„Sozialer Wandel“ stellt in der Soziologie wohl einen der grundlegendsten Begriffe dar und wird gegenwärtig als Sammelbegriff zur Bestimmung unterschiedlicher sozialer Prozesse verwendet, die innerhalb einer Gesellschaft über einen längeren Zeitraum vor sich gehen. Der Begriff sozialer Wandel wurde erstmals 1922 von William Fielding Ogburn in seinem Werk „Social Change: With Respect to Culture and Original Nature“ eingeführt um der Problematik der Konkurrenz anderer Begriffe wie „Fortschritt“, „Evolution“, „Entwicklung“ oder „Modernisierung“ zu entgehen. Seitdem wird der Ausdruck „sozialer Wandel“ allgemein verwendet, wenn sich relevante Elemente eines Sozialsystems verändern. Die Bedeutung des Terminus „sozialer Wandel“ oder seiner begrifflichen Analogien hat sich im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte fortwährend verändert. Vom Wandel bei archaischen Kulturen hin zu vermeintlichen Gesetzen der Entwicklung von Industriegesellschaften, haben sich nicht nur die Theorien geändert, sondern auch der zu erklärende Gegenstand. Es gibt also nicht „die“ Theorie des sozialen Wandels. Diesem Umstand wird versucht im ersten Kapitel mittels eines Streifzugs durch die Geschichte der Soziologie gerecht zu werden. Nach einer kurzen Vorstellung der drei Gründerväter der Soziologie: August Comte, Karl Marx und Herbert Spencer, folgt ein Überblick über die „soziologischen Klassiker“: Emile Durkheim, Max Weber und Talcott Parsons. Den Abschluss des ersten Abschnitts bilden die zeitgenössischen Konzepte Niklas Luhmanns und Jürgen Habermas.
Im zweiten Teil dieser Arbeit folgt eine Vertiefung in den Bereich des sozialen Wandels der Religion. Hauptthemen sind hierbei die Säkularisierung und das Verhältnis zur Politik. Natürlich wäre die Thematik der Religion nur unvollständig behandelt wenn nicht auch der Fundamentalismus diskutiert würde. Eine Vertiefung in die Thematik des Fundamentalismus mittels der theoretischen Ausführungen Martin Riesebrodts sowie einer Darstellung des christlich-protestantischen Fundamentalismus in den USA findet sich ebenfalls im dritten Kapitel.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sozialer Wandel, Soziale Steuerung - Theorien i m (berblick
2.1. Auguste Co mte
2.2. Karl Marx
2.3. Herbert Spencer
2.4. Emile Durkhei m
2.5. Max Weber
2.6. Talcott Parsons
2.7. Niklas Luh mann
2.8. Jurgen Haber mas
3. Sozialer Wandel und Religion
3.1. Säkularisierung
3.2. Funda mentalis mus
3.3. Christlicher Funda mentalis mus
3.4. Trägergruppen des Funda mentalis mus
3.4.1. Der Funda mentalis mus der marginalisierten Mitte
3.4.2. Der Funda mentalis mus proletarisierter Intellektueller
3.4.3. Der Funda mentalis mus der städtischen Unterschicht
3.4.4. Funda mentalis mus und Frauen
3.5. Funda mentalis mus und Politik
4. Zusa mmenfassung
5. Literaturverzeichnis ..
1. Einleitung
„Sozialer Wandel" stellt in der Soziologie wohl einen der grundlegendsten Begriffe dar und wird gegenwärtig als Sa mmelbegriff zur Besti mmung unterschiedlicher sozialer Prozesse verwendet, die innerhalb einer Gesellschaft über einen längeren Zeitrau m vor sich gehen. Der Begriff sozialer Wandel wurde erst mals 1922 von William Fielding Ogburn in seine m Werk „Social Change: With Respect to Culture and Original Nature" eingeführt u m der Proble matik der Konkurrenz anderer Begriffe wie „Fortschritt", „Evolution", „Entwicklung" oder „Modernisierung" zu entgehen. Seitde m wird der Ausdruck „sozialer Wandel" allge mein verwendet, wenn sich relevante Ele mente eines Sozialsyste ms verändern. (vgl. Jäger, 2003, S.15)
Die Bedeutung des Terminus „sozialer Wandel" oder seiner begrifflichen Analogien hat sich i m Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte fortwährend verändert. Vo m Wandel bei archaischen Kulturen hin zu ver meintlichen Gesetzen der Entwicklung von Industriegesellschaften, haben sich nicht nur die Theorien geändert, sondern auch der zu erklärende Gegenstand. Es gibt also nicht „die" Theorie des sozialen Wandels. Diese m Umstand versuche ich i m folgenden Kapitel mittels eines Streifzugs durch die Geschichte der Soziologie gerecht zu werden. Nach einer kurzen Vorstellung der drei Gründerväter der Soziologie: August Comte, Karl Marx und Herbert Spencer, folgt ein Uberblick über die „soziologischen Klassiker": Emile Durkhei m, Max Weber und Talcott Parsons. Den Abschluss des ersten Abschnitts bilden die zeitgenössischen Konzepte Niklas Luh manns und Jürgen Haber mas.
I m zweiten Teil dieser Arbeit folgt eine Vertiefung in den Bereich des sozialen Wandels der Religion. Hauptthe men sind hierbei die Säkularisierung und das Verhältnis zur Politik. Natürlich wäre die The matik der Religion nur unvollständig behandelt wenn nicht auch der Funda mentalis mus diskutiert würde. Eine Vertiefung
in die The matik des Funda mentalis mus mittels der theoretischen Ausführungen Martin Riesebrodts sowie einer Darstellung des christlich-protestantischen Funda mentalis mus in den USA findet sich ebenfalls i m dritten Kapitel.
2. Sozialer Wandel, Soziale Steuerung - Theorien im ()berblick
2.1. Auguste Comte
(* 1798 in Montpellier, t 1857 in Paris)
Obwohl es vor Comte bereits Forschung auf „soziologische m" Gebiet gab, existierte kein einheitlicher Begriff dafür. Comte prägte den Begriff „Soziologie" i m Jahr 1838 und gilt deshalb als Begründer derselben. I m Zentru m seines Werkes steht das „Drei-Stadien-Gesetz" welches besagt, dass der menschliche Geist i m Zuge seiner Entwicklung bzw. Heranreifung drei aufeinanderfolgende, unterschiedliche Stadien durchlaufen muss. (vgl. Bock, 2006, S.43f)
- das theologische oder fiktive Stadium, in de m erkannte Phäno mene auf göttliches Wirken zurückgeführt werden;
- das metaphysische oder abstrakte Stadium, in der nicht göttliches Wirken sondern abstrakte Beziehungen die Phäno mene erklären;
- das wissenschaftliche oder positive Stadium, welches den Opti malzustand darstellt. Hier ist es möglich die Gesetz mäLigkeiten der Natur und der Geschichte zu erkennen.
Die Unterscheidung von sozialer Statik und Dynamik macht ihn zu eine m frühen Vertreter einer „Soziologie sozialen Wandels". Während die soziale Statik die Menschheit bezüglich der zeitlosen Grundbedingungen sozialer Ordnung untersucht - wobei Comte sich i m Einzelnen mit Religion, Eigentu m, Fa milie, Sprache und Arbeitsteilung befasst - so analysiert die soziale Dyna mik denselben Gegenstand, die Menschheit, in ihrer Entwicklung. (vgl. Bock, 2006, S.46ff)
Sozialer Wandel ergibt sich durch die Ungleichzeitigkeit mit der der Mensch die drei zuvor erwähnten Stadien durchläuft, wobei Comte davon ausgeht, dass sich der Mensch i m Laufe dieser Entwicklung nicht verändere, es ih m aber zuneh mend gelänge seine edleren Eigenschaften besser zur Geltung zu bringen. Diese Entwicklung sei unaufhaltsa m und irreversibel. (vgl. Bock, 2006, S.48f)
2.2. Karl Marx
(* 1818 in Trier, t 1883 in London)
Methodischer Ausgangspunkt Marxens Theorie des sozialen Wandels ist die Annah me dass die Geschichte der Menschheit erkennbaren Gesetzen folge, die deren Verlauf auf ein andeutungsweise besti mmbares zukünftiges Ziel hinführen.
Die Geschichte, also der soziale Wandel, wird vorangetrieben durch die Wechselwirkung von zugrundeliegenden Strukturen und organisierten Kräften, was jeweils in Stufen, die verschiedene Epochen oder Gesellschaftsfor men voneinander trennen, geschieht. Die zugrundeliegenden Strukturen besti mmt Marx als sozialökono misch und bezeichnet sie als Produktivkräfte (Antriebskräfte der Entwicklung) und Produ ktionsverhältnisse (Eigentu msverhältnisse, Organisations-formen des Wirtschaftens). Die Beziehung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ist nicht statisch. Während die Produktionsverhältnisse erstarren, da die herrschende Klasse versucht ihre Machtstellung zu erhalten, wachsen die Produktivkräfte und kä mpfen gegen die bestehenden Strukturen an. Hier drängt sich die Erfahrung der Industriellen Revolution auf. Spät mittelalterliche Strukturen der Zünfte und Stände behindern die Entwicklung kapitalistischer Unterneh men. Es zeigt sich aber dass die neuen Unterneh men stärker sind als die hinderlichen Strukturen der alten Welt. Letztendlich müssen die Produktionsverhältnisse nachgeben und eine neue Sozialstruktur entsteht. (vgl. Dahrendorf, 2006, S.60ff)
2.3. Herbert Spencer
(* 1820 in Derby, t in Brighton)
Als Positivist suchte Spencer nicht Sinn und Wesen von Ereignissen, sondern versuchte, wissenschaftliches Denken auf die Analyse von historischen und sozialen Prozessen zu übertragen. Spencer sah gesellschaftliche Sachverhalte als auf wissenschaftlichen Gesetzen basierend, weshalb die beobachteten Tatsachen keinerlei Auslegung bedürften, da lediglich die realen Zusa mmenhänge zu beobachten seien. (vgl. Kunczik, 2006, S.76f)
Er betrachtete die Biologie als die Wissenschaft, die der Soziologie als Vorbild dienen könne. Dabei verstand er die Gesellschaft wie einen Organis mus, der die unterschiedlichen Evolutionsprozesse durchläuft, wobei, trotz mehrdeutiger Interpretations möglichkeiten des Spencerschen Evolutionskonzeptes i mmer gilt: Transformation des unzusa mmenhängenden Ho mogenen zu m wechselseitig abhängigen Heterogenen - also Integration bei gleichzeitiger Differenzierung. Aus unbesti mmter, unzusa mmenhängender Gleichartigkeit wird i m Verlauf des Evolutionsprozesses besti mmte, zusa mmenhängende Ungleichheit.
Spencer zufolge vollzieht sich sozialer Wandel von pri mitiven kriegerischen Gesellschaften hin zu hochgradig ausdifferenzierten, industriellen Gesellschaften. Diese zeichnen sich durch hohe individuelle Freiräu me aus, wobei die Regierung i m Grunde nur die Aufgabe habe, den Willen der Bürger zu verwirklichen. Steuernde Eingriffe des Staates, die die freiwillige Konsenserreichung behindern könnten, seien abzulehnen, da sie zwangsläufig zu Rückschlägen führen würden. (vgl. Kunczik, 2006, S.78f)
2.4. Emile Durkheim
(* 1858 in Epinal, t 1917 in Paris)
Durkhei m war einer der ersten, die sich vo m Denken in Analogie mit der Natur entfernten. Sein erster methodologischer Grundsatz lautet, dass sich Soziales nur durch Soziales erklären lässt. Soziale Erscheinungen können nur durch andere (e mpirisch erfahrbare) Erscheinungen erklärt - und nicht auf andere, insbesondere „letzte Ursachen" zurückgeführt werden. Wo i mmer man auf eine organische oder psychologische Erklärung stöBt, kann man laut Durkhei m sicher sein dass sie falsch sei. (vgl. Müller, 2006, S.156)
Eine „klassische Theorie sozialen Wandels" bzw. ein grundlegendes Modell von Gesellschaft hat Durkhei m mit seiner Analyse der Arbeitsteilung entwickelt. Die Arbeitsteilung unterscheidet lt. Durkhei m die Industriegesellschaft von anderen Gesellschaften, da hier eine hohe Arbeitsteilung zu finden ist.
Durkhei m unterschied i m Wesentlichen zwei Typen von Gesellschaftsstrukturen, die sich durch unterschiedliche For men der Solidarität, auszeichnen:
- mechanische Solidarität
Archaische Gesellschaften bestehen aus kleinen, seg mentär differenzierten Einheiten, in denen ein starkes Kollektivbewusstsein eine Solidarität aus Ahnlichkeiten erzeugt(4 m echanische Solidarität), die den Einzelnen direkt in die Ge meinschaft integriert. Ihr Maximum erreicht diese Solidarität, wenn das Kollektivbewusstsein deckungsgleich mit de m Individualbewusstsein ist, was aber auch dazu führt, dass die Individualität gleich null ist. (vgl. Müller, 2006, S.158)
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- Robert Tritscher (Author), 2009, Sozialer Wandel, Religion und Fundamentalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136219
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