Die folgende Ausarbeitung und die angegebenen Seitenangaben beziehen sich auf das Werk Emil Brunners „Der Mensch im Widerspruch, die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen“ (vierte, unveränderte Auflage 1965), welches 1937 erstmals im Zwingli
Verlag erschienen ist. Es gliedert sich in zwei Hauptteile, Grundlagen und Entfaltung, und fünf Beilagen. Die Grundlagen und die Beilagen bilden den Hauptteil meiner Ausarbeitung. Der Grund dafür ist der Aufbau des Buches. Die Entfaltung greift in einem sehr hohen Maß die Ideen und Gedankengänge der Grundlagen wieder auf und erweitert sie.
Aus der Entfaltung wurden nur einige ausgewählte Kapitel eingebracht, welche mir für das Verständnis der Arbeit wichtig und sinnvoll erschienen. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib“, diese Formulierung findet sich in Genesis 1,27. Diese Aussage beinhaltet schon einen großen Teil der Problematik, mit der sich im Weiteren auseinandergesetzt wird. Zunächst einmal geht aus Gen 1,27 hervor, dass der Mensch als Gottes Ebenbild, „imago dei“, geschaffen wurde. Diese Tatsache beinhaltet die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung (S.85). Gott, der alles erschaffen hat, erweist gerade dem Menschen die Ehre und erschafft ihn zu seinem Ebenbild. Diese Erwählung wird auch die Lehre vom göttlichen „Ratschluß“ genannt. Mit diesem keineswegs willkürlichen Willen verdeutlicht Gott uns, also den Menschen, seine Liebe (S.80). Der Mensch ist im Unterschied zu allen anderen Geschöpfen nicht „fertig“, sondern Gott hat dem Menschen die Fähigkeit gegeben, dass er selbst mitbestimmen kann. Die Geschöpfe, denen diese Fähigkeit fehlt, sind vom Sein her betrachtet vernunftlose Kreaturen.
Inhaltsverzeichnis:
0. Vorwort
1. Die Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott
2. Das menschliche Sein im und durch das Wort Gottes
3. Jesus Christus als Vergegenwärtigung des Logos
4. Die Beziehung zwischen Gottes Ebenbildlichkeit und dem Menschsein
5. Der Widerspruch im Menschen
6. Auswirkungen der Sünde auf den Menschen
6.1. Des Menschen böses Gewissen
6.2. Das Sollgesetz der Sünde
7. Uneinigkeiten über die „imago dei“
7.1. Innerbiblische Uneinigkeiten
7.2. Der Streit um die „imago dei“ nach dem Sündenfall
8. Das gnadenlose Gesetz als Ausgangspunkt für die Bekehrung des Sünders
9. Aus dem Ungläubigen wird ein Gläubiger
10. Die Stellung von Mann und Fran
10.1. Der biblische Hintergrund
10.2. Das Bild von Frau und Mann in der Gesellschaft
11. Seele, Leib und Geist
12. Kritische Stellungnahme
12.1. Widersprüche in den Grundlagen
12.2. Das Verhältnis zwischen der Grundlage und der Entfaltung
12.3. Mann und Frau
13. Wirkungsgeschichtlicher Vergleich zwischen den Kapiteln „Mann und Frau“ und „Seele und Leib“
I. Literaturverzeichnis
0. Vorwort:
Die folgende Ausarbeitung und die angegebenen Seitenangaben beziehen sich auf das Werk Emil Brunners „Der Mensch im Widerspruch, die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen“ (vierte, unveränderte Auflage 1965), welches 1937 erstmals im Zwingli
Verlag erschienen ist. Es gliedert sich in zwei Hauptteile, Grundlagen und Entfaltung, und fünf Beilagen. Die Grundlagen und die Beilagen bilden den Hauptteil meiner Ausarbeitung. Der Grund dafür ist der Aufbau des Buches. Die Entfaltung greift in einem sehr hohen Maß die Ideen und Gedankengänge der Grundlagen wieder auf und erweitert sie.
Aus der Entfaltung wurden nur einige ausgewählte Kapitel eingebracht, welche mir für das Verständnis der Arbeit wichtig und sinnvoll erschienen.
1. Die Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib“, diese Formulierung findet sich in Genesis 1,27. Diese Aussage beinhaltet schon einen großen Teil der Problematik, mit der sich im Weiteren auseinandergesetzt wird. Zunächst einmal geht aus Gen 1,27 hervor, dass der Mensch als Gottes Ebenbild, „imago dei“, geschaffen wurde. Diese Tatsache beinhaltet die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung (S.85). Gott, der alles erschaffen hat, erweist gerade dem Menschen die Ehre und erschafft ihn zu seinem Ebenbild. Diese Erwählung wird auch die Lehre vom göttlichen „Ratschluß“ genannt. Mit diesem keineswegs willkürlichen Willen verdeutlicht Gott uns, also den Menschen, seine Liebe (S.80). Der Mensch ist im Unterschied zu allen anderen Geschöpfen nicht „fertig“, sondern Gott hat dem Menschen die Fähigkeit gegeben, dass er selbst mitbestimmen kann. Die Geschöpfe, denen diese Fähigkeit fehlt, sind vom Sein her betrachtet vernunftlose Kreaturen. Das menschliche Sein ist zwar nicht wie das göttliche Sein, „actus purus“ (S. 100), aber dennoch ein verantwortliches. Trotzdem ist der Mensch ein Geschöpf und somit genau wie alles andere geschaffen worden von Gott. Gott ist aktiv geworden und hat alles sichtbare und unsichtbare erschaffen, der Mensch dagegen war in diesem gesamten Prozess völlig passiv (S.93).
Und dennoch ergibt sich ein eklatanter Unterschied zu den anderen Geschöpfen. Wie eben schon angesprochen ist der Mensch von oder durch Gott geschaffen worden, diese Tatsache verbindet den Menschen mit allem anderen, was geschaffen wurde. Der Unterschied ergibt sich nun aber aus der Gottesebenbildlichkeit, weil damit auch impliziert wird, dass der Mensch in und zu Gott geschaffen wurde (S.95). Noch präziser formuliert bedeutet es, dass der Mensch nur in der Beziehung zu Gott zu verstehen ist (S.68). Das menschliche Dasein ist erst mit Sinn und Gehalt gefüllt, wenn Gott mit einbezogen wird (S.99).
Was bedeutet dieses nun aber für den Menschen?
Dabei muss auf zweierlei Perspektiven auf diese Problematik geschaut werden. Einmal ist der Mensch natürlich durch die Erschaffung durch Gott mit ihm verbunden. Gott hat den Menschen erschaffen und somit sind sie nicht voneinander trennbar. Gott musste, wie eben schon einmal erwähnt, wirken, damit alles entstehen konnte. Aber diese Handlung ist keine vergangene, sondern immer wieder gegenwärtig (S.93/94).
Auf der anderen Seite bewirkt die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf natürlich auch eine enorme Distanz. Brunner bezeichnet sie als „größte Unähnlichkeit von zweien“ (S.93).
Die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung wird somit auf keinen Fall aufgehoben, er ist und bleibt auf eine andere Weise Kreatur als die anderen, aber es wird dennoch zu Recht gesagt, dass der Mensch trotzdem als Geschöpf seinem Schöpfer gegenübersteht.
Auch in Bezug auf den „Ratschluß“ der Erwählung gelangt man zu keinem anderen Ergebnis. Außer Frage steht die Tatsache, dass der Mensch aus der Liebe Gottes gemacht wurde, immer in dieser leben wird und natürlich auch zur Liebe geschaffen wurde, sowohl in Bezug auf die Liebe, die der Mensch Gott erwidert, als auch auf die, die er seinen Mitmenschen entgegenbringt, denn erst in der Gemeinschaft kann sich die Liebe auswirken (( S.80). Man muss also sagen, dass die Gemeinschaft eine Voraussetzung für das Menschsein ist (S. 108). Trotz allem ist der Mensch kein göttliches Wesen, und erst Recht hat er keinen Anteil am göttlichen Sein. Gott hat Anteil am menschlichen Sein und dieses verdeutlicht nochmals sehr deutlich, dass der Mensch „nur“ ein Geschöpf ist, welches durch Gottes Willen erwählt wurde (S.80). Mit der Erwählung ist aber Gottes ewige Liebe verbunden, die er den Menschen schenkt.
Die Gottebenbildlichkeit, die schon im ersten Schöpfungsbericht erwähnt ist, ist für den Menschen nur sehr schwer fassbar und war und ist deswegen oftmals Ausgangspunkt für Spekulationen der verschiedensten Art (S.86). Vielmehr soll sich darauf besonnen werden, dass Jesus Christus die Gläubigen durch seine Worte und Taten auf den Ursprung der Ebenbildlichkeit aufmerksam gemacht hat. Gottes Sohn hat den Menschen verdeutlicht, wie ein Leben mit, in und zu Gott aussieht (S.86/87).
2. Das menschliche Sein im und durch das Wort Gottes:
Auf die eben gemachte Äußerung, dass der Mensch nur in Beziehung zu Gott zu erkennen ist, soll nun noch einmal genauer eingegangen werden.
Gott offenbart sich den Menschen durch das Wort (Logos). Der Logos ist die Form der göttlichen Offenbarung, die Form, in der Gott sich den Menschen zu erkennen gibt.
Der christliche Glaube geht somit davon aus, dass der Mensch in seiner Gesamtheit und auch Einzigartigkeit nur durch Gottes Wort erkannt werden kann. Alles was den Menschen ausmacht, was ihn von allen anderen Kreaturen unterscheidet, das wird erst und ausschließlich dann deutlich, wenn man das Sein des Menschen „im Wort und aus dem Wort Gottes“ verstehen lernt.
Diese Erklärung beinhaltet nun aber auch im Umkehrschluss, dass der Mensch durch Versuche, sein Sein ohne den Rückbezug auf das göttliche Wort zu verstehen, immer nur zu Missverständnissen führen kann. Dabei macht Brunner keine Differenzierung zwischen den Gläubigen bzw. den Ungläubigen.
Der Mensch und seine gesamte Vielfalt, die sowohl positive als auch negative Aspekte beinhaltet, wie Schuld und Bestimmung, ist im Gegensatz zu den anderen Geschöpfen eine Seinsform, die Gott antworten m uss bzw. kann. Die menschliche Antwort muss dabei aber als sekundäre Handlung angesehen werden, da Gott als erster Beweger den Grundstein dafür legen musste, dass der Mensch überhaupt in der Lage ist, zu antworten. Der alles schaffende und selbstständige Gott bereitet dem Menschen erst den Weg zu der eigenen Selbstständigkeit. Erst durch das göttliche Wort und das damit verbundene selbstständige menschliche Sein erkennt der Mensch den Sinn und das Ziel im Leben (S.69). Gott, der den Menschen „in Liebe, aus Liebe“ und zur Liebe geschaffen hat, ist stets ein liebendes Gegenüber, der das Wesen und das Sein des Menschen erschaffen hat. Aber erst wer diese Erwählung verstanden hat, wer also weiß, dass Gott immer in Liebe nach dem Menschen ruft, der kann auch antworten(S. 81/99).
Mit der Erwählung und dem göttlichen Ruf sind wieder zwei völlig unterschiedliche Faktoren verbunden. Einerseits macht die Erwählung den Menschen frei von den Gesetzen und Zwängen der Welt, aber andererseits bindet sie ihn an Gott. Diese Bindung zu Gott ist aber nicht als Einschränkung aufzufassen, sondern ganz im Gegenteil als Freiheit. Für den Menschen kann es nämlich keine andere Freiheit geben als die Freiheit der Verantwortlichkeit (S. 80/81).
Nun stellt sich aber die Frage, was mit den Menschen ist, die den Ruf Gottes nicht hören.
Die Menschen, die den Ruf Gottes zur Erwählung nicht hören, hören natürlich nicht auf, verantwortlich zu handeln. Nun muss dabei aber ein genaues Augenmerk auf die Verantwortlichkeit gelegt werden. Sie fällt nicht weg, aber sie wird falsch gedeutet und somit auch falsch umgesetzt. Nur wer Gottes Ruf hört, hat Anteil an Gottes ewiger Liebe und kann sein eigenes Sein in Gottes Liebe verstehen (S. 82). Brunner unterscheidet dabei sehr deutlich das biblische von dem idealistischen Verständnis. Seiner Ansicht nach ist die Verantwortung, die Gott dem Menschen übertragen hat, „Gabe“, „Leben“ und „Gnade“ (S.100)
3. Jesus Christus als Vergegenwärtigung des LOGOS:
Im Folgenden richtet sich der Blick nun auf das Wort Gottes. Wie kann es beispielsweise von dem Menschen verstanden werden?
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war am Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ So ist es nachzulesen im Johannesevangelium 1,1-3 (S.70/ 84).
Das Wort Gottes ist für den Menschen nur verständlich, weil Gott es ihnen offenbart hat. Er hat den Logos sozusagen erweckt, indem er ihn zu Fleisch gemacht hat. Gott hat seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus zum Wort gemacht und somit ist er selber das Wort des Anfangs, welches alles geschaffen hat und ohne das nichts wäre (S.70). Jesus Christus ist nach Kol. 1,15ff von Anfang an bei Gott, aber erst durch seine Präsenz auf der Erde hat der Mensch von der ewigen, göttlichen Erwählung erfahren (S.82). Der Mensch ist durch die Erwählung und Ebenbildlichkeit zu Gott eine besondere Kreatur. Genauer gesagt wurde der Mensch zu einem verantwortlichen Wesen geschaffen. Die Grundlage dieser Verantwortlichkeit ist wieder das göttliche Wort und die Tatsache, dass der Mensch, im Gegensatz zu den anderen Geschöpfen, von diesem Wort weiß (S.76). Dem Menschen ist es gegeben, der Sprache mächtig zu sein. Somit ist Sprache „Ausdruck der Vernunft (S.176). Für das Miteinanderleben ist die Sprache unverzichtbar geworden, so dass sich durchaus sagen lässt, dass der Mensch nicht nur kommunizieren kann, sondern sogar muss. Somit ist sie auch ein Indiz für die menschliche Existenz, die nur funktionieren kann, wenn man in der Gemeinschaft lebt. Nur mit der Sprache kann eine Gesellschaft funktionieren und, was noch viel wichtiger ist, erst in der Gemeinschaft ist der Mensch erst wirklich Mensch. Gott hat den Menschen geschaffen, damit er mit anderen durch die Sprache in Kontakt treten kann. Wie eben schon gesagt, hat auch Gott die Welt mit seinem Wort erschaffen und dem Menschen hat er ebenfalls die Sprache gegeben, damit sie die Welt in seinem Sinn regieren können. Aufgrund dessen können sowohl Vernunft als auch Sprache nur vom Wort Gottes her verstanden werden. Und eben auch die Sprache ist es, die Jesus Christus, als fleischgewordenes Wort, verwendet, um dem Menschen die Verkündigung mitzuteilen (S.176).
4. Die Beziehung zwischen Gottes Ebenbildlichkeit und dem Menschsein:
Der Mensch ist ein Geschöpf, das eine gewisse hierarchische Ordnung besitzt. Er soll, damit er richtig verstanden werden kann, von oben nach unten betrachtet werden. Dabei gibt es nun verschiedenen Ansichten darüber, was als das „Oben“ angesehen werden soll. Im christlichen Glauben ist man sich aber einig darüber, dass das „Oben“ das von Gott kommende liebevolle Wort an den Menschen ist. Denn nur in diesem Wort hat der Mensch seinen Sinn (S.104).
Dabei muss deutlich gesagt werden, dass oftmals fälschlicherweise die menschliche Vernunft als das Höchste angesehen wird. Wie aber eingangs schon erwähnt, ist der Mensch erst durch die Beziehung zu Gott zu verstehen und somit ist natürlich auch die Beziehung zwischen Gott und Mensch „der oberste Punkt in der Hierarchie (S. 104). Aus diesem Grund lässt sich sagen, dass man die Vernunft nur und ausschließlich von der Gottesbeziehung her verstehen kann. Dennoch ist die Vernunft als das „Organ“ des Menschen aufzufassen, dass es ihm ermöglicht, das Wort Gottes überhaupt vernehmen zu können. An diesem Punkt gelang man wieder zu dem göttlichen Gegenüber. Gott hat den Menschen als ein vernünftiges Wesen erschaffen, das
sein Wort empfangen kann. Damit geht die Tatsache einher, dass das Wort Gottes das Höchste ist, was die menschliche Vernunft überhaupt noch erfassen kann. Das vom Menschen empfangene Wort Gottes ist dabei in erster Hinsicht als Geschenk Gottes zu verstehen. Gott teilt sich seinem Gegenüber mit, um ihm Liebe zu schenken und nicht, weil er ihm eine Forderung mitteilen will. Gottes Wille ist es, dass der Mensch sein Sein erkennt, genauer gesagt, dass das Sein nach der „imago dei“ erkannt wird (S. 104/105) . Der Mensch soll verstehen, dass die „imago dei“ ein Geschenk ist, welches ihm ähnliche Hoheitsansprüche verleiht wie Gott und dass er der Auserwählte ist, der Gottes Schöpfungsplan auf Erden fortführen soll (S.489).
Brunner versteht das von Gott ursprünglich geschaffene liebevolle Sein als eine „justitia orginalis“ ( S.105) . Nimmt der Mensch das Geschenk Gottes nicht an, so wendet er sich damit ebenfalls von Gottes Liebe ab. Das Verlieren von Gottes Liebe muss deswegen ganz deutlich als ein Verschulden des Menschen verstanden werden. Das Menschsein ist also vollständig aus dem Sein Gottes zu verstehen und keineswegs aus dem Menschen (S. 106/107). Wie nun aber daraus das Sein des von Gott abgewendeten Menschen verstanden werden muss, ist im Folgenden schon einmal kurz zu klären.
Die Reformatoren führten den Begriff des „imago -Restes“ (S.107/513) ein. Diesem kann aber nicht zugestimmt werden, da er zwei falsche Schlussfolgerungen zulässt.
Erstens wird durch den „imago -Rest“ der Eindruck erweckt, dass es einen Ort im Menschen gibt, der frei von jeglicher Sünde ist. Und zweitens verdeutlicht er nicht, dass gerade in der Sünde des Menschen seine Beziehung als Gottes Gegenüber deutlich wird (S. 107).
Gottes Gegenüber ist dabei nicht ein einzelner verantwortlicher Mensch, sondern die Gesamtheit der Menschen, die Gott gegenüberstehen. Somit wird verdeutlicht, dass die Menschen nicht nur an Gott gebunden sind, sondern auch an die anderen Menschen (S.109). Besonders deutlich wird die Gebundenheit an die anderen mit der Tatsache, dass Gott dem Menschen einen materiellen Leib geschenkt hat. Dieser soll und muss als Grenze zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer und den anderen Menschen verstanden werden. Der Leib schafft also die Distanz zu Gott und verbindet ebenfalls die Menschen in ihrer Angewiesenheit miteinander (S.110). Wie schon Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther (1. Kor.12,26) die Metapher verwendete, dass die Gemeinschaft der Menschen ein Leib mit vielen Gliedern ist, bei dem jedes seine spezifische Rolle einnimmt und ebenfalls jedes Glied (jeder Mensch) unauswechselbar ist (S.140/141), hat Gott den Menschen in und für die verantwortliche Gemeinschaft geschaffen (S.142). Diese Tatsache hat noch weitreichende Folgen, wenn wir uns im Folgenden mit der Sünde beschäftigen.
Wie eingangs schon einmal erwähnt, ist der Mensch Gottes Ebenbild. Gott hat ihn auserwählt und nach seinem Bilde geschaffen und ihn durch das Geschenk seines Geistes in seine Geschichte miteinbezogen. Somit steht der Mensch der Welt als ihr Herrscher gegenüber. Nach Brunner ist der Mensch damit Bürger zweier Welten. Einerseits wurde er nämlich aus der Erde erschaffen (Gen 2,7) und dennoch ist er viel mehr als die Welt, da er durch seinen Geist etwas schafft, wie beispielsweise die Kultur. Der Herrschaftsauftrag, (Gen 1,28) den der Mensch von Gott erhalten hat, lässt keinen Zweifel daran, dass der Mensch sich die Erde untertan machen soll und deswegen darf er sich seiner besondere Stellung unter den anderen Geschöpfen auch bewusst sein. Dieses Bewusstsein muss aber auch beinhalten, dass der Mensch dennoch ein Wesen mit leiblichen Grenzen ist, trotz seiner Fähigkeit Gottes Worte und Liebe empfangen zu können. Dabei ist deutlich zu sagen, dass der Leib des Menschen als etwas Positives angesehen wird, nämlich als eine Art Werkzeug, um Gottes Willen zu erfüllen (S.111/112).
5. Der Widerspruch im Menschen
In den vorangehenden Passagen wurde nun schon einiges über die Verantwortlichkeit des Menschen gesagt. Gott hat dem Menschen diese Verantwortlichkeit übertragen, um der Welt und dem Menschen etwas „Gutes“ zu tun. Jeder Mensch ist sich im Klaren darüber, dass er Verantwortlichkeit besitzt. Warum und wie er damit umgehen soll, sollte zwar jeder wissen, aber nun tritt eine Konsequenz aus der Verantwortlichkeit des Menschen hervor. Nur wer Verantwortlichkeit besitzt, der kann auch zum Sünder werden (S.76/131).
Was genau ist aber in diesem Zusammenhang das „Gute“ und wie sieht im Gegensatz dazu das „Böse“ aus?
Brunner definiert das Gute als etwas, das „das Leben fördert“ und das Böse als etwas, „was das Leben hemmt, verdirbt oder zerstört“ (S.117). Diese beiden Begriffe sind aber immer an die Verantwortlichkeit des Menschen gekoppelt. Das „Böse“ ist demnach die negative Umkehrung der eigentlichen menschlichen Verantwortung.
Der Mensch wendet sich also gegen seine eigentliche Bestimmung, die ihm durch Gottes Wort zugetragen wurde. Dadurch entsteht ein Widerspruch zwischen dem wahren Heilsplan Gottes und der Wirklichkeit, die der Mensch durch sein Verhalten selber bestimmt (S.116). In diesem Fall gibt es auch keine Entschuldigung für den Menschen, beispielsweise, dass er unbewusst etwas getan hat. Jede Handlung des Menschen muss er auch selber verantworten können, egal, ob ihm die Tragweite seiner Schuld bewusst war oder nicht.
Wie kommt es nun aber dazu diesem Widerspruch?
Schon der Südenfall in Genesis 3 liefert darauf eine Antwort. Der Mensch will durch den Verzehr der Frucht vom Baum der Erkenntnis so sein wie Gott. Er will frei sein und sich von Gott lösen (ex manu Dei). Es findet also ein Ablösungsprozess statt, ähnlich wie er, natürlich in viel schwächerer Form, bei Eltern und Kindern vorzufinden ist (S.130). Der Mensch strebt nach der Freiheit, übersieht aber dabei, dass es wahre Freiheit nur in der Beziehung zu Gott geben kann.
Die Spitze des Menschen, wenn man nur den Menschen betrachtet, ist das eigene Ich. Aber dabei muss berücksichtigt werden, dass der Mensch sein wahres Ich und den Sinn seines Seins erst aus der Beziehung mit Gott erhält. Darum ist das eigene Ich auch wieder in seiner Ganzheit durch das göttliche Gegenüber geprägt (S.104). Dennoch wird oftmals angenommen, besonders im nichtchristlichen Bereich, dass der Mensch ein eigenständiges Vernunftwesen ist, welches sein Leben und sein Sein vollständig aus eigenen Kräften bestimmen kann. Die Vernunft wird nicht mehr als etwas von Gott Abhängiges betrachtet und genau das ist der Grundfehler dieser Vorstellung (S.111). Denn auch die Vernunft ist von Gott geschaffen, so wie ebenfalls alle Seinsstrukturen (S.521).
Dem Menschen genügt es nicht, in der göttlichen Wirklichkeit durch Gott geborgen zu sein, er will auf einer Stufe mit ihm stehen. Er will selber denken und nicht nur die Worte Gottes empfangen, er ist vermessen genug um anzunehmen, dass er sich von Gott lösen kann, um selber sein Mittelpunkt zu sein (S.131/132). Zuzufügen ist aber, dass nach der biblischen Ansicht das Böse des Menschen immer eine „positive Negation“ (S.132) darstellt, da immer ein Hauch Entscheidung des Menschen und nicht nur Negatives mit beteiligt ist.
Die christliche Lehre macht den Menschen aber für das Negative selber verantwortlich. Nach der griechisch-philosophischen Auffassung ist das Böse, welches der Mensch begeht, immer eine Schwäche seiner Natur. Die Bibel dagegen entschuldigt den Menschen in keinerlei Hinsicht, er ist und bleibt in der Sünde unentschuldbar. Der Mensch führt die Sünde allerdings nicht in die Welt ein, dafür ist er auch nicht mächtig genug. Bei der Sünde wird für eine kurze Zeit ein Gefühl im Menschen wachgerufen, das ihm den Eindruck vermittelt, dass er alleine mit dem Vertrauen zu Gott sein Leben nicht meistern kann. Es entsteht der Eindruck, dass jeder Mensch besser alleine für seine Belange sorgen kann und somit Gott aus den verschiedensten Gründen verworfen wird. Keiner kann die Sünde wirklich und vollständig erklären und genau das ist ihr ausschlaggebendes Kriterium. „Nur wer verstanden hat, daß die Sünde unerklärlich ist, weiß, was sie ist“ (S.133). Wir wissen nur eines von ihr und zwar, dass wir alleine für sie verantwortlich sind und eben dieses hat uns Gott durch seinen Sohn verdeutlicht (S.132/133).
Gottes Ebenbildlichkeit wird für den Menschen zum Ausgangspunkt seiner Sünde. Nur der von Gott geschenkte und mit der Fähigkeit zu eigenen Entscheidungen ausgestattete Geist befähigt den Menschen zur Sünde. Dennoch zeigt sich trotz der negativen Verantwortlichkeit gerade in der Sünde die Größe des Menschen: Kein anderes Geschöpf ist in der Lage zu sündigen. Die exponierte Stellung des Menschen in der Schöpfung wird ihm also zur Versuchung. Das Geschöpf will dem Schöpfer in nichts nachstehen und übersieht dabei, dass dies die liebevolle Beziehung zu Gott irreparabel zerstört (S.134). Brunner nennt diese Tatsache die „Sehnsucht nach dem Vollkommenen“ (S.175).
Der Mensch hat sich durch seine Sünde gegen Gott gestellt und aus dem „Miteinander und Füreinander“ ein „Widereinander“ (S.168) gemacht. Ebenso ist der Mensch zu einem Geschöpf geworden, welches den göttlichen Schöpfungsbestimmungen widerspricht und sich ständig gegen Gott auflehnt (S.168/169).
Der Mensch hat weiterhin eine Beziehung zu Gott, aber diese ist nun negativ zu verstehen, genauso wie die Verantwortlichkeit des Menschen zum Negativen verkehrt wird. Der liebevolle Gott ist nun zu einem zornigen geworden und der Mensch ist sich darüber sogar im Klaren. Adam spricht zu Gott, dass er ihn nun, nach dem Verzehr der Frucht vom Baum der Erkenntnis, fürchtet (Gen 3,10). Die Furcht beginnt also als schlechtes Gewissen. Adam, genauso wie jeder andere Sünder, spürt plötzlich die gottferne Distanz, die entstanden ist.
Das schlechte Gewissen ist dabei aber keine bloße Einbildung des Menschen, sondern eine Konsequenz, die Gott aus dem Verhalten des Sünders ziehen muss. Der Mensch hat seine „imago“ zerstört, sie existiert zwar noch, aber in einer falschen Weise. Alles, was Gott dem Menschen geschenkt hat, die Liebe, das Sein und die Gemeinschaft, sind nun negativ behaftet und somit verkehrt worden (S.137). Brunner formuliert die Veränderung des Menschen folgendermaßen: „Das Menschliche als Form, als Struktur - nämlich als verantwortliches Sein- ist geblieben, das Menschliche als Inhalt, nämlich als Sein in Liebe, ist verloren“ (S.170). Die Schuld des Menschen und die Konsequenz Gottes sind dabei immer währende Tatsachen, die den Sünder fortan verfolgen werden und die nicht mehr ungeschehen gemacht werden können (Joh.8,34) (S.135/136).
Der Mensch ist nun der Mittelpunkt seiner selbst und dies wirkt sich auch auf die Gemeinschaft und die Liebe aus. Trotz der Sünde bleibt der Mensch ein Gemeinschaftswesen und er lebt auch in, mit und durch die Liebe seiner Mitmenschen. Dennoch ist auch diese Liebe und Gemeinschaft nicht mehr so wie jene vor der Sünde, sondern vielmehr nun auch behaftet mit dem Egoismus jedes Einzelnen (S.140).
Die eben schon angesprochene Gemeinschaft der Menschen in und durch Gottes Wort bleibt natürlich auch in der Sünde erhalten, nur mit dem Unterschied, dass nun das solidarische Miteinander geleugnet und dem anderen die Schuld gegeben wird.
Durch Jesus Christus wird dem Menschen dieser Solidaritätsbruch noch einmal deutlich vor Augen geführt. Gottes Sohn, der frei von jeglicher Sünde war, distanziert sich nicht von der Sünde und zeigt so dem Menschen das eigentlich wahre Menschsein (S.142/143).
6. Auswirkungen der Sünde auf den Menschen:
6.1. Des Menschen böses Gewissen:
In der Sünde, die erst richtig verstanden werden kann, wenn man sich die Differenz zwischen der in der Schöpfung festgelegten Ordnung Gottes und der nun vorherrschenden sündigen Welt anschaut (S.512), gibt der von Gott geliebte Mensch keine Liebe zurück. Dennoch kann nicht davon gesprochen werden, dass der Wille Gottes vollends vernichtet wird. Vielmehr wird der Schöpferwille verkehrt. Die Verantwortlichkeit des Menschen wird durch die Sünde auf einen anderen Schwerpunkt gelenkt. Aus dem Sein aus Gottes Liebe wird ein Sein unter den göttlichen Gesetzen. Der Mensch kann also auch in der Sünde nicht anders verstanden werden als als Gottes Gegenüber (S.107/108).
Diese Tatsache ist aber dem sündigen Menschen nicht bewusst. In seinem Mittelpunkt existiert nur noch das eigene Ich. Aus diesem Grund kann sich der Mensch auch nicht mehr in seiner Gesamtheit verstehen (S. 188). Die einzige Konsequenz, die sich daraus ergeben kann, ist, dass man nun versucht, die Auffassung vom Menschen anders zu erklären als mit Gottes Liebe und Wort. Der Idealismus und der Materialismus haben diesen Versuch in den letzten Jahrtausenden mit den unterschiedlichsten Modellen angestellt. Beiden muss aber zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die Verantwortlichkeit nicht beachten und den Menschen immer nur als etwas Unpersönliches ansehen. Ob nun vom Geist her oder von der Natur, das Resultat dieser Versuche bleibt dennoch unzufriedenstellend (S.189/190). Es liegt nun in der menschlichen Natur, sich künstliche Erklärungsmodelle zu schaffen, um den innerlichen Widerspruch zu bekämpfen bzw. ihn zu schließen. Durch die Sünde ist, wie schon einmal erwähnt, die Angst in das Leben des Menschen getreten. Gott, der vorher ein liebevolles Gegenüber war, ist nun ein zorniges. Die Angst wird somit zu einem Grundzustand des Menschen in der Sünde (S.194). Vielen ist dabei gar nicht bewusst, unter welchen Ängsten sie leiden. Ihre Handlungen verraten sie aber. Der Mensch sucht ein Leben lang nach einer Sicherung, oder einem Fundament, auf das er sein Leben bauen kann. Die Heimatlosigkeit bleibt aber eine ständige Konstante im Leben jedes Einzelnen. Die Seele findet einfach keine Ruhe, Angst und Sehnsucht sind immer präsent, solange der Mensch lebt (S. 194). Es wird mit den unterschiedlichsten Mitteln versucht, dieser Konstante, wenn auch nur für einen kurzen Moment, zu entkommen. Beispielsweise durch „sich einfach mal die Zeit“, die ein „Grundelement unserer Existenz“ ist, zu vertreiben (S. 196).
Plato hat diese Sehnsucht des Menschen erkannt, auch wenn er ihr zu viel zugetraut hat. Dennoch ist zu sagen, dass der Mensch der geschlechtlichen Liebe ein Leben lang zu viel Bedeutung beimisst. Er sucht in ihr die Liebe, die im neuen Testament offenbart wird, findet sie aber nicht und deswegen bleibt die geschlechtliche Liebe immer eine den Menschen nicht füllende Sehnsucht, von der er trotz allem nicht lassen kann (S.196/197).
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- Arbeit zitieren
- Swenja Willecke (Autor:in), 2008, Emil Brunners Lehre von der Sünde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135797
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