„Mama kann das Matheheft erst nächsten Monat kaufen, weil sie diesen Monat kein Geld mehr hat!“
(Schüler einer 2. Klasse)
Immer häufiger werden Aussagen dieser Art gemacht, und es wird immer mehr von Kinderarmut gesprochen. Mit der Literatur zu diesem Thema muss sehr behutsam umgegangen werden. Häufig steht in der Literatur, dass es Kinderarmut erst seit kurzer Zeit gibt, jedoch entspricht dies auf keinen Fall der Wahrheit. Kinderarmut war zwar in der deutschen Forschung lange Zeit kaum ein Thema, jedoch gibt es Kinderarmut in Deutschland bereits seit dem 17. Jahrhundert. Erst seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts begann sich jedoch die Wissenschaft in Deutschland für das Thema „Kinderarmut“ zu interessieren. Zuvor wurden Kin-der immer nur als Ursache für Armut gesehen, es war nie von Kindern als Betroffenengruppe die Rede. Doch schließlich konnte nicht mehr weggesehen werden: „Seit den 1970er-Jahren hat Armut ihr Gesicht verändert: Waren davon 1973 vornehmlich ältere Witwen betroffen, die mit geringen Hinterbliebenenrenten auskommen mussten, so 1998 vor allem Kinder und Jugendliche“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 21). Seit dieser Zeit gibt es immer wieder neue Studien und Erkenntnisse. Sie beschäftigen sich u. a. mit der Frage nach den Ursachen und Folgen von Kinderarmut. Hat die Kinderarmut Auswirkungen auf die Bildungschancen betroffener Kinder? Macht sich dies schon in der Grundschule bemerkbar? Welche Gründe gibt es für die ungleichen Bildungschancen armer Kinder? Und wie nehmen die betroffenen Kinder ihre Situation wahr? Welche Perspektiven haben sie?
All dies sind Fragen, mit denen sich die folgende Masterarbeit beschäftigt. Sie steht unter dem Thema: Arme Kinder in der Grundschule und ihre Bildungschancen.
In Kapitel 2 werden grundlegende Definitionen, die für diese Masterarbeit von wesentlicher Bedeutung sind, gegeben. Zunächst wird Armut allgemein und deren historische Entwicklung näher beschrieben (Kapitel 2.1). Danach werden drei wesentliche Konzepte von Armut näher erläutert: absolute Armut (Kapitel 2.2.1), relative Armut (Kapitel 2.2.2) und lebenslagenorien-tierte Armut (Kapitel 2.2.3). Zum Abschluss dieses zweiten Kapitels – Kapitel 2.3 - wird speziell auf die Kinderarmut eingegangen. Hier wird der Begriff Kinderarmut und die historische Sichtweise auf die Entwicklung von Kinderarmut näher erläutert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen
2.1 Armut
2.2 Unterteilungen von Armut
2.2.1 Absolute Armut
2.2.2 Relative Armut
2.2.3 Lebenslagenorientierte Armut
2.3 Kinderarmut
3. Arme Kinder in der Grundschule
3.1 Ursachen von Kinderarmut
3.2 Folgen von Kinderarmut
4. Zusammenhang von Armut und Bildungschancen
4.1 Funktion von Bildung
4.2 Historische Entwicklung von Bildungschancen armer Kinder
4.3 Gründe für ungleiche Bildungschancen armer Kinder
4.4 Auswirkungen von benachteiligten Bildungschancen auf arme Kinder
4.5 Wahrnehmung und Perspektiven von Kinder auf die eigene Armut
5. Alternativen zur Aufhebung ungleicher Bildungschancen armer Kinder
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„ Mama kann das Matheheft erst nächsten Monat kaufen, weil sie diesen Monat kein Geld mehr hat! “
(Schüler einer 2. Klasse)
Immer häufiger werden Aussagen dieser Art gemacht, und es wird immer mehr von Kinder- armut gesprochen. Mit der Literatur zu diesem Thema muss sehr behutsam umgegangen wer- den. Häufig steht in der Literatur, dass es Kinderarmut erst seit kurzer Zeit gibt, jedoch ent- spricht dies auf keinen Fall der Wahrheit. Kinderarmut war zwar in der deutschen Forschung lange Zeit kaum ein Thema, jedoch gibt es Kinderarmut in Deutschland bereits seit dem 17. Jahrhundert. Erst seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts begann sich jedoch die Wis- senschaft in Deutschland für das Thema „Kinderarmut“ zu interessieren. Zuvor wurden Kin- der immer nur als Ursache für Armut gesehen, es war nie von Kindern als Betroffenengruppe die Rede. Doch schließlich konnte nicht mehr weggesehen werden: „Seit den 1970er-Jahren hat Armut ihr Gesicht verändert: Waren davon 1973 vornehmlich ältere Witwen betroffen, die mit geringen Hinterbliebenenrenten auskommen mussten, so 1998 vor allem Kinder und Ju- gendliche“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 21). Seit dieser Zeit gibt es immer wieder neue Studien und Erkenntnisse. Sie beschäftigen sich u. a. mit der Frage nach den Ursachen und Folgen von Kinderarmut. Hat die Kinderarmut Auswirkungen auf die Bildungschancen betroffener Kinder? Macht sich dies schon in der Grundschule bemerkbar? Welche Gründe gibt es für die ungleichen Bildungschancen armer Kinder? Und wie nehmen die betroffenen Kinder ihre Situation wahr? Welche Perspektiven haben sie?
All dies sind Fragen, mit denen sich die folgende Masterarbeit beschäftigt. Sie steht unter dem Thema: Arme Kinder in der Grundschule und ihre Bildungschancen.
In Kapitel 2 werden grundlegende Definitionen, die für diese Masterarbeit von wesentlicher Bedeutung sind, gegeben. Zunächst wird Armut allgemein und deren historische Entwicklung näher beschrieben (Kapitel 2.1). Danach werden drei wesentliche Konzepte von Armut näher erläutert: absolute Armut (Kapitel 2.2.1), relative Armut (Kapitel 2.2.2) und lebenslagenorientierte Armut (Kapitel 2.2.3). Zum Abschluss dieses zweiten Kapitels - Kapitel 2.3 - wird speziell auf die Kinderarmut eingegangen. Hier wird der Begriff Kinderarmut und die historische Sichtweise auf die Entwicklung von Kinderarmut näher erläutert.
Auf theoretischer Ebene wird in Kapitel 3 auf die Ursachen (Kapitel 3.1) und Folgen (Kapitel 3.2) von Kinderarmut in der Grundschule eingegangen. Es wird thematisiert, welche Gründe Kinderarmut hat und welche Auswirkungen sich bereits bei Grundschulkindern zeigen. Die Folgen, die Kinderarmut auf die Bildung von Grundschulkindern hat, werden im darauf fol- genden Kapitel 4 behandelt. Hier wird zunächst auf die Funktion von Bildung eingegangen (Kapitel 4.1), schließlich auf die historische Entwicklung von Bildungschancen armer Kinder (Kapitel 4.2) und die Gründe für ungleiche Bildungschancen beschrieben (Kapitel 4.3). In Kapitel 4.4 werden die Auswirkungen von benachteiligten Bildungschancen armer Kinder benannt und in Kapitel 4.5 Wahrnehmungen und Perspektiven von Kindern auf die eigene Armut erläutert.
In Kapitel 5 werden Alternativen zur Aufhebung ungleicher Bildungschancen vorgestellt und näher beschrieben.
Zum Abschluss wird im 6. Kapitel ein Resümee der Masterarbeit gezogen. Hierbei wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Bildungschancen beantwortet. Des Weiteren wird die Masterarbeit an dieser Stelle reflektiert und persönliche Erkenntnisse, welche während der Studien gewonnen wurden, geschildert.
2. Definitionen
Dieses zweite Kapitel „Definitionen“ soll das nötige Grundwissen für das Thema „Arme Kinder in der Grundschule und ihre Bildungschancen“ schaffen. Es wird zunächst der Begriff „Armut“ näher beschrieben mit einem Einblick in die historische Entwicklung (Kapitel 2.1). Im weiteren Kapitel 2.2 werden verschiedene Konzepte, die auf unterschiedliche Art und Weise versuchen Armut zu beschreiben, vorgestellt. Aufgrund der vielen Definitionen und Begriffsdeutungen werden die Wichtigsten ausgewählt und näher beschrieben. Hierzu gehört die relative Armut (Kapitel 2.2.1), die absolute Armut (Kapitel 2.2.2) und die lebenslagenorientierte Armut (Kapitel 2.2.3). Zum Abschluss dieses Kapitels wird näher auf die Kinderarmut und deren historische Entwicklung eingegangen (Kapitel 2.3).
2.1 Armut
Für Armut gibt es keine einheitliche Definition. „Es gilt, Armut als Begriff vor dem Hinter- grund gesellschaftlichen Wandels immer neu zu definieren“ (Dietz 1997, 14). Dieses bringt Probleme mit sich: Es gibt sehr viele unterschiedliche Begriffe, die Armut beschreiben und somit kann es zu einer Begriffsverwirrung kommen (vgl. Dietz 1997, 14). Grundsätzlich wird jedoch zwischen absoluter (vgl. Kapitel 2.2.2) und relativer Armut (vgl. Kapitel 2.2.1) unter- schieden. Ferner lässt sich aus diesen beiden Definitionen das Armutskonzept der Lebensla- gen (vgl. Kaptitel 2.2.3) ableiten.
Die Armut in Deutschland hat eine lange Geschichte und ist durch unterschiedliche Verände- rungen geprägt. Obwohl Deutschland zu den reichsten Ländern der Welt gehört, „hat es Ar- mut - wenn auch nicht in der krassen Form, die wir von Entwicklungsländern kennen - im- mer gegeben“ (Werth 1991, 1). Bereits im Mittelalter gab es Armutsgruppen, wie beispiels- weise den Bettlerstand (vgl. Iben 2002, 189). Jedoch fehlt in Deutschland „eine Tradition der empirischen und theoretischen Armutsforschung“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 12). Es benötigte eine lange Zeit, bis sich die Wissenschaft mit dem Thema Armut auseinanderge- setzt hat. In der Nachkriegszeit Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts war die Armut in Deutschland weit verbreitet und galt bis in die 50er Jahre als allgemeine Notlage. „Beeinflusst durch günstige weltpolitische und ökonomische Rahmenbedingungen, wurde die Nachkriegs- armut im Verlauf der 50er-Jahre sehr bald durch das sog. Wirtschaftswunder, die Vollbe- schäftigung, die Verstetigung des Wachstums und die Steigerung des privaten Wohlstandes abgelöst“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 12). Durch den wirtschaftlichen Aufschwung ab Ende der 50er Jahre konnte die Armut in der Bevölkerung verringert werden. Die Arbeits- losenquote sank von 1950 bis 1970 von circa elf auf 0,7 Prozent (vgl. Werth 1991, 122). „Armut entwickelte sich infolgedessen von einem Problem breiter Bevölkerungsschichten zu einem Problem der nicht in den Arbeitsprozessen integrierten bzw. nicht integrierbaren Per- sonengruppen“ (Werth 1991, 122). Armut war somit für viele Personen gar kein Thema und betraf hauptsächlich die Gruppe der nichterwerbsfähigen Personen - wie beispielsweise alte, kranke, behinderte, sozial schwierige oder erziehende Menschen (vgl. Werth 1991, 129). Für diese Personengruppe galt die Armut häufig als unabänderliches Problem (vgl. Palentien 2004, 9). Durch die Große Rentenreform 1957 und das Bundessozialhilfegesetz 1961 machte es den Anschein, „dass Armut sozialpolitisch beherrschbar war“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 12). Mit dieser Regelung wurde zwar die finanzielle Grundsicherung gesichert, jedoch wurde Armut wieder nicht als gesamtgesellschaftliches Problem gesehen (vgl. Palentien 2004, 25). „Noch bis zum Ende der siebziger Jahre dominierte in der Bundesrepublik Deutschland, wie auch in vielen anderen westlichen Industriestaaten, die Vorstellung, Armut sei ausschließlich ein Phänomen, das in den so genannten Entwicklungsländern vorkomme“ (Palentien 2004, 9). Jedoch mit den Wirtschaftskrisen 1974/75 und 1981/82 wurde der deutschen Bevölkerung bewusst, dass Armut auch in ihrem Land eine Rolle spielt. „Von diesem Zeitpunkt an ver- stummte die Armutsdiskussion bis heute nie mehr grundsätzlich“ (Butterwegge / Holm / Im- holz 2004, 14). Ab Mitte der 70er-Jahre fand ein Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft statt, der viele Entlassungen von Arbeitskräften mit sich zog (vgl. Werth 1991, 130 ff.). Auf- grund dieser Veränderung ist Armut nicht mehr nur ein Problem der Gruppe der nichterwerbs- fähigen, sondern auch der nichterwerbstätigen Personen. Zunächst wurde ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Armut vermieden, jedoch im Jahr 1976 „warf Heiner Geissler die „Neue Soziale Frage“ auf, indem er auf bislang nur unzureichend thematisierte benachtei- ligte Bevölkerungsgruppen, z. B. Alte, Frauen und Kinderreiche, hinwies“ (Palentien 2004, 27). Er sprach hiermit als Erster das Phänomen der „neuen Armut“ an. Arbeitslose und Fami- lien „bildeten die sogenannten „neuen“ Armen“ (Palentien 2004, 28). Die Arbeitslosigkeit bezieht sich dabei auf Personen - zwischen 20 und 60 Jahren - im erwerbsfähigen Alter (vgl. Klocke 1996, 391).
In den 80er und 90er-Jahren nahm der Armutsanteil der Bevölkerung drastisch zu. 1980 gab es in Deutschland 1,4 Prozent Sozialhilfeempfänger, bis 1993 stieg dieser Anteil - um circa 136 Prozent - auf 3,3 Prozent an. Von 1994 bis 1999 nahm der Anteil der Sozialhilfeempfän- ger ein weiteres Mal um circa 16 Prozent zu und stieg auf 3,6 Prozent der Gesamtbevölkerung (vgl. Palentien 2004, 77). Armut ist kein Problem mehr einer Randgruppe, sondern „das Ar- mutsrisiko betrifft heute die „Normalbevölkerung““ (Klocke 1996, 391). Jeder kann arm wer- den, niemand ist mehr geschützt. „Die Hauptursache für das wachsende Armutsrisiko der Haushalte ist die Arbeitslosigkeit, die alle Alters- und Berufsgruppen betrifft und weit in die „Mittelschicht“ der Gesellschaft hineingreift“ (Klocke 1996, 391). „Nach der Wiedervereini- gung berichteten Armutsforscher/innen und Massenmedien über das Verarmen ganzer Land- striche im Osten Deutschlands, die alte und neu entstandene Migrantenarmut und vor allem die Armut von Kindern und Jugendlichen, die zur größten Betroffenengruppe avancier- ten“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 16).
Im Gegensatz zu der „alten Armut“ - die weiterhin existiert - bezieht sich die „neue Ar- mut“ nicht auf eine spezifische Gruppe von Menschen, sondern konzentriert sich auf unter- schiedliche arme Lebenslagen. Durch die „neue Armut“ sind völlig neue Gruppen von Armut betroffen - beispielsweise vollständige Familien oder Personen mit guter Ausbildung -, die zuvor nicht gefährdet waren. Vor der „neuen Armut“ bezeichnete Armut „eine abgeschottete und damit in beide Richtungen nahezu undurchlässige Grenze zwischen gesellschaftlichen integrierten und ausgegrenzten Menschen“ (Klocke 1996, 391). Diese klare Grenze besteht nun nicht mehr. „War in den siebziger Jahren Armut statistisch noch „alt“, „weiblich“ und sozialstrukturell verfestigt, ist sie heute - diesseits aller Ausdifferenzierungen - „jung“, „nicht-deutsch“, immer noch respektive wieder „weiblich“ (…), sowohl soziostrukturell ver- festigt als auch biographisch heterogenisiert und in Großstädten zunehmend kleinräumig kon- zentriert“ (Dangschat 1996, 154).
Aufgrund dessen, dass die Ungleichverteilung des Einkommens in den Jahren 2002 bis 2005 immer mehr zugenommen hat - „während der Anteil der höheren Einkommen immer mehr wuchs, sanken die Anteile der niedrigen Einkommensgruppen“ (BMAS 2008, 4) - nahm die Armutsrisikoquote von Erwerbstätigen immer mehr zu. 2005 wurde jedoch auch das Risiko der Einkommensarmut von 26 auf 13 Prozent und bei Kindern von 34 auf 12 Prozent gesenkt, dieses liegt gemäß BMAS (2008) an den sozial- und familienpolitischen Transferleistungen, des Sozialstaates (vgl. BMAS 2008, 4).
Die Erwerbstätigkeit von Eltern beeinflusst sehr stark das Armutsrisiko deren Kinder, denn „mit den Aufnahmen einer Vollzeitbeschäftigung durch ein oder mehrere erwerbsfähige Haushaltsmitglieder sinkt die Armutsgefährdung von Haushalten mit Kindern von 48% auf unterdurchschnittlich 8% bzw. 4% (BMAS 2008, 5).
Arbeitslosigkeit ist sehr häufig ein Grund für Armut, jedoch auch Ein-Eltern-Familien sind sehr häufig von Armut betroffen. Der Anteil der Alleinerziehenden hat in den letzten Jahren sehr stark zu genommen in Deutschland. „Insgesamt sind etwa 15 % aller Familien in der Bundesrepublik Deutschland Einelternfamilien“ (Palentien 2004, 194). In diesen Familien sind vier von zehn von der Einkommensarmut betroffen (vgl. Palentien 2004, 194). Aber auch Familien mit vielen Kindern leben sehr häufig in Armut. „Berechnungen zeigen, dass Famili- en mit drei und mehr Kindern in Ostdeutschland zu 46 % und in Westdeutschland zu 31 % arm sind“ (Palentien 2004, 194). Diese Werte zeigen bereits, dass Kinder und Jugendliche sehr häufig von Armut betroffen sind, dieses wird weiter in Kapitel 2.3 „Kinderarmut“ erläu- tert.
2.2 Unterteilungen von Armut
Wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt, gibt es viele Unterteilungen von Armut. In den folgenden Unterkapiteln 2.2.1 bis 2.2.3 sollen die wichtigsten Begriffe - relative Armut, absolute Armut und lebenslagenorientierte Armut - erklärt werden.
2.2.1 Absolute Armut
Die „absolute Armut“ hat die längste Tradition. Als Begründer gelten nach Werth (1991) die englischen Armutsforscher Ch. Booth und B. Seebohm Rowntree. Hier „gelten Menschen, deren physisches Existenzminimum nicht gesichert ist, als arm“ (Werth 1991, 8). Rowntree machte die Überlebensgrenze an drei Indikatoren fest: „Ernährung, Wohnen und Haushaltsar- tikeln (Kleidung, Licht, Brennstoff)“ (Dietz 1997, 85). Die Messgröße ist hierbei „ein allge- meines Äquivalent, auf das alle Befriedigungsmittel bezogen werden können - das Geld“ (Schäuble 1984, 42). Das Kriterium der absoluten Armut besteht in „der Fähigkeit zur Selbsterhaltung des Individuums“ (Dietz 1997, 87). Wird hierfür ein Betrag festgelegt und somit eine Grenze definiert, gilt derjenige als absolut arm, der sich unter dieser Grenze befin- det. Es ist jedoch sehr schwierig „menschliche Grundbedürfnisse allgemeinverbindlich festzu- legen“ (Werth 1991, 9). Jedoch ist das Hauptdefizit der absolute Armut, dass Sie sich aus- schließlich auf das physische Überleben beschränkt (vgl. Werth 1991, 9). Das physische Ü- berleben ist in den modernen Industrieländern größtenteils gesichert und deshalb spielt hier der absolute Armutsbegriff keine Rolle mehr. „Hier muss der Begriff der Armut neu definiert werden, nämlich nicht mehr bezogen auf einen absoluten, sondern auf einen relativen Maß- stab“ (Palentien 2004, 62) (Kapitel 2.2.2). Armut im Sinne der Definition, der absoluten Ar- mut, ist nur noch in Entwicklungsländern weit verbreitet (vgl. Werth 1991, 9). Aufgrund des- sen, dass die Lebensunterhaltskosten zwischen und auch in den einzelnen Ländern sehr unter- schiedlich sind, lässt sich die Armut in den unterschiedlichen Ländern mit dem Konzept der absoluten Armut kaum vergleichen.
In Bezug auf die Kinderarmut ist der Begriff der absoluten Armut eher zu verwenden, weil hier häufig noch Defizite im Bereich der Ernährung auftreten.
2.2.2 Relative Armut
Bei der relativen Armut wird das „Haushaltsnettoeinkommen in Bezug zum jeweiligen natio- nal zu ermittelnden durchschnittlichen Nettoeinkommen aller Haushalte gesetzt“ (Dietz 1997, 96). Bezieht ein Haushalt weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens des Landes, so gilt er als relativ arm (vgl. Iben 1998, 10). Hiervon „leiten sich „strenge“ Armut (40%) oder „Einkommensschwäche“ bzw. Niedrigeinkommen (60%) ab“ (Dietz 1997, 96). In den meisten Statistiken wird diese 50 Prozent-Grenze als Armutsschwelle genutzt, jedoch ist in der Europäischen Union „mittlerweile die Marke von 60 Prozent des durchschnittlichen Net- toäquivalenzeinkommens (ermittelt im Medianwert) als Armutsschwelle verbindlich festge- legt worden“ (Butterwegge / Holm / Imholz 2004, 19). Demnach gilt seit 2001 derjenige als arm, der weniger als 60 Prozent des Einkommensmedians besitzt. „Als relative Armut werden Mangelzustände bezeichnet, die sich am allgemeinen bzw. durchschnittlichen Lebensstandard einer festgelegten Population orientieren“ (Palentien 2004, 62).
Das Problem ist hierbei, dass sich durch eine Veränderung aller Haushaltsnettoeinkommen nicht die Anzahl der Armen und Reichen wandelt. Dieses hängt mitunter damit zusammen, dass sich der Median bzw. die weiteren Grenzen nicht in Relation zu den Haushalten verän- dert. Darum ist es fraglich, „ob hierdurch Armut gemessen wird oder nicht etwa soziale Un- gleichheit“ (Hübinger 1996, 70).
Kinderarmut anhand dieser relativen Armut zu bestimmen, ist nicht sehr sinnvoll, weil es nicht sehr aussagekräftig ist, wenn das Einkommen der Kinder- und Jugendlichen mit dem durchschnittlichen Einkommen der Gesamtbevölkerung verglichen wird. Sinnvoller wäre es hier das Einkommen der Kinder und Jugendlichen untereinander zu vergleichen.
2.2.3 Lebenslagenorientierte Armut
Das Konzept der lebenslagenorientierten Armut legt „das Augenmerk in erster Linie auf die Multidimensionalität des Armutsphänomens“ (Chassé 2005, 18). Folgende Bereiche finden nach Palentien (2004) in diesem Konzept Berücksichtigung: „Es handelt sich um normativ festgelegte sozialpolitisch relevante Felder, in der Regel die Bereiche Arbeit, Bildung und Wohnen sowie die Versorgung mit sozialen und gesundheitlichen Diensten“ (Palentien 2004, 73). Ergänzt bzw. variiert werden diese Bereiche u. a. von Dietz (1997), der folgende relevan- te Ebenen nennt: „Einkommen und Lebenshaltung, Sozialisationsbedingungen, Bildung, Ar- beitswelt, Kommunikation, Partizipation und Regeneration“ (Dietz 1997, 104-105). Armut wird bei dem lebenslagenorientierten Armutskonzept als mehrdimensionales Problem defi- niert (vgl. Chassé 2005, 18), welches sich bereits durch die verschiedenen Bereiche zeigt. „Es wird davon ausgegangen, dass neben dem Mangel an monetärem Einkommen zugleich weite- re Notlagen bzw. Unterversorgungsphänomene in zentralen Lebensbereichen vorhanden sind, wie bspw. in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Ausbildung, Gesundheit, Ernährung, soziale Integration und soziokulturellen Teilhaben“ (Chassé 2005, 18). Im Anschluss wird für die einzelnen Bereiche eine Unterversorgungsschwelle definiert und wenn in einer bestimmten Anzahl von Bereichen eine Unterversorgung herrscht, wird in diesem Fall von Armut gespro- chen (vgl. Palentien 2004, 74).
„In der Armutsforschung herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass das Konzept der Le- benslagen das Phänomen der Armut am ehesten zu erfassen vermag“ (Chassé 2005, 18). Es ist gemäß Palentien „der umfassendste und soziologisch gehaltvollste Ansatz“ (Palentien 2004, 74).
Eine Schwierigkeit in diesem Konzept liegt jedoch darin, wie die Bereiche untereinander ge- wichtet werden (vgl. Chassé 2005, 19). Sollen sie alle gleichwertig sein? Oder ist die Bildung hochwertiger als die Wohnung? All dieses sind Fragen, mit denen sich die Forscher beschäf- tigen müssen. Auch die Problematik „mit der Normativität der Unterversorgungsschwel- len“ (Palentien 2004, 74) bringt der lebenslagenorientierte Ansatz mit sich. Wie soll bei- spielsweise ein niedriger Schulabschluss bewertet werden? Bedeutet dieses gleich eine nega- tive Weiterentwicklung? Können wirklich alle Personen mit einem niedrigen Abschluss gleich bewertet werden - egal, wie die Weiterentwicklung verläuft? (vgl. Palentien 2004, 74). Diese Probleme und Fragen ergeben sich an allen Bereichen.
Für die Herstellung der Verbindung von Armut und Bildung ist dieses Konzept der lebensla- genorientierten Armut im Vergleich zu dem der relativen und absoluten Armut das hilfreichs- te.
2.3 Kinderarmut
In diesem Kapitel geht es um eine spezielle Form der Armut: die Kinderarmut in Deutschland. Nach einer Definition von Klocke (1996) lässt sich Kinderarmut wie folgt erklären: „Kinder und Jugendliche leben in Armut, wenn der Haushalt, in dem sie aufwachsen, von Armut be- troffen ist (Klocke 1996, 390). „Kinderarmut ist die Folge von Erwachsenenarmut, sie sind die Opfer der ökonomischen Notlage ihrer Eltern“ (Dietz 1997, 146). Kinder sind besonders armutsgefährdet, wenn ihre Eltern arbeitslos sind oder nicht genügend Geld in der Familie verdienen wird, dass der Unterhalt der gesamten Familie gesichert ist (vgl. BMAS 2008, 90). Die Kinderarmut machte sich in Deutschland bereits im 17. Jahrhundert bemerkbar. In dieser Zeit wurden die ersten Arbeitshäuser in Deutschland gegründet, in denen von Armut betroffe- ne Menschen Zuflucht fanden. Nicht selten waren die Insassen arme Waisenkinder (Sachße & Tennstedt 1980, 113-115.). Diese wurden in den Arbeitshäusern beispielsweise mit dem „An- fertigung von Zigarrenkisten oder ähnlichen leichter Arbeit beschäftigt“ (Sachße & Tennstedt 1980, 320). Hiermit zeigt sich, dass Kinderarmut bereits zu dieser Zeit vorhanden war. Im Jahr 1833 wurde von Johann Hinrich Wichern das „Rauhe Haus“ in Hamburg gegründet - für arme, verwahrloste Kinder (vgl. Sachße & Tennstedt 1980, 229). Hier wurde versucht, „den zu rettenden Kindern der Armen kleinbürgerliche Verhaltensnormen zu internalisie- ren“ (Sachße & Tennstedt 1980, 230). Auch dieses Beispiel zeigt, dass es immer Kinder in Armut gab. Jedoch galt die Kinderarmut in Deutschland „lange Zeit zu den ignorierten The- men“ (Zander 2007, 93). Kinder und Jugendliche traten in Statistiken nicht als eine betroffene Gruppe von Armut auf, sondern wurden häufig nur als Ursache für Armut von Erwachsenen genannt. „Erst seit etwa zehn Jahren scheint dieses Desinteresse überwunden zu sein“ (Zander 2007, 93). Und seither beschäftigt das Thema „Kinderarmut“ die Politiker wohl gleicherma- ßen, wie die sozial-pädagogische Praxis (vgl. Zander 2007, 93).
In der Zeit zwischen 1978 und 1988 verlief die Anzahl der Hilfebeziehenden zwischen 15 bis 18 Jahren parallel zur Gesamtbevölkerung und betrug 1988 einen Anteil von 4,7 Prozent. In der gleichen Zeit verdreifachte sich die Anzahl der Hilfebeziehenden zwischen 18 und 21 Jahren auf über 5 Prozent, die Anzahl in der Gesamtbevölkerung verdoppelte sich jedoch „nur“ (vgl. Dietz 1997, 143). Anfang der 90er Jahre sind durch die zunehmende Anzahl Ar- beitsloser und Alleinerziehender immer mehr Kinder von Sozialleistungen abhängig. „Von den 2,8 Millionen Menschen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, sind 32 % unter 18 Jahren alt, also Kinder“ (Chassé 1993, 38). Bereits 7,6 Prozent aller Sozialhilfeemp- fänger sind Grundschulkinder (zwischen 7 und 11 Jahren). Kinder und Jugendliche bis 25 Jahre machten zusammen 45 Prozent der Sozialhilfeempfänger aus (vgl. Chassé 1993, 38). Sehr wahrscheinlich liegt die Anzahl von Armut betroffenen Kinder noch höher, da nicht alle Kinder, die arm sind auch Hilfe beziehen (Dunkel Ziffer). „Die Analyse von Armut als Sozi- alhilfe und niedriges Einkommen reduziert das soziologische Konzept von Armut auf Ein- kommensarmut“ (Dangschat 1996, 155), dieses muss hier berücksichtigt werden.
Werden die Jahre von 1988 bis 1999 betrachtet, „ist erkennbar, dass trotz eines Auf und Ab eine Sockelarmut bei Kindern und Jugendlichen (unter 18 Jahren) zu erkennen ist, die zu allen Messzeitpunkten in Westdeutschland 15 % nicht unterschritt und zudem immer deutlich über der Quote der Erwachsenen lag“ (Klocke 2001, 294). Im Jahr 1988 war die Armutsquote in Westdeutschland beispielsweise bei 11 Prozent der Gesamtbevölkerung und bei 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren (vgl. Klocke 2001, 295). 1997 wächst bereits jedes fünfte, der 2,8 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Armut auf (vgl. Palentien 2005, 155). Es kann festgehalten werden, dass „in Deutschland Familien finanziell schlechter gestellt sind als kinderlose Paare“ (Klocke 2001, 296). Die Zunahmen von Arbeitslosigkeit und Niedrigeinkommen haben zur Folge, dass Kinder und Jugendliche so stark von Armut betroffen sind (vgl. Klocke 1996, 391).
Gemäß der AWO-ISS-Studie leben Ende 2003 eine Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Sozialhilfe, dieses entspricht 7,2 Prozent. Die Quote bei Kindern in der Grundschule liegt leicht unter den 7,2 Prozent. Die Armutsquote liegt jedoch noch deutlich über der Anzahl der Sozialhilfeempfänger (vgl. Holz et. al 2005, 3). „Je nach Armutsdefinition leben zwischen 13 und 19 Prozent in relativer Armut“ (Holz et. al 2005, 3).
Die Armutsrisikoquote lag 2003 gemäß des 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesre- gierung bei den Kindern unter 16 Jahren bei 15 Prozent, während sie 1998 erst bei 13,8 Prozent lag. Dieser Anstieg zeigte sich auch bei den Jugendlichen von 16 bis 24 Jahren: Hier stieg die Armutsrisikoquote von 14,9 Prozent (1998) auf 19,1 Prozent (2003) (vgl. BMAS 2005, 21).
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2009, Arme Kinder in der Grundschule und ihre Bildungschancen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139303
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