche werden eigene Gefühle, Wünsche, Ängste und Konflikte dort untergebracht. Besonders, wenn diese Zustände als gefährlich erscheinen, können sie auf diese Weise externalisiert, auf Abstand gebracht und gegebenenfalls abgehandelt werden. In beiden Prozessen erfährt die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt eine Entlastung.
„Die Merkmale der Symbole stimmen mit den Merkmalen bewusstseinsfähiger psychischer Inhalte überein: Symbole sind psychische Gebilde, die äußere Objekte und Vorgänge oder innere Vorgänge repräsentieren, die von diesen Objekten im Wahrnehmungs- bzw. Erkenntnisprozess unterschieden werden können und die als selbstständige Einheiten Gegenstand der Denk- und Erkenntnisprozesse werden.“[14]
Mit dem Begriff des Klischees unternimmt Lorenzer eine weitere Differenzierung: Das Klischee ist ein verdrängtes Symbol, streng determiniert und rigide in seinem Ablauf, weshalb es eine freie, positive Entwicklung behindert. Daher sollte die Aufklärung dieser „verdrängten Symbole“ weiterhin Ziel therapeutischer Arbeit sein.
Im Gegensatz zu Freuds Desymbolisierung birgt für Lorenzer die Symbolisierung Anzeichen für Bewusstheit und damit die Wiedergewinnung von Erfahrung.[15]
Mit jeder Symbolisierung wird das Objekt mit subjektiven Inhalten ausgestattet. Dem analytischen Kinder- und Jugendtherapeuten Ulrich Gebhard folgend möchte ich hier darauf hinweisen, dass jegliche Wahrnehmung der Außenwelt mit einer gewissen Subjektivierung einhergeht, auch wenn diese in der Kindheit am ausgeprägtesten ist. Hierzu zählt auch die Vermenschlichung des nichtmenschlichen Objektes, also seine anthropomorphe Interpretation. Gebhard betont den Gewinn durch die Subjektivierung und der damit einhergehenden Symbolisierung für die individuelle Entwicklung. Er sieht darin die Möglichkeit, eine Verbindung zu den Objekten herzustellen und die Realität mit Bedeutung zu versehen. Dabei schließt die Symbolisierung eine objektive Wahrnehmung nicht aus, sondern ermöglicht, dass „die Weltbezüge der Subjektivierung und Objektivierung zusammenkommen“[16] und stellt somit einen Bezug zwischen Innen und Außen her.
Durch die Subjektivierung der Objekte – also ihre Besetzung mit eigenen Gefühlen und Ansichten – werden diese vertraut und verpersönlicht. Für das Subjekt gewinnen sie an Sinn und Bedeutung, es fühlt sich mit ihnen verbunden.[17]
Um den Vorgang der Subjektivierung einsehbarer zu machen, werde ich im Folgenden die Begriffe von Selbst- und Übergangsobjekt darstellen. Beide sind meines Erachtens für den Mechanismus der Mädchen-Pferd-Beziehung zutreffend.
2.3 Selbstobjekt
Nach der psychoanalytischen Symboltheorie dient die Symbolisierung unter anderem der Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt. Ähnlich ist die Funktion der Selbst- und Übergangsobjekte, die als Vorform der Symbolbildung gesehen werden können.
In den ersten „Objektbeziehungen“, die das Kind eingeht, nimmt es das Objekt noch nicht als getrennt von sich wahr, es bleibt „eine Erfahrung des Subjektes. [...] Das Objekt ist in diesem Stadium vorwiegend ein Bündel von Projektionen und gehört noch nicht zu der wahrgenommenen Realität.“[18] Das Selbstobjekt ist also weder einfach Subjekt noch Objekt, sondern der subjektive Teil einer Beziehung, in der sich das Selbst durch das Verhältnis zum Objekt erhält. Einerseits finden sich eigene Seiten via Projektion im Objekt, andererseits nimmt das Subjekt via Introjektion Seiten des Objektes in sich auf. Objekte werden als Teil des Selbst und das Selbst als Teil der Objekte beschrieben.[19]
Das Selbstobjekt ermöglicht die Entstehung und Aufrechterhaltung eines kohärenten Selbstgefühls und unterstützt die Identitätsbildung. So ist es nach Gebhard „für eine gesunde psychische Entwicklung unerlässlich, positive Selbstobjekte zu haben.“[20] Sie in einem weiteren Schritt als eigenständig anzuerkennen, ist mit Verlustgefühl und Trauer verbunden, bedeutet aber zugleich einen Zugewinn an Realitätserkenntnis.
Ähnlich wie das Selbstobjekt wird auch in der narzisstischen Objektbeziehung das Objekt nicht als getrennt gesehen. Das Subjekt bemächtigt sich des idealisierten Objektes, gewinnt dadurch an Omnipotenz. Die Verehrung des Objektes beinhaltet dabei Selbstverliebtheit.
2.4 Übergangsobjekt
Der englische Psychoanalytiker D. W. Winnicott hat als Vorstufe zur Symbolbildung das Phänomen der Übergangsobjekte beschrieben.
Die frühkindliche Wahrnehmung von Getrenntheit, also dem Erkennen und Akzeptieren der Realität, „von der Subjektivität und omnipotenten Kontrolle zur Objektivität und echten Objektbeziehung“[21], ist Winnicott zufolge mit enormen Verlassenheitsängsten verbunden. Das Kind greift zu Ersatzobjekten, wie z. B. Teddy, Bettzipfel. Diese nicht-menschlichen Objekte sind stabil und zugleich manipulierbar, weshalb sie sich als Projektionsfläche und damit für die Symbolbildung anbieten. Im Erleben des Kindes gehören sie zu ihm selbst und verkörpern zugleich einen Teil der Außenwelt. Ähnlich wie die Symbolschicht bilden sie als potenzieller Raum einen dritten Bereich, der zwischen innerer und äußerer Realität vermittelt und den „Fortgang von narzisstischen hin zu wirklichen Objektbeziehungen“[22] unterstützt. Sie geben Halt und helfen die Angst auszuhalten.
Wenn also das Kind anfängt, die Getrenntheit von der Mutter bei gleichzeitiger existenzieller Abhängigkeit zu spüren, nimmt es sich z.B. einen Bettzipfel, der anders als die Mutter, immer zur Verfügung steht und hilft, eine „versagende“ Mutter zu überbrücken. Hier symbolisiert der Zipfel ein Teilobjekt, wie z.B. die Mutterbrust.
Winnicott spricht von einem „potentiellen Raum“ und „neutralen Erfahrungsbereich, der dem Individuum die Möglichkeit gibt, sich von dem Druck zu befreien, ständig die innere und äußere Realität miteinander in Beziehung zu bringen.“[23]
„Das Wesentliche daran ist jedoch nicht so sehr der Symbolwert als vielmehr sein tatsächlicher Wert. Dass es, obwohl es real ist, nicht die Brust (oder die Mutter) ist - diese Tatsache ist ebenso wichtig wie die andere, dass es die Brust (oder die Mutter) bedeutet.“[24]
Die Besetzung des Übergangsobjektes mit Wünschen und Gefühlen kann sehr mächtig und absolut sein. Es muss vieles „ertragen“ können, z.B. ausschließliche Liebe, Hass und Misshandlung und muss in bestimmten Punkten mit den Eigenschaften des Objektes, das es ersetzen soll, übereinstimmen, z.B. weich, kuschlig sein, einen vertrauten Geruch haben. Im Gegensatz zu dem Objekt, welches es vertritt, ist es aber absoluter Besitz des Kindes.
Obwohl sich das kindliche Interesse mit zunehmendem Alter verstärkt auch anderen Gegenständen zuwendet, bleibt die Funktion des Übergangsobjektes in Momenten der Angst, des Traurigseins bestehen. Besondere Bedeutung hat es zum Einschlafen, welches mit Loslassen und Alleinesein verbunden ist. Im Laufe der weiteren Entwicklung bilden sich sowohl Selbst als auch Objekt immer mehr als getrennt voneinander aus. Trotzdem können in Krisen oder Umbruchszeiten diese frühen Muster wiederbelebt werden. Funktionen des Selbst- bzw. Übergangsobjektes können dann auf neue Objekte übertragen werden (z.B. Partner, ...Pferd).
Besonders die Phase der Pubertät ist oft mit Ängsten und Gefühlen von Verlassenheit verbunden. Auch hier bieten sich Objekte als Überbrückungshilfe an, da der Jugendliche mit der Ablösung von den Eltern eben die personale Beziehung verändert, die bisher zentral und stützend war. „Zudem haben [symbolisierte] Objekte während der Adoleszenz gegenüber vertrauten Personen den Vorteil, dass von ihnen keine Autorität ausgeht.“[25]
Verglichen mit dem Übergangsobjekt ist das Selbstobjekt Bestandteil der frühkindlichen Vorstellung von Einssein mit den Objekten. Ursprünglich bezieht es sich auf menschliche Teilobjekte. Es hat damit vorrangig die Funktion der Entwicklung und der Stabilisierung des Selbst.
Die Entwicklung des Übergangsobjektes hingegen setzt entwicklungsgeschichtlich etwas später ein. Das Subjekt bemerkt, dass vor allem die menschlichen Teilobjekte entgegen seiner bisherigen Vorstellung nicht immer verfügbar sind. Es weicht auf unbelebte und so beherrschbare Objekte aus, um die Trennung von primären Objekten zu bewerkstelligen. Damit ist das Übergangsobjekt konkreter und hat als Hilfsobjekt nicht nur stabilisierende, sondern vor allem überbrückende Funktion.
Wie die Symbolisierung allgemein, so stellt auch die Verwendung von Selbst- und Übergangsobjekt eine Ersatzbildung dar und ist somit ein Produkt von Verschiebung, Verdichtung, Subjektivierung bzw. Projektion:
Der oft unbewusste Inhalt einer Vorstellung wird auf eine andere verschoben oder mehrere Aspekte in einem Objekt verdichtet. Qualitäten, Gefühle und Wünsche werden vom Selbst abgezogen und im Anderen lokalisiert. Hierdurch erfährt die ursprüngliche Beziehung eine Entlastung, das symbolisierte Objekt wird, wie auch durch Anthropomorphismen, vertraut und vom Subjekt als sehr nahe erlebt.
2.5 Zentrale Aspekte der Symboltheorie für meine Arbeit
Während das Symbol in der Psychoanalyse zunächst für einen verdrängten Konflikt, Triebimpuls oder ein verdrängtes Erlebnis steht, wird es im Laufe der weiteren Entwicklung immer weniger als Hindernis denn als Chance für die individuelle Entfaltung gesehen. In diesem Sinne verwende ich die Funktion der Symbolisierung in meiner Arbeit. Meines Erachtens trifft ihr Mechanismus dort auf die Mädchen-Pferd-Beziehung zu, wo sie in Form von Subjektivierung, Projektion bzw. Selbst- oder Übergangsobjekt die Funktion einer Ersatzbildung hat. Die Wünsche werden an das Pferd als stellvertretendes Objekt gerichtet bzw. eigene Vorstellungen und Zustände auf es verschoben.
Ich stütze mich dabei auf die Theorie Winnicotts, nach der die Symbolisierung als vermittelnder dritter Raum zwischen Innen und Außen, also zwischen Selbst und Objekt, dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, die Welt zu begreifen und ihr einen Sinn zu geben.
Die symbolische Besetzung der „fremden Welt“ strukturiert diese. Daher dient die Fähigkeit zur Symbolisierung vor allem in schwierigen Übergangssituationen auch der Orientierung. Sie erweitert den Horizont und unterstützt die positive Entfaltung der Persönlichkeit.
In Anlehnung an Gebhard sehe ich einen wichtigen Punkt darin, dass durch die mit der Symbolisierung einhergehende Subjektivierung der Objekte ein persönlicher Bezug bzw. Vertrautheit zu ihnen hergestellt wird. Dabei schließt die subjektive Wahrnehmung eine objektive Sicht nicht aus, sondern deren Zusammenkommen wird durch das Symbol erst ermöglicht.
Darüber hinaus gehe ich im Sinne Lorenzers davon aus, dass der Symbolisierungsprozess einen erweiterten Handlungsspielraum durch Reflexion, Impulsverzögerung und Probehandeln ermöglicht. Hier zeigt sich die Verbindung zu Cassirers Symbolschicht als dritten Bereich.
Große Bedeutung für meine Arbeit hat Winnicotts Theorie der Funktion der Übergangsphänomene. Nach ihm gehört das Übergangsobjekt der nichtmenschlichen Umwelt an und betont neben den Selbstanteilen auch Teile der Außenwelt. Sie helfen dem Kind während der Wahrnehmung von Getrenntheit, seine Verlassenheitsängste auszuhalten. Zugleich stellen sie eine Verbindung zwischen innerer und äußerer Welt dar.
Auch während des Abnabelungsprozesses vom Elternhaus und der Individualisation des jungen Menschen eignet sich die nichtmenschliche Umwelt „einerseits einen stabilen Hintergrund für die Selbstentwicklung zu geben und andererseits als Projektionsfläche für die Symbolbildung zu dienen.”[26]
Außerdem stütze ich mich in meiner Arbeit auf die Selbstpsychologie Kohuts.
Während er die Verwendung des Selbstobjektes ausschließlich auf menschliche Teilobjekte bezieht, die dann vom Subjekt als eigener Teil erlebt werden, möchte ich sie in meiner Arbeit auf belebte Objekte erweitern.
3. Entwicklungspsychologische Aspekte des Jugendalters
Die Zeit der Pubertät stellt für den Heranwachsenden eine Übergangssituation dar. Nach der frühkindlichen Unterscheidung von Selbst und Nicht-Selbst bedeutet sie einen zweiten Schritt der Individualisierung.[27] Der Jugendliche ist mit dem beunruhigenden, oft schmerzhaften und verwirrenden Wechsel vom Kind zum Erwachsenen konfrontiert. Er muss die vertrauten Muster der scheinbar sorgenfreien Kindheit und seine Abhängigkeit lockern, eigene Verantwortung übernehmen und unter den bestehenden gesellschaftlichen Normen und Werten eine eigene Identität finden. Immer wieder wird die Frage der Selbstreflexion: "Wer bin ich?" gestellt.
Nach dem Psychoanalytiker und Familientherapeuten Helm Stierlin sind die Interessen und Bedürfnisse des Jugendlichen vor allem von drei Aspekten bestimmt: Intensivierung der Triebwünsche, kognitive Reifung und relative Verschiebung von Loyalitätsbindungen – weg von den Eltern und hin zu Gleichaltrigen und anderen Erwachsenen. Diese Ablösung von der elterlichen Autorität, also die weitgehende Aufgabe der realen und emotionalen Abhängigkeit, muss als eine der bedeutsamsten aber auch als eine der schmerzhaftesten seelischen Leistungen betrachtet werden.[28]
Als Übergangsphase ist die Adoleszenz von starken Gefühlsausbrüchen, Selbstzweifeln Einsamkeitsgefühlen und Minderwertigkeitskomplexen begleitet.
3.1 Veränderter gesellschaftlicher Status
Gesellschaftlich befindet sich der Heranwachsende in einer Zwitterstellung zwischen dem Status des Kindes und dem des Erwachsenen. Auf der einen Seite werden ihm die kindlichen Rechte - und damit eine gewisse Narrenfreiheit - abgesprochen und angemessenes, vorausschauendes und zielgerichtetes Verhalten erwartet. Auf der anderen Seite erfährt sein Wusch nach Unabhängigkeit immer wieder verletzende Einschränkungen durch Ver- und Gebote. Zugleich fehlt ihm die materielle Grundlage, ein selbstbestimmtes Leben unabhängig von den Eltern zu gestalten.
Gesellschaftliche Probleme wie z.B. ein Mangel an sinnvollen Freizeitangeboten, zu enge, naturferne Wohnräume, Auflösung sozialer Bindungen im Familienleben und Anonymität in der Nachbarschaft gelten für Schüler, wie auch für arbeitslose Jugendliche, die über noch mehr freie Zeit verfügen.
Gerade in unserer Kultur, in der Tradition und Rituale wenig Einfluss auf die individuelle Entwicklung nehmen, besteht zwar einerseits mehr Entscheidungsspielraum, andererseits vergrößert eben dieser die Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. Zu viele Möglichkeiten werden angeboten, zu wenig ist von außen gegeben. Das betrifft z.B. die Wahl der zukünftigen Lebensführung mit Berufs- und Partnerwahl, aber auch die Rolle als Mann bzw. Frau.
Hinzu kommt der folgende Zwiespalt: Der Heranwachsende übernimmt die Ansichten der Peergroup, möchte dazu gehören und anerkannt werden. Oft steht er damit aber im Widerspruch zu den Meinungen und Erwartungen der Eltern. Neben dem Wunsch nach Zugehörigkeit muss er seine eigene Identität aufbauen. Diese kann genau deshalb nicht vorgeschrieben sein, da er eine einzigartige, persönliche Variante finden muss.
3.2 Physische Veränderungen
Körperlich erfährt der Jugendliche durch die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale enorme Veränderungen. Es kommt zu beschleunigtem Wachstum und der Entwicklung der geschlechtsspezifischen Körperformen. Beim Mädchen betrifft dies die Herausbildung des weiblichen Beckens, der Brust, sowie der Menarche. Beim Jungen kommt es zu breiten Schultern, Muskelwachstum, Stimmbruch, Bartbehaarung und dem ersten Samenerguss. Diese Veränderungen stören zunächst die Körperproportionen. Der Jugendliche kommt sich fremd vor, lehnt sich eventuell ab, ist oft voller Scham und zieht sich zurück. „Der eigene Körper mag dabei manchem fremd werden und das Gefühl aufkommen, von innen und außen gleichermaßen im Stich gelassen zu werden.“[29]
In dieser Zeit, in der er sich stark mit den Veränderungen seines Körpers auseinandersetzen muss, ist der Jugendliche vermehrt empfänglich für Verunsicherungen. Zudem kann der Mangel an klaren Altersnormen für die Adoleszenzphysiologie zu Verwirrung und Verunsicherung führen.[30]
3.3 Psychische Veränderungen
Insbesondere durch hormonelle und physische Einflüsse wird auch die Psyche in Mitleidenschaft gezogen. Sie kommt den relativ schnell ablaufenden körperlichen Veränderungen nicht nach. Eine enorme Verunsicherung betrifft die Frage, wie mit den auflebenden genital-sexuellen Wünschen umzugehen ist.
Frühkindliche Wünsche und Konflikte treten verstärkt auf. Dazu gehört die regressive Sehnsucht wieder Kind zu sein, die Suche nach Halt und Anlehnung, Nähe und Wärme bis hin zu Einssein. Die Anpassungsversuche an neue innere und äußere Zustände „rufen alle Formen der Erregung, Spannung, Befriedigung und Abwehr auf den Plan, die in früheren Jahren (während der psychosexuellen Entwicklung der Säuglingszeit und frühen Kindheit) eine Rolle gespielt haben. Diese infantile Beimischung ist für den bizarren und regressiven Charakter des Adoleszenzverhaltens verantwortlich.“[31]
Sich diese Wünsche in der Beziehung zu den Eltern zu erfüllen birgt die enorme Angst, sich nie von ihnen lösen zu können. Denn neben dem Bedürfnis nach Geborgenheit steht vehement der Wunsch nach Befreiung und dem vermeintlich uneingeschränkten, alles ermöglichenden Erwachsenendasein.
Die Folge dieses Zwiespalts sind Schwankungen von Stimmung und Selbstgefühl, das heißt eine große psychische Labilität sowie eine Verwirrung der Identität.
3.4 Bedürfnisse des Mädchens
Bezogen auf das Mädchen kristallisiert sich folgender Konflikt heraus: Einerseits sucht es die Nestwärme bei den Eltern. Andererseits wünscht es sich die Akzeptanz als reif und erwachsen. In Anlehnung an die ödipale Konstellation wirbt es um des Vaters Anerkennung und Bewunderung als werdende Frau, was mit Konkurrenzgefühlen zur Mutter verbunden ist. Neben dieser Rivalität kommt es auch zu einer positiven Identifizierung mit der Mutter. Hier ist sie Vorbild als jemand, der den Schritt ins Frausein gemeistert hat und dieses am besten glücklich vorlebt. Sie wird bewundert für ihr Aussehen, ihre Art sich zu kleiden und zu bewegen, aber auch in ihrer Rolle als Managerin von Haus und Familienleben.
Diese ambivalenten Bedürfnisse des Mädchens sind oft verwirrend und können von Schuld- und Ohnmachtgefühlen, Verlustängsten sowie Zerstörungsphantasien begleitet sein.
Der Stolz auf den sich verändernden Körper ist oft mit Schamgefühlen vermischt.
Besonders den „knabenhaften“ Mädchen fällt die beunruhigende Entwicklung ihrer körperlichen Weiblichkeit schwer. Dem Umschwung aus der Rolle des Wildfangs in die eher passiv-feminine Rolle als Frau geht oft ein Schwanken zwischen einem provokativ jungenhaften und einem etwas gezwungenen mädchenhaften Verhalten mit entsprechenden Identitätskonflikten voraus.[32]
Nach Maria Zillig ist die tiefe Kindersehnsucht nach einem Tier bei Mädchen besonders stark ausgeprägt. Die Puppen sind beiseite gelegt, es drängt hinaus, will seinen Horizont erweitern. Der Wunsch nach Freiheit, Erfolg und das Erobern eigener Bereiche sind zentral. Möglichkeiten sich auszuprobieren, seine Kräfte zu messen, sich zu behaupten und seine Energie umzusetzen sind gefragt. Gesucht werden Kontakte und Anerkennung vor allem außerhalb des Elternhauses. Die große Empfindsamkeit bedingt die Angst vor Verletzungen und das Bedürfnis nach Schutz. Parallel besteht eine Sehnsucht nach innigster Verbundenheit, in welcher das Mädchen Zuneigung erfahren und sich geborgen fühlen möchte.
Für all diese Bedürfnisse bietet sich die Beziehung zu einem Tier besonders an. Das Mädchen kann mit ihm spielerische und wilde Seiten ausleben und fühlt sich zugleich durch die Verantwortlichkeit einem Lebewesen gegenüber aufgewertet. Besonders dessen Zutraulichkeit, Anhänglichkeit und Gefügigkeit kommen dem weiblichen Wunsch nach Versorgen entgegen.[33] Das Mädchen erlebt sich als vom Tier geliebt, wie es ist, erfährt Aufmerksamkeit und innige Freundschaft und kann sich gemeinsam mit ihm stark fühlen. Unsicherheiten, die möglicherweise in zwischenmenschlichen Beziehungen bestehen, treten hier in den Hintergrund.
4. Mädchens „Pferdewelt“
4.1 Im Kinderzimmer
Die Welt der Pferde beginnt nicht erst im Stall, sondern bereits auf dem Schoß der Großen. Sobald das Kleinkind sitzen kann, wiederholt es unermüdlich und mit großem Vergnügen „Hoppe, hoppe Reiter“. Seine Fortführung findet dieses Spiel der pferdebegeisterten Mädchen mit Schaukel- und Steckenpferd, die sowohl wild geritten, als auch liebevoll gepflegt werden. Später werden Freunde und Mitschüler an den Zügel genommen. Diese Pferderollenspiele leben unter anderem von der Analogie der Gangarten Schritt und Trab mit dem menschlichen Gehen und Rennen.[34] [35]
Mit größter Ausdauer und Leidenschaft werden sowohl Zeitschriften (Lizi,
Wendy, Reiter Revue...) als auch Sach- und Abenteuerbücher (Mein Freund Flicka, Pony Stormy, Der Pferdeflüsterer...) über Pferde gewälzt. Hinzu kommen zahlreiche Filme, besonders Fernsehserien (Black Beauty, Fury, Süderhof). Hier finden sich Idealisierung und Dramatisierung der Beziehung von Pferd und Reiter, die insbesondere Mädchen ansprechen und faszinieren. Die Zimmer der pferdebegeisterten Mädchen sind voll mit Pferdepostern, Pferdebettwäsche, Miniaturpferden und Ähnlichem.
4.2 Im Reitstall
Mit etwas Glück ermöglichen die Eltern den acht- bis zehnjährigen Ferien auf dem Ponyhof bzw. erste Voltigier- oder Reitstunden.
Obwohl noch im vergangenen Jahrhundert die breite Bevölkerung den Ausritt der wenigen Privilegierten mit neugierigen Blicken verfolgte, kostet heute eine Reitstunde schließlich nicht mehr als zwei Kinobesuche.
Während es bisher fiktiv nach Hause geholt wurde, wird mit dem Schritt in den Stall die reale Welt des Pferdes betreten. Als eindrucksvoll erlebt das Kind die vielen Tiere, neue Menschen, die Stallungen, den Geruch und die Geräusche (Schnauben, Wiehern, Scharren), die große Reithalle, die unendlichen Weiden, die im Idealfall in Wald und Wiesen, das heißt in die freie Natur, übergehen.
Zum ersten mal steht das Kind dem wirklichen Pferd in seiner Größe und Stärke gegenüber. Ein erstes Streicheln an den sensiblen Nüstern vermittelt die Weichheit und Wärme des mächtigen Tieres.
Bald schon trennt sich die „Spreu vom Weizen“: Einige Mädchen bleiben dabei, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen einmal wöchentlich zu ihrer Reitstunde gebracht zu werden, während der die Eltern am Rand warten. Sobald die Stunde zuende ist, fahren sie wieder nach Hause. In dieser Arbeit aber geht es um die Pferde-Leidenschaft derjenigen, die extra früh aufstehen und den oft weiten Weg zum Stall bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zurücklegen, damit sie noch ein wenig länger die Zeit mit ihrem Vierbeiner auskosten können. Diese Mädchen misten freiwillig zahlreiche Boxen aus, um sich eine Reitstunde zu erarbeiten. Sie verbringen bald jede freie Minute im Stall, putzen ihren Liebling, führen ihn stundenlang spazieren und haben es mit den Gleichgesinnten wichtig. Man könnte sagen, sie haben nur noch „Pferdemist“ im Kopf.
Die Pflege des Pferdes, das Füttern und Tränken, auf die Weide bringen, Misten, Fegen, Sattelzeug reinigen, beinhaltet auch die Übernahme von Verantwortung. Das macht stolz und fördert „Selbständigkeit und Loslösung von zu Hause“[36]
Durch das enge Miteinander bildet sich eine innige Verbundenheit. Besonders beim Putzen spürt das Kind unmittelbar die Körperlichkeit des Tieres.
Obwohl die meisten von ihnen ihr anvertrautes Pflegepferd über alles lieben, bleibt die Sehnsucht nach einem eigenen Pferd stets erhalten. „Mit 14 Jahren habe ich einen Wunschzettel geschrieben, auf dem mindestens 100 mal geschrieben stand: Ich wünsche mir ein Pferd!“[37] Wenn aber dieser lang ersehnte Wunsch in Erfüllung geht, ist das Glück nahezu unbeschreiblich. Das Gefühl, über Leben verfügen zu können, noch dazu über ein so großes Lebewesen wie das Pferd, dessen Wohl von nun an im Erleben des Mädchens von ihm abhängt, ist überwältigend.
4.3 Das Wesen des Pferdes im Umgang mit dem Menschen
Das Pferd ist ein Herdentier. Es verfügt über ein ausgeprägtes Sozialverhalten und bringt die Bereitschaft mit sich unterzuordnen. Diese Eigenschaften kommen dem Menschen zugute. Denn „immer ist das artgemäße Bedürfnis des Pferdes nach sozialem Kontakt die Grundlage seiner Bindung an den Menschen gewesen. Im speziellen Umgang bedeutet dies, dass das Pferd den Menschen als ranghöheres Mitglied der Herde akzeptiert und sich somit unterordnet, ohne seine Eigenart zu verlieren.“[38]
Das Pferd ist auch ein Fluchttier. Von daher äußerst aufmerksam, scheint es alles wahrzunehmen. Interessiert, aber nie aufdringlich wendet es sich allen Ereignissen zu, was in seinem gesamten Körper zum Ausdruck kommt: Zunächst spitzt es die Ohren und weitet die Nüstern. Dann dreht es den Kopf und schließlich sich selber der Ursache seiner Aufmerksamkeit entgegen. Diese Neugierde und Aufgeschlossenheit gilt auch dem Menschen gegenüber. Diesen fordert die Scheu des Tieres heraus. Über Vertrauen und Gehorsam muss der Reiter es schaffen, das Pferd für sich zu gewinnen und den natürlichen Angsttrieb zu überwinden. Pferde fühlen sich nur in der Gesellschaft von Artgenossen oder anderer Lebewesen, die sie als Partner akzeptieren, sicher. Daher bedarf es vom Menschen ständiger, geduldiger Zuwendung, ihnen außerhalb des Gruppenverbandes Sicherheit zu vermitteln.[39] Auch Meyners geht davon aus, dass das Ziel der Partnerschaft zum Pferd eine „herausfordernde Situation“[40] darstellt.
[...]
[1] Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 1400
[2] Vgl. www.brockhaus.de. Stichwort «Symbol»
[3] Cassirer 1923-1929
[4] Cassirer 1969, S. 9
[5] Cassirer 1969 S. 10
[6] Vgl.: Laplanche/Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt am Main 1977
[7] Laplanche/Pontalis 1977, S. 483
[8] Freud 1969, S. 9ff
[9] Laplanche/Pontalis 1977, S. 483
[10] Freud. Ges. W. Bd II/III. 1900
[11] Vgl.: Laplanche/Pontalis 1977, S. 582
[12] Jung 1958, S.148
[13] Vgl.: Mackenthun 1998
[14] Vgl. Lorenzer 1972, S 91
[15] Vgl. Gebhard in Schreier 1997, S. 46
[16] Gebhard 2001, S. 72
[17] Gebhard 2001, S. 71
[18] Winnicott 1976, S. 20
[19] Vgl. Thomä/Kächele 1986, S. 72
[20] Gebhard 2001, S. 40
[21] Stork, J. in Winnicott 1976, S. 25
[22] Jacobson 1973, S. 59
[23] Winnicott 1976, S. 25
[24] Winnicott 1985, S.15
[25] Habermas 1996, S. 173
[26] Vgl. Langer in Gebhard 2001, S. 41
[27] Vgl. Blos 1978, S. 24
[28] Stierlin 1975, S. 202
[29] Schönhammer/Wagenmann 1994, S. 105
[30] Blos 1978, S. 18
[31] Blos 1978, S. 24
[32] Vgl. Jacobson 1973, S. 175
[33] Vgl. Zillig 1961, S. 50
[34] Mit „Pferdewelt“ bezeichne ich im Folgenden sowohl das Pferd selber, als auch alles, was für das Mädchen mit ihm verbunden ist.
[35] Vgl. Schönhammer/Wagenmann, 1994, S. 16
[36] Schönhammer/Wagenmann 1994, S. 27
[37] Krahl 2001
[38] Klüwer 1994, S. 7
[39] Vgl.: Deutsche Reiterliche Vereinigung 1997, S.13ff
[40] Vgl.: Elsner/Meyners, S. 8
- Arbeit zitieren
- Barbara Wehmeyer (Autor:in), 2002, Pferdephantasien - Eine empirische Rekonstruktion der symbolischen Bedeutung von Pferden für Mädchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14124
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