Trotz wesentlicher Unterschiede gibt es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten in Form und Inhalt in den Antrittsreden der letzten beiden amerikanischen Präsidenten. Doch wie kommt es, dass diese Gemeinsamkeiten in der medialen Kommentierung weitgehend ignoriert wurden? Die Arbeit lenkt den Blick auf einige grundlegende Problemfelder, die jede Inaugural Address kennzeichnen und die in der Kommentierung entweder zum Vorteil oder zum Nachteil des Redners interpretiert werden können - je nach Image des Redners.
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Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die Funktionen und rhetorischen Stilmittel der Inaugural Address
1) Funktionen
2) Rhetorische Stilmittel
III. Barack Obamas Inaugural Address – Parallelitäten zu und Abkehr von George W. Bush
1) Parallelitäten
2) Abkehr
IV. Amerikanische und ausländische Reaktionen auf die jeweiligen Reden zur Amtseinführung
V. Das Image des Redners und die Interpretation der Rede
1) Das Image des Redners und die Selektivität der Wahrnehmung der jeweiligen Rede
2) Das Image des Redners und die Problematik des Amerikanischen Traumes
3) Das Image des Redners und das Problemfeld der religiös aufgeladenen Rhetorik als Teil der US-amerikanischen Zivilreligion
4) Das Image des Redners und die Tatsache, dass eine Inaugurationsrede keine Regierungserklärung ist
VI. Fazit
1) George W. Bushs und Barack Obamas Inaugural Address: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
2) Die Beeinflussung der medialen Interpretation der Rede durch das Image des Redners
VII. Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Sekundärliteratur
Die Besonderheiten der Rede und das Image des Redners: Ein Vergleich der Antrittsreden Barack Obamas und George W. Bushs
I. Einleitung
Die Rede zur Amtseinführung eines neuen amerikanischen Präsidenten zeichnet sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus, die man kennen und berücksichtigen muss, wenn man deren jeweilige Bedeutung angemessen verstehen will. Was diese Besonderheiten der amerikanischen Inaugural Address im Einzelnen anbelangt, so hat die Rede zur Amtseinführung zum einen eine Reihe spezieller Funktionen zu erfüllen; zum anderen werden in einer solchen Rede eine Reihe besonderer rhetorischer Stilmittel verwendet, die dazu dienen, diese besonderen Funktionen zu erfüllen. Neben diesen allgemeinen Besonderheiten zeichnet sich die Rede zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Barack Obamas 2009 noch durch eine andere zeitbedingte Besonderheit aus: nämlich das Erbe seines äußerst umstrittenen Amtsvorgängers George W. Bush.[1] Eine Analyse der Rede zur Amtseinführung Barack Obamas kann demnach gar nicht erfolgen, ohne der Frage nachzugehen, inwieweit es ihm in dieser gelungen ist, sein Versprechen eines grundlegenden Wandels der US-amerikanischen Politik zu erfüllen. Diese Frage stellt sich umso dringender, da die beiden Präsidenten Bush Junior und Obama wahrlich nicht die ersten waren, die jeweils eine Inaugural Address hielten. Vielmehr folgten beide einer Tradition, die einst George Washington, der erste Präsident der USA, begründete und die bisher von jedem seiner inzwischen 43 Amtsnachfolger beibehalten wurde, obwohl die Inaugural Address im Wortlaut der US-amerikanischen Verfassung von 1787 gar nicht vorgesehen ist.
Im Folgenden sollen in einem ersten Schritt die besonderen Funktionen sowie die besonderen Redemittel der Inaugural Address beschrieben werden. Daran anschließend soll konkret auf die letzten beiden Reden zur Amtseinführung Bezug genommen werden, um der Frage nachzugehen, inwieweit sich Obama von seinem Amtsvorgänger George W. Bush unterscheidet und inwieweit Obama in Kontinuität zu seinem Amtsvorgänger steht, da dieser als damaliger US-Präsident mit seiner Rede zur Amtseinführung 2005 die gleichen allgemeinen Funktionen der Inaugural Address erfüllen musste und auch auf ähnliche rhetorische Mittel zurückgriff wie sein Amtsnachfolger im Januar 2009. Dabei sollen also die die zuvor allgemein beschriebenen Funktionen und Redemittel der Inaugural Address als allgemeine Vergleichskategorien dienen. Sollte es gelingen, anhand des konkreten Vergleichs der beiden letzten Reden zur Amtseinführung, eine Reihe von Ähnlichkeiten bezüglich der verwendeten Redemittel aber auch bezüglich der Inhalte zwischen den Reden George W. Bushs und Barack Obamas aufzuzeigen, so wird sich als Zweites die Frage stellen, warum dieser Aspekt in der medialen Rezeption der jeweiligen Reden zur Amtseinführung so gut wie überhaupt keine Rolle spielte. Um auf diese Frage eine Antwort zu geben, sollen in einem weiteren Schritt auf einige grundlegende Schwierigkeiten verwiesen werden, die sich bei dem Versuch einer angemessenen Deutung und Rezeption einer US-amerikanischen Rede zur Amtseinführung eines Präsidenten ergeben. Im Hinblick auf diese grundlegenden Probleme soll die These vertreten werden, dass die mediale Wahrnehmung und Bewertung einer präsidialen Inaugural Address entscheidend vom jeweiligen Image des Präsidenten abhängig ist. Wenn dieses gut ist, dann werden die allgemeinen Probleme und Schwierigkeiten, die mit der Interpretation seiner Rede zusammenhängen zu seinen Gunsten aufgelöst, indem nur diejenigen Elemente der Rede wahrgenommen werden, die zu diesem guten Image passen und dieses zu bestätigen scheinen. Ist das Image des jeweiligen Präsidenten aber schlecht, dann werden alle Probleme und Schwierigkeiten, die mit seiner Rede zusammenhängen, zu seinem Nachteil aufgelöst, indem nur diejenigen Elemente seiner Rede wahrgenommen werden, die zu seinem schlechten Image passen und dieses zu bestätigen scheinen.
II. Die Funktionen und rhetorischen Stilmittel der Inaugural Address
1) Funktionen
Es gibt insgesamt vier verschiedene Funktionen, die eine Inaugural Address erfüllen muss. Dabei enthält jede einzelne dieser vier Funktionen ein bestimmtes inneres Spannungsverhältnis, dem sich jeder Präsident stellen muss. Die erste Funktion bezieht sich auf die Amtsführung des Präsidenten. Der neue Amtsinhaber muss zum einen klar zum Ausdruck bringen, dass er sein Amt in der Art und Weise und den Grenzen ausüben will, die die amerikanische Verfassung von 1787 vorsieht. Zum anderen aber will der neue Präsident seine Zuhörer von seinem außerordentlichen Charisma überzeugen, welches ihn – und niemanden sonst – in die Lage versetzt, auch schwierige politische Probleme tatkräftig anzugehen und so die amerikanische Nation auch durch schwere Krisen hindurch führen zu können.[2] Die zweite Funktion bezieht sich auf die amerikanische Bevölkerung, deren Mehrheit schließlich den neuen Präsidenten ins Weiße Haus gewählt hat. Zum einen muss der neue Präsident es verstehen, die Spaltungen des Wahlkampfes zu überwinden und sich so als Präsident aller Amerikaner in der Antrittsrede zu präsentieren, auch denjenigen gegenüber, die den aktuellen Amtsinhaber nicht gewählt haben. Zum anderen aber muss er darüber hinaus ein Zeichen in seiner Rede an seine Anhänger richten und ihnen gegenüber klar zum Ausdruck bringen, in welchen grundlegenden Dingen er sich von seinem Vorgänger und seinem Gegenkandidaten im Wahlkampf unterscheiden möchte. Die dritte Funktion einer Inaugural Address bezieht sich auf die Geschichte des Präsidentenamtes. Um als neuer Amtsinhaber glaubwürdig zu erscheinen, muss sich jeder Amtsneuling in seiner Rede mit dem inzwischen über 200-jährigen historischen Erbe seines Amtes auseinandersetzen. Gleichzeitig aber genügt ein bloßer Verweis auf bestimmte Amtsvorgänger nicht, um tatsächlich auch glaubwürdig zu sein. Vielmehr muss es dem neuen Präsidenten gelingen, einen direkten Bezug zur aktuellen Gegenwart herzustellen, indem er eine unmittelbare Vision für die Jetztzeit in seiner Rede aufzeigt, die weder eine bloße Instrumentalisierung historischer Begebenheiten noch ohne historische Bezüge sein darf. Die letzte Funktion bezieht sich auf den Adressatenkreis der Rede. Einerseits richtet sich die Rede zur Amtseinführung an das gesamte US-amerikanische Volk. Schließlich hat eine Mehrheit der US-Amerikaner den aktuellen Präsidenten erst ins Weiße Haus gewählt – und sonst niemand. Andererseits richtet sich die Rede auch an die übrige Welt. Denn auf der einen Seite muss der amerikanische Präsident aufgrund der besonderen Stellung der USA in den internationalen Beziehungen und aufgrund des besonderen amerikanischen Sendungsbewusstseins auch eine Botschaft an das Ausland übermitteln. Auf der anderen Seite wird die Rede zur Amtseinführung im Ausland mit großem Interesse verfolgt, wie die umfangreiche internationale Berichterstattung über dieses Ereignis erkennen lässt, so dass der neue Präsident eine gewisse internationale Erwartungshaltung bezüglich einer klaren außenpolitischen Botschaft erfüllen muss.
2) Rhetorische Stilmittel
Um den Willen zum Ausdruck zu bringen, das Präsidentenamt in seinen verfassungsgemäßen Grenzen respektieren und ausfüllen zu wollen, enthält jede Inaugural Address eine Reihe von Verweisen auf die Gründerväter der USA sowie auf die Weisheit und zeitlose Gültigkeit der US-Verfassung von 1787. Charisma beweisen hingegen amerikanische Präsidenten, wenn es ihnen in ihrer Antrittsrede gelingt, einen klaren Problemaufriss der gegenwärtigen Lage vorzulegen, mit dem Versprechen, jede gegenwärtige und jede kommende Krise des Landes meistern zu können. Häufig appelliert dabei der Präsident an das Vertrauen und die Geduld seiner Landsleute mit der Bereitschaft, ihm und seiner Politik auch in schwierigen Zeiten zu folgen. Wenn es darum geht, zum einen die innere Spaltung der Amerikaner nach einem harten Wahlkampf zu überwinden, aber auch ein gezieltes Signal an die eigene Anhängerschaft auszugeben, so verweist der Redner häufig auf die Werte des Amerikanischen Traumes, die so gut wie alle US-Amerikaner teilen, ganz gleich welcher politischen Richtung, welcher ethnischen Gruppe oder welcher religiösen Richtung sie angehören.[3] Diese Werte der individuellen Freiheit, der politischen Gleichheit, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und das damit verbundene Streben nach persönlichem Glück[4] besitzen in den USA überzeitliche Geltungsmacht sowie eine tiefe integrierende Wirkung, in dem ansonsten außerordentlich segmentierten Land.[5] Allerdings lassen die einzelnen Bestandteile dieser Werte des Amerikanischen Traumes auch dem jeweiligen Redner so viel Interpretationsspielraum, dass auf dieser Grundlage leicht ein individueller Schwerpunkt in der Rede herausgearbeitet werden kann, der sich vor allem an die eigenen Anhänger richtet. Um Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden und um so eine glaubhafte Vision für die gegenwärtigen Probleme zu entwickeln, greift der Redner immer auf historische Beispiele zurück, und zwar in der Art, dass Krisen und Probleme wahrlich nichts Neues in der amerikanischen Geschichte seien und dass es möglich sei – wie eben die historischen Beispiele belegen sollen –, jede Krise mit einer Neuinterpretation der Werte des Amerikanischen Traumes zu meistern. Folglich ist das Überwinden von Krisen mit den Werten des Amerikanischen Traumes einer der zentralen Stilfiguren, die in jeder Antrittsrede vorkommen. Zudem stellen sich gerne US-Präsidenten in eine bestimmte Tradition ihrer Amtsvorgänger.[6] Dies kann geschehen, indem ehemalige Präsidenten namentlich erwähnt werden oder indem bestimme berühmte und mit einem bestimmten Präsidenten in festem Zusammenhang stehende Redewendungen in die eigene Rede integriert werden. Um sich von bestimmten Amtsvorgängern abzuheben, kann es auch geschehen, dass eine bestimmte Redeweise eines ehemaligen Präsidenten aufgegriffen, aber dann auf eine besondere Art und Weise verändert wird. Was den Appell an das Ausland anbelangt, so finden sich diesbezüglich zum einen Hinweise auf ehemalige Präsidenten und auf eine Vielzahl historischer Ereignisse, die in Zusammenhang mit weltpolitischen Vorgängen stehen. Zum anderen aber enthalten die Werte des Amerikanischen Traumes auch immer nach amerikanischem Verständnis eine universelle und somit weltumspannende Bedeutung, so dass vor diesem Hintergrund den USA eine besondere Rolle in der Weltpolitik zugedacht wird. Um die universelle und überzeitliche Bedeutung dieser Werte zu unterstreichen, verwenden US-Präsidenten häufig religiöse Metaphern und Symbole in ihren Reden.
III. Barack Obamas Inaugural Address – Parallelitäten zu und Abkehr von George W. Bush
1) Parallelitäten
Liest man die beiden Reden Barack Obamas und George W. Bushs zur Amtseinführung in ihrer Ganzheit vor dem Hintergrund der im vorherigen Abschnitt entworfenen allgemeinen Kategorien, dann lassen sich sehr schnell erstaunliche Parallelitäten der beiden Reden erkennen. Was die Spannung zwischen legaler und charismatischer Herrschaft anbelangt, so versichern beide zwar, dass sie sich in der Tradition und den Grenzen der amerikanischen Verfassung von 1787 halten möchten.[9] Allerdings lassen weder Bush noch Obama irgendwelche Zweifel daran, dass sie sich für außergewöhnliche Charismatiker halten, die vor dem Hintergrund einer schweren Krise, in der sich die USA befänden, eine starke und entschlossene politische Führung ihren Landsleuten versprechen und somit jeweils um das besondere Vertrauen der Amerikaner werben.[10] Dass dies auch von Obamas Seite mehr als Rhetorik ist, zeigt sich daran, dass er bereits in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft in einer Reihe wichtiger politischer Fragen, vor allem im Hinblick auf das umstrittene Gefangenenlager Guantánamo, mehrere Exekutivverordnungen erlassen hat, um möglichst schnell der politischen Entwicklung in den USA seinen Stempel aufdrücken zu können[11] – wohingegen es weder dem Kongress noch den amerikanischen Gerichten auch unter dem neuen Präsidenten auf diesem heiklen Themenfeld von sich aus zu gelingen scheint, ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu legen.[8] [7]
[...]
[1] Der Vergleich berücksichtigt nur Bushs Inaugural Address von 2005, nicht aber die von 2001.
[2] Die hier getroffene Unterscheidung zwischen legaler und charismatischer Herrschaft folgt der Grundunterscheidung verschiedener Herrschaftstypen nach Max Weber. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie, 1922, 1. Teil, III, http://www.textlog.de/7353.html .
[3] Dan Diner, Voreiter der Moderne – Warum die USA vielen Menschen suspekt sind, Spiegel Online, 21.10.08, Spiegel Online,
http://www.spiegel.de/spiegelspecialgeschichte/0,1518,585317,00.html .
[4] Für diese Werte grundlegend, The Declaration of Independence, 04.07.1776,
http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration_transcript.html .
[5] Klaus Stüwe, Politik und Religion in den USA, in: Stimmen der Zeit, 11/2008, S.724,
http://www.con-spiration.de/texte/2008/stuewe.html .
[6] Robert McHenry, Lincoln and Inaugurations Past and Present, 16.1.09, The American,
http://www.american.com/archive/2009/lincoln-and-inaugurations-past-and-present .
[7] Barack Obama, Inaugural Address, White House, 20.1.09, (Im Folgenden abgekürzt: Obama, “...”) http://www.presidentialrhetoric.com/speeches/01.20.09.html .
[8] George W. Bush, Inaugural Address, White House, 20.1.05, (Im Folgenden abgekürzt: Bush, “...“) http://www.presidentialrhetoric.com/historicspeeches/bush_georgew/second_inaugural.html .
[9] Bush: “On this day, prescribed by law and marked by ceremony, we celebrate the durable wisdom of our Constitution and recall the deep commitments that unite our country.” Obama: “Forty-four Americans have now taken the oath. (...) At these moments, America has carried on (...) because We the Peolpe have remained faithful to the ideals of our forebearers, and true to our founding documents.”
[10] Bush: „My most solemn duty is to protect this nation and its people from further attacks and emerging theats. (...) Today I also speak anew to my fellow citizens. (...) From all of you I have asked patience in the hard task of securing America, which you have granted in good measure.” Obama: “Today I say that the challenges we face are real, they are serious and they are many. They will not be met easily or in a short span of time. But know this America: They will be met.”
[11] Matthias Rüb, Obama zieht einen Schlussstrich unter Bushs Methoden, FAZ-Online,
22.1.09, http://www.faz.net/s/Rub0A1169E18C724B0980CCD7215BCFAE4F/Doc~EE260B421AC2C42EFA574F2F4F4EDD040~ATpl~Ecommon~Scontent.html .
- Quote paper
- Sebastian Dregger (Author), 2009, Die Besonderheiten der Rede und das Image des Redners: Ein Vergleich der Antrittsreden Barack Obamas und George W. Bushs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134830
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