Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie IS-RückkehrerInnen bestmöglich wieder in Deutschland resozialisiert und integriert werden können. Dabei wird besonders auf die Problematik für zurückgekehrte Frauen und ihre Kinder eingegangen, da diese den Großteil der IS-RückkehrerInnen ausmachen.
Deradikalisieren und Resozialisieren: Perspektiven für IS-Rückkehrerinne n
Samet Er
Welche Personen sind gemeint, wenn wir über Rückkehrer*innen sprechen?
Aus Deutschland sind seit 2013 mehr als 1070 (vgl. Drucksache 19/26668) in Deutschland sozialisierte Personen in Kriegsgebiete ausgereist. Von diesen sind nach Angaben von Sicherheitsbehörden bis dato etwa ein Drittel zurückgekehrt (Handle et al 2019, S. 3; vgl. Drucksache 19/26668). Insgesamt ein Viertel aller ausgereisten Personen sind Frauen (vgl. Drucksache 19/20201, S. 2). Seit der Zerschlagung des Herrschaftsgebietes des sogenannten Islamischen Staates (IS) 2019 und 2020 warten die Ausreiser*innen, die in den Vorjahren nicht eigenständig zurückkehrten, in irakischen und syrischen Gefangenenlagern auf ihre Rückkehr nach Deutschland. Das betrifft insbesondere Frauen und ihre Kinder, von denen sich schätzungsweise noch 130 in den Camps befinden (Drucksache 19/22195, S. 5). In unregelmäßigen Abständen werden kleinere Gruppen, oder Einzelpersonen jedoch auch in komplexen Operationen nach Deutschland zurückgeholt, wie etwa im Dezember 2020, als drei Frauen und ihre zwölf Kinder und weitere Waisen am Frankfurter Flughafen ankamen (vgl. Deutsche Welle 20.12.2020). Bislang geschieht das meist jedoch nur in der Folge juristischen Drucks durch in Deutschland verbliebene Angehörige, die die zuständigen Behörden durch Klagen zu Rückholungen verpflichten (vgl. v.d. Heide / Mascolo 2019).
Peresin und Pisiou (2017, S. 2) unterscheiden zwischen drei Kategorien von Rückkehrer*innenbewegungen (vgl. Handle et al. 2019, S. 5). Die erste davon, die sich in den Jahren 2013/14 zugetragen habe, fand bereits nach kurzem Aufenthalt im Kriegsgebiet statt. Die Betroffenen reisten zwar hochmotiviert in die Kampfgebiete aus, waren nach ihrer Ankunft aber enttäuscht, da die ihnen zuvor gegebenen „Versprechungen“ nicht eingehalten wurden, so dass sie desillusioniert zurückkamen. Die zweite Bewegung vollzog sich in den Folgejahren 2015/16 aus unterschiedlichen Beweggründen. Dazu zählten beispielsweise der Alltag im Krieg oder familiäre bzw. gesundheitliche Herausforderungen, die das Leben in dem Kriegsgebiet erschwerten . Die Rückkehr dieser Personen fand unter ungleich schwierigeren Umständen statt als noch 2013/14. Die Betroffenen nutzten vor allem Fluchtrouten nach Europa, und das in den meisten Fällen zu Fuß. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich darunter auch Personen befanden, die sich, ähnlich den Terroristen der Anschlagsreihe in Paris im November 2015, mit der Absicht, Anschläge in Deutschland zu verüben, auf den Weg machten. Die dritte Bewegung ist auf den Zerfall und die militärische Niederlage des sogenannten „Islamischen Staates“ zurückzuführen. Sie hat 2017 begonnen und dauert immer noch an. Noch spricht sich die ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) gegen Sammelrückholungen aus. Von dieser Seite heißt es, dass jeder Fall einzeln geprüft werden solle (vgl. Zeit Online, 20.02.2019; Drucksache 19/13991, S. 2f.). Zugleich stelle bereits eine Rückkehr einer zweistelligen Zahl an Rückkehrer*innen und ihren Kindern eine justizielle und sicherheitspolitische Herausforderung dar (vgl. Moldenhauer 2018). Dazu kämen weitere Herausforderungen wie das Fehlen eines Auslieferungsabkommens mit Irak/Syrien oder einer konsularischen Betreuung in Syrien (vgl. Dantschke et al. 2018, S. 10). Aus diesem Grund ist es bislang erst zu einer sukzessiven Zurückholung von insgesamt 101 Frauen und Männern und 150 Kindern (Stand: 9. März 2021) gekommen (vgl. Koller 2021; Drucksache 19/26668; Drucksache 19/13991).
Während bezüglich der ersten freiwilligen Rückkehrer*innen in vielen Fällen keine belastbaren Informationen und „Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden“ dahingehend vorlagen (Verfassungsschutz 2020), dass es sich bei ihnen um „aktive und ehemalige Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen gemäß §§ 129a und 129b StGB (wie dem sogenannten Islamischen Staat)“ handelte, hat sich dies nach dem Zerfall des IS geändert: Für 26 Personen aus diesem Segment liegt ein deutscher Haftbefehl vor (vgl. DW 15.11.2019). Alle Rückkehrer*innen haben mit einem Ermittlungsverfahren zu rechnen, sofern konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat bzw. Beteiligung an einer solchen vorliegen (vgl. Drucksache 19/13991, S. 10f.; Drucksache 19/20201, S. 3ff.).
Ausreisemotivation und Gefahrenpotenzial
Es habe sich gezeigt, dass es „oft schwierig ist, im Konfliktgebiet begangene Straftaten in einer Qualität nachzuweisen, die den Standards der Strafprozessordnung genügen“ (vgl. Merz 2017, S. 1). In der Tat ist es aber so, dass eine starke Tendenz vorhanden ist, Rückkehrer*innen aus Kriegsgebieten pauschal zu beschuldigen. Ihnen wird vorgeworfen, sich an Kampfhandlungen beteiligt oder ein Ausbildungslager besucht zu haben, auch wenn weder bei der Ausreise noch zum Zeitpunkt der Rückkehr eine bestimmte Motivation nachzuweisen ist. Peter Neumann sah bereits 2015 von den Rückkehrer*innen eine große Gefahr ausgehen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz 2015, S. 188). Er schätzte zum damaligen Zeitpunkt bereits, dass „einer von neun Rückkehrern terroristisch aktiv wird“. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bezeichnete noch während seiner Amtszeit in einem Interview die Kinder von IS-Rückkehrer*innen als „lebende Zeitbomben“ (Die Presse 31.01.2018). Alt-Innenminister Thomas de Maizière merkte nach einem Anschlag an, dass die Gefahr von Attentaten durch Rückkehrer*innen eine „tödliche Realität“ darstelle (vgl. Drucksache 18/2383). Diese teils provokativen Aussagen suggerieren, dass von allen Zurückkehrenden und sogar deren Kindern ein potenzielles Risiko für Deutschland ausgehe.
Prinzipiell ist jedoch von einer heterogenen Zusammensetzung der Rückkehrer*innen auszugehen, wie auch der Bericht „Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind“ erkennen lässt, der gemeinsam von Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Hessischem Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) erstellt wurde.1 In der Studie werden deskriptive und vergleichende Datenauswertungen vollzogen, in der u. a. die Straftaten, die Radikalisierungsfaktoren bzw. der Zeitpunkt, die Dauer und die Anzeichen für die Radikalisierung erhoben wurden (vgl. BKA/BfV/HKE 2016, S. 12-31). Nach dem Ausruf des „Kalifats“ im Jahre 2014 sollen nach Erkenntnissen der Autor*innen 34 Prozent der Ausreisenden Frauen gewesen sein. Hierbei fällt auf, dass ausgereiste Frauen durchschnittlich um drei Jahre jünger waren als Männer (23,5 Jahre gegenüber 26,5 Jahren). Darüber hinaus befanden sich unter den ausgereisten Frauen auch Minderjährige (13 Prozent gegenüber 6 Prozent) (BKA/BfV/HKE 2016, S. 38ff.). Weiterhin nennt die Studie erhebliche Unterschiede in der Sozialisation zwischen den ausgereisten Frauen und Männern. So sollen etwa 22 Prozent der Männer in der Frühphase ihrer Radikalisierung an Koran-Verteilaktionen und 23 Prozent an einschlägigen „Islam-Seminaren“ beteiligt gewesen sein. Bei den Frauen waren es nur 4 bzw. 8 Prozent. Zudem hätten mehr als die Hälfte der Männer die Beteiligung an Kampfhandlungen als Ausreisemotiv genannt, wobei bei den Mädchen und Frauen hingegen eher die Sehnsucht nach einer anderen/neuen islamischen Gesellschaftsordnung bzw. das Heiratsmotiv eine Rolle spielte (vgl. BKA/BfV/HKE 2016, S. 40f.). Nicht wenige sind zudem ausgereist, um ihre Freunde/Ehemänner zu unterstützen (75 Prozent). Ansonsten betrug bei 60 Prozent der ausgereisten Frauen die Zeitspanne zwischen Erstkontakt und erstmaliger Ausreise ins Kampfgebiet weniger als zwölf Monate (vgl. BKA/BfV/HKE 2016, S. 44).
Aus den bisherigen Arbeiten zum Themenfeld Rückkehrer*innen können vier Kategorien abgeleitet werden, die basierend auf Dantschke et. al (2018, S. 37; Logvinov 2017, S. 29; Violence Prevention Network (Hrsg.) 2019, S. 5, 11 ff.; Peresin und Pisoiu 2017, S. 28, definiert wurden:
a) die Hochideologisierten, die trotz ihrer Rückkehr weiterhin überzeugt sind vom „Islamischen Staat“ und sehr wahrscheinlich wieder den Weg in das salafistische Spektrum antreten werden, bzw. nahtlos daran anknüpften. Frauen aus dieser Kategorie waren bereits vor ihrer Ausreise aus Deutschland häufig als aktive Mitglieder an gezielten Rekrutierungen beteiligt.
b) die Unentschiedenen, die sich eher aus gruppendynamischen Gründen ausgereist sind, und sich aber nicht explizit vom „Islamischen Staat“ distanziert haben. Sie sind verwirrt und desillusioniert, so dass ihr Leben nach der Rückkehr von Orientierungslosigkeit und starkem Misstrauen geprägt ist.
c) die Hochtraumatisierten, die durch den Krieg einen psychischen und gesundheitlichen Schaden genommen haben; ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist erst einmal mit gesellschaftlichen Herausforderungen verknüpft. Die drei Kategorien werden zwar vermutlich auch unter psychischen Folgen zu leiden haben. Der Unterschied hier ist allerdings, dass die Traumatisierung einen lebensdefinierenden Faktor ausmachen wird.
d) die Verzweifelten, die sich zwar komplett von der Ideologie des IS distanziert haben und sich auch kritisch damit und ihrer eigenen Rolle und Handlungen auseinandersetzen, allerdings in ihrem Reflexionsprozess noch unspezifisch und unsicher sind.
Differenzierte Bewertung der Rolle von Frauen: Nicht nur Opfer, nicht nur Täterin
Mit dem Beginn der dritten Rückkehrer-Bewegung und der Ankündigung der Türkei im November 2019, erste mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz IS nach Deutschland abzuschieben (vgl. Euronews 11.11.2019), hat das Phänomen der Rückkehrer*innen eine neue (politische) Qualität angenommen. Seit diesem Zeitpunkt kommen nicht mehr vorwiegend Männer zurück nach Deutschland, sondern auch Frauen und Kinder, die entweder von ihren Eltern mitgeführt oder erst vor Ort geboren wurden (vgl. ebda.: 12.02.2020). Die Anzahl der ausgereisten Frauen und Kinder wird auf 400 bis 500 Personen geschätzt, allein 200-300 davon waren Kinder (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2019; Handle et al. 2019). Immer noch befinden sich Rückkehrwillige (62 Frauen und 47 Männer und Kinder) (Drucksache 19/22195, S. 5) in kurdischer oder irakischer Gefangenschaft oder in Abschiebegewahrsam in der Türkei bzw. in Griechenland (vgl. Deutscher Bundestag (Wissenschaftliche Dienste) 2017: 3). Die Altersspanne dieser Personengruppe liegt zwischen 13 und 62 Jahren, wobei der überwiegende Teil zwischen 18 und 25 Jahre alt ist (vgl. BKA/BfV/HKE 2016, S. 12; Drucksache 19/13991, S. 1).
Die IS-Rückkehrerinnen stehen, wie alle anderen Rückkehrer auch, im Fokus von polizeilichen und justiziellen Ermittlungen. Augenscheinlich wird im Diskurs durch Sicherheitsbehörden und Medien angenommen, dass eine längere Verweildauer auch die stärkere Verbundenheit zum IS bedeute. Doch v.a. in Bezug auf die Frauen könnte diese Grundannahme zu voreilig sein. Frauen im Herrschaftsgebiet des IS waren in totalitäre Zwangsstrukturen eingebunden, die es selbst Fluchtwilligen enorm erschwerten, sich (und ihre Kinder) vom IS zu lösen. So war es Frauen beispielsweise kaum möglich, ohne Begleitung das Haus zu verlassen, ein Fluchtversuch bedeutete immer ein enormes Risiko für das eigene Leben und das der Kinder. Hinzu kommt ihre vorbestimmte Rolle im Bereich der Fürsorge und Erziehung der Kinder, welche die Flucht aus dem IS-Gebiet noch zusätzlich erschwerte (vgl. BKA/BfV/HKE 2016, S. 43). Eine differenziertere Betrachtung des vermeintlichen Kausalzusammenhangs „lange Verweildauer gleich hohe Unterstützung“, ist also besonders hinsichtlich der Frauen wünschenswert.
Das soll jedoch nicht bedeuten, dass viele Frauen das System des IS nicht auch tatkräftig unterstützten und es weiterhin tun. Denn es ist bewiesen, dass Frauen durch direkte oder indirekte Unterstützung zu den Taten des IS beigetragen haben. Sie übernahmen organisatorische Aufgaben, etwa im Rahmen der „Al-Khansaa Brigade“ als „Sittenpolizei“, wobei Gewalt bei der Durchsetzung von Vorschriften und Gesetzen eine zentrale Rolle spielte (vgl. Handle et al. 2019, S. 4). Zudem wirkten sie in den sozialen Medien aktiv mit, um weitere Frauen, oft auch minderjährige Mädchen, vom IS und einer Ausreise zu überzeugen (vgl. Röhmel 2019). Somit ging ihre Rolle erheblich über das „Mutter-Sein“ hinaus (vgl. Handle et al. 2019, S. 4). Im Rahmen der Strafprozesse der letzten Jahre kristallisierte sich entsprechend heraus, dass auch Frauen „aktiv in das System der IS-Terrormiliz eingebunden waren, sodass in Sicherheitskreisen davor gewarnt wird, die von diesen Frauen ausgehende Gefahr zu unterschätzen.“ (Bewarder 2019: siehe auch: Drucksache 19/20201, S. 2). Es wird deutlich, dass weder eine Generalisierung der weiblichen Opferrolle, noch der Täterinnenschaft den komplexen Rollen vieler Frauen im Rahmen des IS gerecht werden.
Rückholung als gesetzliche Pflicht?
Die Tatsache, dass Frauen auch Täterinnen sind, ist jedoch kein ausreichender Rechtsgrund, um ihnen von vornherein die Rückreise nach Deutschland zu verwehren. Es gilt das allgemeine Prinzip, dass deutsche Staatsbürger zurückgeholt werden müssen. Auch das Oberverwaltungsgericht in Berlin-Brandenburg hat in einem Beschluss vom 06.11.2019 entschieden, dass Familien einen Anspruch auf Rückkehr nach Deutschland haben, wenn keine konkrete Gefahr von ihnen ausgehe (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.11.2019 - OVG 10 S 43.19). Eine allfällige strafrechtliche Verfolgung wegen möglicher strafbarer Handlungen sei die Sache der Justiz. Trotz einer drohenden Inhaftierung in Deutschland bemühte sich die Mehrheit der betroffenen Personen zudem, wieder ins Land zurückzukehren (vgl. ARD 05.09.2019; Verfassungsschutz 2020).
Die Gefangenenlanger wie das in Al-Hol sind Krisengebiete im Krisengebiet. Die dort herrschenden Zustände machen es den Frauen und vor allem den Kindern unmöglich, zur Ruhe zu kommen und sich gut zu entwickeln (vgl. Redaktion Infodienst Radikalisierungsprävention 2020). Nachweislich mangelt es an gesunder Nahrung, sauberem Wasser, medizinischer Versorgung, Zugang zu Bildung und einem sicheren Wohnumfeld. Je länger Kinder unter solchen Umständen leben müssen, desto größer wird die Herausforderung, sie irgendwann in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können. Expert*innen wie Koller kommen zum Schluss, dass ohne eine formelle Anklage und rechtlichen Beistand das Festhalten der Rückkehrwilligen in Al-Hol ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht und internationale Menschenrechtspakte ist (vgl. Koller 2021).
Kinder im IS: Krieg als Normalität - neue Heimat in Deutschland
Vor allem Kinder sind primär als Opfer zu betrachten, die unverschuldet in diese Situation hereingezogen bzw. hineingeboren wurden. Sie sind Opfer der Entscheidungen ihrer Eltern und stellen eine besonders schutzbedürftige Gruppe dar.
Die Bundesrepublik Deutschland hat als eines von wenigen Ländern bereits seit 2019 mehrere Kinder und Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit aus den Lagern in Syrien zurückgeholt (vgl. Koller 2021). Wenn gleich diese Rückholungen gegen den ursprünglichen Widerstand der Behörden aufgrund von Gerichtsbeschlüssen umgesetzt wurden, zeigt sich hieran, dass „Rückführungen aus Nordsyrien trotz allem auch praktisch möglich sind“, so dass es auch keinen praktischen Grund gibt, dies länger hinauszuzögern (vgl. Koller 2021). Die Rückholung sei somit, so Koller (2021), keine rechtliche oder logistische Frage, sondern eine Frage des politischen Willens. Die bisher erfolgten Rückführungen von IS-Anhängerinnen und ihren Kindern vergegenwärtige zudem, dass auch konsularische „Hindernisse“ überwunden werden können (vgl. Spiegel 16.01.2020; Zeit Online 22.11.2019; Der Tagesspiegel 31.10.2019; Tagesschau 19.12.2020; 19/26668, S. 1).
Während bereits viele rechtliche und ethische Fragen hinsichtlich der Weigerung, Erwachsene aus den Lagern zurückzuholen zu stellen sein werden, so stellen sich diese Fragen umso dringlicher in Bezug auf die Kinder und deren physische und psychische Verfasstheit nach Jahren, manchmal sogar dem Ganzen, oder einem großen Teil ihres Lebens im Krieg und später in Lagern. Die Zeit im sogenannten IS wurde damit zur einzigen Sozialisationserfahrung dieser Kinder, obgleich damit nicht gemeint ist, dass es als „Normalität“ anzusehen ist. Gleichsam könnte dieser Alltag und der zukünftige Aufenthalt in Deutschland sie mehrfach überfordern. Aktuell ist von einer dreistelligen Zahl Minderjähriger auszugehen, die sich noch in der Krisenregion oder in der Türkei befinden. Die zukünftige Identitätsfindung bei diesen Minderjährigen wird eine große Herausforderung für die pädagogische Arbeit darstellen. Der Kontakt zu ihren Müttern sollte jedoch nicht unbedacht unterbrochen werden, da dies zu einer weiteren erheblichen psychischen Belastung führen könnte (vgl. Peresin und Pisiou 2017, S. 10). Wie immer in solchen Fällen, müssen komplexe Einzelfallanalysen durchgeführt werden, um die richtigen Maßnahmen zu Gunsten ihres körperlichen, psychischen und emotionalen Wohls zu treffen.
[...]
1 Ein Zugriff auf die Studien aus dem Jahr 2014 und 2015 ist über die folgenden Links möglich:
2014, 2015. Auch eine Fortschreibung vom Jahr 2019 ist vorhanden.
- Quote paper
- Samet Er (Author), 2022, Deradikalisieren und Resozialisieren. Perspektiven für IS-RückkehrerInnen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1367783
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.