Mit der Regierungsübernahme durch Nicolas Sarkozy 2007 lassen sich in Frankreich zunehmend Tendenzen beobachten, welche die Medien verstärkt staatlicher Einflussnahme unterwerfen. Es häufen sich Meldungen über Redaktionsdurchsuchungen, Verhaftungen von Journalisten und den zunehmenden Einsatz juristischer Mittel gegen Medienschaffende. Damit wird die politische Wirklichkeitsvermittlung durch die Massenmedien zunehmend von staatlichen Eingriffen geprägt; die Medien laufen Gefahr, für politische Absichten instrumentalisiert zu werden.
Mithilfe der vergleichenden Mediensystemforschung, insbesondere der Arbeit „Comparing Media Systems“ von Hallin und Mancini werden die Verschiebungen im Kräftespiel zwischen der Regierung unter Präsident Sarkozy und den Medien analysiert und erläutert, welche rechtlichen, systemischen und ökonomischen Bedingungen diese Entwicklungen herbeigeführt bzw. begünstigt haben.
Die Arbeit zeigt auf, wie es Sarkozy gelingt, die Medienfreiheit einzuschränken und in weiten Teilen um ihre Kontrollfunktion im demokratischen Staat zu bringen. Ein Hauptmerkmal ist der Klientelismus, d. h. die Schaffung eines Systems von Abhängigkeiten und die Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Sie spielen in Frankreich eine zunehmend bedeutende Rolle, sodass kaum noch ein Unterschied zu traditionell klientelistischen Ländern wie Italien festzustellen ist und von einer „Berlusconisierung“ der französischen Medienlandschaft gesprochen werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Pressefreiheit und Staatsgewalt: Der inhärente Konflikt
2. Vergleichende Mediensystemforschung
2.1 Zur Problematik des Systembegriffs
2.2 Hallin und Mancini: Comparing Media Systems
2.2.1 Typologisierung
2.2.2 Frankreich: Grenzfall zwischen Polarisiert Pluralistischem und Demokratisch Korporatistischem Modell
3. Besonderheiten des Beziehungsgeflechts Mediensystem und politisches System in Frankreich
3.1 Aufbau und rechtlicher Rahmen des Mediensystems
3.1.1 Presse: Bestandsaufnahme
3.1.2 Presse: Rechtliche Rahmenbedingungen
3.1.3 Rundfunk: Bestandsaufnahme
3.1.4 Rundfunk: Rechtliche Rahmenbedingungen
3.1.5 Neue Medien: Bestandsaufnahme
3.1.6 Neue Medien: Rechtliche Rahmenbedingungen
3.2 Medienökonomie
3.2.1 Staatliche Subventionen
3.2.2 Medienkonzentration
3.3 Akteure der Medienlandschaft
3.3.1 Medieneigentümer - Einfluss branchenfremder Großunternehmer auf die Medien
3.3.2 Journalisten - Selbstverständnis
4. Verstärkter Zugriff des Staates auf das Mediensystem - Tendenzen seit dem Regierungsantritt von Präsident Sarkozy
4.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
4.1.1 Informanten-/ Quellenschutz
4.1.2 Einsatz juristischer Mittel - Anwendung der „offense au Président de la République“...
4.2 Systemische Entwicklung: Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
4.2.1 Abschaffung der Werbung
4.2.2 Entscheidung über den Chef von France Télévisions
4.3 Entwicklungen auf personeller Ebene: Das Verhältnis des Präsidenten zu den Medien
4.3.1 Strategien und Ziele der Medienpräsenz
4.3.2 Nutzung persönlicher Netzwerke
4.3.2.1 Direkte Einflussnahme auf die Beschäftigung von Journalisten
4.3.2.2 Förderung journalistischer Selbstzensur
5. Frankreich: Grenzfall zwischen Polarisiert Pluralistischem und Demokratisch Korporatistischem Modell?
6. Literatur
1. Pressefreiheit und Staatsgewalt: Der inhärente Konflikt
„La liberté de la presse ne s’use que quand on ne s’en sert pas“[1] (Canard Enchaîné 2009) lautet das Motto der satirischen Wochenzeitung Le Canard Enchaîné, die sich in Frankreich den Ruf eines unbequemen und für die Regierungsmacht oftmals lästi- gen Mahners und Störenfrieds erworben hat. Regelmäßig sorgt sie mit aus guten Quellen gespeisten Informationen für die Aufdeckung kleinerer und größerer Affären und löst mit manchmal brisanten Enthüllungen regierungsamtlichen Rechtfertigungs- und Handlungsbedarf aus. Das Motto der Zeitung erinnert daran, dass die Meinungs- und Pressefreiheit, deren Existenz durch alle wesentlichen Menschen- und Bürger- rechtserklärungen der demokratischen Staaten, der Vereinten Nationen und der Eu- ropäischen Union theoretisch festgeschrieben ist, selbst in rechtsstaatlichen Syste- men durchaus nicht selbstverständlich ist. Sie ist kein einmal erkämpftes Recht, das per se unantastbar ist, vielmehr muss diese Freiheit auch hier regelmäßig in der täg- lichen Praxis der Berichterstattung gegen Gefährdungen und Eingriffe des Staates verteidigt werden, wenn sie nicht einem offenen oder schleichenden Erosionsprozess zum Opfer fallen soll. Der Erhalt des immanenten Gegensatzes zwischen freier Be- richterstattung einerseits und staatlichem Handeln andererseits ist ein Grundmerkmal demokratischer Regierungsformen, die sich daran messen lassen müssen, wie viel Kritik sie tolerieren können. Auch in der Demokratie kollidiert der Anspruch auf mög- lichst weitgehende Transparenz des Regierungshandelns regelmäßig mit dem Wunsch nach möglichst reibungsloser Umsetzung politischer Ziele.
Ergänzend sei angemerkt, dass natürlich Bedrohungen der Medienfreiheit nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch - und möglicherweise in zunehmendem Maße - von einzelnen wirtschaftlichen, religiösen oder sonstigen Interessengruppen ausgehen. Welche Brisanz diesen Auseinandersetzungen innewohnt, hat nicht zuletzt der erbitterte Streit um die in dänischen Zeitungen erschienenen so genannten „Mohammed Karikaturen“ exemplarisch gezeigt.
Mit der Regierungsübernahme in Frankreich durch Nicolas Sarkozy im Jahr 2007 lassen sich in Frankreich zunehmend Tendenzen beobachten, die geeignet sind, die Medien verstärkt staatlicher Einflussnahme zu unterwerfen. In der internationalen Be- richterstattung häufen sich seit dem Regierungsantritt Sarkozys Meldungen über Re- daktionsdurchsuchungen, Verhaftungen von Journalisten und den zunehmenden Einsatz juristischer Mittel gegen im Medienbereich Tätige. Es entsteht der Eindruck, dass in zunehmendem Ausmaß die politische Wirklichkeitsvermittlung durch die Massenmedien von staatlichen Eingriffen geprägt wird. Dies bedroht die Kontrollfunk- tion der Medien gegenüber der Staatsgewalt und setzt sie der Gefahr aus, für die po- litischen Absichten einzelner Akteure instrumentalisiert zu werden. Die vorliegende Arbeit versucht zu analysieren, welche Verschiebungen im Kräfte- spiel zwischen der Regierung unter Präsident Sarkozy und den Medien sich in den letzten Jahren in Frankreich abgezeichnet haben und beschreibt die aktuellen Ten- denzen und Entwicklungen. Es soll erläutert werden, welche rechtlichen, systemi- schen und ökonomischen Bedingungen diese Entwicklungen herbeigeführt bzw. be- günstigt haben.
Zunächst gibt die einleitende Darstellung der vergleichenden Mediensystemforschung anhand der Arbeit Comparing Media Systems von Hallin und Mancini (2004) die Untersuchungsergebnisse zum Beziehungsgeflecht zwischen Mediensystem und politischem System überblicksartig wieder. Von besonderem Interesse sind hier die Ergebnisse zur Freiheit der Medien.
Anschließend werden durch die Beschreibung des Aufbaus des Mediensystems, einer Erläuterung der für das Mediensystem relevanten Gesetzgebung sowie der Vorstellung der medienökonomischen Bedingungen und der Akteure der französischen Medienlandschaft die Verflechtungen von Politik und Medien aufgezeigt. Schließlich sind die aktuellen Tendenzen unter Frankreichs Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy Gegenstand des darauf folgenden Kapitels: es soll aufgezeigt werden, mit welchem Instrumentarium der Staatspräsident wachsenden Zugriff auf die Medien erreicht; dabei müssen sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen (Makroebene), die systemischen Entwicklungen (Mesoebene) und die Entwicklungen auf personeller Ebene (Mikroebene) einer Analyse unterzogen werden.
2. Vergleichende Mediensystemforschung
In den letzten Jahren ist die Methode des internationalen Vergleiches in den Sozial- wissenschaften zunehmend zum Einsatz gekommen (vgl. Engesser/ Franzetti 2009: 1; vgl. Gurevitch/ Blumler 2003: 372; vgl. Esser/ Pfetsch 2003: 9). Die Annahme, dass Mediensysteme von Rahmenbedingungen geprägt sind, die außerhalb der nati- onalen Grenzen variieren, hat zu dem Schluss geführt, dass die vergleichende Per- spektive mehrfachen Erkenntnisgewinn verspricht (vgl. Weßler 2008: 219), da sie die Möglichkeit bietet, nationale Kommunikationsverhältnisse am Beispiel anderer Natio- nen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls Problemlösungen innerhalb der Me- diensysteme zu finden. Zudem können durch komparative Forschungen national o- der kulturell bedingte Gesetzmäßigkeiten erschlossen und globale Entwicklungen er- kannt werden (vgl. Thomass 2007a: 32). Probleme bei internationalen Vergleichen finden sich in erster Linie in der Datenlage: oftmals sind die Daten in den einzelnen Ländern nicht im gleichen Ausmaß vorhanden oder - aufgrund unterschiedlicher Konzeptualisierungen - nur schwer miteinander vergleichbar. Diese Problematik wird vor allem bei der Messung der Medienfreiheit in den einzelnen Ländern relevant (vgl. Kapitel 5).
2.1 Zur Problematik des Systembegriffs
In der Beschäftigung mit dem Verhältnis von Politik und Medien hat sich der System- begriff etabliert: die Begriffe „politisches System“ und „Mediensystem“ erhalten je- doch je nach Erkenntnisinteresse der verschiedenen Autoren unterschiedliche defini- torische Eingrenzungen. In vielen Fällen wird der Systembegriff jedoch nicht analog der von Parsons und Luhmann begründeten Systemtheorie verwendet. Franzetti und Engesser vermuten, dass sich dies nicht zuletzt auf die schwere Operationalisierbar- keit der Ansätze und die Probleme ihrer empirischen Prüfung zurückführen lässt (vgl. Engesser/ Franzetti 2009: 2).
Da eine umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Systembegriff an dieser Stelle nicht möglich ist, wird auf die Autoren Thomass (vgl. 2007a: 12ff) und Engesser/ Franzetti (vgl. 2009: 1ff) verwiesen, die die Definitionsproblematik ausführlich behan- deln.
2.2 Hallin und Mancini: Comparing Media Systems
In ihrem im Jahre 2004 veröffentlichten Werk Comparing Media Systems verfolgen Daniel C. Hallin und Paolo Mancini ähnlich wie rund ein halbes Jahrhundert vor ihnen die Autoren Siebert, Peterson und Schramm (vgl. Siebert et al. 1956), das Ziel, Zu- sammenhänge zwischen Mediensystem und politischem System aufzudecken (vgl. ebd.: xiii). Dabei sollen die Schwächen von Siebert, Peterson und Schramm - die vor allem in der ungenügenden empirischen Betrachtung des Verhältnisses von Medien- system und sozialen System und in der allzu starken Fokussierung auf die Legitima- tion von Systemen liegen (vgl. ebd.: 9) - behoben und die bereits 1956 gestellte Fra- ge „[…] why is the press as it is?“ (Siebert et al. 1956: 1) endgültig beantwortet wer- den (vgl. Hallin/ Mancini 2004: 1).
Ein wesentlicher methodischer Ansatz liegt in der starken Begrenzung des Untersu- chungsgegenstandes. Er beschränkt sich auf eine Gruppe von 18 Ländern Westeu- ropas und Nordamerikas (small-n research), die recht homogen ist, da sie sich in Be- zug auf Kultur, Geschichte und Institutionen ähneln (vgl. ebd.: xiv). Damit ist die Un- tersuchung als most similar cases-Design angelegt (vgl. ebd.: 6), wobei sich die Au- toren auf die politische Rolle der Medien (Journalismus, Nachrichtenmedien) und in geringerem Ausmaß auf Medienpolitik und Medienrecht (vgl. ebd.: 7/ 1) konzentrie- ren.
Hauptziel der vergleichenden Untersuchung, die vor allem auf der Auswertung von Sekundärliteratur wie Daten zu Mediensystemen und Informationen lokaler Experten basiert (vgl. ebd.: 15f), ist es nicht, einzelne Systeme zu klassifizieren, sondern typi- sche Muster in den Zusammenhängen zwischen den Systemmerkmalen aufzude- cken (vgl. ebd.: 11). Bei der Erarbeitung von Konzepten wird auf eine empirische Prüfung verzichtet: „[…] we do not claim to have tested those hypotheses here […]“ (ebd.: 5).
2.2.1 Typologisierung
Das erste Unterscheidungskriterium von Mediensystemen, nach Hallin und Mancini, bezieht sich auf die Struktur des Pressemarktes: unterschieden wird zwischen stark kommerzialisierten Pressemärkten, in denen die Zeitung als Massenmedium an ein breites Publikum gerichtet ist, und Presselandschaften, in denen sich Presseproduk- te an ein eher elitäres Publikum wenden und eine geringere Auflage aufweisen (vgl. ebd.: 22).
Das zweite angewandte Kriterium ist der Grad an Richtungsgebundenheit der Me- dien an politische Parteien: die Parallelität zwischen dem politischen und dem Me- diensystem wird als hoch bezeichnet, wenn Medien eine starke ideologische Orien- tierung aufweisen und recht eindeutig einem politischen Lager zugeordnet werden können (vgl. ebd.: 28).
Im Rundfunk manifestiert sich der Umfang an „political parallelism“ (ebd.: 26) vor allem in der Beaufsichtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hallin und Mancini erläutern unterschiedliche Steuerungsmodelle, in denen das Ausmaß des Einflusses der Politik in der Aufsicht variiert (vgl. ebd.: 30ff).
Ferner lassen sich Mediensysteme am Grad journalistischer Professionalität unter- scheiden. Sie manifestiert sich laut Hallin und Mancini nicht nur in einer unabhängi- gen und ausgewogenen Berichterstattung, sondern auch in der Unabhängigkeit des Journalismus von anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, dem Vorhandensein ei- gener beruflicher Normen sowie der Orientierung am Gemeinwohl (vgl. ebd.: 33ff). Journalistische Professionalität ist wenig ausgeprägt wenn „outside actors - parties, politicians, social groups or movements, or economic actors seeking political influen- ce“ (ebd.: 37) - die Medien instrumentalisieren, d.h. kontrollieren (vgl. ebd.).
Darüber hinaus variieren Mediensysteme in Bezug auf staatliche Interventionen. Hal- lin und Mancini unterscheiden Systeme, in denen der Staat durch eine Vielzahl an Gesetzen und durch weit reichende finanzielle Interventionen in die Medien eingreift, von kommerzialisierten Systemen, in denen sich der Staat weitgehend zurückhält (vgl. ebd.: 41ff).
Hallin und Mancini stellen bei diesen Kriterien signifikante Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern fest. Darauf aufbauend entwickeln sie eine Typologie von Mediensystemen, in der auch politische Kontextvariablen berücksichtigt werden: “me- dia systems are shaped by the wider context of political history, structure and culture” (ebd.: 46).
Aus dem Auftreten der strukturellen Variablen in fest gefügten Konfigurationen entwi- ckeln die Autoren drei Modelle, die sie als „ideal types“ (ebd.: 11) bezeichnen (vgl. Pfetsch/ Maurer 2008: 107): das Liberal Model (Liberales Modell), das Democratic Corporatist Model (Demokratisch Korporatistisches Modell) und das Polarized Plura- list Model (Polarisiert Pluralistisches Modell) (vgl. Hallin/ Mancini 2004: 11ff). Zu dem Liberalen Modell zählen die Autoren die Länder Großbritannien, Irland und Nordamerika (Kanada und USA) (vgl. ebd.). Ihre Mediensysteme zeichnen sich durch eine Dominanz von Marktmechanismen und kommerziellen Medien und einem gerin- gen Maß an Richtungsgebundenheit aus (vgl. ebd.: 67). Profitorientierte Presseun- ternehmen haben dort zum Entstehen einer Massenpresse geführt (vgl. ebd.: 75). Die Professionalität des Journalismus in diesen Ländern ist stark ausgeprägt, die journalistische Unabhängigkeit - maßgeblicher Indikator für die Freiheit der Medien - wird allenfalls durch die Kräfte des Marktes, nicht aber durch politische Interessen gefährdet (vgl. ebd.; vgl. Pfetsch/ Maurer 2008: 109).
Das Demokratisch Korporatistische Modell umfasst die Länder Norwegen, Schwe- den, Finnland, Belgien, Schweiz, Österreich, Niederlande, Dänemark und Deutsch- land (vgl. Hallin/ Mancini 2004: 143ff). Hier haben Zeitungen eine hohe Auflage, die Presseunternehmen sind oft rentabel (vgl. ebd.: 23). Kommerzielle Medien und histo- risch in gesellschaftliche „Konfliktstrukturen, Subkulturen und Segmente“ (Pfetsch/ Maurer 2008: 108) eingebundene Medien koexistieren: „In democratic corporatist countries the media have had strong connections to both the political and economic worlds“ (Hallin/ Mancini 2004: 76). Der Parallelismus schließt einen hohen journalisti- schen Professionalisierungsgrad nicht aus (vgl. ebd.: 67): die Macht des Staates wird durch Gesetze limitiert, sodass die Freiheit der Medien in der Regel nicht ohne weite- res von staatlichen Eingriffen auf das journalistische Tagesgeschäft bedroht werden kann. Beispielhaft ist hier das Rundfunksystem in dem der Staat zwar für die Finan- zierung sorgt, die Rundfunkaufsicht aber gesellschaftlich relevanten Interessengrup- pen nach Proporzkriterien überlässt.
Dem Polarisiert Pluralistischen Modell ordnen die Autoren die Länder Portugal, Spa- nien, Italien, Griechenland und Frankreich zu (vgl. ebd.: 89ff). Hier identifizieren sie eine Presselandschaft, in der sich Zeitungen an ein eher elitäres Publikum richten und eine geringe Auflage aufweisen (vgl. ebd.: 22). Dem ausgeprägten Zeitungskon- sum der Länder des Demokratisch Korporatistischen Modells steht hier der verstärkte Konsum elektronischer Inhalte gegenüber (vgl. ebd.: 25). Presseunternehmen arbei- ten in der Regel nicht wirtschaftlich, was zur Notwendigkeit staatlicher Subventionen führt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Grad an journalistischer Professio- nalität, die deutlich schwächer ausgeprägt ist (vgl. ebd.: 22), und auf die politische Richtungsgebundenheit der Medien, die verhältnismäßig stark ist (vgl. ebd.: 73/ 98), weil die Medien oftmals durch die Regierung, politische Parteien oder Industrielle in- strumentalisiert werden (vgl. ebd.: 73/ 110/ 138f): “One of the most characteristic pat- terns of the Mediterranean region is the use of the media by various actors as tools to intervene in the political world” (ebd.: 113). Es verwundert nicht, dass auch der Klien- telismus in den Ländern Südeuropas eine bedeutende Rolle spielt (vgl. ebd.: 74).
2.2.2 Frankreich: Grenzfall zwischen Polarisiert Pluralistischem und Demokratisch Korporatistischem Modell
Nach Hallin und Mancini ist Frankreich in Bezug auf seine politische Geschichte und seine soziale Struktur ein Grenzfall bzw. Mischtyp zwischen Polarisiert Pluralisti- schem und Demokratisch Korporatistischem Modell (vgl. ebd.: 11/ 69). Im Vergleich zu den anderen mediterranen Ländern weist Frankreich demzufolge Un- terschiede in der Bedeutung der Zeitung - höhere Auflagen als in anderen mediter- ranen Ländern, aber niedriger als im Rest der Länder Westeuropas (vgl. ebd.: 69/ 92) 7
- und im Ausmaß an Industrialisierung auf. Auch im Hinblick auf den Klientelismus gibt es Unterschiede: „France is an exception to this pattern of persistence of clientel- ist relationships and weakness of rational-legal authority” (ebd.: 136). Dennoch sprechen laut Hallin und Mancini zwei Charakteristika für die Einordnung Frankreichs in die Gruppe der Polarisiert Pluralistischen Länder: zum Einen, der Staatseinfluss auf die französischen Medien (vgl. ebd.: 74) - „the tendency for the media to be dominated by the political sphere […] is strong enough in French media history that France fits this model more closely than any other“ (ebd.: 90) - zum An- deren die enge historische Beziehung zwischen den französischen Medien und de- nen anderer südeuropäischer Länder, die sich nach den napoleonischen Feldzügen am Vorbild der französischen Presse orientiert haben (vgl. ebd.).
3. Besonderheiten des Beziehungsgeflechts Mediensystem und politisches System in Frankreich
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wurde erstmals 1789 in der französischen Ge- setzgebung im Rahmen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verankert. Am 29. Juli 1881 wurde auch der Grundsatz der Pressefreiheit gesetzlich festge- schrieben.
Die Kodifizierung dieser Grundsätze hat in der Praxis eine Verflechtung der Teilsysteme Medien und Politik nicht verhindert. Exemplarisch dafür steht die Tatsache, dass sich in der Blütezeit der französischen Presse (Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts) Zeitungen oftmals eindeutig einer Partei zuordnen ließen, da sie - zusätzlich zu parteieigenen Zeitungen - deren politische Ansichten verbreiteten (vgl. Kelly et al. 2004: 65f; vgl. Brüning 2008).
Auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts ist eine enge Beziehung der beiden Teilsysteme festzustellen: zwischen 1945 und 1982 existierte ein staatliches Sendemonopol, das dem Staat eine direkte Einflussnahme auf Hörfunk und Fernsehen ermöglichte (vgl. D´Almeida/ Delporte 2003: 150-153).
Den Höhepunkt der Verflechtung stellt das von Charles de Gaulle in die Verfassung eingefügte Dekret dar, das den Medien eine staatstragende Funktion zuweist, sie al- so gewissermaßen zur Unterstützung der Regierungspolitik verpflichtet (vgl. Hill- mann/ Dibbern 2008). Eine solche Vorgabe ist ansonsten nur in autoritären Syste- men die Regel.
Im Folgenden sollen die Rahmenbedingungen und Mechanismen der Verflechtung näher untersucht werden. Hierzu wird der Aufbau des Mediensystems skizziert, die für das Mediensystem relevante Gesetzgebung dargestellt sowie das medienökonomische Umfeld und die Akteure der französischen Medienlandschaft beleuchtet. Da vor allem eine umfangreiche Darstellung des Aufbaus des Mediensystems den Rahmen sprengen würde, sollen nur die wichtigsten Aspekte der französischen Medienlandschaft schlaglichtartig beleuchtet werden.
3.1 Aufbau und rechtlicher Rahmen des Mediensystems
3.1.1 Presse: Bestandsaufnahme
Die französische Zeitungskultur ist im internationalen Vergleich äußerst schwach ausgeprägt (vgl. Machill 1997: 280): Nicht einmal die Hälfte der französischen Bevöl- kerung liest täglich eine Zeitung (vgl. WAN 2006: II-151; vgl. Hans-Bredow-Institut 2004: 311). Die geringe Auflage ist zusammen mit den - im Vergleich zu anderen eu- ropäischen Ländern überdurchschnittlich - hohen Kosten für Herstellung und Ver- trieb, Ursache für die schlechte wirtschaftliche Lage der französischen Tagespresse (vgl. Von Randow 2009).
Kennzeichnend für den Markt der französischen Tagespresse ist die Konkurrenz zwi- schen den in Paris erscheinenden nationalen Zeitungen (v.a. Le Monde, Le Figaro, Libération) und den regionalen Zeitungen (vgl. Holtz-Bacha 1994: 490). Die bei wei- tem am meisten verkaufte französische Tageszeitung ist Ouest France, die ihr Vertei- lungsgebiet im Westen Frankreichs hat (Auflage ca. 764.000) (vgl. Hans-Bredow- Institut 2004: 311; vgl. Lüsebrink et al. 2004: 77). Im Gegensatz zur traditionellen Ta- gespresse erzielt der verhältnismäßig neue Typus der Gratiszeitungen in Frankreich hohe Auflagen (vgl. Haas 2006: 510- 520). Auch Zeitschriften sind im Gegensatz zur traditionellen Tagespresse sehr beliebt; vor allem Fernsehzeitschriften und Frauen- zeitschriften erreichen hohe Auflagen (vgl. Grosse/ Lüger 2000: 246).
3.1.2 Presse: Rechtliche Rahmenbedingungen
Das Presserecht Frankreichs wird in erster Linie durch das Pressegesetz vom 29. Juli 1881 geregelt. Der von der dritten französischen Republik verabschiedete Gesetzestext schaffte die Zensur ab und garantierte die Freiheit der Presse (vgl. SGG 2009; vgl. Lüsebrink et al. 2004: 70).
Prägend für die französische Presse sind die in Artikel 42 bis 44 des Pressegesetzes festgelegten Regelungen über die Verantwortung für journalistische Inhalte. Sie se- hen eine Staffelung vor. An erster Stelle ist der Herausgeber für den Inhalte verant- wortlich. Wenn dieser nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (z.B. wegen Nichtauffindens), wird der Autor des Inhaltes zur Verantwortung gezogen. Kann auch der Autor nicht belangt werden, sind Drucker und schließlich Händler verantwortlich (vgl. SGG 2009).
Diese umfassenden staatlichen Sanktionsmöglichkeiten führen dazu, dass im Grunde alle, die irgendwie, wenn auch nur entfernt, an der Herstellung oder dem Vertrieb eines Presseerzeugnisses beteiligt sind, stets damit rechnen müssen, gegebenenfalls für eine Publikation zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Die Priorität der Verantwortung des Herausgebers kann zu Interessenskonflikten zwi- schen Journalisten und Herausgeber führen, weil nicht in erster Linie der Autor für seinen Text haftbar gemacht wird, sondern ein Dritter. Schon aus Eigeninteresse sieht sich der Herausgeber gezwungen, die redaktionellen Inhalte seiner Journalisten sehr genau zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls auf die Berichterstattung Einfluss zu üben.
Auch Artikel 26 des Pressegesetzes aus dem Jahr 1881 (vgl. ebd.) ist geeignet, die Inhalte von Presseerzeugnissen zu reglementieren. Hier wird die Beleidigung hoher Amtsträger - insbesondere die des Präsidenten der Republik („offense au Président de la République“) - unter Strafe gestellt. Diese Regelung ist deutlich als Überrest des Gesetzes gegen das „crime de lèse-majesté“ (Majestätsbeleidigung) zu erken- nen, das hauptsächlich den König vor Angriffen schützen sollte. Auf die aktuelle Be- deutung dieses Artikels wird im Laufe der Arbeit noch eingegangen werden.
Das Pressegesetz von 1881 wurde mehrmals überarbeitet und durch weitere Gesetze ergänzt. Bedeutsam ist vor allem die Änderung aus dem Jahr 1986, mit der Konzentrationstendenzen auf dem französischen Tageszeitungsmarkt entgegenwirkt werden soll (vgl. SGG 2002) (vgl. Kapitel 3.2.2).
3.1.3 Rundfunk: Bestandsaufnahme
Frankreich hat ein duales Rundfunksystem, in dem sowohl im Hörfunk- als auch im Fernsehbereich die kommerziellen privaten Sender Marktführer sind (Radio: RTL, Fernsehen: TF1) (vgl. Lüsebrink et al. 2004: 92). Der öffentlich-rechtliche Sektor „kann sich derzeit (noch) mit einem Marktanteil von knapp einem Viertel des Gesamthörvolumens behaupten“ (ebd.: 102), die privaten Betreiber dominieren mit einem Marktanteil von rund 70 Prozent allerdings deutlich (vgl. ebd.).
[...]
[1] Die Pressefreiheit verschleißt nur, wenn man sie nicht nutzt. [Arbeitsübersetzung der Verfasserin]
- Quote paper
- Lucie Scholz (Author), 2009, Regierungsmacht und Medienfreiheit im demokratischen System am Beispiel Frankreich , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139883
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