Indien ist seit seiner Entdeckung durch den portugiesischen Seefahrer Vasco da Gama im Jahre 1498 beliebtes Reiseziel von Händlern, Abenteurern und Kolonialisten, aber auch Malern und Schriftstellern gewesen. Deutsche Autoren wie Hermann Hesse, Hubert Fichte und Josef Winkler bereisten und beschrieben Indien, nutzten Land und Leute als Inspirationsquelle und veröffentlichten sowohl realistische als auch ideal-mythische Texte.
Besonders viel Aufmerksamkeit wurde den Indienreisen von Günter Grass zuteil, der erstmals 1975 auf Einladung des „Indian Council for Cultural Relations“ in Neu Delhi, Calcutta und Kerala zu Besuch war. Drei Jahre später fuhr Grass erneut, diesmal im Auftrag des Goethe-Instituts und zusammen mit seiner Frau Ute, nach Asien und verbrachte zehn Tage in Bombay. Vom August 1986 bis Januar 1987 schließlich lebte das Ehepaar Grass in Calcutta – der längste und künstlerisch ertragreichste Aufenthalt.
Eine literarische Verarbeitung der Indien-Erlebnisse erfolgte erstmals im Kapitel „Vasco kehrt wieder“ aus „Der Butt“ (1977). In „Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus“ (1980) lässt Grass das fiktive Lehrerehepaar Harm & Dörte Peters nach Ostasien reisen, um dort ihre deutsche Identität zu reflektieren. „Zunge zeigen“ (1988) schließlich ist das literarische und graphische Resümee des sechsmonatigen Aufenthalts in Calcutta; ein Reisetagebuch, das für große Resonanz sorgte, die Zeitungen mit positiven wie negativen Kritiken füllte und das den Schwerpunkt für die vorliegende Arbeit bilden soll.
Die grundlegende Fragestellung lautet, ob und wie Günter Grass die Annäherung an das „fremde“ Calcutta gelingt, auf welche Weise er dort das „eigene“ Europa reflektiert und unter welchen Vorzeichen diese Begegnung zweier Kulturen steht. Die literarische Essenz wird in Form und Inhalt nach Hinweisen für obige Fragen untersucht, und auch die Reaktionen deutscher und indischer Literaturkritiker werden im kulturellen Diskurs berücksichtigt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Vorzeichen: Was brachte Grass nach Indien mit?
- Die Aufklärung
- Das sozial-politische Engagement
- Die Kritiker
- Das Vorwissen
- Die Erwartungen
- Calcutta - Die Stadt der Göttin Kali
- Entstehung und Entwicklung
- Die Schutzgöttin Kali
- Das Zungen-Motiv
- Begegnungen und Erfahrungen
- Konfrontation mit dem Elend
- Freunde und Feinde
- Kunst und Kultur
- Indische und deutsche Literatur
- Die Wirkung der Reise
- Erste Reaktionen
- Blick auf die Heimat
- Das Verhältnis zum Fremden
- Die künstlerische Essenz
- Die Graphiken
- Der Prosateil „Im Norden Calcuttas“
- Das Stadtgedicht
- Einige Reaktionen
- Resonanz in Deutschland
- Indische Rezeption
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Günter Grass' literarische und graphische Auseinandersetzung mit Indien in seinem Werk „Zunge zeigen“. Das zentrale Anliegen ist die Analyse der Annäherung an das „fremde“ Calcutta, die Reflexion des „eigenen“ Europa im Kontext dieser Begegnung und die Vorzeichen dieser interkulturellen Konfrontation. Die Arbeit beleuchtet die literarische Essenz des Werks in Form und Inhalt und berücksichtigt die Reaktionen deutscher und indischer Literaturkritiker im kulturellen Diskurs.
- Grass' persönliche und politische Vorzeichen vor der Indienreise.
- Die Begegnung mit der indischen Kultur, insbesondere der hinduistischen Mystik und dem Elend Calcuttas.
- Die Reflexion europäischer Identität und Kultur im Kontext der indischen Erfahrung.
- Die künstlerische Umsetzung der Reiseerfahrungen in Text und Grafik.
- Die Rezeption von „Zunge zeigen“ in Deutschland und Indien.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der Indienreisen deutscher Autoren ein und betont die besondere Bedeutung von Günter Grass' Aufenthalt in Calcutta als Grundlage für „Zunge zeigen“. Die Arbeit untersucht, wie Grass die Annäherung an das fremde Calcutta gestaltet, Europa reflektiert und die Begegnung zweier Kulturen darstellt. Die literarische Essenz wird in Form und Inhalt auf Hinweise zu diesen Fragen hin untersucht, ebenso wie die Reaktionen deutscher und indischer Literaturkritiker.
Vorzeichen: Was brachte Grass nach Indien mit?: Dieses Kapitel beleuchtet die intellektuellen, politischen und persönlichen Voraussetzungen, die Grass' Indienreise prägten. Es analysiert seinen aufgeklärten Humanismus, sein sozial-politisches Engagement, sein schwieriges Verhältnis zu den Kritikern und die Erwartungen, die er an die Reise hegte. Grass' Auseinandersetzung mit der Aufklärung, insbesondere die Kritik an der Verabsolutierung der Vernunft und die Ambivalenz gegenüber religiösen Ritualen, wird in Relation zu seiner Begegnung mit der hinduistischen Mystik gesetzt. Sein politisches Engagement als Mahner und seine kritische Haltung zu verschiedenen politischen Systemen werden als weitere Vorzeichen dargestellt.
Calcutta - Die Stadt der Göttin Kali: Dieses Kapitel beschreibt Calcuttas Entstehung und Entwicklung sowie die Bedeutung der Göttin Kali im Kontext des Buches. Das Kapitel beschreibt die Göttin Kali und ihre Bedeutung für die Stadt und die Menschen und stellt den Bezug zwischen dem Zungenmotiv und Kali her. Der Abschnitt untersucht die Stadt selbst, ihre Geschichte und ihren kulturellen Kontext, sowie die symbolische Bedeutung der Göttin Kali als eine Kraft der Schöpfung und Zerstörung, die die Komplexität der Stadt repräsentiert. Der Zusammenhang zum Zungenmotiv, als Ausdruck von Kritik und Provokation, wird beleuchtet.
Begegnungen und Erfahrungen: Dieses Kapitel befasst sich mit Grass' konkreten Begegnungen und Erfahrungen in Calcutta. Es beschreibt seine Konfrontation mit dem Elend, seinen Umgang mit Freunden und Feinden, seine Beobachtungen zur Kunst und Kultur sowie seine Auseinandersetzung mit indischer und deutscher Literatur. Die Kapitel-Zusammenfassung beleuchtet die vielschichtigen Erfahrungen Grass' in Calcutta, die von intensiven Begegnungen mit Armut und Elend bis hin zu positiven Interaktionen mit Menschen und Kunstwerken reichten. Die Auseinandersetzung mit der indischen Literatur und der Vergleich mit der deutschen Literatur werden analysiert.
Die Wirkung der Reise: Hier werden die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der Calcutta-Reise auf Grass' Denken und Schaffen untersucht. Es werden seine ersten Reaktionen, sein Rückblick auf die Heimat und seine veränderte Sicht auf das Fremde analysiert. Der Abschnitt beleuchtet die nachhaltige Wirkung der Reise auf Grass' Wahrnehmung und sein künstlerisches Schaffen. Die Entwicklung seiner Einstellung zum „Fremden“ wird analysiert, beginnend mit den ersten unmittelbaren Eindrücken und Reaktionen bis hin zur Betrachtung aus der Distanz der Heimat.
Die künstlerische Essenz: Dieses Kapitel analysiert die künstlerischen Ausdrucksformen in „Zunge zeigen“, insbesondere die Graphiken, den Prosateil „Im Norden Calcuttas“ und das Stadtgedicht. Es wird die ästhetische Gestaltung und die narrative Struktur des Werks im Kontext der Reiseerfahrungen analysiert. Die Integration von verschiedenen künstlerischen Mitteln (Grafik, Prosa, Lyrik) zur Vermittlung der Eindrücke wird erläutert, wobei die jeweiligen Stärken jedes Mediums und ihre synergetische Wirkung auf die Gesamtkomposition untersucht werden.
Einige Reaktionen: Die Zusammenfassung dieses Kapitels behandelt die Resonanz auf „Zunge zeigen“ in Deutschland und Indien. Sie beleuchtet die verschiedenen kritischen Stimmen und die unterschiedlichen Perspektiven auf das Werk in beiden Ländern. Die unterschiedlichen Reaktionen in Deutschland und Indien spiegeln die unterschiedlichen kulturellen und politischen Kontexte wider und beleuchten die Komplexität der interkulturellen Kommunikation und der Rezeption von Kunstwerken.
Schlüsselwörter
Günter Grass, Zunge zeigen, Indien, Calcutta, Fremderfahrung, Selbstreflexion, Aufklärung, sozial-politisches Engagement, Hinduismus, Göttin Kali, interkulturelle Begegnung, Literatur, Grafik, Rezeption.
Häufig gestellte Fragen zu Günter Grass' "Zunge zeigen"
Was ist der Inhalt von Günter Grass' "Zunge zeigen"?
"Zunge zeigen" ist ein Werk von Günter Grass, das seine Reise nach Kalkutta und seine Auseinandersetzung mit der indischen Kultur dokumentiert. Es kombiniert grafische Arbeiten mit literarischen Texten (Prosa und Poesie), um die Begegnung mit dem "fremden" Kalkutta und die Reflexion des "eigenen" Europa darzustellen. Das Buch untersucht die interkulturelle Konfrontation und die damit verbundenen Erfahrungen.
Welche Themen werden in "Zunge zeigen" behandelt?
Das Buch thematisiert Grass' persönliche und politische Vorzeichen vor der Indienreise, seine Begegnung mit der indischen Kultur (insbesondere Hinduismus und das Elend Calcuttas), die Reflexion europäischer Identität im indischen Kontext, die künstlerische Umsetzung der Reiseerfahrungen und die Rezeption des Werkes in Deutschland und Indien. Die Rolle der Göttin Kali und das Zungenmotiv spielen eine zentrale symbolische Bedeutung.
Wie ist "Zunge zeigen" strukturiert?
Das Werk ist in mehrere Kapitel gegliedert, beginnend mit einer Einleitung und einer Darstellung der Vorzeichen der Reise. Es folgt eine Beschreibung Calcuttas und der Begegnungen Grass', die Analyse der Wirkung der Reise auf den Künstler, eine Untersuchung der künstlerischen Essenz des Werkes (Grafiken, Prosa, Poesie) und schließlich eine Zusammenfassung der Rezeption in Deutschland und Indien.
Welche Rolle spielt die Göttin Kali in "Zunge zeigen"?
Die Göttin Kali, Schutzgöttin Calcuttas, dient als wichtiges Symbol, das die Komplexität und die Ambivalenz der Stadt repräsentiert – Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod. Der Bezug zum Zungenmotiv, als Ausdruck von Kritik und Provokation, wird im Kontext von Kali untersucht.
Welche Bedeutung hat das Zungenmotiv?
Das Zungenmotiv ist ein zentrales Symbol in "Zunge zeigen" und kann als Ausdruck von Kritik, Provokation und der Ambivalenz der Begegnung mit dem Fremden interpretiert werden. Es wird im Zusammenhang mit der Göttin Kali und der komplexen Erfahrung Calcuttas betrachtet.
Wie wird die Rezeption von "Zunge zeigen" in Deutschland und Indien dargestellt?
Das Buch untersucht die unterschiedlichen Reaktionen auf "Zunge zeigen" in Deutschland und Indien. Die unterschiedlichen Perspektiven und kritischen Stimmen spiegeln die kulturellen und politischen Kontexte der beiden Länder wider und beleuchten die Herausforderungen der interkulturellen Kommunikation und der Kunstinterpretation.
Welche Ziele verfolgt die Analyse von "Zunge zeigen"?
Die Analyse zielt darauf ab, Grass' literarische und graphische Auseinandersetzung mit Indien zu untersuchen. Im Mittelpunkt steht die Analyse der Annäherung an das "fremde" Kalkutta, die Reflexion Europas in diesem Kontext, die Vorzeichen der interkulturellen Konfrontation und die literarische Essenz des Werkes in Form und Inhalt.
Welche Schlüsselwörter beschreiben "Zunge zeigen"?
Schlüsselwörter zur Beschreibung des Buches sind: Günter Grass, Zunge zeigen, Indien, Kalkutta, Fremderfahrung, Selbstreflexion, Aufklärung, sozial-politisches Engagement, Hinduismus, Göttin Kali, interkulturelle Begegnung, Literatur, Grafik, Rezeption.
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- Anna-Maria Heinemann (Author), 2006, Fremderfahrung und Selbstreflexion in "Zunge zeigen" von Günter Grass, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140871