Zu Anbeginn des 21. Jahrhunderts lebt die Menschheit in einem Zeitalter des Umbruchs. Globalisierung ist im Zuge des internationalen Verflechtungsanstiegs in nahezu jedwedem gesellschaftlichen Bereich zu einer der zentralen Einflußgrößen der Konstituierung zukünftiger Gesellschaftsordnung geworden. Waren, Dienstleistungen, Geld und Personen werden bei immer höherer Transfergeschwindigkeit und gleichzeitig zunehmender Nachfrage nach logistischer Leistungssteigerung auf dem Planeten von Ort zu Ort transferiert, und lassen räumliche Grenzen mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Mit dem Aufkommen moderner Technologien in Kommunikation und Logistik verlieren auch zunehmend sprachliche und kulturelle Barrieren an Einfluß und die gesellschaftliche Grenzziehung ist im globalen Zeitalter nicht länger ohne weiteres möglich.
Insbesondere durch den globalen Verflechtungsanstieg und die Herausforderungen die dieser dabei an eben jene kompensatorischen Instanzen und Sozialgebilde der derzeitigen Gesellschaftsorganisation stellt, treten traditionelle Bindungsmuster, deren entscheidendes physisches Element eine räumlich nahe Koexistenz war, zurück für die Hervorbildung von Lebensmodellen, die dem suggestiven Freiheitsgewinn unter der Idealisierung des heutigen sozio-ökonomischen Flexibilitätsanspruches an die Gesellschaft entsprechen. Die Etablierung von sozialen Bindungen ist im Zuge dessen in die Konfrontation mit der gesellschaftlichen Selbstverwirklichungsprämisse über die ökonomische Partizipation geraten. Durch die omnipräsente Bedrohung des Scheiterns bei der Nichterhaltung der Partizipation beflügelt, ist der ökonomische Erfolg, also der Erwerb und die Vermehrung von Geld, zur Grundfeste vom Glück des Einzelnen erwachsen, unter dessen Primat sich das Individuum von seinen natürlichen sozialen Bindungsmustern wie Familie, Freundeskreis, und anderweitiger sozialer Netzwerke, trennt, und sich den markt-wirtschaftlichen Anforderungen an die ständige Flexibilität und Verfügbarkeit des Einzelnen hingibt.
In dieser Arbeit soll daher der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Atomisierung und der mentalen und habituellen Ökonomisierung nachgewiesen und untersucht werden, ebenso wie die Rahmenfaktoren, die zu der Herausbildung eines Typus Mensch beitragen, der sein Handeln in erhöhtem Maße nach ökonomischen Parametern ausrichtet und diese sozialen Bindungs- und Planungsgedanken gegenüber voranstellt.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung – Quo vadis societas?
Kapitel 2: Die Bundesrepublik zwischen demographischer Alterung und sozialer Atomisierung
2.1 Die Bundesrepublik Deutschland im demographischen Wandel
2.2 Die Transformierung der Lebensverhältnisse
2.3 Implikationen der Pluralisierung der Lebensverhältnisse für die Gesellschaft
2.4 Vorläufiges Fazit
Kapitel 3: Das globale Zeitalter
3.1 Globalisierung: Wirtschaftliche Prämissen
3.2 Gesamtzunahme des Welthandels
3.3 Ausländische Direktinvestitionen und multinationale Unternehmen
3.4 Vernetzung durch Kommunikationstechnologien
3.5 Kulturelle Globalisierung am Beispiel der Fernsehunterhaltung
3.6 Kulturelle Homogenisierung
3.7 Sozialpsychologische Implikationen der Verwendung von Massenmedien
3.8 Nationalstaatlicher Kontroll- und Funktionalitätsverlust
3.9 Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Zugehörigkeit für die Identitätenbildung
3.10 Globaler Neoliberalismus: Zwischen marktwirtschaftlicher Deregulierung und staatlicher Rationalisierung
Kapitel 4: Die Flexibilisierung des Menschen
4.1 Die Pluralisierung der Erwerbsformen
4.2 Folgen der Deregulation für die Arbeitsgesellschaft
4.3 Die Entgrenzung der Arbeitsgesellschaft
4.4 Zur Vereinbarkeit von Individualisierung und den neuen Arbeitsformen
4.5 Die Internationalisierung des Arbeitsmarktes
4.6 Die ‚Kinder der Deregulation’: Zur Vereinbarkeit von Berufsperspektiven junger Menschen mit den neuen Arbeitsmarktbedingungen der Globalität und Deregularität
4.7 Gewerkschaftliche Strukturen im Globalen Zeitalter
4.8 Fazit: Die Ökonomisierung der Gesellschaft
Kapitel 5: Von Gesellschaft und Unsicherheit
5.1 Unsicherheit im Vergleich zwischen Industrialisierung und Globalisierung
5.2 Konkurrenz
5.3 Scheitern
5.4 Psychosomatische Konsequenzen
5.5 Abschlußbetrachtung: Bindung versus Partizipation
Anhang:
Ausländische Bevölkerung in der BRD
Literaturverzeichnis:
Kapitel 1: Einleitung – Quo vadis societas?
Kapitel 2: Die Bundesrepublik zwischen demographischer Alterung
und sozialer Atomisierung
Kapitel 3: Das globale Zeitalter
Kapitel 4: Die Flexibilisierung des Menschen
Kapitel 5: Von Gesellschaft und Unsicherheit Sonstiges
Kapitel 1: Einleitung – Quo vadis societas?
Zu Anbeginn des 21. Jahrhunderts lebt die Menschheit in einem Zeitalter des Umbruchs. Globalisierung ist im Zuge des internationalen Verflechtungsanstiegs in nahezu jedwedem gesellschaftlichen Bereich zu einer der zentralen Einflußgrößen der Konstituierung zukünftiger Gesellschaftsordnung geworden. Waren, Dienstleistungen, Geld und Personen werden bei immer höherer Transfergeschwindigkeit und gleichzeitig zunehmender Nachfrage nach logistischer Leistungssteigerung auf dem Planeten von Ort zu Ort transferiert, und lassen räumliche Grenzen mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Mit dem Aufkommen moderner Technologien in Kommunikation und Logistik verlieren auch zunehmend sprachliche und kulturelle Barrieren an Einfluß und die gesellschaftliche Grenzziehung ist im globalen Zeitalter nicht länger ohne weiteres möglich.
„In the most general sense, globalization is a matter of increasing long-distance interconnectedness, at least across national boundaries, preferably between continents as well. That interconnectedness has a great many aspects. We have ways of meddling with other people’s environments, from the destruction of rain forests and the intercontinental dumping of toxic wastes to global warming; and with their bodies, as in a growing transnational trade in human organs for transplants. The goods we buy may come from far away.”1
Tradierte gesellschaftliche Organisationsmuster geraten dabei zunehmend in Erosion. War das Individuum früher in erheblichem Maße ein Leben lang in eine ländliche Organisations-struktur wie Dorf und Kommune eingebettet, und funktional bezüglich der Ausübung einer den Lebensunterhalt generierenden Tätigkeit auf die Verfeinerung und Weitergabe eines erlernten Handwerkes oder der Tätigkeit als Landwirt angewiesen, so wandelte sich dessen Rolle im Zuge der industriellen Akkumulation der Produktionsprozesse vom Selbsterzeuger von Waren und Dienstleistungen hin zu einer Komponente der industriellen Massen-produktion. Der graduelle Anstieg der Spezialisierung und Beschränkung der Tätigkeit des Individuums auf die Ausführung bestimmter Produktionsverfahren fanden im Fordismus ihren Höhepunkt als Entwicklungsform des Fließband-Kapitalismus. Der Begriff des Fordismus entstand in den 20er- und 30er-Jahren als Bezeichnung der gesellschaftlichen Produktions-und Verteilungsstrukturen, die sich insbesondere in den USA nach dem 1.Weltkrieg herausgebildet haben. Die Ausbreitung des Fordismus erreichte Europa in größerer Dimension erst nach dem zweiten Weltkrieg. Der Begriff bezieht sich auf den us-amerikanischen Autohersteller Henry Ford und die von diesem im Jahre 1914 eingeführte Fließbandproduktion. Die Organisation dieser Produktionsform reichte in ihren sozio-ökonomischen Konsequenzen weit über die Entwicklung der Produktivität und die Arbeits-situation hinaus und führte zur industriellen Massenerzeugung von technisch höher entwickelten Konsumprodukten und Gebrauchsgegenständen.2 Die Fortschritte in der Agrarwirtschaft bedingten dabei ferner eine Freisetzung der für die industrielle Produktion notwendigen Reservearmee an Arbeitskräften, sodaß die Landflucht von Arbeitssuchenden zu einer ansteigenden Urbanisierung führte. Die tradierten Formen des von Generation über Generation fortgegebenen Handwerks als zentralem Faktor der Güterproduktion waren damit abgelöst, was bezüglich des Handwerks zu einer Relativierung des Bedeutungsgehaltes der Erfahrung führte. Für die Kommunen und Dörfer bedeutete dies eine erste allmähliche soziale Auflösung und die Neuansiedlung von ganzen Familien nahe den Industriestandorten, dabei gleichzeitig der Anonymisierung und Fremdheit in der Masse des urbanen Siedlungsgebietes ausgesetzt. Ein elementares Momentum dieser Entwicklung war die omnipräsente Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, bedingt durch die hohe Konkurrenz und die Eventualität einer Ersetzung durch Dritte. Die Lebensqualität der industriellen Arbeiterfamilie war in erheblichem Maße an die Tätigkeit innerhalb des industriellen Sektors gekoppelt.3
Im Vergleich zur früheren Situation haben sich bis heute insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Wohlfahrtsstaat und der sozialen Marktwirtschaft, sowie gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretungsorganen, Solidarmechanismen herausgebildet, die etwaige sozialunverträgliche Marktströmungen kompensieren sollen. Insbesondere durch den globalen Verflechtungsanstieg und die Herausforderungen die dieser dabei an eben jene kompensatorischen Instanzen und Sozialgebilde der derzeitigen Gesellschaftsorganisation stellt, treten traditionelle Bindungsmuster, deren entscheidendes physisches Element eine räumlich nahe Koexistenz war, zurück für die Hervorbildung von Lebensmodellen, die dem suggestiven Freiheitsgewinn unter der Idealisierung des heutigen sozio-ökonomischen Flexibilitätsanspruches an die Gesellschaft entsprechen. Die Etablierung von sozialen Bindungen ist im Zuge dessen in die Konfrontation mit der gesellschaftlichen Selbstverwirklichungsprämisse über die ökonomische Partizipation geraten. Durch die omnipräsente Bedrohung des Scheiterns bei der Nichterhaltung der Partizipation beflügelt, ebenso wie in der Gesellschaft durch die Medien und gesamtgesellschaftlichen Konsens aufgewertet, ist der ökonomische Erfolg, also der Erwerb und die Vermehrung von Geld, zur Grundfeste vom Glück des Einzelnen erwachsen, unter dessen Primat sich das Individuum von seinen natürlichen sozialen Bindungsmustern wie Familie, Freundeskreis, und anderweitiger sozialer Netzwerke, trennt, und sich den markt-wirtschaftlichen Anforderungen an die ständige Flexibilität und Verfügbarkeit des Einzelnen hingibt. Unter dem Anspruch der Mobilität und des frequentierten Wechsels von Lebensraum und sozialem Umfeld ist die menschliche Interaktion verzerrt, und es stellt sich die Frage nach den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Entwicklung, im sozialen, demographischen, gesundheitlichen, habituellen und kulturellen Kontext.
Der Begriff der „Karriere“ verliert dabei gegenüber seinem ursprünglichen Bedeutungsgehalt an Boden, denn er war in seinem Ursprung eine Straße für Kutschen, aus der sich die heutige Bedeutung einer lebenslangen Kanalisierung für die ökonomischen Anstrengungen des Einzelnen in Form der Arbeitstätigkeit entwickelt hat. Der Begriff „Job“ bedeutete im Englischen des 14. Jahrhunderts einen Klumpen oder eine Ladung, die man herumschieben konnte, gegenüber den Flexibilitätsansprüchen des 21. Jahrhunderts erhält dieser Wortursprung demgegenüber neue Aktualität.4 Der Begriff der Flexibilität war, als er im 15. Jahrhundert in den englischen Wortschatz eingeführt wurde, abgeleitet von der Beobachtung des Baumes, daß dieser sich sowohl im Wind biegen könne, als auch in seine ursprüngliche Form zurück zu kehren vermöge. Sie bezeichnet also zugleich die Fähigkeit nachzugeben, wie die, sich zu erholen. Übertragen auf menschliches Handeln bedeutete dies, dieselben Attribute zu haben, Dehnfestigkeit zu besitzen, sich wechselnden Umständen anzupassen, jedoch ohne von ihnen gebrochen zu werden. Hinsichtlich der ursprünglichen Wortbedeutung ist dieser Anspruch jedoch fragwürdig, da er, um bei der Metapher des Baumes zu bleiben, im sozialen Sinne eine weitgehend permanente Entwurzelung bedeutet.5
In dieser Arbeit soll daher der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Atomisierung und der mentalen und habituellen Ökonomisierung nachgewiesen und untersucht werden, ebenso wie die Rahmenfaktoren, die zu der Herausbildung eines Typus Mensch beitragen, der sein Handeln in erhöhtem Maße nach ökonomischen Parametern ausrichtet und diese sozialen Bindungs- und Planungsgedanken gegenüber voranstellt. Wer sind die Akteure, die die Weichen für die Bildung des nach wirtschaftlicher Effizienz strebenden Menschen, des Homo Oeconomicus, stellen, und in wie weit hat sich die (Un-)Freiheit der Menschen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung im Zuge der Ökonomisierung der Menschheit tatsächlich gewandelt, und letztlich, wie weit werden sie selbst im Zuge der Fügung in dieses System zum Element der Replikation desselben. Ziel der Arbeit soll es sein, Antwort auf diese Fragen zu finden und den Zusammenhang zwischen der Zersetzung sozialer Gefüge und der Ökonomisierung des Menschen, des Humankapitals, zu beleuchten.
Kapitel 2: Die Bundesrepublik zwischen demographischer Alterung und sozialer Atomisierung
Gegenwärtig befindet sich die deutsche Gesellschaft unter dem Einfluß gravierender gesellschaftlicher Veränderungen, von denen ein erheblicher Teil den mannigfaltigen Einflüssen der Globalisierung, dem Prozeß der internationalen Verflechtung in nahezu allen gesellschaftlichen Aspekten, zugeschrieben wird.6 In besonderem Maße ist jedoch die schon seit geraumer Zeit fortschreitende demographische Alterung der Bevölkerung zu nennen, welche unter der allmählichen Ökonomisierung der Gesellschaft im Zusammenhang mit einer Vielzahl weiterer gesellschaftlich relevanter sozialer Prozesse zu dem Aufkommen an diversen neuen non-traditionellen Lebensverhältnissen geführt hat.
Die logische Folge daraus muß sein, den Einfluß dieser Entwicklungen auf die Gesellschaft in den entscheidenden transformativen Elementen zu identifizieren, nicht zuletzt auch um Angriffspunkte für eine mögliche Tangierung dieser Entwicklungen, so sie denn notwendig sei, zu markieren. Einer genaueren Betrachtung der relevanten sozio-ökonomischen Einflüsse die auf die Bundesrepublik momentan wirken, die in ähnlicher Form aber in allen entwickelten Industrieländern zu identifizieren sind, soll eine Gegenwartsanalyse der wichtigsten Faktoren der Bevölkerungsentwicklung vorausgehen.
2.1 Die Bundesrepublik Deutschland im demographischen Wandel
Der demographische Wandel in der Populationsstruktur Deutschlands geht mit einer starken Veränderung der sozialen Lebensverhältnisse einher. Ausdruck findet dieser Wandel in der Bevölkerungsschrumpfung, in dem Anstieg des Aufkommens von Einpersonen-Haushalten, und einer Fraktionierung der traditionellen familiären Bindungsmuster:
So ist die Zahl der Eheschließungen in der Bundesrepublik von Anfang der 60er Jahre von 700.000 auf 440.000 im Jahre 1994 gesunken. Im gleichen Ausmaße sind auch die Lebendgeburten gesunken. Trotz der teils erheblichen Abweichungen in BRD und ehemaliger DDR ist die Tendenz in beiden Teilen gleich gewesen. Ebenfalls ist die Quote der nicht ehelichen Geburten im selben Zeitraum um das Dreifache in Westdeutschland, und um das Vierfache in Ostdeutschland gestiegen. Einen starken Anstieg verzeichneten ebenfalls die Ehescheidungen. Die durch die niedrigen Geburtenraten bedingten Veränderungen der Bevölkerungspyramide schmälern diese an der Basis, während die Spitze durch die gestiegenen Lebenserwartungen immer höher und breiter wird. In Konsequenz dessen stehen also immer mehr ältere Bürger immer weniger Jungen gegenüber. Diese Entwicklung ist musterbeispielhaft für die sämtlicher westlichen Industrienationen. In Spanien und Italien sanken die Fruchtbarkeitsraten 1989 etwa auf den niedrigsten Wert der Welt.7 8
Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerungsentwicklung den neuesten Berechnungen des Bundesministeriums des Innern zufolge von derzeit 82 Millionen auf eine Größenordnung zwischen 74 und 69 Millionen verkleinern, was in Kombination mit der Zunahme der Alterung der Bevölkerung und der Segmentierung von Familienwohnstrukturen als Überlebenseinheit in diverse private Einpersonenhaushalte die sozialen Sicherungssysteme langfristig in Schwierigkeiten bringt. Entscheidend dabei ist weniger der Bevölkerungsrückgang oder das ansteigende Aufkommen älterer Mitbürger, sondern der Anteil Älterer an der Gesamtpopulation. Der Gesamtanteil der monetär produktiven Bevölkerungsschichten, die zur Aufrechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme notwendig sind, schrumpft. Insgesamt wird sich der Anteil der 65-Jährigen und Älteren von heute 19,8% auf bis zu 33,2% im Jahr 2050 erhöhen, zugleich wird der Anteil der Hochbetagten im Alter von 80 Jahren und höher sich mit bis zu 15% fast verdreifacht haben.9
Die demographische Alterung Deutschlands vollzieht sich schon seit über 100 Jahren, und hat ihren Ursprung in der langfristigen Entwicklung der zurückgehenden Geburtenhäufigkeit (insbesondere um 1900 und 1970 herum) und dem Anstieg der Lebenserwartungen, welche anfangs durch den Rückgang der Kinder- und Säuglingssterblichkeit, heutzutage jedoch durch den allgemeinen Anstieg der Lebenserwartungen zu schlußfolgern ist.
Zu Anfang des 21. Jahrhunderts sind die am stärksten besetzten Altersjahrgänge die der zwischen 34 und 47-Jährigen. Der Anteil der bis 60-Jährigen ist ebenfalls höher als der der Kinder und Jugendlichen. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen, sodaß die Altersjahrgänge der 60-Jährigen bis 2050 am stärksten vertreten sein werden, der Anteil der 80-Jährigen übersteigt zudem ab dato den Anteil der Neugeborenen. Da die Menge der Rentner des Jahres 2050 bereits durch die Alterung der Bevölkerung und deren Anteil an derselben festgelegt ist, steht ihre Zahl bereits annähernd fest, der Prozeß ist also irreversibel, da er im heutigen Altersaufbau der Gesellschaft bereits angelegt ist. Der Prozeß der demographischen Alterung läßt sich auch durch Steigerung der Geburtenzahlen oder weiteren Zuwanderungen zu den bereits vorhandenen Raten lediglich mildern, jedoch nicht abwenden. Problematisch für den spezifischen deutschen Generationenvertrag wird dies insofern, als daß beim bisherigen Renteneintrittsalter von 65 Jahren schon heute auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter 45 Personen im Rentenalter kommen. Dieser Anteil wird bis 2030 auf bis zu 78 Personen steigen, und bis 2050 auf bis zu 91 Personen. Da die Rentenleistungen durch die Erwerbstätigen erwirtschaftet werden, wird eine Modifikation der Alterssicherungssysteme obligatorisch. Bei einer Beibehaltung des derzeitigen Systems sind also zum einen Leistungsbeschränkungen, und zum anderen weitere Anpassungen des Renteneintrittsalters als wahrscheinlich zu betrachten. Die Anpassung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bewirkt etwa bis 2050 eine Senkung des Anteils der Personen im Rentenalter gegenüber den Personen im erwerbsfähigen Alter auf bis zu 56 anstatt der vormals genannten 91 Personen gegenüber 100 Erwerbstätigen.10
Nebst der Alterung der Population der Bundesrepublik sind die Änderungen der sozialen Beziehungs- und Lebensformen maßgebend für die Zukunft der Gesellschaft. Das Lebensmodell von Ehe und Familie ist heute in seiner Ausbreitung rückläufig, der Kinderwunsch als solcher ist ebenso wie die Ehe längst nicht mehr so verwurzelt wie früher. Heute bereits bleiben ein Drittel aller Frauen und Männer unverheiratet. Single-Dasein, Alleinerziehende und nichteheliche Lebensgemeinschaften haben einen hohen Anstieg erfahren. Die Verbindung von Ehe und Kinderzeugung ist ebenfalls keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit mehr, so wird fast jedes dritte Kind von einer unverheirateten Frau geboren. Darüber hinaus endet beinahe jede dritte Ehe in Form einer Scheidung.11 Eine Pluralisierung der Lebensverhältnisse ist in Deutschland unverkennbar, während die Gesamtbevölkerung zwischen 1972 und 1993 um 7% gewachsen ist, stieg dabei zur gleichen Zeit die Anzahl an privaten Haushalten um 28%, bis zum Jahr 2000 um 35%. Für diesen Anstieg ist insbesondere das hohe Wachstum an Einpersonenhaushalten verantwortlich.
Die Zahl der Einpersonenhaushalte ist von 1972 um 73% bis 1993, und um 85% bis 2000 angestiegen, von 6,0 auf 11,3 Millionen. Sie machen damit mit 36,5% mehr als ein Drittel aller Haushalte aus, und bestehen in erster Linie aus alten Menschen und Singles. Die Zahl an nichtehelichen Lebensgemeinschaften hat sich im selben Zeitraum mehr als verzehnfacht, 83% dieser Lebensgemeinschaften sind kinderlos. Die Anzahl an Haushalten von Alleinerziehenden ist dabei um 35%, und die Haushalte mit kinderlosen Ehepaaren um 46% gewachsen.12 Großhaushalte mit drei oder mehr Generationen unter einem Dach sind in ihrem Aufkommen mehr als halbiert worden. Das hat direkten Einfluß auf die Wohnortsnachfrage, da durch jene Entwicklung die starke Zunahme an Singlehaushalten eine andere Wohnsituation erfordert. Wo die monetäre Situation es nicht möglich macht dieses Bedürfnis zu decken, verschiebt sich das Problem hin zur Deckung durch die öffentliche Hand. 13
2.2 Die Transformierung der Lebensverhältnisse
Geht man der Frage nach den Gründen dieser demographischen Entwicklung nach, erschließt eine genauere Betrachtung der heutigen Lebensformen dabei eine grundlegende Pluralisierung der Lebensverhältnisse, die die traditionelle Familie als die primäre Struktur des menschlichen Zusammenlebens abgelöst hat, ebenso wie das mit dieser verbundene und überkommene traditionelle Rollenverständnis, sowie die Veränderung der Bedeutung des Kindes für die heutigen Familien- und anderweitigen Beziehungsformen.
Zu Anfang sei die Entwicklung des Kinderwunsches für die allmähliche demographische Veränderung herangezogen. In seiner sozio-ökonomischen Funktion hat sich der Wunsch nach Kindern zunehmend von einem ökonomisch wichtigen Nutzenfaktor der Altersabsicherung hin zu einem nicht länger obligatorischen Kostenfaktor der Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse gewandelt. Der britische Soziologe Anthony Giddens schreibt dazu:
„In the traditional family, children were an economic benefit. Today in Western countries a child, on the contrary, puts a large financial burden on the parents. Having a child is more of a distinct and specific decision than it used to be, and it is a decision guided by psychological and emotional needs.” 14
So war der ökonomische Anreiz zur Zeugung von viel Nachwuchs etwa im Mittelalter noch die Absicherung für den Lebensabend, die spätere Versorgung durch die Kinder, sowie die Ausbeutung von deren Arbeitskraft. Auch zu Zeiten der Industrialisierung war die Kinderarbeit für viele Familien von Fabrikarbeitern eine oft wichtige Nebeneinkunft, die die Kinder in ihrer Funktion als ökonomisch ausbeutbare Arbeitskraft bestätigte. Dies änderte sich erst 1839, als Preußen das erste Gesetz zum Arbeiterschutz, das Preußische Regulativ, verabschiedete, welches die Kinderarbeit verbot, und unter Kontrolle einer neu gegründeten Gewerbeaufsicht stellte. Freilich war diese Entwicklung, gegen den Widerstand sowohl der Wirtschaft als auch der Eltern, auf militärischer Notwendigkeit gegründet, denn durch die schweren körperlichen Folgen der Fabrikarbeit für die unausgewachsenen Kinder waren diese oft derart geschädigt, daß sie sich nicht mehr für den Militärdienst eigneten, sodaß der Armee die Rekruten ausgingen.15 Nichts desto trotz ist dieser Moment jedoch in sofern historisch, als daß nun erstmals das Kind unter gesetzlichem Schutz gegen die Kinderarbeit stand, und sich somit seine sozio-ökonomische Funktion als ausbeutbarer Einkommensfaktor insbesondere der unteren Bevölkerungsschichten, etwa armer Fabrikarbeiter, fortan relativierte.
Ein weiterer demographisch schwerwiegender Faktor war die Erfindung und Verwendung von Präservativen oder von Empfängnisverhütungsmitteln wie der „Anti-Baby-Pille“, deren Anwendung einen erheblichen Kontrollgewinn über den Zeitpunkt der Kinderzeugung und die gewünschte Familiengröße ermöglichte. Kinder wurden also zunehmend planbar, und die vormals enge Verknüpfung von sexueller Aktivität und ungewollter Schwangerschaft relativierte sich.16 Die Empfängnisverhütung war auch in ökonomischer Hinsicht für die Frau Wegbereiter zu einer höheren Independenz, da sie Karriere und Familienplanung in Korrelation zu einander durch den Umstand des Kontrollgewinns vereinfachte.
„Women’s growing ability to control their own fertility also means that motherhood can now be a choice exercised by women, and therefore that women have marginally greater control over the way in which they combine their labour as mothers and workers, and define their identity as women.” 17
Die traditionelle Familie bestand früher allem voran als ökonomische Überlebenseinheit, deren Rolle weit von der der heutigen Liebesehe entfernt liegt. Nebst der Akquirierung von Nahrungsmitteln und der Waren- und Dienstleistungsproduktion bestand der Zweck der Familie insbesondere im Mittelalter in der Besitzregulation und –transferierung, im Speziellen in Bezug auf die Aristokratie, welche mit der Heirat den Besitzwechsel ganzer Ländereien regelte, und Verwandtschaftsverhältnisse zur Strukturierung und Veränderung solcher Besitzverhältnisse verwendete. Im schlimmsten Falle konnten Streitigkeiten um die Regelung der Erbschaft zu Erbfolgekonflikten, im Falle von Königshäusern gar zu Kriegen führen.
Das entscheidende Element dieser ökonomischen Funktion der Heirat ist jedoch die Ungleichberechtigung von Mann und Frau gewesen. Im europäischen Mittelalter war der weibliche Mensch der Besitz des Ehemannes, vormals der des männlichen Erzeugers. 18
Eine der wichtigsten Entwicklungen zur demographischen Veränderung der deutschen Gesellschaft war und ist dabei die Emanzipationsbewegung. Die Gleichstellung von Mann und Frau hat die alten patriarchalisch geprägten Gesellschaftsvorstellungen, den Mann von der Rolle als Familienoberhaupt und Alleinverdiener, und der Frau als dem Mann untergeordnete Erzieherin und Haushälterin der Kinder, abgelöst. In der Idealvorstellung der modernen Familie arbeiten beide Beziehungspartner, und die Zahl der Kinder ist den ökonomischen Möglichkeiten des Familieneinkommens, sowie den monetär zu finanzierenden Selbstverwirklichungswünschen angepaßt.
In der Realität ist die Gleichberechtigungsbewegung auch in Deutschland jedoch längst noch nicht am Ziel angekommen. Zum einen ist ein hoher Teil der weiblichen Arbeitskräfte selbst in Managerpositionen und professionellen Arbeitsgruppen noch immer Subjekt männlicher Autorität, zum anderen erhalten viele Frauen auch heute noch für gleichwertige Arbeit weniger Lohn als Männer, und die drohende Eventualität eines schwangerschaftsbedingten Mutterschaftsurlaubes läßt viele Unternehmen im Falle einer Bewerbungssituation mit äquivalenten Bewerbern beider Geschlechter aus Kosten-Nutzen Kalkül die Wahl immer noch eher auf den Mann fallen.19 Demographisch hat das massive Implikationen für die Bevölkerungsentwicklung, denn gerade viele Frauen schieben aufgrund dessen den Kinderwunsch auf, oder realisieren ihn gar nicht erst, aus Angst vor den ökonomischen Folgen.
Auch der ökonomische Anreiz der Altersversicherung ist nicht mehr gegeben, da in Deutschland die Rentenversicherung über den Generationenvertrag läuft, und somit kein direkter wirtschaftlicher Handlungsbedarf dieser Art mehr für die Bevölkerung besteht.
Der Rückgang der Ehe als Beziehungsform, die früher noch auf ökonomischen Zwängen und gesellschaftlichen und kulturellen Notwendigkeiten beruhte, geht einher mit ihrem Bedeutungswandel. Die Ehe entspricht heute eher einem gesellschaftlichen Ausdruck der Stabilität und der Erklärung dauerhafter und durch Liebe fundierter Absichten zweier Partner.20
Somit ist die Familie als elementare soziale Einheit der Sicherung von Überleben und Fortpflanzung zwar weiterhin erhalten, aber in ihrer Transformation von der vorindustrielle Zweckehe zu der Liebesehe der 60er Jahre, wandelte sie sich auch im Wesentlichen, nebst der Institutionalisierung einer auf gegenseitiger Zuneigung begründeten Beziehung zweier Menschen, hin zur Funktionalität als das Realisierungsinstitut eines Kinderwunsches.
Eine derartige Motivation stellte sich bei knapp der Hälfte der alten und einem Viertel der neuen Bundesländer bei den Ehepaaren als entscheidend heraus, womit der Stellenwert der Ehe im Speziellen für die Reproduktion bestätigt worden ist. 21
Die Attraktivität des Singledaseins ergibt sich im Gegensatz dazu aus der größeren ökonomischen Independenz, der erhöhten lebensplanerischen Flexibilität, der erleichterten Erweiterung des Bekanntenkreises, einer erhöhten Freizeitorientierung, und in geringerem Maße auch der Erleichterung beim Wechsel der Sexualpartner. Negativ empfunden werden dabei von den Singles vor allem der Mangel an Geborgenheit, sowie die ständige gesellschaftliche Aufforderung zur Eingehung einer langfristigen Bindung. Dabei werden diese und andere Formen der Pluralisierung der Lebensformen oft mit dem Verlust an Gemeinschaft und wachsender sozialer Isolierung gleichgesetzt. Atomisierungstendenzen familiärer Haushalte können dabei nur teilweise über verwandtschaftliche oder freundschaftliche Kontakte aufgefangen werden. Die größte Vereinzelungsgefahr besteht dabei bei den älteren Ledigen, den kinderlos gebliebenen Paaren und den Verwitweten.
Da das Erstheiratsalter sich generell erhöht hat, ergibt sich als wohnungstechnische Konsequenz zudem eine weiterhin erhöhte Nachfrage nach größerem Einpersonen-Wohnraum. Durch das verlängerte Single-Dasein steigt somit der Bedarf an räumlicher Größe und Qualität der Wohnfläche für die Einpersonen-Haushalte. Diese Tendenzen sind in städtischen Ballungsräumen stärker zu beobachten als in Ländlichen. Insbesondere in urbanen Siedlungsgebieten wird der Zustand des Durchgangsstadiums Ledigsein eher zum Dauerzustand. Man erwartet eine Einpendelung des Anteils an dauerhaft ledigen Personen innerhalb des westlichen Zentraleuropas und Skandinaviens bei rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Heirat und Ehe als kulturelle Selbstverständlichkeit sind nur noch in ländlichen Gebieten bei niedrigen Statusgruppen anzutreffen. Die spontanen Heiratsentscheidungen bei jüngeren Altersgruppen, rationales Kalkül oder ambivalente Entscheidungen des modernen städtischen Typs überwiegen zunehmend.
Das spätere Eheeintrittsalter, häufigere Scheidungen, und die gewachsene wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen verstärken den Trend zum kurz- oder langfristigen Singledasein. Hierbei ist insbesondere das seit den Jahrgängen nach 1950 gestiegene Bildungsniveau bei Frauen zu nennen, welches mit der Entwicklung eines häufigeren Aufschiebens oder gänzlichen Unterlassens der Familiengründung einhergegangen ist. Die Frage nach einer beruflichen Karriere oder Kindern ist allgemeinhin im Bereiche hochgebildeter Menschen in zunehmendem Maße eine Abwägung zwischen individuellen Interessen geworden.
Eine Gruppe entscheidet sich bewußt für Kinderlosigkeit, die Andere für eine Familie mit mindestens zwei Kindern. Die Zunahme der hochgebildeten und erwerbstätigen Frauen ist hier im Speziellen hervorzuheben, da diese die Gruppe mit den wenigsten Kindern darstellen.22
Politische Sozialmodelle zur Entlastung von Familien mit berufstätigen Müttern scheitern dabei nicht selten an zähen traditionalistischen Rollenbildern bei Mann und Frau. So geht der Erziehungsurlaub bei Männern häufiger als bei Frauen mit einer Gefährdung ihrer Akzeptanz als vollwertige Arbeitskraft einher: „Nach den Erfahrungen des Werte- und Strukturwandels der Familie seit dem Zweiten Weltkrieg zu schließen, ist das Tempo der Akzeptanz veränderter Rollen der Elternteile beim Aufziehen ihrer Kinder wesentlich langsamer als bei den Veränderungen in jenen gesellschaftlichen Bereichen, die die ökonomischen und organisatorischen Grundvoraussetzungen für die Familie mit Kindern bilden.“23
Die erhöhte Scheidungshäufigkeit bedingt ferner einen Trend zum Ansteigen von Folgeehen. Nur etwas über die Hälfte aller Eheschließungen im Jahr 2000 waren Erstheiratsehen.
Durch die Aufrechterhaltung der Kontakte von geschiedenen Elternteilen mit ihren Kindern entstehen zudem vermehrt binukleare Familien, welche aus zwei Haushalten bestehen, in welchen die Eltern jeweils ihre Kinder versorgen, während diese dabei temporär zwischen den Haushalten hin- und herwechseln. Ferner driften durch den Partnerwechsel der Eltern oft die biologischen und sozialen Formen der Elternschaft auseinander, die Kinder sind in solchen Patchwork-Familien nur noch zum Teil oder gar nicht mehr mit den Eltern genetisch verwandt. Somit mehrt sich damit das Aufkommen von Familien in denen die Kinder durch die Folgeehen in sozialer Hinsicht mehr als eine Mutter und einen Vater haben. Dies trifft ebenso auf anderweitige Verwandtschaftsgrade zu, sodaß sich auch bei Geschwistern, Onkeln, Tanten und Großeltern eine große Komplexität in den strukturellen Unterschieden zwischen den sozialen und den biologischen Familiengefügen in Bezug auf die Verwandtschaft entwickeln kann.24
Gerade für junge Frauen ist die Gründung einer Familie als Konkurrenzfaktor zur eigenen Karriere immer bedeutsamer geworden. Durch das Wegfallen der Rolle des Mannes als Alleinverdiener hat sich damit die Form der Doppelkarriereehe herausgebildet, in welcher beide Partner eine berufliche Karriere anstreben. Insbesondere durch den Qualifizierungs-anstieg der jüngeren Frauengenerationen ist die wachsende Ausbreitung dieses Familientyps zu erklären. Dies wirft allerdings auch einige große Probleme in Bezug auf den Flexibilitätsanspruch der Wirtschaft an deren Partizipienten auf, denn aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage ist es schwer möglich, zwei Hochqualifizierte am selben Ort in einer der Ausbildung entsprechenden Form zu beschäftigen. Diese Form der durch die moderne Wirtschaft ausgeübten und durch ökonomische Globalisierungsschübe verstärkten Strukturspannungen, treiben die Partner dazu zum Zwecke der Realisierung zweier beruflicher Karrieren, Haushalte an zwei durch relativ große Distanzen getrennten Orten zu gründen, und zur Wahrung der Partnerschaft und der Realisierung eines etwaigen Kinderwunsches, ihr Zusammenleben auf temporäre Abstände sowie auf Wochenenden zu beschränken. Je mehr das bestehende Arbeitsfeld dabei in die in immer stärkerem Ausmaße global agierende Wirtschaft eingebunden ist, desto größer können die Distanzen und desto geringer die Zeitfenster für das Zusammensein werden.25
Als weitere Entwicklung ist auch das vermehrte Aufkommen gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zu nennen. Diese stellten bis zum Jahr 2000 in etwa 49.000 Lebensgemeinschaften, wobei in circa 17% der Haushalte auch Kinder leben. 26
Einen erheblichen Teil der Bevölkerung stellen in Deutschland auch weiterhin Menschen mit migrativem Hintergrund dar, insgesamt wies das Ausländerzentralregister laut Statistischem Bundesamt Ende 2007 rund 6,74 Millionen Personen in Deutschland aus, die ausschließlich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Mit 80% aller ausländischen Personen in Deutschland hatten 5,4 Millionen einen europäischen Paß, 12% entstammen Asien, 4% aus Afrika, und 3% aus Amerika, sowie 1% ohne oder mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. 27 28 1960 wurden nur 4% aller Eheschließung unter Beteiligung eines Menschen mit migrativem Hintergrund geschlossen. 2002 wurden nur noch 81% aller Eheschließungen zwischen zwei Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit geschlossen, von den übrigen 19% entfielen 84% auf transkulturelle Eheschließungen unter Beteiligung eines oder einer Deutschen, und nur 16% auf ausschließlich ausländische Ehepaare. Damit ist schon rein quantitativ die steigende Relevanz der Lebensform der transkulturellen Familie aufgezeigt. Für die Lebenswelt dieser Beziehungen sind ferner sowohl die Herkunftskulturen der jeweiligen immigrierten Beziehungspartner, deren Ländern, Gebräuchen und Traditionen von Bedeutung. Insbesondere bei Migrantenfamilien können besonders starke Unterschiede normativer Natur mit den in Deutschland gelebten westlichen Werten und den aus der Herkunftskultur importierten eigenen Wertvorstellungen in Konflikte ausufern. Große Reibungspunkte sind dabei primär die Erwartungshaltungen an die Kinder, die Übertragung von selbst ausgelebten aber in der neuen Kultur überkommenen Wertvorstellungen in Bezug auf die alten Rollen von Mann und Frau an die Folgegeneration, eine vergleichsweise stärkere Einbindung in die Familie versus die in Deutschland praktizierte Individualisierung, sowie eine Unterwerfung unter die oftmals noch patriarchalischer ausgeprägten familiären Autoritätsformen, die sich unter anderem in dem Fehlen von kollektiven Sicherungssystemen innerhalb der Herkunftskultur, und der dadurch empfundenen Wichtigkeit der Kinder für die eigene Versorgung erklärt.29
2.3 Implikationen der Pluralisierung der Lebensverhältnisse für die Gesellschaft
Die dargestellte demographische Entwicklung, die Veränderung der Haushaltsformen und die zunehmende Alterung der Bevölkerung, wie auch die unter dem Bedeutungswandel der traditionellen Familie vollzogene Pluralisierung der Lebensverhältnisse sind in sämtlichen westlichen Industrienationen nachweisbar. Die besondere Bedeutung dieses gesellschaftlichen Wandels, der sich somit nebst der Bundesrepublik in großen Teilen der Welt vollzieht, besteht in ihrer Veränderung der sozialen Strukturmuster vergangener Zeiten, sowie den erheblichen gestalterischen Implikationen, die dies für die Zukunftsfähigkeit unseres derzeitigen gesellschaftlichen Organisationsmodells inkludiert.
Wir haben gesehen, daß Kinder heutzutage einen anderen Stellenwert haben als in früheren Tagen. Die ökonomisch motivierte Kinderzeugung hat sich drastisch verringert, über Generationen weitergetragenes und vererbtes Handwerk, und in ähnlicher Weise spätestens seit der Industrialisierung auch der Ackerbau, sind Lohnarbeit und Rentenversicherung gewichen. Mehr denn je entspricht die für die Reproduktion der Gesellschaft so nötige Kinderzeugung einer Expression persönlicher Wünsche und Bedürfnisse, dem vor allem das Charakteristikum der Optionalität anhaftet. Menschen stehen vor abzuwägenden Alternativen. In den Wirtschaftswissenschaften werden Opportunitätskosten als der Kostenfaktor bezeichnet, den man in den Ressourcen ausweist, die man für die Akquirierung einer anderen Ware, Dienstleistung, oder Sache, hergeben muß. Nebst Geldeinheiten werden diese Kosten in Zeit gemessen. So man denn diese nüchtere ökonomische Betrachtungsweise auf die Abwägungen transferieren möchte, vor denen heutige Familien bei der Evaluierung eines Kinderwunsches stehen, stellt sich heraus, daß sowohl in zeitlicher als auch in monetärer Hinsicht der Kinderwunsch mit hohen Kosten verbunden ist, sodaß die Opportunitätskosten auch immer eben genau die finanziellen und zeitlichen Ressourcen darstellen, die alternativ für die Selbstverwirklichung in Form der persönlichen Individualisierungswünsche hätte verwendet werden können. Der Anreiz zur Kindeszeugung hat sich somit drastisch verringert.
Zu betonen bleibt dabei auch weiterhin, daß es sich hierbei um eine Entwicklung handelt, die schon seit mindestens 100 Jahren greift, geht man auf den Schutz von Kindern vor deren Mißbrauch als Billig-Lohn Arbeitskräfte zurück, so ist die Relativierung dieses ökonomischen Anreizes des Kinderkriegens im deutschen Raum zumindest für den Teilbereich Preußen schon auf das Jahr 1839, den Erlaß des ‚Preußischen Regulativs’, zu beziffern.
Verhütungsmittel hatten ihren Anteil an der höheren Kontrollierbarkeit der Reproduktion, und ermöglichten eine Trennung der Verbindlichkeiten sexueller Aktivität mit ungewollter Schwangerschaft.
Ebenso wie die Bedeutungsveränderung des Kinderwunsches hat die mit der Emanzipationsbewegung einhergegangene Freisetzung des weiblichen Teils der Bevölkerung als Arbeitskräfte darüber hinaus die Herausbildung diverser neuer Haushaltsformen gefördert. Insbesondere die Doppelkarrierehe wird als moderne Alternative zu dem Modell der früheren traditionellen Familie betrachtet, wenn es um den Kinderwunsch und die Fundamentierung gegenseitiger Beziehungsabsichten geht. Die Bedeutung der Familie als ökonomische Zelle und Überlebenseinheit ist dabei immer noch vorhanden, hat sich jedoch der Gleichberechtigung entsprechend von einem Hort des autoritären Patriarchats zu einer Institution der gelebten Gleichberechtigung gewandelt, deren Lenkung im Idealfall mit einer Dualität von im Dialog stehenden Partnern von statten geht. Nicht selten macht es die ökonomische Lage dabei notwendig, insbesondere jedoch im Bereich von Hochgebildeten, zwei räumlich voneinander getrennte Haushalte zu gründen und sich im Zusammensein auf Karriere- und Distanz-bedingt begrenzte Zeiträume einzurichten. Der Kinderwunsch wird dabei nicht selten aufgeschoben oder völlig zurückgedrängt.
Es wurde jedoch auch aufgezeigt, daß die Lebensform des Ledigseins drastisch zugenommen hat, und rund ein Drittel der Bevölkerung alleinstehend lebt. Aus ökonomischem Kalkül hat sich dabei die Häufigkeit der Entscheidung gegen Familiengründung und Kinder zugunsten einer Karriere aufgrund der für beide Geschlechter zentralen Rolle der ökonomischen Funktionalität zur Selbstbehauptung im 20. und 21. Jahrhundert verschoben. Ledigsein ist dabei aber nicht ausschließlich ein Umstand der den ökonomischen Triebkräften zu verdanken ist, die den Menschen schnell zur Übernahme einer marktwirtschaftlich rentablen Funktion drängen. Das Ausbleiben geburtenreicher Jahrgänge hat nicht selten als Nebeneffekt viele alte Paare oder Einzelpersonen hinterlassen, die ohne Nachkommen geblieben sind. Insbesondere durch diesen Umstand sind neben jungen Singles auch gerade alleinstehende Verwitwete von Vereinzelungstendenzen bedroht. Die Kompensationsfähigkeit sozialer Netzwerke für solche sozialen Atomisierungstendenzen ist begrenzt, da freundschaftliche Bindungen grundsätzlich einen anderen psycho-sozialen Charakter haben als familiäre Bindungen.30
Insgesamt zeichnet sich ebenfalls eine größere Reversibilität in Bezug auf die Bindungsentscheidungen ab, was in sich in dem größeren Aufkommen atypischer Haushaltsformen niederschlägt. Der idealtypische Familienzyklus von der Eheschließung über die Zeugung und Großziehung der Kinder bis hin zu deren Auszug und der späteren Verwitwung wird immer häufiger von Abweichungen in Bezug auf die Lebensgemeinschaft gekennzeichnet. So wohnen die meisten jungen Menschen nach ihrem Auszug alleine oder in nicht ehelichen Bindungen, an die sich eine Heirat primär wegen eines Wunsches nach Kindern oder einer unerwarteten Schwangerschaft anschließt. Dabei werden Ehen häufiger geschieden und die Ehepartner gehen häufig eine neue Eheschließung ein oder wohnen entweder allein oder in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner.
Es läßt sich also zusammenfassend feststellen, daß heute eine größere Pluralität in Bezug auf die Lebensformen herrscht, die sich in dem erhöhten Aufkommen non-traditioneller Haushaltsformen und der Priorisierung von individualistischen Selbstverwirklichungsstreben niederschlägt. Insbesondere sind hier zu nennen die Aufkommen an Haushalten von unverheirateten Paaren, Alleinstehenden Singles oder Verwitweten, Alleinerziehenden – insbesondere Mutter-Kind Familien, sowie transkulturellen Familienformen, welchen das reduzierte Aufkommen an Drei-Generationen Haushalten gegenübersteht. Allgemein ist weiterhin festzustellen, daß der Wechsel zwischen den einzelnen Haushaltsformen sich im Verlaufe der Lebensspannen stark erhöht hat.31
2.4 Vorläufiges Fazit
Solange Karriere und Kind auch weiterhin konkurrierende Faktoren sind, wird sich an dieser Entwicklung nichts ändern können. Sowohl für Männer als auch und insbesondere für Frauen stellt das Kind eine monetäre und zeitliche Restriktion in Bezug auf die Selbstverwirklichung und die Karrierechancen dar.
Eine verstärkte Berücksichtigung von Eltern bei der Verteilung der sozialstaatlich zusammengezogenen Leistungsmittel, auch und gerade was die Absicherung des Lebensabends, also der Rente, betrifft, wäre dafür ein Anfang. In wie weit und wie stark die Zeugung von Kindern, deren Erziehung, und deren Ausbildung, sich in ökonomischer Weise für die Eltern als rentabel zeigen kann und darf, soll hier nicht näher eruiert werden, es ist jedoch anzumerken, daß solange die teils enormen Kosten der Elternschaft nicht stärker kompensiert werden, und die sozialstaatlichen Leistungen in diesem Sinne nicht angehoben werden, die Gesellschaft die Reproduktion ihrerselbst behindert, und somit an ihrer eigenen Basis sägt. Die Leistungsträger von morgen stellen einen immer geringeren Anteil an der Gesamtbevölkerung, was für alle bedeutet, daß der Kuchen sozialstaatlich verteilbarer Ressourcen schrumpfen wird. Dies wird sich ebenso auf die Lebensqualität auswirken wie die Tatsache, daß durch das Ausbleiben von Kindern und die Priorisierung von Lebensformen, die sich immer stärker wirtschaftlichen Prämissen unterordnen, die Atomisierungstendenzen innerhalb der Bevölkerung zunehmen, sei dies nun in Form der Verstetigung des Single-Daseins, wie auch in Form der Verwitwung, insbesondere von kinderlos gebliebenen Menschen, oder dem Anstieg an Beziehungsformen mit dauerhaft getrennten Einpersonenhaushalten.
Das omnipräsente Primat der Ökonomie ist dieser Entwicklung in jedem Falle ein erheblicher Bestandteil des Nährbodens. Es zu kompensieren ist auch in wesentlichem Maße Aufgabe der Politik. Die Aufgabe die sich dabei in Bezug auf die Familienförderung stellt, ist die Schaffung und Verstärkung von Anreizen zur Reproduktion der Gesellschaft, die sich im Einklang mit den Werten und Normen derselben bewegen. Eine Anpassung des Rentensystems wäre dafür insofern eine überdenkenswerte ökonomische Strategie, als daß diese einen positiven Effekt auf die Fertilitätsraten haben könnte, sodaß unter dem Habitus der Priorisierung wirtschaftlicher Eigeninteressen eine Abschiebung der Reproduktion auf den anonymen gesellschaftlichen Gesamtkorpus nicht länger notwendig wäre. In den vergangenen Jahren hat sich ein massiver Graben zwischen dem Wunsch nach Kindern und der Notwendigkeit ökonomischer Partizipation aufgetan, ob und in wie fern es gelingt, diesen zuzuschütten, wird in wesentlichem Maße über die Konstituierung der zukünftigen Gesellschaftszusammensetzung der Bundesrepublik entscheiden.
Wenn wir im Zuge dessen zur tiefergehenden Untersuchung der gesellschaftlichen Veränderungen der Bundesrepublik in demographischer Hinsicht kommen, dann ist nebst der Emanzipationsbewegung, der Entwicklung von Verhütungsmitteln, der Werte- und Norm-Verschiebung weg von der früheren traditionellen Familie hin zu einer pluralisierten Gesellschaft der Lebensformen, das gewandelte Verhältnis von Wirtschaft und Mensch eine der elementaren Säulen, auf denen im positiven wie im negativen Sinne die Veränderungen in der Struktur der menschlichen Lebensformen beruhen.
Karriere wird dabei nicht selten als Voraussetzung für ein erfülltes Leben empfunden. Ganz gleich ob dieses nun durch Familienplanung mit Kindern oder eine maximale Selbstverwirklichung mit der größtmöglichen Auflösung monetärer Begrenzungen von Konsumpfaden in die Lebensplanung des Individuums eingeht, die ökonomische Unabhängigkeit ist gleichbedeutend mit einem Ausdruck der Selbstbehauptung, der Selbstbewahrung, der Selbstverwirklichung, und in jedem Falle der Individualisierung im Sinne des Menschen im Übergang von der Fremd- zur Selbstbestimmung. Die Karriere ist damit das entscheidende Bindeglied zwischen den Sphären der Wirtschaft und der Gesellschaft, und aufgrund ihrer Wichtigkeit für das Existenzziel jedes einzelnen Menschen, der Selbstverwirklichung – in welcher Weise diese auch immer angedacht sein möge, ist sie ein entscheidendes Element in der Transformation der Gesellschaft, durch das als Schnittstelle hin zur Wirtschaft die ökonomischen Antriebskräfte ihre Wirkung auf die Ausgestaltung und den Ausbau menschlicher Existenzen, um die Funktion als Wirtschaftssubjekt herum, unter dem Einfluß der ökonomischen Sphäre entfalten.
Damit konstituiert sich eine weitere, für das Verständnis der aktuellen Entwicklungen essentielle, Sphäre, nämlich die der sozio-ökonomischen Interaktion, der Wechselwirkung von Gesellschaft und Wirtschaft. Spätestens seit dem Niedergang der planwirtschaftlich organisierten kommunistischen Sowjetunion und dem damit verbundenen Ende des Kalten Krieges, hat das neoliberale Gedankengut von der Deregulierung und der Selbstkontrolle der freien Märkte zum finalen weltumspannenden Siegeszug angesetzt. Ausgehend von der These des Homo Oeconomicus, des wirtschaftswissenschaftlichen Theoriemodells des nutzenmaximierenden Individuums, wird dem Freien Markt in der Wirtschaftswissenschaft durch die Kräfte von Angebot und Nachfrage die bestmögliche Allokation der Ressourcen32 und die Sicherung von Freiheit und Demokratie nachgesagt. Daß die Erschließung neuer Märkte außerhalb der stark regulierten und gesicherten industrialisierten Gesellschaften jedoch nicht immer zum Wohle der lokalen Populationen von Statten geht ist täglich anhand von Medienberichten nachvollziehbar, und geht primär zu Lasten der 2. und 3. Welt.33
Die zunehmende Internationalisierung von marktwirtschaftlichen Wirkzusammenhängen, sowie die allmähliche Konstituierung von Ansätzen eines globalen Arbeitsmarktes, lassen jedoch auch die Bevölkerungen der reichen Industrienationen der 1. Welt nicht unbeeinflußt. Im Zuge der steten Deregulierung hat sich unter dem Einfluß der nunmehr global agierenden Wirtschaft eine Ökonomisierung der Gesellschaft herausgebildet, die als solche an die Existenz jedes Einzelnen mit eben jenem genannten Priorisierungsanspruch ökonomischer Zweckmäßigkeit herangetreten ist, dem Drängen nach wirtschaftlicher Verwendbarkeit, monetärem Kosten-Nutzen Kalkül, dem jedwede anderen Attribute hintenan zu ordnen sind. In Konsequenz dieser Entwicklung steht ein Flexibilisierungsanspruch an die Gesellschaft, der dem modernen Menschen abverlangt, sein individualisiertes Leben unter das Primat der wirtschaftlichen Funktionalität zu stellen. Einkommen und Karriere sind nicht nur Status ausweisende elementare Bestandteile der Selbstbehauptung, sie sind auch das Bindeglied durch das das Individuum sich selbst genau den Restriktionen unterwirft, die im Zuge der Dominanz des Marktes den Flexibilisierungsanspruch an die Gesellschaft forcieren.
Die Bundesrepublik ist dabei in die transnationalen Marktströmungen ebenso wie die anderen Industrienationen eingebettet. Um die Einflüsse des globalen Marktes auf die Entwicklung der Ökonomisierung und der Flexibilisierung der Gesellschaft genauer nachvollziehen zu können, ist eine Betrachtung des Netzes der relevanten Globalisierungseinflüsse auf die Gesellschaft obligatorisch.
Kapitel 3: Das globale Zeitalter
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Vernetzung nationenübergreifender Wirkfaktoren drastisch intensiviert, und das in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, insbesondere in Bezug auf die Politik, Wirtschaft, Massenmedien und Kultur, aber auch in Angelegenheiten von Natur- und Umweltschutz. In der Tat weist gerade der globale Klimawandel die Transnationalität durch von Menschenhand geschaffener Probleme besonders auf, wie die Überforderung der nationalen Organisationsstrukturen in Bezug auf die Begrenztheit ihrer Wirkmacht zur Lösung von grenzübergreifenden Problemen der heutigen Gesellschaften verdeutlicht. Durch die Pluralität der Interessenvielfalt in Bezug auf transnationale Themen sind nationale Strukturen in der Vertretung dieser Interessen auch und gerade gegeneinander immer öfter an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit gedrängt. Durch die Tatsache, daß globale Probleme wie Migration, Umweltverschmutzung, wirtschaftliche Ausbeutung oder internationale Kriminalität im Zuge der Globalisierung über den Rahmen der nationalen Organisation hinausgewachsen sind, wird das Fehlen einer souveränen, transnationalen und legitimen Organisationsform zur Umspannung und Erstarkung der Gegenlenkungsmöglichkeit immer eklatanter evident.
Ursächlich ist die Form dieser Zunahme grenzübergreifender gesellschaftlicher Interaktion zum einen in dem bereits genannten Wegfall der Systemkonkurrenz, welche sich im Wesentlichen durch den Ost-West Konflikt des Kalten Krieges zwischen USA und UdSSR und deren Verbündeter ergab, sowie durch die endgültige Liberalisierung des Weltmarktes, die das systemische Vakuum nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 90er Jahren in den post-kommunistischen Gebieten zu füllen begann. Zum anderen ist aber auch gerade der technologische Fortschritt als entscheidende Prämisse für diese Entwicklung anzuführen. Gerade die Revolutionen in der Technologie der Logistik und der Kommunikationsmedien haben in entscheidendem Maße dazu beigetragen, die Grenzen der gesellschaftlichen Interaktion zu relativieren und das Optionsspektrum immer weiter auszudehnen. Dies macht sich ebenso in Bezug auf die Zunahme an internationaler Kommunikation, Waren-, Güter-, sowie Monetärtransfers, wie auch in dem starken Anstieg an Reisemenge und Reiseeffizienz bemerkbar. Immer mehr Personen und Gegenstände legen heute immer größere Entfernungen zurück, bei immer geringeren Kosten und immer höheren Geschwindigkeiten.34
Das Welthandelsvolumen hat sich zwischen 1980 und 2004 beinahe verfünffacht, von 2,4 Billionen auf 11,3 Billionen US-Dollar.35
Bevor wir zu einer Einzelbetrachtung der Bedeutung von globalisierungsbedingten Wirkfaktoren auf die heutigen modernen Lebensformen und deren Einbettung in das marktwirtschaftliche System kommen können, ist eine genauere Betrachtung der Entwicklung eben jener Globalisierungsprozesse für die Einschätzung ihrer Wirkmacht von entscheidender Bedeutung. Einer Betrachtung der wirtschaftlichen Ursprünge der globalen Vernetzung schließt sich für dieses Kapitel eine Darstellung weiterer relevanter Elemente der transnationalen Prozesse an, allem voran der kulturellen Globalisierung und der Aufwerfung von sozialen Problemen, die mit der Dynamisierung der globalen Interaktionen einhergehen.
3.1 Globalisierung: Wirtschaftliche Prämissen
Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Anstieg der globalen Verflechtungen war und ist insbesondere die Reduktion von Transport- und Kommunikationskosten, Energiekosten, und handelsgewichteten Zollbelastungen.36 Diese relativieren räumliche Distanzen und geographisch bedingte Zeitunterschiede, was insbesondere für die globale Vernetzung von Kapital- und Finanzmärkten gilt, in welchen Güter- und Geldströme unabhängig von der Tageszeit in Echtzeit (real time information) zu jedwedem beliebigen Ziel auf der Erde gesteuert werden. „Die Verkehrs- und Transportsysteme lassen die Welt und das Bild von ihr gleichsam schrumpfen und Raumvorstellungen immer abstrakter werden.“37
Der Güterhandel hat sich aufgrund seiner Lukrativität schon sehr früh über große Distanzen erstreckt, den größten Teil der menschlichen Geschichte ist er jedoch insbesondere aus logistischen Gründen regional begrenzt geblieben. An der Wichtigkeit des regionalen Handels hat sich auch heute nichts geändert, jedoch hat seit den letzten 200 Jahren und insbesondere innerhalb der letzten 50 Jahre der internationale Warenhandel einen Bedeutungsgewinn erfahren. Die Ausweitung des grenzüberschreitenden Handels ist dabei unter anderem der technologischen Entwicklung und den im Zuge derselben gesunkenen Transport- und Kommunikationskosten zu verdanken. So haben sich die Kosten für See- und Lufttransporte seit 1930 innerhalb von siebzig Jahren um 65 und 88 Prozent reduziert.
Die Kommunikationskosten sind in noch weitaus erheblicherem Maße gesunken. So kostete etwa ein dreiminütiges Telefongespräch von New York nach London in Preisen von 1990 im Jahr 1930 noch über 244 US-Dollar, 1970 31 US-Dollar, und 2005 nur noch 30 US-Cent.
Das entspricht einer Kostenreduzierung von 99,88 Prozent. Das zeitliche Volumen der Telefonate aus den USA ins Ausland hat sich dabei zwischen dem Ende der 70er und dem Ende der 90er Jahre verneunfacht.
Parallel zu der technologischen Entwicklung wirkten sich ferner die Marktliberalisierung und die seit Anfang der 80er Jahre relativ sinkenden Rohölpreise positiv auf die Entwicklung der Kostensenkung in Kommunikation und Logistik aus. Neben der Reduktion jener Kosten war der Ausbau globaler Transport- und Kommunikationsnetze für die Entwicklung neuer Vermarktungs-, Produktions-, und Absatzstrategien entscheidend. Die sinkenden Transport-und Kommunikationskosten stehen dabei in enger Wechselwirkung mit der ansteigenden Nachfrage nach denselben, denn erst durch diese können die kontinuierlichen qualitativen und quantitativen Ausbesserungen und Ausbreitungen dieser Ressorts zu immer günstigeren Preisen gewährleistet werden.38
Ein weiterer erheblicher Faktor zur Ausweitung des internationalen Handels sind die Energiekosten. Da Rohöl hierbei ein maßgeblicher Faktor für die Transportkosten darstellt, und rein mengenmäßig als der wichtigste Energieträger zählt, ist eine Betrachtung der Entwicklung des Rohölpreises naheliegend. Anzumerken ist dabei die starke Abhängigkeit des Ölpreises von politischen Agitationen, welche für die häufig großen Schwankungen innerhalb der Preisentwicklung mitverantwortlich sind.
Der Rohölpreis fiel von 1860 bis 1960 tendenziell und ist erst durch die Ölpreisschocks der 70er Jahre wieder drastisch gestiegen, von 1965-79 inflationsbereinigt um mehr als 600 Prozent. Der seit den 80er Jahren wieder sinkende Ölpreis hatte sich katalysierend auf den Prozeß der Globalisierung vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht ausgewirkt, was mit der Bedeutung des niedrigen Energiepreises als der Prämisse einer Erschließung aller relevanten Regionen der Erde zum Zwecke der potentiellen Ausschöpfung als Absatz- und Produktionsstandorte korreliert. Das sogenannte ‚global sourcing’ ist in erheblichem Maße energiepreis-gebunden, und diese sind wiederum an den Rohölpreis gebunden, an welchen auch die Erdgaspreise gekoppelt sind.39
Der seit 1998 zu verzeichnende allmähliche Anstieg des Rohölpreises ist mit der globalen steigenden Nachfrage nach der Ressource zu erklären, die sich wiederum aus dem drastischen Anstieg des Welthandels und der Reduzierung der Reisekosten bei gleichzeitig steigender Nachfrage ergibt. Die Erdöl-Nachfrage ist 2004 täglich um 2,5 Millionen Barrel40 gestiegen, einen der größten Abnehmer stellt mittlerweile China dar, dessen Verbrauch alleine 2004 um 900.000 Barrel pro Tag gestiegen ist.41
Ein weiterer Faktor für die Ausweitung der wirtschaftlichen Globalisierung ist das Sinken von Zöllen. Zölle stellen eine Barriere gegenüber der Rentabilität von internationalen Geschäften dar, daher führt ihre Reduktion zu einem Anstieg der möglichen Gewinnmarge und erhöht somit die grenzübergreifenden Geschäfte. In insgesamt acht Verhandlungsrunden des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens42 wurden die Zölle zwischen 1947 und 1994 in beinahe allen Marktsegmenten weltweit im Zuge der Marktliberalisierung gesenkt. Über die Vereinbarungen in Bezug auf den Bereich der Dienstleistungen (GATS) und des geistigen Eigentums (TRIPs) hinaus wurde daraufhin die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) beschlossen. Das GATT ist eines der zentralen Abkommen der WTO, dem bis 2004 über 94 Prozent des grenzüberschreitenden Handels mittels der Regelwerke der WTO unterlagen. Die Zollniveaus der ökonomisch entwickelten Staaten ebenso wie der sich entwickelnden Staaten befinden sich seitdem auf einem historischen Tiefpunkt.
Die WTO unterliegt seit dem 01.01.1995 dem Auftrag, sich für die weitere Liberalisierung der Märkte einzusetzen. Allerdings ergeben sich hierzu auch Ausnahmen, gerade was das Zollniveau bei Agrarprodukten betrifft, welches im Zeitraum von 2000 bis 2001 doppelt so hoch war, wie das durchschnittliche handelsgewichtete Zollniveau von 11% für alle Produkte.
Eine Ausweitung haben demgegenüber die nicht-tarifären „Handelshemmnisse“ erfahren, wie Quotenregelungen, Subventionen, Selbstbeschränkungsabkommen, Produktstandarts, Anti-Dumping-Verfahren und anderweitiges zusätzliches Regelwerk.
Inter- und intraregionale Abkommen treiben die Liberalisierung der Märkte weiter voran. Die weltweit ökonomisch bedeutendste Freihandelszone stellt der Binnenmarkt der EU dar, neben dieser gibt es noch über 250 weitere regionale Handelsabkommen, sowie in etwa 20 Kooperations- und Integrationsbündnisse.43
3.2 Gesamtzunahme des Welthandels
Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, daß der weltweite Warenexport noch wesentlich stärker zugenommen hat als die Gesamtproduktion. Während die Weltwarenproduktion gemessen in konstanten Preisen von 1950 bis 2004 um den Faktor 7,8 zugelegt hat, ist der Warenexport real um den Faktor 27,5 gestiegen. Der Export stieg also durchschnittlich um 6,2 Prozent, die Weltwarenproduktion um 3,8 Prozent pro Jahr. Damit ist der Anteil des Exports von Waren und Dienstleistungen am Welt-Bruttoinlandsprodukt zwischen 1948 und 2004 von acht auf über 27 Prozent angestiegen.
Der Bedeutungsanstieg des Außenhandels und das Verhältnis zwischen Warenhandel und Warenproduktion verdeutlichen den Prozeß des globalen Verflechtungsanstiegs in eklatantem Maße. Der nominale Wert der exportierten Waren hat sich von 1950 bis 2004 beinahe verhundertachtzigfacht, auf einen Gesamtwert von knapp 9.00044 Milliarden US-Dollar.
Der größte Zuwachs bei den Warenexporten wurde dabei zwischen 1950 bis 1960 und 1960 bis 1970 verzeichnet, wobei anzumerken ist, daß hier der Anteil der Warenexporte an der Gesamtproduktion noch gering war. Globalisierungsrelevanz erhält die Steigerung des Warenexports insbesondere zwischen 1990 und 2000, trotz der Tatsache daß die ökonomische Verflechtung schon 1990 einen hohen Stand hatte und der Warenexport bereits einen Gesamtwert von 3,5 Billionen US-Dollar inne hatte, stieg der Warenexport im genannten Zeitraum von nur 10 Jahren um insgesamt 87 Prozent an. Die im Zuge dessen entwickelte Bedeutungszunahme des grenzüberschreitenden Warenhandels macht sich auch und gerade in der Betrachtung des Anteils des grenzüberschreitenden Warenhandels am weltweiten BIP bemerkbar, denn zwischen 1970 und 2004 ist dieser von 28 Prozent auf 44,5 Prozent gestiegen. Eine besonders hohe Bedeutung hat der Außenhandel für die Bundesrepublik Deutschland, welche als Exportweltmeister mit 62,8 Prozent eine besonders hohe Außenhandelsquote hat, und damit überdurchschnittlich abhängig vom internationalen Warenhandel ist.45
3.3 Ausländische Direktinvestitionen und multinationale Unternehmen
Ein weiterer wichtiger Indikator für ansteigende wirtschaftliche Verflechtung sind ausländische Direktinvestitionen. Ihre Menge und Größe gibt Auskunft über das grenzübergreifende Investitionsverhalten.
Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich von 13 Milliarden US-Dollar über 208 Milliarden im Jahre 1990 bis zu 648 Milliarden bis 2004 erhöht, was gegenüber 1970 mehr als einer Verdreiundsechzigfachung entspricht. Der Großteil dieser Investitionen wurde in den wohlhabenden Industrieländern getätigt, nur 26 Prozent entfielen zwischen 2000 bis 2004 auf Entwicklungsländer, allerdings mit einer sehr ungleichen Aufteilung. So wurden mehr als ein Viertel dieser Investitionen im genannten Zeitraum alleine in China getätigt. Der weitaus größere Teil der Direktinvestitionen entfiel auf Japan, die EU, und die USA, wobei diese das Ursprungsland von etwa 80 Prozent der Direktinvestitionen sind.46
Schwankungen in den Investitionsklimata hängen stark mit der globalen wirtschaftlichen Lage zusammen, ebenso wie mit politischen Umständen. Energiepreise, Wirtschaftslage, infrastrukturelle Voraussetzungen, politische Stabilität, eventuelle Marktsättigung und nicht zuletzt auch die Zinssätze47 sind einige der Hauptfaktoren, die auf die Investitionsmenge und -größe Einfluß nehmen.
In der Welt der Multinationalen Unternehmen werden dabei zum Zwecke der Marktabsicherung Fusionen, Übernahmen, oder Unternehmenszerschlagungen durchgeführt. Ihr Zweck steht im Zusammenhang mit der modernen Strategie des ‚global sourcing’, der globalen Erschließung von Absatz- und Produktionsmärkten, und dem Versuch eine möglichst günstige Unternehmensposition zu erreichen, idealer Weise eine Monopolstellung.48 Das primäre Ziel für die grenzübergreifenden wirtschaftlichen Agitatoren ist dabei die Erschließung von möglichst viel Profit, also von möglichst hohen Einnahmen, sowie möglichst geringen Kosten, um eine möglichst hohe Gewinnspanne zu erhalten, welche für weitere Investitionen genutzt werden kann. Dieser wirtschaftliche Umstand wäre als solcher nicht neu, wäre er nicht mittlerweile in ein transnationales System globaler Verflechtungen eingebettet, die eine Kontrolle oder ein politisches Eingreifen stark erschweren. Dabei ist heute ein Prozeß der ökonomischen Akkumulation festzustellen, der Zusammenschmelzung von grenzüberschreitenden Unternehmen zu immer größeren und einflußreicheren Wirtschaftskonglomeraten.
Grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschließungen und Übernahmen machen dabei über 65 Prozent der im Ausland getätigten Direktinvestitionen aus, davon entfallen knapp 55 Prozent auf sogenannte Megafusionen mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar.49
Die Menge multinationaler Unternehmen ist seit 1980 von 17.000 Unternehmen auf 63.000 im Jahr 2000, und 70.000 im Jahr 2004 gestiegen, und die Gesamtanzahl an Tochterunternehmen derselben betrug in etwa 690.000. Einen besonders hohen Anstieg an multinationalen Unternehmen hatte dabei Deutschland zu verzeichnen, in dem die Menge dieser zwischen 1979 und 1998 um etwa 87 Prozent gewachsen ist, von 4.600 auf 8.500 Unternehmen. Dabei ist anzumerken, daß nicht notwendigerweise alleine die Masse an internationalen Unternehmen für die steigende wirtschaftliche Vernetzung und Marktmacht der jeweiligen ökonomischen Strukturen verantwortlich ist, sondern auch die Größe dieser Fusionen. Unternehmen versuchen natürlicherweise eine möglichst gute Marktstellung zu erreichen, und dafür ist der Weg der Fusion oder der Übernahme50 im grenzübergreifenden Sinne eine Strategie zur Erschließung eines fremden Marktes, bei gleichzeitiger Stärkung der eigenen Marktposition. Die Menge der internationalen Unternehmen ist dabei der eine Indikator für die ansteigende globale Akkumulation von Kapital und Dienstleistern, die schiere Größe derselben ist ein weiterer wesentlicher Aspekt. Denn je größer die Unternehmen sind, desto mehr technische und monetäre Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung. Die gesellschaftliche Abhängigkeit die sich in ihrer Bedeutung für das Investitionsklima und die jeweiligen volkswirtschaftlichen Arbeitsmärkte widerspiegelt, verleiht ihnen außerordentliche Marktmacht, die sich über den ökonomischen Aspekt hinaus auch auf die Sphären von Politik und Gesellschaft ausdehnt. Durch Lobbyarbeit und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung mittels moderner Medien wie Internet und Fernsehen üben die internationalen Unternehmen ebenso Einfluß aus, wie auch durch ihre Möglichkeit auf mehreren Märkten und damit auch in mehreren Volkswirtschaften und den dazugehörigen Gesellschaften gleichzeitig operieren zu können.51
Der Gesamtanteil Multinationaler Unternehmen am Welthandel ist außerordentlich groß, und sie gelten als eine der wesentlichen treibenden Kräfte hinter der wirtschaftlichen Verflechtung der Märkte. Die bewertet nach ihrem Auslandsvermögen zehn größten multinationalen Unternehmen52 hatten 2003 Verfügung über ein Gesamtvermögen mit dem Volumen von 2,6 Billionen US-Dollar, und beinahe 50 Prozent ihrer Beschäftigten arbeiteten im Ausland.53
Die durch den expansiven Kommerz hervorgebrachten Erzeugnisse, die in der Kultur sowohl praktische und ästhetische als auch symbolische Funktionen innehaben, stellen dabei zum Teil global verkaufte ‚Kennmarken’ dar, die mit besonders hoher Symbolkraft besetzt sind und in der Regel eine starke Marktstellung einnehmen. Dabei sind unter den 75 Marken die mindestens eine Milliarde US-Dollar an Marktwert haben in der Rangliste des Jahres 2000 40 us-amerikanische, davon an der Spitze Microsoft, Coca-Cola54, und IBM. 27 dieser Markenfirmen sind europäisch, darunter neun englische, fünf deutsche, und jeweils drei französische und italienische. Von den 75 Markenfirmen entstammen nur fünf aus Asien, davon vier aus Japan und eine aus Süd-Korea.55
3.4 Vernetzung durch Kommunikationstechnologien
Erst seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts sind alle Staaten der Erde mit dem Internet verbunden. Im Jahre 1988 waren dies lediglich acht Staaten, im Jahr 1993 55 Staaten, und 1995 über 50 Prozent aller Staaten. 2005 wurde das Internet als globale Kommunikations-und Datenplattform bereits von 900 Millionen Menschen verwendet. Diese stellen 14 Prozent der Weltbevölkerung dar. Der Internetzugang ist dabei primär in Staaten der ersten und zweiten Welt zu finden, in Anbetracht der relativen Jugend dieser Technologie spricht ihre rasche Ausbreitung und vielfältige Verwendungsform jedoch hinsichtlich ihrer Wichtigkeit für sich. Der sogenannte Digital Divide zwischen den wohlhabenden Industrienationen und den Entwicklungsländern drückt sich numerisch in der Nutzung des Internets durch etwa 45 Prozent der Bevölkerung in den Industrieländern, und nur 5,1 Prozent in den Entwicklungsländern aus, dazu kommen in ersteren pro 100 Einwohner 45 Computer, in letzteren nur 3,4. Dennoch spricht der Gesamttrend für eine allmähliche Reduktion dieses Unterschieds. Anzumerken bleibt dafür allerdings, daß diese Entwicklung primär durch die wohlhabenden Schichten der Entwicklungsländer maßgeblich beeinflußt wird, und daß die moderneren Informations- und Kommunikationstechnologien hauptsächlich den Industrienationen zur Verfügung stehen, im Falle von Breitbandanschlüssen etwa zu 99 Prozent. Die am wenigsten wirtschaftlich entwickelten Länder sind mehrheitlich weiterhin weitgehend von diesen Technologien ausgeschlossen.56 Allerdings haben nach einer UNESCO-Studie 93 Prozent aller Kinder Zugang zu einem Fernsehgerät, und auch in Afrika können 80 Prozent aller Kinder zumindest in unregelmäßigen Abständen Fernsehen konsumieren. Ein zumindest sporadischer Kontakt zur globalen Kulturindustrie ist damit auch für die ärmsten Regionen der Welt gewährleistet.57
[...]
1 Ulf Hannerz: Transnational Connections. London 1996, S.17
2 Dosisnet.de: Artikel zum Thema „Die Krise des Fordismus“: http://www.dosisnet.de/fordism.htm
3 Brockhaus Enzyklopädie: Artikel zu „Industrialisierung“; 10.Band. 19.Auflage. Mannheim 1990, S.477
4 Richard Sennett: Der flexible Mensch, die Kultur des neuen Kapitalismus. 6.Auflage. Berlin 2000, S.10
5 A.a.O., S.57
6 Anthony Giddens: Runaway World. 2. Ausgabe, London 2002, S.54
7 Erwin Lanc: Sozialdemokratie in der Krise. Wien 1996, S.62f.
8 Statistisches Bundesministerium: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 1910, 2005 und 2050 In: BMI: „Der demographische Wandel in Deutschland – ein Überblick.“ 2008. http://www.bmi.bund.de/nn_121560/Internet/Navigation/DE/Themen/Bevoelkerungsentwicklung/ bevoelkerungsentwicklung__node.html__nnn=true
9 Altersaufbau Deutschland 1871 bis 2050. In: BMI: „Der demographische Wandel in Deutschland – ein Überblick.“ 2008. http://www.bmi.bund.de/nn_121560/Internet/Navigation/DE/Themen/ Bevoelkerungsentwicklung/bevoelkerungsentwicklung__node.html__nnn=true
10 BMI: Der demographische Wandel in Deutschland – ein Überblick. 2008. http://www.bmi.bund.de/nn_121560/Internet/Navigation/DE/Themen/Bevoelkerungsentwicklung/ bevoelkerungsentwicklung__node.html__nnn=true
11 Ebd.
12 Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel. 5.Auflage. Wiesbaden 2004, S.32
13 Erwin Lanc: Sozialdemokratie in der Krise. Wien 1996, S.62f.
14 Anthony Giddens: Runaway World. 2. Ausgabe, London 2002, S.60
15 Brockhaus Enzyklopädie: Artikel zu „Kinderarbeit“; 11Band. 19. Auflage. Mannheim 1990. S.684
16 Anthony Giddens: Runaway World. 2. Ausgabe, London 2002, S.55
17 Helen Crowley: Women and the Domestic Sphere. In: Robert Bocock, Kenneth Thompson: Social and Cultural Forms of Modernity. Cambridge/Oxford 1993, S.101
18 Anthony Giddens: Runaway World. 2. Ausgabe, London 2002, S.54
19 Harriet Bradley: Changing Social Divisions. In: Robert Bocock, Kenneth Thompson: Social and Cultural Forms of Modernity. Cambridge/Oxford 1993, S.54
20 Anthony Giddens: Runaway World. 2. Ausgabe, London 2002, S.60
21 Erwin Lanc: Sozialdemokratie in der Krise. Wien 1996, S.63f.
22 Erwin Lanc: Sozialdemokratie in der Krise. Wien 1996, S.63f.
23 Erwin Lanc: Sozialdemokratie in der Krise. Wien 1996, S.63f.
24 Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel. 5.Auflage. Wiesbaden 2004, S.33f.
25 Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel. 5.Auflage. Wiesbaden 2004, S.34f.
26 Ebd.
27 Tagesspiegel.de: Artikel zum Thema „Ausländeranteil in Deutschland leicht gesunken“ 18.02.2008. http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Integration;art122,2478885
28 Eine genaue Aufzählung der am häufigsten vertretenen Staatsangehörigkeiten innerhalb der Bundesrepublik ist in tabellarischer Form im Anhang auf Pagina I zu finden.
29 Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel. 5.Auflage. Wiesbaden 2004, S.35f.
30 Karl Otto Hondrich: „Grenzen der Gemeinschaft“, Grenzen der Gesellschaft – heute. In: Wolfgang Eßbach, Joachim Fischer, Helmut Lethen: Plessners „Grenzen der Gemeinschaft“. 1.Auflage. Frankfurt am Main 2002. S. 313f.
31 Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel. 5.Auflage. Wiesbaden 2004, S.36f.
32 N.Gregory Mankiw: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 2.Auflage. Stuttgart 2001, S.10ff.
33 Welt Online: Artikel zum Thema „Wenn Hilfe schadet“ 18. Januar 2006. http://www.welt.de/print-welt/article191588/Wenn_Hilfe_schadet.html
34 Ulf Hannerz: Transnational Connections. London 1996, S.17
35 Zeit Online: Artikel zum Thema „Die Welt in Zahlen - Gesteigert“ http://www.zeit.de/2006/47/Grafik-1
36 Peter Schimany, Manfred Seifert: Globale Gesellschaft? Perspektiven der Kultur- und Sozialwissenschaften. Frankfurt am Main 1997, S.9; 144
37 A.a.O., S.137
38 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/5TRK99,0,0,Transport_und_Kommunikationskosten.html
39 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“
http://www.bpb.de/wissen/N7B60U,0,0,Energiekosten.html
40 1 Barrel Rohöl entsprechen in etwa 159 Litern
41 Ebd.
42 Zu englisch „General Agreement on Tariffs and Trade“; Kurzform „GATT“
43 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/JX7BR1,0,0,Handelsgewichtete_Zollbelastungen.html
44 Das entspricht nach dem Wechselkursstand vom 09.01.2009 einer Summe von 6.59829 Millarden Euro. Währungsrechnerquelle: http://www.oanda.com/convert/classic
45 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/CCDNXF,0,0,Entwicklung_des_grenz%FCberschreitenden_Warenhandels.html
46 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/VULE3D,0,0,Ausl%E4ndische_Direktinvestitionen_%28ADI%29_pro_Jahr.html
47 Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellen Zinssätze die Kosten für Kredite dar, eine entscheidende Prämisse für das Investitionsverhalten sind somit auch die Kreditkosten, die in Form der Zinsen beglichen werden müssen, und in wesentlichem Maße durch die Leitzinsen der jeweiligen Zentralbanken, im Falle der Europäischen Union von der Europäischen Zentralbank (EZB), ausgewiesen werden.
48 Martin Albrow: The Global Age. Cambridge/Oxford 1996, S.94
49 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/VULE3D,0,0,Ausl%E4ndische_Direktinvestitionen_%28ADI%29_pro_Jahr.html
50 Feindliche Übernahmen sind im Übrigen solche, bei denen der Investor der die Übernahme plant am Vorstand des zu übernehmenden Unternehmens vorbei operiert, beziehungsweise ohne dessen Einwilligung. Der Investor wendet sich dafür direkt an die Kapitaleigner, und unterbreitet diesen ein Übernahmeangebot.
51 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/3MGD0S,0,0,Anzahl_Multinationaler_Unternehmen.html
52 Die zehn größten Unternehmen nach Auslandsvermögen stellten 2003: 1.General Electric (USA) 258.900 Milliarden US-Dollar; 2.Vodafone (GB) 243.839 Mrd.$; 3.Ford (USA) 173.882 Mrd.$; 4.General Motors (USA) 154.466 Mrd.$; 5.BP (GB) 141.551 Mrd.$; 6.Exxonmobil (USA) 116.853 Mrd.$; 7.Royal Dutch/Shell (GB) 112.587 Mrd.$; 8.Toyota (Japan) 94.164 Mrd.$; 9.Total (Fr) 87.840 Mrd.$; 10.France Telecom (Fr) 81.370 Mrd.$. Gesamtvolumen 2,6 Billionen US-Dollar, davon etwa 1,5 Billionen im Ausland. Quelle: http://www.bpb.de/files/T7DPSI.pdf
53 Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Artikel zum Thema „Globalisierung“ http://www.bpb.de/wissen/YW9B39,0,0,Die_zehn_gr%F6%DFten_MNU_%28ohne_Finanzbranche%29.html
54 Bemerkenswert hierbei ist, daß die Coca-Cola, welche seit 1998 auch in Kalaallit Nunaats (Grönland) verkauft wird, mittlerweile als das zweitbeliebteste Getränk der Inuit gilt, und als globale Marktikone damit weltweit verkauft und konsumiert wird. Quelle: Ina Zukrigl: Kulturelle Vielfalt und Identität in einer globalisierten Welt. In: Bernd Wagner: Kulturelle Globalisierung: Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. 1.Auflage. Essen 2001, S.50
55 Bernd Wagner: Kulturelle Globalisierung: Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. 1.Auflage. Essen 2001, S.12
56 Ulf Hannerz: Transnational Connections. London 1996, S.19
57 Bernd Wagner: Kulturelle Globalisierung: Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. 1.Auflage. Essen 2001, S.30
- Arbeit zitieren
- Merlin Holthoff (Autor:in), 2009, Quo vadis Societas? Die Atomisierung der Gesellschaft und die Ökonomisierung des Denkens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138947
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