Die Emanzipation des Theaters von der jahrhundertelangen Dominanz der dramatischen Literatur hatte eine Neubestimmung des Theaterregie Begriffs zur Folge und brachte infolgedessen eine ungeahnte Erweiterung der theatralen Ausdrucksmöglichkeiten in XX Jahrhundert mit. Unter Piscator transformierte sich die Theaterszene in eine echte politische Tribühne; das Theater in ein Parlament, und das Publikum in eine gesetzgebende Körperschaft. Film, Projektionen, laufendes Band, Etagen-, Globusbühnen, Drehscheiben und motorisierte Brücken waren seitdem nur die einzigartigen Regie-Mittel, die Piscator verwandte, um die unsichtbaren oder sichtbaren Zubringer und Veränderer der dramatischen Handlungsbilder zu schaffen. Auffälligerweise wurde Piscator immer wieder unter dem Gesichtspunkt eines Dualismus rezipiert: unter dem Aspekt seines politischen Weltbildes einerseits, und unter dem ästhetischen Aspekt der Einbeziehung technisch avancierter Medien in den Bühnenapparat andererseits. Zweifellos kreierte dieser `Kurzschluß` von Politik und Technik ein besonderes Regiestil, der eine ganz neue Ära im Theater begonnen hat.
"Kunst ist nicht Dunst, sondern dient der Klärung" 1
Erwin Piscator
1. Einleitung
Trotztdem verschiedenen Interpretationen und Polemiken kann man die Theaterregie sicherlich als die Kunst des XX-en Jahrhunderts bezeichnen. Das Phänomen der Theaterregie bedeutet ein Multi-Prozeß der integrativen Strukturierung eines Ganzes, verdeckt hinter den zahlmässigen Vorhängen. Das zeitgenössische deutschsprachige Theater ist in weiten Teilen durch die Suche nach neuen Formen von Theatralität gekennzeichnet, die sich nicht auf die illusionistische Repräsentation eines Abwesenden beschränken, noch den Spektakelcharakter der zunehmend theatralisierten Wirklichkeit reproduzieren. Um sein Zweck zu erreichen, benutzt heute der Regisseur im Theater verschiedene Mittel und Materialien. Die elementaren sind der Text und der Schauspieler, aber mit der Zeit ´kristallisierte` eine ganze Reihe von Mitteln, die ein Regisseur verwendet, um eine Ideevermittlung und Theaterillusion besser zu kreieren. Inwiefern wurde die `Liste` von Regie-Mitteln während der Periode des XXen Jahrhunderts erweitert, und wie hat dies die Funktion des Regisseurs im Theater beeinflußt, kann man am besten am Beispiel von Erwin Piscator betrachten. Er hat eine tiefe Spur in der Geschichte der Theaterkunst hinterlassen, und die Rolle des Regisseurs im Theater so transformiert, dass er vielleicht der einzige ist, der in einer Person alle Eigenschaften des idealen Regisseurs, die Craig deffinierte2, zusammengefügt hat. Erwin Piscator war Intendant, Regisseur, Schauspieler, Dramaturg, Filmemacher, Theaterpädagoge und Politiker in einem, und vorallem Erfinder, Experimentator und Avantgardist des Theater des XX Jahrhunderts. Mit seiner neuen Auffassung von Kunst, die nicht von der Politik zu trennen sei, und seinem Inszenierungsstil, der die Bühne technifizierte, indem er Filme, Projektionen und Metallkonstrukte auf die Bühne stellte und so die Prinzipien der menschlichen Bühnenkunst über Bord warf, revolutionierte er das bisherige Bühnengeschehen. Welche Motive hatte Piscator, diese Erweiterung von Ausdruckmöglichkeiten des Theater zu schaffen und wie hat das die traditionelle Rolle des Regisseurs im Theater beeinflußt, ist die Hauptfrage dieser Arbeit.
2. Theater - das moralische Anstalt
XX Jahrhundert bezeichnet das Ende der etwa 150jährigen Entwicklung des bürgerlichen Illusionstheaters. Da die ästhetisch-formalen Ausdrucksformen des Illusionstheater nicht mehr zeitgemäß zu sein schienen, wurde kurz nach 1900 eine Reihe von neuen Theaterkonzeptionen vorgelegt, die das traditionelle Illusionstheater ablösen sollten. Was sind die wichtigsten Theaterreformen des XXen Jahrhunderts? Zuerst die `künstlerische Interpretation` des Theaters. Das Theater ist nicht mehr eine reproduzierende, sondern eine eigenständige Kunst, und sollte von jetzt an vom Joch der Literatur befreit werden. Der Regisseur wurde `institutionalisiert` als schöpferischer Künstler, der allein seiner Inszenierung einen unverwechselbaren Charakter verleihet. Das Bühnenbild war keine Dekoration mehr, sondern ein eigenständiges Element und ein eigener Beitrag zu einer Inszenierung. Im neuen Theater sollte auch der `Interaktionsprozess` zwischen Akteuren und Zuschauern in den Vordergrund treten. Die Aufhebung der Rampe und der sogenannten `vierten Wand` wurde angestrebt. Um dieses Ziel zu erreichen und die Beschränkungen der Guckkastenbühne überwinden zu können, war eine neue Raumkonzeption des Theaters nötig und so wurden neue Bühnenformen erprobt. Um die Eigenständigkeit des Theaters als Kunst gewährleisten zu können, sollte sich das Theater auf seine eigenen künstlerischen Elemente besinnen und `eine eigene theatralische Sprache` schaffen.
In so einer Umgebung der allgegenwärtigen Reformen wurde die Idee des ` epischen Theaters ` geboren. Das epische Theater war ein Resultat der Teamarbeit, und das Verdienst an seiner Schöpfung kann man nicht nur Piscator zuschreiben. Wie Maria-Ley Piscator geschrieben hat: "The Epic thetre was born not in the poets minds but in the reality of the street fighting of Berlin in the twenties. It was not Socrates, Diderot, Schiller, nor even Marx, that created Epic Thetre; it was the whole generation of the twenties artists astride history, who created as a team, a great one that included Piscator, director, Brecht, the poet, George Grosz, Berlins Daumier, Walter Mehring the pamphleteer, Ernst Toller, the playwright, and Walter Gropius, the archictect." 3
Was bedeutete das epische Theater? Kurz gesagt war das eine neue Form des Theaterausdrucks, der dem Theater eine ganz neue und klare soziale Rolle gab - die Rolle des Erziehrs. "Die Rolle des Theaters ist nicht mehr die Unterhaltung4", sagte Piscator, "Die Rolle des Theaters ist: Kenntnis-Erkenntnis-Bekenntnis. Wir sollen das Theater wieder als `moralische Anstalt` verstehen! Wie Tolstoi sagt: Die Kunst hat nur dann Zweck, wenn sie zur Verbesserung des menschen beiträgt".5 Und gerade diese Ansicht hat Piscator als Theater-Inovator inauguriert. Um ein besserer Einfluss auf das Publikum zu machen, sollte das Theater desto suggestiv werden und gleichzeitig auf alle Sinne wirken. Das Theater sollte nicht unbedingt (oder überhaupt nicht) realistisch sein, sondern als "ganz bewußter Spiegel der Zei t" 6 scheinen. Die Handlung hatte keine lineare Struktur mehr, die das Theater von der Literatur ererbt hatte. Im Gegenteil sollte der Eindruck, den der Stück bot, mit den Eindrücke, die man in einer realen Umgebung bekommt, korrespondieren. Wie Piscator das erklärt: "Unser bewußter umfaßt viele Ideen und Fakten der Realität. Das ist die reininterpretierende Methode des epischen Theaters; es verbindet die zahlreichen Fäden des modernen Lebens zu einer Synthese zwischen dem privaten Drama des Menschen und der Welt, die es hervorruft oder bedingt." 7 Dabei war die Zerstörung der Aristotels Einheit von Zeit, Raum und Handlung, nur ein zierlicher Schaden; tatsächlich produzierte es eine willkommene Änderung, eine Verbreitung von einem Stil. Wie Piscator es formulierte: "Ich hatte nun die Möglichkeit, eine Art der Regie zu entwickeln, die Jahre später von anderer Seite als `episches Theater` proklamiert wurde. Worum handelte es sich? Kurz gesagt um die Ausweitung der Handlung und die Aufhellung ihrer Hintergründe, also eine Fortführung des Stückes über den Rahmen des nur Dramatischen hinaus. Aus dem Schau-Spiel entstand das Lehrstück. Daraus ergab sich ganz selbstverständlich die Verwendung von szenischen Mitteln aus Gebieten, die bisher dem Theater fremd waren" 8. So ist das epische Theater geboren, das das Publikum, wie zu denken lieber als zu fühlen, lehren sollte. Das epische Theater war in seiner Gesamtheit ein Experiment, ein Vorstoß in ein unbekanntes Gebiet. Es war ein Experiment in bezug auf das Publikum, das Drama, die Regie, und die technischen Mittel.
3. Regisseur -Monteur des Stoffes
Nach Boris Senker, die wichtigste Aufgabe des Regisseurs ist "die zerstreuten Brüche des großen Theaterspiegels seiner Zeit zu sammeln"9, sie mit einer vervormter Ordnung zusammenzulegen, und mit einem unteilbaren geistigen Gewebe zu verbinden. Nach Hagemann, "steht der Regisseur als Mittler zwischen Dichter und Schauspieler" 10, und nach Edward Craig ist der Regisseur "Meister in der Wissenschaft der Bühne" 11, dem den zentralen Platz in der Theaterkunst gehört. Im Gegensatz zur diesen Ansichten, wurde die Funktion des Regisseurs, wegen Piscator, in seinen Auseinandersetzungen mit dem Ideal-Autor in einer spezifischen Ausprägung modeliert: der Regisseur als Monteur des "Stoffes" 12. Das Schemata nach dem der Regisseur sein Kunstwerk kreierte, war mit der Idee des Stückes bestimmt. "Ein Mahler, ein Schriftsteller hat als Werkzeug Feder, Papier, Pinsel. Wir aber müssen bei unseren Intentionen davon ausgehen, dass man den Betrieb, den man überwinden will, als erste Voraussetzung seines Wirkens akzeptieren muß" 13, sagt Piscator. Anordnung, Formulierung und Konzentration des Stoffes, waren also die Hauptprobleme, denen sich der Regisseur gegenübersah. Zentral war hier die interaktive Selbstorganisation des Materials im Verlauf der Aufführung.
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1 E. Piscator, (1986): S.302, In dem Text Gespräch mit Erwin Piscator [1954]
2 Nach Edward Gordon Craig sollte ein idealer Regisseur "die wichtigste Gestalt in der ganzen Theaterwelt" sein: "einer, der zugleich ein Stück auswählt und es selbst inszenieren kann; der mit den Schauspielern probt und ihnen die Bedingungen jeder Bewegung, jeder Situation erklärt; der das Bühnenbild und die Kostüme entwirft und denen, die sie anfertigen, die notwendige Hinweise gibt; der mit den beleuchtern Zusammenarbeit und auch ihnen alles nötige erklärt. (Craig, Edward G [1905]: S. 25)
3 Piscator, Maria Ley (1970): S. 25
4 Piscator meinte, dass es zwei Formen des Theaters gibt: das moralisch-fordernde und das Unterhaltung - Theater. (Piscator, Erwin (1986): S.299 , In dem Text Gespräch mit Erwin Piscator, [1954]) Episches Theater sollte diesem ersten Zweck dienen, also zur einen edukativen Institution werden.
5 Piscator, Erwin (1986): S.301, In dem Text Gespräch mit Erwin Piscator [1954]
6 Piscator, Erwin (1968): S.33
7 Piscator, Erwin (1968): S. 142, In dem Text Das amerikanische Theater [1940]
8 E. Piscator, (1986): S.14, In dem Text Das politische Theater
9 Senker, Boris (2000): S.269
10 Hagemann, Carl (1925): 203
11 Craig, Edward G [1905], S.22
12 Amlung, Ulrich (Hg.), (1993): S.121
13 Piscator, Erwin (1968): S. 65, In dem Text ABC des Theaters. Ein Rundfunkgeschpräch zwischen Herbert Ihering und Erwin Piscator [1929]
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