Die Analyse des Themenfeldes Ökonomisierung des Sozialen erfolgte auf der Makroebene über die Skizzierung der Entstehungsbedingungen, mit den Teilaspekten der Globalisierung der Ökonomie, des demografischen Wandels, der Erosion traditioneller sozialer Netzwerke und den Folgen der Europäisierung. Besondere Beachtung fanden der zunehmende politische Einfluss des neoliberalen Denkens und seine Wirkung auf die europäische und bundesrepublikanische Sozialstaatlichkeit. Der neoliberale Wandel der Sozialstaatlichkeit wird als Paradigmenwechsel identifiziert, der den Weg vom Keynesianischen zum aktivierenden Sozialstaat maßgeblich angestoßen hat. In diesem Bereich wurden die Dependenzen der Sozialpolitik von der Wirtschaftspolitik sowie die implizit veränderten sozialen Gerechtigkeitskonzeptionen aufgezeigt. Auf der Meso- und Mikroebene wurden die Konsequenzen für die Sozialen Organisationen und für die Praxis Sozialer Arbeit dargestellt. Die Ökonomisierung fand einen „Niederschlag“ in der Sozialgesetzgebung, der die Unternehmen zunehmend zur Implementierung von strategischem Management und Qualitätsmanagement zwingt, u. a. bedingt durch die Einführung des Wettbewerbsgedankens. Besondere Bedeutsamkeit erlangt in diesem Zusammenhang das New Public Management und das Neue Steuerungsmodell. Die Ökonomisierung der sozialen Dienste stellt auch eine besondere Herausforderung für die Praxis Sozialer Arbeit und deren fachliche Ziele dar und birgt Chancen wie Risiken. Der Prozess der Ökonomisierung kann ein konstruktiver Ansporn zur weiteren Entwicklung der Professionalität Sozialer Arbeit sein, insofern eine kreative, kritische und notwendige Anpassung an die beschriebenen Tendenzen erfolgt, ohne die Werte der Sozialen Arbeit zur Disposition zu stellen. Ein aktiver Beitrag der Sozialen Arbeit im sozialpolitischen Diskurs erscheint im Interesse der Professionalität und der Adressaten dringend geboten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. Annäherung an den Begriff der Ökonomisierung des Sozialen
Teil I: Zur Ökonomisierung des Sozialen/Analyse der Makroebene
2 Ursachen der Ökonomisierung
2.1 Globalisierung
2.2 Neoliberalismus
2.3 Demografischer Wandel
2.4 Erosion traditioneller sozialer Netzwerke
2.5 Europäische Union und Ökonomisierung
3 Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialstaatlichkeit
3.1 Vom Wandel der Wohlfahrtsstaatlichkeit
3.2 Von der Verteilung zur Aktivierung
3.2.1 Dekommodifizierung und Keynesianischer Wohlfahrtsstaat
3.2.2 Aktivierung und neoliberale Sozialpolitik
3.3 Dependenzen - Sozial- und Wirtschaftspolitik
3.4 Soziale Gerechtigkeit in der ökonomisierten Sozialpolitik
Teil II: Zur Ökonomisierung der Sozialen Arbeit/Analyse der Meso- und Mikroebene
4 Soziale Dienste im Wandel/Ökonomisierung als Entwicklungskatalysator?
4.1 Soziale Dienste in der Kritik
4.2 Ökonomisierung und Soziale Dienste
4.2.1 Gesetzliche Verankerung der Ökonomisierung
4.2.2 New Public Management und Neues Steuerungsmodell
4.2.3 Aktivierung und Prävention als Modernisierungsstrategie
4.2.4 Strategisches Management und Qualitätsmanagement
4.3 Fachliche Ziele der Sozialen Arbeit im Kontext der Ökonomisierung
4.4 Chancen und Risiken der zunehmenden Ökonomisierung für die ProfessionSoziale Arbeit
5 Kritische Betrachtung der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit/„Professionalität“ versus „Managerialismus“?
6 Zusammenfassung
Anhang
Literaturverzeichnis
1 Einleitung. Annäherung an den Begriff der Ökonomisierung des Sozialen
Soziale Arbeit stand seit ihren professionellen Anfängen vor der Herausforderung, ihren Beitrag für das Gemeinwesen legitimieren zu müssen. Dieser Prozess hat sich seit ca. dem Ende der 1980er Jahren durch die Verknappung öffentlicher Mittel verschärft[1], und es entbrannte eine kontroverse Diskussion zwischen den Positionen „Fachlichkeit und Wirtschaftlichkeit“. Die Vertreter der fachlich-ethischen Argumentation sehen ihre Adressaten[2] mit deren sozialen Problemlagen im Vordergrund und dass diese eine fachlich-professionelle Hilfestellung benötigen.[3] Die Verfechter einer ökonomischen Linie versuchen, „Hilfebedarfe insgesamt zu definieren und dann nach möglichst effizienten Formen zur Deckung dieser Bedarfe zu fragen“.[4] Im Fokus steht auf der einen Seite die ethisch-moralische Verpflichtung, den bedürftigen Menschen zu helfen, auf der anderen Seite stehen die produkthaften Leistungen. König sieht in beiden Argumentationssträngen dieselben Kernaussagen impliziert, mit der Zielsetzung der bestmöglichen Lösung für die sozialen Problemlagen.[5] Aber ist das tatsächlich so? Geht es hier noch um die Adressaten oder nur noch um Kostenreduktion - auch um den Preis einer schlechteren Qualität Sozialer Arbeit?
Der oben angesprochene Prozess wird in der Fachliteratur als zunehmende Ökonomisierung des Sozialen beschrieben und „(...) steht für die Vereinnahmung professionseigener Konzepte durch fachfremde Kräfte und Einflüsse aus dem Bereich der Ökonomie. Das äußert sich in der Weise, dass Professionelle einer ökonomisierten Sozialen Arbeit nicht mehr so agieren können, wie sie es aufgrund ihrer fachlichen Expertisen eigentlich sollten“.[6] In diesem Kontext ist Kessl hervorzuheben, der 2005 das Themenfeld Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit systematisierte und vier Dimensionen von zentraler Bedeutung markierte:
1. Unter „Ökonomisierung“ wird ein Prozess der Invasion fachfremder Anschauungen im sozialen Bereich verstanden.[7]
Soziale Arbeit als transdisziplinäre Handlungswissenschaft[8] wird seit ihrer Inauguration von unterschiedlichen Bezugswissenschaften beeinflusst. Arnegger und Spatscheck befürchten, dass die Wirtschaftswissenschaften zu einer Form der Leitwissenschaft für die Sozialarbeit und Sozialpädagogik werden könnten und andere wissenschaftliche Aspekte an Bedeutung verlieren.[9]
2. In apodiktischer Form wird die Ökonomisierung, d. h. der zunehmende wirtschaftliche Einfluss auf die Soziale Arbeit, als zwingende Notwendigkeit betrachtet, um sich adäquat an die Veränderungen, die mit den Prozessen des freien Marktes zusammenhängen, anpassen zu können.[10]
3. Unterschiedliche Vertreter betrachten die Ökonomisierung als überfälliges betriebswirtschaftliches Umdenken in der Sozialen Arbeit. Ihre Arbeit wird als nicht ausreichend effektiv und effizient eingeschätzt, dies aufgrund einer nicht erfolgreichen Bürokratie und der Überbetonung verwaltungsbezogener Fachlichkeit.[11]
4. Die Ökonomisierung ist vor dem Hintergrund zunehmender Einflussnahme des neoliberalen Modells auf die ökonomischen Abläufe und die sozialstaatliche Doktrin zu betrachten. Die Relevanz der neoliberalen Denkweisen ist nicht auf das nationale Level zu beschränken, sie hat eine europäische, ja globale Dimension erfahren.[12]
Die vorliegende Hausarbeit trägt den Titel „Zur Ökonomisierung des Sozialen“ und nicht „… der Sozialen Arbeit“, denn es geht zunächst um die oben beschriebenen globale Einflüsse auf das Soziale und die dahinterliegenden Kontexte. Diese weltweiten Veränderungen sollen im zweiten Kapitel illustriert werden. Ihre Bedeutsamkeit für die Sozialpolitik, die einer neoliberalen Wende unterworfen ist, d. h. der Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialstaatlichkeit, wird im dritten Kapitel beschrieben. Im vierten Abschnitt werden unter dem Blickwinkel der Träger der Sozialen Arbeit und der praktischen Arbeit mit den Adressaten die Umbrüche dargestellt, denen die Soziale Arbeit durch die oben genannten Prozesse unterliegt. In den letzten Absätzen werden potenzielle Wege im Umgang mit den negativen Erscheinungen der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit skizziert, es werden aber auch die Chancen betrachtet, die diese Umbrüche mit sich bringen. Insgesamt erfolgt eine Analyse der Markoebene unter der Perspektive der Globalisierung, des Neoliberalismus und der Sozialstaatlichkeit (Teil I) sowie eine Untersuchung der Auswirkungen des Paradigmenwechsels der Sozialstaatlichkeit auf der Meso- und Mirkoebene Sozialer Arbeit. Auch die Veränderungen im Bereich der Anbieter sozialer Leistungen und der sozialarbeiterischen Fallarbeit (Teil II) werden also in den Blick genommen.
Teil I: Zur Ökonomisierung des Sozialen/Analyse der Makroebene
2 Ursachen der Ökonomisierung
2.1 Globalisierung
Die postulierte Notwendigkeit der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit wird in der Fachliteratur im Zusammenhang mit den im Folgenden beschriebenen Prozessen betrachtet, die sich gegenseitig bedingen.
Die so genannte „Globalisierung“ erhält in diesem Diskurs eine entscheidende Bedeutung. In einem eng gefassten Sinne versteht man unter Globalisierung die weltweiten globalen wirtschaftlichen Prozesse und Aktivitäten,[13] d. h. es handelt sich hierbei eine weltweite Transformation der ökonomischen Systeme.[14] Weiter gefasst verweist der Terminus der Globalisierung auf eine „Intensivierung wissenschaftlich-technischer, ökonomischer, politischer und kultureller Beziehungen (...), welche die Besonderheit aufweisen, nationalstaatliche Grenzen zu überschreiten und – zumindest in der Tendenz nach – auch zu überwinden“.[15] Diese Entwicklung geht mit einer deutlichen Zunahme der finanziellen und kommunikativen Aktivitäten einher, die ohne die „mikro-elektronische Revolution“[16] nicht erklärbar wäre. Durch den schnellen Datenverkehr im Internet und die mobile Telefonie wurde eine schnelle und permanente globale Erreichbarkeit ermöglicht. Die Globalisierung wäre aber ohne die sinkenden Kosten bei der genannten Kommunikation, beim Transport der Waren und den Energiepreisen zwischen den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht erklärbar. Die zunehmend fallenden Handelsbarrieren haben diesen Prozess ebenfalls drastisch beschleunigt.[17] Die Effekte der globalen Umwälzungen führen nach Arnegger und Spatscheck zu einer sukzessiven „Neugestaltung der lokalen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Kontexte in den einzelnen Nationalstaaten (...)“.[18] Diese Einflüsse auf das Soziale sollen im Kapitel 3 vertieft werden.
2.2 Neoliberalismus
Im Zusammenhang mit der Ökonomisierung des Sozialen muss auch die zunehmende Verbreitung des neoliberalen Wirtschaft- und Politikmodells betrachtet werden. Foucault setzte sich in seinen Schriften mit zwei unterschiedlichen Richtungen des Neoliberalismus auseinander, zum einem mit der Chicagoer Schule, zum anderen mit dem deutschen Nachkriegsliberalismus[19]. Er leitete daraus zwei Unterscheidungen gegenüber den früh-liberalen Konzeptionen ab. „Anders als in der klassisch-liberalen Rationalität definiert und überwacht der Staat nicht länger die Markfreiheit, sondern der Markt wird selbst zum organisierenden und regulierenden Prinzip des Staates. (...) Zwar bindet auch der Neoliberalismus die Rationalität der Regierung an das rationale Handeln der Individuen; er sucht jedoch das rationale Prinzip für die Regulierung des Regierungshandelns nicht mehr in einer natürlichen Freiheit, die es zu respektieren gilt, sondern findet es in einer künstlich arrangierten Freiheit: dem unternehmerischen Verhalten der ökonomisch-rationalen Individuen.“[20] Eine positive ökonomische und soziale Entwicklung hänge, simplifizierend ausgedrückt, mit dem ungehinderten freien Markt und Wettbewerb zusammen. Der Staat solle sich diesbezüglich zunehmend zurückziehen.
In den 1980er und 1990er Jahren setzte zunächst unter dem Begriff des „Neokonservatismus“, später unter dem des „Neoliberalismus“ eine zunehmend hörbare Kritik an der Wohlfahrtsstaatlichkeit ein mit der Forderung, sozialstaatliche Ausgaben abzubauen. Als Vertreter galten in den USA Reagan, in Großbritannien Thatcher und in der Bundesrepublik Deutschland Graf Lambsdorff. Bereits 1982 sprach sich Letztgenannter für drastische Kürzungen in den Sozialleistungen aus.[21] Think Tanks, wie der „Kronberger Kreis“, die Bertelsmann Stiftung oder die „Initiative Neue Soziale Markwirtschaft“ tragen zur Verbreitung des neoliberalen Modells bei und bemühen sich z. T. erfolgreich um eine neoliberale Prägung von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medienlandschaft. Neoliberale Ideen beeinflussten auch weltweite Machtzentren, wie die Welthandelorganisation (WTO) und den Internationalen Währungsfonds (IWF).[22]
Kritisch zu werten ist aus der Sicht der Sozialen Arbeit, verstanden als Menschenrechtsprofession[23], die Subordination der Sozial- und Menschenrechte unter die Privateigentumsrechte des Einzelnen im Neoliberalismus.
2.3 Demografischer Wandel
Die Ökonomisierung des Sozialen ist auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu betrachten. Dieser ist mit dem starken Geburtenrückgang in Westdeutschland nach 1964 zu erklären. In Ostdeutschland kam es erst nach der Wiedervereinigung zu einer demografischen Krise mit einer dramatischen Verringerung der Geburten. Dies stand auch im Zusammenhang mit einer Senkung der Heiratsquoten. Zwischenzeitlich hat sich die Geburtenquote in Ost- und Westdeutschland angeglichen.[24] Als Ursachen für den gesamtdeutschen Geburtenrückgang werden von Geißler folgende Aspekte formuliert:
„1. Funktions- und Strukturwandel der Familie (...)
2. ‚Emanzipation‘ und ‚Enthäuslichung‘ der Frau (...)
3. Die mangelnde Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen (...)
4. Konsumdenken und anspruchsvoller Lebensstil (...)
5. Strukturelle Rücksichtslosigkeit (...)
6. Scheu vor langfristigen Festlegungen (...)
7. Emotionalisierte und verengte Paarbeziehungen (...)
8. Zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Kinderlosigkeit (...)
9. Gestiegene Ansprüche an die Elternrolle (...)
10 Rationalisierung und Familienplanung (...)
11. Die ungünstige Wirtschaftslage und die Arbeitslosigkeit (...)“.[25]
Ein weiterer bedeutender Aspekt des demografischen Wandels ist die sukzessive gestiegene Lebenserwartung, die eine Kohärenz zu den positiven Entwicklungen in Medizin, Hygienestandards und Gesundheitsvorsorge zeigt.
Beide Teilprozesse führen zu einer deutlichen Alterung der Gesellschaft. Diese Tendenz wird sich nach heutigen Prognosen fortsetzen[26], mit den Folgen, dass sich die Ausgaben für die medizinischen, pflegerischen und sozialen Versorgungen sukzessive steigern werden, d. h. die sozialen Sicherungssysteme, insbesondere die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen werden in ihrer heutigen Form voraussichtlich nicht mehr finanzierbar sein.[27]
2.4 Erosion traditioneller sozialer Netzwerke
Von der letztgenannten Entwicklung werden die professionelle Soziale Arbeit und die Träger sozialer Dienstleistungen nicht nur marginal betroffen sein. Das Wegbrechen von finanziellen Ressourcen wird die Handlungsspielräume Sozialer Arbeit begrenzen und die oben genannte Bewegung in Richtung Ökonomisierung fördern.
Dieses Faktum steht den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Hilfestellungen zur Bewältigung sozialer Problemlagen diametral gegenüber. Das Aufgabenspektrum einer Sozialen Arbeit wird durch das sukzessive Wegbrechen traditioneller sozialer Netzwerke meiner Auffassung nach noch wachsen. Die Pluralisierung der Lebensformen mit den Kennzeichen der Zunahme von Ein-Personen-Haushalten, insbesondere im hohen Lebensalter, der kinderlosen Paare etc. haben zu einer Ablösung der traditionellen „Normalfamilie“ mit ihrem Prinzip der Reziprozität in Krisenzeiten geführt. In diesem Kontext bekommt die Individualisierungstheorie von Beck eine besondere Bedeutung. Zunehmender Wohlstand in den westlichen Industrienationen, vermehrte Freizeit und Mobilität, höheres Bildungsniveau haben den Menschen seit den 1960er Jahren mehr individuelle Freiräume geschaffen. Nach Beck können, müssen Menschen aber auch individueller handeln, da sie sich immer weniger an bestimmten traditionellen Vorbildern, wie Familie, Religion, Schicht etc., orientieren können. „Die individualisierten Einzelnen können sich einerseits darüber freuen, dass sie autonomer und freier sind als zuvor. Anderseits sind die Einzelnen den Gefahren der Anomie (Norm- und Orientierungslosigkeit) mehr denn je ausgesetzt. Wer frei ist, kann sich leicht verirren.“[28] Meiner Einschätzung nach ist dies ein Nährboden für vielfältige soziale Problemlagen, der aber durch die immer prekärer werdende Finanzlage mithilfe Sozialer Arbeit nicht mehr im ausreichenden Maße gedeckt werden kann. „Durch den gesellschaftlichen Individualisierungsprozeß erodieren die traditionellen sozialen Selbsthilfenetze. Sie müssen durch professionelle Dienste ersetzt werden.“[29]
2.5 Europäische Union und Ökonomisierung
Pfaffenberger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen für die Sozialstaatlichkeit im Allgemeinen und für die Soziale Arbeit im Besonderen durch die Europäische Union vor dem Hintergrund der oben bereits skizzierten Globalisierungs- und Internationalisierungsprozesse zu bewerten sind.[30]
In den europäischen Wohlfahrtsstaaten lässt sich bei allen Differenzen in einzelnen Aspekten eine Tendenz zur Modernisierung ihrer Institutionen beobachten. Die Veränderungen sind insbesondere durch neoliberale und angebotsorientierte Aspekte geleitet. Dieser Prozess wird als „Dritter Weg“ (Giddens) bezeichnet. Giddens ging es darum, einen Weg zwischen dem Neoliberalismus britischer Ausprägung (Thatcherismus) und der Sozialdemokratie zu begehen und die konstruktiven Teile beider Politikrichtungen zu integrieren.[31] Kennzeichen dieser Prozesse sind u. a.:
- Haushaltskonsolidierung
- Senkung der Steuer- und Abgabenlast zur Förderung des Wettbewerbes
- Sukzessiver Rückzug des Staates aus der Ökonomiesteuerung
- Senkung der Lohnnebenkosten.
Es handelt sich nach Dahme und Wohlfahrt um Umbau-, Abbau- und Rückbaustrategien mit der Zielsetzung der Modernisierung des Sozialstaates. Die steigenden Kosten für Wohlfahrtsleistungen und die Funktionsprobleme der sozialen Institutionen stehen deutlich in der Kritik und werden als das Grundproblem für geringeres wirtschaftliches Wachstum und für gesellschaftliche Weiterentwicklungen identifiziert:[32] „(...) der Um- und Rückbau des Sozialstaats findet dabei unter der Losung statt, dass in Zeiten der Globalisierung bzw. Europäisierung der Sozialstaat auch weiterhin zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gebraucht wird; aus Wettbewerbsgründen mit anderen Wirtschaftsstandorten dieser Welt müssten aber Leistungstiefe und Finanzierung neu organisiert werden“.[33] Dieser Umbau der Sozialstaatlichkeit in Europa kann als Paradigmenwechsel deklariert werden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Prämisse von einem marktkorrigierenden zu einem aktivierenden Staat gewandelt hat[34] (siehe Kapitel 3).
Die Ökonomisierung, unter europäischer Perspektive betrachtet, ist ohne die Freizügigkeitsregelungen der Europäischen Union nicht zu verstehen. Durch die Dienstleistungsrichtlinie ist in Zukunft mit europäischen Konkurrenten auf den inländischen Sozialmärkten zu rechnen.[35]
3 Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialstaatlichkeit
3.1 Vom Wandel der Wohlfahrtsstaatlichkeit
Dahme und Wohlfahrt prognostisieren ein Ende des „goldenen Zeitalters“ des Wohlfahrtstaates[36] alter Prägung. Doch was ist ein „Wohlfahrtsstaat“ und welche Tendenzen zeigt die neue Sozialstaatskonzeption?
Grundsätzlich lassen sich zwei Strömungen zur normativen Begründung von Sozialpolitik in der wissenschaftlichen Literatur finden.
[...]
[1] vgl. Puch/Westermeyer 1999, S. 11 ff.
[2] In dieser Hausarbeit wird aus Gründen der Einfachheit die männliche Sprachform gewählt.
[3] vgl. König 2007, S. 14
[4] ebd., S. 14
[5] vgl. ebd., S. 14 f.
[6] Arnegger/Spatscheck 2008, S. 9
[7] vgl. Kessl 2005, S. 1118
[8] vgl. Erath 2006 und Staub-Bernasconi 2007
[9] vgl. Arnegger/Spatscheck 2008, S. 9 f.
[10] vgl. Kessl 2005, S. 1118 und Arnegger/Spatscheck 2008, S. 10
[11] vgl. Kessl 2005, S. 1118 und Arnegger/Spatscheck 2008, S. 10
[12] vgl. Kessl 2005, S. 1118 und Arnegger/Spatscheck 2008, S. 10
[13] vgl. Dederich 2005, S. 3
[14] vgl. Arnegger/Spatscheck 2008, S. 11
[15] Butterwege u. a. 2005, S.45
[16] vgl. Gaitanides 2000, S. 126
[17] vgl. Bundeszentrale für politische Bildung
[18] Arnegger/Spatscheck 2008, S. 11
[19] Wird auch als Freiburger Schule oder Ordoliberalismus bezeichnet.
[20] Bröckling u. a. 2000, S. 15
[21] vgl. Opielka 2008, S. 88
[22] vgl. Arnegger/Spatscheck 2008, S. 13
[23] vgl. International Federation of Social Workers (IFSW)
[24] vgl. Geißler 2006, S. 44 ff.
[25] Geißler 2006, S. 48 f.
[26] vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland
[27] vgl. Floren 2007, S. 47 ff.
[28] ebd., S. 73
[29] Gaitanides 2000, S. 126
[30] vgl. Pfaffenberger 2002, S. 82 ff.
[31] vgl. Giddens 2000
[32] vgl. Dahme/Wohlfahrt 2004, S. 24 ff.
[33] Dahme/Wohlfahrt, S. 2
[34] vgl. Dahme/Wohlfahrt 2004, S. 24 f.
[35] vgl. Gaitanides 2000, S. 126
[36] vgl. Dahme/Wohlfahrt, S. 1 In dieser Arbeit werden entsprechend dem internationalen Sprachgebrauch die Termini „Sozialstaat“ und „Wohlfahrtsstaat“ synonym gebraucht. Opielka hat zwar daraufhin gewiesen, dass hinter den Begriffen unterschiedliche Konzeptionen stehen, er verwendet sie in seiner wissenschaftlichen Arbeit aber ebenfalls synonym.
- Arbeit zitieren
- Diplom-Sozialarbeiter Dario Deloie (Autor:in), 2009, Zur Ökonomisierung des Sozialen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136947
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