Im Folgenden soll nach einer Vorstellung der theoretischen Grundlagen des kulturellen Gedächtnisses - die vor allem auf Arbeiten von Jan und Aleida Assmann basieren -, soll die Holocaust-Erinnerungskultur der neunziger Jahre beleuchtet werden. Diese sind im Wesentlichen von Debatten um das Buch von Daniel Jonah Goldhagen, die Wehrmachtsausstellung des Hamburgers Instituts für Sozialforschung, das Berliner Denkmal für die Ermordung der europäischen Juden und die Walser-Bubis-Debatte gekennzeichnet. Wie lässt sich anhand dieser Ereignisse die deutsche Erinnerungskultur definieren? Gibt es in Deutschland bereits ein kulturelles Gedächtnis an den Holocaust oder geht es in den Debatten viel mehr darum, welche Gestalt ein solches kulturelles Gedächtnis in der Zukunft annehmen sollte?
Nicht nur der Holocaust als Thema erlebt großen Zuspruch in den neunziger Jahren. Auf einem ganz anderen Feld, dem der technischen Möglichkeiten der neuen, digitalen Medien, findet eine rege Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlern, aber auch Laien statt. Wie sind die digitalen Medien zu bewerten, welche Auswirkungen haben sie auf unser Leben genommen bzw. werden sie noch nehmen? Verbergen sich hinter den digitalen Medien Gefahren oder ermöglichen sie uns den Weg in eine angenehmere Zukunft? Werden die digitalen Medien das Fernsehen als bisheriges und in der Gesellschaft fest etabliertes Leitmedium ablösen?
Inhalt
1 Einführung
2 Erinnerung und Gedächtnis einer Gesellschaft
2.1 Das kulturelle Gedächtnis
2.1.1 Das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis
2.1.2 Die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses
für die Identität einer Gruppe
2.2 Geschichte und Gedächtnis
2.2.1 Das Speicher- und das Funktionsgedächtnis
2.2.2 Die Verdrängung des Gedächtnisses durch die Geschichte
2.3 Das Vergessen
2.4 Die Medien des kulturellen Gedächtnisses
2.4.1 Die Schrift
2.4.2 Das Denkmal
2.5 Die theoretischen Grundlagen des kulturellen Gedächtnisses [ ZwischenResümee ]
3 Deutsche Holocaust-Erinnerung in den neunziger Jahren
3.1 Der Holocaust als Streitpunkt in der Geschichtswissenschaft
3.1.1 Die Provokation von Daniel Jonah Goldhagen
3.1.2 Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“
3.2 Die Diskussion um emotionale Rezeptionsweisen
3.2.1 „Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas“
3.2.2 Martin Walsers Friedenspreisrede und die Folgen
3.3 Die Entstehung eines kulturellen Gedächtnisses in Deutschland [ ZwischenResümee ]
4 Digitale Medien als Medien des kulturellen Gedächtnisses
4.1 Die gesellschaftlichen Auswirkungen des Internet
4.1.1 Manipulation oder Kreativitätsförderung
4.1.2 Elitäres oder demokratisches Medium
4.1.3 Vereinsamung und Realitätsverlust oder neue Gemeinschaften
4.1.4 Vernetzung oder Fragmentierung
4.1.5 Allgemeines Informationschaos oder individuelle Informiertheit
4.1.6 Kulturschmelze oder kulturelle Vielfalt
4.2 Die digitalen Medien und ihre Kommunikationsformen
4.3 Verbesserung oder Verschlechterung der Speichermöglichkeiten
4.4 Die Konsequenzen für das kulturelle Gedächtnis
[ ZwischenResümee ]
5 Der Holocaust in den digitalen Medien
5.1 Angebote im Internet zum Thema Holocaust
5.2 Das digitale Archiv der Shoah Visual History Foundation
5.3 Die Holocaustdarstellung auf multimedialen CD-ROMs
5.4 Digitalisierter Holocaust[ ZwischenResümee ]
6 Fazit
Literatur und Materialien zum Thema
A Literatur zum Thema: Erinnerung und Gedächtnis einer Gesellschaft
[ Kapitel 2 ]
B Literatur und weitere Materialien zum Thema:
Deutsche Holocaust-Erinnerung in den neunziger Jahren
[ Kapitel 3 ]
C Literatur zum Thema:
Digitale Medien als Medien des kulturellen Gedächtnisses
[ Kapitel 4 ]
D Literatur und weitere Materialien zum Thema:
Der Holocaust in den digitalen Medien [ Kapitel 5 ]
E Literatur im Fazit [ Kapitel 6 ]
1. Einführung
Seit dem Ende der achtziger Jahre sind „Erinnerungskultur“ und „Gedächtnis“ zu viel diskutierten Themen geworden. Als Gründe für dieses gesteigerte Interesse werden immer wieder das Sterben der letzten Zeitzeugen des Holocaust und die neuen digitalen Speichermöglichkeiten angesehen. Aber auch die Wiedervereinigung wird bemüht. Diese stellt die Deutschen vor das Problem einer neuen, gemeinsamen Identität. Das kulturelle Gedächtnis ist vor allem durch identitätsprägende Merkmale gekennzeichnet, insofern verwundert es nicht, dass gerade nach der Wiedervereinigung die Frage nach einem kulturellen Gedächtnis in Deutschland immer häufiger aufkommt. Während in Deutschland die Entwicklung des kulturellen Gedächtnisses in Bezug auf den Holocaust in den letzten Jahren im Rahmen verschiedener wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Kontroversen diskutiert wurde, ist dies für die Veränderungen, die die digitalen Medien für das kulturelle Gedächtnis und damit auch für den Holocaust herbeiführen, bislang noch nicht geschehen.
Im Folgenden soll nach einer Vorstellung der theoretischen Grundlagen des kulturellen Gedächtnisses - die vor allem auf Arbeiten von Jan und Aleida Assmann basieren -, soll die Holocaust-Erinnerungskultur der neunziger Jahre beleuchtet werden. Diese sind im Wesentlichen von Debatten um das Buch von Daniel Jonah Goldhagen, die Wehrmachtsausstellung des Hamburgers Instituts für Sozialforschung, das Berliner Denkmal für die Ermordung der europäischen Juden und die Walser-Bubis-Debatte gekennzeichnet. Wie lässt sich anhand dieser Ereignisse die deutsche Erinnerungskultur definieren? Gibt es in Deutschland bereits ein kulturelles Gedächtnis an den Holocaust oder geht es in den Debatten viel mehr darum, welche Gestalt ein solches kulturelles Gedächtnis in der Zukunft annehmen sollte?
Nicht nur der Holocaust als Thema erlebt großen Zuspruch in den neunziger Jahren. Auf einem ganz anderen Feld, dem der technischen Möglichkeiten der neuen, digitalen Medien, findet eine rege Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlern, aber auch Laien statt. Wie sind die digitalen Medien zu bewerten, welche Auswirkungen haben sie auf unser Leben genommen bzw. werden sie noch nehmen? Verbergen sich hinter den digitalen Medien Gefahren oder ermöglichen sie uns den Weg in eine angenehmere Zukunft? Werden die digitalen Medien das Fernsehen als bisheriges und in der Gesellschaft fest etabliertes Leitmedium ablösen?
Das kulturelle Gedächtnis kommt ohne Medien nicht aus. Welchen Stellenwert allerdings die digitalen Medien als Medien des kulturellen Gedächtnisses einnehmen, welche Funktionen sie eher als die älteren Medien erfüllen können und welche Aufgaben sie nicht in der Lage zu leisten imstande sind, soll wesentliche Fragestellung dieser Arbeit sein.
Noch spezifischer soll es um den Holocaust in den digitalen Medien gehen. Dass der Holocaust im kulturellen Gedächtnis Deutschlands Eingang finden soll bzw. gefunden hat, steht bereits heute fest; dass die digitalen Medien unsere Zukunft wesentlich bestimmen werden ebenfalls. Können die digitalen Medien aber in Bezug auf den Holocaust das kulturelle Gedächtnis an die nachfolgenden Generationen vermitteln oder sind Internet und Multimedia dazu nicht in der Lage? Anhand von Beispielen, Angeboten aus dem Internet, CD-ROMs und dem bislang größten digitalen Archiv der Erzählungen von Holocaust-Zeitzeugen der Shoah Visual History Foundation sollen Antworten gefunden werden.
Diese Arbeit unternimmt den Versuch, diese Fragen zu beantworten, ohne dabei einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben, was allein angesichts der immer noch sehr vagen Erkenntnisse über die digitalen Medien nicht möglich ist. Selbst über das Leitmedium Fernsehen und seine Auswirkungen auf das kulturelle Gedächtnis gibt es bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Umfassende Untersuchungen zur Nutzung, Rezeption und Auswirkungen des Internet oder anderer digitaler Medienangebote liegen noch nicht vor bzw. sind bereits wieder veraltet, insofern kann diese Arbeit nur im Rahmen des bisherigen, noch sehr unzureichenden Wissensstandes Prognosen für die Zukunft stellen.
2 Erinnerung und Gedächtnis einer Gesellschaft
„Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen“[1] und das posthum erschienene Werk „Das kollektive Gedächtnis“[2] von Maurice Halbwachs bilden den Ursprung einer Gedächtnistheorie, die sich nicht mehr allein auf das Individuum bezieht, sondern auch für die Gemeinschaft ein Gedächtnis konstatiert. Damit leistet dieses „kollektive Gedächtnis“ einen wesentlichen Beitrag zur Identitätsfindung einer Gemeinschaft[3] – das Gedächtnis als soziales und kulturelles Phänomen und weniger als biologisches.[4] Die neueren, deutschen Theorien der letzten Jahre sind entscheidend von den Arbeiten Jan Assmanns geprägt. Seine Monographie „Das kulturelle Gedächtnis“[5] gilt dabei als Standardwerk in Deutschland. Die „Konjunktur“ des Begriffs „kulturelles Gedächtnis“ setzt nicht nur für Thomas Anz zeitgleich mit dem Ende der DDR und der alten BRD ein. 1988 wird er zum ersten Mal von Jan Assmann verwendet und sehr rasch von anderen Autoren rezipiert.[6] Thomas Anz führt dieses breite Interesse auf die Wiedervereinigung zurück, als durch sie der Wunsch nach neuer Identität genährt wurde, den das „kulturelle Gedächtnis“ stillen soll.[7] Der französische Geschichtsforscher Pierre Nora vertritt eine ähnliche These: Das Thema Gedächtnis sei nur deshalb so aktuell, weil wir keines mehr besäßen.[8] Auch in Deutschland häufen sich die Klagen über die „Gedächtnislosigkeit“.
Interessanterweise gründen die Thesen von Jan Assmann zur Konstitution von Gedächtnis nicht auf der Neuzeit, sondern er untersucht die Hochkulturen des Altertums,[9] aus denen sich aber die entscheidenden Überlegungen auf heute übertragen lassen. Die Analyse der antiken Erinnerungskultur gewinnt für ihn aufgrund der Epochenschwelle, an der wir uns heutzutage befinden, an Bedeutung, da sich Wesentliches auf die heutige Zeit übertragen lässt. Die entscheidende Veränderung, der wir uns heute gegenübergestellt sehen, ist das Sterben der letzten Generation von „Zeitzeugen der schwersten Verbrechen und Katastrophen in den Annalen der Menschheitsgeschichte.“[10]
Aleida Assmann führt das Interesse am Thema Gedächtnis nicht allein auf die „Zeitzeugen-Problematik“ und die Katastrophe des Nationalsozialismus[11] zurück, sondern hält auch die neueren medizinischen Forschungsergebnisse über die Funktionsweise des Gehirns bzw. des menschlichen Gedächtnisses als auch den Computer und die digitalen Medien mit ihren unbegrenzten Speichermöglichkeiten für einen Auslöser.[12]
Für die Analyse heutiger Erinnerungs- bzw. Gedächtniskultur, die sich vor allem um die Erinnerung an den Nationalsozialismus – im besonderen um den Holocaust – dreht, erweisen sich die Theorien von Aleida und Jan Assmann als entscheidend, auch wenn sie selbst nicht grundlegend darauf eingehen. Sie führen zwar die Übertragbarkeit ihrer Theorien auf die heutige Zeit an, die Übertragung selbst überlassen sie in wesentlichen Teilen allerdings ihren Lesern.
Problematisch hat sich bei diesem Thema der Erinnerung und des Gedächtnisses erwiesen, dass es oft an sprachlicher Präzision mangelt. Einerseits liegt das an der umgangssprachlichen Prägung der beiden Begriffe Erinnerung und Gedächtnis, wobei sie meistens gleichgesetzt werden. Andererseits arbeiten die Autoren meist selbst nicht konsequent mit den Begriffen.[13] Allerdings herrscht die gleichmütige Ansicht vor, das der Begriff des Gedächtnisses mit objektivem Speichern gleichzusetzen ist, während Erinnern vom Subjekt geprägt ist, insofern auch Vergessen miteinschließt.
„Im Falle des Erinnerns wird die Zeitdimension, die beim Speichern stillgestellt und überwunden ist, akut. Indem die Zeit aktiv in den Gedächtnisprozeß eingreift, kommt es zu einer grundsätzlichen Verschiebung zwischen Einlagerung und Rückholung. Während bei der Mnemotechnik die exakte Übereinstimmung von input und output entscheidend war, kommt es bei der Erinnerung zu ihrer Differenz. [...] Das Vergessen ist der Gegner des Speicherns, aber der Komplize der Erinnerung. [...] Die Maschinen können speichern, was der Mensch mit einer entsprechenden Mnemotechnik in bestimmten Grenzen ebenfalls kann. Die Menschen können aber obendrein erinnern, wozu die Maschinen bisher noch nicht imstande sind.“ [14]
Im Folgenden soll die Theorie des kulturellen Gedächtnisses vorgestellt werden. Wie konstituiert es sich, inwiefern setzt es sich von anderen Gedächtnisformen ab, zu der in gewisser Weise auch die Geschichte als faktenorientiertes Gedächtnis und das Vergessen als negative Gedächtnisform gehören, bzw. in welcher Weise greifen sie ineinander ein und ergänzen sich? Welche Rolle spielt das kulturelle Gedächtnis für eine Gesellschaft, inwieweit formt das kulturelle Gedächtnis die Gesellschaft und inwieweit die Gesellschaft das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft?
2.1 Das kulturelle Gedächtnis
Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses von Jan Assmann ist die Erweiterung der Theorie des kollektiven Gedächtnisses von Maurice Halbwachs. Halbwachs unterscheidet zwischen einem persönlichen und autobiographischen Gedächtnis und einem sozialen, historischen Gedächtnis. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das zweite zwar umfassender ist, aber auch wesentlich schematischer. Die persönlichen Erinnerungen sind nie vollständig, das kollektive Gedächtnis ergibt somit ein dichteres, kohärenteres Bild.[15] Dieses historische, kollektive Gedächtnis ist dennoch nicht mit Geschichte zu verwechseln, da sich Geschichte immer erst dann bildet, wenn das kollektive Gedächtnis bereits nicht mehr vorhanden ist. Das kollektive Gedächtnis behält immer nur das, was in der Gruppe lebendig ist. Geschichte allerdings setzt erst an dem Punkt ein, an dem die lebendigen Zeugnisse nicht mehr existieren und sie daher schriftlich festgehalten werden müssen, damit sie weiter überliefert werden können.[16]
„Solange eine Erinnerung fortbesteht, ist es unnötig, sie schriftlich festzulegen, sie überhaupt festzulegen.“[17]
Jan Assmann übernimmt von Halbwachs nur, dass das Gedächtnis im Wesentlichen von Außenfaktoren bestimmt wird.[18] Er unterscheidet zwischen vier solcher von außen geprägter Gedächtnisformen:
- dem mimetischen Gedächtnis – das Nachmachen und Wiederholen von hauptsächlich alltäglichen Handlungen -;
- dem Gedächtnis der Dinge – die den Menschen umgebenden Objekte als Erinnerung an seine Vergangenheit -;
- dem kommunikativen Gedächtnis – die Interaktion mit anderen Individuen ermöglichen dem Menschen erst die Bildung von Bewusstsein und Gedächtnis -;[19]
- und dem kulturellen Gedächtnis – das für die Überlieferung und Vermittlung von Sinn in einer Gesellschaft verantwortlich ist -.[20]
„Wenn mimetische Routinen den Status von ‚Riten‘ annehmen, d.h. zusätzlich zu ihrer Zweckbedeutung noch eine Sinnbedeutung besitzen, wird der Bereich des mimetischen Handlungsgedächtnisses überschritten. Riten gehören in den Bereich des kulturellen Gedächtnisses, weil sie eine Überlieferungs- und Vergegenwärtigungsform des kulturellen Sinns darstellen. Dasselbe gilt für Dinge, wenn sie nicht nur auf einen Zweck, sondern auf einen Sinn verweisen: Symbole, Ikonen, Repräsentationen wie etwa Denksteine, Grabmale, Tempel, Idole usw. überschreiten den Horizont des Dinggedächtnisses, weil sie den impliziten Zeit- und Identitätsindex explizit machen.“[21]
Das kulturelle Gedächtnis übernimmt die Sinnstiftung und greift insofern auch in die anderen Gedächtnisformen ein, wenn diese mit Sinngehalten aufgeladen werden. So verhält es sich nicht nur beim mimetischen und Dinggedächtnis, sondern auch beim kommunikativen Gedächtnis. Die vielen Mitteilungen und Informationen, die kulturellen Sinn vermitteln, können nicht mehr vom kommunikativen Gedächtnis gespeichert werden, sie müssen aus der Kommunikationssituation ausgelagert werden, weil in ihr nur eine kleine Menge an Sinngehalten verlässlich erinnert und überliefert werden kann. Die Übermittlung von Sinn ist für eine Gemeinschaft unerlässlich, bezieht sie doch gerade darüber ihre Identität. Um mehr speichern zu können, entwickelte sich die Schrift.
„Im Stadium reiner Gedächtniskultur und vorschriftlicher Notationssysteme bleibt der Zwischenspeicher und Außenspeicher der Kommunikation eng auf das Kommunikationssystem bezogen. Das kulturelle Gedächtnis deckt sich weitestgehend mit dem, was innerhalb der Gruppe an Sinn zirkuliert. Erst mit der Schrift im strengen Sinne ist die Möglichkeit einer Verselbständigung und Komplexwerdung dieses Außenbereichs der Kommunikation gegeben.“[22]
In einer mündlichen Kultur ist die Größe der möglichen Sinnvermittlung sehr begrenzt, da nur sehr wenig Informationen dauerhaft speicherbar sind, erst durch die Einführung der Schrift erweitert sich die Speicherkapazität. Die Schrift hat zu einer Vergrößerung des kulturellen Gedächtnisses beigetragen, dennoch darf man kulturelles Gedächtnis nicht mit Schriftlichkeit und kommunikatives Gedächtnis nicht mit Mündlichkeit gleichsetzen.[23] Auch in einer mündlichen Kultur gibt es ein kulturelles Gedächtnis als Sinnträger der Gemeinschaft. Dort drückt es sich vor allem in Riten und Bräuchen, wie z.B. Festen aus, die über Generationen hinweg exerziert werden.[24] Das kulturelle Gedächtnis bedarf nicht nur dieser Institutionen, sondern auch der Pflege durch spezialisierte Träger.[25]
Feste Bezugsformen, die nicht veränderbar sind, sind für Gemeinschaften wichtig, um gemeinsame Anknüpfungspunkte zu haben. Die Schrift nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Niedergeschriebenes ist etwas Fixiertes, es ist zwar interpretierbar, aber der Ursprungstext an sich wird nicht verändert. Der Kanon, wie z.B. die Tora oder die Bibel, gilt als unantastbares Schriftstück für eine Gesellschaft. Was in der mündlichen Kultur die Wiederholung für die Weitergabe des kulturellen Gedächtnisses ist, ist die Textauslegung, die Beschäftigung mit dem Text, für die schriftliche Kultur.
„Repetition und Interpretation sind funktionell äquivalente Verfahren in der Herstellung kultureller Kohärenz.“[26]
Der Unterschied besteht darin, dass die Repetition von Riten zum Zwang in der mündlichen Kultur wird. Wenn sie nicht ständig wieder in Erinnerung gerufen werden, fallen sie dem Vergessen anheim. In der schriftlichen Kultur ist der Text immer wieder neu lesbar und die Sorge um das Vergessen insofern geringer.
„Und genau dieser Zwang [zur Wiederholung, zum Ritus] ist es, der die rituelle Kohärenz garantiert und von dem sich Gesellschaften beim Übergang in textuelle Kohärenz freimachen.“[27]
Die Gefahr in der schriftlichen Kultur ist die Verkümmerung natürlicher Gedächtniskapazitäten. Jan Assmann vergleicht die Schrift mit dem Automobil: während die Gesellschaft einerseits durch das Auto mobiler geworden ist, weil der Mensch damit schneller und bequemer überall hinfahren kann, sorgt es anderseits für eine zunehmende körperliche Unbeweglichkeit. Genauso verhält es sich mit der Schrift: einerseits ermöglicht sie als „externalisiertes Gedächtnis“[28] eine ständige Wiederaufnahme einer enormen Menge an Mitteilungen und Informationen, andererseits entlastet sie unser natürliches Gedächtnis, so dass dieses zu verkümmern droht.[29] Wenn etwas aufgeschrieben ist, besteht nicht mehr die Notwendigkeit, es im Gedächtnis abrufbereit zu halten, man kann es einfach nachlesen. Diese Einstellung drückt sich heute in der geringen Reputation von Auswendig-Gelerntem aus.[30]
2.1.1 Das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis
Während das kommunikative Gedächtnis die Erinnerungen aus der jüngsten Vergangenheit übermittelt, umspannt das kulturelle Gedächtnis einen weit größeren Zeitraum.[31] Das kulturelle Gedächtnis richtet sich auf Fixpunkte in der Vergangenheit, die zu symbolischen Figuren werden.[32] Das beste Beispiel hierfür sind religiöse Feste, wie Weihnachten und Ostern im Christentum oder der Sabbat oder das Purimfest im Judentum. In einer Schriftkultur erfüllt diesen Zweck der Kanon. Der Kanon gehört zum kulturellen Gedächtnis, da der Kanon den ständigen, wandelbaren Überlieferungsfluss unterbricht, den das kommunikative Gedächtnis auszeichnet. Der Kanon definiert etwas für die Gemeinschaft als verbindlich und erhebt den Anspruch auf Unveränderbarkeit.[33]
„Unter einem ‚Kanon‘ verstehen wir jene Form von Tradition, in der sie ihre höchste inhaltliche Verbindlichkeit und äußerste formale Festlegung erreicht. Nichts darf hinzugefügt werden, nichts weggenommen, nichts verändert werden.“[34]
Das kulturelle Gedächtnis gilt für Assmann als „Sammelbegriff für alles Wissen, das im spezifischen Interaktionsrahmen einer Gesellschaft Handeln und Erleben steuert und von Generation zu Generation zu wiederholter Einübung und Einweisung ansteht.“[35] Dieses Handeln und Erleben ist fern vom Alltag, wie es sich im Fest und im Kanon äußert, es transportiert schicksalhafte Ereignisse, deren Erinnerung auf verschiedenste Arten und Weisen – Texte, Riten, Denkmäler und deren Rezeption – wachgehalten wird.[36] Im Gegensatz dazu steht das kommunikative Gedächtnis, das als „Alltagsgedächtnis“[37] definierbar ist. Das kommunikative Gedächtnis beinhaltet Erinnerungen, die das Individuum mit seinen Zeitgenossen teilt.[38]
„Wenn die Träger, die es verkörperten, gestorben sind, weicht es einem neuen Gedächtnis.“[39]
Das kulturelle Gedächtnis wird über Jahrhunderte weitervermittelt, während das kommunikative Gedächtnis einen sehr beschränkten Zeithorizont von drei, allerhöchstens vier Generationen, von 80 bis 100 Jahren hat.[40] Es kennt keine Fixpunkte. Es setzt sich ständig weiter fort, gerät in Vergessenheit mit alten, ausgestorbenen Generationen und erneuert sich mit jeder neugeborenen Generation. Wenn eine Generation stirbt, verschwindet damit auch ihr Gedächtnis, die von ihnen erzählten Erlebnisse und Erfahrungen, mit. Es sei denn, es gab ein bestimmtes Ereignis, dessen Erinnerung einen entscheidenden Sinngehalt für die nachfolgenden Generationen hat, d.h. die Erinnerung an dieses Ereignis und der damit verbundene Sinn werden ins kulturelle Gedächtnis aufgenommen. Niethammer bezeichnet das kommunikative Gedächtnis daher als „soziales Kurzzeitgedächtnis [...], insofern es die fluide und vergängliche Verständigung der Mitlebenden über ihre [...] selbsterlebte [...] Vergangenheit darstellt, während das kulturelle Gedächtnis jene Symbolisierungen überliefere und zu künftigen Lektüren bereithalte, in denen sich der sinnhafte Erfahrungsgehalt der Mitlebenden – bzw. dessen Deutung oder Zuschreibung durch Nachlebende – objektiviert hat.“[41]
Beim Thema Holocaust erleben wir in einem solchen Übergang vom kommunikativen, erlebten zum kulturellen, symbolisch vermittelten Gedächtnis. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen des Holocaust. Das durch sie vermittelte kommunikative Gedächtnis ist vom Vergessen bedroht. Durch die Ausnahmestellung des Holocausts beschäftigt er bereits heute nicht nur die direkten Zeitzeugen, sondern auch deren Kinder und Enkelkinder, folglich wird er einen wesentlichen Platz im kulturellen Gedächtnis einnehmen.[42] Die Vermittlung dieses symbolischen, kulturellen Holocaust-Gedächtnisses übernehmen die Medien, auf die ihnen dadurch zukommende Sonderstellung wird im Folgenden noch eingegangen werden.[43]
Das kulturelle Gedächtnis orientiert sich an Fixpunkten, ohne erstarrte Formen anzunehmen. Jan Assmann bezeichnet diese Eigenschaft des kulturellen Gedächtnisses als „rekonstruktiv“,[44] es bezieht sein Wissen immer auf eine aktuelle gegenwärtige Situation, in jeder Gegenwart setzt es sich neu in Beziehung zu den verankerten Erinnerungsfiguren und Wissensbeständen.[45] Das Holocaust-Gedächtnis wird beispielsweise von bestimmten Teilen der Bevölkerung umso stärker gelebt, umso stärker rechtsradikale, antisemitische Tendenzen in der Gesellschaft wahrgenommen werden.
2.1.2 Die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses für die Identität einer Gruppe
Der Identitätsbegriff unterliegt einer ähnlichen Inflation wie der des kulturellen Gedächtnisses, wobei ersterer bereits zehn Jahre früher als der Gedächtnisbegriff Konjunktur hatte.
„Seit den späten siebziger Jahren setzte ungefähr gleichzeitig in beiden deutschen Teilstaaten eine stärkere Besinnung auf die deutsche Geschichte als eigene Geschichte ein. Nachträglich nimmt sich das wie eine Vorbereitung auf die neue Einheit aus, obwohl es – soviel ich weiß – von keiner der beiden Seiten so gedacht war.“[46]
Ein gemeinsames Gedächtnis ist für eine Gemeinschaft notwendig, um kollektives Bewusstsein und Identität zu schaffen, sonst droht ihr der Untergang.
„Der Untergang von Ethnien ist (bis auf seltene Ausnahmen wie etwa des Inka-Reichs) keine Sache physischer Auslöschung, sondern kollektiven und kulturellen Vergessens.“[47]
Individuum wie auch Gruppe brauchen das Gedächtnis, um ihre Identität zu erkennen. Man erinnert sich, um dazuzugehören.[48] Während das Gedächtnis des Individuums auf einer biologischen, neuronalen Basis beruht, zieht die Gruppe die Kultur als Grundlage heran.[49] Assmann definiert die Kultur als Identitätsstifter, da sie einen „Komplex identitätssichernden Wissens, der in Gestalt symbolischer Formen wie Mythen, Liedern, Tänzen, Sprichwörtern, Gesetzen, heiligen Texten, Bildern, Ornamenten, [...] ganzer Landschaften objektiviert ist“,[50] darstellt. Gruppenbewusstsein kann also nur durch gemeinsames Wissen um gemeinsame Vergangenheit und um damals gemeinsam erfahrene und danach zum Symbol gewordene Ereignisse entstehen.[51]
„Gruppen stützen typischerweise [...] das Bewusstsein ihrer Einheit und Eigenart auf Ereignisse in der Vergangenheit. Gesellschaften brauchen die Vergangenheit in erster Linie zum Zwecke ihrer Selbstdefinition. [...] Die Imagination nationaler Gemeinschaft ist angewiesen auf die Imagination einer in die Tiefe der Zeit zurückreichenden Kontinuität.“[52]
Die Herausbildung von kollektiven Identitäten ist wesentlich von gemeinsamen Erinnerungen abhängig,[53] darüber hinaus bedarf es „Formen öffentlicher Repräsentation“[54] dieser Erinnerungen. Harth hebt dabei die Entstehung von kulturtragenden Eliten hervor, die diese Produktion fördern und auch für deren Zirkulation, also für Kommunikation verantwortlich sind.[55] Die bisher wirkungsvollsten Symbolsysteme, die Gemeinschaft stiftend wirken, sind die Religionen.[56] Vor allem das Judentum ist reich an Symbolen, Festen und Riten, die sich für die kulturelle Kohärenz dieser sich ständig in Verfolgung befindenden Gemeinschaft als entscheidend herausgestellt haben.[57] In der Diaspora wird die Erinnerung an die Vergangenheit die einzige Stütze für eine gemeinsame Identität.
„Das Verlassen eines Ortes läßt nichts übrig, außer der Erinnerung. [...] Identität in der Diaspora ist nicht allein Reflexion einer vermittelten Vergangenheit; Erinnerung weniger Weg der Bewahrung der Vergangenheit und ihrer Sinnansprüche. Erinnerung wird zur Identifizierung selbst.“[58]
In der Art mit dem kulturellen Vermächtnis umzugehen, zeigen sich wesentliche Züge einer Gemeinschaft.[59] Kulturen haben sehr unterschiedliche Beziehungen zu ihrer Erinnerung. Meist gilt, dass die kulturelle Verwurzelung so lange selbstverständlich ist, wie sie nicht bedroht wird; geht sie aber verloren, beginnt die Suche nach ihr. Das Judentum gilt als Beispiel, das man bereits für das Altertum anführen kann, modernere Beispiele sind das irische und polnische Volk.[60] Einen anderen Ursprung des unterschiedlichen Umgangs mit Vergangenheit führt Peter Burke auf die unterschiedlichen Perspektiven der erlebten Vergangenheit zurück:
„Schon oft hieß es, die Sieger hätten die Geschichte geschrieben. Und doch könnte man auch sagen: Die Sieger haben die Geschichte vergessen. Sie können sich’s leisten, während es den Verlierern unmöglich ist, das Geschehene hinzunehmen; diese sind dazu verdammt, über das Geschehene nachzugrübeln, es wiederzubeleben und Alternativen zu reflektieren.“[61]
2.2 Geschichte und Gedächtnis
Jan Assmann setzt den Begriff des kulturellen Gedächtnisses mit dem der Erinnerungskultur gleich.[62] Es geht um die verschiedenen Formen des Vergangenheitsbezugs, vor allem um die zeitliche Dimension. Damit man sich auf die Vergangenheit beziehen kann, muss sie als solche ins Bewusstsein gerufen werden. Dies wiederum setzt voraus, dass es noch Zeugnisse aus der Vergangenheit gibt und dass diese Zeugnisse eindeutig von der Gegenwart trennbar sind.[63] Der Unterschied zur reinen Tradition oder Überlieferung besteht darin, dass die Erinnerungskultur bzw. das kulturelle Gedächtnis die Dimension des Vergessens[64] und vor allem des Verdrängens im psychologischen Sinne miteinschließt.[65]
„Der Begriff der Tradition lässt keinen Raum für das Unbewusste. Die Theorie des kulturellen Gedächtnisses baut auf den Freudschen Einsichten in die psychohistorische Dimension und Dynamik der kulturellen Überlieferung auf. Dieses Gedächtnis umfasst im Gegensatz zum kollektiven oder Bindungsgedächtnis [wie es Halbwachs interpretiert – Anm. d. Verf.] das Nichtinstrumentalisierbare, Häretische, Subversive, Abgespaltene.“[66]
Das kulturelle Gedächtnis ist also beweglich, schließt ein und aus, Vergangenheit wird nicht als solche bewahrt, sondern ändert sich ständig mit ihrem Bezugsrahmen.[67] Damit steht die Geschichte in genauem Gegensatz zum kulturellem Gedächtnis, die Geschichte ist objektiv, unparteiisch und unbeeinflussbar.[68] Das Gedächtnis behält nur das, was eine Gemeinschaft als wichtig empfindet, die Geschichte wiederum ist detailgetreu und arbeitet wertneutral.[69] Das Gedächtnis ist abhängig von seiner Trägergruppe, damit verbunden ist eine Vielzahl von Gruppengedächtnissen, während es Geschichte nur einmal geben kann.[70]
2.2.1 Das Speicher – und das Funktionsgedächtnis
Aleida Assmann führt die Unterscheidung zwischen kulturellem Gedächtnis und Geschichte an zwei Gedächtniskategorien aus. Die Geschichte ordnet sie als eine von zwei Erinnerungskategorien dem kulturellen Gedächtnis zu. Sie benutzt den Begriff „Geschichte“ zwar nicht, anhand ihrer Charakterisierung liegen allerdings entscheidende Parallelen zur Geschichte vor, weshalb sie in dieser Arbeit auch dementsprechend interpretiert werden. Aleida Assmann unterscheidet zwischen einem bewohnten und einem unbewohnten Gedächtnis. Das bewohnte Gedächtnis kennzeichnet sie mit den Merkmalen: „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung“.[71] Es hat spezifische Träger wie eine Gruppe, ein Individuum oder auch eine Institution; es kann nicht nur erinnern, sondern auch vergessen, verfährt also selektiv; es vermittelt Werte, die für die Identitätsfindung wichtig sind, und es schafft einen Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.[72] Aufgrund dieser vier verschiedenen Eigenschaften nennt es Aleida Assmann das „Funktionsgedächtnis“.[73]
Dem unbewohnten Gedächtnis gibt sie den Namen „Speichergedächtnis“.[74] Dieses ist das „Gedächtnis der Gedächtnisse, das in sich aufnimmt, was seinen vitalen Bezug verloren hat.“[75] Es hat keine spezifischen Träger; es grenzt die Zeiten genau voneinander ab; es setzt keine Prioritäten, kennt also keine Selektion; und es will keine Normen und Werte vermitteln, sein Ziel ist es, die objektive Wahrheit darzustellen.[76] Damit kann man das Funktionsgedächtnis mit dem eigentlichen kulturellen Gedächtnis bzw. der Erinnerungskultur Jan Assmanns[77] und das Speichergedächtnis mit der Geschichte gleichsetzen. In einer gemeinsamen Arbeit stellen Jan und Aleida Assmann allerdings heraus, dass beide Gedächtnisarten das kulturelle Gedächtnis ausmachen.[78] Die Ausdifferenzierung des kulturellen Gedächtnisses kam durch die Erfindung Gutenbergs, Texte zu drucken und damit einfacher zu publizieren. Dies hat zu einem rasanten Anstieg der Ausmaße des kulturellen Gedächtnisses und damit zur Aufteilung von Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis geführt.[79] Aleida Assmann ist es wichtig, die zwei Gedächtnisarten zwar voneinander zu trennen, aber dennoch zu betonen, dass eine gegenseitige Verschränkung stattfindet, die für beide Gedächtnisformen nützlich ist.
„Während die antagonistische Opposition beider Modi der Erinnerung hier wie dort problematische Potentiale hervorkehrt, indem sie die Historiographie wertlos und das Gedächtnis mythisch macht, steckt in ihrer Verschränkung ein für beide Seiten heilsames Korrektiv. Ein vom Speichergedächtnis abgekoppeltes Funktionsgedächtnis verkommt zum Phantasma, ein vom Funktionsgedächtnis abgekoppeltes Speichergedächtnis verkommt zu einer Masse bedeutungsloser Informationen. So wie das Speichergedächtnis das Funktionsgedächtnis verifizieren, stützen oder korrigieren kann, kann das Funktionsgedächtnis das Speichergedächtnis orientieren und motivieren.“[80]
Geschichte im Sinne des Speichergedächtnisses ist ein wesentlicher Lieferant für das kulturelle Gedächtnis im Sinne des Funktionsgedächtnisses. Das Funktionsgedächtnis selektiert aus dem Speichergedächtnis, das von ihm als „sinn-voll“ bewertete, und eignet es sich an, indem es im Speichergedächtnis noch zusammenhang- und strukturlose Elemente verbindet. „Aus diesem konstruktiven Akt geht Sinn hervor, eine Qualität, die dem Speichergedächtnis abgeht.“[81] Insofern kann auch nur das Funktionsgedächtnis Identität vermitteln und entspricht somit wesentlich stärker dem kulturellen Gedächtnis wie es Jan Assmann 1992 definiert, weshalb in dieser Arbeit auch eine Gleichsetzung vorgenommen wird. Die Aufgabe des Speichergedächtnisses ist es, Platz für die sich ständig vermehrende „Masse von Daten, Informationen, Erinnerungen“[82] zu bieten, die im Speichergedächtnis noch abstrakt ist und nur durch gezielte Selektion, die vom Funktionsgedächtnis vorgenommen wird, Sinn erzeugt.
„Aus all dem ergibt sich, daß das Speicher-Gedächtnis keine Erinnerungsbasis für kollektive Identitäten bereitzustellen vermag. Die eingebaute Distanzwahrung und Relativierung der Inhalte versperren ja gerade den instrumentellen Identifikationsbezug. [...] Dennoch ist die Bedeutung des Speicher-Gedächtnisses für die Gesellschaft nicht zu unterschätzen; es bildet den Kontext der verschiedenen Funktionsgedächtnisse, gewissermaßen deren Außenhorizont, von dem aus die verengten Perspektiven auf die Vergangenheit relativiert, kritisiert und nicht zuletzt: verändert werden können. Auf dem Boden des kulturellen Gedächtnisses existieren nun einmal beide Formationen, und es hängt für die Zukunft der Kultur viel davon ab, daß sie in ihrem Nebeneinander auch unter neuen medialen Bedingungen erhalten bleiben.“[83]
2.2.2 Die Verdrängung des Gedächtnisses durch die Geschichte
„Nur deshalb spricht man so viel vom Gedächtnis, weil es keines mehr gibt .[...]
Die ganze Welt ist in diesen Sog geraten, kraft dem bekannten Phänomen der Demokratisierung und Vermassung, kraft der Tatsache, daß jedes Geschehen Weltgeschehen und Medienereignis wird. [...] Es ist das Ende der Gedächtnisgesellschaften, all jener Institutionen, die die Bewahrung und Weitergabe der Werte sicherten, Kirche oder Schule, Familie oder Staat.“ [84]
Pierre Nora geht davon aus, dass die Geschichte das Gedächtnis verdrängt hat, während das Gedächtnis der Erinnerung eine in gewisser Weise heilige, unantastbare Stellung gibt, sorgt die Geschichte für Entzauberung.[85] In der heutigen Welt, in der die reine Wissenschaft dominiert, hat das wertevermittelnde Gedächtnis keinen Platz mehr. Er konstatiert einen Gedächtnisverlust, den wir durch die Errichtung von Gedächtnisorten kompensieren wollen, wobei Gedächtnisorte nicht nur räumlich zu definieren sind.[86]
Nora manifestiert den Bruch des Gedächtnisses von der Geschichte am Umgang der Franzosen mit ihrer Geschichtsschreibung - vor allem mit der der Französischen Revolution. Ihre Mythen werden in letzter Zeit aufgedeckt, damit wird der Revolution das ihr vorher eigene Sakrale genommen. Die Infragestellung der Französischen Revolution sieht Nora als Indiz dafür, dass die Franzosen sich nicht mehr als diejenigen sehen, die sie weiterführen.[87] In der Tat haben die Franzosen erst bei der Zweihundertjahrfeier angefangen, die Französische Revolution auch von ihrer negativen Seite zu erforschen und in Frage zu stellen.[88]
Die Theorie Noras ist insofern auf die Franzosen zugeschnitten. In Deutschland hat die Infragestellung der eigenen Geschichte aufgrund des Nationalsozialismus schon längst eine eigene Geschichte. Nora folgend müsste man also für Deutschland einen bereits seit langem andauernden Gedächtnismangel konstatieren, für den es gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus auch Anzeichen gibt, wie z.B. die Kontroversen um Mahnmale oder andere Gedenkstätten belegen.
Aleida Assmann widerspricht Nora, sie sieht eher eine entgegengesetzte Entwicklung in Deutschland. Die lebendige Geschichtserfahrung ist nicht durch eine wissenschaftliche Geschichtsforschung ersetzt worden, sondern das Gegenteil ist der Fall, durch die Erforschung von geschichtlichen Fakten ist uns der Holocaust lebendiger vor Augen, als er das z.B. 1950 oder 1960 war.[89]
„Das Ereignis des Holocaust ist mit zeitlicher Distanz nicht farbloser und blasser geworden, sondern paradoxerweise näher gerückt und vitaler geworden.“[90]
Verfolgt man Noras Theorie weiter, in der er davon ausgeht, dass wir den Verlust unseres Gedächtnisses durch die Schaffung von Gedächtnisorten ausgleichen, muss man für Deutschland also die Frage stellen, ob diese Gedächtnisorte zur Kompensation ebenfalls gibt. Ein aktuelles Beispiel für einen solchen Gedächtnisort, der nach Noras Definition ein Ort ist, der mit Absicht für die Nachwelt hinterlassen wird, ist das Berliner Holocaust-Mahnmal, auf das im Folgenden noch eingegangen werden wird.[91] Im Sinne von Nora wird es errichtet, weil die Erinnerung an den Holocaust uns nicht mehr nahe genug ist, daher brauchen wir diesen Gedächtnisort, der das Erinnern anmahnt.
„Ohne die Wacht des Eingedenkens fegte die Geschichte sie [die Gedächtnisorte – Anm. d. Verf.] bald hinweg. Wäre aber das, was sie verteidigen, nicht bedroht, so bräuchte man sie nicht zu konstruieren. Lebte man die in ihnen eingeschlossenen Erinnerungen wirklich, so wären sie unnütz.“[92]
Gehen die Gedächtnisorte allerdings in die Geschichte ein, dann erstarren sie. Einerseits wollen die Gedächtnisorte die Geschichte lebendig machen, indem sie an etwas erinnern wollen, andererseits bemächtigt sich die Geschichte ihrer.[93] Das lebendige Gedächtnis ist für Nora das „wahre Gedächtnis“,[94] die Geschichte hingegen drückt sich für ihn in einem „archivarischen Gedächtnis“[95] aus.
„Je weniger das Gedächtnis von innen her erlebt wird, desto mehr bedarf es äußerer Stützen und greifbarer Anhaltspunkte einer Existenz, die nur dank dieser noch lebt. Daher die Archivierwut, die den Menschen von heute kennzeichnet, und die sich auf die vollständige Bewahrung sowohl der gesamten Gegenwart als auch der Vergangenheit richtet. Das Gefühl eines raschen und endgültigen Verschwindens verbindet sich mit der besorgten Unruhe, was eigentlich die Gegenwart bedeutet, und mit der Ungewißheit, was wohl die Zukunft bringen wird – und dies verleiht noch dem bescheidensten Überrest, dem geringsten Zeugnis die virtuelle Würde des Erinnerungswürdigen.“[96]
Es findet keine Selektion statt, alles wird gespeichert, weil man nicht mehr zur Differenzierung fähig ist, was nicht nur für Nora, sondern auch für Aleida Assmann Geschichte bzw. Speichergedächtnis ausmacht.[97] Selektion durch Vergessen – nicht ein Vergessen, wie es beim Erstarren von lebendiger Erinnerung durch Geschichte der Fall ist, sondern aktives Vergessen, wird zur entscheidenden, überlebenswichtigen Eigenschaft, die im kulturellen Gedächtnis verankert ist.[98] Wobei Vergessen hier auf keinen Fall mit Vergessen als Verdrängen im Freudschen Sinne verwechselt werden darf.
2.3 Das Vergessen
„Vergessen, nach seiner alten Bedeutung ‚aus seinem Besitz verlieren‘, ist ein Vorgang, der von der Fähigkeit zum Gedenken, das ihm vorausgeht, abhängig sein muß. Nur so kann das Vergessen auch als ein Vorgang der Bereinigung gedacht werden, der Raum schafft für bewußte und gewichtete Erinnerung.“[99]
Angesichts der nicht nur durch die digitalen Medien steigenden Speicherfähigkeit und der Informationsflut wird auch das Vergessenkönnen zur Überlebensfrage in der heutigen Zeit.[100] Für den Computer ist das Vergessen, das unwiederbringliches Löschen bedeutet, eine Katastrophe,[101] für den Menschen und dessen subjektiver Erinnerung ist Vergessen eine Wohltat, wobei Vergessen nicht unwiderrufliches Löschen bedeutet, sondern durchaus auch wieder den Weg zurück in die präsente Erinnerung gehen kann. Vergessen darf hier nicht mit dem Verdrängen im Freudschen Sinne verwechselt werden;
„Das Vergessen ist der Gegner des Speicherns, aber der Komplize der Erinnerung.“[102]
Etwas vergessen zu können, erfordert Distanz zum Ereignis. Für die Opfer des Holocaust kann es diese Distanz zu den Grausamkeiten des Nationalsozialismus nicht geben. Abstandnahme und damit Vergessen sind angesichts der Verbrechen für sie unmöglich. Diese Erfahrung des zur Unmöglichkeit gewordenen Vergessens erfordert, dass wir uns mit dem Thema auf eine andere Art auseinandersetzen, als es bisher der Fall war.[103] Wenn es um den Holocaust geht, wird das Vergessen zu einer Frage der Moral.[104]
Der Holocaust darf aus rein ethischen Gründen nicht dem Vergessen anheim fallen, dennoch bedürfen wir des Vergessens. Im Christentum gilt Vergesslichkeit als Sünde, Vergessen wird meist als negativ angesehen, im Sinne von Scheitern der Erinnerung.[105] Nichts vergessen zu wollen bzw. zu können, führt zur „totalen Erinnerungskultur“,[106] damit verschwindet das kulturelle Gedächtnis. Seine Aufgabe ist es zu werten, zwischen Sinnlosem und Sinnvollem zu selektieren, in einer totalen Erinnerungskultur; ist aber alles wert, konserviert zu werden. Jeder schreibt seine Memoiren, auch wenn sie von noch so alltäglichen und ordinären Dingen berichten. Und je unbedeutender sie sind, umso mehr gelten sie als wichtiges Zeugnis der Durchschnittsmentalität.[107] Diese Kritik trifft auch die Oral History, die sich in den siebziger Jahren durch Interviews von einfachen Arbeitern herausgebildet hat. Die Oral History hat aber auch zu wesentlichen Erkenntnissen über die Arbeiterbewegung beigetragen.[108]
Eine Generation hat keinen Einfluss darauf, was ihre Nachfolgegeneration an kulturellem Besitz von ihr übernimmt bzw. vergisst.
„Doch zwingt das kollektive geschichtliche ‚Erbe‘ die Erben nicht zur Annahme. Was sie zu ihrer Geschichte rechnen werden, was sie verwerfen oder gerade durch ihr selbst-verordnetes, rituelles Gedächtnis in Vergessenheit fallenlassen, bleibt zwischenzeitlich unbestimmt. Das Überlieferte ist wie ein herrenloser Besitz, der sich freilich nicht in beliebiger Weise von Späteren in Besitz nehmen läßt; es schwebt, mit Kant zu reden, zwischenzeitlich zwischen Annahme und Verwerfung, fordert aber zur Annahme heraus und läßt sich keineswegs ungestraft verwerfen.“[109]
Generationen wollen, dass an sie erinnert wird. Dies macht auch Siegfried Lenz bewusst, indem er davon spricht, dass nur woran wir uns erinnern, was wir bezeugen können, geschehen ist.[110] Eine Generation, die vergessen wird, hat es nicht gegeben, der Sinn ihres Lebens wird ihnen nachträglich aberkannt.
2.4 Die Medien des kulturellen Gedächtnisses
Nur wenn ein Sinn erkennbar ist, bleibt etwas im Gedächtnis haften und wird weitervermittelt.[111] Ebenso gilt, dass nur erinnert wird, was kommuniziert wurde.[112] Gedächtnis lebt folglich von Kommunikation; bricht diese Kommunikation ab, folgt das Vergessen.[113] Nicht nur das individuelle Gedächtnis bildet sich durch Kommunikation mit anderen,[114] das selbe gilt auch für das soziale Gedächtnis. Der Begriff des kommunikativen Gedächtnisses assoziiert zu Unrecht, dass nur dieses Gedächtnis der Kommunikation bedarf, auch andere Gedächtnisformen kommen ohne Austausch nicht aus, nur müssen sie den Umweg über Medien machen, während das kommunikative Gedächtnis vom direkten Austausch lebt. Die Erinnerungskultur ist im Wesentlichen eine Frage der Kommunikation.
Für den Holocaust stellt sich, wie bereits erwähnt, zur Zeit die Frage, wie die authentischen Berichte der Zeitzeugen für die Nachwelt weiter erhalten bzw. welche Erfahrungen kommunizierbar bleiben, welche Formen muss die Kommunikation über den Holocaust annehmen, wie können bzw. müssen Medien des kulturellen Gedächtnisses aussehen? Aleida Assmann sieht in diesem Übergang Gefahrenpotentiale: Sollten die falschen Medien bzw. die falsche Anwendung gewählt werden, kann das für die Gesellschaft eine Gedächtniskrise bedeuten.
„Wir haben es heute nicht mit einer Selbstaufhebung, sondern umgekehrt mit einer Verschärfung des Gedächtnis-Problems zu tun. Das liegt daran, daß das Erfahrungsgedächtnis der Zeitzeugen, wenn es in Zukunft nicht verlorengehen soll, in ein kulturelles Gedächtnis der Nachwelt übersetzt werden muß. Das lebendige Gedächtnis weicht damit einem mediengestützten Gedächtnis, das sich auf materielle Träger wie Denkmäler, Gedenkstätten, Museen und Archive stützt. Während im Individuum Erinnerungsprozesse weitgehend spontan ablaufen und den allgemeinen psychischen Mechanismen folgen, werden auf kollektiver und institutioneller Ebene diese Prozesse durch eine gezielte Erinnerungs- bzw. Vergessenspolitik gesteuert. Da es keine Selbstorganisation eines kulturellen Gedächtnisses gibt, ist es auf Medien und Politik angewiesen. Der Übergang vom lebendigen individuellen zum künstlich kulturellen Gedächtnis ist allerdings problematisch, weil er die Gefahr der Verzerrung, der Reduktion, der Instrumentalisierung von Erinnerung mit sich bringt. Solche Verengungen und Verhärtungen können nur durch öffentliche begleitende Kritik, Reflexion und Diskussion aufgefangen werden.“[115]
Aleida Assmann sieht die Schrift in Anlehnung an Jan Assmann als das bisher entscheidende Medium an; in der Durchsetzung der digitalen Medien, v.a. des Internet, prophezeit sie die Zurückdrängung der bisherigen Rolle der Schrift als wesentlichem Gedächtnisvermittler.
„Hier zeichnet sich gegenwärtig eine Epochenwende ab, bei der die zweieinhalbtausendjährige Leitmetapher des Gedächtnisses, die Schrift, durch die Megatrope des elektronischen Netzes abgelöst wird. Schreiben entwickelt sich immer mehr in Richtung Verknüpfung.“[116]
Die Definition „Medium“ findet bei den verschiedenen Autoren auf sehr unterschiedlichen Ebenen statt. Für Peter Burke gibt es fünf „Weitergabe-Medien“:[117] die mündliche Überlieferung, das Verfassen und Rezipieren konventioneller historischer Dokumente (z.B. Memoiren), gemalte oder photographische, ruhende oder bewegte Bilder, kollektive Gedenkrituale und geographische bzw. soziale Räume.[118] Aleida Assmann sieht Schrift, Bild, Ort und Körper als entscheidende Medien des Gedächtnisses. Wichtig ist ihr die Abgrenzung des Begriffs Archiv, da es ein Speicher ist, der von technischen Medien, wie z.B. der Schrift oder digitalen Informationen, gefüllt wird.[119]
„In ihrer kulturellen Überlieferung wird eine Gesellschaft sichtbar: für sich und für andere. Welche Vergangenheit sie darin sichtbar werden und in der Wertperspektive ihrer identifikatorischen Aneignung hervortreten läßt, sagt etwas aus über das, was sie ist und worauf sie hinauswill.“[120]
Die Auseinandersetzung mit den Medien der Erinnerungskultur zeigt, dass nicht nur in den Inhalten, die überliefert werden bzw. welche der Inhalte der Überlieferung für wert befunden werden, sich eine Gesellschaft präsentiert; sondern auch die Art und Weise, die Wahl und Art der Einsetzung der Medien macht eine entscheidende Aussage über die Gemeinschaft.[121] Diese Arbeit will zeigen, ob und wie die neuen, digitalen Medien als Medien des kulturellen Gedächtnisses eingesetzt werden (können). Zuvor sollen zwei bisher wichtige Medien des Gedächtnisses dargestellt werden: die Schrift (damit verbunden das Archiv) und das Denk- bzw. Mahnmal. Auch jüngere Medien wie Film und Fernsehen leisten einen wichtigen Gedächtnisbeitrag, allerdings ist ihre Wirkungsweise bisher nicht untersucht worden. Eine theoretische Verankerung kann diese Arbeit nicht leisten. Dass gerade die gemeinsame Rezeption von Filmen und Fernsehsendungen, sei sie auch zeitlich und räumlich getrennt, zu Ritualen eines kulturellen Gedächtnisses werden kann, ist unumstritten.[122] Sie vermitteln insofern nicht nur Sinninhalte früherer Generationen, wie es z.B. Filme aus den Anfangsjahren des Kinos in der heutigen Zeit tun, sondern werden selbst zu vermittelnden Inhalten, sowie es bei Texten oder Denkmalen der Fall ist. Das Museum als Vermittler von Gedächtnis wird zurückgestellt, da es bei Museen mehr um Vermittlung von Geschichte als von kulturellem Gedächtnis geht und sie ihre Blütezeit in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren hatten, die hier nicht beleuchtet werden soll.[123]
2.4.1 Die Schrift
Jan Assmann sieht im Übergang zur Schriftkultur eine Veränderung des kulturellen Gedächtnisses. Die Schrift ermöglichte neue konnektive Strukturen. Während vorher die kulturelle Bindung in einer Gemeinschaft durch die Nachahmung erreicht wurde, führte die Schrift die Auslegung ein.
„An die Stelle der Liturgie tritt die Hermeneutik.“[124]
Das kulturelle Gut wird also nicht nur gelebt, sondern es wird darüber nachgedacht, darüber diskutiert, darüber geschrieben. Die Schrift führt insofern auch zu einer gewissen Distanz zu sich selbst. Während vorher sämtliche Bemühungen der Erhaltung des kulturellen Guts, der Überlieferung von Sinngehalten galten, ist es nun möglich, dieses kulturelle Gut niederzuschreiben, es zu fixieren. Nun erst kann eine Auseinandersetzung mit dem kulturellen Gut stattfinden. Erst wenn es nicht mehr gelebt werden muss, um es zu erhalten, kann die nötige Distanz für eine Betrachtung von außen erreicht werden.
Damit verbunden ist der Innovationsdruck, den es erst mit der Einführung der Schrift bzw. der Textinterpretation gibt. Während beim Barden die Wiederholung kein Problem darstellt, muss der Schriftsteller immer wieder neue Perspektiven eröffnen. Vom Barden erwartet das Publikum das Vertraute, vom Autor das Unvertraute. Die Wiederholung beim Barden ist die Notwendigkeit für die Kontinuität der Überlieferung. Innovation würde in diesem Fall Vergessen bedeuten. Im Falle des Schriftstellers ist der Erhalt des ersten Schriftstücks gesichert, auch wenn er ein zweites verfasst.[125]
Im Archiv finden daher auch vor allem solche Texte Platz, die nicht durch ihre Ähnlichkeit mit der Allgemeinheit der Texte auffallen, sondern die sich von ihnen absetzen, die eine „unverwechselbare Qualität eines Eigennamens haben und in ihrer Struktur widerständig sind.“[126]
Aleida Assmann sieht die Schrift als Metapher für Erinnerung bzw. für kulturelles Gedächtnis angewandt. Dies stößt bei ihr auf Skepsis. Etwas Niedergeschriebenes ist ständig abrufbar, während in der Erinnerung Dinge vergessen werden können, die nicht automatisch und kontrolliert abrufbar, aber dennoch nicht für immer verloren sind: Unbewusstes Vergessen im Freudschen Sinne von Verdrängen. Erinnerung entspricht weder „Dauerpräsenz noch Dauerabsenz“,[127] Erinnerung spiegelt ein „Wechselverhältnis von Präsenzen und Absenzen“[128] wider. Während das Gedächtnis passiv ist, ist die Erinnerung aktiv, wobei das Gedächtnis der Speicher ist, dessen die Erinnerung sich bedient, aus dem sie selektiert und aktualisiert.[129]
„Ein Teil unseres Gedächtnisses kann systematisch als Wissensspeicher ausgebaut werden, ein anderer Teil, der unsere sinnlichen Wahrnehmungen und biographischen Erinnerungen aufnimmt, bleibt in aller Regel chaotisch und unaufgeräumt. Im Gegensatz zu dem Lerngedächtnis [...] bleibt das Erfahrungsgedächtnis [...] unsystematisch, zufällig, unzusammenhängend.“[130]
„Erinnerung“ wird als Erfahrungsgedächtnis und „Gedächtnis“ als Lerngedächtnis bezeichnet.[131] Die Schrift steht für das Lerngedächtnis, Schrift bzw. Texte sind geordnete Speicher, die jederzeit nach Bedarf abrufbar sind. Dies bedeutet nicht, dass sie immer wieder auf die selbe Weise rezipiert werden, nur dass sie immer rezipierbar sind. Sie sind dauerpräsent, unterliegen aber dennoch Veränderungen auf Rezeptionsbasis.[132]
Mit der Frage nach der Schrift als Archiv des kulturellen Gedächtnisses ist die grundsätzliche Frage nach der Aufgabe und Notwendigkeit von Archiven in Bezug auf das kulturelle Gedächtnis verbunden. Stocker sieht den Nutzungswandel von Bibliotheken zu elektronischen Datenbanken nicht als Veränderung, bereits die Nutzung von Bibliotheken hat den Umgang mit Wissen und Gedächtnis entscheidend geprägt.
„Information retrieval beginnt die Erkenntnis abzulösen. Es ist nicht mehr von Bedeutung, daß man/frau etwas weiß, sondern daß man/frau etwas in den Datenbanken finden kann. Diese Datenbanken liegen noch mehr als die Bibliotheken jenseits jeglicher menschlichen Kapazität.“[133]
Wenn früher die entscheidenden Elemente einer Bibliothek in ihrer Zugänglichkeit und der Konservierung lagen, verlagert sich dies immer stärker zum Problem der Auswahl. Bereits heute wird nur ein Prozent der jährlich produzierten Menge an Schriftgut als bewahrenswert betrachtet.[134] Aber auch wenn eine Bibliothek selektiert, ist der Bestand an Texten immer noch zu hoch, um die für ein kulturelles Gedächtnis notwendige Reduktion darzustellen. Die Bibliothek, als Archiv im herkömmlichen Sinne, kann daher nur in begrenztem Sinne als Förderer des kulturellen Gedächtnisses dienen. Für die neue Archivform z.B. die elektronischen Datenbanken gilt dies in noch stärkerem Maße.
2.4.2 Das Denkmal
Kulturelles Gedächtnis lebt also vor allem von Medien, die Reduktion ermöglichen, wie sie z.B. der öffentliche Raum verlangt: Denkmale, Museen oder Gedenkstätten werden errichtet, um der Generation selbst und ihren Nachfolgern eine integrative Kraft zur Seite zu stellen.[135] Sie dienen der Stimulation von Erinnerung. Allerdings tun sie dies auf unterschiedliche Weise: während das Denk- bzw. Mahnmal an Erinnerung und Emotion appelliert, arbeitet das Museum vorrangig auf der rationalen Ebene der wissenschaftlichen Erkenntnis.[136] Steht das Museum aber an einer mit Geschichte behafteten Stelle, dann wird der reinen Wissensvermittlung ein authentisches Erlebnis, das mit der Aura des Ortes behaftet ist, zur Seite gestellt,[137] wie es z.B. bei den Gedenkstätten an den Orten der ehemaligen Konzentrationslager der Fall ist.
Aleida Assmann fasst die Denkmalsgeschichte der letzten Jahrhunderte folgendermaßen zusammen:
„Je krisenhafter die Zeiten, je erschütterlicher die Selbstgewißheit der verschiedenen Interessengruppen, desto zahlreicher und theatralischer wurden die Denkmäler, die sich kaum noch an die Nachwelt richteten und zum Mittel der politischen Beeinflussung der Zeitgenossen wurden. Sie entsprachen vielfach dem Wunsch, die Gegenwart zu verewigen und den Geschichtsprozeß zu negieren. Neben solchen stabilisierenden Denkmälern gab es die revolutionären Denkmäler, die zukunftsgerichtet waren und an die noch nicht zum Ziel gekommenen Kräfte der Geschichte appellierten.“[138]
Denkmale können einerseits mit dem Zweck errichtet werden, die Nachwelt zu mahnen, sich an die Erbauer zu erinnern bzw. vor allem deren geistiges Gut als Erbe anzunehmen und es fortzusetzen. Sie können allerdings genauso eine Beeinflussung der aktuellen Zeit sein, sofern sie Identitätsstifter sind. Aus diesem Grund werden Denkmale gebaut, doch findet die Rezeption auch wirklich in diesem Sinne statt?
Die Fähigkeit, öffentliches Erinnern zu bewirken, wird Mahnmalen immer wieder abgesprochen. Grasskamp führt dies auf die Unmöglichkeit von öffentlichem Erinnern zurück:
„Mahnmale können jedenfalls nichts dafür, daß sie meist so fehlplaziert und hilflos wirken. Denn sie sollen einen Mangel kompensieren, dem in Wahrheit nicht abzuhelfen ist: Es gibt keine öffentliche Erinnerung. Die veranstaltete Erinnerung, die mémoire forcée, setzt ein Organ voraus, das nicht existiert; die repräsentative Leistung eines Mahnmals ist daher in der Regel ebenso gering wie seine präventive Kraft.“[139]
Grasskamp spricht sich für eine rein individuelle Erinnerung aus.[140] Aber selbst Verfechter einer öffentlichen, kollektiven Erinnerung sprechen dem Denkmal das Gedenkpotential ab. Sie sehen die Position von Denkmalen meist sogar noch negativer. Während Walter Grasskamp ihnen eine mögliche Wirkung einfach abspricht, sehen sie die Gefahr in der negativen Wirkung, die von Denkmalen ausgeht: dem Vergessen.[141]
„In unserer Zeit, da Erinnerung massenhaft produziert und konsumiert wird, scheint sich die Erinnerung an die Vergangenheit tatsächlich umgekehrt proportional zur Besinnung auf die Vergangenheit und zu ihrer Erforschung zu verhalten. Denn indem wir die Erinnerung in eine Denkmalsform gießen, entledigen wir uns bis zu einem gewissen Grade der Pflicht, uns zu erinnern. Wir bürden die Erinnerungsarbeit den Denkmalen auf und nehmen dem Betrachter so die Last des Erinnerns.“[142]
Dass der „Schritt vom Vergessen zum symbolischen Gedenken“ wesentlich kürzer ist als jener vom Vergessen „zur aktiven Erinnerungsarbeit“,[143] ist auch den modernen Denkmalskünstlern wie Jochen Gerz oder Horst Hoheisel bewusst. Ihre skeptische Haltung gegenüber der Botschaft von Denkmalen drückt sich in ihren sogenannten „Anti-Denkmalen“[144] aus, die den Widerspruch ausdrücken, in dem sich die Künstler mit ihren Arbeiten befinden.
„Die neue Künstlergeneration in Deutschland hat ein zwiespältiges Nachkriegserbe angetreten: Zum einen hegt sie, nachdem die Nazis Denkmalsformen systematisch für ihre Zwecke mißbraucht haben, ein tiefes Mißtrauen gegen alles Monumentale; zum anderen möchten sie sich gerade durch das Erinnern von der Generation der Mörder abgrenzen. [...] Das führte unter anderem dazu, daß in Deutschland ‚Anti-Denkmale‘ errichtet wurden, die bewußt dazu auffordern, die Gründe ihres Vorhandenseins zu hinterfragen.“[145]
Eine Säule, die nur verschwindet, wenn genügend Menschen auf ihr unterschreiben (Jochen Gerz in Hamburg-Harburg); ein Denkmal, das vorhanden, aber für den Betrachter nicht sichtbar ist (Jochen Gerz in Saarbrücken),[146] sorgen für mehr Auseinandersetzung als ein Denkmal, das zwar vorhanden ist, aber relativ schnell nicht mehr wahrgenommen wird. Die Gefahr, die Nachkriegskünstler in Denkmalen sehen, nämlich eher das Vergessen zu fördern, ist, wie bereits oben erwähnt, durchaus berechtigt. So versuchen sie, Denkmale zu schaffen, die nicht sinnstiftend sein wollen, sondern nach ihrem Sinn suchen bzw. sogar die eigene Sinnlosigkeit feststellen, um so den Betrachter zur Auseinandersetzung mit ihnen aufzurufen.
Die Kritik an Denkmalen hängt allerdings auch mit den übertriebenen Ansprüchen, die an ein Denkmal gestellt werden, zusammen. Die Möglichkeiten der Denkmale sind beschränkt: sie können keine intensive, inhaltliche Auseinandersetzung beim Betrachter auslösen, wie es Museen leisten. Ihre Aufgabe besteht darin, den Betrachter aufmerksam zu machen, indem sie Emotionen bei ihm hervorrufen.[147] Darüber hinaus haben Denkmale repräsentative Pflichten.
„Denkmäler als Orte für die Inszenierung von Gedenkriten gehören zum Formenarsenal politischer Repräsentation; sie sind Teil nationaler Selbstthematisierung und internationaler symbolischer Kommunikation. Damit ist ihre Rolle im wesentlichen aber auch schon erschöpft.“[148]
Diese geringe Bandbreite ist nicht nur negativ zu sehen, schließlich ist mediale Repräsentation wesentlicher Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses.[149] Denkmale haben folglich durchaus ihren Platz in der Erinnerungskultur einer Gesellschaft und auch ihr Vergessen bzw. ihr „Nicht-Beachtet-Werden“ kann Ausdruck dieser Erinnerungskultur sein.
2.5 Die theoretischen Grundlagen des kulturellen Gedächtnisses [ ZwischenResümee ]
Das kulturelle Gedächtnis hat die Aufgabe entscheidende, mit Sinngehalten verbundene Erlebnisse einer Generation über deren normalen Lebenshorizont hinaus an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Es hat im Laufe der Zeit verschiedene Ausformungen erfahren, in der mündlichen Kultur dienten das Fest und der Ritus und die damit verbundene Wiederholungspflicht als unerlässlicher Garant der Weitervermittlung. In der schriftlichen Kultur übernahmen diese Rolle die für die Gemeinschaft verbindlichen Schriftstücke, wie sie z.B. ein Kanon darstellt.
Das kulturelle Gedächtnis nimmt relativ starre Formen an. Das kommunikative Gedächtnis hingegen befindet sich ständig im Wandel, es erneuert sich mit jeder neugeborenen Generation bzw. verschwindet mit jeder vorangegangenen Generation.
Um die Identität einer Gruppe zu bilden bzw. zu stabilisieren, ist aber gerade das kulturelle Gedächtnis in seiner epochenübergreifenden Eigenschaft wichtig. Einheit kann nur durch gemeinsame Vergangenheit bzw. das gemeinsame Wissen um diese Vergangenheit entstehen.
Im Vergleich zur Geschichte ist das kulturelle Gedächtnis von Subjekten geprägt, es kann in vielfältiger Weise auftreten, während die singuläre Geschichte versucht, so unparteiisch und detailgetreu wie nur möglich zu sein. Hierbei sieht man auch, dass die fixierten Formen des kulturellen Gedächtnisses nur scheinbar starr sind. Während die Geschichte nur eine bestimmte Sichtweise durch ihre Objektivität zulässt, setzt sich das kulturelle Gedächtnis bzw. seine Erinnerungsformen immer wieder neu in Bezug zur Gegenwart.[150] Die Geschichte ist dennoch Teil des kulturellen Gedächtnisses, weil es aus dem Archiv der Geschichte schöpft. Damit verbunden kann auch ein zeitweiliges Vergessen bestimmter Teile des kulturellen Gedächtnisses sein, was in der Geschichte nicht vorkommt.
Vergessen hat beim kulturellen Gedächtnis sowohl eine negative als auch eine positive Ebene. Einerseits kommt es durch fehlende bzw. falsche Kommunikation zustande. Während beim kommunikativen Gedächtnis die Zeitzeugen für die Kommunikation der Erlebnisse in der Gruppe verantwortlich sind, müssen beim kulturellen Gedächtnis externe Mittler gefunden werden. Bisher wurde dafür vor allem die Schrift herangezogen. Das Vergessen ist aber nicht nur negativ konnotiert. Nur durch das Vergessen besteht die Möglichkeit, neue Sinngehalte aufzunehmen. Es bedeutet unbewusste Selektion, aber nicht Freudsches Verdrängen. Würde alles erinnert werden, gäbe es keinen Sinn mehr.
Für die heutige Zeit stellt sich vor allem die Frage, ob es dieses kulturelle Gedächtnis, das dem Begriff der Erinnerungskultur gleichzusetzen ist, noch gibt. Wurde es vielleicht schon durch die rein wissenschaftliche Geschichtsarbeit ersetzt, wie es Pierre Nora konstatiert oder besteht Gefahr, dass es durch die falsche Wahl der Medien, die das kulturelle Gedächtnis vermitteln, Schaden nehmen wird?
Selektion erweist sich somit als Existenzfrage, sowohl in Bezug auf die Inhalte als auch in Bezug auf die Medien des kulturellen Gedächtnisses.
Um der Frage nach der Zukunft des kulturellen Gedächtnisses auf den Grund zu gehen, muss allerdings erst einmal die momentan in Deutschland herrschende Erinnerungskultur analysiert werden.
3 Deutsche Holocaust-Erinnerung in den neunziger Jahren
Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland ist eng verbunden mit der Erinnerung an den Holocaust.[151] Während beispielsweise für die Franzosen vor allem die Französische Revolution im kulturellen Gedächtnis verankert ist, bleibt für die Deutschen die Zeit vor 1933 weniger präsent.[152] Deutschland gilt als eine verspätete Nation. Nationale Identität und nationales Bewusstsein entwickelten sich erst bei der Bildung des Deutschen Reiches, insofern ist zu erklären, warum eine gemeinsame Erinnerung nur in geringem Maße an Zeiten vor 1870/71 anknüpfen kann. Aber auch danach rücken die Ereignisse angesichts des Nationalsozialismus‘ in den Hintergrund. Die ersten Nachkriegsjahre in der Bundesrepublik waren geprägt von einer Verdrängung, die mit Schuldabwehr gleichzusetzen ist. Erst in den sechziger Jahren setzten sich andere Perspektiven durch. Ausschlaggebend für das Interesse einer größeren Öffentlichkeit waren der Ulmer Einsatzgruppenprozeß 1958, die Kölner Synagogenschändung 1959, der Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel 1961 und vor allem der Auschwitz-Prozeß von 1963-66. Als entscheidender Einschnitt wird immer wieder die Ausstrahlung der amerikanischen Serie „Holocaust“ im bundesrepublikanischen Fernsehen 1979 angesehen. Die Serie zeigte das Schicksal der jüdischen Familie Weiss und wurde zwar von Kritikern und Wissenschaftlern sehr negativ bewertet, doch sorgte die Emotionen hervorrufende Darstellung für eine bisher unbekannte, sich engagierende Öffentlichkeit in Bezug auf den Holocaust.
„Das Wissen um den Massenmord war in der deutschen Gesellschaft vorhanden, ganz offensichtlich fehlte aber bis dahin der emotionale Part in breiten Schichten der Bevölkerung, die Fähigkeit, gefühlsmäßig zu erfassen, was für ein gewaltiges Verbrechen von Deutschen am jüdischen Volk begangen worden war.“[153]
Die achtziger Jahre wurden vor allem von einer Kontroverse begleitet: dem Historikerstreit von 1986/87.[154] Er war vor allem eine Auseinandersetzung zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas. Ernst Nolte stellte die These auf, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten auf kommunistische Verbrechen zurückverfolgbar bzw. gleichsetzbar wären. Jürgen Habermas war der erste, der sich gegen diese Gleichsetzung und damit Bagatellisierung des Nationalsozialismus zur Wehr setzte. Die Auseinandersetzung fand auf einer wissenschaftlichen Ebene statt und wird auch noch heute als Beispiel für den unausgeglichenen Umgang mit dem Nationalsozialismus herangezogen.[155] Für eine breitere Öffentlichkeit als dieser Streit zwischen Intellektuellen sorgten die öffentlichen Fehltritte von Politikern: Bundeskanzler Kohls unsensible Worte über die ihm wiederfahrenen „Gnade der späten Geburt“ bei seiner Israelreise 1984 und seine Einladung an US-Präsident Ronald Reagan auf den Soldatenfriedhof nach Bitburg 1985, auf dem auch SS-Männer beerdigt sind; allerdings hatten diese „Fauxpas“ nicht dieselben Konsequenzen wie die Rede von Bundestagspräsident Jenninger vom 9. November 1988. Eine Antwort auf diese Fehler, die zeigten, wie groß der Wunsch immer noch oder wieder ist, die Vergangenheit zu verdrängen, ist das in den achtziger Jahren wachsende Engagement für den Erhalt von Gedenkstätten bzw. deren Gründung an Orten der NS-Verbrechen,[156] gipfelte allerdings in den sog. „Gedenkfleiß“[157] der heutigen Zeit.
In den neunziger Jahren entpuppte sich die Erinnerungskultur immer mehr als eine mediale Diskussionskultur. Immer wieder gab es Provokationen, die das Potential zur öffentlichen Kontroverse hatten. Während der Historikerstreit noch eine Auseinandersetzung einiger weniger gewesen war, meldeten sich bei der Debatte um das aufsehenerregende Buch von Daniel Jonah Goldhagen „Hitlers willige Vollstrecker“[158] immer mehr zu Wort. Auch die Wehrmachtsausstellung wurde „heiß“ diskutiert. Das wohl längste und breitest debattierte Thema ist das um das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin, eine Debatte, die 1989 ihren Ausgangspunkt hatte und auch nach der Grundsteinlegung am 27. Januar 2000 noch nicht zur Ruhe zu kommen scheint. Die Frage nach der Gestaltung der „Neuen Wache“ in Berlin 1992 und vor allem die Entscheidungsweise ist im Vergleich nur kurz diskutiert worden.[159] Sie war Vor- bzw. Mitläufer der Debatte um das Holocaust-Mahnmal, während eine andere erst durch diese ausgelöst wurde: die Walser-Bubis-Kontroverse 1998.
Die neunziger Jahre sollen bei der Analyse der deutschen Erinnerung im Vordergrund stehen, da sich diese Arbeit im Folgenden damit auseinandersetzen will, ob sich die Erinnerungskultur im Hinblick auf die digitalen Medien verändert hat bzw. verändern wird. Da die digitalen Medien erst in den neunziger Jahren entwickelt wurden bzw. sich durchgesetzt haben, soll auch vor allem dieser Zeitraum untersucht werden.
Unerwähnt werden die Brandanschläge auf Asylbewohnerheime in den neunziger Jahren durch Neonazis und die in den letzten Monaten wieder stärker wahrgenommenen Ausschreitungen von rechtsradikalen Deutschen bleiben. Auch die langwierigen Verhandlungen für eine finanzielle Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter durch die Wirtschaft können hier nicht berücksichtigt werden. Die Ereignisse zeigen, wie aktuell die Vergangenheit des Nationalsozialismus auch fünfzig, sechzig Jahre später noch ist. Bei diesen Aspekten geht es aber weniger um Erinnerung an sich, sondern vielmehr um das immer noch nicht vorhandene Verantwortungsgefühl für diese Zeit und das Verhalten, dass daraus zu resultieren hätte. Entscheidender für die Erinnerungskultur sind neben den im Folgenden aufgeführten Debatten zwei Aspekte, die sich zwar nicht zu gesellschaftlich weitreichenden Kontroversen entwickelten, die aber dennoch kurz angerissen werden sollen; denn sie ermöglichen eine Charakterisierung deutscher Erinnerungskultur. Es handelt sich um die Neubestimmung des deutschen Nationalfeiertags und um die sprachlichen Veränderungen, wie sie beim Wandel des Sprachgebrauchs von „Auschwitz“ zu „Holocaust“ oder ähnlich vom Begriff der „Reichskristallnacht“ zum Begriff der „Pogromnacht“ zu konstatieren sind.[160]
Während der Wiedervereinigung stellte sich auch die Frage, mit welchem Tag man der neuen „Deutschen Einheit“ gedenken sollte. Nationalfeiertage sind entscheidende Merkmale des kulturellen Gedächtnisses. Der 17. Juni sollte nicht beibehalten werden, da er an den 1953 von der Bevölkerung der DDR ausgegangenen Arbeiteraufstand erinnerte, der zwar der erste Versuch einer Selbstbefreiung gewesen war, aber scheiterte.[161] Da die Selbstbefreiung 1989 erfolgreich geschah, wollte man ein neues Symbol setzen. Der 9. November wurde vorgeschlagen und erntete sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Während die einen den 9. November für unpassend hielten – war der Tag doch vor allem auch durch die Zeit des Nationalsozialismus (dem Hitlerputsch 1923, der „Reichskristallnacht“ 1938, Georg Elsers gescheitertem Attentat auf Hitler 1939) konnotiert -; empfanden die Befürworter diesen Tag gerade aus diesem Grund für angemessen. Für sie bedeutete er der lange Weg Deutschlands zu einer Demokratie. Am 9. November 1918 wurde zum ersten Mal die Demokratie ausgerufen, 1923, 1938 und 1939 stehen für den Verlust der Demokratie, im Jahre 1989 ist dann das geschehen, was die Deutschen im Nationalsozialismus nicht geschafft haben, sich aus einer Diktatur selbst zu befreien und den gemeinsamen, demokratischen Weg einzuschlagen.[162] Auch der 8. Mai stieß auf keinen breiten Konsens. Die Ansicht, dass das Kriegsende eine Befreiung und keine Niederlage sei, schien sich immer noch nicht überall durchgesetzt zu haben[163] - eine Ansicht, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seiner Rede zum 40. Jahrestags am 8. Mai 1985 als erster öffentlich deklarierte. So fiel die Wahl auf den 3. Oktober, der 1990 der Tag des Inkrafttretens des Vertrags über den Beitritt der Länder der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland war – eine pragmatische, neutrale Lösung, die einem kulturellen Gedächtnis bisher noch nicht zuträglich war. Für die Zukunft muss sich zeigen, ob dieser „Tag der Deutschen Einheit“ zu einem „historisch, thematisch und jahreszeitlich überzeugenden Nationalfeiertag“[164] wird, dessen Bedeutung jeder kennt, bzw. wesentlich entscheidender für eine nationale Identität, ob dieser Tag in der Lage sein wird, eine emotionale Erinnerung hervorzurufen,[165] das selbe gilt für den 1996 durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführten „Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus“ am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, der damit den 9. November als Gedenktag für die Opfer ablöste.[166]
„Als rein instrumenteller Akt gedacht, muß eine Verordnung des Gedenkens scheitern, solange nicht die Alltagswirklichkeit unterschiedlichster Lebens- und Systemwelten der Gesellschaft in Deutschland von diesem Motiv durchdrungen ist.“[167]
Die Frage nach der Emotionalität stellt sich auch beim Umgang mit den Begriffen „Auschwitz“ und „Holocaust“. Mit der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie 1979 „Holocaust“ hat sich dieser Begriff als Synonym für die Massenvernichtung vor allem der Juden in der deutschen Sprache immer stärker durchgesetzt und damit den Begriff „Auschwitz“ zusehends verdrängt.[168] Während „Auschwitz“ ein „greifbarer, fassbarer“ Begriff ist, ist „Holocaust“ bereits in seiner Form als Fremdwort in der deutschen Sprache wesentlich distanzierter und anonymer.[169] Die Übersetzung für „Holocaust“ bedeutet „Brandopfer“, wobei in der Bibel diese Brandopfer auf freiwilliger Basis dargebracht wurden, damit ist zusätzlich noch eine Verharmlosung der Massenvernichtung verbunden.[170] Allerdings ist die Bedeutung des Wortes nur wenigen bekannt.
„Das Wort ‚Holocaust‘ erfüllt anders als der Name Auschwitz die Bedingung massenmedialer Kommunizierbarkeit – er verschlüsselt ein offenes, aber schwer erträgliches Geheimnis zu einer vielfach benutzten Hieroglyphe.“[171]
Der hebräische Begriff „Shoah“,[172] der übersetzt „Vernichtung, Katastrophe“ bedeutet, wurde mit der 1985 fertiggestellten Dokumentation von Claude Lanzmann publik, erfuhr aber nicht dieselbe Verbreitung wie der des amerikanisch geprägten „Holocaust“. Ob dies auf eine stärkere Einflussnahme Amerikas in Deutschland zurückzuführen ist oder auf andere Gründe, ist bisher noch nicht nachgewiesen bzw. untersucht worden.[173] Der hebräische Begriff hat den Nachteil die jüdische Opfergruppe zu betonen, aber auch „Holocaust“ wird vor allem in der Bibel benutzt. Areligiöse Opfergruppen werden insofern bei beiden Begriffen vernachlässigt.
Eine ähnliche Entwicklung ist bei dem Begriff der „Reichskristallnacht“ als Bezeichnung für die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der jüdische Geschäfte zerstört, Synagogen abgebrannt und die jüdische Bevölkerung von den Nationalsozialisten misshandelt und zum Teil getötet wurde, sichtbar. Die Gegner dieses Begriffs halten ihn zu Recht für verharmlosend, da er von den Nationalsozialisten geprägt wurde und befürworten daher den Begriff „Pogromnacht“.[174] „Pogrom“ im Sinne von Übergriffen von Nichtjuden auf Juden stammt aus dem Russischen und wurde zunächst als Bezeichnung für die Gewalttaten in Russland gegen die jüdische Bevölkerung benutzt. Hier liegt der Kritikpunkt, der gegen die „Pogromnacht“ spricht. Mit ihm wolle man den 9. November 1938 mit russischen Ausfällen gegen die Juden gleichsetzen und damit die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlosen.
„Sechzig Jahre ‚Kristallnacht‘ – daraus ist nun die ‚Pogromnacht‘ geworden, als wären damals die Kosakenhorden in die deutschen Städte eingefallen, um Synagogen niederzubrennen und jüdische Geschäfte zu zertrümmern.“[175]
Diese Auseinandersetzungen, die sich bereits um die adäquate Begrifflichkeit für den Holocaust drehen, zeigen die Sensibilität des Themas.
3.1 Der Holocaust als Streitpunkt in der Geschichtswissenschaft
Auch wenn der Holocaust in der Öffentlichkeit heute eine große Relevanz hat, so gibt es immer noch – gerade in Deutschland - Defizite in der Holocaustforschung: keine deutsche Universität hat einen eigenen Lehrstuhl für die Geschichte des Holocaust; die nach dem Ende des kalten Krieges in osteuropäischen Archiven entdeckten Akten werden in Deutschland nicht systematisch in Form von Kopien beschafft, wie es beispielsweise das Holocaust-Museum in den USA tut.[176] Auch hat in Deutschland kein Historiker zum Thema Holocaust habilitiert.[177] Die wissenschaftliche Infrastruktur lässt in Deutschland in Bezug auf den Holocaust einiges zu wünschen übrig. So richtet sich das Interesse inzwischen stärker in Richtung der Erforschung der Geschichte der Vergangenheitsbewältigung nach 1945 und es bleiben weiterhin Lücken in der NS-Forschung, die ihre Gefahren bergen.
„Mehr als fünf Jahrzehnte nach den Ereignissen ist sie [die Grundlagenforschung – Anm. d. Verf.] noch in einem erheblichen Umfang mit dem Aufspüren, Sammeln und Ordnen von Dokumenten und mit der faktischen Rekonstruktion der einzelnen Mordoperationen beschäftigt.“[178]
Diese Grauzonen werden von revisionistischen NS-Forschern, wie beispielsweise David Irving, in ihrem Sinne ausgelegt. Im April 2000 wurde letzterem in einem Prozess, den er gegen die Historikerin Deborah Lipstadt geführt hat, da sie ihn als Holocaust-Leugner und damit als unqualifizierten Forscher betitelt hatte, die Grundlage entzogen.[179] Der Prozess führte zur „vollständigen Selbstdemontage Irvings als sachkundigem Autor“[180] und bedeutet damit zwar nicht, dass es nun kein Leugnen des Holocaust mehr geben wird, aber „Bestrebungen, das Leugnen mit einer pseudowissenschaftlichen Aura zu versehen, werden es nach Irvings Scheitern erheblich schwerer haben.“[181]
3.1.1 Die Provokation von Daniel Jonah Goldhagen
Die Debatte um das im Frühjahr 1996 veröffentlichte Buch „Hitlers willige Vollstrecker“[182] von Daniel Jonah Goldhagen nahm schon Monate vor seiner deutschen Veröffentlichung ihren Lauf.[183] Nicht nur Richard Chaim Schneider sieht die Kontroverse vor allem als eine Vermarktungsstrategie, die zwar von den Kritikern ganz ungewollt losgetreten, Goldhagen aber zu einer Art „Superstar“ machte.[184] Der Erfolg des Buches lässt sich insofern vor allem auf die Emotionalisierung zurückführen.[185] Allerdings muss auch gesehen werden, dass die Goldhagen-Thesen – wenn auch mit Verkaufszahlen von 150 000 Exemplaren in den ersten sechs Monaten Höhen erreicht wurden, die für geschichtswissenschaftliche Bücher bis dato unbekannt waren – dennoch nur ein kleines Publikum erreichten. Eine Massenwirkung von sechs Millionen Zuschauern erreichte dagegen die ZDF-Dokumentationsreihe „Hitlers Helfer“, „die als eine Art ‚Anti-Goldhagen‘ sechs Helfer Hitlers porträtierte, um die Deutschen als verführtes und vergewaltigtes Volk zu rehabilitieren.“[186]
In an Fiktion grenzenden Szenen[187] schildert Goldhagen die Verbrechen, die er zur Untermauerung seiner zentralen These benötigt,[188] auf eine den Rezeptionsgewohnheiten des modernen „Medienpublikums“[189] angepasste Weise. Seine Darstellung erinnert eher an Kinodrehbücher als an bisher bekannte geschichtswissenschaftliche Ausführungen.[190] Er stellt die Frage, die sich bis dahin niemand zu stellen traute, wie es möglich war, dass so viele Deutsche freiwillig für Hitler mordeten. Die Antwort auf diese Frage sieht Goldhagen in dem von ihm so benannten „eliminatorischen Antisemitismus“ - nicht nur Hitler sei ein Antisemit gewesen, sondern auch die deutsche Bevölkerung. V.a. die Polizeibataillone, haben die Juden mit einem geradezu fanatischen Eifer umgebracht, weil sie die Juden hassten und sie so ihren Hass befriedigen konnten.
„[...] meine These ist, daß sich der Wille, die Juden zu töten, sowohl bei Hitler als auch bei denen, die seine mörderischen Pläne in die Tat umsetzten, vorrangig aus einer einzigen gemeinsamen Quelle speiste: aus einem bösartigen Antisemitismus.“[191]
Die „Deutschen“[192] haben also nicht nur Befehle ausgeführt, sie waren keine „einfachen“ Mitläufer. Diese These musste das Nachkriegsdeutschland natürlich in Aufruhr bringen.[193]
Von wissenschaftlicher Seite wurde Goldhagen vor allem vorgeworfen, dass nicht nur seine Darstellungsweise unwissenschaftlich, sondern dass seine Analyse des Holocaust wissenschaftlich wertlos sei;[194] er seine These anhand von Sekundärliteratur nicht aufgrund neuerer Studien aufstelle;[195] er Fakten falsch darstelle, z.B. in Bezug auf die Vernichtung der Sinti und Roma;[196] er die Problematik vereinfache, indem er alles auf den „eliminatorischen Antisemitismus“ reduziere.[197] Diese Monokausalität klammerte auch die Frage aus, warum dann Sinti und Roma, Behinderte, Slawen und russische Kriegsgefangene ermordet wurden.[198] Auch die assimilierten Juden fielen aus seiner Argumentation heraus.[199] Er bezog nur Fakten ein, die sich für seine These nutzen ließen, andere Tatsachen fielen unter den Tisch.[200]
Goldhagen schien an der Eitelkeit der Historiker und aller, die sich angesprochen fühlten, zu kratzen. Überheblich wies Goldhagen darauf hin, dass seine Arbeit etwas zuvor nicht Dagewesenes repräsentiere und dass die bisherigen Forscher „alles falsch gemacht“ hätten.[201] Dies sorgte für Missstimmung, nicht nur in Forscherkreisen und führte erst recht zu seiner „Abqualifizierung“ als ernstzunehmender Wissenschaftler und nur auf Erfolg bzw. Verkaufszahlen fixierter Autor.[202] Dass seine Kritiker in ihren Reaktionen allerdings auch nicht immer wissenschaftlich argumentierten, zeigt die Tatsache, dass sehr häufig Bemerkungen über sein „jugendliches“ Alter gemacht wurden, die indirekt klar machen sollten, dass er noch viel zu unerfahren sei, um ernstgenommen zu werden.[203]
Das erstaunliche an der Rezeption dieses Buches ist, wie bereits oben erwähnt, die Emotionalität, mit der es aufgenommen wurde, obgleich es relativ schnell als tatsachen- und geschichtsverfälschend abqualifiziert worden war.[204] Goldhagen traf mit seiner vereinfachten These von den Deutschen als willigen Vollstreckern Hitlers den „wunden Punkt“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
„Diese und andere nationalistischen und, wie in Deutschland häufig auch antisemitischen Reaktionen auf Goldhagens Buch schienen darauf hinzudeuten, daß die Deutschen tatsächlich zu dem geworden waren, was sie nach dem Willen einiger nationalistischer Ideologen sein sollen: eine ‚selbstbewußte Nation‘, die es empört von sich wies, ein ‚Volk von Mördern‘ zu sein.“[205]
Auch wenn Goldhagen in Fachzeitschriften und Feuilletons noch so harsche Kritik einstecken musste, so fand er bei seiner Lesereise nach der Veröffentlichung in Deutschland breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung.[206] Die Provokation von Goldhagen lag zwar in seiner vereinfachten Antwort auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass „normale“ Menschen zu so grausamen Mördern wurden. Aber die Frage an sich war spannend, die Darstellung publikumsgerecht aufbereitet, da sehr reduziert und simplifiziert[207] und damit das Potential zu einer großen öffentlichen Debatte gegeben, die an sich durchaus positiv zu bewerten ist.[208] In ihrer emotionalen Weise ließ sich erkennen, dass eine wirkliche Auseinandersetzung bisher vor allem auf intellektuell-wissenschaftlicher Ebene und weniger in der „Normalbevölkerung“ geschehen war.
„Es ist die Wahrheit des common sense, auf jeden Fall die Wahrheit des Emotionalen, die auch dem aufgeklärtesten und distanziertesten Homo sapiens mehr zu Herzen geht als jede sachlich exakte, zehnfach überprüfte, aber emotionslose wissenschaftliche
Aussage.“ [209]
[...]
[1] Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt am Main 1985, französische Originalausgabe: 1925
[2] Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt am Main 1991, französische Originalausgabe: 1950
[3] vgl. Assmann, Aleida (1995), S. 173; Assmann, Jan (1992), S. 35; Winkler, Hartmut (1997), S. 91-101
[4] vgl. Assmann, Jan (1988), S. 9
[5] Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992
[6] Ähnliche, inhaltliche Ausführungen, wenn auch nicht mit dem Begriff „kulturelles Gedächtnis“ kann man auch schon 1977 bei Jacques Le Goff finden, die deutsche Ausgabe „Geschichte und Gedächtnis“ erschien allerdings erst 1992. — vgl. Le Goff (1992)
[7] vgl. Anz (01.03.2000), http://www.literaturkritik.de/txt/2000-01-02.html
[8] vgl. Nora (1990), S. 11; Nora (1995), S. 90 sowie Abschnitt 2.2.2 dieser Arbeit
[9] vgl. Assmann, Jan (1992)
[10] ebenda, S. 11
[11] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 18
[12] vgl. ebenda, S. 16
Auch Jan Assmann nennt die neuen technischen Möglichkeiten der externen Speicherung, die er als kulturelle Revolution bezeichnet, als Charakteristika für die Epochenschwelle. Dem „Aussterben“ der letzten Zeitzeugen misst er aber in Bezug auf das kulturelle Gedächtnis eine entscheidendere Bedeutung zu. — vgl. Assmann, Jan (1992), S. 11
[13] Vor allem Jan Assmann spricht in seinen Ausführungen zwar meist vom „Gedächtnis“, kulturell oder kommunikativ, inhaltlich ist der Begriff aber mit den Merkmalen der Erinnerung konnotiert.
Aleida Assmann, die zwar einerseits immer wieder den Unterschied von Erinnerung und Gedächtnis hervorhebt, setzt andererseits für den inhaltlichen Begriff der Erinnerung den Begriff Gedächtnis ein, so z.B. an folgender Stelle: „So unentbehrlich und suggestiv die Schrift als Metapher des Gedächtnisses ist, so unvollkommen und irreführend ist sie auch. Widerspricht doch die Dauerpräsenz des Niedergeschriebenen eklatant der Struktur der Erinnerung, die stets diskontinuierlich ist und Intervalle der Nichtpräsenz notwendig einschließt.“ — Assmann, Aleida (1999), S. 153f
[14] ebenda, S. 29f; vgl. ebenda, S. 160f
[15] vgl. Halbwachs (1991) S. 36
[16] zum Unterschied zwischen Geschichte und Gedächtnis siehe auch Abschnitt 2.2 dieser Arbeit
[17] Halbwachs (1991) S. 66
[18] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 19
Halbwachs Übergang von Gedächtnis in Geschichte sieht er differenzierter, wie im Folgenden noch dargestellt werden wird.
[19] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 20
[20] vgl. ebenda, S. 21
[21] ebenda, S. 21
[22] ebenda, S. 22
[23] vgl. Assmann, Jan (1988), S. 14
[24] vgl. ders. (1992), S. 56
[25] vgl. ders. (1988), S. 14
Diese Bedeutung der spezialisierten Träger nimmt in den späteren Arbeiten von Jan Assmann allerdings nicht mehr den Stellenwert ein, die sie zu Beginn hatte.
[26] Assmann, Jan (1992), S. 89
[27] ebenda, S. 89
[28] ebenda, S. 23
[29] vgl. ebenda, S. 23
Diese Erkenntnis über die Gefahr der Schrift wird als erstem Platon zugeschrieben. Aleida Assmann zitiert Platons Phaidros: „‘So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Vaterliebe das Gegenteil von dem gesagt, was ihre Wirkung ist. Denn Vergessen wird dieses in den Seelen derer, die es kennenlernen, herbeiführen durch Vernachlässigung des Erinnerns, sofern sie nun im Vertrauen auf die Schrift von außen her mittels fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnern schöpfen. Nicht also für das Erinnern (mneme), sondern für das Gedächtnis (hypomnema) hast du ein Heilmittel (pharmakon) erfunden.‘„ — zit. nach Assmann, Aleida (1999), S. 185; vgl. auch Ebach (1996), S. 101; Matussek (1998), S. 268; Hörisch (1999), S. 60
[30] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 11
Sie verweist darüber hinaus darauf, dass schon zu Zeiten Platons das Auswendiglernen an Ansehen zu verlieren begann.
[31] Halbwachs interpretiert diesen Unterschied von lebendiger Erinnerung, wie sie Jan Assmann im kommunikativen Gedächtnis sieht, als Gedächtnis und die schriftliche Fixierung der Erinnerung als Geschichte. Halbwachs Geschichtsbegriff ist aber nicht mit dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses zu vergleichen. Jan Assmann sieht auch in der lebendigen Erinnerung die Notwendigkeit von Fixierung, während Halbwachs dies nur für die Geschichte konstatiert. — siehe Anmerkung 15 dieser Arbeit
[32] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 52
[33] vgl. ders. (1995), S. 72
[34] ders. (1992), S. 103
[35] ders. (1988), S. 9
[36] vgl. ebenda, S. 12
[37] ebenda, S. 9
[38] vgl. Assmann, Jan (1991), S. 342
[39] ebenda S. 343
[40] vgl. Assmann, Jan (1988), S. 11
[41] Niethammer (1995), S. 25f
Aleida Assmann bezeichnet kulturelles Gedächtnis als „feste Kultur“ und kommunikatives als „flüssige Kultur.“ — Assmann, Aleida (1991), S. 11
[42] vgl. dies. (1999), S. 15
[43] siehe Abschnitt 2.4 dieser Arbeit
[44] Assmann, Jan (1988), S. 13 sowie ders. (1992), S. 42
[45] vgl. ders. (1988), S. 13
Die Erinnerung kann allerdings auch „kontrapräsentisch“ sein, dies heißt, dass die Lebensform einer Gruppe durch Riten etc. aus der Vergangenheit geprägt ist, die in keiner Weise mit der Gegenwartserfahrung des Lebensumfelds übereinstimmt, wie es z.B. bei Anhängern des religiösen Fundamentalismus geschieht. — vgl. Assmann, Jan (1991), S. 249; Brumlik (1995), S. 116
[46] Christian Meier zit. nach François (1995), S. 97
Aleida Assmann und Heidrun Friese beschreiben darüber hinaus die Verbreitung der Identitätsidee, wie sie sich z.B. in der Corporate Identity zeigt. — vgl. Assmann/ Friese (1998), S. 11
[47] Assmann, Jan (1992), S. 160
[48] vgl. ders. (1995), S. 52
[49] vgl. ders. (1992), S. 89
[50] ebenda, S. 89; vgl. Benz (1995), S. 302
[51] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 139
[52] ebenda, S. 133; vgl. Harth (1998), S. 104ff
[53] vgl. Stocker (1997), S. 58; Bredow (1996), S. 74
[54] Harth (1998), S. 110
[55] vgl. ebenda, S. 110
[56] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 160
[57] „Die Juden haben in der Not des babylonischen Exils die Fundamente einer kulturellen Mnemotechnik gelegt, die in der Menschheitsgeschichte beispiellos dasteht. Sie haben es fertiggebracht, über fast zweitausend Jahre hinweg, in alle Weltgegenden verstreut, die Erinnerung an ein Land und an eine Lebensform, die zu ihrer jeweiligen Gegenwart in stärkstem Widerspruch standen, als Hoffnung lebendig zu halten.“ — Assmann, Jan (1991), S. 249
[58] Dabag (1995), S. 83
[59] Assmann, Jan (1988), S. 16; vgl. Brumlik (1995), S. 116
[60] vgl. Burke (1991), S. 297
[61] ebenda, S. 297
[62] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 4
[63] vgl. ebenda, S. 31
[64] Die Sozialwissenschaftler Bertaux und Bertaux-Wiame bringen dieses Phänomen auf den Nenner: „Wie viele Fotos gibt es von Sonntagen, und wie viele von ... Montagen?“ Das Fotoalbum hilft zwar, Erinnerungen festzuhalten, aber eben nur eine bestimmte Art von Erinnerungen, genau dadurch trägt es aber zum Begraben von anderen Erinnerungen bei. Während im kommunikativen Gedächtnis noch alltägliche Dinge gespeichert werden, fallen diese Erinnerungen im kulturellen Gedächtnis weg, was bleibt, sind die Sonntage, — in Jan Assmanns Worten: die Feste. — vgl. Bertaux/ Bertaux-Wiame (1980), S. 111
[65] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 34
[66] ders. (1999), S. 28
[67] vgl. ders. (1992), S. 42; Zuckermann (1999), S. 32
[68] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 43
[69] vgl. Halbwachs (1991), S. 68
[70] vgl. ebenda, S. 71
[71] Assmann, Aleida (1995), S. 182
[72] vgl. ebenda, S. 182
[73] ebenda, S. 182
[74] ebenda, S. 183
[75] ebenda, S. 183
[76] vgl. ebenda, S. 182; Stocker (1997), S. 63
[77] Jan Assmann führt die Entstehung von Funktions- und Speichergedächtnis allerdings auf ein Auseinandertreten des kulturellen Gedächtnisses in Vorder- und Hintergrund zurück. Es ist die Folge der steigenden Textproduktion, eine Epoche ist gar nicht mehr in der Lage, alle Schriften zu „bewohnen“. — vgl. Assmann, Jan (1992), S. 96
[78] vgl. Assmann/ Assmann (1994), S. 123
[79] vgl. ebenda, S. 121f sowie S. 123
[80] Assmann, Aleida (1995), S. 185
[81] Assmann/ Assmann (1994), S. 123
[82] ebenda, S. 123
[83] ebenda, S. 129
[84] Nora (1990), S. 11
[85] vgl. ebenda, S. 13
[86] Für Nora ist z.B. auch der revolutionäre Kalender ein Gedächtnisort. Er definiert Gedächtnisorte als Orte, wo man mit Absicht etwas für die Nachwelt hinterlässt, ohne sich allerdings um die künftige Verwendung kümmern zu können. Mit dem revolutionären Kalender wollte man ein neue Zeiteinteilung einführen, der Kalender konnte sich nicht durchsetzen. Die Nachwelt akzeptierte ihn nicht. Gerade dieses Scheitern macht ihn für Nora zum besten Beispiel für einen Gedächtnisort in seinem Sinne. — vgl. ebenda, S. 27
[87] vgl. ebenda, S. 14
„Man feiert nicht mehr die Nation, sondern studiert ihre Feierstunden.“ — ebenda, S. 18
[88] vgl. ders. (1995), S. 90; Korn, Benjamin (1999), S. 25 sowie Leggewie (1987), S. 126
[89] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 15 sowie S. 339
[90] ebenda, S. 14
[91] vgl. Abschnitt 3.2.1 dieser Arbeit
[92] Nora (1990), S. 17
[93] vgl. ebenda, S. 18
[94] ebenda, S. 19
[95] ebenda, S. 19
[96] ebenda, S. 19; vgl. ebenda, S. 20
[97] vgl. Assmann, Aleida (1995), S. 183 sowie Abschnitt 2.2.1 dieser Arbeit
[98] siehe Abschnitt 2.3 dieser Arbeit
[99] Lämmert (1996), S. 14
[100] vgl. ebenda, S. 10
[101] vgl. Vaihinger (1998), S. 298ff; Reck (1994b), S. 83; ders. (1999/ 2000), S. 48;
Stocker (1997), S. 66
[102] Assmann, Aleida (1999), S. 30
[103] vgl. Kittsteiner (1996), S. 135
[104] vgl. Meier (1990), S. 7
[105] vgl. Smith (1996), S. 16f
[106] Emrich (1996), S. 27
[107] vgl. Nora (1990), S. 20
[108] vgl. Frei (1992), S. 107; Kershaw (1994), S. 366
[109] Liebsch (1997), S. 140
[110] Lenz (1989), S. 56
[111] vgl. Assmann, Jan (1992), S. 22
[112] vgl. ebenda, S. 37
[113] vgl. ebenda, S. 37
[114] vgl. ders. (1988), S. 10
[115] Assmann, Aleida (1999), S. 15
[116] ebenda, S. 20
[117] Burke (1991), S. 292
[118] vgl. ebenda,. 292f
[119] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 21
[120] Assmann, Jan (1988), S. 16; vgl. Brumlik (1995), S. 116
[121] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 204
[122] Natürlich wird die Wahrscheinlichkeit einer gleichzeitigen Rezeption von Fernsehsendungen aufgrund der wachsenden Vielzahl von Fernsehsendern immer geringer. — vgl. Sichtermann (1996), S. 26-29
[123] vgl. Grütter (1994), S. 173-188; Lübbe (1990), S. 41
So sind die beiden nationalen Geschichtsmuseen, das Deutsche Historische Museum in Berlin (Geschichte bis 1945) und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn (Geschichte ab 1945), Initiativen der Regierung Kohl in den achtziger Jahren.
Allerdings hält der Boom für Museen und spezielle Ausstellungen zum Thema Holocaust auch in den neunziger Jahren an, wie man am Beispiel der „Topographie des Terrors“ und des „Jüdischen Museums“ in Berlin sehen kann.
[124] Assmann, Jan (1992), S. 18
[125] vgl. ebenda, S. 98
[126] Assmann, Aleida (1999), S. 352
[127] ebenda, S. 154
[128] ebenda, S. 154
[129] vgl. ebenda, S. 160
[130] ebenda, S. 161
[131] siehe Anmerkung 13 in dieser Arbeit
[132] Aleida Assmann weist darüber hinaus darauf hin, dass die Schrift zwar immer als Garant der Dauer angesehen wird, aber ausgerechnet sie die beste Zeugin der Zeit ist, da sich in ihr die sprachliche Veränderung nachverfolgen lässt. — vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 51
[133] Stocker (1997), S. 51
[134] vgl. Assmann, Aleida (1999), S. 345
[135] vgl. Reichel (1995), S. 185
[136] vgl. ebenda, S. 185; Schulz (1999 [1994]), S. 227
[137] vgl. Benz (1995), S. 306; Assmann, Aleida (1996), S. 21
[138] dies. (1999), S. 48
[139] Grasskamp (1999 [1994]), S. 24f
[140] Während Martin Walser mit seinem Aufruf zur rein privaten Erinnerung auf Kritik stieß, blieb diese bei Grasskamp aus, was wohl vor allem auf die differenziertere Darstellung bei Grasskamp zurückzuführen ist. – siehe Abschnitt 3.2.2 dieser Arbeit
[141] vgl. Reck (1994a), S. 212; ders. (1999/2000), S. 48
[142] Young (1992), S. 221; vgl. ders. (1997a), S. 269; ders. (1997b), S. 57 sowie S. 66;
ders. (1996), S. 82
[143] Assmann, Aleida (1996), S. 23
[144] Young (1992), S. 215
[145] ebenda, S. 215
[146] vgl. Buruma (1992), S. 255
[147] vgl. Friedman (1999 [1995]), S. 239
[148] Assmann, Aleida (1999 [1996]), S. 505
[149] vgl. ebenda, S. 506; Assmann, Aleida in: Assmann/ Assmann (Interview) (1998)
[150] Hier wird von einer theoretischen Objektivität der Geschichte ausgegangen, die in der Praxis nicht zu verwirklichen ist.
[151] Die Entwicklung in der DDR soll hier nicht Gegenstand der Analyse sein, verläuft sie doch unterschiedlich zu der der BRD. — vgl. hierzu Herbert, Ulrich/ Groehler, Olaf (Hg.): Zweierlei Bewältigung. Vier Beiträge über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten. Hamburg 1992; sowie die sich noch in Vorbereitung befindende Habilitationsschrift von Susanne Brandt über das kollektive Gedächtnis in der DDR. — vgl. Brandt (1999), S. 91
Auch muss die Frage nach dem Umgang mit der DDR-Vergangenheit ausgeklammert bleiben. Bisher lässt sich eher eine Parallele zur direkten Nachkriegszeit ziehen, es gibt zwar juristische Aufarbeitungsversuche, aber ansonsten sind in der Bevölkerung nur wenig Ambitionen zu einer direkten Aufarbeitung zu spüren. — vgl. Peschel-Gutzeit (1998), S. 111-135; Stein (1998), S. 136-166; Weinke (1998), S. 167-191
[152] vgl. Korn, Benjamin (1999), S. 25; Gephart (1999), S. 30; François (1995), S. 98 sowie Leggewie (1987), S. 124
[153] Schneider, Richard Chaim (1997), S. 11f
[154] Die wohl umfassendste Dokumentation: N.N.: Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München 1987
Fast gleichzeitig fand die „Historisierungsdebatte“ statt, sie entspann sich zwischen den beiden Historikern Martin Broszat, dem damaligen Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und dem angesehenen Holocaust-Forscher Saul Friedländer. Broszat sprach sich für eine Historisierung des Nationalsozialismus aus, was nicht nur Saul Friedländer als „Schlußstrich-Mentalität“ bezeichnetet. Broszat meinte Historisierung aber im Sinne einer wissenschaftlich differenzierten Auseinandersetzung, die sich auch in der breiten Bevölkerung verfestigen müsse; eine „Normalisierung“ also, die aber nicht mit Vergessen oder Verdrängen gleichzusetzen sei. — vgl. Broszat (1988 [1985]), S. 267f sowie S. 280f
In der Literatur der letzten zehn Jahre über die Entwicklungen in der Holocausterfahrung und –vermittlung findet man nur selten Verweise auf die Debatte, am ausführlichsten geht Nicolas Berg darauf ein. Vgl. Berg (1996), S. 38; Erwähnung findet sie ebenfalls bei Schmid (1998), S. 334f
[155] Ernst Nolte und der Historikerstreit standen erneut im Blickpunkt der bundesdeutschen Feuilletons, als ihm im Juni 2000 der „Konrad-Adenauer-Preis für Wissenschaft“ der „Deutschland-Stiftung e.V.“ in München verliehen wurde. Am meisten Kritik musste Horst Möller, momentaner Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, einstecken, da er die Laudatio auf Nolte hielt.
[156] vgl. Garbe (1992), S. 263
Ein neues Geschichtsbewußtsein bedeutet auch die Planung zweier neuer Museen: das Deutsche Historische Museum, das die deutsche Geschichte bis 1945 repräsentieren sollte und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik, das sich mit der Nachkriegszeit bis heute auseinandersetzen sollte. Dieses neue Geschichtsbewußtsein sieht Jost Dülffer in engem Zusammenhang mit dem CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl. — vgl. Dülffer (1999), S. 301f
Benedikt Erenz sieht das Engagement Kohls und seiner Partei allerdings auf Formen beschränkt, bei denen es nicht um die Erinnerung geht, sondern um die Repräsentation der Bundesrepublik nach außen. — vgl. Erenz (1996)
[157] Kohlstruck (1998), S. 87
[158] Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996
[159] vgl. die Dokumentation von Jörg Fessmann (Red.): Streit um die Neue Wache. Zur Gestaltung einer zentralen Gedenkstätte. Berlin 1993
[160] Auch der Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“ unterlag lange Zeit der Kritik, in den letzten Jahren hat er allerdings einen festen Platz in der politischen Sprache bekommen. — vgl. König/ Kohlstruck/ Wöll (1998), S. 9ff
[161] vgl. Benz (1995), S. 303
Benz befürwortet allerdings die Beibehaltung des 17. Juni, schließlich verdanke man ihn den Bürgern der ehemaligen DDR und sie hätten ein Recht darauf, dass man ihrer gedenke. — ebenda, S. 304
[162] vgl. ebenda, S. 304; Ebach (1996), S. 107 sowie Hattenhauer (1998), S. 158; Zuckermann (1999), S. 82
[163] vgl. Benz (1995), S. 303, Young (1997), S. 53
[164] Hattenhauer (1998), S. 159; vgl. auch Niethammer (1999), S. 558
[165] Allerdings stellt sich die Frage, ob der vorige (kleingeschriebene) „Tag der deutschen Einheit“ der alten BRD dieses Ziel erreicht hatte.
[166] Da dieser Tag 1996 auf einen Samstag fiel, wurden die Gedenkfeiern auf den 19. Januar vorgezogen, was verständlicherweise die Frage aufkommen ließ, was man mit einem solchen Gedenktag zu verbinden habe. — vgl. Erenz (1996); Hofmann (1996)
Ebenfalls kritisiert wurde, dass dieser Tag festgelegt wurde, ohne dass er jemals zur öffentlichen Debatte gestanden hatte. — vgl. Hofmann (1996)
[167] Gephart (1999), S. 41
[168] vgl. Frei (1992), S. 101; Claussen (1996), S. 78
[169] vgl. Schneider, Richard Chaim (1997), S. 52; Kertész (1998); Noack (1998), S. 37; Niethammer (1999), S. 585
Reinhard Baumgart ist aber selbst „Auschwitz“ noch zu „flüssig, feierlich, heuchlerisch“ als die für ihn „harten, richtigen Namen ‚Judenmord‘ oder ‚Endlösung‘„, wobei er allerdings übersieht, dass „Judenmord“ problematisch ist, da er alle anderen vernichteten Gruppen ausschließt und „Endlösung“ das Nazi-Vokabular ist. — Baumgart (1998)
Im Zuge einer neuen ZDF-Dokumentationsreihe soll der Begriff „Holocaust“ nun wieder „eingedeutscht“ werden, indem er mit „k“ geschrieben werden soll. In anderen Sprachen war der Begriff auch schon vor dem Nationalsozialismus verbreiteter, da er in den jeweiligen Bibelübersetzungen beibehalten wurde, während Luther den Begriff prinzipiell mit „Brandopfer“ übersetzte. Dies erklärt zwar die Abstraktheit des Begriffs in der deutschen Sprache, ist aber kein Argument gegen die dem Begriff vorgeworfene Abstraktheit.
Bemerkenswert ist, dass die Kommission zur neuen Rechtschreibung die logische Umsetzung der neuen Regeln von „Holocaust“ zu „Holokaust“ nicht vornehmen wollte, da sie die Kritik fürchtete. – vgl. Jäckel (2000)
[170] vgl. Dülffer (1999), S. 290
Der Begriff setzt sich aus dem griechischen „holos“ für „ganz, total“ und dem lateinischen „caustos“ für „angebrannt“ zusammen. Im Griechischen bedeutet „Holocaustio“ „Brandopfer darbringen“, in seiner ursprünglichen religiösen Bedeutung von Tieropfern, die auf einem Altar als Gottesopfer verbrannt wurden.
[171] Claussen (1996), S. 84
[172] „Eingedeutscht“ auch als „Schoah“ oder in Form der modernen Transkription als „Shoa“ oder „Schoa“ zu finden. Der Begriff stammt aus dem Alten Testamtent Jes 10,3. Die deutsche Einheitsübersetzung übersetzt „Shoa“ mit Unwetter, was an höhere Gewalt denken lässt, das Gott über die Ungerechten kommen lässt.
[173] Dennoch liegt der Begriff dieser Arbeit zugrunde, da er sich in der einschlägigen Literatur durchgesetzt hat.
[174] vgl. Lasker-Harpprecht (1996)
[175] Joffe (2000 [1998]), http://www.lrz-muenchen.de/~jgk/Holocaust-DenkmaI.htm/#Joffe
[176] vgl. Longerich (2000)
[177] vgl. Prantl (2000)
[178] Longerich (2000)
Wolfgang Benz führt die immer noch schlechte Informationslage darauf zurück, dass es keine sensationellen Neuinformationen gebe. Die entscheidenden Sachverhalte sind bereits klar. — vgl. Benz (1987), S. 18
[179] siehe die Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung von 20. März bis 17. April 2000.
[180] Longerich (2000), S. 52
[181] ebenda, S. 52
[182] Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996
[183] Eine sehr gute Zusammenfassung mit den entscheidenden Argumenten der Debatte und einer ausführlichen Zitatensammlung stellt der Aufsatz von Weingart/ Pansegrau (1998), S. 193-208 dar.
vgl. auch Königseder (1998), S. 296
[184] vgl. Schneider, Richard Chaim (1997), S. 25; Hilberg (1998), S. 33; Dipper (1998), S. 93; Frei (1996), S. 93, Arad (1996), S. 176f; Königseder (1998), S. 300
[185] vgl. Ebbinghaus (1996), S. 146; Schneider, Richard Chaim (1997), S. 25
[186] Becker u.a. (1997), S. 164
[187] vgl. Goldhagen (1996), S. 258 sowie S. 261; zur Kritik an den Szenen — vgl. Wippermann (1997), S. 98
[188] vgl. ebenda, S. 98
[189] Kohlstruck (1998), S. 101, vgl. Knoch (1998), S. 180
[190] vgl. Frei (1996), S. 96; Glotz (1996), S. 127; Knoch (1998), S. 169ff; Weingart/ Pansegrau (1998), S. 199
[191] Goldhagen (1996), S. 8
[192] Goldhagen sieht die Bezeichnung „Nazis“ oder „SS-Männer“ als „vernebelnde Etikettierungen. Für ihn ist „der einzig angemessene allgemeine Begriff für diejenigen Deutschen, die den Holocaust vollstreckten“ „Deutsche“. — ebenda, S. 19
Diese Verallgemeinerung trug ihm ebenfalls Kritik ein. — vgl. Jäckel (1996), S. 189f
[193] Interessant ist die Anmerkung von Moshe Zimmermann, dass das Buch in Israel auf kein auffallendes Interesse gestoßen ist, er führt dies zurück auf die Einstellung der Israelis gegenüber den Deutschen im Nationalsozialismus, die immer noch von einer Kollektivschuld der Deutschen ausgehen. — vgl. Zimmermann (1996), S. 147
[194] vgl. Frei (1996), S. 94; Jäckel (1996); S. 187; Dipper (1998), S. 105
[195] vgl. Wippermann (1997), S. 99f; Weingart/ Pansegrau (1996), S. 198
[196] vgl. Goldhagen (1996), S. 370 sowie S. 634; Wippermann (1997), S. 101
[197] vgl. Browning (1996), S. 124; Manoschek (1996), S. 158; Hilberg (1998), S. 33f sowie S. 36; Knoch (1998), S. 182; Weingart/ Pansegrau (1998), S. 198f
Goldhagen wurde auch vorgeworfen, zur Kollektivschuldthese und damit auf den Forschungsstand der fünfziger Jahre zurückzukehren [vgl. Schirrmacher (1996), S. 101f sowie Zimmermann (1996), S. 147ff], einen Einwand, gegen den sich Goldhagen selbst allerdings wehrte. [vgl. Goldhagen (1996), S. 11f, Wippermann (1997), S. 107f; Weingart/ Pansegrau (1998), S. 193]
[198] vgl. Browning (1996), S. 121ff; Wippermann (1997), S. 100 sowie S. 102; Königseder (1998), S. 296
[199] vgl. Przyrembel (1998), S. 312
[200] vgl. Schirrmacher (1996), S. 103; Jäckel (1996), S. 189; Birn/ Rieß (1998), S. 54f
[201] vgl. Goldhagen (1996), S. 40
[202] vgl. Frei (1996), S. 94f; Glotz (1996), S. 127; Wehler (1996), S. 205; Dipper (1998), S. 93; Knoch (1998), S. 182
Goldhagens These, dass die „Deutschen“ vor allem aus freien Stücken gemordet hätten, wurde allerdings häufig als neu angesehen, obwohl der amerikanische Forscher Christopher Browning diese These bereits vor ihm aufgestellt und wesentlich reflektierter analysiert. — vgl. Browning (1993)
Ebenfalls darf nicht übersehen werden, dass auch deutsche Historiker vor allem der jüngeren Generation wie Götz Aly, Susanne Heim und Hannes Heer, aber auch Martin Brozat und Hans Mommsen seit langem gegen die vereinfachende Aufteilung von „Deutschen in eine kleine Verbrecherbande und eine Mehrheit von ‚anständigen‘ Menschen“ argumentieren. — Glotz (1996), S. 126
Julius H. Schoeps sieht in Goldhagens Buch eine gewollte Provokation, die Motivation der Täter wurde auch schon vor Goldhagen in wissenschaftlichen Arbeiten behandelt, löste aber niemals solche Debatten aus. Schoeps sieht das allerdings als Schwäche sowie als Stärke des Buches zugleich, löse es damit eben eine notwendige öffentliche Diskussion aus. — vgl. Schoeps (1996b), S. 135 sowie S. 138
[203] vgl. Rowold (1996), S. 114; Ebbinghaus (1996), S. 140; Knoch (1998), S. 179; Markovits (1996), S. 236
Dass die Kritik über ihr Ziel hinausschoss, zeigt vor allem ein Artikel von Rudolf Augstein [Augstein, Rudolf: Der Soziologe als Scharfrichter. In: Der Spiegel vom 15. April 1996, hier zitiert nach der Dokumentation von Julius H. Schoeps (1996a), S. 106-109]. Der Herausgeber des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ entpuppte sich als „Herrenmensch“ [Markovits (1996), S. 232f; vgl. Wippermann (1997), S. 112]. Auf sehr unreflektierte Weise kritisierte er Goldhagen nicht in seiner Eigenschaft als Autor eines mehr oder weniger qualifizierten Buches sondern in seiner Eigenschaft als jüdischer Scharfrichter [Augstein (1996), S. 106; vgl. Wippermann (1997), S. 110]. Dabei blieb er allerdings nicht der einzige. Richard Chaim Schneider zitiert mehrere entscheidende Kritiker Goldhagens, sowohl von wissenschaftlicher als auch publizistischer Seite [vgl. Schneider, Richard Chaim (1997), S. 49ff; Wippermann (1997), S. 110]. Goldhagens Gegner warfen ihm vor, selbst rassistisch gegenüber den Deutschen zu sein [vgl. Nolte, Jost (1996), S. 112; Wippermann (1997), S. 109]. Allerdings hob Goldhagen auch immer wieder hervor, dass die Deutschen nach 1945 diesen „eliminatorischen Antisemitismus“ nicht mehr aufwiesen, damit widersprach er sich und seiner These selbst. [vgl. Schneider, Richard Chaim (1997), S. 87]
[204] vgl. Dipper (1998), S. 105
Werner Bergmann sieht diese Entwicklung zu einer „irrationalen“ Debatte als Folge davon, dass die Historiker nicht begriffen, dass sie nicht in dem ihnen bekannten Wissenschaftsystem agierten, sondern in der Medienöffentlichkeit standen, in der sie sich nicht zu bewegen wußten, deren Regeln sie nicht kannten. — vgl. Bergmann (1998), S. 131-147
Eine genauere Untersuchung dieser These liefern Weingart/ Pansegrau (1998), S. 193-208
Natürlich gab es auch positive Kritik an Goldhagen, die sein Werk als durchaus innovativ und neu ansahen. — vgl. z.B. Markovits (1996), S. 228ff
[205] Wippermann (1997), S. 111
[206] Was auch darauf zurückzuführen ist, dass Goldhagen betonte, dass die „heutigen“ Deutschen demokratisch seien und mit den Deutschen des Nationalsozialismus nicht zu vergleichen. — vgl. Goldhagen (1996), S. 6f sowie S. 12f; Schneider, Richard Chaim (1997), S. 87, Becker u.a. (1997), S. 168
Richard Chaim Schneider sieht den deutschen Publikumserfolg in Deutschland auch darin begründet, dass Goldhagen es mit seiner Theorie den Deutschen ermöglichte, gleichzeitig Distanz zu wahren, aber auch Emotionen zu zeigen. Diese emotionale Umgangsweise führt er bei Goldhagen auf seine jüdische Herkunft zurück. Schneider fällt auf, dass die drei für ihn markantesten, medialen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust: die Fernsehserie „Holocaust“, der Film „Schindlers Liste“ und das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ von Juden stammen, der jüdische Zugang folglich ein emotionalerer ist, der aber eben auch die nichtjüdischen Deutschen anspricht, auch wenn sie selbst von sich aus nicht in der Lage zu ihm sind. Die deutschen, nichtjüdischen Nachkriegsgeborenen waren von dieser Emotionalität angesprochen, die sie beim sonst in Deutschland sehr sachlichen Diskurs vermißten. — vgl. Schneider, Richard Chaim (1997), S. 52-54
[207] vgl. Ebbinghaus (1996), S. 146; Kohlstruck (1998), S. 101
[208] vgl. Herbert (1996), S. 214ff; Weingart/ Pansegrau (1998), S. 199
[209] Schneider, Richard Chaim (1997), S. 53
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