Die Liebe ist das große Unbekannte. Sie entspringt nicht naturgegeben aus der Beziehung eines Menschen zum anderen, sondern fällt als außerweltliches Fremdes über ihn her. Übermächtig durchdringt sie ihn, überschreibt alle anderen Gefühle, Wünsche und Gedanken, die er gehabt haben mochte, und verzerrt sein inneres Wesen in ein Phantom seines alten Selbsts. Die Liebe steht dafür, was der Mensch begehrt, aber auch dafür, wovor er Angst hat. In ihr schwankt der Mensch zwischen Sehnsucht und Furcht, weil sie ihn an einen anderen Menschen bindet, ihn aber gleichzeitig vom Menschen, der er selbst ist, entfremdet. Sie ist Verknüpfung und Trennung, Gewinn und Verlust zugleich, ein Paradox, und als solches die Variable, die, wenn sie in die Gleichung unserer Welt eingefügt wird, ebenjene unlösbar macht.
Zu einem solchen (nach modernen Standards sicher nicht unanfechtbaren) Verständnis von der Liebe mögen die Rezipienten1 des Tristrant von Eilhart von Oberg gekommen sein, insofern sie „Liebe“ als das verstanden, was Tristrant und Isalde im Zuge der Einnahme des Minnetranks erfahren, oder genauer, mit Blick auf die Fremdeinwirkung: was ihnen widerfährt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geboren, um zu Lieben?: zur Vorgeschichte
2.1. Die Vermählung
2.2.... oder die Affäre?
3. Zur Liebe erkoren: zu den Erzählschemata
3.1. Der feudale Krieger
3.2.. oder der Märchenheld?
4. Der vnselig getranck: zu Tristrants (Selbst-)Entfremdung
5. Abschließende Gedanken
6. Literaturverzeichnis
- Quote paper
- André Leroux (Author), 2021, Der "vnselig getranck". Zur (selbst-)entfremdenden Wirkung des Minnetranks auf den Helden Tristrant, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1372123
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