Der männliche Anteil an Grundschullehrenden in Deutschland sinkt kontinuierlich. Um klassische Rollenbilder abzubauen, ist die ausgeglichene Geschlechtsverteilung im Berufsfeld dennoch wichtig. Da die Berufswahl, die akademische Leistung sowie die Geschlechtsrollenorientierung insbesondere von dem akademischen Selbstkonzept abhängen ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, den Einfluss des akademischen Selbstkonzeptes von Männern im Grundschulehramtsstudium zu untersuchen. Diesbezüglich wurden die Fragen, ob männliche Studierende mit einem höheren akademischen Selbstkonzept ebenfalls eine bessere akademische Leistung und eine geringere Geschlechtsrollenorientierung zeigen, operationalisiert. Zudem wurde das akademische Selbstkonzept der männlichen und weiblichen Stichprobe miteinander verglichen.
Dafür wurden 79 Masterstudierende (13 Männer, 66 Frauen, Durchschnittsalter: 23.65, SD = .37) des Studiengangs Grundschullehramt der Universität Erfurt mittels des Onlinedienstes "SoSci Survey" befragt. Das akademische Selbstkonzept wurde anhand des Selbstbeurteilungsfragebogens zur Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L) überprüft. Der German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ) ermittelte die Geschlechtsrollenorientierung. Anschließend konnten die Daten mit der Statistiksoftware "IBM SPSS Statistics" analysiert und ausgewertet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Das akademische Selbstkonzept
2.1.1 Die zwei Komponenten des Selbst
2.1.2 Das akademische Selbstkonzept im Zusammenhang mit der Leistung
2.1.3 Das geschlechtsbezogene akademische Selbstkonzept im Lehramt
2.2 Die Geschlechtsrollenorientierung im Lehramt
2.2.1 Das instrumentelle (maskuline) und expressive (feminine) Selbstkonzept und ihre Bedeutung für die Geschlechtsrollenforschung
2.2.2 Die traditionellen Geschlechtsrollen und ihr Einfluss auf den Lehrberuf
2.2.3 Männermangel an Grundschulen
3. Zielsetzung der Studie
3.1 Forschungsfragen und Hypothesen
4. Methodik
4.1 Studienplan
4.2 Stichprobenbeschreibung
4.3 Durchführung
4.4 Material und Instrumente
4.4.1 Fragebogen zur Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L)
4.4.2 German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ)
4.5 Das Vorgehen der Datenanalyse
5. Ergebnisse und Interpretation
5.1 Der Zusammenhang zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der akademischen Leistung
5.2 Der Geschlechtervergleich des akademischen Selbstkonzeptes
5.3 Der Zusammenhang zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der Geschlechtsrollenorientierung
5.4 Zusammenfassung
6. Diskussion und Limitation
6.1 Diskussion
6.2 Limitation
7. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang A - Statistische Auswertung
Anhang B - Fragebogenauszug (Abbildung 1 bis Abbildung 10)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Datenschutzerklärung
Abbildung 2 Angabe personenbezogener Daten
Abbildung 3 Erster Fragebogen: Fragebogen zur Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L)
Abbildung 4 Zweiter Fragebogen: Fragebogen zur Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA)
Abbildung 5 Dritter Fragebogen: German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ)
Abbildung 6 Vierter Fragebogen: Normative Geschlechtsrollenorientierung: Entwicklung und Validierung eines Fragebogens
Abbildung 7 Angabe des Geschlechts
Abbildung 8 Angaben zum Beginn des Studiums und zum Berufswunsch der Lehrkraft
Abbildung 9 Text zur Auflösung des Studienthemas
Abbildung 10 Abschlussseite
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Der Zusammenhang zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der akademischen Leistung
Tabelle 2 Die Gruppenstatistik für das akademische Selbstkonzept
Tabelle 3 Der Zusammenhang zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der Geschlechtsrollenorientierung
Tabelle 4 Prozentualer Anteil der Merkmale der Teilnehmenden
Tabelle 5 Test auf Normalverteilung nach Shapiro-Wilk
Tabelle 6 Item-Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) des Fragebogens zur Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L)
Tabelle 7 Item-Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) des German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ)
Tabelle 8 Effektgrößen bei unabhängigen Stichproben
Tabelle 9 Gewichtete Gruppenstatistik für das akademische Selbstkonzept
Tabelle 10 Gewichtete Effektgrößen bei unabhängigen Stichproben
Abstract
Einleitung:Der männliche Anteil an Grundschullehrenden in Deutschland sinkt kontinuierlich (Stuve & Rieske, 2018). Um klassische Rollenbilder abzubauen, ist die ausgeglichene Geschlechtsverteilung im Berufsfeld dennoch wichtig (ebd.). Da die Berufswahl, die akademische Leistung sowie die Geschlechtsrollenorientierung insbesondere von dem akademischen Selbstkonzept abhängen (Elsholz, 2018; Thaller, 2009; Vincent & Janneck, 2012) ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, den Einfluss des akademischen Selbstkonzeptes von Männern im Grundschulehramtsstudium zu untersuchen. Diesbezüglich wurden die Fragen, ob männliche Studierende mit einem höheren akademischen Selbstkonzept ebenfalls eine bessere akademische Leistung und eine geringere Geschlechtsrollenorientierung zeigen, operationalisiert. Zudem wurde das akademische Selbstkonzept der männlichen und weiblichen Stichprobe miteinander verglichen.
Methode: Dafür wurden 79 Masterstudierende (13 Männer, 66 Frauen, Durchschnittsalter: 23.65, SD = .37) des Studiengangs Grundschullehramt der Universität Erfurt mittels des Onlinedienstes „SoSci Survey“ befragt. Das akademische Selbstkonzept wurde anhand des Selbstbeurteilungsfragebogens zur Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L) überprüft. Der German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ) ermittelte die Geschlechtsrollenorientierung . Anschließend konnten die Daten mit der Statistiksoftware „IBM SPSS Statistics“ analysiert und ausgewertet werden.
Ergebnisse: Die Ergebnisse der Korrelationen zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der Note sowie dem akademischen Selbstkonzept und der Geschlechtsrollenorientierung zeigen keine signifikanten Zusammenhänge. Ebenfalls konnte keine Signifikanz im geschlechtsspezifischen Mittelwertvergleich gefunden werden. Überdies lässt sich ein statistisch geringer negativer Zusammenhang von Männern im akademischen Selbstkonzept und der akademischen Leistung sowie der Geschlechtsrollenorientierung feststellen. Der Mittelwertvergleich lässt aufhöhere Werte für das weibliche Geschlecht schließen.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem akademischen Selbstkonzept, der akademischen Leistung und der Geschlechtsrollenorientierung. Somit kann davon ausgegangen werden, dass ein erhöhtes Selbstkonzept nicht als Indikator für gute Noten sowie eine geringe Geschlechtsrollenorientierung dient. Die gewonnenen Erkenntnisse erweitern die unzureichend erforschte Studienlage und hinterfragen die Bedeutung des akademischen Selbstkonzeptes.
Zukünftige Studien sollten den Stichprobenumfang erweitern und eine differenziertere Auswirkung des akademischen Selbstkonzeptes auf die Leistung und die Geschlechtsrollenorientierung als Ziel aufweisen. Dadurch lassen sich mögliche UrsacheWirkungsbeziehungen evaluieren und die Ausprägungen deutschlandweit vergleichen.
Schlüsselwörter: Akademisches Selbstkonzept, akademische Leistung, Geschlechtsrollenorientierung, männliche Grundschullehramtsstudierende
Introduction: The male proportion of primary school teachers in Germany is continuously decreasing (Stuve & Rieske, 2018). To dismantle classic role models, the balanced gender distribution in the professional field is important (ibid.). Because the career choice, academic performance and gender role orientation are particularly dependent on academic self-concept (Elsholz, 2018; Thaller, 2009), this paper aims to investigate the influence of men's academic self-concepts in elementary education. In this regard, the question of whether male students with higher academic self-concept also show better academic performance and lower gender role orientation was operationalized. In addition, the academic self-c oncept of the male and female samples was compared.
Methods: 79 master students (13 males, 66 females, mean age: 23.65, SD = .37) of the elementary school teaching program at the University of Erfurt were interviewed using the online service "SoSci Survey". Academic self-c oncept was assessed using the Erfassung berufsbezogener Selbstkonzepte von angehenden Lehrkräften (ERBSE-L. The German Extended Personal Attributes Questionnaire (GEPAQ) determined gender role orientation. Subsequently, the data could be analyzed and evaluated with the statistical software "IBM SPSS Statistics".
Results: The results of the correlations between academic self-concept and grade and academic self-concept and gender role orientation showed no significant correlations. Likewise, no significance was found in the gender-specific mean comparison. Moreover, a statistically small negative correlation betweenmales in academic self-concept and academic performance as well as gender role orientation can be found. The mean comparison suggests higher scores for the female gender.
Discussion: The results show no significant correlations between academic self-c oncept, academic performance, and gender role orientation. Thus, it can be assumed that elevated selfconcept does not serve as an indicator of good grades as well as low gender role orientation. The findings extend the under-researched body of studies and question the significance of academic self-concept. Future studies should expand the sample size and have a more nuanced effect of academic self-concept on achievement and gender role orientation as a target. This will allow to evaluate possible cause-effect relationships and compare expressions across Germany.
Keywords: academic self-concept, academic achievement, gender role orientation, male elementary school student teachers
1. Einleitung
Die Thematik des Männeranteils an Grundschulen ist bereits seit Beginn der klassischen Frauenförderung Thema der Wissenschaft und des öffentlichen Diskurses (Stuve & Rieske, 2018).Mit diesem Paradigmenwechsel und der rapiden Abnahme des männlichen Anteils an Grundschulehrkräften in Deutschland, wurden Männer erstmalig explizit Zielgruppe der Gleichstellungspolitik (ebd.). Seit dem Jahr 1960 ist die Männerquote an Grundschulen von 50 % auf 12 % gesunken (Stuve & Rieske, 2018; Hastedt & Lange, 2012). Dies wirft die Vermutung auf, dass je jünger die Kinder sind, desto höher der Frauenanteil in elementarpädagogischen Einrichtungen und Schulen (Ludwig, 2019). Das Unterrichten in der Primarstufe wird schon lange als typischer Frauenberuf kategorisiert, in welchemMänner als das unterrepräsentierte Geschlecht gelten (Stuve & Rieske, 2018).Esistnicht selten, dass keine oder nur sehr wenige männliche Lehrende an deutschen Grundschulen unterrichten. Das Fehlen der männlichen Identifikationsfiguren führt wiederrum dazu, dass Heranwachsende in Primarschulen, die klassischen Rollenbilder verfestigen (ebd.). Somit bezeichnensich Mädchen bereits im Kindesalter als verständnisvoll, zart und gefühlsbetont (Stuve & Rieske, 2018; Spence et al., 1974). Dahingegen schreiben sich Jungen öfter typisch männliche Charaktereigenschaften wie Selbstsicherheit, Durchsetzungsvermögen oder Überlegenheit zu (ebd.). Da die Bewertung der Persönlichkeitseigenschaften für gewöhnlich mit der Geschlechtsrollenorientierungen und den geschlechtsspezifischen Normen eines Individuums einhergehen, wollen Mädchen ebenfalls häufig Lehrerinnen werden, wohingegen Jungen die Arbeit in einem pädagogischen oder sozialen Beruf vermehrt ablehnen (Thomas, 2013).
Obwohl Grundschullehrer als aussterbende Gruppe gelten, entscheiden sich immer mehr Männer für die Arbeit in dem Gymnasiallehramt (Elsholz, 2018). Diese höchst aktuelle Verschiebung wirft die Frage nach den Gründen der Abnahme auf. Die Beweggründe für die Wahl von Männern in dieser mittlerweile unkonventionellen Domäne werden in der vorliegenden Studie mittels des individuellen akademischen Selbstkonzeptesergründet.Da das akademische Selbstkonzept die Berufswahl ausschlaggebend beeinflusst,führt ein besonders hohes Selbstkonzept zu einem Anstieg der akademischen Leistung (ebd.). Ob sich dieses Phänomen auch bei Grundschullehramtsstudierenden zeigt, soll im Folgenden geprüft werden. Inwiefern die Geschlechtsrollenorientierung bei männlichen Lehramtsstudierende ausgeprägt ist und welchen Einfluss sie auf das akademische Selbstkonzept ausübt, wird ebenfalls thematisiert. Da es sich bei diesem Forschungsfeld um ein bislang selten erforschtes Gebietin Hinblick auf das akademische Selbstkonzept handelt, ermöglicht die vorliegende Arbeit die Überprüfung der bereits bestehenden Ergebnisse und leistet einen zusätzlichen Beitrag zur Klärung des widersprüchlichen und teilweise lückenhaften Forschungsstandes.
1.1 Aufbau der Arbeit
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wird der theoretische Hintergrund in Anbetracht der Variablen akademisches Selbstkonzept, akademische Leistung und Geschlechtsrollenorientierung erläutert. Hierbei wird explizit auf die drei unterschiedlichen Themenfelder eingegangen und diese von ähnlichen Begrifflichkeiten abgetrennt und definiert. Des Weiteren werden auf Basis bereits publizierter Studien Gemeinsamkeiten zwischen den drei Themengebieten vorgestellt. Darauf aufbauend werden die aktuelle Relevanz, die Zielsetzung und die drei zu prüfenden Forschungshypothesen inklusive Fragestellungen dargelegt. Anschließend ermöglicht die Beschreibung des methodischen Vorgehens eine schlüssige Gesamtbetrachtung. Diese involviert den Studienplan, die Stichprobenbeschreibung, die Durchführung, die Materialien und Instrumente sowie den Vorgang der Datenanalyse. Inwiefern sich die aufgestellten Hypothesen mithilfe der Studie verifizieren oder falsifizieren lassen, wird in der Auswertung der Ergebnisse kritisch begutachtet.Die Zusammenfassung der Ergebnisse führen zur Diskussion und der Limitation. Abschließend werden in dem Fazit und dem Ausblick die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit dargelegt und Empfehlungen für anknüpfende Studien gegeben.
2. Theoretischer Hintergrund
Dass eine gute akademische Leistung und ein hohes akademisches Selbstkonzept miteinander einhergehen, konnte bereits mehrfach im schulischen Kontext nachgewiesen werden (Elsholz, 2019; Hattie & Handford, 1982; Hitzkirch, 2011; Jonberg et al., 2021; Kessels, 2012; Köller et al., 2006; Möller & Köller, 2009; Okan, 2013; Zeins, 2006). Zudem ist bekannt, dass die Geschlechtsrolle bei der Berufsfindung einen entscheidenden Einfluss ausübt und die Wahl häufig auf eine Tätigkeit in die geschlechtstypische Domäne fällt (Buchmann & Kriesi, 2012; Busch, 2013; Leitner, 2001; Mehr, 2022; Thaller, 2009). Wie sich das akademische Selbstkonzept, die akademische Leistung und die Geschlechtsrollenorientierung allerdings in einem geschlechtsuntypischen Studiengang wie dem Grundschullehramt auf das männliche Geschlecht auswirken, wirft noch Ungewissheit auf. Aufgrund des gegenwärtigen und noch unzureichend erforschten Themenfelds sowie des geringen und stetig fallenden Männeranteils an Grundschullehrern (Stuve & Rieske, 2018; Hastedt & Lange, 2012), widmet sich die vorliegende Arbeit dieser Thematik. Diesbezüglich soll zunächst ein fundierter Überblick der bisherigen Forschung, in Bezug auf das akademische Selbstkonzept, die Leistung und die Geschlechtsrollenorientierung erfolgen. Es werden Grundlagen vorgestellt und Begrifflichkeiten definiert.
2.1 Das akademische Selbstkonzept
Das einführende Kapitel widmet sich zunächst dem Selbst und grenzt die beiden Komponenten Selbstkonzept und Selbstwert voneinander ab. Dies legt den Grundstein für das darauf aufbauende Konstrukt des akademischen Selbstkonzeptes. Zusätzlich soll die Verknüpfung mit dem berufsbezogenen Selbstkonzept und der Leistung einen differenzierteren Einblick in die Thematik liefern.
2.1.1 Die zwei Komponenten des Selbst
Zu Beginn der akademischen Psychologie und gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückte der Begriff Selbst(-Konzept) insbesondere durch den Begründer William James und seine Revisionisten Charles H. Cooley (1902) und George H. Mead (1934), zum ersten Mal in den Vordergrund (Elsholz, 2019). Da mit dem Begriff eine große Heterogenität an Definitionen und theoretischen Konstrukten einhergehen, welche zum Teil unpräzise sind und je nach Forschung variieren, erfolgt zunächst eine Begriffsbestimmung des Begriffs Selbst.
Das Selbst („self“) ist ein psychologischer Prozess, der die subjektive Sichtweise einer Person ermöglicht (Thaller, 2012). Diese Ansichten werden aufgrund von kognitiven-, Aufmerksamkeits- und Steuerungsprozessen sowie durch die Interaktion mit der sozialen Umwelt beeinflusst (ebd.). Bei dem Selbstbildnis handelt es sich um die intrapersonalen und interpersonalen Prozesse (Elsholz, 2019). Diese beiden Sichtweisen werden als Selbstwahrnehmungen und Fremdwahrnehmungen bezeichnet und ändern das Selbst in Abhängigkeit des Gegenübers (ebd.). Dies verdeutlicht, dass das Selbst kein einheitliches Konstrukt darstellt (Thaller, 2012). Es ermöglicht die Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion, welche dazu dienen ein Selbstbild zu entwickeln (Leary & Tangney, 2003, zitiert nach Thaller, 2012). Im Allgemeinen lässt sich das Selbst in zwei Komponenten untergliedern, „zum einen in eine kognitiv-deskriptive Komponente (das Selbstkonzept) und zum anderen in eine affektiv-evaluative Komponente (den Selbstwert)“ (Thomson et al., 2018, S. 93).
Da in der Wissenschaft das Selbst als Konzept der eigenen Person verstanden wird, lässt sich die kognitiv-deskriptive Komponente in diesem Sinne als Selbstkonzept („self concept“) betitelten (Thaller, 2012). Insbesondere die beiden Wissenschaftler, Richard J. Shavelson und Herbert W. Marsh begannen auf den Theorien ihrer Vorgänger/-innen aufzubauen und das Konzept zu erforschen (Mummendey, 1995, zitiert nach Thaller, 2012). Shavelson definiert das Selbstkonzept, welches häufig mit Selbstidentität, Selbsttheorie, Selbstbild oder Selbstwahrnehmung gleichgesetzt wird (Bryne, 1996, zitiert nach Randhawa, 2012), wie folgt: „In very broad terms, self-concept is a person's perception of himself“ (Shavelson et al., 1976, zitiert nach Langenkamp, 2018, S. 12). Insofern handelt es sich bei dem allgemeinen Selbstkonzept im weitesten Sinne um die individuelle Selbstwahrnehmung (ebd.).
Die mentale Repräsentation des Jeweiligen besteht aus einer Fülle an Selbstbeschreibungen, die das subjektive Wissen ausmachen (Thaller, 2012). Diese verfügbaren, selbstbezogenen Informationen können, neben physischen und psychischen Merkmalen, auch Kenntnisse über Eigenschaften, Fähigkeiten, Interessen und Gewohnheiten, Wissen über gegenwärtige, biografische und zukünftige Selbstzuschreibungen beinhalten (Thaller, 2012; Sieverding & Alfermann, 1992). Zudem konnte bereits belegt werden, dass das Verhalten, aufgrund von erworbenen sozialen Vorstellungen, Einschätzungen, Zuschreibungen, Bewertungen und die Interpretationen von wichtigen Bezugspersonen geprägt wird (Shavelson 1976, zitiert nach Marsh, 1986). Bei der Interaktion mit der Umwelt werden außerdem bestimmte Standards vermittelt, wie sich eine Person bestimmten Geschlechts zu verhalten hat(Leary & Tangney, 2003, zitiert nach Thaller, 2012). Diese geschlechtsbezogenen Aspekte haben wiederum Einfluss auf das allgemeine (Geschlechtsrollen-) Selbstkonzept einer Person (Leary & Tangney, 2003, zitiert nach Thaller, 2012; Sieverding & Alfermann, 1992). Hinsichtlich der erfahrungsbasierten Kette aus Wahrnehmungs- und Handlungsprozessen, kann das facettenreiche, globale Selbstkonzept ebenfalls als konstruiertes Selbstschema verstanden werden (Markus & Wurf, 1987, zitiert nach Elsholz, 2019). Selbstkonzepte dienen als elementare Gefüge bei der Bildung der Identität und sind aufgrund von Erfahrungen zwar dynamisch und situationsabhängig, besitzen im Allgemeinem jedoch einen stabilen Kern (Elsholz, 2019; Filipp 2005,zitiert nach Thomson,2018; Markus & Kunda 1986, zitiert nach Grobshäuser, 2022; Mummendey, 1995, zitiert nach Thaller, 2012; Möller & Trautwein,2015). Obwohl sich die Wissenschaftler/-innen bei der Bedeutung des Selbstkonzeptes nicht immer einig sind, stimmt die Mehrheit der Forschenden darin überein, dass es sich hierbei um ein multidimensionales Konstrukt mit mehreren Bewertungsdimensionen (positiv oder negativ) und Selbstkonzeptfacetten handelt (Bong & Skaalvik, 2003; Byrne, 1996; Helmke, 1992; Marsh, 1990, zitiert nach Brüll, 2010; Marsh & Hattie, 1996,zitiert nach Brüll, 2010; Shavelson et al., 1976, zitiert nach Brüll, 2010). Die Autor/innen Shavelson et al. (1976) gehen beispielsweise von einem hierarchisch strukturierten Selbstkonzept aus, welches sich nach dieser Auffassung sowohl in ein „ akademisches “ und ein „nichtakademisches“ Selbstkonzept gliedert. Dieses Konstrukt findet sich vorrangig im schulischen Kontext und der Selbstkonzeptentwicklung im Jugendalter wieder (Möller & Trautwein, 2009).
Das Selbstwertgefühl („self-esteem“), welches auch unter den Begrifflichkeiten Selbstwert, Selbstachtung, Selbstwertschätzung, Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz bekannt ist (Bryne, 1996, zitiert nach Randhawa, 2012), wird häufig mit dem Begriff Selbstkonzept als Synonym verwendet. Dies liegt insbesondere daran, dass Wissensinhalte über die eigene Person mit Emotionen verknüpft werden (ebd.). Da dies aber von Wissenschaftlerinnen, wie Hattie (1992), Bong und Clark (1999) und Hellmich (2011) in die Kritik geraten ist, sollten affektiv evaluierte Bewertungen der eigenen Person (Selbstwertgefühl) und das kognitiv deskriptive Wissen darüber, was die eigene Person ausmacht (Selbstkonzept) voneinander abgegrenzt werden (Burnett, 1994, zitiert nach Ehm, 2014; Thomson et al., 2018). Dementsprechend wird der Selbstwert als eine globale, bereichsübergreifende Konzeptualisierung verstanden, die aus der Gesamtheit von Wertungen des Selbstkonzeptes resultiert (Brüll, 2010). Zwecks positiver und negativer Bewertungen einzelner Merkmale, Eigenschaften und Fähigkeiten werden spezifischen Attributen eine individuelle Bedeutsamkeit zugeschrieben (Brüll, 2010; Moschner, 2001, zitiert nach Grothues, 2013). Das erfolgreiche Ausüben einer Fähigkeit entscheidet nicht über die Höhe des Selbstbewusstseins, sondern vorrangig über die persönliche Einstellung zu diesem Bereich (Randhawa, 2012; Trautwein et al., 2006).
Im Allgemeinen handelt es sich jedoch bei dem Selbstkonzept und dem Selbstwert um ein hypothetisches Konstrukt (Shavelson et al., 1976, zitiert nach Randhawa, 2012). Dies lässt sich aufgrund der nicht offensichtlich beobachtbaren mentalen Eigenschaften erklären (ebd.). Dennoch werden beidezur Erklärung des menschlichen Verhaltens herangezogen und erlauben die wissenschaftliche Überprüfung von Verhaltensprognosen (Schauder, 1996, zitiert nach Randhawa, 2012).
2.1.2 Das akademische Selbstkonzept im Zusammenhang mit der Leistung
Wie bereits in dem vorherigen Kapitel dargelegt, wird unter dem allgemeinen Selbstkonzept ein multidimensionales Konstrukt aus verschiedenen Selbstkonzeptfacetten verstanden (Marsh & Hattie, 1996). Das akademische Selbstkonzept („academic self-concept“), welches auch mit den Begrifflichkeiten Fähigkeitsselbstkonzept, schulbezogenes und leistungsbezogenes Selbstkonzept gleichgesetzt wird, charakterisiert eine Unterdimension des bereits definierten allgemeinen Selbstkonzeptes (Hellmich, 2011; Möller & Trautwein, 2015; Randhawa, 2012). Zu dem Fähigkeitsselbstkonzept herrscht Unklarheit, da dem Begriff von verschiedenen Autorinnen unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben werden.
Akademische Selbstkonzepte erfolgen aufgrund von kognitiven Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung (Möller & Trautwein, 2015). Diese Beurteilungen werden in der Regel durch die Attributionen des schulischen Erfolges und Misserfolges, aufgrund von Geschlechtsstereotypen, Überzeugungen, aber auch infolge von Fremdeinschätzungen durch Bezugspersonen suggeriert (Nicholls & Miller, 1985, zitiert nach Jahnsen, 2014; Platt, 1988, zitiert nach Jahnsen, 2014; Skaalvik, 1994, zitiert nach Jahnsen, 2014). Sinngemäß handelt es sich bei dem akademischen Fähigkeitsselbstkonzept nach Dickhäuser et al. (2002) um die „Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeiten in akademischen Leistungssituationen“ (Dickhäuser et al., 2002, S. 394). Möller und Köller konkretisierten Anfang der Zweitausender Jahre das akademische Selbstkonzept, indem sie expliziter auf die generalisierte, fachspezifische Selbstwahrnehmung von Schüler/-innen und Studierenden hinsichtlich bereits erworbener Kompetenzerfahrungen in Schul- bzw. Studienfächern hinweisen (Möller & Köller, 2004). Grundsätzlich bewirkt diese Einschätzung der Fähigkeiten, sich persönlicher Schwächen und Stärken bewusst zu werden und eine eigene Identität aufzubauen (Möller & Trautwein, 2015). In Anbetracht dessen gilt das akademische Selbstkonzept als ein bedeutsames Element der Identität (ebd.). Das akademische Selbstkonzept beschäftigt sich tiefliegender mit den Einschätzungen der individuellen Fähigkeiten im schulischen und universitären Kontext, wohingegen das generelle Selbstkonzept als die vollständige Fülle an mentalen Repräsentationen über die eigene Person verstanden wird(Schöne et al., 2003,zitiert nach Brüll, 2010).
Eine weitere bereichs- und domänenspezifische Selbstkonzeptfacette stellt das berufsbezogene Selbstkonzept dar. Obwohl diese Art der Selbstwahrnehmung im Vergleich zum akademischen Selbstkonzept weniger eindeutig bestimmt und seltener empirisch erfasst wurde, wird es „als die Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeiten im Lebensbereich der Erwerbstätigkeit“ (Super, 1961, zitiert nach Straub et al., 2021, S. 36) definiert. Folglich handelt es sich sowohl bei dem akademischen als auch berufsbezogenen Selbstkonzept um die Gesamtheit der selbstbezogenen Kognitionen eigener Fähigkeiten. Beide Selbstkonzepte können zudem die Leistung und das Wohlbefinden von Lehrkräften positiv beeinflussen (Roche & Marsh, 2000). Sowohl für das akademische als auch für das berufsbezogene Selbstkonzept liegen, im Gegensatz zu der Vielzahl an Forschungen im schulischen Rahmen, nur beschränkt Studien zur systematischen Untersuchung in Bezug auf die Leistung im Studium vor. Da Studium und Schule gleichermaßen zu den Bildungskontexten gehören und das Studium unmittelbar an die Schulzeit anschließt, sind beiden Institutionen miteinander vergleichbar (Elsholz, 2019). Demnach werden im Anschluss überwiegend Befunde zum Zusammenhang zwischen Leistung und Selbstkonzept aus schulischen Kontexten dargestellt.
Im Allgemeinen lässt sich Leistung („achievement“) als „das auf den Lehrplänen basierende deklarative und prozedurale Wissen in verschiedenen Domänen“ (Köller & Baumert, 2002, zitiert nach Gürber, 2011, S. 9) beschreiben. Der Erwerb dieses Wissens ist zu einem großen Anteil an Lerngelegenheiten im jeweiligen Fachunterricht gebunden (ebd.). Die Auswirkung und die Ursache zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der akademischen Leistung sind schon lange Bestandteil der Wissenschaft (Hattie & Handsford, 1982). Forschende konnten bereits die gegenseitige Beeinflussung dieser beiden Variablen nachweisen (Hansford & Hattie, 1982; Marsh et al., 2005, zitiert nach Gürber, 2011; Okan, 2013; Elsholz, 2019). Wie hoch dieser empirisch gesicherte Zusammenhang jedoch genau ist, unterscheidet sich von Studie zu Studie. Dennoch wird davon ausgegangen, dass ein hohes bereichsspezifisches Selbstkonzept unter Berücksichtigung des ehemaligen Leistungsniveaus zu einer künftigen Verbesserung der Leistung in dem entsprechenden Bereich führt (Elsholz, 2019). Marsh & Yeung (1997) bezeichnen dieses Phänomen als Self Enhancement-Ansatz. Sofern eine überdurchschnittliche akademische Leistung das aktuelle akademische Selbstkonzept in diesem Bereich positiv beeinflusst, wird dahingegen von dem Skill Development-Ansatz gesprochen (Möller & Trautwein, 2015, zitiert nach Elsholz, 2019). Dies zeigt sich zum Beispiel in der Bewertung der eigenen fachlichen Leistungen von Schülerinnen. Demnach schätzen sich männliche Schüler in der Regel im mathematischen Selbstkonzept besser ein, wohingegen Mädchen von einem optimistischeren verbalen Selbstkonzept ausgehen (Ehm et al., 2012). Diese Beurteilungen spiegeln sich in der tatsächlichen Leistung wider (ebd.). Demzufolge gelten positive Selbstkonzepte und hohe Leistungen als wünschenswerte Ziele (Gürber, 2011). Zusätzlich macht die Metaanalyse von Hansford und Hattie (1982) deutlich, dass ein höherer Zusammenhang bei Leistungen und Selbstkonzepten desselben Bereiches zu erwarten sind. Folglich korreliert das akademische Selbstkonzept stärker mit der akademischen Leistung, wie Lernergebnissen in Form von Noten, als mit anderen Selbstkonzept-Facetten (Hansford & Hattie, 1982). Diese Erkenntnis konnte von Marsh et al., 2005 bekräftigt werden (Gürber, 2011).
Bei der Bildung des akademischen Selbstkonzeptes spielen die Relevanz und die Bedeutung der kontextuellen Einflussfaktoren sowie die jeweilige Wahrnehmung eine entscheidende Rolle (Wilson & Ross, 2003, zitiert nach Elsholz, 2019). Dies ließ sich bereits bei der Entstehung des schulischen Selbstkonzeptes nachweisen (ebd.). Es wurde festgestellt, dass leistungsbezogene Selbstkonzepte oftmals in Folge der aktuellen Selbstwahrnehmung verzerrt interpretiert werden (ebd.). Die Beurteilung kann entweder durch den direkten sozialen Vergleich mit Mitschüler/-innen und Mitstudierenden geschehen oder durch die Rückmeldung von Lehrenden beziehungsweise Dozierenden erfolgen (externaler interindividueller Vergleichsprozess) (Streblow, 2002). Eine Einschätzung kann zudem aufgrund des Vergleiches der eigenen Fähigkeiten in zwei Bereichen stattfinden (internaler intraindividueller Vergleichsprozess) (ebd.). Sofern sich die Person zum Zeitpunkt des interindividuellen Vergleiches in einem leistungsschwachen Umfeld befindet, werden die eigenen schulischen Fähigkeiten für gewöhnlich aufgewertet und es kommt zu einem höheren akademischen Selbstkonzept (ebd.). Befindet sich die Person jedoch in einem leistungsstarken Kontext, so wird das Fähigkeitsselbstkonzept geringer eingeschätzt (ebd.).1 Bei dem dimensionalen Vergleich haben intrapersonale Leistungsvergleiche zwischen unterschiedlichen Fachbereichen, Einfluss auf die jeweiligen Selbstkonzeptausprägungen (Pohlmann et al., 2006, zitiert nach Elsholz, 2018). Daher heben Schüler/-innen oder Studierende ihr fachspezifisches akademisches Fähigkeitsselbstkonzept an, sobald die Leistung in einer Vergleichsdomäne schlechter ausfällt (ebd.). Sofern die Leistung in dem anderen Bereich besser ausfällt, kommt es für gewöhnlich zu einer Abwertung (ebd.). Aufgrund dessen sind die Autoren West et al. (1980) der Ansicht, dass es sich bei dem Selbstkonzept um die wichtigste Persönlichkeitsvariable handelt, um die schulische Leistung vorherzusagen (West et al., 1980, zitiert nach Hattie & Handsford 1982).
2.1.3 Das geschlechtsbezogene akademische Selbstkonzept im Lehramt
Lehrkräfte beeinflussen das Selbstkonzept ihrer Schüler/-innen maßgeblich durch Rückmeldungen (Streblow, 2002). Dies ist bereits ausgiebig erforscht worden und konnte in den dem vorherigen Kapitel (2.1.2) dargelegt werden. Des Weiteren wurde in der Wissenschaft nachgewiesen, dass ein hohes akademisches Selbstkonzept mit einer positiven Entfaltung der eigenen Kompetenzen, der Zufriedenheit im Beruf und mit einem erhöhten Engagement einhergeht (Eisfeld et al., 2020; Roche & Marsh, 2000). Darüber hinaus stellen Lehrkräfte oft wichtige Bezugspersonen für Lernende dar und beeinflussen die Entwicklung Heranwachsender zu einem erheblichen Anteil (Eisfeld et al., 2020; Laubenstein, 2020). Trotz der großen Bedeutung für das psychische Wohlergehen und die Einflussnahme auf die Schülerinnen, wurde der Forschung des Selbstkonzeptes von Lehrkräften bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt (Köhlmeier & Amann, 2006; Roche & Marsh, 2000).
Fischer et al. (2020) widmeten sich dieser Thematik und untersuchten das Interesse und das Selbstkonzept von 105 Lehramtsstudierenden. Hierbei wurde das Studienfach Sport und die fachübergreifenden Bildungswissenschaften unter Berücksichtigung möglicher Geschlechtsunterschiede betrachtet (Fischer et al., 2020). Da innerhalb des Zwei-FächerStudiums Wahlfreiheit besteht, der zusätzliche Studienbereich der Bildungswissenschaften jedoch verpflichtend ist, kann davon ausgegangen werden, dass das Interesse und das Selbstkonzept für die Fächer unterschiedlich ausgeprägt sind (ebd.). Die Ergebnisse konnten deutliche Unterschiede im Geschlecht aufzeigen (ebd.). Zwar besaßen Studentinnen ein höheres Interesse in beiden Studienfächern, das Selbstkonzept im Studienfach Sport, welches als typisch männlich gilt, fiel jedoch trotz positiver Noten und der sportbezogenen Lebensbiografie geringer als bei ihren männlichen Mitstudierenden aus (Fischer et al., 2020; Koch, 2015; Stuve & Rieske, 2018). Dies beweist, dass Geschlechtsunterschiede im Interesse in der Gesellschaft verankert sind. Die expliziten Gründe für das erhöhte weibliche Interesse an den Bildungswissenschaften werden mittels der Geschlechtsrollen, welche bei Frauen durchschnittlich mit einer erhöhten pädagogischen Orientierung einhergehen (Thomas, 2013), in Kapitel 2.2 ausführlicher erklärt.
2.2 Die Geschlechtsrollenorientierung im Lehramt
Dass Menschen geschlechtstypische Eigenschaften zur Selbstbeschreibung heranziehen, konnte unter anderem in einer Studie von Eagly et al. (2000) bestätigt werden. Basierend auf dieser Erkenntnis widmen sich Forschende bis zum heutigen Stand der Frage, inwiefern diese geschlechtsbezogenen Inhalte das akademische Selbstkonzept sowohl in geschlechtstypischen als auch in unkonventionellen Berufen beeinflussen. In den folgenden Kapiteln werden die Aspekte der Geschlechterforschung, welche die inhaltliche Basis des GeschlechtsrollenSelbstkonzeptes bildet, vorgestellt (Thaller, 2009). Des Weiteren werden die Begriffe Geschlechtsrolle und die damit verbundene Geschlechtskonstanz, Geschlechtsidentität, Geschlechtsrollenorientierung sowie Geschlechtsstereotyp definiert. Es erfolgt die Darstellung der traditionellen Geschlechtsrollen und der geschlechtsbezogenen Einflussfaktoren auf die Berufswahl. Schlussendlich werden verschiedene Gründe für den mangelnden Männeranteil im Grundschullehramt vorgestellt.
2.2.1 Das instrumentelle (maskuline) und expressive (feminine) Selbstkonzept und ihre Bedeutung für die Geschlechtsrollenforschung
Da das Geschlecht zu einer der wichtigsten allgemeinen Charakterisierungen des Menschen gehört, ist es nicht nur ein grundlegendes biologisches Merkmal, sondern auch ein Faktor der sozialen Realität (Trautner, 1997, zitiert nach Thaller, 2009). In Anbetracht dessen entscheidet das Geschlecht sowohl über die spätere sexuelle Orientierung und das Sexual verhalten und beeinflusst zudem den Ablauf sozialer Handlungen sowie die Persönlichkeitsentwicklung (ebd.). Um eine allgemeine kognitive Geschlechtsidentität („gender identity“) zu entwickeln, ist das Wissen über die Geschlechtskonstanz („gender constancity“) notwendig. Sie wird als die Erkenntnis darüber verstanden, dass das Geschlecht unveränderbar ist (ebd.). Die Geschlechtsidentität lässt sich in die globale und in die inhaltlich umschriebene Geschlechtsidentität unterteilen (ebd). Die globale Geschlechtsidentität beschreibt die Selbstkategorisierung des biologischen Geschlechtes (ebd.). Die inhaltlich umschriebene Geschlechtsidentität charakterisiert das psychologische Geschlecht (ebd.). Bei dem biologischen Geschlecht handelt es sich um die reine Selbstkategorisierung, die „männlich“ oder „weiblich“ sein kann (ebd.). Im Gegensatz dazu werden mit dem psychologischen Geschlecht die damit einhergehenden, geschlechtstypischen Erwartungen der jeweiligen Kultur, Attribute, Interessen, Rollen, Verhaltensweisen, Präferenzen und Merkmale verstanden (ebd.). Diese Charakteristika sind für gewöhnlich an das jeweilige Geschlecht gebunden und werden als „psychologisch und sozial determinierte Geschlechtsrollenidentität [oder als] Selbstkonzept der eigenen Maskulinität und Femininität“ (Trautner, 1987, zitiert nach Thaller, 2009, S. 14) bezeichnet. Mit dem männlichen Geschlecht gehen meistens typisch maskuline/instrumentelle Eigenschaften einher, wohingegen feminine/expressive Eigenschaften explizit mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert werden (Bierhoff-Alfermann, 1989, zitiert nach Gruber, 2010). Das Selbstkonzept der eigenen Maskulinität und Femininität wie auch die (soziale) Rolle („social role“) verändern sich permanent im Laufe des Lebens. Jeder Mensch übernimmt in den verschiedenen Lebensabschnitten (z.B. als Mutter, Mann, Studierende etc.) eine unterschiedliche Rolle ein und richtet sein/ihr Verhalten entsprechend aus (Thaller, 2009). Insofern wird die (soziale) Rolle als ein Netzwerk präskriptiver Regeln, Verhaltensanweisungen und Erwartungen, die andere Personen an ein Individuum dieser Kategorie haben, verstanden (Bierhoff-Alfermann, 1989, zitiert nach Gruber, 2010; Brown, 1965, zitiert nach Gruber, 2010; Dorsch et al., 1994, zitiert nach Thaller, 2009).
Die Geschlechtsrolle („gender role“) wird aufgrund der unterschiedlichen genetischen Ausstattung und der verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften der beiden biologischen Geschlechter demnach als „normative Erwartungen über die Macht- und Arbeitsverteilung und die soziale Interaktion zwischen den Geschlechtern“ (Spence et al., 1985, zitiert nach Sieverding & Alfermann 1992, S. 6) verstanden. Sinngemäß übernahm die Frau im Familienszenario die expressive (sozial emotional unterstützende) Funktion, wohingegen dem Mann die instrumentelle (aufgabenbezogene) Funktion zugeordnet wurde (ebd.). Dies sorgte für ein harmonisches und soziales Miteinander (ebd.). Die uralte, klassische Rollenverteilung wurde in vielen Kulturen immer egalitärer (Athenstaedt & Alfermann, 2011). Dennoch wird die Geschlechtsrolle stets als gesellschaftliche, kulturelle Verhaltenserwartung, basierend auf der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, verstanden (Thaller, 2009). Dieses Verständnis richtet sich an alle Mitglieder der Gesellschaft und unterscheidet nicht zwischen Ethnizität, Alter, Lebensabschnitt etc. (Böttcher, 2020; Eagly, 1987, zitiert nach Athenstaedt & Alfermann, 2011; Thaller, 2009). Insofern werden die Geschlechtsrollenorientierungen („gender role orientation“) als die „normative[n] Einstellungsaspekte bezeichnet, die moralische Wertungen darüber beinhalten, wie sich Männer und Frauen verhalten sollten und wie sie sein sollten“ (Krampen, 1997, S. 255). Es handelt sich um universale und zeitlich vorhandene Zuschreibungen einer Person, welche in Abhängigkeit der unterschiedlichen Gesellschaften und Kontexten variieren (ebd.).
Da Geschlechtsstereotype unter anderem infolge der sozialen (Geschlechts-) Rollen entstehen, sind diese beiden Begrifflichkeiten eng miteinander verknüpft (Eagly, 1987, zitiert nach Wolter, 2020). Demzufolge schreiben Geschlechtsstereotype ebenfalls bestimmte Merkmale einer Geschlechtskategorie zu (ebd.). Während sich Geschlechtsrollen vorwiegend auf die erwarteten Verhaltensweisen des jeweiligen Geschlechts beziehen, handelt es sich bei Geschlechtsstereotypen, vielmehr um Behauptungen über die persönlichen Eigenschaften und
Merkmale von Männern und Frauen (Eagly, 1987, zitiert nach Wolter, 2020; Alfermann, 1996). Der Unterschied lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen. Die Äußerungen, dass Frauen Kleider und Röcke zu tragen haben und für die Erziehung der Kinder zuständig sind, werden als erwartete Verhaltensweise der Geschlechtsrolle verstanden. Bei der Aussage, dass Männer unabhängiger als Frauen sind und sich für Technik und Autos interessieren, handelt es sich um Geschlechtsstereotypen.
2.2.2 Die traditionellen Geschlechtsrollen und ihr Einfluss auf den Lehrberuf
Wenngleich davon ausgegangen wird, dass eine strikte Rollentrennung, in der heutigen Industriegesellschaft nicht mehr gilt, wirken sich geschlechtsgebundene Erwartungen und Geschlechtsstereotype noch heute oft auf unterschiedliche Lebensbereiche, wie die Berufswahl aus (Gruber, 2010). Die Ungleichheiten auf der gesellschaftlichen Ebene zeigen sich trotz der entstandenen Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte, des Wandels des vorrangig weiblichen Rollenbildes und dem gestiegenen Verständnis der berufstätigen Frau (Stuve & Rieske, 2018). Die Geschlechtsunterschiede lassen sich auf die Arbeits- und Machtaufteilung und die unterschiedlichen sozialen Rollen im beruflichen und familiären Kontext zurückzuführen (Thaller, 2009). Da Frauen früher insbesondere die Rolle der Familienbetreuerin einnahmen, für die familiären Angelegenheiten, die Erziehung sowie die häusliche Arbeit zuständig waren, war es die Aufgabe des Mannes, die Familie zu ernähren und das Geld zu verdienen (ebd.). Trotz der gestiegenen Anzahl an erwerbstätigen Frauen, existieren auf dem Arbeitsmarkt weiterhin klare Trennungen zwischen sogenannten Frauenberufen und Männerberufen (ebd.). Als typische, an das jeweilige Geschlecht gebundene Berufe, gelten Arbeitsfelder, in denen der Anteil aller Arbeiter/-innen des eigenen Geschlechts bei 70 % liegt (Gruber, 2010). Dementsprechend definieren sich geschlechtsuntypische Beschäftigungen als Berufe, in denen weniger als 30 % der Personen des eigenen Geschlechts arbeiten (ebd.). Obwohl klischeehafte weibliche Berufe, wie Lehrende, Kindergärtner/-innen, Hebammen, Krankenpfleger/-innen, Kellner/-innen, Sekretärinnen, Reinigungskräfte etc. zu Beginn nur für das männliche Geschlecht zugängig waren, werden diese Berufe heutzutage von Frauen dominiert (Thomas, 2013). Unverheiratete Frauen durften erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts, aufgrund des fehlenden Personals nach der Kriegszeit und der Schulpflicht, in akademischen Berufen wie dem Lehramt arbeiten (ebd.). Jedoch war es damals schon üblich, dass Frauen die unteren Jahrgänge bis zur vierten Klasse unterrichteten (ebd.). Somit waren die pädagogischen Tätigkeiten mit der geltenden Geschlechterkonstruktion, welche die Frau als Sorge- und Erziehungsbeauftragte verstand, zu vereinbaren (ebd.). Höhere Klassen wurden meistens von männlichen Lehrkräften übernommen und nur selten von Lehrerinnen unterrichtet (Brehmer, 1990, zitiert nach Thomas 2013). Seitdem wird zwar ein signifikanter Anstieg des Frauenanteils in höheren Klassen verzeichnet2, die übermäßige Minderheit des männlichen Lehrpersonals in Grundschulen ist jedoch ab der Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterhin kontinuierlich gestiegen3 (Stuve & Rieske, 2018; Thomas, 2013).
Obwohl sich Männer ihren Platz in Frauenberufen, im Gegensatz zu Frauen in Männerberufen, nicht hart erkämpfen müssen und im Grundschulberuf kaum Konkurrenzdruck vorliegt, wird das traditionelle männliche Rollenverhalten selten reflektiert und infrage gestellt (Gruber, 2010). Wenngleich die Entwicklung der Kinder und die Interaktion mit dem weiblichen Geschlecht motivierend sein könnten, die Entscheidung des Grundschullehramts große Freiheiten eröffnet sowie zu einer gesellschaftlichen und sozialen Aufwertung des Berufs führen würde, entscheiden sich Männer jedoch häufiger für klischeehafte männliche Berufe (Gruber, 2010; Janke, 2013; Stuve & Rieske, 2018). Diese sind meistens an technischnaturwissenschaftliche, handwerkliche oder verwandte Tätigkeiten im Produktions- und Verwaltungsbereich gebunden (Gruber, 2010). In dieser Domäne sind nach wie vor Frauen selten vertreten (Leitner, 2001). Eine Trennung ist nicht zwingend zu kritisieren, sie bringt jedoch insbesondere für das weibliche Geschlecht oft Nachteile mit sich (Bartjes & Hammer, 2005, zitiert nach Gruber, 2010; Bradley, 1993, zitiert nach Gruber, 2010). Denn Frauenberufe werden in der Regel durch einen geringeren Stellenwert, weniger gesellschaftliche Anerkennung und beschränkte Aufstiegsmöglichkeiten charakterisiert (Gruber, 2010). Des Weiteren werden mit diesen Berufen weniger Macht und Autorität, unstrukturierte und diffuse Arbeitsanforderungen, die Alltagsnähe, vermischte Tätigkeiten und vor allem schlechtere Bezahlung in Verbindung gebracht (ebd.).
2.2.3 Männermangel an Grundschulen
In Anbetracht der scheinbar verankerten Differenzierung in der Gesellschaft, wenden sich Wissenschaftler/-innen den Gründen für das bestehende Phänomen zu (Athenstaedt & Alfermann, 2011; Bierhoff-Alfermann, 1989, zitiert nach Gruber, 2010). Folglich wurden in den vergangenen Jahrzehnten Erkenntnisse, bezüglich der Unterrepräsentanz des Männeranteils im Grundschullehramt sowie der Ursachen und Möglichkeiten für den Abbau der Benachteiligungen gewonnen (Gruber, 2010; Hastedt & Lange, 2012; Stuve & Rieske, 2018; Thomas, 2013).
Obwohl einzelne Feminist/-innen Männer als „Störfaktoren“ im gewohnten weiblichen Arbeitsumfeld empfinden oder aus Angst vor Verdrängungen aus dem gesicherten und relativ gut bezahlten Arbeitsverhältnis das Emanzipationskonzept in Grundschulen kritisch ansehen, bringt die Loslösung der klassischen Geschlechtsrolle Vorteile mit sich (Gruber, 2010; Hastedt & Lange, 2012). Diese Annahme bestätigte sich infolge einer Studie von Stuve & Rieske (2018) zu den Berufswünschen von Grundschulkindern. Da die Mehrheit der männlichen Schüler angaben, einen Beruf, der vorrangig von Frauen ausgeübt wird, trotz positiver Erfahrungen nicht zu praktizieren, könnte ein Anstieg der männlichen Grundschullehrer zu vielfältigen Rollenbildern und einer Ablegung der stereotypischen Sichtweisen der Schüler/-innen führen (Stuve & Rieske, 2018). Dies demonstriert zudem, dass sich bereits im Kindesalter berufliche Optionen, Interessen und Zukunftsvorstellungen entwickeln, die auf dem Geschlechtstypus beruhen und die Berufswahl beeinflussen (ebd.). Allerdings führen das individuelle Interesse des Berufs und die Kategorisierung des Arbeitsfeldes als Frauenberuf bei Jungen und Männern häufig zu einem Dilemma (ebd.). Es entsteht eine Diskrepanz zwischen den erwarteten Männlichkeitsanforderungen, den gesellschaftlichen Normen und dem materiellen symbolischen Verständnis des Grundschullehramts (ebd.). Diese fehlende Passung lässt auf den geringen Männeranteil in dem Berufsfeld schließen (ebd.). Ein weiteres Indiz stellt das Ansehen des Grundschullehramts dar (Hastedt & Lange, 2012). Demnach gilt das Primarlehramt oftmals, im Gegensatz zum Sekundärlehramt und Gymnasiallehramt, als sozial-helfend, anspruchslos und als Bildungs- und Erziehungsarbeit (ebd.). Diese Wahrnehmung sorgt für ein verzerrtes und besonders weiblich konnotiertes Berufsbild und führt laut Hastedt und Lange (2012) häufig dazu, dass der Beruf für männliche Bewerber weniger attraktiv erscheint, da er nicht mit den vorherrschenden Männlichkeitskonzepten einhergeht. Darüber hinaus besitzt das Grundschullehramt von allen weiteren Lehrämtern den höchsten Anteil an Teilzeitstellen (Stuve & Rieske, 2018). Die Reduzierung des beruflichen Engagements ist zwar für Bewerberinnen praktisch, die eine Doppelrolle und die Vereinbarkeit mit der Familie anstreben, dies wird jedoch in der Regel mit der gesellschaftlichen Position der Frau verbunden (ebd.). Demnach steht das Grundschullehramt im Widerspruch mit den Normen des familienernährenden, hauptverdienenden und öffentlich orientierten Mannes (Athenstaedt & Alfermann, 2011; Stuve & Rieske, 2018). Aus Furcht, die Vorteile des Männerberufs zu verlieren, die eigene Sexualität von Außenstehenden infrage gestellt zu bekommen oder als „faul“ und „unmännlich“ betitelt zu werden, entscheiden sich männliche Lehrkräfte häufig gegen den Grundschulberuf und für die Arbeit in dem besser bezahlten, eher männlich konnotierten Gymnasiallehramt (Gruber, 2010; Stuve & Rieske, 2018). Dies hat jedoch zur Folge, dass den wenigen Grundschullehrern aufgrund des Mangels häufig die Rolle der männlichen Bezugsperson für Jungen mit Disziplinproblemen oder während ihrer Identitätsentwicklung zugewiesen wird (Stuve & Rieske, 2018). Oftmals werden Primarlehrer als typisch männliche Sportlehrer oder Informatiklehrer assoziiert (Thomas, 2013). Die sogenannte positive Diskriminierung4 ist jedoch kontraproduktiv in Bezug auf die Abkopplung der Stigmata und führt oftmals lediglich dazu, dass Grundschullehrer nicht ernstgenommen oder abwertend eingeschätzt werden (Baar, 2012, zitiert nach Thomas, 2013).
Da dieses Berufsfeld weitaus mehr Aufgaben mit sich bringt, ist zunächst die Richtigstellung der Tätigkeiten von Notwendigkeit. Des Weiteren ist es relevant, die Geschlechterungleichheiten abzubauen, um Männern den Einstieg in soziale Berufe und Frauen den Übergang in handwerkliche Berufe zu vereinfachen (Stuve & Rieske, 2018). Ein Anstieg der Männerquote wäre beispielsweise durch die Erhöhung und Gleichstellung des Grundschullehramt-Gehaltes mit dem Gymnasiallehramt-Gehalt möglich (Thomas, 2013). Zudem ist es notwendig, bestimmte Aufgaben, Zuständigkeiten und Fächer, die mit Männlichkeit verknüpft werden, abzubauen, um Interessenten nicht durch stereotypische Anforderungen davon abzuhalten (Stuve & Rieske, 2018). Weiterführend lässt sich der Männermangel ebenfalls mittels erhöhter Studienplätze hinsichtlich des Grundschullehramts und der Möglichkeit eines Quer- und Seiteneinstiegs nachhaltig reduzieren (ebd.).
Es wird sichtbar, dass sich Männer aus unterschiedlichen Gründen gegen das Unterrichten in Primarschulen entscheiden. Trotz der Nachteile, mit denen das männliche Geschlecht im Grundschullehramt konfrontiert wird, verfügt das abwechslungsreiche Arbeitsfeld auch über Vorteile, wie die umfangreichen Freiheiten, die Interaktion mit dem weiblichen Geschlecht und die kaum vorhandene Konkurrenz (Fraenzel & Hanisch, 2023.
Darüber hinaus treten in keinem weiteren Lehramt Schüler/-innen den Lehrkräften unvoreingenommener und motivierter entgegen als im Grundschullehramt (ebd.). Kleinere und heterogene Klassenkonstellationen sowie Arbeitszeiten, die oftmals bereits vormittags enden, können ebenfalls anregend sein (ebd.). Da zusätzlich Schüler/-innen von diversitätskompetenteren5 Lehrkräften profitieren, sollen im Nachgang Männer beleuchtet werden, die sich gegen die Arbeit im traditionellen Beruf und für die Arbeit im Grundschullehramt entschieden haben (Stuve & Rieske, 2018).
3. Zielsetzung der Studie
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem akademischen Selbstkonzept, der akademischen Leistung und der Geschlechtsrollenorientierung im Grundschullehramt. Da das männliche Geschlecht in dieser Domäne kaum vertreten ist, wird die Erforschung der Ausprägungen dieser drei Variablen bei männlichen Grundschullehramtsstudierenden angestrebt und teilweise mit der Bilanz von weiblichen Mitstudierenden verglichen. Die Zusammenhänge sollen zu einer Erweiterung der kaum bestehenden Forschungslage angesichts des Selbstkonzeptes von Grundschullehrkräften beitragen und diese in Hinblick auf die deutsche Population erweitern. Die steigende Relevanz und die Aktualität dieser Thematik begründeten sich vorrangig durch die Omnipräsenz im Alltag von Kindern in den ersten Schuljahren. Des Weiteren nimmt der Wandel der Geschlechtsrollen, der stetige Rückgang der männlichen Grundschullehrer sowie die Auswirkung des akademischen Selbstkonzeptes auf den studentischen Erfolg einen wachsenden Raum ein (OECD, 2019, zitiert nach Eisfeld et al., 2020). Darüber hinaus kann dieses Themenfeld auch in der Zukunft, sofern sich das männliche Rollenbild verändert, stärker an Bedeutung gewinnen.
3.1 Forschungsfragen und Hypothesen
Die dargelegten Studien zeigen, dass die Selbstkonzeptforschung bei Männern im Grundschullehramt noch nicht ausreichend untersucht wurde. Trotz des maßgeblichen Einflusses des akademischen Selbstkonzeptes auf die Entfaltung der eigenen Kompetenzen, des Engagements, die Zufriedenheit in dem Beruf und den Einfluss auf Schüler/-innen, wurde das Selbstkonzept von (angehenden) Lehrenden kaum erforscht (Eisfeld et al., 2020; Roche & Marsh, 2000; Laubenstein, 2020). Dennoch konnte bereits in diversen Studien der Zusammenhang zwischen dem akademischen Selbstkonzept und der Leistung nachgewiesen werden. Es zeigt sich, dass die akademische Leistung insbesondere mit dem akademischen Selbstkonzept korreliert (Hansford & Hattie, 1982; Marsh et al., 2005, zitiert nach Gürber, 2011; Möller & Trautwein, 2015). Demzufolge geht ein hohes Selbstkonzept mit einer positiven Leistung einher (ebd.). Da dieser statistische Zusammenhang jedoch vorwiegend im schulischen Kontext beobachtet wurde, soll nun in der vorliegenden Arbeit der Zusammenhang beider Variablen im Grundschullehramtsstudium evaluiert werden. Basierend auf dem aktuellen Forschungsstand und dem theoretischen Hintergrund konnte die erste Forschungsfrage und Hypothese herausgearbeitet werden:
Fragestellung 1: Besitzen männliche Studierende im Grundschullehramt mit einem höheren akademischen Selbstkonzept auch eine bessere akademische Leistung?
H 1: Wenn männliche Studierende im Grundschullehramt ein hohes akademisches Selbstkonzept aufweisen, dann zeigen sie auch bessere akademische Leistungen.
H 1: p > 0
Publizierte Studien konnten belegen, dass das akademische Selbstkonzept bereits im Grundschulalter von Geschlechtsstereotypen geprägt wird (Ehm et al., 2012; Stuve & Rieske, 2018). Männer verfügen in der Regel über ein höheres Selbstkonzept in MINT-Fächern6 und Frauen über ein besseres Selbstkonzept in Sprachen (ebd.). Dies zeigt sich ausdrücklich in einer Studie von Fischer et al. (2020), welche das geschlechtsspezifische, fachbezogene und bildungswissenschaftliche Selbstkonzept von angehenden Lehrenden untersuchten. Das Selbstkonzept von Frauen stieg in erziehungswissenschaftlichen Domänen, unter anderem aufgrund von gesellschaftlichen Geschlechtsstereotypen, höher als bei ihren männlichen Mitstudierenden an (Elsholz, 2019; Fischer et al., 2020). Weiterführend zeigt sich, dass das Selbstkonzept von Frauen im eher männlich konnotierten Studienfach Sport trotz des erhöhten Interesses dahingegen geringer ausfiel (Elsholz, 2019; Fischer et al., 2020; Koch, 2015; Stuve & Rieske, 2018). Das individuelle Selbstkonzept übt einen entscheidenden Einfluss auf die Berufswahl aus (Vincent & Janneck, 2012). Daher ist es plausibel, dass sich Männer und Frauen vermehrt für die Arbeit in der eigenen geschlechtsspezifischen Domäne entscheiden (ebd.). Mithilfe der aufgeführten Studien konnte die Frage, wie Frauen ihr Selbstkonzept in einem typisch männlichen Unterrichtsfach beurteilen, bereits geklärt werden (Elsholz, 2019; Fischer et al., 2020; Koch, 2015; Stuve & Rieske, 2018). Wie Männer ihr akademisches Selbstkonzept in dem typisch weiblichen Grundschullehramt einschätzen, bleibt noch unbeantwortet. Diese Fragestellung soll mittels der Hypothese, welche im Folgendem aufgeführt wird, überprüft werden. Obwohl in der Studie von Fischer et al. (2020) weibliche Studierende in unkonventionellen Studienfächern ein schlechteres Selbstkonzept besaßen, werden im Laufe der Arbeit konträre Behauptungen gemutmaßt. Es wird davon ausgegangen, dass Männer in Frauenberufen ein höheres Selbstkonzept aufweisen. Dies wird hiermit begründet, dass Frauen häufiger aufgrund von Geschlechtsstereotypen einen weiblichen Beruf praktizieren (Hurrelmann, 2019). Daher scheint es schlüssig, dass sich Männer bewusster und weniger willkürlich für die Arbeit in einem Frauenberuf wie dem Grundschullehramt entscheiden. Sofern ein Mann, trotz der Vorurteile und Nachteile, die das Grundschullehramt mit sich bringt, das Unterrichten von Grundschüler/-innen vorzieht, sollte die Einschätzung der eigenen fachspezifischen Fähigkeiten höher als bei Frauen ausfallen. Ob sich dieser Gedankengang auch in der Empirie bestätigen lässt, soll anhand der vorliegenden Forschungsfrage und Hypothese geklärt werden.
[...]
1 Von Marsh und Parker (1984) wird dieses Phänomen als Big-Fish-Little-Pond-Effekt (BFLP) bezeichnet, da sich vergleichsweise starke Schüler/-innen in einem leistungsschwächeren Kontext wie ein großer Fisch in einem kleinen Teich fühlen (Elsholz, 2018).
2 Laut einer im November 2022 veröffentlichten Studie von Statista Research Department, belief sich der Frauenanteil der Lehrenden an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2021/2022, auf 73.4 %. Die Statistik zeigt, dass der weibliche Anteil an Schulen in Abhängigkeit der Schulart zwischen 48.7% (Abendgymnasien) und 93.1 % (Schulkindergarten) variiert (Statista Research Department, 2022). Insgesamt gaben mit einer Anzahl von 241.450 die meisten weiblichen Lehrkräfte an, in einer Grundschule zu arbeiten (ebd.).
3 Die Inskriptionen von Erstsemestrigen für das Lehramt im Primarbereich lässt einen Abstieg der letzten Jahrzehnte erkennen(Hastedt & Lange, 2012;Stuve & Rieske, 2018). Im Allgemeinen betrug der männliche Anteil an Lehrkräften 1960 noch 50 % (Hastedt & Lange, 2012). Derzeit liegt der Anteil bei etwa 12 % (Stuve & Rieske, 2018). Dies zeigt, dass es zu einem allgemeingültigen Abstieg des männlichen Grundschulpersonals um 38% kam.
4 Unter positiver Diskriminierung wird der „Sammelbegriff für Maßnahmen, die getroffen werden können, um eine benachteiligte Person oder Gesellschaftsgruppe zu fördern“ (Rahdes, 2019, S. 1) verstanden.
5 Bei der Diversitätskompetenz „handelt es sich um die allgemeine Fähigkeit, Menschen nicht als Stellvertreter für bestimmte Gruppen zu behandeln. Diversitäts-Ansätze zielen darauf, sich selbst zu reflektieren und zu einem Perspektivwechsel fähig zu sein; dazu gehört es auch, Schubladen-Denken festzustellen [sowie] Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen und Weltanschauungen anzuerkennen“ (Körner-Wellershaus, 2016, S. 6).
6 Unter MINT-Fächer werden die „Unterrichtsfächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik) und Technik“ verstanden (Zendler, 2018).
- Quote paper
- Anonymous,, 2022, Das akademische Selbstkonzept von männlichen Studierenden im Grundschullehramt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1365234
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