Wilde, wilt adj.: nicht von Menschen gepflegt und veredelt, wüst, ungezähmt, irre, unwahr, sinnlos, fremd, unheimlich Dies sind einige Bedeutungsvarianten des mittelhochdeutschen Wörterbuches für wilde. Die inhaltliche Vielfalt der Übersetzungsmöglichkeiten macht es sehr schwer dieses Wort zu fassen. Wie also ist die Platzierung von wilde im Namen eines Schriftstellers zu bewerten? Die Rede ist vom Wilden Alexander. Dieser heißt nicht nur wild, sondern artikuliert sich in seinen Texten auch mit Hilfe von wilder rede. Der Aufsatz „Wie dunkel ist wilde rede?“ von Sabine Schmolinsky beschäftigt sich damit, was genau sich hinter dieser Begrifflichkeit verbergen könnte. Sie meint, dass wilde rede „deutungsbedürftige Rede“ bzw. „allegorisches Sprechen“ mit „geistliche[r] Konnotation[…]“ umschreibt. Allerdings liegt dabei das Hauptaugenmerk ihrer Untersuchung auf nur einem Text Alexanders, „des richen küniges kint“(S.7; V.1), in dem wortwörtlich die Formulierung „wilde[…] rede“ vom Autor verwendet wird. Die Frage die sich zwangsläufig stellt, ist ob dieses Prinzip der Textgestaltung auch auf andere Texte anwendbar ist. Sabine Schmolinsky spricht sich eher dagegen aus. „Wieweit Alexander seinen Begriff der wilden rede auf seine anderen Spruchstrophen hätte ausgedehnt wissen wollen, lässt sich nicht ermessen.“ Vielleicht könnte man aber doch Belege finden, die den vorgestellten Ansatz der wilden rede auch in anderen Texten nachweisen. Der Suche nach solchen Parallelen will diese Hausarbeit sich zuwenden. Dazu erfolgt zuerst der Versuch am Königskindertext zu untersuchen, inwieweit das Adjektiv „deutungsbedürftig“ zutrifft und wie stark der biblische Einfluss tatsächlich ausgeprägt ist. Danach wird die Untersuchung auf weitere Texte ausgedehnt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Deutungsbedürftige Rede
2.1 Des richen küniges kint
3. Weitere Textbelege
3.1 Der trügehaft Antikrist
3.2 Kindheitslied
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Primärquelle
Sekundärquellen
1. Einleitung
Wilde, wilt adj.: nicht von Menschen gepflegt und veredelt, wüst, ungezähmt, irre, unwahr, sinnlos, fremd, unheimlich[1]
Dies sind einige Bedeutungsvarianten des mittelhochdeutschen Wörterbuches für wilde. Die inhaltliche Vielfalt der Übersetzungsmöglichkeiten macht es sehr schwer dieses Wort zu fassen. Wie also ist die Platzierung von wilde im Namen eines Schriftstellers zu bewerten? Die Rede ist vom Wilden Alexander. Dieser heißt nicht nur wild, sondern artikuliert sich in seinen Texten auch mit Hilfe von wilder rede. Der Aufsatz „Wie dunkel ist wilde rede?“ von Sabine Schmolinsky beschäftigt sich damit, was genau sich hinter dieser Begrifflichkeit verbergen könnte. Sie meint, dass wilde rede „deutungsbedürftige Rede“[2] bzw. „allegorisches Sprechen“[3] mit „geistliche[r] Konnotation[…]“[4] umschreibt. Allerdings liegt dabei das Hauptaugenmerk ihrer Untersuchung auf nur einem Text Alexanders, „des richen küniges kint“(S.7; V.1), in dem wortwörtlich die Formulierung „wilde[…] rede“ vom Autor verwendet wird. Die Frage die sich zwangsläufig stellt, ist ob dieses Prinzip der Textgestaltung auch auf andere Texte anwendbar ist. Sabine Schmolinsky spricht sich eher dagegen aus.
„Wieweit Alexander seinen Begriff der wilden rede auf seine anderen Spruchstrophen hätte ausgedehnt wissen wollen, lässt sich nicht ermessen.“[5]
Vielleicht könnte man aber doch Belege finden, die den vorgestellten Ansatz der wilden rede auch in anderen Texten nachweisen. Der Suche nach solchen Parallelen will diese Hausarbeit sich zuwenden. Dazu erfolgt zuerst der Versuch am Königskindertext zu untersuchen, inwieweit das Adjektiv „deutungsbedürftig“ zutrifft und wie stark der biblische Einfluss tatsächlich ausgeprägt ist. Danach wird die Untersuchung auf weitere Texte ausgedehnt.
2. Deutungsbedürftige Rede
2.1 Des richen küniges kint
Dieser, nur in J überlieferte, Text beginnt nach dem einleitenden Imperativ „Seht“(1) mit einer Erzählung von zwei Prinzessinnen, die ihr behütetes Schloss „den küniclichen sal“(7) und ein, für sie vorbereitetes, Fest bzw. Hochzeitsfest verlassen um fernab vom Elternhaus auf die schiefe Bahn zu geraten. Sie geben sich der Prostitution(Vgl.V.18) hin und verkehren mit zwielichtigen Gestalten, die „kebesen unde triegen“(11). Der Erzählstrang wird dann durch drei metaphorische Zeilen, die erklären, dass das bisher gehörte nur eine Hülle war, durchbrochen. Das eigentlich wichtige, also der „Kern“(26) der Sache, soll folgen. Diese Metapher bezeichnet, laut Sabine Schmolinsky, zusammen mit der „schaln“(27), den „Gegensatz von außen und innen, von Wortbedeutung und verborgenem Sinn“[6]. So stehen die zwei Akteurinnen für „ein geistlich unde ein werltlich leben“(30), das Königsschloss symbolisiert das „himelriche“(32)und das Tal, dass die beiden betreten, ist ein „sündic tal“(33). Vor uns liegt also eine klassische Belehrung nicht vom rechten Weg abzukommen. Dies wird abschließend auch formuliert, allerdings indirekt und somit passend zum Thema. Indem am Ende die Anfangsformel „seht“(36) wiederkehrt und davor gewarnt wird, dass die Befugnis zur freien Entscheidung nicht zu einem Fehlverhalten führt, das „schame rot“(37) macht. Ein perfektes Gleichnis. Wieso ist wilde rede also nicht einfach eine Umschreibung für die Rede in Gleichnissen?
Gleichnisse bzw. Parabeln kennt man aus der Bibel, denn Jesus sprach in Gleichnissen um seine Jünger zu belehren. Wer sich in der Heilsgeschichte nicht auskennt, dem ist diese Textsorte auch außerhalb der Bibel bekannt, wie z.B. aus Lessings „Nathan der Weise“ in Form der Ringparabel. Egal von welcher Quelle man ausgeht, Gleichnisse bestehen immer aus einer Bild- und einer Sachebene, sie „sind Rätselworte“[7]. Somit bilden sie einen sehr wichtigen Vertreter „deutungsbedürftiger Rede“[8] und scheinen, zumindest in ihrer Form, mit Alexanders Lied zu harmonieren. Auch war die Form des Gleichnisses und die Verwendung von „Beispielgestalten“ aus der Bibel bei Sangspruchdichtern im Allgemeinen beliebt[9]. Allerdings hat man nicht das Gefühl, dass der Autor hier auch Initiator des inhaltlichen Konzeptes ist, vielmehr erinnert die Motivik an die des Gleichnisses der zehn klugen und der zehn törichten Brautjungfrauen in der Bibel (Mt.25). In diesem verhalten sich fünf von zehn Jungfrauen, die einem Bräutigam auf dem Weg zur Hochzeit mit ihren Lampen leuchten sollen, sehr dumm, weil sie vergessen haben genügend Öl mitzunehmen, und stehen am Schluss vor verschlossener Pforte. Der Hochzeit können sie nicht beiwohnen. Inhaltliche Parallelen lassen sich sofort an den Motiven der Hochzeit, der törichten Jungfrauen und des Befindens außerhalb des Festsaales erkennen. Die konkrete Handlung weicht allerdings ziemlich stark vom biblischen Vorbild ab. Man könnte also annehmen, dass nur der Motivkreis übernommen ist. Dazu ist es interessant die erwähnten Motive weiter zu untersuchen. Die Hochzeit bzw. die große Festlichkeit, je nach Interpretation des Wortes „hochgezit“(21), zum Beispiel. In Mt.9,15 wird das Wort Bräutigam als Metapher für Jesus verwendet. Der Kontext ist, dass ein Pharisäer Jesus fragt, wieso er fasten muss und die Jünger Jesu nicht. Jesus antwortet, dass die Hochzeitsgäste kein „Leid tragen“ können solange der Bräutigam unter ihnen ist. Die Hochzeitsgäste sind in diesem Zusammenhang wohl als die Jünger zu verstehen. Um diese Symbolik besser fassen zu können, ist vielleicht noch ein Textbeleg nötig. In Mt. 22 richtet ein König die Hochzeit für seinen Sohn aus, aber keiner der geladenen Gäste kommt, deshalb sollen die Knechte Leute von der Straße einladen. Von denen die dann kommen, erscheint einer ohne Feierkleid zum Fest und wird dafür hinaus in die Finsternis geworfen. Auch hier wird das Bild des Bräutigams in Form des Königssohnes deutlich. Dazu kommt nun, dass ersichtlich wird, dass das Hochzeitsfest symbolisch für die Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft, also für die Vermählung mit Jesus, steht. Gute Menschen sind demnach nur die, die freiwillig zum Hochzeitsfest erscheinen und sich der Wichtigkeit der Sache auch bewusst sind. Überträgt man diese Erkenntnisse auf das Gleichnis der zehn Jungfrauen, leuchtet das Ausmaß der Dummheit der fünf törichten nun ein, denn sie verpassen aus Vergesslichkeit und Unbedachtheit die Hochzeit. Beim wilden Alexander fliehen die beiden Mädchen allerdings schon in der Vorbereitungszeit der Hochzeit. Sie entschließen sich also scheinbar bewusst dazu, vom guten Weg abzukommen, was auch in der Formulierung „muotwilliclich unstäte“(3) deutlich wird. „Staete“ bildet neben „diemuot“, „maze“ und „milte“ das Zentrum moraltheologischer Herrenlehre[10]. Indem die Mädchen also „unstaete“ sind, und das auch noch „muotwilliclich“, verstoßen sie aufs übelste gegen christliche Regeln. Sie gehen aus dem königlichen Saal nach draußen in „wilder wibe wäte“(6). So wie auch die fünf törichten Jungfrauen am Schluss draußen vor verschlossener Tür stehen. Diese Symbolik findet sich ebenfalls in anderen Zusammenhängen in der Bibel wieder. Zum Beispiel Mt. 25,31 spricht von einem Knecht, der hinaus in die Finsternis geworfen wird, wo Heulen und Zähneklappern sind. In Q 13,24 wird denen, die „das Gesetzwidrige“ tun, der Weg nach drinnen durch die Pforte verweigert. Auch im alten Testament findet sich die Pforte schon als Grenze zwischen gut und böse, wobei die guten immer drinnen sind. Zum Beispiel bei Lots Errettung werden die Sünder ausgesperrt und mit Blindheit geschlagen, sodass sie es aufgaben die Tür zu finden. (Vgl. I. Mose 19) Der „sal“ kann auch eine Art Urzustand verkörpern. Er könnte für das Paradies stehen, dass Adam und Eva aus mangelndem Gehorsam verlassen mussten, ebenso wie unsere beiden Prinzessinnen, nur das diese freiwillig gehen. Mt.7.13 erzählt davon, dass der Weg und die Pforte zum Leben schmal sind und nur wenige sie passieren können, während derselbe Weg zur Verdammnis weit genug für eine Fülle von Menschen ist. So steht auch im Text von Alexander, dass sie an die „wegscheiden [ge]komen“(9) sind. Dieses „traditionelle Zwei-Wege-Motiv“[11] zwischen dem schmalen, mühsamen und dem breiten, leichten „Weg zur Vollkommenheit“[12], stammt vermutlich aus dem Matthäusevangelium. Heilsgeschichtliche Parallelen finden sich also in rauen Mengen. Im biblischen Vorbildgleichnis handelt es sich um Jungfrauen, die sich eigentlich auf dem richtigen Weg befinden und durch Dummheit von ihm abkommen und bei Alexander finden wir Mädchen die schon auf der Zielgeraden waren und bewusst kurz vorher abgebogen sind. Bezeichnend wirkt in diesem Zusammenhang auch, die bloße Tatsache, dass es sich um Mädchen handelt und eben nicht um einen männlichen Ausreißer. Das würde die Symbolträchtigkeit einschränken, da der Hintergrund so wesentlich offensichtlicher ist.
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[1] Lexer
[2] Schmolinsky, Sabine: Wie dunkel ist wilde rede ?. Allegorische Verfahren beim wilden Alexander. In: Lied im deutschen Mittelalter. Überlieferung, Typen, Gebrauch. Hrsg. von Cyril Edwards, Ernst Hellgardt und Norbert H. Ott. Tübingen: Niemeyer 1996. S. 152.
[3] Ebd.
[4] Ebd. S. 156.
[5] Ebd. S. 155.
[6] Schmolinsky S. 150.
[7] Kompendium der Gleichnisse Jesu. Hrsg. von Ruben Zimmermann. München: Verlagsgruppe Random House GmbH 2007. S. 12.
[8] Schmolinsky S. 147-156.
[9] Vgl. Tervooren, Helmut: Sangspruchdichtung. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler Verlag 2001. S. 69.
[10] Vgl. Tervooren S. 50.
[11] Kompendium der Gleichnisse Jesu, S. 197.
[12] Ebd. S. 198.
- Quote paper
- Romy Knobel (Author), 2008, "wilde rede" beim wilden Alexander, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139337
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