Die Zielsetzung dieser Arbeit verlangte die Untersuchung der Realitätsnähe des Romans unter ökonomischen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkten. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Konzeption der Figur Doris für die junge, weibliche
Angestellte in den rationalisierten Büros und Betrieben der Weimarer Republik repräsentativ war.
Die prosperierende Kulturindustrie offerierte massenhaft Zerstreuungsangebote, die mit Begeisterung wahrgenommen wurden und für viele Angestellte Fluchtpunkte darstellten. Auch Doris erliegt den angebotenen Scheinwelten und Blendungsversuchen,
die sie aus den Massenmedien rezipiert; ihre Erlebnisse schildert sie in einer Art Drehbuch. Dabei rekurriert sie nicht nur auf zeitgenössische Inhalte aus Film und Schlager — ihr Tagebuch weist darüber hinaus auch cineastische Stilelemente auf.
Irmgard Keun greift die öffentliche Diskussion über Sexualität, Prostitution und Moral auf und widmet sich explizit diesen Themen. Doris’ anfängliche sexuelle Selbstbestimmtheit, der Einsatz ihres Körpers als Produktionsmittel und die Darstellung
von Prostituierten stehen exemplarisch dafür.
Darüber hinaus findet im Roman eine Auseinandersetzung mit dem Typus ‚neue Frau‘ statt.
Das kunstseidene Mädchen lässt sich im Spannungsfeld von Ökonomie, Massenkultur und Geschlechterrollen verorten. Die Verknüpfung dieser Topoi wird besonders am Motiv, „ein Glanz“ zu werden, deutlich. Hier werden kulturindustriell generierte Lebensentwürfe und Scheinidyllen ‚neuer Frauen‘ mit ihrer ökonomisch häufig prekären Situation verbunden, werden Mode, Filmstars und Glamour der Weltwirtschaftskrise, Armut und Prostitution gegenübergestellt.
Das kunstseidene Mädchen ist damit nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem neuen Frauenbild der Zwanziger Jahre, es ist auch eine Antwort auf die Versachlichung der Lebenswelt und die zunehmende Rationalisierung.
Irmgard Keuns Text unterscheidet sich aber von anderen neusachlichen Angestelltenromanen durch seine Binnenperspektive. Anders als männliche Autoren kann sie als Frau, die selbst als Stenotypistin in einem Büro gearbeitet hat, andere Blickwinkel
auf den Arbeitsalltag, auf die Freizeit- und Vergnügungskultur und vor allem auf die weibliche Sexualität öffnen. Im Gegensatz zu Kracauers Reportage blickt sie auf die kulturindustriellen Verblendungszusammenhänge aus der naiven Sicht einer
Angestellten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Inhaltliche Übersicht
- Ende des Sommers und die mittlere Stadt
- Später Herbst und die große Stadt
- Sehr viel Winter und ein Wartesaal
- Sozioökonomische Lage der Angestellten
- Sonderrolle: Weibliche Angestellte
- Das kunstseidene Mädchen als Angestellte
- Kunst und Massenkultur in der Weimarer Republik
- Siegfried Kracauer und die Zerstreuung der Massen
- Siegfried Kracauer und das Kino
- Siegfried Kracauer und die Entdeckung von Jugend und Sport
- Massenkultur und Zerstreuung in Das kunstseidene Mädchen
- Motiv des Glanzes
- Geschlechterrolle und Sexualität
- Die neue Frau
- Erotik und Sexualität in Das kunstseidene Mädchen
- Scheiternde Lebensentwürfe, Partnerschaft und Beruf
- Prostitution
- Prostitution und Das kunstseidene Mädchen
- Motiv: das Kunstseidene und Textilien
- Neue Sachlichkeit
- Was ist „Neue Sachlichkeit“?
- Das kunstseidene Mädchen als neusachlicher Roman
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“ im Kontext der Weimarer Republik. Ziel ist es, den Roman mit der gesellschaftlichen Realität zu vergleichen und ihn anhand sozioökonomischer Aspekte, Massenkultur und Geschlechterverhältnissen zu analysieren. Die Essays von Siegfried Kracauer liefern dabei wichtige Vergleichspunkte zum Verständnis der Angestelltenschicht und der aufkommenden Massenkultur.
- Sozioökonomische Lage der Angestellten in der Weimarer Republik
- Massenkultur und ihre Darstellung im Roman
- Geschlechterrollen und -verhältnisse der Zeit
- Der Einfluss der „Neuen Sachlichkeit“ auf den Roman
- Der Wunsch nach sozialem Aufstieg und dessen Scheitern
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt Irmgard Keun und ihren Roman „Das kunstseidene Mädchen“ vor, situiert ihn in den Kontext der Weimarer Republik und der Weltwirtschaftskrise und beschreibt den Fokus der Arbeit: die Analyse des Romans anhand sozioökonomischer Aspekte, Massenkultur und Geschlechterverhältnisse im Vergleich zu den Schriften Siegfried Kracauers. Die Arbeit soll die Nähe des Romans zur „Neuen Sachlichkeit“ aufzeigen und die fiktionale Darstellung der „neuen Frau“ mit realen Geschlechterverhältnissen vergleichen.
Inhaltliche Übersicht: Dieser Abschnitt bietet einen Überblick über die Handlung des Romans, gegliedert in drei Abschnitte, die unterschiedliche Schauplätze und Zeitabschnitte des Lebens der Protagonistin Doris darstellen. Es wird chronologisch die Entwicklung der Handlung skizziert, ohne dabei detailliert auf die einzelnen Handlungsstränge einzugehen. Der Fokus liegt auf der Darstellung der Entwicklung von Doris' Hoffnungen und Enttäuschungen.
Sozioökonomische Lage der Angestellten: Dieses Kapitel analysiert die sozioökonomische Situation der Angestellten, insbesondere der Frauen, in der Weimarer Republik. Es beleuchtet die spezifischen Herausforderungen und die prekäre Lage der weiblichen Angestellten wie Doris und untersucht ihre Rolle im Kontext von Armut, gesellschaftlichen Erwartungen und den Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. Der Fokus liegt auf der Darstellung der Arbeitsbedingungen und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frauen.
Kunst und Massenkultur in der Weimarer Republik: Dieser Abschnitt befasst sich mit der Massenkultur der Weimarer Republik, insbesondere im Kontext der Arbeiten von Siegfried Kracauer. Die Analyse untersucht die Auswirkungen der Massenmedien auf die Gesellschaft und wie diese im Roman widergespiegelt werden. Der Einfluss von Kino, Sport und anderen Aspekten der Massenkultur auf die Lebenswelt der Protagonistin wird untersucht und mit den Beobachtungen Kracauers verglichen.
Geschlechterrolle und Sexualität: Dieses Kapitel analysiert die Darstellung der Geschlechterrollen und der Sexualität im Roman. Es untersucht den Typus der „neuen Frau“ und seine literarische Umsetzung in der Figur der Doris. Die verschiedenen Beziehungen Doris' werden im Kontext der gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und deren Sexualität untersucht. Die Thematik von Prostitution und die Herausforderungen der weiblichen Lebensentwürfe werden eingehend erörtert.
Neue Sachlichkeit: Dieses Kapitel analysiert den Roman im Kontext der „Neuen Sachlichkeit“ als literarische Bewegung. Es werden die Merkmale der „Neuen Sachlichkeit“ dargestellt und deren Einfluss auf den Stil und die Thematik des Romans untersucht. Der Fokus liegt auf der objektiven Darstellung der Realität und der Vermeidung von Sentimentalität, die als charakteristisch für die „Neue Sachlichkeit“ gilt.
Schlüsselwörter
Das kunstseidene Mädchen, Irmgard Keun, Weimarer Republik, Neue Sachlichkeit, Massenkultur, Angestelltenkultur, Geschlechterrollen, Sexualität, Sozioökonomie, Siegfried Kracauer, soziale Mobilität, Lebensentwürfe.
Häufig gestellte Fragen zu Irmgard Keuns "Das kunstseidene Mädchen"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Irmgard Keuns Roman "Das kunstseidene Mädchen" im Kontext der Weimarer Republik. Der Fokus liegt auf der Untersuchung sozioökonomischer Aspekte, der Massenkultur und der Geschlechterverhältnisse der Zeit, wobei die Essays von Siegfried Kracauer als wichtige Vergleichspunkte dienen.
Welche Themen werden im Roman behandelt und in der Analyse untersucht?
Die Analyse befasst sich mit der sozioökonomischen Lage der Angestellten, insbesondere der Frauen, der Darstellung der Massenkultur und ihrer Auswirkungen auf die Protagonistin, den Geschlechterrollen und -verhältnissen, sowie dem Einfluss der "Neuen Sachlichkeit" auf den Roman. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Wunsch nach sozialem Aufstieg und dessen Scheitern.
Wie ist der Roman strukturiert, und welche Kapitel umfasst die Analyse?
Die Analyse gliedert sich in Kapitel zu Einleitung, inhaltlicher Übersicht (mit Fokus auf die Entwicklung der Protagonistin Doris), sozioökonomischer Lage der Angestellten (inkl. der Sonderrolle weiblicher Angestellter), Kunst und Massenkultur in der Weimarer Republik (mit Bezug auf Siegfried Kracauer), Geschlechterrollen und Sexualität (inkl. der "neuen Frau" und Prostitution), und der "Neuen Sachlichkeit". Jedes Kapitel bietet eine detaillierte Untersuchung des jeweiligen Themas im Kontext des Romans.
Welche Rolle spielt Siegfried Kracauer in dieser Analyse?
Die Essays von Siegfried Kracauer dienen als wichtige Vergleichspunkte, um die im Roman dargestellte Angestelltenschicht und die aufkommende Massenkultur besser zu verstehen. Kracauers Beobachtungen und Analysen werden mit den im Roman geschilderten Gegebenheiten verglichen.
Wie wird die "Neue Sachlichkeit" im Roman behandelt?
Die Arbeit untersucht den Roman im Kontext der literarischen Bewegung der "Neuen Sachlichkeit". Es wird analysiert, wie sich die Merkmale dieser Bewegung – Objektivität, Realismus und die Vermeidung von Sentimentalität – im Stil und der Thematik des Romans niederschlagen.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Roman und die Analyse?
Schlüsselwörter sind: Das kunstseidene Mädchen, Irmgard Keun, Weimarer Republik, Neue Sachlichkeit, Massenkultur, Angestelltenkultur, Geschlechterrollen, Sexualität, Sozioökonomie, Siegfried Kracauer, soziale Mobilität, Lebensentwürfe.
Welche Zielsetzung verfolgt die Analyse?
Ziel der Arbeit ist es, den Roman "Das kunstseidene Mädchen" mit der gesellschaftlichen Realität der Weimarer Republik zu vergleichen und ihn anhand sozioökonomischer Aspekte, Massenkultur und Geschlechterverhältnissen zu analysieren. Es soll die Nähe des Romans zur "Neuen Sachlichkeit" aufgezeigt und die fiktionale Darstellung der "neuen Frau" mit realen Geschlechterverhältnissen verglichen werden.
Wie wird die Handlung des Romans zusammengefasst?
Die Handlung wird in drei Abschnitte unterteilt: Ende des Sommers und die mittlere Stadt, später Herbst und die große Stadt, und sehr viel Winter und ein Wartesaal. Die Zusammenfassung skizziert die chronologische Entwicklung der Handlung und den Fokus auf Doris' Hoffnungen und Enttäuschungen, ohne in detaillierte Handlungsstränge einzugehen.
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- Joachim Schmidt (Autor), 2009, Neue Sachlichkeit, Angestelltenkultur und Geschlecht, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134002