Im Jahre 1987 komponierte der französische Spektralist Gérard Grisey sein fünfsätziges Waldhornduo Accords Perdus - cinq miniatures pour deux cors en fa, dessen Titel etwa mit "Verlorene Einklänge" übersetzt werden kann. Das Werk fand bisher in der Aufführungspraxis nur wenig Beachtung. Zwar stellt es höchste Anforderungen an die zwei ausführenden Hornisten, ist aber in seiner Machart für dieses Instrument einzigartig.
Die vorliegende Arbeit ist die erste Veröffentlichung zu diesem Werk und stützt sich in vor allem auf Zeitzeugenaussagen der Uraufführung und auf die Analyse der Partitur. Weiterhin werden die Accords Perdus in Hinblick auf ihre Eigenschaften als tatsächlich spektralistisches Werk charkterisiert; es spielt unter anderem mit Mikrotonintervallen und dem Horn als äußerst obertonreichem Instrument. In einem musikphilosophischen Abschnitt werden die geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Søren Kierkegaard, Thomas Laqueur und Gérard Grisey unter Berücksichtigung des vorliegenden Werks für zwei Hörner aufgedeckt; das Augenmerk hierbei liegt beispielsweise auf der als erotisch zu bezeichnenden Spannung zwischen beiden Instrumenten in diesem äußerst organisch komponierten Duo. In einem abschließenden Ausblick werden zudem Griseys nicht geringe Errungenschaften für das Waldhorn durch das behandelte Werk herausgestellt.
Inhaltsverzeichnis
- Deckblatt
- Inhaltsverzeichnis und Literaturangabe
- Einleitendes
- Die Accords perdus — auditiv, visuell und intellektuell betrachtet
- Einige Ausprägungen des Spektralismus am Werk
- Assoziationen: Grisey — Kierkegaard — Laqueur
- Abschließendes
- Literaturangabe
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Gérard Griseys „Accords Perdus — cinq miniatures pour deux cors en fa" und analysiert das Werk aus musikwissenschaftlicher Perspektive. Sie strebt danach, die kompositorischen Entscheidungen Griseys im Kontext des Spektralismus zu beleuchten, die Besonderheiten der Instrumentenwahl und die auditive Wahrnehmung des Stücks zu untersuchen.
- Die auditive und visuelle Wahrnehmung der „Accords Perdus"
- Die Ausprägung des Spektralismus im Werk
- Assoziationen zu Sören Kierkegaards „Entweder — Oder" und Thomas Laqueurs „Auf den Leib geschrieben"
- Spieltechnische Herausforderungen für die Hornisten
- Die Rolle der menschlichen Atmung als kompositorisches Prinzip
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitendes
Die Arbeit stellt die „Accords Perdus" vor, ein fünfsätziges Duo für zwei Hörner in F, komponiert 1987 von Gérard Grisey. Sie beleuchtet die Entstehungsgeschichte des Werks, die Uraufführung und die Interpreten, sowie die wenigen verfügbaren Quellen und die Besetzung des Stücks. Die Gliederung des Werks in fünf Sätze wird vorgestellt, sowie die Ziele und Schwerpunkte der Arbeit.
Die Accords perdus — auditiv, visuell und intellektuell betrachtet
Die Arbeit analysiert jeden Satz der „Accords Perdus" einzeln, wobei die auditive Wahrnehmung, die visuelle Analyse des Notentextes und die intellektuelle Interpretation des Werks im Mittelpunkt stehen. Die Analyse berücksichtigt dabei die Aussagen Griseys in seiner „Note de programme" und versucht, eine objektive Darstellung des Stücks zu gewährleisten.
Mouvement
Der erste Satz „Mouvement" wird als ein langsames, aber dynamisches Stück beschrieben, das den Zustand der Verschmelzung der beiden Hörner ausdrückt. Die Analyse beleuchtet die lang gezogenen Haltetöne, die mikrotonalen Abweichungen, die dynamischen Veränderungen und die Gesamtbewegung des Satzes. Der Titel „Mouvement" wird im Kontext der statischen Musik des Satzes diskutiert.
Accord perdu
Der zweite Satz „Accord perdu" ist deutlich bewegter als der erste. Die Analyse konzentriert sich auf die Dualisierung der beiden Stimmen, die zeitliche Verschiebung der Töne und die zunehmenden Abweichungen vom Kanonprinzip. Die dynamischen Veränderungen, die Schleifer und die Glissandi werden ebenfalls beleuchtet. Die Entstehung des wirklichen Lebens wird im Kontext des „auseinander laufenden" Kanons diskutiert.
Faux mouvement
Der dritte Satz „Faux mouvement" greift die Idee des ersten Satzes wieder auf, jedoch mit der Tendenz zur Trennung der Instrumente. Die Analyse stellt die Ähnlichkeiten und Unterschiede zum ersten Satz heraus, insbesondere die abgedämpften Klänge des zweiten Horns, die dynamischen Veränderungen und die energiegeladene Eruption von Floskeln. Der Titel „Faux mouvement" wird im Kontext des Scheiterns des Versuchs der Angleichung der Stimmen diskutiert.
Cor å Cor
Der vierte Satz „Cor å Cor" ist der bewegteste Satz des Werks, geprägt durch die Dualität der Stimmen und die heftig bewegten Klänge. Die Analyse beleuchtet die Obertonglissandi, die Triller, die Flatterzungen und die Skalen. Die Wildheit, die Aufregung und die Atemlosigkeit des Satzes werden als zentrale Topoi herausgestellt. Die Assoziationspotenziale des Satzes werden im Kontext der „Kämpfe, Hundegebell und Auseinandersetzungen" diskutiert.
Einige Ausprägungen des Spektralismus am Werk
Die Arbeit untersucht, wie sich der Spektralismus in den „Accords Perdus" manifestiert. Die Analyse konzentriert sich auf die Herleitung des Materials aus der Obertonserie, das Verständnis des Klangs als Mikroorganismus mit eigener Dynamik und die Dehnung des musikalischen Moments.
Die Dehnung des musikalischen Moments
Die Dehnung des Moments wird in den „Accords Perdus" durch die lang gezogenen Haltetöne und die mikrotonalen Abweichungen realisiert. Die Arbeit untersucht, wie diese Techniken die Wahrnehmung der rhythmischen Strukturen beeinflussen und die Obertöne in den Vordergrund stellen.
Das Timbre als zentrales Element
Das Timbre, der akustische Klangcharakter, spielt in den „Accords Perdus" eine zentrale Rolle. Die Arbeit zeigt, wie Grisey die spezifischen klanglichen Möglichkeiten des Horns nutzt, insbesondere die Obertontriller und die Bisbiglandi. Die Arbeit stellt die These auf, dass Grisey Bestandteile des Klangs des Horns thematisiert, die zuvor nicht im Fokus der kompositorischen Aufmerksamkeit standen.
Die menschliche Atmung als kompositorisches Prinzip
Die Arbeit untersucht die Rolle der menschlichen Atmung als kompositorisches Prinzip in den „Accords Perdus", insbesondere in den letzten beiden Sätzen. Die Analyse beleuchtet die Momente der Unregelmäßigkeit, der Veränderbarkeit und der Kurzatmigkeit, die in den Sätzen „Cor å Cor" und „Chute" zum Ausdruck kommen.
Das prozessuale Prinzip
Die Arbeit stellt das prozessuale Prinzip im Spektralismus vor, das eine Verwandtschaft mit dem Gedanken der gedehnten Zeit aufweist. Die Analyse zeigt, wie die „Accords Perdus" dieses Prinzip durch die Homogenität der Klänge, die Pausen der Stille und die rhythmische Präzision realisieren.
Assoziationen: Grisey — Kierkegaard — Laqueur
Die Arbeit untersucht mögliche Parallelen zwischen Griseys „Accords Perdus", Sören Kierkegaards „Entweder — Oder" und Thomas Laqueurs „Auf den Leib geschrieben".
Kierkegaard und die Musik
Die Arbeit zeigt, wie Kierkegaards Gedanken zur Musik, insbesondere zur Bedeutung der Form und der Durchdringung von Inhalt und Form, auf den Spektralismus angewendet werden können. Die Analyse beleuchtet die Rolle der „Ewigkeit" und die Relativität der Zeit in Kierkegaards Werk und in den „Accords Perdus".
Laqueur und die Geschlechter
Die Arbeit untersucht, wie Laqueurs Analyse der Geschlechtergeschichte, insbesondere die Entwicklung des Ein-Geschlecht-Modells zum Zwei-Geschlecht-Modell, auf die Interpretation von Kunstwerken angewendet werden kann. Die Analyse zeigt, wie die Erotisierung der Oberfläche und die „Ästhetik des anatomischen Unterschieds" in den „Accords Perdus" zum Ausdruck kommen können.
Musik, Erotik und Natur
Die Arbeit diskutiert die Rolle der Erotik als Motor der Kunstproduktion und zeigt, wie Kierkegaards Gedanken zur „sinnlichen Genialität" und zur unmittelbaren Repräsentation des Erotischen durch die Musik auf Griseys „Accords Perdus" angewendet werden können. Die Arbeit untersucht die Assoziationen zwischen der menschlichen Atmung, der Erotik und der Musik im Kontext der „Accords Perdus".
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Gérard Grisey, Accords Perdus, Spektralismus, Musik für zwei Hörner, Obertonserie, Klangstruktur, Timbre, menschliche Atmung, Dualität, Verschmelzung, Trennung, musikalische Form, Kierkegaard, Laqueur, Geschlechter, Erotik, Natur, Kultur, Spieltechnische Herausforderungen.
- Citar trabajo
- Hans Gebhardt (Autor), 2008, Spektralismus. Gérard Griseys "Accords Perdus – cinq miniatures pour deux cors en fa", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134205