Interpretiert man die Täuferbewegung als Ausdruck eines alternativen Gesellschaftsentwurfes in Abgrenzung zu bestehenden religiösen und sozialen Modellen ,wird Münster zu einer täuferischen „Gegenwelt“, deren bewusste Negation der Autorität der weltlichen Obrigkeit und gesellschaftlicher Normen „von außen her als gesamtgesellschaftliche Provokation empfunden werden musste“(Hans-Jürgen Goertz). So weitet sich der Blick von der theologischen Opposition der Täufer zu Münster zu ihrem Verhältnis zur frühneuzeitlichen Gesellschaft und Politik. Was war der entscheidende Faktor für die Verfolgung der Täufer?
So nahe wie möglich an die Antwort auf diese Frage bringen uns die zahlreichen Flugschriften, die seinerzeit über das Täuferreich verbreitet wurden. Hier ist aus analytischen Gründen zwischen theologischen Flugschriften beider Konfessionen und den „Neuen Zeitungen“ und ähnlichen Berichten zu unterscheiden. Es werden die folgenden berichtenden Flugschriften als Quellen herangezogen: Eine Ausgabe der „Newe Zeitung“, die zusammenfassenden Historien „Der gantze handel und geschicht von der stat Münster“, „Wairhaftiger bericht der wunderbarlichenn handlung der Deuffer“, sowie die „Wahrhafftige historie“ des Henricus Dorpius. Ihr Quellenwert liegt angesichts ihrer offenkundigen Ereignisferne vor allem in dem Bild des Täuferreichs und der Ereignisse, das sie vermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass die Autoren bei der Auswahl und Interpretation einerseits einer Tendenz unterliegen, die der beabsichtigten Wirkung beim Publikum entspricht. Ihr informierender Anspruch andererseits weckt beim Publikum bestimmte Erwartungen und spricht bereits bestehende Einstellungen an, denen in Stil und Auswahl der Inhalte vermutlich entgegengekommen wird. Das Erkenntnisinteresse liegt in der Auswahl und der jeweiligen Bewertung unterschiedlicher Aspekte des Täuferreichs. Daher wird das Augenmerk auf inhaltlichen und stilistischen Merkmalen liegen, insbesondere auch auf den nicht erwähnten Aspekten. Der Analyse soll eine kursorische Ereignisgeschichte und Interpretation der Täufer und des Täuferreichs sowie der politischen Reaktion des Reiches und seiner Glieder vorangestellt werden, um die in den Quellen erwähnten Ereignisse systematisch einordnen zu können. Um die These von Goertz zu überprüfen, wird mittels der Forschung über die Korrespondenzen der Reichsstände die Bedrohungswahrnehmung der politisch Handelnden mit dem Bild der Flugschriften verglichen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Das Täuferreich und die Politik im Heilligen Römischen Reich Deutscher Nation
1.1 Reformation und frühe Täuferbewegung
1.2 Das Täuferreich zu Münster als Problem der Reichspolitik
1.3 Das Täuferreich in der Korrespondenz der Reichsstände
2 Das Täuferreich im Spiegel berichtender Flugschriften
2.1 „Neue Zeitung vom 23. Oktober 1534“
2.2 „Der ganze Handel und Geschichte von der Stadt Münster“
2.3 „Wahrhaftiger Bericht der wunderbarlichen Handlung der Täufer“
2.4 „Die wahrhaftige Historie“
2.5 Analyse und Vergleich der Flugschriften
Fazit
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Täuferreich zu Münster ist Gegenstand sowohl historiologischer Forschungen als auch von literarischen und sogar filmischen Darstellungen geworden. Die meisten Darstellungen werden von der städtischen Innenperspektive dominiert, weil diese sich dank gesellschaftlicher Konflikte spannend liest und mangels absolut verlässlicher Quellen schon die Ereignisgeschichtliche Darstellung weiterhin umstritten bleiben muss. Dagegen nehmen nur einige wenige Autoren das Verhältnis von Täuferreich und dem Heilligen Römischen Reich deutscher Nation ins Blickfeld: In reichspolitischer Perspektive sind hier vor allem Stupperich und Vogler zu nennen, auf dem gesellschaftsgeschichtlichen Gebiet Goertz.
Historische Bedingung der überkonfessionellen Kooperation im Kampf gegen das Täuferreich (siehe 1.2) war, so kann man annehmen, eine einschneidende Bedrohungswahrnehmung. Interpretiert man die Täuferbewegung allgemein als Ausdruck eines alternativen Gesellschaftsentwurfes in Abgrenzung zu bestehenden religiösen und sozialen Modellen, wie Hans-Jürgen Goertz dies tut, wird Münster zu einer täuferischen „Gegenwelt“, deren bewusste Negation der Autorität der weltlichen Obrigkeit und allgemeingültiger gesellschaftlicher Normen wie der Einehe „von außen her als gesamtgesellschaftliche Provokation empfunden werden musste“.[1] So weitet sich der Blick von der theologischen Opposition der Täufer zu Münster zu ihrer Bedeutung für die gesamte frühneuzeitliche Gesellschaft und Politik. Was war der entscheidende Faktor für die Verfolgung der Täufer?
So nahe wie möglich an die Antwort auf diese Frage bringen uns die zahlreichen Flugschriften, die seinerzeit über das Täuferreich verbreitet wurden, denn sie „sind eine historische Quelle, die uns wie kaum eine andere detaillierte Erkenntnisse über die Meinungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen ihrer Epoche ermöglichen“.[2] Hier ist aus analytischen Gründen zwischen theologischen Flugschriften beider Konfessionen und den „Neuen Zeitungen“ und ähnlichen Publikationen zu unterscheiden. Während Erstere sich mit den täuferischen Lehren beschäftigen, berichten Letztere über das Geschehen in der Stadt Münster.[3] Bei den theologischen Schriften ist weiterhin zu beachten, dass altgläubige Theologen zwischen „eigentlicher“ Reformation und Täuferbewegung nicht unterschieden haben.[4] Daher sollen die folgenden Flugschriften als Quellen herangezogen werden, da sie (vermutlich) einen Querschnitt durch die Autorenkonfessionen darstellen und in editierter Form vorliegen, was die Quellenkritik im Rahmen einer Hausarbeit erleichtert: Eine Ausgabe der „Newe Zeitung“, die zusammenfassenden Historien „Der gantze handel und geschicht von der stat Münster“, „Wairhaftiger bericht der wunderbarlichenn handlung der Deuffer“, sowie die „Wahrhafftige historie“ des Henricus Dorpius. Alle Berichte sind in einem Zeitraum von vermutlich maximal einem Jahr nach Eroberung der Stadt Münster geschrieben und gedruckt worden.
Ihr Quellenwert liegt angesichts ihrer offenkundigen Ereignisferne[5] vor allem in dem Bild des Täuferreichs und der Ereignisse, das sie vermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass die Autoren bei der Auswahl und Interpretation einerseits einer Tendenz unterliegen, die der beabsichtigten Wirkung beim Publikum entspricht.[6] Ihr informierender Anspruch andererseits weckt beim Publikum bestimmte Erwartungen und spricht bereits bestehende Einstellungen an, denen in Stil und Auswahl der Inhalte vermutlich entgegengekommen wird. Das Erkenntnisinteresse liegt in der Auswahl und der jeweiligen Bewertung unterschiedlicher Aspekte des Täuferreichs. Daher wird das Augenmerk auf inhaltlichen und stilistischen Merkmalen liegen, insbesondere auch auf den nicht erwähnten Aspekten. Der Analyse soll eine kursorische Ereignisgeschichte und Interpretation der Täufer und des Täuferreichs sowie der politischen Reaktion des Reiches und seiner Glieder vorangestellt werden, um die in den Quellen erwähnten Ereignisse systematisch einordnen zu können. Um die These von Goertz zu überprüfen, wird mittels der Forschung über die Korrespondenzen der Reichsstände die Bedrohungswahrnehmung der politisch Handelnden mit dem Bild der Flugschriften verglichen.
1 Das Täuferreich und die Politik im Heilligen Römischen Reich Deutscher Nation
1.1 Reformation und frühe Täuferbewegung
Die Täuferbewegung lässt sich als eine Reaktion auf als Versäumnisse wahrgenommene Eigenschaften der lutherischen bzw. zwinglianischen Reformation charakterisieren: Die religiöse Reform griff aus ihrer Sicht zu kurz, soziale Schlussfolgerungen aus dem Evangelium wurden nur gezogen, sofern sie im Einklang mit dem status quo standen. Soziale Reform war aber nicht primäres Interesse der Täufer, sondern wurde nur insofern gefordert, als es zur Verwirklichung des Evangeliums notwendig war.[7] Das Täufertum stellt jedoch keine einheitliche Bewegung dar und verfügte nicht über eine einheitliche Lehrmeinung. Vielmehr entstanden verschiedene Strömungen überall dort, wo die Reformation erfolgt war. Charakteristische Gemeinsamkeiten liegen in der Idealisierung der christlichen Ur-Gemeinden und damit die Ablehnung der im Entstehen begriffenen verbindlichen protestantischen Theologie und der Landeskirchen, sowie im bewussten Bekenntnis zum Glauben durch die Erwachsenentaufe, einer Gemeinsamkeit, die die unzähligen, bedeutenderen Differenzen unter einem äußerlichen Identitätsmerkmal verschwinden lies.[8] Typisierend lassen sich drei Strömungen voneinander unterscheiden: „[…] ein ans Evangelium gebundenes Täufertum (Schweizer Brüder, Hutterer) von einer revolutionär eschatologischen (Hut, Römer, Hofmann) und schließlich einer spiritualistischen Täufergruppe (Denck, Bünderlin)[…]“.[9]
Ihre Wurzeln hat die Bewegung einerseits im Raum Zürich, wo Schüler Zwinglis 1523 vor allem die Unabhängigkeit der christlichen Gemeinde von jeder weltlichen Obrigkeit postulierten. Der Bruch mit der reformatorischen Bewegung erfolgte dort 1525 mit der ersten Erwachsenentaufe, eine erste konstituierende Synode 1527.[10] Die andere Quelle sind die Hutschen Täufer, deren Weltbild weniger durch radikalreformatorische Ideen, sondern vielmehr die durch Müntzer inspirierte und durch den Untergang des Bauernaufstandes bestätige Erwartung einer nahenden Apokalypse geprägt wird. Hut selbst hielt die aufkeimende Täuferbewegung bereits 1526 für die „Sammlung der Auserwählten“, die im Falle des Weltuntergangs auf der richtigen Seite stünden. Beide Richtungen markieren die theologischen Pole, zwischen denen sich die Täufer bis Münster bewegen werden.[11]
Die Täufer verbreiteten sich in der Schweiz, Südwestdeutschland, über Hessen bis nach Thüringen, sowie in Österreich und bis nach Mähren, was an der vergleichsweise großen Zahl der wandernden Laienprediger lag. 1529 gab es bereits in über 500 Städten und Dörfern nachweislich Gläubige dieser Richtung, wobei Waldshut, Augsburg und Straßburg zeitweilig wichtige Zentren ihrer Aktivität waren.[12] Die schnelle Ausbreitung, insbesondere innerhalb der genannten Städte, führte früh dazu, dass die betreffenden städtischen Räte die Täufer als Gefahr wahrnahmen. Im Ringen zwischen protestantisch-reformatorischen Kräften und den Wiedertäufern gab der anti-autoritäre Habitus der Letzteren den Ausschlag zu ihrer Ächtung durch die weltlichen Autoritäten: Man sah den sozialen Frieden in Gefahr, gleich ob im ersten städtischen Täufermandat überhaupt 1527 in Straßburg, oder in einem Sendbrief Herzog Georgs von Sachsen im selben Jahr. Höhepunkt dieser frühen Verfolgung bildet das kaiserliche Mandat vom 23. April 1529, in dem das Bekenntnis zur Wiedertaufe mit dem Tode geahndet wird.[13] Verbannung, Folter und Tod für die Täufer waren die Folge, zwischen 1527 und 1533 fanden mindestens 679 Exekutionen statt, mit Schwerpunkt in katholisch geprägten Gebieten.[14]
1.2 Das Täuferreich zu Münster als Problem der Reichspolitik
Im Nordwestdeutschen und Niederländischen war die Entstehung täuferischer Gemeinden vor allem auf das Wirken Melchior Hoffmanns zurückzuführen. Seine täuferische Theologie basiert auf der Annahme des baldigen Weltendes. Zunächst ging er davon aus, dass es 1533 stattfinden und Straßburg dabei die Funktion einer heiligen Stadt nach dem Vorbild Jerusalems zukommen würde. Auf dem Weg dorthin, so nahm er an, würde sich eine Theokratie entwickeln, in der ein einziger frommer König nebst einem Propheten regiert. Dieses Friedensreich, das dem Kampf der Glaubensrichtungen und dem Sieg der Täufer folgt, stellt die Vorraussetzung für das jüngste Gericht dar.[15] Diese Lehre übertrug ein niederländischer Hoffmann-Anhänger namens Jan Matthijs mit verlängerter Frist bis zum Weltende auf Münster, wo er auf fruchtbaren Boden stieß: Der „Lokalreformator“ Rothmann, die wichtigste theologische Stimme in Münster, hatte sich seinerseits von lutherischen Ideen hin zu täuferischem Gedankengut gewandt.[16] Gleichzeitig wurde, ähnlich wie schon bei der Einführung der Reformation in der Stadt, die Religionsfrage auch ein Mittel im Ringen zwischen dem städtischen Rat und den Emanzipationsbestrebungen der Gilden.[17] Im Ferbuar 1534 errangen täuferisch Gesinnte bei der Wahl die Mehrheit der Ratssitze. Auf der Basis einer bereits vor dieser „Machtübernahme“ starken Täufergemeinde – vermutlich einem Fünftel der Einwohner – entstand durch Ausweisung aller Unbeugsamen „Altgläubigen“ beiderlei Konfession und den Zuzug niederländischer Täufer das „Täuferreich“.[18]
[...]
[1] Vgl. Hans-Jürgen Goertz: Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. überarb. u. erw. Aufl., München 1988, S. 13, sowie S. 39, Zit. S. 39.
[2] Vgl. Hans-Joachim Köhler: Fragestellungen und Methoden zur Interpretation frühneuzeitlicher Flugschriften, in: Ders. (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Thübinger Symposium 1980, Stuttgart 1981 (= Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung, Bd. 13), S. 1-27, hier S. 26.
[3] Vgl. Günter Vogler: Das Täuferreich zu Münster im Spiegel der Flugschriften, in: Hans-Joachim Köhler (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Thübinger Symposium 1980, Stuttgart 1981 (= Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung, Bd. 13), S. 309-351, hier S. 311.
[4] Vgl. Robert Stupperich, (Hrsg.): Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer, Münster 1980 (=Die Schriften der münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Bd. 2; Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 32), S. 5-7.
[5] Vgl. Vogler: Flugschriften, S. 310.
[6] Vgl. die Definition der Flugschrift als „Massenkommunikation mit propagandistisch-agitatorischer Zielsetzung“ bei Köhler: Interpretation, S. 3.
[7] Vgl. Richard van Dülmen: Reformation als Revolution. Soziale Bewegung und religiöser Radikalismus in der deutschen Reformation, Frankfurt a. M. 1987 (=Fischer-Taschenbücher, Bd. 4366), S. 57f.
[8] Vgl. Bernd Moeller: Deutschland im Zeitalter der Reformation, 4. bibl. ern. Aufl., Göttingen 1999 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1432; Deutsche Geschichte, Bd. 4), S. 104.
[9] Vgl. van Dülmen: Revolution, S. 160f., Zit. S. 161.
[10] Vgl. ebd., S. 163.
[11] Vgl. ebd., S. 164f.
[12] Vgl. ebd., S. 166.
[13] Vgl. van Dülmen: Revolution, S. 178f.
[14] Vgl. Moeller: Reformation, S. 105.
[15] Vgl. Hubertus Lutterbach: Der Weg in das Täuferreich von Münster. Ein Ringen um die heilige Stadt, Münster 2006 (=Geschichte des Bistums Münster, Bd. 3), S. 112-116.
[16] Vgl Moeller: Reformation, S. 105f.
[17] Vgl. Taira Kuratsuka: Gesamtgilde und Täufer. Der Radikalisierungsprozeß in der Reformation Münsters: Von der reformatorischen Bewegung zum Täuferreich 1533/34, in: Archiv für Reformationsgeschichte 76 (1985), S. 231-270.
[18] Vgl Moeller: Reformation, S. 106.
- Quote paper
- Christoph Sprich (Author), 2009, Ein “gottloss, leseterlich, schendtlich leben“? - Die Wahrnehmung des Täuferreichs zu Münster durch zeitgenössiche Politik und Gesellschaft , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139440
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