Zunächst wird der Begriff der Wunderkammer auf theoretischer Grundlage genauer untersucht. Hierzu werden die Begriffe des Kumulierens, der Tätigkeit des Sammelns und des Exponierens genauer betrachtet. Des Weiteren werden Studierstuben, Erinnerungsspeicher, Umwertungen und Neuordnung betrachtet. Im zweiten Gliederungspunkt wird die Wunderkammer in den Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) vorgestellt. Des Weiteren findet das Kooperationsprojekt „Assoziationsraum Wunderkammer“ Einzug in die Hausarbeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Wunderkammer
(Wer legte üblicherweise eine Wunderkammer an und inwiefern unterscheidet sich die Sammlung im Halleschen Waisenhaus von den anderen Kammern?)
1.1 Kumulieren- Die Tätigkeit des Sammelns
1.2 Sammeln und Exponieren
1.3 Studierstuben und Erinnerungsspeicher
1.4 Umwertungen und Neuordnungen
2. Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen
2.1 Allgemein
2.2 Unterteilungen (Was wird in der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen ausgestellt und welche Unterteilungen gibt es?)
2.3 Kooperationsprojekt „Assoziationsraum Wunderkammer“
2.3.1 Kunstvermittlung im „Assoziationsraum Wunderkammer“
4. Quellen
1. Wunderkammer
1.1 Kumulieren- Die Tätigkeit des Sammelns
Der Ausgangspunkt bei der Betrachtung einer Wunderkammer ist die Tätigkeit des Sammelns. Wir Menschen besitzen eine unterschiedlich stark ausgeprägte Neigung zum Sammeln, die an unterschiedliche Aktionen gekoppelt ist:
„[…] mit der Aufmerksamkeit für etwas Bestimmtes, einem Finden aus Zufall oder aufgrund einer gerichteten Suche, mit Auflesen, Selektieren, Anhäufen, Vereinen, Konzentrieren, schließlich Sichern, also Speichern.“1
Des Weiteren kann eine Verbindung auf psychoanalytischer Ebene zur eigenen Identität hergestellt werden: Die Suche nach etwas Verlorengegangen, nach einem jeweiligen Ersatz. Die Leidenschaft zwischen dem Mensch und dem Ding kann somit auch zwischenmenschliche Kontakte ersetzen. Es besteht außerdem ein Suchtpotential, da das Sammeln einen Wiederholungsprozess impliziert. Die Sammler stellen eine persönliche Beziehung zu ihren Sammelstücken her, der emotionale Wert wird oft über den materiellen gestellt. Durch die Tätigkeit des Sammelns kann ebenfalls ein „sinnlicher Zugang zur Welt“2 geschaffen werden. Besonders KünstlerInnen liefert eine Sammlung Material und Inspirationen für ihre Kunst. Durch das Zusammensammeln von Alltagsgegenständen kommt es zu einer „Archäologie der Gegenwart“3. Die Gegenwart ist somit später besser rekonstruierbar – das Erinnern wird erleichtert.
1.2 Sammeln und Exponieren
Das „object trouvé“ ist von besonderer Bedeutung für die Tätigkeit des Sammelns. Es handelt sich hierbei um einen Gegenstand, ein Objekt, welches gefunden wird und Gebrauchsspuren aufweist. Dem gegenüber steht das „ready-made“, welches sich in einem fabrikneuen Zustand befindet4. Die Sammelstücke werden zu Werkmaterial, KünstlerInnen und SchriftstellerInnen verwerten dieses Material in ihren Kunst- und Schriftwerken.
1.3 Studierstuben und Erinnerungsspeicher
Welche Anlässe gab es für die verschiedenen Arten von Sammlungen? Die Motivation der SammlerInnen konnte sich individuell, narzisstisch, ökonomisch, sowie kulturgeschichtlich begründen. In der Renaissance und im Barock spielten besonders die kulturgeschichtlichen Hintergründe eine wichtige Rolle. Aufgrund von Krieg, Pest und ähnlichem durchlebten die Menschen die „Erfahrung der Fragilität des Lebens“5. Neben diesen Erfahrungen entwickelte sich die Technik und Mechanik weiter – es wurden neue Welten entdeckt. ForscherInnen, KünstlerInnen und Gelehrte sehnten sich nach einer Wissenserweiterung und der Reaktivierung bereits vorhandener Wissensbestände. Die Sammelstücke aus aller Welt wurden in höfischen Raritätenkabinetten, Gelehrtenversammlungen und Künstlerateliers gezeigt6. Besonders in den Kunst- und Naturalienkammern, die in der Renaissance und dem Barock entstanden, versammelten sich die Sammlungen. Vorläufer der Wunderkammer waren Reliquienkammern, Tempel- und Domschätze, Rüst- und Schatzkammern sowie Apothekersammlungen.7 Der Sammlungscharakter steht nach wie vor im Vordergrund: Es werden Objekte aus dem Alltag oder aus fernen Welten gesammelt. Was ist gewöhnlich, was spektakulär? Es vereinen sich in Wunderkammern das „Künstlerische, [das] Spielerische [und das] Offene“8. Des Weiteren fungierten private und höfische Studierzimmer als Erinnerungsspeicher: „Das Studiolo ist ein Rückzugs- und Reflexionsort, ein Raum, der dem spekulativen Denken Objekte der Anschauung zur Verfügung stellt.“9 Im 18.Jahrhundert wurden jedoch die Bestände der Wunderkammern an öffentliche Spezialmuseen weitergegeben – die Wunderkammern waren aufgelöst.
1.4 Umwertungen und Neuordnungen
1908 etablierte den Terminus „Wunderkammer“ Julius von Schlosser für die Kunstwissenschaft.10 Horst Bredekamp trug entscheidend „[…] zu einer Neubewertung der Rolle der Wunderkammer als Wissenschaftsmodell, zur Entwicklungsgeschichte des Museums und zur Erweiterung der Kunstgeschichte hin zu einer Bildungswissenschaft […]“11 bei. Die Thematik drängt sich seit einigen Jahren wieder in die Öffentlichkeit. Die vielen PrivatsammlerInnen haben die Intention, ihre Sammlungen zu musealisieren, dafür fordern sie die Bezeichnung als „Wunderkammer“.
2. Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen
2.1 Allgemein
„Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“12
(Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 6.44 )
Unsere Erkenntnisfähigkeiten sind begrenzt, das Wunder ist geschützt.
1698 wurde der Grundstein von August Hermann Francke für das Waisenhaus in Halle gelegt13. Es verkörperte das Symbol einer vielschichtigen Gesellschaftsreform, welche auf Bildung basierte. In den anstaltseigenen Schulen lernten die SchülerInnen, es entstanden einzigartige kulturhistorische Sammlungen: Die Bibliothek und die Wunderkammer. Die Wunderkammer in den Franckeschen Stiftungen Halle ist die einzige vollständig erhaltene barocke Wunderkammer in Europa. In dem ehemaligen Schlafsaal der Waisenknaben im Historischen Waisenhaus erleben die BesucherInnen ein originales Musemskonzept des 18.Jahrhunderts. Die Kunst- und Naturalienkammer entstand, um den Realienunterricht an Franckes Schulen zu dienen. Ungefähr 3000 Naturalien, Kuriositäten und Artefakten repräsentieren eine Welt, die längst in Vergessenheit geraten ist. Die Wunderkammer zeigt eine universale Weltsicht, es werden alle Lebens- und Wissensbereiche miteinander vernetzt. Die Gesamtansicht der Sammlung steht im Vordergrund, das Einzelobjekt rückt in den Hintergrund. Mobiliar, Raum und Licht ziehen die BesucherInnen in eine andere Welt – ein „[…] Eindruck von der unerschöpflichen Vielfalt der göttlichen Schöpfung“14 entsteht. Jährlich zieht die Kunst- und Naturalienkammer mehrere tausend BesucherInnen an.
„Die Kammer mit ihren vielen tausend Objekten spiegelt in unnachahmlicher Weise den weiten Horizont universaler Gelehrtheit wider, der die Wissenschaft noch bis weit in das 18.Jahrhundert hinein prägte.“15 (Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke)
In dem Ensemble der Sammlung vereinen sich Forschungsinteresse, Phantasie und spielerische Neugier. Diese „spielerischen Kräfte“16 wurden nach der frühen Neuzeit in der Wissenschaft durch das „Primat der naturwissenschaftlichen Logik“17 verdrängt. Erst in jüngerer Zeit bekamen diese Kräfte erneut einen Stellenwert, genauso wie der „Ansatz zum interdisziplinären Denken und Forschen“18. Die alten barocken Wunderkammern wurden erneut „salonfähig“19. Die Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen ist eine „räumliche Präsentationsform gesammelter Gegenstände, eine Kategorisierung, eine Enzyklopädie des Wissens“20. Sie war von Beginn an als Unterrichtsraum, als eine Schulsammlung, angedacht: „[…] hier inmitten der einem pädagogischen und pietistischen Konzept unterstellten Lehrsammlung, erhält das Monströse und Exotische seinen Platz.“21 Es ist „[…] ein Raum der Anschauung, des Zeigens und des sinnlichen Erfahrens.“22, dessen Zugänglichkeit heute aus konservatorischen Gründen nur noch beschränkt möglich ist. Doch was sich hinter Glas versteckt und unantastbar ist, weckt Neugier.
2.2 Unterteilungen
(Was wird in der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen ausgestellt und welche Unterteilungen gibt es?)
„Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen beherbergte selbstverständlich das Horn eines Einhorns, außerdem beispielsweise einen gehörnten Hasen und besitzt heute noch einen tätowierten Fisch oder einen aus einem Rochen gefalteten Drachen.“23
Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen setzt sich aus Naturalia, Artificialia, Scientifica, Memorabilia und Realia zusammen. Diese Kategorien stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Es gibt einen Krokodil- und Apothekentisch, Mineralien-, Animalien-, Conchylien-, Indien- und Kleidungsschrank. Der Altenburger Kupferstecher Gottfried August Gründler gestaltete 1736 bis 1741 die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen. Seine reich verzierten Sammlungsschränke „[…] rahmen den Blick, der Schrank wird zur Bühne für die Exponate und die Kulissenmöbel erzeugen insgesamt eine szenographische Raumwirkung.“24 Spielerisch wurden zweckgebundene und „nutzlose“ Gegenstände miteinander verbunden, ein „Theater des Wissens“25 entstand.
[...]
1 Bätzner, Nike (Hrsg.): Assoziationsraum Wunderkammer. Zeitgenössische Künste zur Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Ein Kooperationsprojekt der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und der Franckeschen Stiftungen zu Halle anlässlich des 100. Jubiläums der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle 2015. Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle 2015; Wiesbaden: Harrassowitz Verlag in Kommission 2015. S.26.
2 Vgl. Bätzner, Nike. S.26.
3 Ebd. S.27.
4 Ebd. S.27-28.
5 Vgl. Bätzner, Nike. S.29.
6 Ebd.
7 Vgl. Laube, Stefan: Von der Reliquie zum Ding. Heiliger Ort – Wunderkammer – Museum. Berlin: 2011.
8 Bätzner, Nike. S.30
9 Ebd.
10 Vgl. Von Schlosser, Julius: Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens. Leipzig: 1908.
11 Bätzner, Nike. S.35.
12 In: Bätzner, Nike. S.11.
13 Vgl.: http://www.francke-halle.de/weltveraenderung-durch-menschenveraenderung-die-geschichte-der-franckeschen-stiftungen/veranstaltungen-v-38.html (letzter Zugriff: 01.03.2017)
14 Vgl.: http://www.francke-halle.de/einrichtungen-a-590.html?sstr=wunderkammer (letzter Zugriff: 01.03.2017)
15 In: Bätzner, Nike. S.9.
16 Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke. In: Bätzner, Nike. S.9.
17 Ebd.
18 Ebd.
19 Ebd.
20 Burkhardt, Sara und Antje Dudek (Hrsg.): Wunderkammer(n). In: Kunstpädagogische Knotenpunkte. Halle (Saale): Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Hochschulverlag 2016. Band 1. S.19.
21 Bätzner, Nike. S.31.
22 Burkhardt, Sara. S.19.
23 Bätzner, Nike. S.31.
24 Ebd. S.37.
25 Bätzner, Nike. S.37.
- Quote paper
- Anonymous,, 2017, Die Wunderkammer als Sammlung für Erinnerungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1335582
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