Petrarcas Canzoniere „nimmt das Vorhandensein unauflösbarer Widersprüche in der Wirklichkeit menschlicher Lebenspraxis ernst“. Diese Widersprüchlichkeit manifestiert sich bereits in Petrarcas Liebeskonzeption und setzt sich fort im Verhältnis seines Liebesverständisses mit anderen Diskursen, die der Canzoniere berührt.
Im Folgenden möchte ich erörtern, inwiefern das Verhältnis zwischen dieser antinomischen Liebeskonzeption und dem christlichen Diskurs im Canzoniere dargestellt wird, inwiefern es von Widersprüchlichkeit geprägt ist und warum diese als „unauflösbar“ beschrieben werden kann. Ich ziehe hierzu die Sonette LXI und das Folgesonett LXII heran, die ‚stellvertretend‘ für die Chronologie der ‚Geschichte‘ des Liebenden, seiner donna Laura und dessen Einstellung zu dieser Liebe stehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Sonette LXI und LXII
3. Liebeskonzeption im Canzoniere
4. Zwischen Liebesrausch und religiöser Reue
4.1 Häretische Glorifizierung vs. wahres Gebet
4.2 LXII – ein Reuegedicht
5. Die Welt als vestgium Laurae
5.1 amor vs. caritas
5.2 Laura vs. Beatrice
6. Das innamoramento und der Gottesmord
7. CCCLXVI – Die Marienkanzone
8. Eine gelungene mutatio vitae ?
8.1. Dichterruhm
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Petrarcas Canzoniere „nimmt das Vorhandensein unauflösbarer Widersprüche in der Wirklichkeit menschlicher Lebenspraxis ernst“[1]. Diese Widersprüchlichkeit manifestiert sich bereits in Petrarcas Liebeskonzeption und setzt sich fort im Verhältnis seines Liebesverständisses mit anderen Diskursen, die der Canzoniere berührt. Im Folgenden möchte ich erörtern, inwiefern das Verhältnis zwischen dieser antinomischen Liebeskonzeption und dem christlichen Diskurs im Canzoniere dargestellt wird, inwiefern es von Widersprüchlichkeit geprägt ist und warum diese als „unauflösbar“ beschrieben werden kann. Ich ziehe hierzu die Sonette LXI und das Folgesonett LXII[2] heran, die ‚stellvertretend‘ für die Chronologie der ‚Geschichte‘ des Liebenden, seiner donna Laura und dessen Einstellung zu dieser Liebe stehen.
2. Die Sonette LXI und LXII
LXI
Benedetto sia ‘l giorno , et ‘l mese, et l’anno,
et la stagione, e ‘l tempo, et l’ora, et l’punto,
e ‘l bel paese, e ‘l loco ov’io fui giunto
da duo begli occhi che legato m’ànno;
et benedetto il primo dolce affanno
ch’i’ ebbi ad esser con Amor congiunto,
et l’arco et le saette ond’i’ fui punto,
et le piaghe che ‘nfin al cuor mi vanno.
Benedette le voci tante ch’io
chiamando il nome de mai donna ò sparte,
e i sospiri, et le lagrime, e’l desio;
et benedette sian tutte le carte
ov’io fama l’acqusito, e `l pensier mio,
che sol di lei, sì ch’altra non v’à parte
LXII
Padre del ciel, dopo i perduti giorni,
dopo le notti vaneggiando spese,
con quel fero desio ch’al cor s’accese,
mirando gli atti per mio mal sì adorni,
piacciati omai col Tuo lume ch’io torni
ad altra vita et ad più belle imprese,
sì ch’avendo le reti indarno tese,
il mio duro adversario se ne scorni.
Or volge, Signor mio, l’undicesimo anno
ch’i’ fui sommesso al dispietato giogo
che sopra i più soggetti è più feroce.
Misere del mio non degno affanno;
reduci i pensier’ vaghi a miglior luogo;
ramenta lor come oggi fusti in croce.
3. Liebeskonzeption imCanzoniere
Zunächst einmal möchte ich das Sonnett Nr.LXI in Hinblick auf die Liebeskonzeption analysieren, die dem Canzoniere zugrunde liegt. Die Liebe zu seiner donna Laura wird ausgelöst durch deren Schönheit:
[…]da’duo begli occhi che legato m’ànno;(V.4)
Sie bleibt für den Liebenden jedoch stets unerfüllt. Folge dieser Liebe, die nie ihre Erfüllung findet sind die „sospiri“, die „lagrime“ und das „desio“ (V.11)des Liebenden. Liebe bedeutet also für das lyrische Ich unweigerlich Schmerz und Leid. Der Liebende überlässt sich diesem Leid jedoch willig und gibt sich diesem hin, was durch die Verwendung eines oxymoralen Ausdrucks wie „dolce affanno“ (V.5)zum Ausdruck kommt. Auch der anaphorische Aufbau des Sonetts, dessen Quartette und Terzette mit „benedetto sia“ bzw. „benedette sian“ beginnen, drückt aus, dass der Liebende alle Aspekte des Liebesaffekts, einschließlich der Tränen und der Seufzer, auf Textebene Äquivalent setzt mit allen anderen Aspekten , die zumindest in semantischer Hinsicht als nicht negativ zu beschreiben sind, indem er sie in sein ‚benedicere‘ einschließt.
Das lyrische Ich leidet also Liebesqualen, die er jedoch so sehr bejaht[3], dass er sie sogar mitunter selig preist, wenn er von seiner Liebe zu Laura spricht, was das wesentliche Element in Petrarcas Liebeskonzeption darstelllt.
4. Zwischen Liebesrausch und religiöser Reue
Nun möchte ich unter Einbeziehung des Folgesonetts LXII, das LXI nicht willkürlich folgt, sondern kontrapunktisch[4] zu diesem angelegt ist erörtern, in welchem moralischen Konflikt sich der Liebende befindet und inwiefern sich seine Liebe zu Laura nicht mit den christlichen Wertvorstellungen der mittelalterlichen Kultur vereinbaren lässt.[5]
4.1 Häretische Glorifizierung vs. wahres Gebet
Das Sonett Nr. LXI aktualisiert in modifizierter Form das Ave Maria, das Gebet zur Verehrung der Mutter Gottes[6]. Es weist die gleiche Anapher („benedetto“-„benedictus“), den Wechsel feminin-maskulin („benedetto-benedette“-„benedictus-benedicta“) und die gleiche Abweichungsstruktur (Voranstellung des „benedetto“ bzw. „benedictus“) auf.
Das Gebet hat folgenden Wortlaut:
Ave Maria, gratia plena;
Dominus tecum;
benedicta tu in mulieribus,
et benedictus fructus ventris tui, Jesus.[7]
[...]
[1] Zitat von G.Regn, „Einführung“ zu F.Petrarca, Canzoniere, aufgrund der Übertragung von K.Förster, Mainz 1987, S.8
[2] Die Sonette werden im Folgenden zitiert nach:F.Petrarca, Rerum vulgarium fragmenta, a cura di R. Bettarini, Band 1, Torino(Einaudi) 2005, S. 311(LXI) und 314(LXII)
[3] G.Regn, „Einführung“ zu F.Petrarca, Canzoniere, aufgrund der Übertragung von K.Förster, Mainz 1987, S.16
[4] G.Regn, „Einführung“ zu F.Petrarca, Canzoniere, aufgrund der Übertragung von K.Förster, Mainz 1987, S.250
[5] Ausdruck entnommen aus G.Regn,“Allegorice pro Laurea corona“:Dante,Petrarca und die Konstitution postmittelalterlicher Dichtungsallegorie“, in Rjb 51(2000),S.49
[6] Brockhaus Enzyklopädie, leipzig 2006, 21. Auflage, Band 3, S.38;das Bittgebet „Sancta Maria, Mater Dei, or pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae“ wurde erst im 16.Jh angeschlossen
[7] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Ave_Maria#Text_auf_Latein
- Quote paper
- Sarah Buchstor (Author), 2008, Das Verhältnis von christlicher Lehre und irdischer Liebe in Petrarcas "Rerum Vulgarium Fragmenta", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133605
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