Wir leben am Ende eines Jahrhunderts, das im Rahmen von stetem
Wandel und rasant fortschreitenden Modernisierungen gerade für
Kinder und Jugendliche eine Reihe an Veränderungen mit sich
gebracht hat. Heutzutage wird ihnen im günstigen Fall nicht nur ein
größeres Maß an Freiheit und gleichberechtigter Behandlung zuteil,
vielmehr erwartet die Gesellschaft von ihnen auch ein höheres Maß
an Vernunft, Selbständigkeit, kritischem Denken und
eigenverantwortlichem Handeln.
Generell schlagen sich wesentliche gesellschaftliche Veränderungen
immer auch in der Literatur nieder. Daher fragt sich der kritische
Beobachter, in welcher Weise jene Veränderungen gerade in die
moderne Kinder- und Jugendliteratur ihren Einzug halten; inwieweit
sie den Ansprüchen und Wünschen der jungen Leserschaft gerecht
werden können und eine Lebenswelt widerspiegeln, in der sie sich
selbst finden. Die exemplarische Bearbeitung dreier
kinderliterarischer Neuerscheinungen aus dem Bereich der
Abenteuerliteratur soll sich den vorgenannten Fragestellungen nähern
und die entsprechenden Positionen herausarbeiten.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Abenteuerliteratur als kinder- und jugendliterarische Gattung
2.1 Zum Begriff der Abenteuerliteratur
2.2 Funktion von Abenteuerliteratur
3. Kurze Inhaltsangaben
3.1 William Sleator: Gefährliche Wünsche
3.2 Wolfgang Kuhn: Die grüne Maske
3.3 Michael Hatry: Die Puppe im Feuer
4. Analyse – Aspekte
4.1 Sprache und Stil
4.2 Ort und Zeit der Handlung
4.3 Auffassung vom Kind- und Erwachsensein; Stärkung/Schwächung kindlicher Autonomie
4.4 Förderung sozialer Phantasien im im Vergleich zu den eigenen sozialen Verhältnissen
5. Schlußbemerkungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wir leben am Ende eines Jahrhunderts, das im Rahmen von stetem Wandel und rasant fortschreitenden Modernisierungen gerade für Kinder und Jugendliche eine Reihe an Veränderungen mit sich gebracht hat. Heutzutage wird ihnen im günstigen Fall nicht nur ein größeres Maß an Freiheit und gleichberechtigter Behandlung zuteil, vielmehr erwartet die Gesellschaft von ihnen auch ein höheres Maß an Vernunft, Selb-ständigkeit, kritischem Denken und eigenverantwortlichem Handeln.
Generell schlagen sich wesentliche gesellschaftliche Veränderungen immer auch in der Literatur nieder. Daher fragt sich der kritische Beobachter, in welcher Weise jene Veränderungen gerade in die moderne Kinder- und Jugendliteratur ihren Einzug halten; inwieweit sie den Ansprüchen und Wünschen der jungen Leserschaft gerecht werden können und eine Lebenswelt widerspiegeln, in der sie sich selbst finden. Die exemplarische Bearbeitung dreier kinderliterarischer Neuerschei-nungen aus dem Bereich der Abenteuerliteratur soll sich den vorgenannten Fragestellungen nähern und die entsprechenden Positionen herausarbeiten.
2. Abenteuerliteratur als kinder- und jugendliterarische Gattung
2.1. Zum Begriff der Abenteuerliteratur
Baumgärtner[1] unterscheidet vier wesentliche und für die Gattung der Abenteuerliteratur charakteristische Merkmale: Zum einen versteht sich
Abenteuerliteratur als eine auf Spannung[2] angelegte Erzählstruktur, in
der einzelne Geschehnisse im Text so angeordnet sind, daß sie den Leser für eine Handlung gefangennehmen, die mehrere Hürden überwinden muß, um dann doch noch zu einem befriedigenden Abschluß zu gelangen. Sich gegenüberstehende Polaritäten wie Held und Gegenspieler, Freund und Feind, Aufgabe und Hindernis, Chance und Gefahr sind geeignete Möglichkeiten, Spannungsmomente zu erzeugen bzw. zu verstärken. In einer fremdartigen Welt, die den Aufbruch aus der relativen Sicherheit heimischer Umgebung in eine bedrohliche, aber verlockende Fremde mit sich bringt, geschehen außergewöhnliche Ereignisse verbunden mit außergewöhnlichen Anforderungen an die Protagonisten, die ein besonderes Maß an Härte, Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin, Geistesgegen-wart, Einfallsreichtum und Einsatz verlangen[3]. Wenn auch die erzählte, abenteuerliche Geschichte keinen Anspruch an Authentizität erhebt, so ist ihr Inhalt nach Baumgärtner aber real möglich, d.h. sie entbehrt in seinem Sinne jeglicher Einflußnahme unerklärlicher Wunder; vielmehr greift sie verstärkt auf den Einfluß von Zufällen als real denkbar zurück[4]. Gerade hier soll auf die Ausführungen von Gerhard Haas[5] verwiesen werden, der den Begriff der Abenteuerliteratur nach Baumgärtner unter Hinzunahme des Kriteriums der Phantasie erweitert. Am Beispiel der Reise durch seelische Landschaften verweist er auf die Fähigkeit archaisch - mythischer Bilder sowie mystischer Erfahrungen, die Wirklichkeit im Spiegel phantastischer Bilder darzustellen. Er deutet darauf hin, daß eine solche Reise zum Ich durchaus abenteuerlichen Charakter haben kann. Das große Angebot an Abenteuerliteratur wird von Baumgärtner in drei intentional begründete Gruppen unterschie-den[6]:Zum einen nennt er die aus der Erwachsenenwelt übernommenen Abenteuerbücher (z.B. London: Der Seewolf), zum anderen die zur Jugendliteratur umgearbeitete sog. adaptierte Erwachsenenliteratur (z.B. Defoe: Robinson; Cooper: Lederstrumpf) und schließlich die speziell für Kinder und Jugendliche konzipierte (z.B. Stevenson: Die Schatzinsel). Eine inhaltliche Unterscheidung von Abenteuerliteratur nimmt Baumgärtner in Anlehnung an die Ausführungen von Anneliese Hölder, Karl Ernst Maier und Peter Hasubek[7] vor.
2.2 Funktion von Abenteuerliteratur
Nach Baumgärtner ist die Lust auf Abenteuer Teil des menschlichen Wesens[8]. So ist der Mensch geneigt, gegen bestehende Ordnungen zu rebellieren[9], um sich von ihnen zu befreien, wobei das Bedrohliche Teil dieser gewonnenen Freiheit[10] ist. Als eine Möglichkeit gegen festgelegte und erstarrte Sichtweisen will sich diese Freiheit verstanden wissen als geschaffener Freiraum, der es ermöglichen soll, sich in fremde Welten hineinzuversetzen und die von ihnen geforderten Handlungen nachzuvollziehen[11]. Daher ist es für Baumgärtner wichtig herauszustellen, daß Abenteuerbücher unter Berücksichtigung der für sie charakteristischen Elemente eben dieser letztgenannten Funktion gerecht werden müssen[12]. Wissenswerte Informationen innerhalb der Geschichte dürfen nach Baumgärtner nicht zu Lasten der Abenteuer-struktur in Völkerkunde, Geschichte oder Moral ausarten[13].
[...]
[1] Baumgärtner, Alfred Clemens: Dem Traum folgen...Das Abenteuer in der neueren Kinder – und Jugendliteratur. In: Abenteuer Buch. Festschrift für Alfred Clemens Baumgärtner. Otto Schober (Hrsg.). Bochum: Ferdinand Kamp Verlag 1993, S. 20–47.
[2] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 21.
[3] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 22.
[4] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 22, 23.
[5] Haas, Gerhard: Aufbruch und Ausfahrt. Das phantastische Reiseabenteuer. In: Abenteuer Buch. Festschrift für Alfred Clemens Baumgärtner. Otto Schober (Hrsg.). Bochum: Ferdinand Kamp Verlag 1993, S. 73 – 85.
[6] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 38.
[7]
[8] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 43.
[9] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 41, 43.
[10] In diesem Sinne handelt es sich um nur in der Phantasie ausgelebte Wünsche, die in der Regel in der Wirklichkeit eher selten stattfinden.
[11] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 44.
[12] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 45.
[13] Baumgärtner, Alfred Clemens: a.a.O., S. 45.
- Arbeit zitieren
- Andrea Hoesch (Autor:in), 2000, Wie hält eine sich zunehmend modernisierende Gesellschaft Einzug in die neuere Kinder- und Jugendliteratur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1362