Konsumkritik anhand der "Ethik des Klimawandels" von Christian Seidel und Dominic Roser

Der Rückzug ins Private und seine Folgen


Academic Paper, 2020

10 Pages, Grade: 2,0

T. Schaub (Author)


Excerpt


Konsumkritik: Der Rückzug ins Private und seine Folgen Ein Essay

Rekapitulation des Primärtextes

Diese Arbeit handeltvon dem Buch „Ethik des Klimawandels: Eine Einführung“ von Christian Seidel und Dominic Roser1 und wird wichtige Gedankengänge aus Kapitel 17 zusammenfassen und dabei sozialphilosophische Ansätze von Ludger Heidbrink et al.2 einbringen, um eine Schlüsselstelle genauer beleuchten zu können. Die Autoren beschreiben in dem Kapitel „Was tun, wenn andere ihren Beitrag nicht leisten“ einführend die gegenwärtigen Diskussionen rund um die Klimaethik, ohne direkt eine bestimme normative utilitaristische, tugendethische oder deontologische Haltung einzunehmen. Dies werde ich auf utilitaristischer Weise jedoch anschließend vornehmen.

Der Fokus auf den Konsumenten ist bei diesem Buchabschnitt zweitrangig und stattdessen wird in einem ersten Schritt die Frage nach der Gerechtigkeit in der Klimadebatte genauer analysiert. Dabei werden die jeweiligen Akteure/Akteurinnen benannt, denen bei der Bekämpfung und den Folgen des Klimawandels jeweils unrecht widerfährt, und es werden darauffiin mögliche Konsequenzen für die übrigen Akteure/Akteurinnen ermittelt. Roser und Seidel versuchen, eine Antwort zu finden, wie man gerecht agiert, wenn andere ihre Pflichten nicht erfüllen und Unrecht zulassen. Die Autoren bezeichnen dieses Themengebiet als nicht-ideale Gerechtigkeitstheorie, da es eben nicht um die Entwicklung einer gerechten Welt geht, sondern um das gerechte Verhalten innerhalb einer ungerechten Umgebung. Dabei unterscheiden sie zwischen einer ansteigenden, verminderten oder gleichbleibenden Ausgleichspflicht, die sich für einen Akteur/eine Akteurin ergibt, wenn andere ihren Pflichten nicht nachkommen.

Um darzustellen, welche Form von Ausgleichspflicht bei der Klimaethik vorliegt, führen die Autoren das Beispiel eines im Teich ertrinkenden Kindes an. Stehen zwei Akteure vor dem Teich und entscheidet sich nur einer zu helfen, so verdoppelt sich die Pflicht für den anderen. Es handelt sich hierbei um eine existenzielle, lebensbedrohliche Situation unbeteiligter Dritter. Dem gegenüber stellen sie das weitere Beispiel einer Wohngemeinschaft, bei der sich die Ausgleichspflichten für Akteur A hingegen verringern, wenn andere Mitbewohner ihren Haushaltspflicht nicht nachkommen. Es gibt keine unbeteiligten Dritten und lebensbedrohlich ist diese Situation auch nicht. Das zweite Beispiel triffi deshalb nicht auf die Klimadebatte zu.

Roser und Seidel wenden ihre Überlegungen nun an der Klimadebatte an und stellen fest, dass es zwischen zwei gerechtigkeitsrelevanten Aspekten abzuwägen gilt, sobald unbeteiligte Dritte im Spiel sind: einerseits der gerechten Lastenverteilung zwischen den Staaten und Individuen, welche den Dritten pflichtgemäß helfen müssen und andererseits dem Ausmaß dieser Last angesichts des Leids unbeteiligter Dritter bzw. dem Wohl zukünftiger Menschen. Auf internationaler Ebene dienen hier die EU und die USA als Beispiele zweier Akteure. Rosa und Seidel unterscheiden allerdings nur zwischen intergenerationellen Pflichten und intragenerationellen Pflichten. Was fehlt, ist an dieser Stelle eine zusätzliche Unterscheidung innerhalb der intragenerationellen Pflichten: da es z.B. auch unbeteiligte Dritte innerhalb einer Generation gibt, denen eine existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel zukommt. Es kommt somit noch ein dritter gerechtigkeitsrelevanter Aspekt hinzukommt, angesichts der bereits gegenwärtig durch den Klimawandel existenziell Betroffenen.

In einem nächsten Schritt betrachten die Autoren die individuelle Konsumenten-Ethik unter der Leitfrage, ob „individueller Klimaschutz wirkungslos“ ist.

Einen moralischen Mehrwert abseits der Wirkungen können sie von vornherein im Sinne einer Tugend- und Gesinnungsethik festlegen, welche allein auf die Haltung und Motivation hinter einer Handlung fokussiert und dort bereits moralischen Wert zu- oder abspricht. Die bloße Absicht ist in einer deontologischen Theorie von großen Stellenwert, wobei all diese ethischen Perspektiven von einer metaethischen Position in die Zange genommen werden, sofern sich immer die Frage stellen lässt: Hätte ich das wissen sollen? . Eine unabsichtliche Wirkung bzw. Wirkungen, die nicht von unserer tugendethischen Haltung aus beabsichtigt war(en), liegt ein zumeist mangelhafter Wissensstand zugrunde. Abseits davon, dass ein moralisch handelnder Akteur/eine moralisch handelnde Akteurin die Pflicht hat, sich über mögliche Folgeschäden seiner Handlungen zu informieren, trägt er/sie zusätzlich auch die Verantwortung, die Wissensquellen zu verifizieren und unsichere Quellen zu hinterfragen. Corinna Mieth spricht hierbei von einer epistemischen Überforderung des Verbrauchers3.

Die Autoren beantworten jene Frage nach der Wirksamkeit von individuellem Handeln zunächst mit einem simplen Gedankengang ohne weiteren Tiefgang: Beim Klimawandel geht es um eine Klimaerwärmung, welche durch CO2 und andere Treibgase verstärkt wird. Diese verstärken den Treibhauseffekt innerhalb der Erdatmosphäre und führen zu klimatischen Veränderungen mit schwerwiegenden Folgen. Die Gesamtmenge an ausgestoßenem CO2 ist hierbei Hauptverursacher und es kann nicht jede individuelle Teilmenge unwirksam sein, wenn gleichzeitig die Gesamtmenge an CO2 eine negative Wirkung auf die Erderwärmung hat.

Interessanter wird es dann, wenn die Autoren die Frage der Unwirksamkeit individuellen Handelns in Anbetracht von Rückkopplungseffekten untersuchen. Dabei behalten die Autoren die angenommene Wirksamkeit des individuellen Handelns bei und stellen sie nun aufgrund etwaiger Rückkopplungseffekte auf den Prüfungsstand. Hierzu nennen die Autoren zwei sehr bedenkenswerte negative Effekte auf internationaler Ebene: (1) Beim Carbon Leakage wandern Firmen aus einem Land mit hohen CO2 Steuern ab und betreiben ihr klimaschädliches Gewerbe unkontrolliert in anderen Ländern ohne CO2 Steuer; (2) sinkt die Ölnachfrage in einem Land, dann kann der Preis auf dem Weltmarkt sinken und zu einem erhöhten weltweiten Verbrauch führen. Die Rückkopplungseffekte stellen die Gerechtigkeitstheorie der Autoren auf die Probe, aber entlassen die Akteure und Akteurinnen dennoch nicht aus ihrer nunmehr verstärkten Ausgleichspflicht. Vielmehr obliegt es nun dem Akteur/der Akteurin, Wege zu finden, um dieser Rückkopplung entgegen zu wirken oder diese auf anderem Wege zu umgehen.

Auch positive Rückkopplungseffekte zählen die Autoren auf: die Vorbild-Funktion und die Kostensenkung für saubere Technologie4. Die Schlussfolgerung vom Roser und Seidel lautet: „Damit ein einseitiger Klimaschutz eines Akteurs als wirkungslos - oder sogar schädlich - bezeichnet werden könnte, müssten die negativen Rückkopplungseffekte sowohl den direkten Effekt seiner Klimaschutzmaßnahmen als auch die positiven Rückkopplungseffekte überwiegen“5. Im weiteren Fortgang nennen die Autoren eine mögliche moralische Überforderung angesichts des Ausmaßes an Ausgleichspflichten im Zuge der Vernachlässigung intergenerationeller Gerechtigkeit zugunsten zukünftiger Generationen. „Die Rechte der heutigen Generation setzen den Klimaschutzpflichten zwar gewisse Schranken“6, aber die Grenze zwischen notwendigen

Emissionen und Luxusemissionen ist auch für die beiden Autoren schwammig.

Roser und Seidel enttäuschen dabei auf individueller Ebene mit einem Vorschlag, der eine Beibehaltung des Lebensstandards vorsieht, sofern eine Ausgleichszahlung getätigt wird. Dagegen scheint es sich nach den Autoren auf staatlicher Ebene viel leichter mit der Problematik der moralischen Überforderung umzugehen: Hier nennen die Autoren staatlich implementierte Maßnahmen, die keine großen Einschnitte bedeuten müssen. Ein Staat sollte so viel unternehmen, wie er für die kommenden Generationen kann, ohne dabei aber die Grundrechte der aktuellen Generation unverhältnismäßig stark einzuschränken. Im Begleittext hat Prof. Dr. Christian Seidel7 auch den Aspekt der Unparteilichkeit gegenüber zukünftigen Generationen hervorgehoben, welcher eine Bevorzugung der Gegenwart verhindern soll.

Wo die Lebensverhältnisse anzusetzen sind, vermögen Roser und Seidel nicht zu sagen. Allerdings sind diese Verhältnisse aktuell bei weitem noch zu sehr zu Gunsten der aktuellen Generation angesiedelt. Dies mag in der Natur der Menschen liegen, aber hat seinen Kern auch in den demokratischen Systemen, dessen gewählte Repräsentanten und Repräsentantinnen eben nur die Bedürfnisse der jeweiligen Wählergemeinschaft zu vertreten haben. Schnelles staatliches Agieren ist dann nicht möglich und lässt so manchen nach einem Klimanotstand rufen.

Stimmen aus dem optionalen Begleittext

Sowohl Roser als auch Seidel machen in ihrem Text dem Staat durchgehend Zugeständnisse in Sachen Effizienz und lassen den Konsumenten in einer moralisch ungeklärten Situation zurück. Die Regierungen sind in einer Demokratie durch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger gewählt und somit kann man sagen, dass Roser und Seidel auch dem Individuum als Träger der Demokratie Zugeständnisse gemacht haben. So schreibt Seidel im Begleittext8, dass der einzelne Konsument entweder fehlende rationale Einsichten haben kann (zum Beispiel wegen eines falschen Bauchgefühls, wo moralisch Selbstaufopferung gefordert ist) oder aber beim Umsetzen dieser Einsichten einer fehlenden Willensschwäche unterliegen kann. Roser9 beklagt im Begleittext zwar, dass die Verantwortung nie ganz von den Individuen abgetan werden kann, allerdings kommt er direkt im nächsten Moment auch auf die Effizienz der Politik zu sprechen und betont, dass es immer noch Individuen sind, die die Politiker wählen.

Im Begleittext fügt Prof. Dr. Christoph Lumer dem Haupttext auch noch einen weiteren positiven Reboundeffekt hinzu: „Je mehr mitmachen desto deutlicher wird die Schändlichkeit derer, die nicht mitmachen“10. Und auch Prof. Dr. Konrad Ott sieht es als verdienstliches Handeln an, wenn das Individuum eine „persönliche Vorreiterrolle“ einnimmt. Die beiden Positionen stehen denen von Prof. Dr. Rudolf Schüßler gegenüber, welcher die Vorbildrolle Deutschlands als nicht so bedeutsam ansieht und schreibt: „Niemand im Rest der Welt sieht in den Deutschen die Retter der Menschheit“ und weiter “am deutschen Wesen werde die Welt [nicht] genesen“11.

Zusätzlich bringt Ott den Begriff der „Ökodiktatur“ ins Spiel und benennt ihn als Unwort des Jahres, da eben erkannt wird, wie wichtig übergreifende Maßnahmen sind. Er übersieht hierbei, dass in einem demokratischen System so genannte Ermächtigungsgesetze direkt zu einer Gegenbewegung führen und in der nächsten Wahlperiode alle neuen Rahmenbedingungen zunichte gemacht werden würden. Dies zeigt sich zum Beispiel an aktuellen bei den Corona-Maßnahmen, welche bundübergreifend durchgesetzt werden und auf starke Gegenbewegungen stoßen. Die Menschen leben in gefühlten Problemwelten und sind mitunter schwer erreichbar, weshalb ein langsamer Prozess aus Dialog und Überzeugungsarbeit notwendig ist.

Die Auflistung an Reboundeffekten im Haupttext war kurz und das Resümee der Autoren gilt meiner Meinung nach nur auf staatlicher Ebene und nicht auf individueller Konsumebene. Damit möchte ich auf keinen Fall die individuelle Verantwortung untergraben, sondern viel mehr den Bereich der Verantwortung vor allem auf der staatlich-politischen Ebene betonen. Dies liegt vor allem daran, dass das Argument der Effizienz angesichts der immensen Ausgleichspflichten und der moralischen Überforderung, die damit einhergeht, eine besonders zu hinterfragende Rolle einnimmt. Aber ebenso auch angesichts der bedrohlichen Kipppunkte innerhalb des fragilen Klimasystems, welche eine selbstverstärkende Erderwärmung zur Folge haben und nur schwerlich umkehrbar sind, ist diese Argumentation fragwürdig. Deshalb möchte ich eine bereits erwähnte These, die im Zuge der Analyse von Reboundeffekten schlussfolgernd gezogen wurde, nochmal aufrollen.

Negative Rückkopplungseffekte und direkte Effekte

„Damit ein einseitiger Klimaschutz eines Akteurs als wirkungslos - oder sogar schädlich - bezeichnet werden könnte, müssten die [l]negativen Rückkopplungseffekte sowohl im Vergleich zum [Indirekten Effekt seiner Klimaschutzmaßnahmen als auch zu den positiven Rückkopplungseffekten überwiegen" 12

Diese Schlussfolgerung mag sicherlich auf staatlicher Ebene (und somit auf demokratischem Weg durch das Individuum beeinflussbar) zutreffen, doch finde ich sie auf individueller Konsumentenebene verfehlt. Die negativen Effekte sind viel stärker und die direkten Effekte einzelner Klimaschutzmaßnahmen kaum vorhanden. Mit den Worten der Autoren ließe sich sagen, dass ein einseitiger Klimaschutz auf Konsumentenebene kein wirksames Ausmaß annimmt und man den moralischen Pflichten als gegenwärtige Generation auf diese Weise nicht ausreichend nachkommen kann.

Negative Rückkopplungseffekte:

[I]Die negativen Rückkopplungen auf individueller klimaschützender Konsumebene sind vielfältiger als sie von Roser und Seidel vorgetragen wurden.

Ein typischer Reboundeffekt ist zuerst einmal (1) der Mehrverbrauch, der automatisch entsteht, sobald Konsumenten das Gefühl haben, nachhaltig und emissionsarm zu leben. Es kann also zu einer quantitativen Zunahme an Konsum kommen, wenn es in nachhaltiger Form passiert, und somit die positiven Effekte zunichte machen.

(2) Es handelt sich dabei um eine Privatisierung des Protests, bei der sich niemand in Gewerkschaften oder Parteien organisieren muss.13 Dieser Gedanke wurde auch im Begleittext von Roser schon angedeutet als unkoordiniertes Handeln vieler Individuen, welches durch die Politik fairer und effizienter gelöst werden würde.14 Die Politikverdrossenheit nimmt dabei zu, weil das Gefühl mitschwimmt, etwas selbst in die Hand nehmen zu müssen.

(3) Während einige Menschen in der Lage sind, sich nachhaltig zu verhalten, ist es für andere Menschen mit geringerem Einkommen keine Option, da sie kleinere Verhaltensspielräume haben. Der sozioökonomische Effekt ist dadurch zu gering, um die ganze Gesellschaft zu verändern. Die Gesellschaft spaltet sich vielmehr durch dieses neue Distinktionsmerkmal an einer neuen Stelle und das benötigte Gemeinschaftsgefühl geht verloren. Prof. Dr. Myriam Gerhard schreibt hierzu im Begleittext: „Solange die Menschen als Individuen und nicht als Teil der Menschheit handeln, wird die moralische Verantwortung für die Natur entweder als ein Widerspruch zur individuellen Freiheit oder als Ausdruck der Ohnmacht des Individuums wahrgenommen werden“.15 Vor allem auf der Ebene der gewählten politischen Abgeordneten wird sich diese neue Spaltung der Gesellschaft zeigen und jedwedes gemeinsame Bewältigen der globalen Erderwärmung wird bereits auf nationaler Ebene ausbremst. Die soziale Frage ist Schlüsselfaktor für eine Transformation der Gesellschaft und mitentscheidend dafür, ob diese es durch das Nadelöhr der Politik schaffi. Die direktdemokratische Partizipationshoffnung für soziale Unterklassen ist ein Trugschluss, denn „das setzt die Kauffiraft voraus, schließt alle die aus, die keine haben"16.

(4) Klassenunterschiede werden nicht mehr nur materiell signalisiert, sondern auch in Bezug auf die Tugendhaftigkeit und das moralische Gewissen.17 Das neue Distinktionsmerkmal bringt eine neue Form des Statuskonsums oder Geltungskonsums zu Tage. Diese wurde von Thorsten Veblen als eine der stärksten Wachstumsmotoren unserer Wirtschaft erkannt und führt zu neuen Problemen, denn je mehr die Wirtschaft wächst, desto mehr Emissionen werden verursacht.18 Diese These ist vor allem deshalb aktuell, da auch komplett elektrifizierte Wirtschaftszweige auf Strom aus größtenteils fossilen Brennstoffen zurückgreifen müssen.

Zuletzt (5) bleiben auch in nachhaltigen Branchen noch alte profitmaximierendeWirtschaftsweisen bestehen, sofern diese sich gegen konventionelle Zweige durchsetzen wollen - natürlich unter der Bedingung, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht über den politischen Weg verbessert wurden.

(6) Der Fokus auf den persönlichen CO2-Fußabdruck vereinnahmt die Menschen und lenkt von effizienteren Wegen wie z.B. der politischen Teilhabe ab. Das Private soll politisch wirksam werden, aber scheitert letztendlich doch im tatsächlichen Ausmaß seiner Wirksamkeit. Durch diese Verfremdung des Begriffs „politisch“ wird der Blick auf das, was die größere Hebelwirkung hat, verfälscht. Eine Form der Partizipation wird hierbei als vermeintlich politisches Mittel angepriesen, um die bereits gewählte Politik rückgängig beeinflussen zu können. Jörn Lamla spricht in dieser Hinsicht von einer sich entwickelnden Verbraucherdemokratie: “Die Demokratie verlasse das Terrain staatlicher Rechtssetzung und Regulierung und verlagere sich in eine gänzlich andere Arena; den Markt“19.

(7) Eine Versteifung von Individuen auf ihre Macht als Verbraucher hat auch zur Folge, dass die Finanzmärkte immer einflussreicher werden und laut Wolfgang Streeck zu einer fünften Gewalt neben den Medien aufsteigen.20 Neben dem Fokus auf die Verantwortung als Wähler gibt es auch die Möglichkeit, die Volkwirtschaften mit ihren veralteten Leitbildern zum Homo oeconomicus zu hinterfragen und stattdessen eine plurale Ökonomik an den Universitäten zu fordern, wie es bereits in kleinem Rahmen an einigen Universitäten geschehen ist21.

(8) Ähnlich wie die Erfindung des Begriffs „ökologischer Fußabdruck“ ursprünglich von dem bekannten Ölkonzern BP aus dem Jahre 2004 stammt und die Verantwortung auf die Konsumenten lenken sollte, agieren auch aktuelle konservative Politiker wie Julia Klöckner. Die Konsumenten werden dazu aufgerufen, nachhaltig zu konsumieren und die Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Der Staat entzieht sich der Verantwortung und entlässt die Unternehmen aus ihrer Verantwortung, um eine volkswirtschaftliche Steigerung zu erreichen.

Direkte Effekte:

[II] Der direkte Effekt einer Klimaschutzmaßnahme ist als Konsument mitnichten auf einfachem Wege zu erreichen, denn außer Verzicht versprechen nur wenige Maßnahmen 100% Erfolgswahrscheinlichkeit. Diese Problematik hat natürlich auch negative Folgen für die individuelle Motivation, sich nachhaltig zu verhalten. Es müssten nachhaltige Produkte staatlich kontrolliert und gekennzeichnet werden ebenso dürfte eine solche Kennzeichnung nicht durch private Organisation getätigt werden (damit sie transparent ist und Interessenskonflikte vermieden werden). Das konkurrenzbedingte Profitinteresse von Unternehmen verleitet automatisch zu

Greenwashing. Das wurde durch Kathrin Hartmann in ihrem Buch „die Grüne Lüge“ im Zusammenhang mit Palmöl thematisiert und spielt sich auch in anderen Branchen ab. Zusätzlich hat Dr. Michael Kopatz22 aus einer soziologischen Perspektive festgestellt, dass ein Konsument auf viele Bereiche keinen Einfluss haben kann. Hierzu gehören milliardenschwere Militärkomplexe, welche aus dem Kyoto-Protokoll ausgeklammert wurden23. Ebenso schwerölfahrende Frachtschiffe, die den gesamten weltweiten Individualverkehr bezogen auf die Emissionen übersteigen oder auch die riesige Bauindustrie, deren Zement. Aktuell sind mehrere Milliarden Euro Subventionen für die Fleischindustrie, das Fliegen, die Autoindustrie und den Häuserbau von der Regierung bewilligt worden. Dies fördert falsches Konsumverhalten und könnte als negative gepoltes Nudging bezeichnet werden. Auch das eingeflogene exotische Obst in den Supermärkten wird trotz fehlender Nachfrage weiterhin angeboten. Es signalisiert dem Kunden eine große Auswahl und rechnet sich somit auch unverkauft für die Märkte. Letztendlich sind all diese Bereich nur von einer gewählten Regierung beeinflussbar. Dadurch zeigt sich die übergeordnete Rolle des Wählers gegenüber des Konsumenten.

Schluss

Positiv an der Herangehensweise von Roser und Seidel war, dass sie sich fortwährend auch oberhalb der Konsumentenebene bewegt haben und eine Tendenz dazu hatten, die Probleme auf internationaler Ebene zu untersuchen. Es wurde versucht zu zeigen, dass ein einseitiger Klimaschutz auf Konsumentenebene im Gegensatz zur international-staatlichen Ebene durchaus schädliche Züge aufweist. Klimaschutz sollte nicht ohne konventionell politischen Bezug ausgeführt werden - manchmal braucht es eben auch konventionelle Lösungen.

Literaturverzeichnis

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[...]


1 (Roser & Seidel, 2013)

2 (Heidbrink,Schmidt,& Ahaus,2011)

3 (Mieth, 2014)

4 Da Deutschland aus der Atomkraft und deren Forschung ausgestiegen ist, kostet ein Neubau hierzulande deutlich mehr, als in China, wo die Forschung weiter vorangetrieben wurde

5 (Roser & Seidel, 2013, S. 137)

6 (Roser & Seidel, 2013, S. 14o)

7 (Seidel, Roser, Lumer, Ott, & Gerhard, 2019)

8 (Seidel, Roser, Lumer, Ott, & Gerhard, 2019)

9 Ebenda

10 Ebenda

11 Ebenda

12 (Roser & Seidel, 2013, S. 137)

13 (Zdebel,2017)

14 (Seidel, Roser, Lumer, Ott, & Gerhard, 2019)

15 Ebenda

16 (Beck, 1997, S. 124)

17 (Moser, 2020)

18 (Veblen, 2007, S. 43 ff.)

19 (Lamla, 2013, S. 10)

20 (streeck, 2013, S. 125)

21 (Netzwerk Plurale Ökonomik e.V., 2021)

22 (Kopatz,2019)

23 (Werner, 2019)

Excerpt out of 10 pages

Details

Title
Konsumkritik anhand der "Ethik des Klimawandels" von Christian Seidel und Dominic Roser
Subtitle
Der Rückzug ins Private und seine Folgen
College
University of Potsdam
Grade
2,0
Author
Year
2020
Pages
10
Catalog Number
V1350778
ISBN (eBook)
9783346859501
Language
German
Keywords
Konsumentenkritik, Verbrauchermacht, Klimawandel
Quote paper
T. Schaub (Author), 2020, Konsumkritik anhand der "Ethik des Klimawandels" von Christian Seidel und Dominic Roser, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1350778

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