Diese Arbeit stellt sich die Frage: Wenn für die Authentizität des Nibelungenstoffs die Darstellung von mittelalterlichen Gewaltvorstellungen, Missbrauch, Raub, Rache, Mord etc. maßgeblich ist – wie weit bewegt sich dann ein aufgearbeiteter, kinderfreundlicherer Stoff von der Originallektüre weg? Um diese Frage zu beantworten, werden die Brautnacht-Szenen in Handschrift B und in der Neuerzählung von Franz Fühmann miteinander verglichen.
Das Nibelungenlied ist eines der zentralsten mittelalterlichen Heldenepen, welches an der Spitze des kollektiv-kulturellen Gedächtnisses der deutschsprachigen Mittelalterliteratur vertreten ist. Neben der Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus und der darauffolgenden Meidung im Sozialismus , hat es historisch eine enorme Rezeptionsgeschichte aufzuweisen. Diese führte letztendlich seit den 1970er Jahren in eine Wiederentdeckung des Heldenstoffs , wodurch sich viele Neu- und Kurzerzählungen sowie diverse mediale Weiterverarbeitungen des Werkes finden lassen.
Es ist jedoch stark auffällig, dass viele Teilaspekte und Inhalte des mittelhochdeutschen Textes eine verherrlichende Darstellung von Gewalt, Missbrauch und mittelalterlichen Wertevorstellungen transportieren, die sich nicht mehr mit der modernen Wertegesellschaft vereinbaren lassen. Auch die Neuerzählungen scheinen trotz noch so detailreicher Überarbeitungen nicht gänzlich auf diese kritischen Inhalte verzichten zu können. Der Umgang mit diesem Konflikt zwischen der Wahrung der historischen Inhalte und dem Bedürfnis nach kindgerechter Rezeption ist divers. Denn zum einen sollten Texte wie das Nibelungenlied, die (meist) von noch sehr jungen Menschen gelesen werden, hinsichtlich ihrer gewalt- und kriegsverherrlichenden Inhalte kritisch betrachtet werden. Zum anderen sind die Mythen und Sagen, welche den inhaltlichen Kern des Nibelungenlieds ausmachen, schließlich ein wertvolles Zeitzeugnis der mittelalterlichen Literatur und Kultur. Kommt es dann nicht zwangsweise zu inhaltlichen Verzerrungen, wenn die Neuauflagen diese wichtigen Details verändern?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Überblick: Nibelungensage und Nibelungenlied
- Gewaltdarstellung im Nibelungenlied
- Gewaltdarstellung in den beiden Brautnächten (Handschrift B)
- Gewaltdarstellung in der Neuerzählung (Franz Fühmann)
- Fazit
- Verwendung des Nibelungenliedes im Schulkontext
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Darstellung von Gewalt im Nibelungenlied, insbesondere im Vergleich zwischen der St. Galler Handschrift B und der Neu-Erzählung von Franz Fühmann. Sie befasst sich mit der Frage, wie die historische Gewaltdarstellung in einer Kinderliteratur adaptiert wird, um die Inhalte für ein jüngeres Publikum zugänglich zu machen, ohne die Authentizität des Stoffes zu verfälschen.
- Vergleich der Gewaltdarstellung in der St. Galler Handschrift B und der Neu-Erzählung von Franz Fühmann
- Untersuchung der Anpassung von Gewaltdarstellungen in Kinderliteratur
- Analyse der Auswirkungen von Umdichtungen auf die Authentizität des Stoffes
- Rezeption des Nibelungenlieds im Schulkontext
- Die Rolle der historischen Inhalte im modernen Kontext
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung beleuchtet die Relevanz des Nibelungenlieds als ein zentrales Werk der deutschsprachigen Literatur und stellt die Herausforderung dar, die Gewaltdarstellung in diesem Werk für ein modernes Publikum, insbesondere Kinder, zugänglich zu machen.
- Überblick: Nibelungensage und Nibelungenlied: Dieses Kapitel beleuchtet die Unterscheidung zwischen der Nibelungensage als mündlicher Überlieferung und dem Nibelungenlied als schriftlichem Text. Es wird erklärt, warum das Nibelungenlied als Originaltext angesehen werden kann, obwohl es auf einer viel älteren mündlichen Tradition basiert.
- Gewaltdarstellung im Nibelungenlied: Dieses Kapitel untersucht die Gewaltdarstellung im Nibelungenlied und analysiert, wie der Begriff "Gewalt" im mittelhochdeutschen Kontext verstanden wurde. Es wird gezeigt, wie Gewalt als Ausdruck von Macht und Stärke, aber auch als ein Mittel zur Erlangung von gesellschaftlicher Anerkennung dargestellt wird.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen der Gewaltdarstellung im Nibelungenlied, den Vergleich von Originaltext und Neu-Erzählung, die Adaption von historischen Texten für ein modernes Publikum, die Rezeption des Nibelungenlieds im Schulkontext sowie die Rolle der mittelalterlichen Kultur und Wertevorstellungen in der modernen Gesellschaft. Die Untersuchung fokussiert insbesondere auf die beiden Brautnächte im 10. Kapitel des Nibelungenlieds und vergleicht die Darstellungen in der Handschrift B und der Neu-Erzählung von Franz Fühmann.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2019, Brautnächte in der 10. Âventiure. Gewaltdarstellung im Nibelungenlied, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1335580