Cooperatio ad malum

Inwieweit beteiligt sich die katholische Kirche am Bösen, wenn sie Beratungsscheine für eine mögliche Abtreibung ausstellt?


Diplomarbeit, 2008

75 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

I. Hintergrund und Realgeschichte der Abtreibungsproblematik
1.1 Rückblick auf die rechtliche Reglung bis
1.2 Rechtliche Regelungen zur Abtreibungspraxis in der BRD und DDR bis
1.2.1 Die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland
1.2.2 Die Gesetzgebung in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1990
1.2.3 Veränderungen aufgrund einer nötigen Vereinheitlichung des Strafrechts in Ost- und Westdeutschland
1.3 Aktuelle Gesetzeslage
2. Der Konflikt um die Schwangerenberatung innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz
2.1 Chronologischer Verlauf und Ursachen des Streites
2.1.1 Zeitraum bis 1995
2.1.2 Nach der Einführung der Fristenregelung
2.1.3 Die Antwort aus Rom
2.2 Der Streit unter den Bischöfen
2.2.1 Die Positionen um die Bischöfe Lehmann und Kamphaus
2.2.2 Die Position um die Bischöfe Meisner und Dyba
2.2.3 Intervention Roms
2.3 Die Reaktion der Öffentlichkeit
2.4 Inwiefern macht sich die katholische Kirche durch den Verbleib in der Schwangerenkonfliktberatung vom Staat abhängig?

II. Das Problem der ` cooperatio´
1. Begriffsgenese der cooperatio
1.1 Unterscheidung von cooperatio positiva und cooperatio negativa
1.2 Begriffsentfaltung der cooperatio: Unterscheidung von cooperatio formalis und cooperatio materialis
1.2.2 Begriffsdefinition der cooperatio nach Mausbach/Ermecke
1.3 Das Prinzip der `dazwischentretenden Handlung´
2.1 Anwendbarkeit der Mitwirkungslehre auf die Situation der Schwangerenkonfliktberatung
2.1.1 Handelt es sich bei einer Schwangerenkonfliktberatung um eine cooperatio formalis im Sinne der Enzyklika Evangelium Vitae Papst Johannes Pauls II
3.1.2 Robert Spaemanns Kritik an der Position von Johannes Reiter
3.1.3 Ergebnis der vergleichenden Analyse
3.1.4 Ausblick: Weg von der Konzentration auf den Beratungsschein zum flankierenden Beratungsprozess

III. Persönliches Fazit

IV. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beabsichtigt eine moraltheologische Beurteilung und Auseinandersetzung mit der Schwangerenkonfliktberatung in der Bundesrepublik Deutschland unter der Fragestellung: Beteiligt sich die katholische Kirche am Bösen, wenn sie in ihren Schwangerenberatungsstellen den Beratungsschein für eine mögliche Abtreibung ausstellt? Es ist nicht meine Absicht, tiefer auf den verfassungsrechtlichen Aspekt der gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch einzugehen, deshalb werde ich mich in dieser Hinsicht diesbezüglich auf die nötigsten Informationen beschränken. Die Urteile der gesetzgebenden Gewalt haben den Verlauf der Abtreibungspraxis begleitet und mit geprägt. Das Ergebnis der von den beiden höchsten staatlichen Gewalten getragenen Entwicklung des Schutzes ungeborenen Lebens ist ausgehend von dem im Grundgesetz verbrieften unveräußerlichen Recht jedes Menschen auf Leben (Art. 2, Abs. 2) das seit 1995 geltende Gesetz des §218, dass die Tötung menschlichen Lebens in den ersten zwölf Wochen seiner Existenz weitgehend freigegeben hat.

Dass der Schwangerschaftsabbruch in der christlichen Tradition als unzulässig gilt, ist unter den verschiedenen christlichen Konfessionen hier zu Lande unbestritten: Abtreibung ist und bleibt die moralisch nicht gedeckte Tötung eines ungeborenen Menschen. Papst Johannes Paul II. verurteilte dies in bis dato schärfster Form in der Enzyklika `Evangelium Vitae´: „Abtreibung […] sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. […] Es ist daher niemals erlaubt, sich einem in sich ungerechten Gesetz, wie jenem, das Abtreibung und Euthanasie zuläßt, anzupassen, weder durch Beteiligung an einer Meinungskampagne für ein solches Gesetz, noch dadurch, daß man bei einer Abstimmung dafür stimmt.“[1]

Der § 218b des Deutschen Strafgesetzbuches sieht im Schwangerenkonflikt die Verpflichtung zu einer auf die Erhaltung des Lebens abzielenden Beratung vor, sofern seitens der Frau eine Abtreibung gewünscht wird. In das Netz der Beratungsstellen sind neben staatlichen Stellen wie etwa `pro familia´ auch die kirchlichen Berater integriert. Dass sich aus dieser Situation moraltheologische Anfragen ergeben, liegt auf der Hand: Machen sich die Schwangerenkonflikt-beratungsstellen, insbesondere die der kirchlichen bzw. katholischen Beraterinnen und Berater, nicht an der Tötung eines ungeborenen Lebens mitschuldig, wenn sie den Beratungsschein ausstellen? Immerhin sind sie zur Beratung mit Scheinausstellung verpflichtet und dürfen diese nicht verweigern. Auf der einen Seite steht sicherlich das erklärte Ziel, durch die Teilnahme an der vorgesehenen Pflichtberatung Kinderleben zu retten und Frauen auf den Weg des Lebens statt des Todes zu helfen. Auf der der anderen Seite findet sich jedoch ein zunehmend wachsendes Unbehagen an der Legitimierungs-funktion, die diese Form der Beratung im Hinblick auf die durchgeführten Abtreibungen hat. Einen besonderen Stein des Anstoßes bildet die Ausstellung der Beratungsbescheinigungen, deren einzige Zweckbestimmung es ist, straffreie Abtreibung zu ermöglichen. Von den Gegnern der damaligen Praxis, also der Konfliktberatung mit Scheinausstellung, wird demgegenüber geltend gemacht, die Ausstellung der Scheine sei von den Seiten der Beraterinnen und Berater nur ein Mittel, das dem Zweck dient, Frauen dazu zu bewegen, sich beraten zu lassen.

Die Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch und die in diesem Kontext notwendige rechtliche Regelung durch den Gesetzgeber zeigt in besonders markanter, folgenschwerer und zugleich auch problematischer Weise, wie eng das Wirkungsgefüge zwischen Recht und Moral ist und wie schwierig es ist, beides miteinander in Einklang zu bringen. Schwierig nicht zuletzt, weil der gesellschaftliche Kontext, in dem sich Vorstellungen zu Recht und Moral formieren, überaus komplex ist und aufgrund seiner Vielgestaltigkeit eine für alle Seiten befriedigende Lösung gesellschaftlicher Konflikte kaum zu erwarten ist.

An dieser Stelle wird daher nicht das Grundsätzliche Für und Wider von Schwangerenkonfliktberatungen thematisiert, sondern vielmehr die Frage der moralischen Qualifikation des Beratungsscheines innerhalb der Struktur der Abtreibungsregelungen in Deutschland erörtert.

Das Kriterium für die angestrebte Beurteilung dieser moraltheologischen Problematik ist die Lehre der Kirche über die Mitwirkung an bösen Handlungen, wie sie die moraltheologische Tradition entwickelt und gelehrt hat und wie sie in der Enzyklika `Evangelium Vitae´ aus dem Jahre 1995 erneut bestätigt worden ist.

I. Hintergrund und Realgeschichte der Abtreibungsproblematik

1.1 Rückblick auf die rechtliche Reglung bis 1974

Als Folge der gesellschaftlichen Unbrüche, im Umfeld der Studentenunruhen von 1968, begann Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts der § 218 StGB zum Streitthema parlamentarischer und öffentlicher Debatten zu werden. Bis 1974 galt über 100 Jahre lang das weitgehend unveränderte Gesetz zum Verbot einer Abtreibung des Deutschen Reiches vom 15. Mai 1871. Dies geht in seiner Urform auf die Paragraphen 181 und 182 des preußischen Strafgesetzbuches vom 15. April 1851 zurück, welches zuvor dem Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1870 als Vorlage gedient hatte.[2][3] Bereits dieses Gesetzbuch des neu gegründeten Deutschen Reiches stufte Abtreibung als eine Straftat ein, für die der § 218 eine Strafe von bis zu fünf Jahren Zuchthaus vorsah.[4] Dies galt sowohl für die abtreibende Mutter als auch für die Person, die die Abtreibung durchgeführt hatte. Selbst bei Strafmilderung waren immer noch sechs Monate Gefängnis vorgesehen.

Es darf keinesfalls angenommen werden, dass in diesen 100 Jahren nicht über den § 218 diskutiert worden wäre, allerdings wurden in dieser Zeit lediglich zwei Aspekte in der Gesetzgebung verändert: zum einen das Strafmaß und zum anderen die Möglichkeit der medizinischen Indikation. Eine erste Gesetzesänderung verminderte 1926 die Strafandrohung für Abtreibung, die nun nicht mehr als `Verbrechen´, sondern als `Vergehen´ eingestuft wurde, auf Gefängnis von einem Tag bis fünf Jahren. Außerdem wurde die Möglichkeit eingeräumt, die Gefängnisstrafe durch eine Geldstrafe zu ersetzen.[5] Eine zweite, nationalsozialistische Gesetzesreform verschärfte am 18. März 1943 die Strafandrohung bis hin zur Todesstrafe für die abtreibende Person, wenn durch die Abtreibung die „Lebenskraft des deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt“[6] würde. Auf der anderen Seite wurde die Abtreibung bei einer nichtdeutschen Frau straffrei. Hier wird also deutlich, dass die Abtreibungsgesetzgebung der Nationalsozialisten keinesfalls dem Schutz von ungeborenen Leben diente, sondern vielmehr der Durchsetzung ihrer Rassenpolitik.

Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine Diskussion über eine medizinische Indikation. Sie gipfelte in einem Urteil des Reichsgerichts vom 11. März 1927, das eine Abtreibung im Falle einer anders nicht abwendbaren Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung für die Frau als `nicht rechtswidrig´ bezeichnete.[7] Diskussionen über eine kriminologische Indikation kamen sowohl während des Ersten Weltkrieges als auch verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Grund für diese Diskussionen waren die hohen Zahlen von Schwangerschaften nach Vergewaltigungen durch Besatzungssoldaten. Legislative Initiativen zur grundlegenden Änderung oder gar zur Aufhebung des § 218 gab es in der Zeit der Weimarer Republik mehrfach. Zumeist gingen sie von der SPD oder der KPD aus, führten jedoch zu keiner Änderung der Rechtslage.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es bei Ärzten, Juristen und Parteien weitere Diskussionen über den § 218: einerseits, weil regional unterschiedliche Rechtslagen bestanden,[8] andererseits wegen wiederholter Versuche, aufgrund von bestimmten Notlagen auch kriminologische oder soziale Indikationen als Legitimation für einen Abort anzuerkennen. Allerdings scheiterten alle diesbezüglichen Initiativen.[9] Gleichzeitig stieß das Thema in der Öffentlichkeit auf wenig Interesse, so dass ein politischer Handlungsdruck aus dieser Richtung ebenfalls nicht gegeben war.

Dies änderte sich schlagartig am 02. Juni 1971, als in Folge des liberaleren gesellschaftlichen Klimas nach 1968 die Illustrierte `Stern´ im Zuge der voranschreitenden Emanzipation einiger Frauenbewegungen eine Selbstbezichtigungskampagne initiierte, mit der darauf hingewiesen werden sollte, dass der Körper der Frau eben dieser gehöre und niemand anderes darüber verfügen könne.

Auf Initiative von Alice Schwarzer erklärten 374 Frauen, darunter viele prominente Schauspielerinnen wie Romy Schneider, Senta Berger und Sabine Sinjen, dass sie abgetrieben hätten. Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen ging es bei ihrer Initiative in keinster Weise um einen besseren Lebensschutz, sondern vielmehr um die ersatzlose Streichung des § 218, der nach Ansicht dieser Bewegung als ein Instrument der völligen Unterdrückung der Frau betrachtet würde.[10] Um die Öffentlichkeit für eine solche Kampagne zu interessieren, wurde ein Argumentationsmuster eingeführt, das in jenen Jahren in vielen westlichen Ländern zur Geltung kam: Die Anzahl der vermuteten oder behaupteten Abtreibungen wurde maßlos überhöht, ebenso die der Todesfälle, der Erkrankungen und Verletzungen aufgrund einer Abtreibung bei Kurpfuschern und Engelmachern. Die `Kriminalisierung´ der Abtreibung wurde als das eigentliche Problem benannt und die legale Abtreibung als Sozialleistung für alle Frauen zum Ziel erklärt.[11]

Diese Kampagne, die einem französischem Vorbild folgte und zahlreiche weitere Initiativen nach sich zog, rückte den § 218 wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses und damit auch in den Blickwinkel der SPD und FDP, die seit Oktober 1969 die Regierungskoalition bildeten. Bereits 1969 gab es im Deutschen Bundestag und insbesondere im Sonderausschuss für die Strafrechtsreform Diskussionen über eine Reform des § 218, in die sich 1970 auch eine Gruppe liberaler Strafrechtslehrer einschaltete. Diese Gruppe brachte einen Entwurf ein, der 1995 schließlich Gesetz wurde. In dem genannten Zeitraum hingegen fand diese Diskussion allerdings keinerlei Interesse. Man konnte jedoch bereits seinerzeit ahnen, dass dieser Alternativentwurf nicht bloß eine akademische Übung bleiben sollte.[12]

Die FDP machte sich in diesen Debatten von Anfang an für eine Fristenregelung[13] bei der Abtreibung stark. Im Sonderausschuss wurde noch 1972 ein entsprechender Entwurf von SPD- und FDP-Abgeordneten diskutiert, die geplante Regierungsvorlage sah allerdings weiterhin eine Indikationsregelung vor. Nach dem Wahlsieg der sozialliberalen Fraktion bei der Bundestagswahl am 19. November 1972 brachten die Regierungsparteien einen Fraktionsentwurf für eine Fristenregelung ein, während die ehemalige Regierungsvorlage, in der die Fristenregelung abgelehnt und eine Indikationsregelung anstrebte wurden, nur noch den Rang eines Gruppenantrags erhalten konnte. Diesen beiden Entwürfen wurden noch zwei weitere von der CDU/CSU beigefügt: ein Fraktionsantrag mit einer erweiterten Indikationsregelung und ein Gruppenantrag, der nur noch eine medizinische Indikation zulassen wollte.[14]

Im Plenum des Bundestages wurde anschließend über alle vier Anträge abgestimmt. Die beiden Gruppenanträge kamen auf die Plätze drei und vier, während die beiden Anträge mit der größten Stimmzahl zum Stichentscheid antreten mussten. Es setzte sich der Fristenreglungsantrag der Regierungsparteien mit 245 Stimmen gegen den Indikationsantrag mit 233 Stimmen durch. In der Schlussabstimmung am 26. April 1974 stimmten dann 247 Abgeordnete für die Fristenreglung und 233 dagegen.[15] Ein Teil der SPD-Abgeordneten, die zuvor gegen eine Fristenreglung gestimmt hatten, wollten in der Schlussabstimmung durch eine Stimmabgabe für die Fristenregelung oder durch eine Enthaltung eine Niederlage der Regierungskoalition verhindern. Die Regelung bedeutete nun, dass eine Abtreibung bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats straffrei blieb, wenn der Eingriff mit Einwilligung der Schwangeren und nach ärztlicher Beratung von einem Arzt durchgeführt wurde.

Die katholische Kirche und katholische Verbände starteten vor der Schlussabstimmung im Bundestag eine breit angelegte Kampagne gegen diese Änderungen des § 218, in deren Verlauf sie in Form von Protestkundgebungen und Positionspapieren auf eine Unzulässigkeit der Fristenreglung und auf die Schutzpflicht des Staates für menschliches Leben hinwiesen. So demonstrierten beispielsweise mit 35.000 Teilnehmern die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände Deutschlands in Gegenwart verschiedener Bischöfe, darunter der Kardinäle Döpfner und Höffner, am 29. September 1973 auf dem Bonner Marktplatz für das Recht auf Leben, gegen die Pläne einer Fristenregelung und damit gegen den „drohenden Verlust der gemeinsamen Überzeugungen in Grundfragen unseres Lebens und Zusammenlebens.“[16] Katholische Philosophen und Theologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftler, Mediziner und Juristen stimmten zusammen mit den Bischöfen in der Kritik an den Entwürfen der sozialliberalen Koalition zur Reform des § 218 insofern überein, als sie davor warnten, dass der Rechtsstaat mit der Lockerung des Tötungsverbotes eine zentrale Legitimitätsbedingung einer rechtsstaatlichen Demokratie auch in einer pluralistischen Gesellschaft in Frage stelle, insofern ging es hierbei also nicht um eine Verteidigung einer speziell christlichen Grundeinstellung.[17]

1.2 Rechtliche Regelungen zur Abtreibungspraxis in der BRD und DDR bis 1992

1.2.1 Die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland

Die vom Deutschen Bundestag beschlossene Reform des § 218 sah vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch, solange er von einer schwangeren Frau gewollt und von einem Arzt durchgeführt wird, nach § 218a nicht strafbar ist, wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.[18] Weiterhin besagte § 218b, dass ein Schwangerschaftsabbruch im Falle einer medizinischen Indikation straffrei ist und im Falle einer eugenischen Indikation bis zur 22. Woche ohne strafrechtliche Folgen bleibt.[19] Die Paragraphen 218c und 219 sahen Strafen für den Arzt, der den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, vor, wenn Verstöße gegen die zuerst genannten Paragraphen 218a und b bestanden. Die Schwangere, an der die Abtreibung vorgenommen wurde, blieb jedoch in jedem Fall straffrei.[20] Mit § 218c wurde zum ersten Mal eine Beratungspflicht vor einer Abtreibung eingeführt. Der Arzt durfte demnach eine Abtreibung nur dann durchführen, wenn die Schwangere zuvor im Zuge eines Beratungsgespräches in einer hierzu ermächtigten Beratungsstelle über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder unterrichtet wurde. Ziel einer solchen Beratungspflicht sollte ein verbesserter Lebensschutz auf der einen Seite sowie eine Senkung der Zahl der Abtreibungen auf der anderen Seite sein.

Nachdem Bundespräsident Gustav Heinemann am 18. Juni1974 das Gesetz unterzeichnet hatte, legte die Landesregierung des Landes Baden-Württemberg am 20. Juni desselben Jahres beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor, um das Inkrafttreten des Gesetzes bis zu einer Entscheidung in einem verfassungsgerichtlichen Normenkontroll-verfahren zu verhindern. Dieses Verfahren war am 21. Juni 1974 von Mitgliedern der CDU/CSU Fraktion eingeleitet worden, um zu prüfen, ob die Fristenregelung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.[21] vereinbar sei. Am 21. Juni wurde dem Antrag auf einstweilige Verfügung, die das Inkrafttreten der Fristenregelung des § 218a verhinderte, vom Bundesverfassungsgericht stattgegeben. Es handelte sich hier jedoch nur um eine Anordnung, die das Inkrafttreten der Fristenregelung verhinderte. Die Indikationsregelungen des § 218b traten jedoch in Kraft und wurden zusätzlich noch um die kriminologische Indikation ergänzt.

Nach einigen mündlichen Verhandlungen im November 1974 verkündete das Bundesverfassungsgericht am 25. Februar 1975 sein Urteil: Paragraph 218a StGB ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG insofern unvereinbar und somit nichtig, als er den Schwangerschaftsabbruch auch dann von der Strafbarkeit ausnimmt, wenn keine Gründe vorliegen, die vor der Wertordnung des Grundgesetzes bestand haben.[22]

Das Bundesverfassungsgericht veröffentlichte sein Urteil in sechs Leitsätzen:

1. Im Mutterleib entstehendes Leben steht als selbstständiges Rechtsgut unter dem Schutz des Staates. Der Staat hat eine grundsätzliche Schutzpflicht gegenüber dem menschlichen Leben.
2. Die Verpflichtung des Staates zu einer grundsätzlichen Schutzpflicht besteht auch gegenüber der Mutter.
3. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt während der gesamten Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter und darf nicht für eine bestimmte Frist infrage gestellt werden.
4. Der Gesetzgeber kann die grundsätzlich gebotene rechtliche Missbilligung des Schwangerschaftsabbruches auch anders zum Ausdruck bringen als durch das Mittel der Strafandrohung (d.h. dem Strafrecht). Es kommt nicht auf die Art und Weise, sondern vielmehr auf die Wirksamkeit des tatsächlichen Schutzes an[23].
5. Eine Fortsetzung der Schwangerschaft ist unzumutbar, wenn der Abbruch erforderlich ist, um eine Gefahr für das Leben oder eine ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigung der Schwangeren abzuwenden (medizinische Indikation). Der Gesetzgeber ist frei, andere außergewöhnliche Belastungen zu definieren, die einen Abbruch legalisieren. [Mit dieser Klausel wollte das Bundesverfassungsgericht m.E. offenbar dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer Einführung der sozialen Indikation einräumen.]
6. Fazit: Das Gesetz wird dem Lebensschutz nicht gerecht und darf nicht in Kraft treten.[24]

Weiterhin besagt dieses Urteil, dass es sich bei einem Schwangerschafts-abbruch um eine Tötung handelt. Keine rechtliche Regelung kann in irgendeiner Form an der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundsätzlichen Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens vorbeikommen, da man dadurch gegen eben diese Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit verstoßen würde. Deshalb ist der Einsatz des Strafrechtes zur Abwendung von Abtreibungshandlungen ohne jeden Zweifel legitim.[25]

Wie im vierten Leitsatz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts deutlich wird, besteht die Aussage darin, dass der Gesetzgeber auch auf andere Art und Weise als durch konkrete Strafandrohung seine rechtliche Missbilligung zum Ausdruck bringen kann. Auf genau diese Bemerkung wurde 18 Jahre später bei einem zweiten Urteil über den § 218 des Bundesverfassungsgerichtes zurückgegriffen, um den Paradigmenwechsel von der strafrechtlichen Sanktion zum `Beratungskonzept´ zu rechtfertigen.

Von den katholischen Bischöfen wurde das Urteil des Bundesverfassungs-gerichtes von 1975 sehr begrüßt - nicht nur, weil es die Fristenregelung als verfassungswidrig erklärte, sondern auch, weil dem Gesetzgeber seine Verantwortung gegenüber fundamentalen sittlichen Wertvorstellungen in Erinnerung gerufen wurde und weil es mehrfach eindringlich die besondere Verpflichtung des Staates betonte, Konflikte und Nöte, die zur Abtreibung führen können, durch Beratung und soziale Hilfe zu vermeiden oder zu überwinden.[26] Aus diesen Gründen wurde das Problem der `sozialen Indikation´ auf kirchlicher Seite als gelöst erachtet. So äußerte sich der ständige Rat der deutschen Bischofskonferenz folgendermaßen: „Der Hinweis auf soziale Probleme, die mit einer Schwangerschaft verbunden sein können, darf bei dem Entwicklungsstand unserer Gesellschaft überhaupt keine Berechtigung haben. Niemals darf der Staat die Tötung eines ungeborenen Kindes aus sozialen Gründen zulassen. Gerade heute sind Staat und Gesellschaft mehr als je zuvor verpflichtet und auch in der Lage, sich all der Fälle anzunehmen und wirksame Hilfe zu leisten, in denen Frauen in einer Notlage sich mit dem Gedanken tragen, das ungeborene Leben zu vernichten. Ein Staat, der vor sozialen Schwierigkeiten und Notlagen kapituliert, hört auf, ein Sozialstaat zu sein.“[27]

Aufgrund des Urteils durch das Bundesverfassungsgericht war der Gesetzgeber nun gezwungen, einen neuen Anlauf zur Reform des § 218 zu unternehmen. Diesmal verlief die Diskussion reibungsloser als 1974. Am 12. Februar 1976 verabschiedete der Bundestag das 15. Strafrechtsänderungsgesetz, mit dem die Indikationsregelung eingeführt wurde. Nach Einspruch des von der CDU/CSU Fraktion dominierten Bundesrates und dessen Zurückweisung durch den Bundestag am 6. Mai 1976 wurde das Gesetz am 18. Mai 1976 vom Bundespräsidenten unterzeichnet, trat am 22. Juni desselben Jahres in Kraft und behielt seine Gültigkeit bis 1993.[28] Der neue § 218 sah für Abtreibung eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor, in gesonderten Fällen aber auch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, jedoch lediglich für denjenigen, der die Abtreibung durchgeführt hatte. Die Schwangere selbst blieb nach § 218 Abs.3Satz2 straffrei, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung durch einen Arzt innerhalb der ersten zweiundzwanzig Wochen nach der Empfängnis vorgenommen wurde. Abtreibung blieb allerdings auch in diesen Fällen rechtswidrig, wurde jedoch nicht bestraft.

Die Indikationenregelung sah vor, dass bei einer medizinischen, eugenischen und kriminologischen Indikation keinerlei Strafandrohung zu folgen hatte. Begünstigt wurde diese neue Regelung durch eine vorausgegangene Sozialversicherungsnovelle, mit der die bei einer Abtreibung aufkommenden Kosten für entsprechende medizinische Leistungen von den Krankenkassen zu erstatten waren.

In § 218b wurde die Pflichtberatung geregelt, die nötig war, um einen Schwangerschaftsbruch straffrei durchführen zu können. So musste die Schwangere sich nach Abs. 1 mindestens drei Tage vor dem Eingriff über soziale Hilfen, die eine Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtern sollten, sowie über medizinisch bedeutsame Gesichtspunkte einer Abtreibung beraten lassen. Beide Beratungen konnten von einem Arzt durchgeführt werden, doch durfte es sich nicht um denselben handeln, der auch die Abtreibung durchführen würde.[29]

Dass das eigentlich angestrebte Ziel, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern und die Zahl der Abtreibungen zu senken, nicht erreicht wurde, konnte man bereits Ende der 70er Jahre erkennen. Die Zahl der Abtreibungen stieg rasant an, die Notlagenindikation diente als universale Legitimation für die meisten Abtreibungswünsche und die Finanzierung durch die Krankenkassen erzeugte das Bewusstsein, es gäbe ein natürliches Recht auf Abtreibung.

In den zirka 20 Jahren danach versuchte die katholische und evangelische Kirche immer wieder, auf die Missstände der Indikationsregelung aufmerksam zu machen, jedoch erfolglos. Während des Bundestagswahlkampfs 1983 wurden zwar immer wieder Versprechungen gemacht, sich dieses Themas anzunehmen, aber faktisch geschah kaum etwas. Auch die vereinzelten Bemühungen innerhalb des Bundestages scheiterten.[30]

1.2.2 Die Gesetzgebung in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1990

In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) entwickelte sich der Verlauf der Abtreibungsgesetzgebung etwas anders. Die Volkskammer verabschiedete am 9. März 1972 ein Gesetz zur `Unterbrechung der Schwangerschaft´, das nicht nur eine Fristenregelung enthielt, sondern auch ein Recht auf Abtreibung für jede Frau. Die Abtreibung wurde so[31] als eine mögliche Methode der Empfängnisverhütung proklamiert. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass bereits sieben Jahre vor der Verabschiedung dieses Gesetzes die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches in der DDR erleichtert wurde. Zwar geschah dies nicht wie in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur durch eine Strafrechtsreform, sondern durch ministerielle Anweisungen an die Gesundheitsbehörden, Abtreibungen zu genehmigen und durchzuführen.[32] Begründet wurde dieses Gesetz mit dem Aspekt der `Gleichberechtigung´. Die Frau solle frei entscheiden, wann sie ein Kind austragen wollte und wann sie es vorzog, sich in den kollektiven Abtreibungsvollzug einzubinden.

In § 1 wurde das Recht auf Abtreibung noch einmal unterstrichen: „Zur Bestimmung der Anzahl, des Zeitpunktes und der zeitlichen Aufeinanderfolge von Geburten wird der Frau zusätzlich zu den bestehenden Möglichkeiten der Empfängnisverhütung das Recht übertragen, über die Unterbrechung einer Schwangerschaft in eigener Verantwortung zu entscheiden.“[33] Innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis konnte somit in einer geburtshelferisch-gynäkologischen Einrichtung ein Abbruch der Schwangerschaft durchgeführt werden. Der die Abtreibung durchführende Arzt war lediglich dazu verpflichtet, die Schwangere über die medizinische Bedeutung des Eingriffs aufzuklären und über weitere Schwangerschaftsverhütende Methoden sowie deren Anwendung zu beraten. Eine Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche benötigte eine medizinische Indikation oder das Vorliegen anderer schwerwiegender Umstände, die von einer Kommission von Fachärzten zu diagnostizieren und zu beurteilen waren. Als einen schwerwiegenden Grund nannte eine Durchführungsverordnung vom 9. März 1972 in § 5 Abs. 3 eine dauernde, erhebliche physische und psychische Belastung der Frau.

Diese Aufhebung des Tötungsverbotes führte zu rund 90.000 Abtreibungen im Jahr, was im Angesicht der wesentlich geringeren Einwohnerzahl der DDR im Vergleich zur BRD eine bemerkenswert hohe Zahl war.

1.2.3 Veränderungen aufgrund einer nötigen Vereinheitlichung des Strafrechts in Ost- und Westdeutschland

Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten trat die Notwendigkeit auf, das in Ostdeutschland durch eine Fristenregelung und Westdeutschland durch eine Indikationsregelung unterschiedlich geregelte Abtreibungsstrafrecht zu vereinheitlichen. Da sich die Parlamentarier jedoch zunächst nicht über eine Neuregelung verständigen konnte, einigte man sich zunächst darauf, dass es eine bis zum 31. Dezember 1992 befristete Fortgeltung der wesentlichen Bestimmungen der Fristenregelung auf dem Gebiet der nunmehr ehemaligen DDR geben sollte, während in den westlichen Bundesländern die Indikationsregelung von 1976 bestehen blieb.[34] Dem gesamtdeutschen Gesetzgeber war es nun aufgetragen, eine Neuregelung des § 218 zu finden, die „die den Schutz des ungeborenen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung und soziale Hilfe, besser gewährleistet, als dies bis zu diesem Zeitpunkt in beiden Teilen der Bundesrepublik der Fall ist.“[35] Auf Drängen der FDP wurde während der Übergangszeit der Abtreibungsregelung anstelle des Wohnortprinzips das Tatortprinzip eingeführt. Das heißt, dass nicht mehr das Recht des Wohnortes der Schwangeren, sondern vielmehr das Recht des Tatortes, an dem der Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wurde, galt. Das wiederum bedeutete, dass abtreibungswillige Frauen aus Westdeutschland einem eventuell vorliegenden Straftatbestand entgehen konnten, wenn sie sich zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ostdeutschland begaben.

Diese Tatsache drängte um so mehr zu einer schnellen Lösung. Ein erster Beschluss des Bundestages ging am 26. Juni 1992 folgendermaßen aus: Nach § 218a Abs. 1 ist ein Schwangerschaftsabbruch dann `nicht rechtswidrig´, wenn erstens die Schwangere nach einem Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 3 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, hier handelt es sich um die Tatsache der Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktsituation. Zweitens ist vonnöten, dass der Schwangerschafts-abbruch von einem Arzt vorgenommen wird. Und drittens dürfen seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein.

Das Inkrafttreten dieses Gesetzes wurde jedoch aufgrund eines Antrages der Bayrischen Landesregierung sowie von 249 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages beim Bundesverfassungsgericht am 4. August 1992 zunächst verhindert.[36] Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes am 28. Mai 1993 verwarf wesentliche Teile des Gesetzes als verfassungs-widrig. Das Gericht unterstrich das Lebensrecht des ungeborenen Kindes, das auf gar keinen Fall, auch nicht für kurze Zeit, der Mutter überantwortet werden dürfe. Dadurch wurde, wie bereits in dem Urteil von 1975, die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Kind betont.[37] Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes hinderte das Gericht jedoch nicht daran, die Fristen-regelung zu akzeptieren und als verfassungskonform zu bezeichnen.

Das Urteil des Verfassungsgerichts bedeutet letztlich nur dass eine Abtreibung nicht als `nicht rechtswidrig´ bezeichnet werden dürfe.[38] Damit ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, so das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Leitsatz 11, ein Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens zu wählen, welches in der Frühphase der Schwangerschaft bei Konfliktsituationen den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, damit auf eine indikationsbestimmte Strafandrohung und die Feststellung von Indiaktionstatbeständen durch einen Dritten verzichtet werden kann.[39] Das Beratungskonzept lebt laut Bundesverfassungsgericht somit von der Hoffnung, die abtreibungswillige oder zur Abtreibung gedrängte Schwangere durch eine Beratung zum Austragen des Kindes zu bewegen. Ernst-Wolfgang Böckenförde bezeichnete diese Abtreibungsmöglichkeiten in seinem Sondervotum zum Verfassungsgerichts-urteil als „beratene Abbrüche“.[40] Damit macht Böckenförde deutlich, dass der bisher rechtswidrige Schwangerschaftsabbruch, unter den genannten Vorraussetzungen zu einer erlaubten Handlung wird.

Mit diesem Urteil von 1993 setzte das Bundesverfassungsgericht das Beratungsmodell de jure bereits in Kraft. Gemäß § 35 des Bundesverfassungsgerichtsgesetz, der dem Gericht die Kompetenz einräumt, durch Vollstreckungsanordnungen als Ersatzgesetzgeber zu fungieren, ordnete das Gericht an, dass das seit dem Erlass der einstweiligen Anordnung vom 4. August 1992 geltende Recht bis zum 15. Juni 1993 anwendbar bleibe und im Anschluss daran das Beratungsmodell bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung vorab Gesetzeskraft erhalte.

Mit diesem Urteil erhielt der Beratungsschein endgültig seine tragende Rolle im Rechtskonstrukt der straffreien Abtreibung und wurde somit zu einem maßgeblichen Problem für die Kirchen, die sich im Rahmen dieses Beratungssystems ebenfalls zugunsten des werdenden Lebens engagieren wollten.[41]

1.3 Aktuelle Gesetzeslage

Das daraufhin vom Gesetzgeber verabschiedete Schwangeren- und Hilfeänderungsgesetz vom 21. August 1995 hält am Wechsel vom Indikationsmodell zur Fristenregelung mit Beratungspflicht fest, der bereits durch das Gesetz von 1992 vorgegeben und vom Bundesverfassungsgericht als „grundgesetzlich“[42] bezeichnet wurde. Mit dieser Positionierung verband sich die Idee, das ungeborene Leben durch Beratung bei gleichzeitiger Straffreiheit der Abtreibung besser schützen zu können als durch die Androhung von strafrechtlichen Sanktionen gegen die Schwangere und den abtreibenden Arzt im Falle einer Abtreibung.

Das geltende Gesetz ist jedoch eine nicht leicht zu durchschaubare Mischung aus Verbot und Erlaubnis des Schwangerschaftsabbruchs. In § 218 wird die Abtreibung verboten, in § 128a wird sie dann, wenn auch nicht formell, so doch im Endergebnis, erlaubt, indem erklärt wird: „[…] der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach §219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.“[43]

[...]


[1] Enzyklika `Evangelium Vitae´ , Nr. 73.

[2] Als Grundlage für die Darstellung der Realgeschichte der Abtreibungsproblematik verwende ich ein Werk von Manfred Spieker. Dieses Werk schlüsselt meiner Meinung nach die Geschichte dieser Problematik sehr gut und relativ wertneutral auf.

[3] Spieker, Manfred: Kirche und Abtreibung in Deutschland. Ursachen und Verlauf eines Konflikts. Paderborn u.a. : Schöningh, 2000. 16. [=Spieker 2000]

[4] Vgl. Spieker 2000, 16.

[5] Vgl. Spieker 2000, 16.

[6] Spieker 2000, 16.

[7] Vgl. Spieker 2000, 17.

[8] Auch bei der medizinischen Indikation gab es regional unterschiedliche – engere oder weitere – Verfahren.

[9] Vgl. Spieker 2000, 17.

[10] Vgl. Spieker 2000, 20.

[11] Vgl. Spieker 2000, 20.

[12] Vgl. Spieker 2000, 21.

[13] „Fristenregelung“ bedeutet, dass eine Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleiben sollte.

[14] Vgl. Spieker 2000, 22.

[15] Vgl. Spieker 2000, 22.

[16] Spieker 2000, 28.

[17] Vgl. Spieker 2000, 28.

[18] Vgl. Spieker 2000, 28.

[19] Vgl. Spieker 2000, 28.

[20] Vgl. Spieker 2000, 28.

[21] Jeder hat ein Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit

[22] Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975.

[23] Meiner Meinung nach ist bisher ein effizienter Lebensschutz, der das eigentliche Ziel darstellt, nicht erreicht worden, wie die hohen Abtreibungszahlen zeigen. So ist die Möglichkeit von Alternativen zu prüfen, die unter Umständen dem Lebensschutz besser gerecht werden.

[24] Vgl. Spieker 2000, 30.

[25] Vgl. Spieker 2000, 31.

[26] Vgl. Spieker 2000, 33.

[27] Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur Neuregelung des § 218 vom 26.01.1976, Sonderdruck, 5f.

[28] Vgl. Spieker 2000, 33.

[29] Vgl. Spieker 2000, 34.

[30] Vgl. Spieker 2000, 34-52.

[31] Wie in vielen Teilen Osteuropas.

[32] Vgl. Spieker 2000, 61.

[33] Spieker 2000, 61.

[34] Vgl. Spieker 2000, 63.

[35] Einigungsvertrag vom 31. August 1990, Art. 31 Abs. 4.

[36] Vgl. Spieker 2000, 71.

[37] Vgl. Spieker, 2000, 75.

[38] BVerfGe 88, 204 Leitsatz 11.

[39] BVerfGe 88, 204 Leitsatz 11.

[40] BVerfGe 88, 359ff.

[41] Vgl. Spieker 2000, 81.

[42] Vgl.: Spieker 2000, 92.

[43] § 218 StGB.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Cooperatio ad malum
Untertitel
Inwieweit beteiligt sich die katholische Kirche am Bösen, wenn sie Beratungsscheine für eine mögliche Abtreibung ausstellt?
Hochschule
Universität Paderborn  (Theologische Fakultät )
Veranstaltung
Moraltheologie
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
75
Katalognummer
V136809
ISBN (eBook)
9783640439447
ISBN (Buch)
9783640439348
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cooperatio, Inwieweit, Kirche, Bösen, Beratungsscheine, Abtreibung
Arbeit zitieren
Dipl. theol. Christian Oppermann (Autor:in), 2008, Cooperatio ad malum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136809

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