Mit besonderem Fokus auf die, durch die Forschungen des Hamburger Historikers Fritz Fischer zur deutschen Kriegsschuld ausgelöste, Kontroverse, soll in unserer Arbeit die „Geschichte der Kriegsursachen des Ersten Weltkriegs“ skizziert werden. Hierbei soll auf der einen Seite das Dilemma des Historikers – die Kriegsursachenforschung- anhand der Darstellung der verschiedenen Kriegesrezeptionen seit dem Ende des 1. Weltkriegs bis zum Ende der Kontroverse illustriert werden, und darauf folgend, soll die besondere Bedeutung der Kontroverse für die deutsche Geschichtswissenschaft, als eine Art „Zerstörung eines historischen Tabus“ einerseits und als Wendepunkt zur methodologischen Erweiterung und Vielfalt zum Ausdruck kommen.
Wie haben sich die Historiker nach dem Ende des Krieges bis heute mit den Kriegsursachen auseinandergesetzt? Woher kam der Drang den Schuldigen finden? Was waren das für Thesen in den 1960er-Jahren, die eine solche Kraft besessen haben, dass sie solche eine fachwissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen? Wie argumentierten Fachkollegen dagegen? Was bedeutet diese Kontroverse für die deutsche Geschichtswissenschaft damals und heute? Und warum beschäftigen die Ursachen des Ersten Weltkrieges Historiker nach fast 100 Jahren des Ausbruchs immer noch? Das sind Fragen, die wir im Verlauf unserer Arbeit beantworten möchten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Geschichtsbild hinsichtlich der Kriegsschuld vom 1918 an bis zur Fischer- Kontroverse
2.1 Kriegsrezeption nach dem Ersten Weltkrieg
2.2 Kriegsrezeption nach dem Zweiten Weltkrieg
3 Die Thesen Fritz Fischers
4 Reaktionen und Kritik anderer Historiker
4.1 Gerhard Ritter
4.2 Klaus Dietrich Erdmann
4.3 Egmont Zechlin
5 Die Bedeutung der Kontroverse für die Geschichtswissenschaft
6 Schlussbetrachtung
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Während die meisten Historiker über Geschichte nachdenken, gibt es nur wenige, die auch Geschichte schreiben. Fritz Fischer gehört zu diesen.
Heinrich August Winkler schreibt in seinem Nachruf: „Fritz Fischer hat den Deutschen geholfen, sich aus der Gefangenschaft von Geschichtslegenden zu befreien, die zu nationalen Lebenslügen geworden waren. Sein moralischer Mut war nicht minder ausgeprägt als sein wissenschaftlicher Erkenntnisdrang. Die Deutschen haben Grund, Fritz Fischer dankbar zu sein.“[1]
Mit besonderem Fokus auf die, durch die Forschungen des Hamburger Historikers Fritz Fischer zur deutschen Kriegsschuld ausgelöste, Kontroverse , soll in unserer Arbeit die „Geschichte der Kriegsursachen des Ersten Weltkriegs“ skizziert werden. Hierbei soll auf der einen Seite das Dilemma des Historikers – die Kriegsursachenforschung- anhand der Darstellung der verschiedenen Kriegesrezeptionen seit dem Ende des 1. Weltkriegs bis zum Ende der Kontroverse illustriert werden, und darauf folgend, soll die besondere Bedeutung der Kontroverse für die deutsche Geschichtswissenschaft, als eine Art „Zerstörung eines historischen Tabus“ einerseits und als Wendepunkt zur methodologischen Erweiterung und Vielfalt zum Ausdruck kommen.
Wie haben sich die Historiker nach dem Ende des Krieges bis heute mit den Kriegsursachen auseinandergesetzt? Woher kam der Drang den Schuldigen finden? Was waren das für Thesen in den 1960er-Jahren, die eine solche Kraft besessen haben, dass sie solche eine fachwissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen? Wie argumentierten Fachkollegen dagegen? Was bedeutet diese Kontroverse für die deutsche Geschichtswissenschaft damals und heute? Und warum beschäftigen die Ursachen des Ersten Weltkrieges Historiker nach fast 100 Jahren des Ausbruchs immer noch? Das sind Fragen, die wir im Verlauf unserer Arbeit beantworten möchten.
2 Geschichtsbild hinsichtlich der Kriegsschuld vom 1918 an bis zur Fischer- Kontroverse
2.1 Kriegsrezeption nach dem Ersten Weltkrieg
Die Kriegsschulddiskussion existierte schon seit dem Kriegsausbruch 1914. Denn nur unter der Prämisse, dass das eigene Land als schuldlos angegriffen erscheint, konnten die Hauptverantwortlichen einen Krieg führen. Als dem Deutschen Reich nach Artikel 231 im Versailler Vertrag die alleinige Kriegsschuld gegeben wurde, resultierte daraus eine Verschmelzung von moralischer Entrüstung und wissenschaftlicher Untersuchung.
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kriegsschuldfrage sah Theodor Schieder eine Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln.
Im Jahre 1919 stiftete der Reichstag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss für Schuldfragen des Weltkrieges. Ewald Fried tituliert die 1920er-Jahre hinsichtlich der Forschung als erste Revolution des Aktenzugangs. Die Vielzahl an Quellen förderte die Forschung, denn durch sie hofften die Historiker darauf, die „Kriegsschuldlüge“ nun auch wissenschaftlich widerlegen zu können.[2]
Die Weimarer Zeit war bezüglich der Kriegsschuldfrage demzufolge von der bedingungslosen Abweisung der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg geprägt. Ernst Schulin meint hierzu: “Die Widerlegung der Kriegschuldthese sahen die Historiker dieser älteren Generation als ihre nationale Pflichtaufgabe an. Eine kritische Selbstbesinnung der Geschichtswissenschaft war also aus verschiedenen Gründen schwierig.“[3] Zu dieser Zeit reichten die Deutungen von der der französischen oder russischen Kriegsverantwortung bis zum Zusammenwirken von neuen politischen Strömungen, Bündnissystemen und Militarismus. Diese überindividuellen Faktoren hätten es gar nicht zugelassen einen Schuldigen zu finden.[4] So verfestigte sich in den 1920er- und 1930er-Jahren eine apologetische Auslegung von der deutschen Nichtschuld, welche eine kritische Auseinandersetzung mit den Kriegsursachen unmöglich machte.
2.2 Kriegsrezeption nach dem Zweiten Weltkrieg
Da die deutschen amtlichen Akten bis zum Ende der 1950er-Jahre von den Alliierten beschlagnahmt waren, stagnierte die Ursachenforschung des Ersten Weltkrieges. Die Konsequenz hieraus war die stillschweigende Einigung auf die These des englischen Premierministers David Lloyd George, der zu Beginn der 20er Jahre behauptete, dass die einzelnen europäischen Mächte unerwartet in den Krieg hineingeschlittert seien.[5]
Seine These erfreute sich besonders in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland großer Beliebtheit, als es darum ging, die alleine Kriegsschuld von sich zu weisen.[6] Insgesamt dominierte in diesen Jahren eine konservative Haltung, die vorsichtige Revisionen zwar andeutete, aber eher der Traditionsbewahrung diente. Am Ende der 1950er-Jahre wurden die deutschen amtlichen Akten zum Ersten Weltkrieg zugänglich, was Frie als die“ zweite Revolution des Aktenzugangs“ bezeichnet.[7] Dies öffnete Wege aus der Politik- und Diplomatieorientierung heraus und etablierte neuere Ansätze in der Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit. Neu war hierbei das Konzept der Strukturgeschichte, – entstanden in der französischen Schule der Annalen - welches die Untersuchung von überindividuelle Faktoren und das interdisziplinäre Forschen und Ausweitung historischer Blickwinkel weg von der Ereignisgeschichte und dem Fokus auf intentionalem Handeln propagiert. Der strukturgeschichtliche Ansatz bildete peu à peu eine Gegenbewegung zur historischen Tradition, da sie die sozialhistorische Forschung stimulierte. Dadurch zeichnete sich schon allmählich der Bruch zwischen der Nachkriegshistoriographie und den neueren Forschungsansätzen innerhalb der Geschichtswissenschaft ab.[8] Das Hervortreten der neuen Strömungen kann freilich mit der ruckartigen Generationsverlagerung, dem politischen Wechsel hin zur sozialliberalen Reformpolitik und der Studentenbewegung in den 1960er-Jahren in Zusammenhang gebracht werden.[9] Dies bot Raum für Innovationen, Wandlungen und neue Impulse- aus der angelsächsische Geschichtswissenschaft - die man zugetan aufnahm.[10] Aber mit Fritz Fischers Werk Griff nach der Weltmacht wurde in den 1960er-Jahren eine Kontroverse eingeleitet, die einen Bruch innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft - nicht nur auf sachlicher, sondern auch auf methodologischer Ebene- bedeutete. Sehen wir uns diese Thesen im Folgenden genauer an:
3 Die Thesen Fritz Fischers
Im Jahre 1956 kehrten deutsche Akten aus Moskau nach Potsdam zurück. Der Hamburger Historiker Fritz Fischer durchstöberte diese Archivbestände der damaligen Mittelmächte, um Kriegsziele des Deutschen Reiches zu erforschen.[11] Diese akribische Auseinandersetzung mit den Quellen resultierte in einem Aufsatz Fritz Fischers in der Historischen Zeitschrift im Jahr 1959, der den Titel ,, Deutsche Kriegsziele - Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914 - 1918" trug. Hier formulierte er schon eine provokative These mit der Grundannahme, dass das deutsche Kaiserreich keineswegs einen reinen Verteidigungskrieg geführt, sondern schon zu Kriegsbeginn nach expansiven Kriegszielen agiert habe. Sein Beleg hierfür war das „Septemberprogramm“ des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, welches dieser Anfang September 1914 formuliert hatte und welches ein Mitteleuropa vorsah, das nach Annexionen im Westen (in Frankreich und den Beneluxstaaten) und im Osten (Polen) entstehen sollte.[12] Hinsichtlich der überseeischen Gebiete sei die Bildung eines mittelafrikanischen Kolonialreiches vorhergesehen gewesen.[13] „ Kurzum die Politik der deutschen Reichsleitung zu Beginn des Ersten Weltkrieges zielte auf nichts weniger als darauf, Deutschland durch die Zurückdrängung des französischen und russischen Einflusses in Europa eine langfristige Weltmachtstellung zu sichern.“[14] Fischer versuchte den Nachweis zu bringen, die deutsche Kriegszielpolitik nicht nur von der Regierung sondern ebenso von hohen Vertretern aus Wirtschaft und Militär getragen und vorbereite worden sei.[15] Fischer spricht von wirtschaftlichen „pressure groups“ gegenüber der deutschen Außenpolitik. In ihrem Streben nach Machterweiterung, nach weltpolitischer Expansion habe die deutsche Außenpolitik nach und nach alle Mächte vor den Kopf gestoßen, und sei damit einen Weg in die Selbstisolierung gegangen.
Doch erst mit der Publikation von „Griff nach der Weltmacht“ 1962 gerieten die provokativen Thesen Fischers ins öffentliche Bewusstsein. Fischer äußert in der Einleitung der ersten Auflage seines polarisierenden Buches, dass es die Aufgabe des Historikers sei, Tatsachen festzustellen und sie in den Zusammenhang von Ursachen einzuordnen, und es hierbei unbedingt nötig sei, zu vermeiden, für eine später als tragisch erkannte Entwicklung, einen „Sündenbock“ anzuprangern[16]. So erscheint es aus unserer heutigen Sicht fast schon verwunderlich, dass die Teilschuldzuweisung an das Deutsche Reich im zweiten Kapitel als große Provokation verstanden wurde.
[...]
[1] www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1999/1203/feuilleton/0018/index.html, Stand 22.2.2009.
[2] Frie, Ewald, Das Deutsche Kaiserreich. Darmstadt 2004, S.82f..
[3] Schulin, Ernst, Weltkriegserfahrung und Historikerreaktion. Frankfurt am Main 1997, S.172.
[4] Frie, Das Deutsche Kaiserreich, S.84.
[5] Große Kracht, Klaus, Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen 2005, S.48.
[6] Kießling, Friedrich, Wege aus der Stringenzfalle. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs als "Ära der Entspannung". In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55 , 2004, S. 1.
[7] Frie, Das Deutsche Kaiserreich, S.86.
[8] Faulenbach, Bernd, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, In: Tijdschrift voor Geschiedenis 94, 1981,S.29- 40.
[9] Frie, Das Deutsche Kaiserreich, S.86.
[10] Faulenbach, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S.41.
[11] Geiss, Imanuel: Zur Fischer-Kontroverse 40 Jahre danach. München 2003, S.4.
[12] Kracht, Die zankende Zunft, S.48.
[13] Jäger, Wolfgang, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland, Göttingen 1984, S.135.
[14] Geiss, Zur Fischer-Kontroverse, S.49.
[15] Kracht, Die zankende Zunft, S.49.
[16] Fischer, Fritz, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Dritte, verbesserte Auflage, Droste Verlag, Düsseldorf, 1964, S.11.
- Arbeit zitieren
- Yasemin Genc (Autor:in), 2009, Die 'Geschichte der Kriegsursachen des Ersten Weltkriegs', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138196
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