Das strafrechtliche Analogieverbot ist verletzt, wenn § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB dahingehend ausgelegt wird, dass ein Pkw eine „Waffe“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
Art. 103 Abs. 2 GG enthält einen strengen Gesetzesvorbehalt, der dem Rechtsanwender nicht nur die Analogie, sondern auch eine über den möglichen Wortsinn hinausreichende Interpretation verbietet. Dies gilt auch für strafschärfende Vorschriften.
Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter Waffen Gegenstände, deren primäre Zweckbestimmung im Angriff oder in der Verteidigung liegt.
Nach dem Beschluss des BVerfG vom 10.01.1995 enthält Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Die Vorschrift verpflichtet den Gesetzgeber vielmehr auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Sie soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der die Strafgerichte auf die Rechtsanwendung beschränkt.
Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht.
Verstoß gegen das strafrechtliche Analogieverbot[1]
Das strafrechtliche Analogieverbot ist verletzt, wenn § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB dahingehend ausgelegt wird, dass ein Pkw eine „Waffe“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
Art. 103 Abs. 2 GG enthält einen strengen Gesetzesvorbehalt,[2] der dem Rechtsanwender nicht nur die Analogie, sondern auch eine über den möglichen Wortsinn hinausreichende Interpretation verbietet. Dies gilt auch für strafschärfende Vorschriften.[3]
Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter Waffen Gegenstände, deren primäre Zweckbestimmung im Angriff oder in der Verteidigung liegt.
Zum Sachverhalt:
Der leicht alkoholisierte Bf. wurde wegen zu schnellen, die Vorfahrt nicht beachtenden Fahrens von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert. Als einer der Beamten durch das geöffnete Fenster seines Fahrzeugs griff, startete er, um seine Festnahme zu verhindern. Der Beamte wurde eine Wegstrecke mitgeschleppt, ehe er sich von dem Fahrzeug lösen konnte. Das AG hat das Kraftfahrzeug als Waffe im untechnischen Sinne bewertet und den Bf. u. a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt. Berufung und Revision, mit der der Bf. die Verletzung des strafrechtlichen Analogieverbots ausdrücklich beanstandet hatte, blieben erfolglos. Die Verfassungsbeschwerde führte zur Aufhebung der Revisionsentscheidung.
[...]
[1] BVerfG 2. Kammer des 2. Senats , Beschluss vom 01.09.2008 - 2 BvR 2238/07 mit kritisch ablehnender Anmerkung von Simon, NStZ 2009, 86f - richtigerweise ist der Inhalt des Analogieverbots deshalb dahingehend klarzustellen, dass der Bürger bei fachsprachlich geprägten Begriffen einen Anspruch darauf hat, dass von einem eindeutigen juristischen Begriffsinhalt nicht zu seinen Lasten abgewichen werden darf. Die Kammer macht es sich insgesamt zu leicht, sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen des Analogieverbots als auch in der Darstellung des strafrechtlichen Waffenbegriffs und seiner historischen Entwicklung. Für die Harmonisierung von Rechtsbegriffen ist das BVerfG nicht zuständig, so wünschenswert dies angesichts eines Gesetzgebers, dem die Pflege seiner Kodifikationen nicht am Herzen liegt, auch erscheinen mag. Weiterführende und vertiefende Hinweise von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom-Betriebswirtin (BA) Silke Schwab.
[2] Gesetzesvorbehalt bedeutet, dass die Strafbarkeit eines Verhaltens und die mögliche Strafe in einem Gesetz geregelt sein muss, wobei ein Gesetz i.S.d Art 103 Abs 2 GG grundsätzlich ein Parlamentsgesetz ( Parlamentsvorbehalt) bedeutet, Radtke, in Epping, u. a., Beckscher Online Kommentar, Art. 103 RN 23.
[3] Mit der strengen Bindung der strafenden Staatsgewalt an das Gesetz gewährt das Bestimmtheitsgebot Rechtssicherheit und schützt zur Wahrung ihrer Freiheitsrechte das Vertrauen der Bürger, dass der Staat nur dasjenige Verhalten als strafbare Handlung verfolgt und bestraft, das zum Zeitpunkt der Tat gesetzlich bestimmt war, BVerfGE 95, 96 [130ff.] = NJW 1997, 929. Art. 103 Abs. 2 GG sorgt zugleich dafür, dass im Bereich des Strafrechts mit seinen weit reichenden Folgen für den Einzelnen nur der Gesetzgeber abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet, BVerfGE 75, 329 [341] = NJW 1987, 3175. Als Bestrafung i.S.d. Art 103 Abs 2 GG ist jede staatliche Maßnahme anzusehen, die eine „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“ darstellt, BVerfGE 26, 186, 204. Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht muss in Art und Maß durch den parlamentarischen Gesetzgeber normativ bestimmt werden, die für eine Zuwiderhandlung gegen eine Strafnorm drohende Sanktion muss für den Normadressaten vorhersehbar sein. Hinsichtlich des Maßes der in Frage kommenden Strafe hat der Gesetzgeber einen Strafrahmen zu bestimmen, dem sich grundsätzlich das Mindestmaß einer Strafe ebenso wie eine Sanktionsobergrenze entnehmen lassen, BVerfG, Urteil vom 20.03.2002 - 2 BvR 794/95, NJW 2002, 1779. Keine Strafe in diesem Sinne sind Maßregeln der Besserung und Sicherung nach den §§ 61 StGB ff. Dies folgt aus der Zweigliedrigkeit des deutschen Sanktionssystems ergibt, das zwischen Strafen einerseits und Maßregeln andererseits, Radtke, in Epping, u. a. Beckscher Online Kommentar, Art 103 RN 20.
- Quote paper
- Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Author), 2009, Verstoß gegen das strafrechtliche Analogieverbot, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136286