Das Ziel der Forschung ist es, Prozessmerkmale der Unterrichtsqualität bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund zu identifizieren. Die Forschungsfrage lautet: Welche Prozessmerkmale der Unterrichtsqualität sollten im Pflegeunterricht aus Sicht von Pflegelehrenden erfüllt sein, um die Bildungsprozesse von Auszubildenden mit Migrationshintergrund in erster Generation optimal zu unterstützen?
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurde eine qualitative Studie zur Unterrichtsqualität in Bezug auf Migrationshintergrund durchgeführt. Für die Studie wurden Pflegelehrende zur Unterrichtsqualität interviewt. Da bereits einige Erkenntnisse aus der Literatur zu Qualitätsmerkmalen von Unterricht bekannt sind und eine konkrete Problemstellung vorliegt, wurde ein leitfadengestütztes problemzentriertes Interview durchgeführt.
Bei den Ergebnissen spiegeln sich die Basisdimension der Unterrichtsqualität mit ihren einzelnen Prozessmerkmalen wider. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Anpassung auf Lernende mit Migrationshintergrund in Form von einer Akzentuierung einzelner Prozessmerkmale notwendig ist. Besonders die Basisdimension der konstruktiven Unterstützung ist für diese Lernenden von besonderer Wichtigkeit. Aber auch in den Basisdimensionen kognitiver Aktivierung und effektiver Klassenführung gibt es Prozessmerkmale, die in den Vordergrund und einzelne Merkmale, die in den Hintergrund rücken.
Schlussfolgernd kann man sagen, dass sich die Prozessmerkmale des in Deutschland anerkannten Modells der Basisdimensionen von Unterrichtsqualität auch auf die Auszubildenden mit Migrationshintergrund anwenden lassen. Für einen qualitativ hochwertigen Unterricht bei diesen Auszubildenden sollten jedoch einige Prozessmerkmale besonders beachtet werde.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Einleitung und Problemstellung
1.1. Relevanz/ Forschungslücke
1.2. Fragestellung und Zielsetzung
1.3. Aufbau der Arbeit
2. Theoretischer Hintergrund, Bezugsrahmen und Stand der Forschung
2.1. Merkmale von Unterrichtsqualität
2.1.1. Kognitive Aktivierung
2.1.2. Effektive Klassenführung
2.1.3. Konstruktive Unterstützung
2.1.4. Zusammenführung der Basisdimensionen
2.1.5. Kritik am Modell der drei Basisdimensionen
2.2. Umgang mit Heterogenität im Unterricht
2.2.1. Heterogenität und Unterrichtsqualitätsforschung
2.2.2. Stufen der Unterrichtsqualität
2.2.3. Bedeutung fachdidaktischer Konzepte für die Heterogenität
2.2.4. Didaktische Konsequenzen
3. Ziele und Fragestellung
4. Methodik
4.1. Methodik zur Literaturrecherche
4.2. Methodik des empirischen Teils
4.2.1. Begründung des Erhebungsinstruments
4.2.2. Datenerhebung
4.2.3. Sampling
4.2.4. Der Kurzfragebogen zu den Basisdaten
4.2.5. Durchführung des Interviews
4.3. Ethische Aspekte zur Datenerhebung
4.4. Die Auswertung
4.4.1. Transkription
4.4.2. Inhalts
4.4.3. analyse nach Mayring
4.5. Anwendung der Gütekriterien
5. Die Ergebnisse der qualitativen Forschung
5.1. Beschreibung der Teilnehmenden
5.2. Ergebnisse der qualitativen Interviews
6. Die Diskussion
6.1. Konstruktive Unterstützung
6.1.1. Implikationen für die Praxis
6.2. Effektive Klassenführung
6.2.1. Implikationen für die Praxis
6.3. Kognitive Aktivierung
6.3.1. Implikationen für die Praxis
6.4. Anpassungen des Modells der Basisdimensionen an Lernende mit Migrationshintergrund
6.5. Stärken und Schwächen der Arbeit
7. Die Schlussfolgerung
8. Literaturverzeichnis
9. Abbildungsverzeichnis
10. Tabellenverzeichnis
11. Anhang
11.1. Die Recherche (Qualitätskriterien)
11.1.1. Das Recherchethema
11.1.2. Ein- und Ausschlusskriterien
11.1.3. Ein Festgelegtes Rechercheprinzip
11.1.4. Festlegung der Suchkomponenten
11.1.5. Festlegung der Datenbanken
11.1.6. Suchstring
11.1.7. Dokumentation der Recherche
11.1.8. Flussdiagramm zur Auswahl
11.2. Die Recherche (Heterogenität)
11.2.1. Das Recherchethema
11.2.2. Ein- und Ausschlusskriterien
11.2.3. Ein Festgelegtes Rechercheprinzip
11.2.4. Festlegung der Suchkomponenten
11.2.5. Festlegung der Datenbanken
11.2.6. Suchstring
11.2.7. Dokumentation der Recherche
11.2.8. Flussdiagramm zur Auswahl
11.3. Der Interviewleitfaden
11.3.1. Brainstorming zum Interviewleitfaden (Sammeln)
11.3.2. Der Leitfaden
11.4. Kurzfragebogen
11.4.1. Proband 1
11.4.2. Proband 2
11.4.3. Proband 3
11.4.4. Proband 4
11.4.5. Proband 5
11.4.6. Proband 6
11.5. Strukturierung der Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern
11.6. Einverständniserklärung Daten
11.7. Einwilligung zur Teilnahme an der Studie
11.8. Kodierleitfaden
Abstract
In der Pflegeausbildung steigt der Anteil an Auszubildenen mit Migrationshintergrund unter anderem aufgrund von politischen Anwerbungsprozessen und Fachkräftemangel stetig. Forschungen zeigen, dass diese Auszubildenden besonders im theoretischen Teil der Ausbildung vor großen Herausforderungen stehen. Daher ist es essenziell, dass das Angebot der Lehrenden für diese Auszubildenden so qualitativ hochwertig wie möglich ist. Die Forschung auf dem Gebiet der Unterrichtsqualität beruhen bislang meist auf lehrerzentrierte Unterrichte und homogene Gruppen und es fehlt eine Anpassung auf heterogene Gruppen und Auszubildende mit Migrationshintergrund. Daraus resultierend ist das Ziel der Forschung, Prozessmerkmale der Unterrichtsqualität bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund zu identifizieren. Die Forschungsfrage lautet daher: Welche Prozessmerkmale der Unterrichtsqualität sollten im Pflegeunterricht aus Sicht von Pflegelehrenden erfüllt sein, um die Bildungsprozesse von Auszubildenden mit Migrationshintergrund in erster Generation optimal zu unterstützen?
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurde eine qualitative Studie zur Unterrichtsqualität in Bezug auf Migrationshintergrund durchgeführt. Für die Studie wurden Pflegelehrende zur Unterrichtsqualität interviewt. Da bereits einige Erkenntnisse aus der Literatur zu Qualitätsmerkmalen von Unterricht bekannt sind und eine konkrete Problemstellung vorliegt, wurde ein leitfadengestütztes problemzentriertes Interview durchgeführt.
Bei den Ergebnissen spiegeln sich die Basisdimension der Unterrichtsqualität mit ihren einzelnen Prozessmerkmalen wieder. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Anpassung auf Lernende mit Migrationshintergrund in Form von einer Akzentuierung einzelner Prozessmerkmale notwendig ist. Besonders die Basisdimension der konstruktiven Unterstützung ist für diese Lernenden von besonderer Wichtigkeit. Aber auch in den Basisdimensionen kognitiver Aktivierung und effektiver Klassenführung gibt es Prozessmerkmale, die in den Vordergrund und einzelne Merkmale, die in den Hintergrund rücken.
Schussfolgernd kann man sagen, dass sich die Prozessmerkmale des in Deutschland anerkannten Modells der Basisdimensionen von Unterrichtsqualität auch auf die Auszubildenden mit Migrationshintergrund anwenden lassen. Für einen qualitativ hochwertigen Unterricht bei diesen Auszubildenden sollten jedoch einige Prozessmerkmale besonders beachtet werde.
1. Einleitung und Problemstellung
1.1. Relevanz/ Forschungslücke
„Die Schule in der multikulturellen Gesellschaft ist die Welt in Miniatur“ (Takeda, 2010, S.1). Sie bildet ein soziodynamisches Forum, in dem diverse Kulturen, Religionen und Wertanschauungen aufeinanderprallen (Takeda, 2010). Transkulturalität ist in der Gesellschaft ein zunehmendes Phänomen, das auch in der Ausbildung zum Pflegefachmann/ frau an Bedeutung gewinnt (Hauenschild, 2005). Eine besondere Herausforderung ist dabei die Auszubildenden mit Migrationshintergrund in erster Generation (Afentakis, Maier, 2013, S. 1074). Um den Fachkräftemangel zu kompensieren ist ein politisches Ziel, Menschen mit Migrationshintergrund in erster Generation für die Ausbildung als Pflegefachfrau/ mann anzuwerben (Deutscher Bundestag, 2021). Daraus resultiert ein stetig steigender Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der Pflegeausbildung (Afentakis, Maier, 2013, S. 1074, Die Bundesregierung, 2021). Ein konkretes Projekt dazu ist das „Triple Win“- Programm der Bundesregierung. Es werden gezielt Auszubildende für die Pflege in den Ländern Vietnam, Bosnien und Herzegowina, Philippinen, Mexiko, Brasilien und Tunesien angeworben (Deutscher Bundestag, 2021). Seit Beginn des Projekts im Jahr 2013 wurden bis Mitte 2021 bereits über 4500 Pflegekräfte vermittelt. Für die Auszubildenden ist insbesondere der theoretische Teil der Ausbildung besonders herausfordernd (Resch, 2009). Dies bestätigt auch die vorab durchgeführte schulpraktische Studie (Tübbing, 2022).
Von den Lehrenden wird erwartet, dass sie auf diese Heterogenität professionell und qualitativ hochwertig reagieren (Biederbeck, Rothland, 2017, S. 223). Um einen qualitativ hochwertigen Unterricht anzubieten haben sich im deutschsprachigen Raum in der empirischen Bildungsforschung die drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität durchgesetzt (Klieme, Baumert, 2001). Die Basisdimension kognitive Aktivierung verfolgt das Ziel die Lernenden kognitive Prozesse anzuregen und somit eine möglichst tiefe Auseinandersetzung mit dem Lernstoff zu erzeugen (Klieme, Baumert, 2001). Die Basisdimension effektive Klassenführung verfolgt ebenfalls das Ziel der Verarbeitungstiefe, aber auch das effektive Nutzen der vorhandenen Zeit und das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit der Lernenden. Dabei wird besonderen Wert auf einen reibungslosen Übergang und das Vermeiden von Störungen gelegt (Seidel, 2020, S. 128). Die letzte Basisdimension ist die konstruktive Unterstützung. Bei der konstruktiven Unterstützung geht es darum die Lernenden individuell zu unterstützen. Das gilt sowohl für die kognitive Begleitung als auch für die emotional-motivierende Begleitung der Lernenden (Klieme, 2019). Die konstruktive Unterstützung hat das Ziel, dass die Lernenden sich die Lernenden als autonom, kompetent und sozial eingebunden empfinden. Dies soll dazu führen, dass die Lernenden eine intrinsische Motivation entwickeln und selbstbestimmt lernen (Klieme, 2019).
Besonders im deutschsprachigen Raum erfährt das Modell der Basisdimensionen große Anerkennung. Auch international anerkannte Modelle weisen große Parallelen zu dem Modell auf (Klieme, 2019). Grundlegend beschreiben die Basisdimensionen Aspekte für das Gelingen von Unterricht, somit gelten diese Qualitätskriterien auch für Unterrichte mit heterogenen Klassen. Die Forschung im Bereich der Unterrichtsqualität beruht jedoch meist auf lehrerzentrierte Unterrichte, die sich häufig für heterogene Gruppen nicht anbieten (Bohl, 2017, S. 258). Für konzeptionell anders gestaltete Unterrichte wie z.B. differenzierte Unterrichte, adaptive Unterrichte oder individualisierte Unterrichte, benötigt es eine individuelle Ausdifferenzierung der einzelnen Basisdimensionen (Bohl, 2017, S. 258). Eine große Forschungslücke besteht also bei der Ausdifferenzierung der Basisdimensionen von Unterrichtsqualität auf bestimmte Gruppen und Konzepte.
Kritiker bemängeln außerdem, dass dieses Modell durch seine theoretischen Bezüge und dem expliziten Bezug zum Angebots-Nutzungs-Modell zwar ein vielversprechender Ansatz ist, jedoch existieren noch viele „blinde Flecken“ in dem Modell (Praetorius, Rogh, Kleickmann, 2020). Diese Hinweise auf die Unvollständigkeit des Modells zeigen einen weiteren Forschungsbedarf auf. Demzufolge stellt sich zum einen die Frage, ob die Basisdimensionen vollständig sind und zum anderen ob diese erweitert werden sollten, um heterogenen Gruppen gerecht zu werden.
1.2. Fragestellung und Zielsetzung
In der folgenden Masterarbeit sollen nun aus der Perspektive der Lehrenden, mögliche Ansätze zur Förderung von Pflegeauszubildenden mit Migrationshintergrund in der ersten Genration im Unterricht erhoben werden. Entsprechend werden insbesondere mögliche zu verbessernde Prozessmerkmale von Unterricht fokussiert, die für die Qualität von Bildungsprozessen ausschlaggebend sind (Klieme, 2019).
Aus der Forschungslücke resultierend verfolgt die Masterarbeit das Ziel lernfördernde Prozessmerkmale für Auszubildende mit Migrationshintergrund zu identifizieren. Dabei wird zunächst analysiert, wie bei den Auszubildenden mit Migrationshintergrund kognitive Aktivierung erreicht werden kann, wie eine effektive Klassenführung bei heterogene Klassen aussehen sollte und wie besonders Auszubildende mit Migrationshintergrund konstruktiv unterstützt werden können. Das Ziel ist es die Basisdimensionen in Bezug auf heterogene Gruppen zu überprüfen, zu erweitern und zu differenzieren.
1.3. Aufbau der Arbeit
Demzufolge wird in der Masterarbeit zur theoretischen und empirischen Rahmung zunächst allgemein das Thema Unterrichtsqualität dargestellt. Es wird eine Unterscheidung zwischen den Tiefen- und den Sichtstrukturen vorgenommen und allgemein das Angebot-Nutzungs-Modell betrachtet. In Kapitel 2.1 werden die einzelnen Basisdimensionen dargestellt, beschrieben, und mit dem Angebot-Nutzungs-Modell in Verbindung gesetzt. Bei der Beschreibung werden unterschiedliche Differenzierungsgrade der einzelnen Basisdimensionen gegenübergestellt. Es wird deutlich, dass unterschiedliche Forscher die einzelnen Basisdimensionen abweichend voneinander ausdifferenzieren. Für die vorliegende Arbeit wird jeweils die breiteste Auslegung der einzelnen Basisdimensionen gewählt und in einem gemeinsamen Venn-Diagramm zusammengefügt, so dass auf der Recherche basierend ein Modell der Basisdimensionen entsteht, dass im Folgenden überarbeitet, erweitert und akzentuiert wird für Auszubildende mit Migrationshintergrund. In den jeweiligen Kapiteln der Basisdimensionen wird der aktuelle Forschungsstand und die Effekte der einzelnen Dimensionen abgebildet.
Der zweite Teil des theoretischen Rahmens (Kapitel 2.2) befasst sich mit dem Umgang mit Heterogenität im Unterricht. In diesem Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zur Heterogenität dargestellt und Möglichkeiten aufgezeigt, wie Lehrende mit Heterogenität im Unterricht umgehen können. In Zuge dessen werden Konzepte zur Unterrichtsgestaltung bei heterogenen Gruppen erläutert. Exemplarisch werden die Konzepte individualisierter und adaptiver Unterricht dargestellt. Zum Abschluss des Kapitels werden die Gedanken zur Heterogenität mit den Basisdimensionen zusammengefügt, so dass die theoretische Rahmung für die Masterarbeit abgeschlossen ist.
Im Kapitel Drei werden auf Grundlage der theoretischen Rahmung, die Ziele der Masterarbeit erläutert und begründet. Im darauffolgenden Kapitel wird zunächst die Literaturrecherche dargestellt und anschießend die Methodik des empirischen Teils der Arbeit begründet und präsentiert. Die Forschungsfrage wird mit einer qualitativen Methode beantwortet. Es wird ein problemzentriertes Interview mit sechs Probanden durchgeführt, die Lehrende in einer Pflegeschule sind und mit Auszubildenden mit Migrationshintergrund arbeiten. Die Interviews haben das Ziel aus Lehrerperspektive Qualitätskriterien für den Unterricht von Auszubildenden mit Migrationshintergrund festzulegen und bestehende Konzepte zu hinterfragen oder zu erweitern. Dabei wurde bewusst die Perspektive der Lehrenden ausgewählt, da diese die direkte Bezugsperson der Lernenden sind und das Angebot bereitstellen, auf das die Auszubildenden zugreifen (Hattie, 2009). In dem Kapitel wird begründet, wie die Lehrenden ausgewählt wurden, wie die Daten erhoben wurden, wie die Interviews verlaufen sind und wie sie ausgewertet wurden. Zur Auswertung wird die Datenanalyse nach Mayring verwendet, die detailliert dargestellt wird. Auch eine ethische Betrachtung und Begründung findet in diesem Kapitel statt.
Im darauffolgenden Kapitel werden die Ergebnisse wertfrei und nachvollziehbar dargestellt. Zur Visualisierung dienen in diesem Kapitel hierarchische Organigramme. Das Kapitel sechs stellt das Herzstück der wissenschaftlichen Arbeit dar und verbindet den theoretischen Teil mit dem empirischen Teil der Arbeit. Die Ergebnisse zu den einzelnen Basisdimensionen werden in das Modell eingeordnet und es wird die Forschungsfrage beantwortet, welche Prozessmerkmale im Unterricht bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund erfüllt sein sollten. Es findet eine Anpassung des Basismodells an heterogene Klassen statt.
Am Ende der Arbeit werden die Erkenntnisse zusammengefasst und weitere Forschungsbedarfe aufgezeigt.
2. Theoretischer Hintergrund, Bezugsrahmen und Stand der Forschung
In der Schulpädagogik wurde den Merkmalen der Sichtstrukturen lange eine sehr große Bedeutung zugeschrieben. Diese Merkmale wie z.B. Sozialformen, Methodenwahl und Unterrichtsphasen und der Einsatz von Medien lassen sich ohne große Hürden beobachten. Die aktuelle Literatur zeigt jedoch, dass die sogenannten Tiefenstrukturen des Unterrichts einen bedeutenderen Einfluss auf den Lernerfolg haben (u.a Reusser, 2019; Reusser und Pauli, 2013; Decristan et al., 2020, Seidel, 2020). Zu den Tiefenstrukturen gehören unter anderem die Erklärung der Lehrenden, der Anregungsgehalt der Gespräche und Aufgaben, das Feedback und die Kohärenz des Unterrichtsverlaufs. Auch der Einsatz von Arbeitstechniken und Lernstrategien der Lernenden sowie das Kompetenzerleben und die Autonomieerleben spielen eine Rolle bei den Tiefenstrukturen. Aufgrund der hohen Relevanz für einen qualitativ hochwertigen Unterricht werden die Tiefenstrukturen und der dazugehörige aktuelle Forschungsstand in den nächsten Kapiteln dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Betrachtungsebenen von Unterricht (Eigene Darstellung in Anlehnung an Kunter & Trauwein, 2013; Meyer, 2012)
2.1. Merkmale von Unterrichtsqualität
In der Unterrichtsforschung beruft man sich im deutschsprachigen Raum häufig auf das Angebots-Nutzungs-Modell (u.a. Lipowski, 2006; Helmke, 2012). Das Modell sieht den Unterricht, als ein geschaffenes Angebot von den Lehrenden, dass von den Lernenden genutzt werden kann oder soll, um einen Lernerfolg zu erzielen. Ein Unterricht wird dann als effektiv bezeichnet, wenn bestimmte Lehrweisen einen positiven Einfluss auf die Lernergebnisse haben. Das Angebot-Nutzungs-Modell kann als Rahmenmodell verstanden werden, welches gefüllt werden muss (Lipowski, 2020, S. 77-78). Beim Angebot-Nutzungs-Modell wird in schulische und außerschulische Determinanten eingeteilt, die zu einem Schulerfolg beitragen. Schulerfolg wird in diesem Modell als Endprodukt des Zusammenspiels der einzelnen Faktoren gesehen. Dieser Erfolg erfasst nicht nur die Lern- und Leistungsentwicklung, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung und die affektiv-motivationale Entwicklung (Lipowski, 2020, S.78).
Es wird zwischen dem Angebot und der Nutzung des Angebots unterschieden. Einen zentralen Stellenwert hat der Unterricht, der als Angebot für Lerngelegenheiten gesehen wird. Die Lehrenden sind dabei sowohl für die Quantität als auch für die Qualität des Unterrichts zuständig. Dieser Unterricht kann sowohl eine direkte Wirkung auf den Schulerfolg als auch eine indirekte Wirkung haben. Indirekte Wirkungen sind unter anderem die Wahrnehmung und Nutzung der Lerngelegenheiten. Bemerkbar macht sich dies z.B. im Erleben des Unterrichts, in der Anstrengungsbereitschaft oder der Mitarbeit (Lipowski, 2020, S. 78). Um diese indirekten Wirkungen zu erzielen, müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden mit den individuellen Kognitionen, Motivationen und Emotionen berücksichtigt werden. Die Lernenden sind dabei mitverantwortlich für die Konstruktion ihres eigenen Wissens. Wie es der beidseitige Pfeil (Siehe Abbildung 2: Vereinfachtes Angebots-Nutzungs-Modell (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lipowsky, 2006)) ausdrückt, ist Unterricht ein wechselseitiges Geschehen zwischen Lehrenden und Lernenden. Um nun einen qualitativ hochwertigen Unterricht zu gestalten, müssen die Lehrenden unterschiedliche Kompetenzen besitzen. Viele empirische Studien bestätigen, dass die Lehrenden fachliches und fachdidaktisches Wissen benötigen und sich auch die Überzeugung der Lehrenden auf die Unterrichtsqualität auswirkt (Baumert und Kunter, 2006; Kunter et al., 2011; Lipowsky, 2006; Lipowsky und Bleck, 2019; Reusser und Pauli, 2014). Indirekte Effekte erzeugen die eigene berufliche Motivation, die Persönlichkeit, das Belastungserlebnis und die Zufriedenheit der Lehrenden (Klusmann et al., 2006).
Die Entwicklung der Lernenden ist maßgeblich von den Voraussetzungen abhängig (Hattie, 2009). Es ist also entscheidend, welches Vorwissen und welche Intelligenz die Lernenden mitbringen. Dabei spielt auch die soziale Herkunft eine Rolle zum Lernerfolg (Lipowski, 2020, S. 78).
Ebenfalls einen zentralen Stellenwert hat die Klassenzusammensetzung. Studien zeigen, dass die Leistungsfähigkeit des einzelnen ansteigt, wenn die Leistungsfähigkeit der Klasse höher ist (u.a. Rindermann 2007; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2004). Wahrscheinlich ist dieser Effekt darauf zurückzuführen, dass die Lernenden sich gegenseitig stimulieren und dass die Lehrenden in leistungsstarken Klassen anspruchsvolleren Unterricht halten können. Außerdem geht man davon aus, dass eine günstige Klassenzusammensetzung einen reibungslosen und somit effektiven Unterricht erleichtert (Lipowski, 2020, S. 78).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Vereinfachtes Angebots-Nutzungs-Modell (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lipowsky, 2006)
Besonders auf der Ebene des Unterrichts haben sich aus der Unterrichtsforschung drei Basisdimensionen als besonders effektiv herausgestellt, die zum Ziel des Lernerfolgs führen. Diese Basisdimensionen sind in die Tiefenstrukturen des Unterrichts einzusortieren: effektive Klassenführung, kognitive Aktivierung, und konstruktive Unterstützung (Seidel, 2020, S. 120). Eine effektive Klassenführung zeichnet sich durch viel Zeit zum Lernen aus, die dadurch erreicht wird, dass die Lehrenden die Klasse effektiv führen. Das heißt, dass sie die Klasse im Blick haben, steuern und den Unterricht gut strukturieren (Lipowski, 2020, S. 104). Durch kognitive Aktivierung gelangen die Lernenden zu einer vertieften Verarbeitung der Unterrichtsinhalte. Die konstruktive Unterstützung ist durch eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung und ein unterstützendes Lernklima gekennzeichnet, so dass sich die Lernenden eingebunden fühlen und die Motivation gesteigert ist (Seidel, 2020, S. 120).
Da Unterricht jedoch ein komplexes Phänomen darstellt und sich durch eine große Anzahl an miteinander vernetzten Ereignissen auszeichnet, können die einzelnen Ereignisse nicht losgelöst voneinander betrachtet werden (Seidel, 2020, S. 120). Unterricht besteht grundsätzlich aus Aushandlungsprozessen, zeichnet sich durch soziale Gruppenprozesse aus und ist immer eingebettet in den institutionellen Kontext von Schule. Bei den Aushandlungsprozessen geht es um unterschiedliche Ziele, Einstellungen, Interessen und Kognitionen der Lehrenden und Lernenden, die aufeinandertreffen (Siehe Angebot-Nutzungs-Modell: Abbildung 2: Vereinfachtes Angebots-Nutzungs-Modell (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lipowsky, 2006)). Die Lehrenden haben dabei die Rolle, extrinsische Zielstellungen (Lehrplan, Lehrende) in den Unterricht einzubetten und die Schüler so einzubinden, dass die Motivation internalisiert wird. Die sozialen Gruppenprozesse sind geprägt durch heterogene Zusammensetzung der Lernenden und stellen eine große Herausforderung für die Lehrenden dar. Der institutionelle Kontext der Schule und des Bildungssystems muss in jeden Unterricht einbezogen werden (Wild, Möller, 2020, S. 119). Im Folgenden werden die einzelnen Basisdimensionen (Siehe Abbildung 3) detaillierter dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Basisdimensionen von Unterricht (Eigne Darstellung in Anlehnung an Klieme et al., 2006)
2.1.1. Kognitive Aktivierung
Die kognitive Aktivierung verfolgt das Ziel die Schüler zu einem vertiefenden Nachdenken und zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand zu bewegen. Die Lehrenden können die kognitive Aktivierung mit unterschiedlichen Methoden erreichen. Zentral ist es für die Lehrenden kognitiv herausfordernde Aufgaben zu stellen in die bewusst Konflikte, Wiedersprüche und Komplikationen eingebaut werden, die die Lernenden zum Nachdenken anregen (Schäfer, Wesselborg, 2021). Die Lösungswege, Konzepte und Gedankengänge sollten die Lernenden darlegen und begründen können. Außerdem führt generell eine diskursive Unterrichtskultur mit anregenden Fragen zu einer kognitiven Aktivierung der Lernenden (Lipowsky und Hess 2019). Die Konfrontation der Lernenden mit den anderen Sichtweisen oder Wiedersprüchen dient als Motor der Weiterentwicklung für kognitive Strukturen (Piaget, 1985). Ausschlaggebend sind demnach das fachliche Niveau der didaktischen Kommunikation und die Art und Weise, wie die Beiträge der Lernenden aufgegriffen und weiterentwickelt werden (Brophy, 2000; Matsumura et al. 2013; Menke und Pressley, 1994; Pauli und Reusser, 2015; Walshaw und Anthony, 2008).
Kognitiv aktivierende Aufgaben
Aufgaben werden unterschiedlich definiert. Eine engere Definition ist, dass Aufgaben einer Aufforderung an die Lernenden sind, die auf selbstständiges Erarbeiten und/ oder Üben abzielt (u.a. Bohl & Kleinknecht 2009; Jatzwauk 2007; Neubrand 2002). Weiter gefasste Definitionen von Aufgaben beziehen auch alle Denk- und Handlungsaufforderungen der Lehrenden mit ein. Das heißt, dass auch alle Fragen und Impulse im Unterrichtsgespräch dazugezählt werden (u.a. Kühn, 2010; Rumann, Tiemann, 2007). Aufgaben können wiederrum eingeteilt werden in Lern- und Leistungsaufgaben. Leistungsaufgaben erheben Lernstände der Lernenden zu einem definierten Zeitpunkt und messen demnach den Lernerfolg (u.a. Kleinknecht, 2019; Leisen, 2006). Lernaufgaben unterstützen die Lernenden im Wissens- und Kompetenzerwerb. Man unterscheidet zwischen Erarbeitungs-, Übungs-, Anwendungs-, und Problemlösungsaufgaben (Kleinknecht, Bohl, 2009). Diese Aufgabentypen verfolgen wiederum unterschiedliche Ziele und haben unterschiedliche Taxonomiestufen. Komplexere Aufgabenstellungen sind dabei als hoch kognitiv aktivierend einzusortieren und engere Aufgabenstellungen sind als weniger kognitiv aktivierend einzusortieren. Zu den hoch kognitiv aktivierenden Aufgaben gehören Aufgaben mit Konflikten, unterschiedlichen Ideen, Positionen, Interpretationen und Lösungen. Bei diesen Aufgaben kommt es zu einem vertieften Nachdenken über den Lerngegenstand. Die Lernenden müssen eigene Lösungswege entwickeln, fachlich darstellen und einordnen. Außerdem müssen sie ihr Vorwissen mit dem neuen Wissen verknüpfen (Mayer, 2004).
Kognitive Aktivierung durch Problemlösen
Die Problemlösungsaufgaben sind elementare Aufgabenstellungen zur kognitiven Aktivierung der Lernenden. Es gibt jedoch unterschiedliche Arten von Problemen, die die Lernenden bearbeiten können (Schäfer, Wesselborg, 2021). Es können Probleme sein, die Lücken aufweisen. Die geschilderte Problemlage in der Fallbeschreibung aus der Berufspraxis weist demnach Lücken auf. Diese fordern dazu auf, Wissenslücken zu analysieren und Hilfe neu zu erwerbender Wissenselemente zu schließen (Schwarz-Govaers, 2013, S. 221). Ein weiterer Aufgabentyp ist das Problem mit Wiederspruch. In der Aufgabenstellung kommt es zu einem Widerspruch z.B. zwischen dem wissenschaftlich fundiertem Regelwissen und dem Erleben, den Bedürfnissen und den Erwartungen der Pflegebedürftigen. Dieser Widerspruch muss von den Lernenden gelöst werden (Remmers, 2000). Besonders in humanen Dienstleistungsberufen unterliegt man dieser doppelten Handlungslogik häufig. Eine lebensnahe Fallbeschreibung ermöglicht den Lernenden eine Sicht aus mehreren Perspektiven auf die Situation.
Auch Probleme mit unnötigen Komplikationen sind für die Lernenden kognitiv aktivierend (Schäfer, Wesselborg, 2021). Die Fälle sind mit sehr vielen Details ausgestattet, die teilweise für die Fallbearbeitung nicht von Relevanz sind. Die Lernenden müssen demnach auswählen, welche Informationen ausgewählt werden.
Kognitive Aktivierung durch Vergleichen
Vergleichen geht häufig mit anspruchsvollen kognitiven Verarbeitungsprozessen einher. Die Lernenden müssen argumentieren und schlussfolgern und kommen so zu einem tieferen Verständnis des Lerngegenstands (Ritte-Johnson, Star, 2011). Unterschiedliche Studien (Ziegler, Stern, 2016; Gagil et al., 2012, Ritte-Johnson, Star, 2011) weisen einen nachhaltigen Effekt von kognitiver Aktivierung durch Vergleichen nach.
Basisdimension kognitive Aktivierung (zusammenfassende bildliche Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Basisdimension Kognitive Aktivierung (Eigene Darstellung)
Einschätzungsinstrumente kognitiv-aktivierender Aufgaben
In der Allgemein- und in der Fachdidaktik gibt es Instrumente, die eine Einschätzung kognitiv-aktivierender Aufgaben ermöglichen (u.a. Kleinknecht et al. 2011; Blömeke et al. 2006, Wesselborg et al. 2019). Diese Modelle betrachten unterschiedliche Gesichtspunkte der kognitiv aktivierenden Aufgaben:
Wissensart
Es wird unterschieden in Faktenwissen, prozeduralem Wissen, konzeptuelles Wissen und metakognitives Wissen. Unter Faktenwissen versteht man das evidenz- und erfahrungsbasierte (Regel-) Wissen. Bei dieser Art von Wissen ist keine Transferleistung notwendig und es kann in einer Aufgabe isoliert abgefragt werden (Wesselborg et al., 2019). Unter prozedurales Wissen versteht man das nicht verbalisierte evidenz- oder erfahrungsbasierte Handlungswissen. Dieses Wissen verlangt von den Lernenden, dass sie wissen, wie sie komplexe Handlungsabläufe strukturieren und gestalten (Maier et al. 2013, S. 29-30). Das konzeptuelle Wissen ist ein vernetztes Begriffswissen, dass sich in Form von Prinzipien, Klassifikationen, Kategorien und Modellen sichtbar macht (Maier et al. 2013, S. 30). Konzeptuelles Wissen hilft dabei Wissensinhalte einzuordnen, zu kumulieren, zu begründen und miteinander in Beziehung zu setzen (Wesselborg et al., 2019). Das metakognitive Wissen beinhaltet, dass über die Kognitionen, Fähigkeiten und Lernziele reflektiert wird (Kleinknecht et al., 2013). Auch die Verarbeitung von Informationen (Lernstrategien) und die eigenen Strategien zum Lösen von Problemen, um die Lernprozesse zu steuern, gelten als metakognitives Wissen. Abgefragt wird dieses Wissen, wenn die Lernenden ihre Aufgaben selbst kontrollieren und dabei besonders den Aspekt der Reflexion des Lernprozesses betrachten (Wesselborg et al., 2019).
Kognitiver Prozess
Der kognitive Prozess lässt sich in vier Kategorien einteilen: Reproduktion, naher Transfer, weiter Transfer und Problemlösen (Kleinknecht et al., 2013). Bei der Modellierung und Beurteilung von Aufgaben ist das Vorwissen mit einzubeziehen, um zu beurteilen, wie kognitiv aktivierend die Aufgabe ist.
Bei den Reproduktionsaufgaben wird das Wissen so reproduziert, wie es im Aneignungsprozess abgespeichert wurde. Dies ist unabhängig von der Wissensart (Anderson, Krathwohl, 2009). Bei der Kategorie „naher Transfer“ unterscheidet sich die gestellte Aufgabe nur geringfügig von dem bisher erlernten. Bei der Kategorie „weiter Transfer“, weicht das verlangte Wissen stark von dem bisher erlernten Wissen ab. Die Lernenden müssen also eine eigene Transferleitung vollziehen, in dem sie das bekannte Wissen auf eine neue und unbekannte Situation anwenden. Die Aufgabenstellung ist offen und nicht in viele Teilaufgaben unterteilt. Die Lernenden müssen also eigenständig Inhalte auswählen, die für die Bearbeitung relevant sind und ihr eigenes Wissen überprüfen (Wesselborg et al., 2019).
Bei den problemlösenden Aufgabenstellungen müssen die Lernenden situationsspezifisch Lösungen für einen bestimmten Fall erarbeiten. Die Lernenden können das Problem jedoch nicht ausschließlich mit ihrem bereits vorhandenen Wissen lösen (Kleinknecht et al., 2013). Das heißt sie müssen sich zusätzliche Informationen und Wissen erarbeiten und dieses mit in die Lösung der Situation einbringen.
Wissenseinheit
Wissenseinheiten definieren die Komplexität der Menge der geforderten Inhalte und somit auch die Komplexität der Aufgabe. Weniger anspruchsvolle Aufgaben beinhalten bis maximal vier Wissenseinheiten und bewegen sich auf der Ebene des Faktenwissens. Je mehr unterschiedliche Prozeduren und Konzepte in einer Aufgabe kombiniert werden, desto anspruchsvoller wird die Aufgabe (Wesselborg et al., 2019).
Offenheit
Bei dem Kriterium der Offenheit wird beurteilt, ob die zu lösende Aufgabe klar definiert ist, ob sie eine richtige Lösung erfordert oder auch mehrere Lösungen erlaubt sind (Wesselborg et al., 2019). Eine Fragestellung kann sowohl konvergente Aufgaben (Aufgaben mit nur einer Lösung) als auch divergente Aufgaben (Aufgaben mit mehreren Lösungen) enthalten (Darmann, 2004). Bei der Offenheit der Fragestellung gilt, je höher das Maß der Offenheit, desto komplexer und kognitiv anspruchsvoller wird die Bearbeitung des Falls (Darmann-Finck, 2010, S. 210).
Berufs- und Lebensweltbezug
Bei diesem Beurteilungskriterium wird berücksichtigt, inwieweit die Aufgabe an die Lebenswelt der Lernenden angepasst ist (Kleinknecht et al., 2013). Besonders im Bereich der Berufspädagogik hat dieses Kriterium eine hohe Wertigkeit, um berufliche Handlungskompetenz zu erlangen. Die KMK beschreibt in den Ausführungen 2018, dass die berufliche Bildung eine Einbindung der Lerngegenstände in authentische Handlungssituationen auszeichnet.
Es gibt Aufgaben, die keinen Lebensweltbezug herstellen, wie z.B. das Beschreiben von einfachen Maßnahmen. Diese Aufgabentypen sind dazu da, um theoretisches Wissen zu generieren. Das nächsthöhere Maß ist der konstruierte Berufs- und Lebensweltbezug. Dieser wird hergestellt, wenn die Aufgabe in eine Berufssituation integriert ist. Bei dieser Art verstehen die Lernenden, dass die Situationen in den beruflichen Kontext einbezogen ist. Sie werden jedoch nicht zu einem vertieften Nachdenken über die Berufssituation angeregt (Wesselborg et al., 2019). Aufgaben mit einem authentischen Berufs- und Lebensweltbezug fordern die Lernenden jedoch auf komplexe Problemstellungen zu bewältigen und die situativen Elemente der Situation mit einzubeziehen. Bei den Lernenden kommt es zu einer komplexen Auseinandersetzung mit der Situation und deinem vertieften Nachdenken darüber (Wesselborg et al., 2019). Bei einem realen Lebensweltbezug ist die praktische Arbeitswelt in die Aufgabe einbezogen. D.h. dass die Aufgabe in der praktischen Arbeitswelt durchgeführt wird und keinen konstruierten Charakter mehr hat.
Sprachliche Komplexität
Auch die sprachliche Komplexität hat einen wesentlichen Einfluss auf das kognitive Anforderungsniveau der Lernenden (Jordan et al. 2006). Ein niedriges sprachliches Niveau hat wenige Fachtermini, ist in einfachen kurzen Sätzen beschrieben und hat eine sinnlogische Reihenfolge. Je mehr Fachtermini verwendet werden, elaboriert wird, selbstständig erschlossen werden muss, desto höher ist das Niveau der sprachlichen Komplexität (Wesselborg et al., 2019).
Repräsentationsform
Auch die Repräsentationsform trägt zur Einschätzung des Komplexitätsgrades bei. Dabei geht es darum, ob sich die Lernenden bei der Lösung unterschiedlichen Repräsentationsformen bedienen sollen (Kleinknecht et al. 2013). Je mehr Repräsentationsformen genutzt werden, desto komplexer ist die Aufgabe. Auch wenn die Lernenden ihre Ergebnisse in eine andere Repräsentationsform transferieren, spricht das für eine hohe Komplexität.
Kategoriensystem zur Erfassung des Kognitiven Potenzials von Aufgaben
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Kategoriensystem zur Erfassung des Kognitiven Potenzials von Aufgaben (Kleinknecht et al. 2011, S. 334)
2.1.1.1. Stand der Forschung: kognitiven Aktivierung
Die erste große Studie, die die Effekte der kognitiven Aktivierung nachweisen konnte, war die TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study) (1995). Dabei untersuchten die Forschenden den Anspruch der eingesetzten Aufgaben und die Bearbeitung im Unterricht (Klieme et al. 2001). In der Studie konnte ein Zusammenhang zwischen kognitiv aktivierenden Unterrichtsmerkmalen und einem Lernzuwachs hergestellt werden (Klieme, 2001). Die COACTIV-Studie (Cognitive Activation in the Classroom: The Orchestration of Learning Opportunities for the Enhancement of Insightful Learning in Mathematics) (Jordan, et al. 2008) untersuchte ebenfalls die kognitiv aktivierenden Aufgaben. In dieser Studie konnte festgestellt werden, dass kognitiv aktivierende Aufgaben wesentlich zur Kompetenzentwicklung der Lernenden beitrugen (Baumert et al. 2010). Je höher also die kognitive Aktivierung der Lern- und Leistungsaufgabe, desto höher war auch die Kompetenzentwicklung der Lernenden. In der IGEL-Studie (Individuelle Förderung und adaptive Lern-Gelegenheiten in der Grundschule; Decristan et al. 2015) stellte sich zusätzlich heraus, dass es nicht nur auf die Qualität der Aufgaben ankommt, sondern auch darauf, wie die Aufgaben von den Lehrenden im Unterricht eingesetzt werden (Fauth et al. 2014). Die Lernenden, die von den Lehrenden zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Lehrmaterial stimuliert wurden, also eigenständig an der Lösungsentwicklung beteiligt zu sein, hatten einen höheren Lernzuwachs und eine höhere Motivation.
2.1.2. Effektive Klassenführung
„Unter Klassenmanagement können alle Maßnahmen des Lehrers verstanden werden, die dazu führen, dass Lehr-Lernprozesse in der Schule möglichst reibungslos ablaufen“ (Wellenreuther 2005, 244).
Aus diesem Zitat von Wellenreuther lässt sich entnehmen, dass effektive Klassenführung ein zentrales Handlungsfeld der Lehrpersonen darstellt. Das Zitat vertritt ein eher breites Verständnis von Klassenführung im Gegensatz zu den anfänglichen Konzepten von Klassenführung (u.a. Kounin, 1976). Wellenreuter subsumiert unterschiedlichste Formen der Lenkung unter Klassenmanagement. Die wesentlichen Punkte sind: Subjektorientierung, die Lernenden immer im Blick haben, Vereinbarung von Verhaltensweisen, Belohnung der Lernenden, die Integration aller Lernenden und wenig Leerlauf im Unterricht (Wellenreuther 2005, S. 245).
Unterrichtsgestaltung besteht demnach aus mehreren Dimensionen von Klassenführung (Helmke, 2010). Klassenführung wird in der Literatur auch heute noch unterschiedlich definiert und verstanden. Im Folgenden wird zunächst das zentrale Konzepte der Klassenführung nach Kounin erläutert, dass auch heute noch in vielen Erkenntnissen angesehen ist, jedoch eher ein eindimensionales Verständnis von Klassenführung vertritt. Darauffolgend wird die moderneren Ansätze von Klassenführung eingegangen.
Klassenführung nach Kounin
Kounins Beiträge gelten in der Forschung zur Klassenführung als wegweisend. Kounin (1976, 2006) hat ein traditionelles Verständnis der Klassenführung, dass stark auf das Kontrollieren des Schülerverhaltens fokussiert ist. Das bedeutet ein klares Regelsystem, die dauerhafte Beschäftigung und Überwachen der Schüler und das schnelle Eingreifen bei Störungen (Kounin, 2006). Kounin definiert folgende Merkmale der effektiven Klassenführung:
1. Disziplinierung
Bei der Disziplinierung geht es für die Lehrenden darum auf Störungen klar und angemessen zu reagieren. Kounin legt dabei Wert auf Klarheit. Das bedeutet, dass die Lehrenden die Disziplinierung klar benennen, so dass die Lernenden wissen, was sie tun sollen und warum sie diszipliniert werden. Des Weiteren legt Kounin Wert auf Festigkeit. Das bedeutet, das die Lehrenden darauf achten, dass die Disziplinierungsmaßnahmen auch tatsächlich eingehalten werden und das Verhalten abgestellt wird. Auch auf Härte legt er Wert. Das bedeutet, dass die Lehrenden Aggressionen wie Zorn oder Gereiztheit zum Ausdruck bringen (Kounin, 2006, S. 89-90).
2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung
Allgegenwärtigkeit bedeutet für Kounin, dass die Lehrenden die Schüler jeder Zeit im Blick haben und sie über ihr Tun stets informieren. Die Lehrenden entscheiden im Unterricht, zu welchem Zeitpunkt er in das Geschehen eingreift und auf welche Person der Fokus des Eingriffs liegt.
Überlappung bedeutet, dass die Lehrenden ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf mehrere Geschehnisse richten können. Häufig kommen diese Überlappungen im Zusammenhang mit Disziplinierungsmaßnahmen oder unvorhersehbaren Ereignissen zustande (Kounin, 2006, S. 92-94).
3. Reibungslosigkeit und Schwung
Reibungslosigkeit bedeutet, dass die Lehrenden für einen flüssigen Unterrichtsverlauf sorgen. Besonders bei den Übergangsphasen kommt es häufig zu Schwierigkeiten bei der Reibungslosigkeit zum Beispiel durch Ablehnungen, Inkonsequenz, Unentschlossenheit oder Überproblematisierung (Kounin, 2006, S. 100-103).
4. Gruppenmobilisierung
Bei der Gruppenmobilisierung müssen die Lehrenden die gesamte Klasse im Blick haben und jeden einzelnen Schüler konzentriert halten. Positiv beeinflussen dabei Methoden, die „Spannung“ erzeugen, wie z.B. pausieren oder sich umschauen vor dem Aufrufen der Schüler. Auch wenn die Schüler ungewiss sind, wer als nächstes aufgerufen wird, sorgt es für eine Gruppenaufmerksamkeit. Auch neue, ungewohnte Materialen erzeugen eine Gruppenaufmerksamkeit (Kounin, 2006, S116-117).
5. Abwechslung und Herausforderung
Die Lernaktivitäten der Schüler sollten von den Lehrenden so geplant sein, dass sie abwechslungsreich und herausfordernd erlebt werden, so dass die Lernenden konzentriert sind und kognitiv aktiviert werden. Die Abwechselung spiegelt sich in der Tätigkeit, der Darbietungsweise, den Arbeitsmitteln, der Gruppenordnung, den Lernaktivitäten und den Standorten wider (Kounin, 2006, S. 121-122).
Kounin hat den Grundstein der effektiven Klassenführung gelegt und war einer der ersten Forschenden auf dem Themengebiet der Klassenführung, daher wurde zunächst das Konzept von Kounin erläutert. In der aktuellen Literatur wird jedoch ein breiteres Verständnis von Klassenführung verfolgt. Unter anderem Mayr (2006) propagiert, dass es kein Idealbild der Klassenführung gibt, sondern vielmehr ein breites Spektrum an Handlungsoptionen für die Lehrenden. In diese Handlungsoptionen kann die professionelle Lehrperson ein eigenes Führungsverhalten ableiten, dass den eigenen Kompetenzen und Handlungspräferenzen, sowie der Klassensituation entspricht. Das Führungsverhalten ist also individuell auf die Klasse und die Lehrenden abgestimmt und somit authentisch und kongruent.
Mayr untersucht in seiner Studie (1980-1990) pädagogisches Handeln von erfolgreichen Lehrkräften in deren Unterricht die Schüler engagiert lernen, eine positive Einstellung haben und wenig Unterrichtsstörungen auftreten. Ableitend aus dieser Studie konnte Mayr (2008) drei relevante Handlungsmuster identifizieren. Ein Handlungsmuster ist die Unterrichtsgestaltung. Dazu zählt das fachorientierte Handeln, dass dazu beiträgt, dass die Lernenden durch Vorstrukturierung des Unterrichts maximale aktive Lernzeit ausschöpfen. Ein weiteres Handlungsmuster ist die Beziehungsförderung. Das bedeutet, das die Lehrenden kommunikativ und beziehungsfördert Handeln und den Lernenden Rückmeldung geben und regulierend begleiten. Das dritte Handlungsmuster ist die Verhaltenskontrolle. Dazu zählt auch das disziplinierende Verhalten. Dabei ist das Ziel, das erwünschte Verhalten zu fördern und zu unterstützen.
1. Die Unterrichtsgestaltung
Bei dem Handlungsmuster steht die maximale Bereitstellung von Lernzeit im Fokus (Evertson und Weinstein, 2006). Um diese maximale Lernzeit zu erreichen, müssen die Lehrenden den Unterrichtsablauf strukturiert und vorrausschauend organisieren und klare Zielstellungen verfolgen. Das führt zu einem reibungslosen Unterrichtsablauf und zur optimalen Nutzung der Lernzeit (Seidel, 2020, S. 127). Die Lehrenden haben dabei die Wahl der Methode, die Darbietung des Wissens und die Orientierung der Lernziele zu beachten. Für die moderne Klassenführung bedeutet das, dass die Lehrenden bedeutsame Lernziele vermitteln, den Unterricht gut strukturieren und klare Arbeitsanweisungen geben (Mayr, 2006).
2. Beziehungsförderung
Die aktuellen Lehr- Lernmodelle gehen von einem prozessorientierten Unterricht aus, der die intensive kognitive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten verfolgt. Begünstigt wird dieser Prozess durch die intrinsische Motivation der Lernenden (Seidel 2014; Seidel, Krapp, 2014). Für die Lehrenden bedeutet es, dass sie eine prozessorientierte Perspektive einnehmen und z.B. Aushandlungsprozesse zwischen Lehrenden und Lernenden ermöglicht werden. Wenn die Lernenden external gestellte Bildungsziele (Lehrperson, Schule) internalisieren, gelingt eine intrinsische Motivation. Das Ziel der Beziehungsförderung ist also eine Situation zu konstruieren, die optimale Lehr- Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung der Lernenden unterstützt und den Lernenden ermöglicht kooperativ zu lernen (Seidel, 2020, S. 128). Bei dem Handlungsmuster geht es also um Lernbegleitung. Besonders wichtig ist dabei die Qualität der Interaktion zwischen den Lehrenden und den Lernenden bei der Begleitung, der Unterstützung und der Rückmeldung in den Lernprozessen (Thiel 2016; Ophardt und Thiel 2013). Die Begleitung der Lernenden findet meist in Form des Unterrichtsgesprächs statt. Bei diesem Unterrichtsgespräch ist es wichtig eine Offenheit zuzulassen. Je enger die Gespräche geführt werden, desto extrinsischer motiviert sind die Lernenden. Produktive Gespräche sind offen und die Beiträge werden positiv gewürdigt. Dies führt zu einer intrinsischen Motivation und zu hoher kognitiver Aktivität (Kiemer et al. 2015; Pehmer et al. 2015).
3. Die Verhaltenskontrolle
Das Handlungsmuster mit dem Schwerpunkt auf Umgang mit Störung ist eng mit dem Begriff „Classroom Management“ verbunden (Evertson, Weinstein 2006). Das Ziel des Classroom Managements ist es Störungen zu vermeiden und die Ordnungsstrukturen aufrechtzuhalten. Um dieses Ziel zu verfolgen, spielt die Einführung eines Regelsystems eine zentrale Rolle. Diese Regeln und strukturierten Unterrichtsabläufe werden zu Beginn des Schuljahres eingeführt und etabliert. Die Lehrenden artikulieren klar ihre Erwartungen an die Schüler und geben regelmäßig dazu Feedback. Eine Studie von Schönbächler (2006) zeigt welche Regeln den Lehrenden und welche Regeln den Lernenden wichtig sind. Den Lehrenden sind geregelte soziale Interaktionen, Ruhe und Ordnung wichtig. Für die Lernenden sind ebenfalls Ruhe und Regeln für die soziale Interaktion von großer Wertigkeit.
Bei der Verwendung von Regeln weisen aktuelle Studien darauf hin, dass diese nicht starr verwendet werden sollten, sondern an die Situation angepasst und verhältnismäßig eingesetzt werden (Kwok 2017; Webster-Stratton et al. 2011). Für das moderne Classroom Management bedeutet es, dass die Lehrenden zu Beginn des Schuljahrs Regeln setzen, diese klar und transparent verschriftlichen und situationsgerecht mit diesen umgehen.
Basisdimension effektive Klassenführung (zusammenfassende bildliche Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Basisdimension Effektive Klassenführung (Eigene Darstellung)
2.1.2.1. Stand der Forschung: effektiven Klassenführung
Unterrichtsgestaltung
In der SCHOLASTIK-Studie (Helmke und Weinert 1997) wurde mittels Videoaufzeichnung und Fragebögen der Effekt der Klassenführung analysiert. Die Befunde weisen einen positiven Effekt der Klassenführung auf das Lernen der Lernenden nach. Die hohe Nutzung der Lernzeit wirkt sich positiv auf die Leistungsentwicklung der Lernenden aus. Mehrere Metaanalysen (Hattie, 2008; Seidl und Shavelson, 2007) belegen den positiven Effekt von Lernzeitmanagement auf das Lernen der Schüler. In der Metaanalyse von Seidel und Shavelson konnten folgende zentrale Befunde herausgestellt werden (Seidl und Shavelson, 2007):
- Die Effekte der Klassenführung sind sowohl auf der kognitiven als auch auf der motivational affektiven Ebene zu beobachten.
- Je unmittelbarer eine Komponente die Lernaktivität unterstützt, desto größer sind die Effekte auf das Lernen
o Klassenführung im Sinne des Managements und der Begleitung des Lernens sind direkte Komponenten, die moderate Effekte nachweisen
- Je indirekter die Komponenten, desto geringer sind die Effekte auf das Lernen
o Klassenführung als störungsarme Organisation des Unterrichts sind indirekte Komponenten und haben daher relativ geringen Einfluss auf das Lernen
Beziehungsförderung
Bei der Interaktion zwischen den Lehrenden und den Lernenden bei der Begleitung sind die Effekte auf das Lernen höher, wenn die Gespräche offen geführt und eigene kognitive Leistungen der Lernenden einbezogen werden (Thiel 2016; Ophardt und Thiel 2013). Diese Art von Gesprächsführung führt zu einer intrinsischen Motivation und zu hoher kognitiver Aktivität (Kiemer et al. 2015; Pehmer et al. 2015).
Verhaltenskontrolle
Klassenführung, die im Sinne der Lernbegleitung und des Managements von Lernzeit durchgeführt wurde, konnte positive Effekte auf die Leistung der Schüler nachweisen (Neuenschwander, 2006; Seidl und Shavelson, 2007). Nebeneffekte waren dabei, dass die Schüler die Lehrenden als kompetent wahrnehmen und diese mehr akzeptierten. Der Nachweis dieser Effekte gelang Kounin (2006) mit der rigiden Art der Klassenführung nicht.
2.1.3. Konstruktive Unterstützung
Die konstruktive Unterstützung wird in der Literatur oft unterschiedlich aufgefasst. Teilweise werden die gegenseitige Wertschätzung, Empathie, Fürsorge und das Interesse der Lehrenden an den Lernenden beschrieben (sozio-emotional). Dabei geht es um das Interaktionstempo, das Bemerken von Verständnisproblemen, das konstruktive Feedback und die Strukturierung (Lipowsky und Bleck 2019; Kunter und Trautwein 2013; Kunter und Voss 2011). Teilweise wird jedoch auch die fachliche und adaptive Unterstützung der Lernenden beschrieben (kognitive Unterstützung).
Für die konstruktive Unterstützung gibt es keine standardisierten Techniken oder Strategien, die in jeder Situation eine optimale Unterstützung ermöglicht (Kunter, Trauwein, 2018, S. 97). Es gibt jedoch Anhaltspunkte, die zur konstruktiven Unterstützung beitragen können. Auf der sozio-emotionalen Ebene können die Lernenden unterstützt werden, indem ein vertrauensvolles Klima geschaffen wird und die Lernenden Autonomie und soziale Eingebundenheit erfahren. Auf der kognitiven Ebene können sie unterstützt werden, indem Feedback gegeben wird, eine konstruktive Fehlerkultur herrscht und das Tempo an die Lernenden angepasst wird (Kunter, Trauwein, 2018, S. 97).
Sozio-emotionale Unterstützung
Grundlage für die sozio-emotionale Unterstützung ist die gegenseitige Wertschätzung, Empathie, Fürsorge und das Interesse der Lehrenden an den Lernenden (Lipowsky und Bleck 2019). Ein wichtiger sozio-emotionaler Aspekt ist die Sensitivität für die Lernenden. Das bedeutet, aufmerksam für die individuellen Schwierigkeiten der Lernenden zu sein und daraufhin ansprechbar zu sein (Cornelius-White 2007; Kunter & Voss 2011; Pianta & Hamre 2009). Ein weiterer wichtiger Aspekt der konstruktiven Unterstützung ist die Wertschätzung der Perspektive der Lernenden. Das bedeutet, dass die Lehrenden den Lernenden als autonome Person wahrnehmen und ihnen Empathie zeigen, Geduld haben und eine konstruktive Fehlerkultur leben. D.h., dass die Lernenden auch Fehler machen dürfen und aus diesen gemeinsam gelernt wird (Cornelius-White 2007; Kunter & Voss 2011; Pianta & Hamre, 2009). In jeder Unterrichtsstunde kommt es zu Fehlern der Lernenden. Diese Situation kann bei den Lernenden zu einem unangenehmen Gefühl führen, z.B. indem die Mitlernenden erfahren, dass diese Person den Lernstoff noch nicht verstanden hat. Eine empirische Studie von Oser & Spychiger (2005) zeigt, dass die Lehrenden unterschiedliche Strategien verfolgen, wie sie mit Fehlern umgehen. Teilweise wird der Unterricht so konzipiert, dass die Lernenden wenig Fehler machen können, teilweise werden Fehler aber auch ignoriert oder direkt korrigiert. Es kommt auch vor, dass die Schüler die Fehler machen übergangen werden. Eine positive Fehlerkultur sieht einen auftretenden Fehler nicht als Problem, sondern als Lerngelegenheit. Das heißt, dass die Fehler genutzt werden, um sich in den Lernenden hineinzuversetzen, neue Erklärungen zu generieren und andere Lernende mit einzubeziehen (Kunter, Trauwein, 2018, S.100). Die Lernenden müssen wissen, dass Fehler erwünscht sind.
Ein weiterer Aspekt ist die positive Beziehungsqualität. Das bedeutet, dass die Lehrenden einen freundlichen und wertschätzenden Umgang mit den Lernenden pflegen und auch bei nicht lernbezogenen Problemen ansprechbar sind. Außerdem sollten Sarkasmus und Kränkungen vermieden werden (Cornelius-White, 2007; Kunter & Voss 2011; Pianta & Hamre, 2009).
Kognitive Unterstützung
Bei der kognitiven Unterstützung geht es darum die Lernenden dabei zu unterstützen die Anforderungen der Aufgaben im Unterricht zu bewältigen.
Dabei ist Feedback ein elementarer Bestandteil des Unterrichtsgeschehens. Feedback an die einzelnen Lernenden und die Lerngruppe führt zu einem besseren Lernerfolg (Hattie, 2009), da die Lernenden Rückmeldung darüber benötigen, ob sie etwas korrekt verstanden haben und ihre Lösungsansätze angemessen sind. Es gibt jedoch unterschiedliche Formen des Feedbacks. Die einfachste Form des Feedbacks ist das Beantworten, ob der Lösungsweg oder die Lösung falsch oder richtig ist. Das elaborierte Feedback bietet zusätzliche Hilfestellungen wie z.B. Lösungsstrategien oder zusätzliche Informationen. Hattie und Timperley (2007) haben unterschiedliche Dimensionen von effektivem Feedback entwickelt. Laut Hattie und Timperley beantwortet konstruktives Feedback generell die Fragen, wo es hingeht (Lernziele), wo man aktuell steht (aktueller Leistungsstand) und wie man zur Lösung kommt (Strategien). Hattie und Timperley betonen, dass das Feedback sich auf verschiedene Bereiche beziehen kann. Der häufigste Bereich von Feedback ist der Aufgabenbereich. Dabei bezieht sich das Feedback auf das Ergebnis der Aufgabe, indem den Lernenden mitgeteilt wird, ob die Antwort richtig oder falsch ist. Seltener bezieht sich das Feedback auf die Aufgabenlösung, in dem der Prozess begutachtet und Lösungswege besprochen werden (Hattie, Timperley, 2007). Ebenfalls sehr selten wird die Selbstregulation beurteilt. Das heiß das Feedback darüber, wie die Lernende in Zukunft selbstständig lernen und Aufgaben lösen können. Häufiger wird jedoch Feedback zu den Lernenden selbst gegeben (Selbst). Das heißt es wird angesprochen, dass die Lernenden etwas gut bzw. schlecht gemacht haben. Obwohl dieses Feedback so häufig genutzt wird, ist es in der Forschung empirisch weniger belegt (Hattie, Timperley, 2007). Daher empfiehlt sich ein konstruktives Feedback mit einem hohen Inhaltsgehalt. Feedback zum Selbst der Lernenden sollte positiv formuliert sein und lediglich dosiert eingesetzt werden.
Ein weiterer hilfreicher Aspekt bei der konstruktiven Unterstützung ist das Tempo. Das richtige Lerntempo beeinflusst sowohl die Lernmotivation als auch den Lernerfolg der Lernenden positiv (Helmke & Schrader, 1990). In der Lehre gibt es in der Regel einen formalen Rahmen. Also die Zeit in der ein bestimmtes Thema, Modul usw. abgeschlossen sein muss. Dieser Zeitrahmen ist meist fest verankert. In diesem Rahmen haben die Lehrenden jedoch die Möglichkeit eigene Akzente zu setzen und das Interaktionstempo an die Lerngruppe anzupassen. Studien zeigen, dass das Interaktionstempo häufig zu schnell ist. Ein Beispiel dafür ist die Zeit, die Lehrende verstreichen lassen bis sie eine gestellte Frage an einen Lernenden weitervergeben oder selbst beantworten. Diese Zeit liegt meist bei unter drei Sekunden (Hasselhorn & Gold, 2013, Lipowski, 2009). Eine längere Wartezeit, also ein geringeres Tempo lässt den Lernenden mehr Zeit zum Überlegen und dies führt zu ausführlicherem Antworten und mehr Beteiligung im Unterricht. Ein angemessenes Tempo bedeutet also häufig langsamer zu werden. Dies hat positive Auswirkungen auf die Mitarbeit und die Qualität der Mitarbeit (Kunter, Trauwein, 2018, S. 100-101).
Scaffolding ist ein wesentlicher Begriff der konstruktiven kognitiven Unterstützung. Übersetzt bedeutet Scaffolding, Gerüst. Damit ist gemeint, dass die Lehrenden den Lernenden ein Gerüst bauen. Um den Lernenden dieses zu bauen, verwenden die Lehrenden verschiedene Techniken. Dazu gehörten das Fokussieren und das Modellieren. Beim Fokussieren legen die Lehrenden Wert auf die inhaltliche Strukturierung, um die Lernenden auf die wesentlichen Aspekte der Aufgabe aufmerksam zu machen. Die Lehrenden verfolgen das Ziel die Lernenden schrittweise in die Aufgaben einzufügen. Dabei beachten die Lehrenden auch Strategien zur Lösungsfindung (Hardy, Decristan, Klieme, 2019, S.178). Krammer (2010) erweitert das Verständnis des Scaffoldings um die Ebene der Emotion (Initiierung und Aufrechterhaltung der Schülermotivation zur Lösung einer Aufgabe und Frustrationsmanagement), die Ebene Verfahren (Strukturierung und Steuerung von Schülerlösungsprozessen) und die Ebene des Inhalts (Bereitstellung von Eingabeaufforderungen für relevante Aufgabenmerkmale und Lösungsmodelle). Im Fokus des Scaffoldings ist die Aufgabe des Lehrenden, das geeignete Unterstützungsniveau für die einzelnen Lernenden zu finden. Wenn die Lernenden eine Aufgabe gut lösen können, wird der Grad an Kontrolle zurückgesetzt. Wenn die Lernenden eine Aufgabe jedoch nicht lösen können, dann wird der Grad an Kontrolle wiederum erhöht (Wood, Wood, Middelton, 1978).
Studien zeigen, dass das Gelingen der konstruktiven Unterstützung jedoch stark davon abhängt, wie gestresst die Lehrenden sind (Jennings & Greenberg, 2009; Klusmann, Kunter, Tratwein & Baumert, 2006). Es ist also im Wesentlichen davon abhängig wie die Fähigkeiten der Lehrenden ist mit ihren eigenen Emotionen umzugehen. Dazu zählt auch, dass sie sich von der Arbeit distanzieren können und manche Situationen mit Humor nehmen können (Jennings & Greenberg, 2009; Klusmann, Kunter, Tratwein & Baumert, 2006).
Basisdimension konstruktive Unterstützung (Zusammenfassende bildliche Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Basisdimension konstruktive Unterstützung (Eigene Darstellung)
2.1.3.1. Stand der Forschung: konstruktiven Unterstützung
Durch die uneinheitliche Definition von konstruktiver Unterstützung sind auch die Forschungsergebnisse auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Die aktuelle Literatur zur konstruktiven Unterstützung ist sich einig, dass diese eine zentrale Voraussetzung für effektives Lernen ist (Cornelius-White, 2007; Fraser, 2007; Hattie 2009). Studien, die diese Voraussetzung jedoch untersuchen, können dies nur teilweise empirisch belegen (Campbell et al., 2004; Fauth et al., 2014; Gruehn ,2000; Hamre, Pianta, 2005; Praetorius et al., 2018). Weitere Studien belegen jedoch, dass eine positive Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden zum Lernerfolg beiträgt (Hattie, 2009; Hamre, Pianta, 2005; Pianta, Hamre, Stuhlman, 2003; Pianta, Hamre, Allen, 2012). Es ist bestätigt, dass der Lernzuwachs steigt, wenn die Lehrenden individuelle Leistungserwartungen an die Lernenden haben und den Lernenden Wertschätzung, Empathie und Verständnis entgegenbringen (Cornelius-White, 2007; Hattie, 2009). Außerdem führt die positive Beziehung zu einem respektvollen Umgang in der Klasse und reduziert das Störverhalten (Cornelius-White, 2007; Hattie, 2009).
Eine Meta-Analyse von Cornelius-White (2007) bestätigt, dass konstruktive Unterstützung in Zusammenhang mit vielen wünschenswerten Ergebnissen steht. Dazu zählt z.B. die gute Lernleistung in Bezug auf die Noten, als auch bei standardisierten Tests und das Problem und Analysefähigkeiten. Auch eine höhere Motivation der Lernenden konnte belegt werden.
Ausgehend von der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985) lässt sich schlussfolgern, dass die Lernenden sich in einer Lernumgebung mit gegenseitiger Wertschätzung, Respekt und positivem Klima wohl fühlen und Beziehungen entwickeln, sich stärker sozial eingebunden fühlen und sich als selbstbestimmter und kompetenter erleben. Das führt dazu, dass die Lernenden eine stärkere intrinsische Motivation entwickeln. Die höhere Motivation und das daraus resultierende Engagement wirkt sich dann abschließend positiv auf den Lernerfolg der Lernenden aus (Lipowski, 2020, S.97). Die konstruktive Unterstützung hat somit einen indirekten Effekt auf den Lernerfolg (Furrer & Skinner 2003; Osterman, 2000).
2.1.4. Zusammenführung der Basisdimensionen
Zusammenfassend kann man sagen, dass guter Unterricht in den Tiefenstrukturen entsteht. Die drei Basisdimensionen der Qualität im Unterricht verfolgen das Ziel die Lernenden kognitiv zu aktivieren, die aktive Unterrichtszeit zu erhöhen, das Autonomieerleben zu erhöhen und die motivational-emotionale Entwicklung zu unterstützen. Dies erhöht die Leistung und den Lernerfolg der Lernenden. Verfolgt man die drei genannten Prinzipien, dann wird der Unterricht zu einer hochwertigen Lerngelegenheit für die Lernenden, bei der sie sich motiviert mit dem Lernstoff auseinandersetzen und ihre Lernprozesse eigenständig gestalten. Das führt zu einem nachhaltigen Lerneffekt (Trauwein, Kunter, 2017). Dabei ist es wichtig, dass alle drei Basisdimensionen zusammenspielen und von den Lehrenden auch als Ganzes betrachtet werden. Wie in dem folgenden Venn-Diagramm dargestellt (Abbildung 7: Venn-Diagramm zu qualitativ hochwertigem Unterricht (Eigene Darstellung)) greifen diese drei Basisdimensionen ineinander über und führen erst dann zu einem qualitativ hochwertigen Unterrichtsangebot, wenn alle drei Dimensionen von den Lehrenden berücksichtigt werden. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Lehrenden damit ein qualitativ hochwertiges Angebot schaffen, sie können den Lernerfolg jedoch nicht „produzieren“. Dazu muss sich der Lernende aktiv entscheiden das Angebot auch zu nutzen. Dieses Prinzip wird im Angebot-Nutzungs-Modell beschrieben (Abbildung 2: Vereinfachtes Angebots-Nutzungs-Modell (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lipowsky, 2006)).
Als zusammenfassende Darstellungsform wurde bewusst das Venn-Diagramm gewählt, da dieses die Überschneidungen und das Zusammenspiel der einzelnen Basisdimensionen symbolisieren kann. Zwischen der kognitiven Aktivierung und der konstruktiven Unterstützung überschneiden sich die Prozessmerkmale Anpassung der Aufgaben an den Lernenden und anredende Fragen zu stellen. Anregende Fragen können die Lernenden sowohl unterstützen als auch kognitiv aktivieren. Auch die Anpassung der Aufgaben ist sehr wichtig, um die Lernenden kognitiv nicht zu überfordern, sondern individuell zu fordern. Die Anpassung dient jedoch auch der Unterstützung der Lernenden bei den Aufgaben. Überschneidungen zwischen der kognitiven Aktivierung und der effektiven Klassenführung sind prozessorientiertes Handeln, Struktur des Unterrichts und auch Instruktionen. Ein prozessorientiertes Handeln führt zu einer kognitiven Aktivierung, aber ebenso auch zu einer Struktur. Dies sorgt für reibungslose Übergänge und einen störungsfreien Unterricht. Besonders bei Lernaufgaben sind klare Instruktionen wichtig, um die kognitive Aktivierung zu erreichen. Sie vereiden jedoch auch Störverhalten im Unterricht oder während des Arbeitsauftrags. Auch zwischen der effektiven Klassenführung und der konstruktiven Unterstützung lassen sich parallelen feststellen. Das Feedback und die Lernbegleitung dienen in erster Linie der Unterstützung der Lernenden bei den Lernprozessen, sie verhindern jedoch auch Störungen und sorgen für einen reibungslosen Unterricht. Auch das Würdigen der Beiträge unterstützt die Lernenden und verhindert eine Frustration, die in Störungen enden könnte.
Qualitativ hochwertiger Unterricht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Venn-Diagramm zu qualitativ hochwertigem Unterricht (Eigene Darstellung)
2.1.5. Kritik am Modell der drei Basisdimensionen
Einige Forscher üben Kritik an dem Modell der drei Basisdimensionen und schlagen Ergänzungen an dem Modell vor. Diese Ergänzungen sind unter anderem fachspezifische und generische Ergänzungen. Die fachspezifischen Ergänzungen umfassen die fachliche Korrektheit (Brunner 2018; Schlesinger, Jentsch 2016; Schlesinger et al., 2018; Szogs et al. 2016), die Angemessenheit von Fachsprache und Repräsentationsformen (Lipowsky et al. 2018; Schlesinger, Jentsch 2016; Schlesinger et al., 2018), die Transparenz (Szogs et al. 2016) und die Kohärenz (Drollinger, Vetter 2011) der präsentierten Inhalte, sowie das Vorkommen von Verstehenselementen (Drollinger Vetter 2011; Reusser, Pauli, 2021).
Die generischen Ergänzungen beziehen sich auf die Klarheit und Strukturiertheit von Inhalten (Batzel et al. 2013), Assessment und Feedback (Taut und Rakoczy 2016), sowie Konsolidieren und üben (Schlesinger et al. 2018; Taut und Rakoczy 2016).
Diese große Liste an Ergänzungen weist darauf hin, dass die drei Basisdimensionen noch nicht vollständig ausgereift sind und weiterhin eine Forschungslücke besteht, an der geforscht werden muss.
2.2. Umgang mit Heterogenität im Unterricht
Der Blick auf die Basisdimensionen verdeutlicht die grundlegenden Qualitätsanforderungen an einen Unterricht. Im Folgenden wird weiterhin auf der Mikroebene des Unterrichts geschaut mit dem Schwerpunkt auf den Umgang mit heterogenen Klassen.
„In den Schulklassen haben wir es mit einer großen sprachlichen und kulturellen Heterogenität zu tun. Diese sprachliche Heterogenität [...] stellt für die Lehrerinnen und Lehrer eine große Herausforderung dar. Denn wenn ein erheblicher Teil ihrer Schüler [...] die für den Unterricht erforderlichen bildungssprachlichen Fähigkeiten nicht mitbringt, dann erfordert das einen anderen Unterricht“ (Becker-Mrotzek et al ., 2012, S . 2) .
Dieses Zitat von Becker-Mrotzek verdeutlicht, dass es notwendig ist den Unterricht an vielseitige Gruppen anzupassen, um mit der Heterogenität umgehen zu können. Ein „Umgang mit Heterogenität“ ist jedoch nur bedingt möglich, da Unterricht ein begrenzt planbares und nicht vorhersehbares Interaktions- und Beziehungsgeflecht darstellt (Bohl, 2017, S. 258). Unterricht ist zwar von den Lehrenden zu planen, für den Erfolg der Planung sind die Lehrenden jedoch darauf angewiesen, dass die Lernenden das Angebot auch nutzen (siehe Abbildung 2: Vereinfachtes Angebots-Nutzungs-Modell (Eigene Darstellung in Anlehnung an Lipowsky, 2006)). Um diese Heterogenität im schulischen Alltag zu nutzen, ist die Einstellung und die Kompetenz der Lehrenden von großer Bedeutung (Lipowski, 2006). Besonders bei Lernenden mit Migrationshintergrund darf es zu keiner vorab Bewertung des Lernenden kommen. Es ist essenziell, dass die Lehrenden den Lernenden dieselbe Leistungsvermögen zutrauen wie den Lernenden ohne Migrationshintergrund (Hummrich 2009). Die Vielfältigkeit der Lernenden sollte von den Lehrenden als Chance und nicht als Störfaktor angesehen werden, so dass die Ungleichheiten besonders geschätzt werden (El-Mafaalani 2011; Bylinski 2016).
Eine hohe Heterogenität in einer Klasse hat die folge, dass die untere Leistungsgruppe überfordert und die obere Leistungsgruppe unterfordert ist (Bohl, 2017, S. 259). Um diese Über- bzw. Unterforderung zu vermeiden ist eine Reformierung des Unterrichts erforderlich. Die Lehrenden sollten im Unterricht Differenzierungen vornehmen und einen höheren Anteil an selbstständigen Unterrichtsphasen einplanen (Bohl, 2017, S. 258). Eine Herausforderung für die Schule und die Lehrenden ist dabei, dass die Ungleichheiten geschaffen werden, indem die Ressourcen (Lehrende) in diesen Phasen ungleich verteilt sind.
Auf der Ebene des Unterrichts gibt es unterschiedliche Konzepte, die im Umgang mit Heterogenität hilfreich sein können. Bei diesen Konzepten stehen individualisierte Angebote für die einzelnen Lernenden im Fokus, bei denen die Angebote optimal an die einzelnen Lernenden angepasst werden. Auf der Suche nach geeigneten Unterrichtsformen für heterogene Klassen, stößt man schnell auf adaptives Lernen/ Unterrichten (u.a. Häcker, 2017; Helmke & Weinert, 1997; Martschinke, 2015). Adaptives Unterrichten ist laut Martschinke (2015, S. 27) jedoch noch ein ungeschliffener Diamant, den es weiter zu bearbeiten gilt. Im Kapitel didaktische Konsequenzen werden diese Konzepte näher erläutert (Siehe Kapitel: 2.2.4 Didaktische Konsequenzen)
2.2.1. Heterogenität und Unterrichtsqualitätsforschung
Die Unterrichtsqualitätsforschung beruht meistens auf einen lehrerzentrierten Unterricht. Es fehlt dementsprechend eine Übertragung der Qualitätsdimensionen auf Unterricht mit heterogenen Gruppen, die konzeptionell meist anders gestaltet sind (z.B. differenzierter Unterricht, individualisierter Unterricht, adaptiver Unterricht). Die Qualitätsdimensionen von Unterricht beschreibt grundlegende Aspekte zum Gelingen eines Unterrichts. Diese grundlegenden Aspekte sind unabhängig von den Unterrichtskonzepten und den Sichtstrukturen des Unterrichts. Es erfordert jedoch eine individuelle Ausdifferenzierung der Qualitätsdimensionen. Beispielsweise wird die Qualitätsdimension Kassenführung in einem adaptiven Unterricht anders ausdifferenziert als in einem lehrerzentrierten Unterricht. Bei einem adaptiven Unterricht rücken beispielsweise präventive Maßnahmen in den Vordergrund wie z.B. die Vorbereitung des Raumes, die Beratung, die klaren Regeln und Zeitvorgaben (Bohl, 2017, S. 258). Zusammengefasst kann man also sagen, dass die grundlegenden Qualitätsdimensionen in jedem Unterricht berücksichtigt werden sollten, diese jedoch an die Unterrichtsform und die Gruppe angepasst werden müssen.
Im Umgang mit Heterogenität sind diese Basisdimensionen wichtig, weil sie grundlegende Qualitätsanforderungen und Voraussetzungen für die individuellen Lernphasen verdeutlichen. Auch, wenn die Lernenden in diesen Phasen weitestgehend selbstständig arbeiten.
Ein differenzierter Unterricht erweist sich im Umgang mit Heterogenität also als besonders hilfreich. Für die Lehrenden ist es sehr anspruchsvoll diesen umzusetzen. Pietsch entwickelte dazu ein Stufenmodell der Unterrichtsqualität, dass offenbart, wie anspruchsvoll und voraussetzungsreich ein differenzierter Unterricht ist. Dieses wird im nächsten Kapitel beschrieben (Pietsch 2010, S. 138).
2.2.2. Stufen der Unterrichtsqualität
Pietsch (2010, S. 138) offenbart, wie anspruchsvoll und voraussetzungsreich ein differenzierender Unterricht ist, bei dem Lernende wirkungsvoll und kompetenzorientiert geführt werden. Damit die Lehrenden zu einem differenzierten Unterricht gelangen, müssen lt. Pietsch (2010) zuvor drei Stufen durchlaufen werden. Im ersten Schritt wird das Lernklima und die pädagogischen Strukturen hergestellt. Im zweiten Schritt muss die Klasse effizient geführt werden und die Methoden sollten variieren. Im dritten Schritt werden die Lernenden motiviert, es wird aktives Lernen und ein Wissenstransfer ermöglicht. Erst in der letzten Stufe ist der differenzierte Unterricht erreicht.
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- Arbeit zitieren
- Tim Tübbing (Autor:in), 2023, Verständnisvolles Lernen von Auszubildenden mit Migrationshintergrund in der Pflege. Unterstützungsmöglichkeiten im Unterricht aus der Sicht von Lehrenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1358847
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