Musikalische Rhetorik im 15. und 16. Jahrhundert


Term Paper, 2002

22 Pages, Grade: 1,4


Excerpt


Humanismus, Antikenrezeption und die musikalische Rhetorik

1. Die Ausgangssituation

Die „musikalische Rede“ der Musik des 15. und 16. Jahrhunderts scheint ein humanistisches Phänomen darzustellen1, welches unmittelbar mit den grundsätzlichen, in der Renaissance stark rezipierten, Ideen des Humanismus und der damit verbundenen Antikenrezeption dieser Zeit (mit besonderem Augenmerk auf die Rhetorik, als die führende Wissenschaft) in Verbindung stand.

Die folgende Arbeit soll einen Versuch darstellen, diese grundsätzlichen Strömungen und Ideen aufzuzeigen und sie anhand eines konkreten Beispiels von Orlando di Lasso - dessen Ouevre stellt das am stärksten rezipierte Material für die Theoriebildung und Ordnungsprinzipien der musikalischen Rhetorik im 17. Jahrhundert dar - genauer beleuchten.

Bei der Behandlung dieses Themenkomplexes stellt sich die Frage, ob Musik und Rhetorik auf einer so engen Ebene miteinander verknüpft sind, daß man von einer „Renaissance“ in der Musik sprechen kann2.

2. Die Renaissance als Epochenbegriff – Strömungen der Zeit, Verwendung des Begriffs in der Historiographie.

Der Begriff Renaissance gehört heute zu den wichtigsten und dominierendsten Begriffen der Kulturgeschichtsschreibung, obwohl zahlreiche Kritikpunkte und unterschiedliche Meinungen zu diesem kulturellen Phänomen, welches man auch mit dem Begriff des Humanismus zu fassen versucht (obwohl beide Begriffe nicht kongruent zueinander verwendet werden sollten) in der wissenschaftlichen Diskussion zu finden sind.

Renaissance taucht als Epochenbegriff erstmals bei Jules Michelet in seiner „Historie de la France“3 auf, der eigentliche Sinn des Wortes wird jedoch erst 1860 von Jacob Burckhardt in seiner „Cultur der Renaissance“4 verwendet, welcher dort die bis heute verwendete Definition des Begriffes, als die Wende zur Neuzeit, die Wiedergeburt der Antike (was auch den negativ konnotierten Begriff „Mittelalter“ hervorrief) einführte; diese Definition hat sich abseits der Mediävistik, welche versucht, gerade dieses Vorurteil eines Mittelalters abzuschwächen und die Kontinuitäten innerhalb der Entwicklung von der Antike zur Neuzeit darzustellen, bis heute in der Historiographie gehalten.

In die Musikgeschichtsschreibung fand der Begriff Renaissance sehr schnell Einzug. Seit A.W. Ambros in seiner Musikgeschichte5 den Begriff synonym für die Musik des späten 15. und 16. Jahrhunderts einführte, hat sich dieser, zum Teil neben, zum Teil auch in Verbindung mit dem Terminus Humanismus verwendete Begriff auch in der Musikgeschichtsschreibung etabliert, obwohl es im Bereich der kulturgeschichtlichen Forschung seit spätestens 1960 immer wieder den Versuch gibt, den Begriff Renaissance, der wohl wie wenige Begriffe auch ideologisch behaftet ist, abzuschwächen.

Nichtdestotrotz werde ich in dieser Arbeit den Begriff Renaissance als Oberbegriff stehen lassen, da er auf einer breiteren Ebene als der Begriff Humanismus die Tendenzen der kulturellen Entwicklung seiner Zeit zu beschreiben scheint.

Der Begriff Humanismus, welcher im 19. Jahrhundert quasi zeitgleich zum Begriff der Renaissance eingeführt wurde, beschrieb, neben den von Burckhardt definierten Rahmenbedingungen, wie „Der Staats als Kunstwerk“ oder die Ideen der Prachtentfaltung, der Repräsentation, der Gewaltherrschaft, etc. im stärkeren Maße die auch von Burckhardt definierte Idee der „Entdeckung der Welt und des Menschen“.

Humanismus beschrieb dabei in erster Linie die Tätigkeit einer definierten Gruppe von Gelehrten, welche sich den sog. studia humanitatis widmeten, also den klassischen „artes dicendi“ des Triviums, Rhetorik, Grammatik und Dialektik, und den Fragen der Geschichte und der Ethik verpflichtet waren. Die Grundlage der studia humanitatis bildeten antike Texte, die auf die oben genannten, erweiterten Themen des Triviums untersucht wurden. Der starke Einfluß der von diesen Untersuchungen ausging, hatte Auswirkungen auf die Geistesgeschichte der Renaissance, welche sich verstärkt mit Fragen der Literatur, der Künste, der Ästhetik, der Politik und auch der Philosophie auseinandersetzte.

Anhand dieses kurzen Vergleichs zwischen dem Begriffspaar Humanismus und Renaissance zeigt sich eine Entwicklung, die sich bis heute als relevant für diese beiden Begriffe herausgebildet hat. Der Begriff Renaissance hat seit Burckhardt eine Entwicklung vollzogen, welche den eigentlichen Bedeutungssinn von Renaissance als Beschreibung der Kultur des 15. und 16. Jahrhunderts abgeschwächt hat; dieser beschreibt in der heutigen Forschung in erster Linie künstlerische Äußerungen dieser Zeit. Der Begriff Humanismus hat sich auf den Gebieten der Kulturforschung außerhalb der engen Definition Renaissance etabliert.

Für die Musikhistoriographie ergibt sich daraus ein relevantes Problem. Musik als künstlerische Äußerung scheint sich eher dem Begriff Renaissance unterzuordnen, während die theoretischen Äußerungen zur Musik dieser Zeit, welche jedoch aufs Stärkste auch mit der praktischen Ausarbeitung der Werke verknüpft sind, eher dem Begriff Humanismus untergeordnet werden.

Die musikalische Rhetorik, im 15. und 16. Jahrhundert unter dem Begriff musica poetica definiert, zeigt dieses Dilemma deutlich: zum einen gibt es die theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Rhetorik in der Musik, zum anderen sind natürlich die Figuren, welche die praktische Umsetzung der Rhetorik darstellen, aus einem Kontext erwachsen, der nicht rein rhetorisch und theoretisch bedingt ist, sondern auf Entwicklungen aufbaute, die abseits der Theorie schon vor deren Definition (z.B. bei Burmeister) existierten.

3. Musikalische Rhetorik – Entwicklung und Definition

Das Studium der antiken Literatur, welche die Grundlage des humanistischen Gedankengebäudes darstellte, hatte seit jeher einen immanent musikalischen Aspekt. Die griechische Musik, deren exakte musikalische Ausgestaltung zwar verloren, deren theoretische Äußerung und deren dichterische Umsetzung jedoch erhalten geblieben war, bot eine Grundlage für das Verstehen der grundsätzlichen Gemeinsamkeit von Musik und Sprache und somit auch der Rhetorik. Die antike, hier besonders die griechische Musiktheorie und die konkreten Verwendungsmöglichkeiten in der zeitgenössischen Musik waren für die Theoretiker der Zeit von größerem Interesse.

Musik und Sprache galten schon in der griechischen Antike als verwandte Künste und standen auf einer gemeinsam ästhetischen Grundlage. Die Verbindung beider, wie auch schon von den humanistischen Forschern festgestellt wurde, galt als höchste Stufe der Kunstäußerung. Die homerischen Epen, deren Gliederung gesanglich orientiert zu sein scheint, wurden demnach musikalisiert aufgeführt und wahrscheinlich sogar instrumental begleitet. Der Dichter-Sänger als eine der höchsten Autoritäten der Kunstdarbietung, war auch gleichzeitig Dichter-Komponist und wurde in der klassischen Literatur auch als solcher rezipiert und als Bringer von Ethik definiert (z.B. Platon, Quintillian, Plutarch, Aristoteles)– die enge Verknüpfung von Musik und Sprache zeigt sich auch hier deutlich: Sowohl Musik als auch Sprache (Musik in stärkerem Maße) sind nach der diesen Autoren in der Lage, Affekte darzustellen und diese zudem im Hörer wecken zu können. Diese Möglichkeit der Musik wurde von den Theoretikern immer im besonderen betont und fand ihren Anklang dann auch in den humanistischen Forschungen der Renaissance.

3.1. Die musikalische Rhetorik in der prähumanistischen Zeit.

Ausgehend von den oben dargestellten Grundlagen möchte ich im Folgenden versuchen, einen kurzen Abriß über die Entwicklung der Musiktheorie, welche ja, wie gesagt, eng mit der praktischen Ausübung der Musik verbunden war, darzustellen.

Als Grundlage für die Frage der musikalischen Rhetorik sei hier festgehalten, daß die relevanteste Entwicklung der Musiktheorie des Humanismus die Umdeutung der Wissenschaft musica war. Die mittelalterliche Musikforschung war in erster Linie an zwei grundsätzlichen Fragestellungen interessiert: zum einen die musikalisch-astronomischen Grundlagen der Musik und zum anderen, die Frage nach dem ethischen Einfluß der Musik. Diese wurde im Mittelalter freilich auf die ethischen Grundsätze der christlichen Kirche umgedeutet. Die relevanten Fragen der Musikforschung blieben jedoch in erster Linie die rein mathematischen Fragen (Stichwort Boethius und seine Sphärenharmonie), obwohl es, allerdings recht selten auch prähumanistische Ansätze in der Musikforschung gab, welche sich aber mit den rhetorischen Fragen und der Verbindung zwischen Musik und Sprache nicht auseinandersetzten.

Die Fragen nach Rhetorik und der ethischen Wirkung dieser Wissenschaft wurde innerhalb des Triviums betrieben; dort wurde sich traditionell nicht mit Fragen der Musik, die fest in das Quadrivium verankert war, auseinandergesetzt. Man sah zwar, daß die Musik sprachliche Elemente in sich trug, diese fanden auch z.B. ihren Ausdruck in der Gestaltung des gregorianischen Chorals, doch Ideen, wie diese direkt aus der Rhetorik übernommen werden konnten (z.B. die Ausarbeitung einer musikalischen Rede oder auch die Verwendung von rhetorischen Figuren als Mittel des Ausdruck der Sprache Musik) fanden noch keinen Anklang.

In der frühen Mehrstimmigkeit zeigen sich erste Anzeichen einer musikalisch-rhetorischen Grundlage für die späteren Kompositionen. Es gibt zwar noch keine stark ausgeprägte theoretische Grundlage für die rhetorische Ausgestaltung bestimmter Textinhalte, doch zeigen sich schon Tendenzen, Textstellen, welche die Aussage der Komposition unterstreichen, besonders zu betonen, bzw. festgelegte Modi für eine bestimmte Textaussage zu verwenden (Stichwort: Subjekterfindung für bestimmte Texte, die sich aus dem Modus ergeben).

3.2. Die Umdeutung der Musiktheorie in der Renaissance.

Als sich ab dem 14. Jahrhundert die Quellenlage der musiktheoretischen und auch rhetorischen Schriften der Antike veränderte, wurde immer stärker die Verbindung zwischen Musik und Sprache als ein relevantes (und auch für die Bildung des Menschen bedeutungsvolles) Feld der Forschung erkannt.

Zu dieser Zeit entwickelt sich die Tendenz, bewußt auf die textliche Grundlage einzugehen und die Vertonung an diesen auszurichten, wobei für diese Praxis besonders weltliche Texte herangezogen wurden, ohne dabei den Textgehalt bestimmter geistlicher Grundlagen ganz auszuklammern.

Eine der ersten musikalisch-rhetorischen Figuren, auf deren Beschaffenheit ich weiter unten eingehen werden, war das Noema, eine homorhythmische Deklamation eines bestimmten Textabschnittes, die im Sinne der rhetorischen Noema (eben als sprachliche Figur der Verdeutlichung) angewandt wurde. Zudem finden sich nun auch schon „motivische“ Figuren (Chromatismen, „dissonante“ Klänge) zur Verdeutlichung eines Textgehalts.

Im 15. Jahrhundert entwickelt sich das Verhältnis zwischen Wort und Musik weiter aus und festigt sich. Hierbei spielte nun die oben schon angerissene stärkere Beachtung und vor allem Kenntnis der antiken Quellen eine Rolle. Die theoretische Erfassung bestimmter rhetorischer Abläufe wurde nun auf die Musik im Sinne der humanistischen Deutung auch zeitgenössischer Texte übertragen, wie zum Beispiel die Forderung Ciceros (Orator), den orator perfectus als Ideal zu postulieren, der durch seine Redekunst, anhand seiner umfassenden Bildung und seines ethischen Bewußtseins in der Lage ist, den vir bonus hervorzubringen.

Von besonderer Bedeutung war hierbei die schon bei den Griechen postulierte Fähigkeit der Sprache (und somit auch der Musik), nicht nur Affeke darstellen, sondern diese beim Hörer auch wecken zu können, die ethische Aufgabe der Musik (eben die Idee der Läuterung z.B.) trat immer mehr in den Vordergrund. Quellen aus dem 16. Jahrhundert verweisen auf die Wirkung der Musik; besonders Werke von Josquin oder Lasso wurden auf ihre Fähigkeit hin, „Erschütterung“ erzeugen zu können, untersucht (z.B. Zarlino). Hierbei wird besonders auch die Verbindung zur Rhetorik verwiesen (z. B. die Forderung, daß die Musik der oratione zu folgen hätte). Diese Idee der Einwirkung von Musik auf den Menschen führte so weit, daß sich in der humanistischen Forschung Tendenzen und Lehrmeinungen auffinden lassen, welche postulieren, daß die Musik nicht nur Einfluß auf die Psyche hätte, sondern darüber hinaus (basierend auf den Ordnungen des Menschen, wie Säfte, Pulsschlag, etc), Einwirkungen auf den Körper habe.

[...]


1 Mir ist wohl bewußt, daß sich auch in den späteren Jahrhunderten (ja bis in unsere Zeit) das Phänomen der "„musikalischen Rhetorik auffinden läßt, deren Beginn bzw. die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Prinzipien der Sprache und der Verwendung von bestimmten Mustern zur Gliederung derselben, liegt jedoch in der oben genannten Periode.

2 Diese wird jedoch in der Forschung auf häufig anders definiert; nämlich als die Entdeckung der Prinzipien der Malerei auf die Musik. Damit ist gemeint, daß sich die Prinzipien der Malerei der Renaissance – die Entdeckung der dritten Dimension – auch auf die Musik ausgewirkt hätten. Die Bildung von bewußten Klangzusammenhängen, die Erweiterung der strikten Zweistimmigkeit zur Akkordik, die Schaffung von Höhen und Tiefen (um nur einige der Elemente zu nennen, welche herangezogen werden, um die Musik der Renaissance zu definieren), spielen in dieser Arbeit keine Rolle, die Idee der Antikenrezeption und die Anwendung humanistischer Redeprinzipien soll hier im Vordergrund stehen.

3 Michelet, Jules : Histoire de France, 1833-67

4 Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien (1860), Stuttgart, 1985

5 Ambroš, August Wilhelm: Die Geschichte der Musik 3 Bände Breslau, 1862-1868

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Details

Title
Musikalische Rhetorik im 15. und 16. Jahrhundert
College
University of Frankfurt (Main)  (Musikwissenschaftliches Institut)
Course
Motettische Kunst des 16. Jhds.
Grade
1,4
Author
Year
2002
Pages
22
Catalog Number
V1351174
ISBN (eBook)
9783346861702
ISBN (Book)
9783346861719
Language
German
Keywords
Renaissance, Motette, Humanismus, Antikenrezeption, musikalische Rhetorik, Rhetorik, Jacob Burckhardt, Orlando di Lasso, Burmeister
Quote paper
Stefan Wolkenfeld (Author), 2002, Musikalische Rhetorik im 15. und 16. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1351174

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