Die Analyse und Auseinandersetzung mit der Rolle von "Bullshit"-Aussagen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen steht im Fokus dieser Untersuchung. Die Thematik wird durch die Definition des Begriffs 'Bullshit' eingeleitet und die Möglichkeit seiner Existenz trotz herrschender Wahrheitspflicht diskutiert. Weitere Untersuchungen beleuchten die Auswirkungen von 'Bullshit'-Aussagen auf den Prozess der Wahrheitsfindung, wobei das Potenzial zur Untergrabung und Zerstörung dieses Prozesses zur Debatte steht. Schließlich wird eine Lösung vorgeschlagen, um 'Bullshit'-Aussagen effektiv zu identifizieren und ihre Akzeptanz als gültige Antworten zu verhindern, was eine Verbesserung der Effizienz parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und eine Stärkung der politischen Verantwortung anstrebt.
Inhalt
Einleitung
Harry Frankfurts „Bullshit“
Demonstrativer Bullshit
Wahrheitspflicht im Untersuchungsausschuss
Bullshit unter Wahrheitspflicht
Die Aussagen
Kurz' Bullshit
Blümels Bullshit
Die Lösung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Problem, dem ich mich hier widme, betrifft parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Bei diesen geht es um politische Verantwortung, nicht um Strafverfolgung. Das bedeutet, es gelten andere Regeln als in Strafverfahren. Diese Regeln erlauben es Auskunftspersonen, trotz herrschender Wahrheitspflicht, Aussagen zu tätigen, die nicht dem Zweck der Wahrheitsfindung dienen. Bei diesen Aussagen handelt es sich um Bullshit.
Ich werde zuerst den Begriff „Bullshit“ definieren und dann untersuchen ob es Bullshit unter Wahrheitspflicht geben kann.
Damit möchte ich beweisen, dass Bullshit den Prozess der Wahrheitsfindung nicht nur behindert, sondern auch zerstören kann. Zuletzt werde ich eine Lösung vorschlagen, die es erlaubt Bullshit zu erkennen und Bullshit nicht mehr als Antwort zu akzeptieren.
Harry Frankfurts „Bullshit“
In seinem Essay „On Bullshit“1 stellt Frankfurt seinen Leser:innen die Frage „[...] weshalb wir dem Bullshit generell mit größerer Milde entgegnen als der Lüge [...]“ (Frankfurt 2019, 38) und gibt diese Frage, ohne sie zu beantworten seinen Leser:innen als Hausaufgabe mit auf den Weg. Bullshit ist im Alltag weit verbreitet. Egal ob auf Werbetafeln, Bühnen oder Rednerpulten, in Gesprächen am Stammtisch oder in Meetings. Fast immer geht es dabei entweder darum, die Grenzen des Erlaubten auszureizen (zum Beispiel in der Werbung) oder zu verbergen, dass man keine Ahnung hat wovon man spricht (zum Beispiel in einem Meeting). Was diese Situationen gemein haben, ist, dass sie nicht direkt mit Lüge oder Unwahrheit zu tun haben. Vielmehr wird Antwort gegeben auf Fragen, die nicht gestellt wurden oder es werden Antworten gegeben, die nicht überprüft werden können oder sogar frei erfunden aber durchaus auch wahr sein könnten.
Um das Wesen des Bullshit fassbar zu machen, zeichnet Frankfurt das Bild eines Redners, der sich am Nationalfeiertag in populistischer Manier über die Großartigkeit des Landes und seiner Gründerväter unter Gottes Führung ergeht (vgl.: Frankfurt 2019, S. 16). Dem Redner geht es nicht darum, dass sein Publikum glaubt, dass er glaubt das Land sei großartig oder die Gründerväter stünden unter göttlicher Führung. Es geht dem Redner darum in seinem Publikum einen bestimmten Eindruck von sich selbst zu erwecken. Es geht ihm nicht darum was seine Zuhörer über das Land denken, es geht ihm darum was sie über ihn denken. Frankfurt betont, dass der Bullshit ohne Rücksicht auf die Wahrheit produziert wird, dabei aber durchaus wahr sein kann. So fälscht die Bullshitter:in Dinge, was aber nicht unbedingt heißt, dass diese falsch sind (Frankfurt 2019, S. 36). Der Grundlegende Unterschied zwischen Bullshit und Lüge ist, dass die Lüge über ihren Inhalt täuscht und der Bullshit über die Absicht der Sprecher:in. Der Bullshitter:in ist nicht daran gelegen über den Inhalt ihrer Behauptung zu täuschen, sie möchte ihr Motiv verheimlichen und die Tatsache, dass die Wahrheit nichts damit zu tun hat. Die Frage ist also, ob eine Aussage, deren Wahrheitswert keine Rolle spielt, in einer Situation unter Wahrheitspflicht gültig sein kann.
Demonstrativer Bullshit
Romy Jaster und David Lanius führen noch einen weiteren Begriff ein, der über Frankfurts Bullshit hinausgeht: den Demonstrativen Bullshit (Jaster & Lanius 2021). Jener liegt vor, wenn der Bullshitter:in gleichgültig ist, ob das Publikum ihre Wahrheitsindifferenz bemerkt oder sie sogar die dezidierte Absicht hat, ihr Publikum über ihre Wahrheitsindifferenz in Kenntnis zu setzen. Diese Form des Demonstrativem Bullshit ist in Bezug auf die Wahrheitspflicht besonders interessant da er, wie Jaster und Lanius sagen „eine Flucht nach vorn in einer ausweglosen Situation darstellen kann. Ist man der Falschheit einer Aussage öffentlich überführt, dann bleibt neben dem Eingeständnis des Fehlers nur die unverfrorene Strategie des demonstrativen bullshittens“. Darauf werde ich weiter unten noch zurückkommen, wenn es darum geht den zeitlichen Rahmen eines Ausschusstages mutwillig mittels Demonstrativen Bullshit zu sprengen. Jaster und Lanius sind der Meinung, dass sich politische Akteure, die öffentlichkeitswirksam und regelmäßig demonstrativ bullshitten, damit ganz explizit den Normen der Wahrheitsfindung im gesellschaftlichen Diskurs widersetzen. So tragen sie dazu bei, die Grundlage für demokratische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse zu zersetzen.
Wahrheitspflicht im Untersuchungsausschuss
Eine Situation unter Wahrheitspflicht ist eine Situation logischer Zweiwertigkeit. Das bedeutet, dass ein Satz unter Wahrheitspflicht nur als wahr oder unwahr gewertet werden kann. Eine Lüge würde der Wahrheitspflicht entsprechen, da sie die Wahrheit anerkennt und benutzt. Die Lügner:in muss glauben, die Wahrheit zu kennen und dass ihre Behauptung falsch ist, damit es sich überhaupt um eine Lüge handeln kann. Im Gegensatz dazu muss die Bullshitter:in keinerlei spezifische Überzeugungen über den behaupteten Sachverhalt haben. Um zu bullshitten, genügt es, Behauptungen aufzustellen, ohne die Tatsachen überhaupt in Betracht zu ziehen. Die Unwahrheit aber muss unter Wahrheitspflicht als Wahrheit anerkannt werden solange bis sie als solche bewiesen ist, was zu einem Zeitpunkt passieren kann, zu dem die wahrheitspflichtige Situation nicht mehr besteht.
Während ein Strafverfahren die strafrechtliche Verantwortlichkeit klären soll, dient der parlamentarische Untersuchungsausschuss der Feststellung der politischen Verantwortlichkeit. Das führt zu einigen Unterschieden, die hinsichtlich der Wahrheitspflicht wichtig sind. So handelt es sich im Strafverfahren um Beschuldigte, die zwar die Wahrheit sagen müssen aber die Aussage grundsätzlich verweigern dürfen. Beim Untersuchungsausschuss handelt es sich um Auskunftspersonen, die die Pflicht, der Ladung Folge zu leisten, als auch eine Antwort- und Wahrheitspflicht (vgl.: § 33 VO-UA) trifft. Das bedeutet für die Auskunftsperson die Verpflichtung auszusagen, welche Wahrnehmungen sie gemacht hat. Sie soll dabei keine Schlüsse ziehen, sondern nur berichten, was sie selbst gesehen und gehört hat. Wenn sie bewusst etwas Falsches aussagt, macht sie sich strafbar. Der Untersuchungsausschuss nimmt Beweise auf, entscheidet über deren politische Relevanz und liefert anschließend einen Abschlussbericht an den Nationalrat. Dieser wird im Nationalrat debattiert und über allfällige politische Konsequenzen entschieden (Schiesbühl 2021).
Bullshit unter Wahrheitspflicht
Eine wahrheitspflichtige Situation ist üblicherweise eine Frage-Antwort Situation in der die Auskunftsperson nicht nur wahrheitspflichtig, sondern auch auskunftspflichtig ist. Das führt dazu, dass die Auskunftsperson die Möglichkeit hat die Wahrheit zu sagen, die Unwahrheit zu sagen oder sich der Aussage zu entschlagen, wenn die Voraussetzungen dafür zutreffen2. Auf eine Frage sind also notwendigerweise nur folgende Antworten möglich:
(1) Wahrheit/Unwahrheit
(2) Keine Wahrnehmung zum Gegenstand der Frage
(3) Zulässige Entschlagung
Eine Antwort muss aufgrund der Wahrheitspflicht als Satz mit dem Wahrheitwert ,wahr‘ gewertet werden.3 Eine Entschlagung wird sofort von der dafür zuständigen Instanz auf ihre Zulässigkeit geprüft und gegebenenfalls abgewiesen. Die Auskunftsperson muss sich dann für eine Antwort der ersten beiden Kategorien entscheiden.
Wenn Sebastian Kurz in seiner einleitenden Stellungnahme4 im Juni 2020 behauptet
„[...],dass ich der Meinung bin, dass es positiv ist, wenn es Aufklärung gibt, dort, wo Verfehlungen stattgefunden haben“ (vgl.: 50/KOMM (XXVII. GP), 4) dann ist das Bullshit. Es ist nicht relevant, dass er der Meinung ist Aufklärung wäre positiv, dort wo Verfehlungen stattgefunden haben. In diesem kurzen Statement ist bereits verpackt, dass die Auskunftsperson:
i. Aufklärung positive findet (nicht, dass sie daran beteiligt sein möchte)
ii. Aufklärung dort positive findet, wo Verfehlungen stattgefunden haben
iii. von keinen Verfehlungen weiß
iv. und daher auch nichts zur Aufklärung beitragen kann
Antonella Mei-Pochtler referenziert auf den, in Medien benutzten, umgangssprachlichen
Namen des „Ibiza-Ausschuss“:
„Ich war einigermaßen erstaunt, als ich als Auskunftsperson vor diesen
Untersuchungsausschuss gebeten wurde, da ich zu den Vorgängen rund um Ibiza keinen Bezug habe. Ich komme dieser Pflicht natürlich gerne nach“ (vgl.: 196/KOMM (XXVII.
GP), 3)
Sie wurde zu dieser Befragung vorgeladen, muss also den korrekten Namen des „ Untersuchungsausschusses betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ kennen. Wenn sie behauptet sie hätte zu den Vorgängen um Ibiza keinen Bezug, dann ist das wahrscheinlich wahr aber irrelevant.
[...]
1 Den Essay On Bullshit hat Harry Frankfurt erstmals 1986 in der Zeitschrift Raritan veröffentlicht und dann zwei Jahre später in seine Aufsatzsammlung The importance of what we care about aufgenommen. Ich beziehe mich hier auf die deutsche Übersetzung: Frankfurt, Harry G. 2019. Bullshit (Suhrkamp Taschenbuch 4490). (Trans.) Michael Bischoff. 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp.
2 Die Möglichkeit der Aussageverweigerung ist normiert in § 43 VO-UA und umfasst u.a. die Selbst- und Angehörigenbelastung. Besonders vom Aussageverweigerungsgrund der Selbstbelastung wird häufig Gebrauch gemacht, wobei sich laut Julia Schiesbühl (Schiesbühl 2021) die Frage nach dem Umfang des Entschlagungsrechts stellt.
3 Sollte es sich bei der Aussage um eine Unwahrheit gehandelt haben, wird das üblicherweise erst nach Ende der Befragung festgestellt und dann gegebenfalls in einem Strafverfahren behandelt.
4 Die wörtlichen Protokolle der öffentlichen Befragungen der Auskunftspersonen sind über die Parlamentshomepage zugänglich: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A-USA/A- USA_00002_00906/index.shtml#tab-VeroeffentlichungenBerichte, (besucht am 02.02.2022)
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