Die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sah wohl die größte Migrationsbewegung mit dem Ziel Deutschland, die es jemals gegeben hatte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft über große Teile Europas wurden Millionen Deutsche aus den osteuropäischen Gebieten vertrieben und kamen in das nun besetzte und flächenmäßig stark reduzierte Rest-Deutschland.
Diese Gruppe von Menschen wird in der Alltags-, aber zum Teil auch in der Wissenschaftssprache mit der Bezeichnung ‚Vertriebene und Flüchtlinge’ versehen, womit suggeriert wird, dass beide Begriffe den gleichen Personenkreis umfassen. Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) aus dem Jahr 1953 definiert mit diesen Termini jedoch zwei klar voneinander trennbare Gruppen, und zwar sind Vertriebene demnach „die Deutschen, die ihren Wohnsitz in den z. Zt. unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten (Gebietsstand 31. 12. 1937) oder im Ausland hatten und ihn durch den Zweiten Weltkrieg infolge Vertreibung verloren haben“. Flüchtlinge sind hingegen „die Deutschen, die nach Kriegsende aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem Sowjetsektor von Berlin in das Bundesgebiet einschl. Berlin (West) gekommen sind, und ihre Kinder“.
Im Rahmen dieser Arbeit werden beide Gruppen näher beleuchtet, wobei jedoch das Hauptaugenmerk auf den Vertriebenen im Sinne der Definition liegen wird. Es wird hierbei zunächst die Geschichte der deutschen Besatzung in den osteuropäischen Gebieten skizziert und so die Ursache für die spätere Flucht und Vertreibung der Deutschen von dort aufgezeigt werden. Anschließend wird der Prozess der Flucht in den letzten Kriegsmonaten sowie die nach Kriegsende folgenden organisierten Vertreibungen näher behandelt. Einen zentralen Punkt bildet dann die Untersuchung von Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen in den drei westlichen Besatzungszonen (ab 1949 Bundesrepublik Deutschland) sowie das Schicksal der Vertriebenen in der sowjetischen Zone (ab 1949 DDR). Zum Schluss wird noch in kurzer Form auf die Flüchtlinge im engeren Sinne der Definition eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vorgeschichte: Die Ursachen für Flucht und Vertreibung
3 Flucht und Vertreibung
4 Aufnahme und Integration der Vertriebenen
4.1 In Westdeutschland
4.1.1 Aufnahme
4.1.2 Integration
4.2 In der SBZ/DDR
5 Die „echten“ Flüchtlinge
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sah wohl die größte Migrationsbewegung mit dem Ziel Deutschland, die es jemals gegeben hatte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft über große Teile Europas wurden Millionen Deutsche aus den osteuropäischen Gebieten vertrieben und kamen in das nun besetzte und flächenmäßig stark reduzierte Rest-Deutschland.
Diese Gruppe von Menschen wird in der Alltags-, aber zum Teil auch in der Wissenschaftssprache mit der Bezeichnung ‚Vertriebene und Flüchtlinge’ versehen, womit suggeriert wird, dass beide Begriffe den gleichen Personenkreis umfassen. Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) aus dem Jahr 1953 definiert mit diesen Termini jedoch zwei klar voneinander trennbare Gruppen, und zwar sind Vertriebene demnach „die Deutschen, die ihren Wohnsitz in den z. Zt. unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten (Gebietsstand 31. 12. 1937) oder im Ausland hatten und ihn durch den Zweiten Weltkrieg infolge Vertreibung verloren haben“. Flüchtlinge sind hingegen „die Deutschen, die nach Kriegsende aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem Sowjetsektor von Berlin in das Bundesgebiet einschl. Berlin (West) gekommen sind, und ihre Kinder“.[1]
Im Folgenden sollen beide Gruppen näher beleuchtet werden, wobei jedoch das Hauptaugenmerk auf den Vertriebenen im Sinne der Definition liegen wird. Es soll hierbei zunächst die Geschichte der deutschen Besatzung in den osteuropäischen Gebieten skizziert und so die Ursache für die spätere Flucht und Vertreibung der Deutschen von dort aufgezeigt werden. Anschließend wird der Prozess der Flucht in den letzten Kriegsmonaten sowie die nach Kriegsende folgenden organisierten Vertreibungen näher behandelt. Einen zentralen Punkt bildet dann die Untersuchung von Aufnahme und Eingliederung der Vertriebenen in den drei westlichen Besatzungszonen (ab 1949 Bundesrepublik Deutschland) sowie das Schicksal der Vertriebenen in der sowjetischen Zone (ab 1949 DDR). Zum Schluss wird noch in kurzer Form auf die Flüchtlinge im engeren Sinne der Definition eingegangen werden.
2 Vorgeschichte: Die Ursachen für Flucht und Vertreibung
Deutsche hatten schon lange Zeit östlich der Reichsgrenzen gesiedelt und lebten dort als Minderheiten in anderen Ländern, z.B. in Polen, im Baltikum, in der Tschechoslowakei – hier speziell im sogenannten Sudetenland –, im rumänischen Siebenbürgen oder auch in Galizien, das im heutigen Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine gelegen ist. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sie jedoch systematisch aus den osteuropäischen Gebieten vertrieben. Dies geschah nicht ohne Grund: die Ursachen hierfür sind in den sechs Kriegsjahren vor 1945 zu suchen.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verfolgte Deutschland zunehmend eine neue Politik, die der Ideologie entsprang, das deutsche Volk müsse mehr „Lebensraum im Osten“ erhalten. Bereits vor Beginn des eigentlichen Krieges hatte Deutschland von einigen der in diesem Zusammenhang anvisierten Gebiete Besitz ergriffen, etwa vom Sudetenland oder auch von Österreich. Mit dem Kriegsbeginn und der Besetzung Polens im September 1939 begann dann eine der größten Umsiedlungs-, Emigrations- und Vertreibungswellen aller Zeiten.[2] Ziel der Nazis war eine „Germanisierung“ weiter Teile Osteuropas, und zu diesem Zweck sollten die dort lebenden, als minderwertig betrachteten Völker vertrieben, unterworfen oder sogar vernichtet werden. Zu diesem Zweck ernannte Hitler den SS-Chef Heinrich Himmler zum „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“. In dieser Funktion sollte Himmler für die „Zurückführung der Reichs- und Volksdeutschen aus dem Ausland“ ebenso sorgen wie für die „Ausschaltung des schädigenden Einflusses volksfremder Bevölkerungsteile“[3].
Um das erstgenannte Ziel zu erreichen, wurden „Volksdeutsche“, also Menschen deutscher Abstammung, die außerhalb der alten Grenzen des Reichs lebten, „heim ins Reich“ geholt – wie es der „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ propagandistisch formulierte[4]. Sie sollten jedoch meist nicht ins Altreich, sondern in die annektierten Gebiete umsiedeln. Viele dieser Volksdeutschen kamen freiwillig, teilweise wurden sie jedoch auch durch Verträge zwischen dem Deutschen Reich und ihren Aufenthaltsländern dazu gezwungen.
Diese Umsiedlungen, die von der sogenannten „Volksdeutschen Mittelstelle“
durchgeführt wurden, betrafen zuerst Volksdeutsche aus Südtirol und dem Baltikum, später kamen sie z.B. aus Galizien und Siebenbürgen. Zwischen 1939 und 1944 kamen so fast eine Million Volksdeutsche in die annektierten Gebiete.[5]
Wo diese Deutschen angesiedelt wurden, musste die einheimische Bevölkerung zu großen Teilen weichen. In einem Erlass Hitlers hieß es dazu, die neuen deutschen Ostgebiete seien von „Juden, Polacken und Gesindel“ zu „säubern“[6]. Daraus resultierte nach der Besetzung eine Selektierung der Bevölkerung. Die Einheimischen wurden auf Abstammung, Gesinnung und „erbbiologische Eignung für das Deutsch-Sein“[7] geprüft. Wer demnach nicht geeignet war, war danach recht- und staatenlos, als besonders minderwertig Eingestufte wurden oft gleich in ein Konzentrationslager deportiert.
Bereits im August 1939, also vor dem Deutschen Einfall in Polen, hatten Hitler und Stalin in einem geheimen Nichtangriffspakt das polnische Gebiet unter Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt. Das nach diesem Vertrag den Deutschen zustehende Westpolen wurde nach der Besetzung neu strukturiert. Einige Gebiete wurden Schlesien bzw. Ostpreußen angegliedert, der große Rest wurde dreigeteilt. Es gab von nun an die Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland sowie das sogenannte Generalgouvernement, das rechtlich kein Teil des Deutschen Reiches wurde, sondern einen einer Kolonie vergleichbaren Rechtsstatus erhielt.[8] Vor dem Krieg lebten etwa 10 Millionen Menschen in diesen Gebieten (ohne Generalgouvernement), Deutsche machten hierbei nur eine Minderheit von 10% aus.[9] Nach der Besetzung sollten Danzig-Westpreußen und Wartheland jedoch nach dem Willen der Nazis innerhalb von zehn Jahren vollständig „eingedeutscht“ werden. In den 1 ¾ Jahren bis zum Beginn des Russlandfeldzuges wurde von diesem Plan bereits ein beträchtlicher Teil umgesetzt. Rund 1,2 Millionen polnische Bürger, davon 500.000 Juden, wurden deportiert oder in das Generalgouvernement umgesiedelt. 1,7 Millionen wurden als „eindeutschungsfähig“ eingestuft und erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft. Gleichzeitig wurden 720.000 Reichs- und Volksdeutsche in diesem Gebiet neu angesiedelt.[10]
Die entrechtete nicht-deutsche Bevölkerung, die nun zu großen Teilen im Generalgouvernement lebte – bis Anfang 1941 wurden ca. 800.000 Menschen dorthin abgeschoben[11] –, sollten laut Nazi-Ideologie den Deutschen in Zukunft als billige und gehorsame Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Zu diesem Zweck plante Himmler, ihnen nur noch eine sehr eingeschränkte Schulbildung zuzugestehen: „Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich“[12].
In der Praxis waren die Um- und Aussiedlungen der einheimischen Bevölkerung Polens sehr brutal. Die ersten, recht unorganisierten Aktionen der Deutschen direkt nach dem Überfall forderten ca. 135.000 Todesopfer, doch auch als die Umsiedlungen ab Dezember 1939 besser organisiert wurden, blieb die Art und Weise oft inhuman. Zahlreiche Polen wurden bei dieser Gelegenheit auch als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Diejenigen, die tatsächlich „nur“ ins Generalgouvernement umgesiedelt wurden, erlebten dort eine jahrelange deutsche Schreckensherrschaft. Durch Mord, Deportationen in Konzentrationslager oder zur Zwangsarbeit, bei Aussiedlungsaktionen, durch Strafmaßnahmen oder als Opfer der allgemein katastrophalen Zustände starb während des Krieges jeder fünfte polnische Bürger – insgesamt etwa 6 Millionen.[13]
Ähnlich unmenschlich wie im Fall Polen sah die Besatzungspolitik der Deutschen auch in anderen osteuropäischen Gebieten aus. Der sogenannte „Generalplan Ost“, dessen erste Fassung Mitte 1941 entstand und an dem in den folgenden Jahren noch vielfach weiter gefeilt wurde, formulierte die weitreichenden Ziele der Nazis, die die Germanisierung Osteuropas bis zum Ural vorantreiben wollten und mit den Russen, Weißrussen und Ukrainern ähnlich zu verfahren gedachten wie mit den Polen. Auch wenn es zur Realisierung dieser Pläne im großen Stil nicht mehr kam, so übten die Deutschen doch in den russischen Gebieten, die sie von 1941 bis 1944 besetzt hielten, eine äußerst brutale Herrschaft aus, die ebenfalls zahllose Opfer forderte.
[...]
[1] Benz, Wolfgang: „Fremde in der Heimat: Flucht – Vertreibung – Integration“, in: Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, hg. von K. J. Bade, München 1992, S. 374-386, S. 374.
[2] Vgl. Benz: „Fremde in der Heimat“, S. 374.
[3] Benz, Wolfgang: „Der Generalplan Ost. Zur Germanisierungspolitik des NS-Regimes in den besetzten Ostgebieten 1939-1945“, in: Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen, hg. von ders., Frankfurt/Main 1995, S. 45-57, S. 45.
[4] Vgl. Benz: „Fremde in der Heimat“, S. 375.
[5] Vgl. Benz: „Fremde in der Heimat“, S. 376.
[6] Ebenda.
[7] Ebenda.
[8] Vgl. Benz: „Der Generalplan Ost“, S. 47.
[9] Vgl. Ebenda, S. 45.
[10] Vgl. Benz: „Fremde in der Heimat“, S. 377.
[11] Vgl. Benz: „Der Generalplan Ost“, S. 46.
[12] Benz: „Fremde in der Heimat“, S. 378.
[13] Vgl. Benz: „Der Generalplan Ost“, S. 46 f.
- Quote paper
- Ulrike Busch (Author), 2007, Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136112
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