Im Folgenden soll der in der Praxis nur noch selten relevante und selbst unter Juristen wenig bekannte § 103 vorgestellt und auf seine heutige Relevanz beleuchtet werden.
Die Causa Böhmermann bezeichnet eine durch einen TV-Beitrag des deutschen Satirikers Jan Böhmermann am 31. März 2016 ausgelöste und bis in höchste Kreise kontrovers geführte Diskussion um die Grenzen der Meinungs- und Satirefreiheit in Deutschland.
Sowohl die Regierung der Türkei als auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan selbst bekundeten damals ihr Strafverlangen bzw. erstatteten Strafanzeige gegen Böhmermann wegen dessen als Beispiel für Schmähkritik vorgetragenem Gedicht. Am 15. April 2016 äußerte sich auch Kanzlerin Angela Merkel zur Sache und erklärte, dass die Bundesregierung dem Strafverlangen der türkischen Regierung entspreche, gleichzeitig aber bis 2018 einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch (StGB) im Bundestag verabschieden wolle.
Gliederung
Literatur- u. Quellenverzeichnis
I. Einleitung
II. Entwicklungsgeschichte und Regelungszweck des § 103 StGB
1.) Entwicklungsgeschichte: Von 1871 bis heute
2.) Regelungszweck und Verhältnis zu den §§ 185 ff
III. Diskussion um Abschaffung
IV. Ausblick
Literatur- u. Quellenverzeichnis
Kommentare
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Einleitung
Die Causa Böhmermann bezeichnet eine durch einen TV-Beitrag des deutschen Satirikers Jan Böhmermann am 31. März 2016 ausgelöste und bis in höchste Kreise kontrovers geführte Diskussion um die Grenzen der Meinungs- und Satirefreiheit in Deutschland.1
Sowohl die Regierung der Türkei als auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst bekundeten damals ihr Strafverlangen bzw. erstatteten Strafanzeige gegen Böhmermann wegen dessen als Beispiel für Schmähkritik vorgetragenem Gedicht.2 Am 15. April 2016 äußerte sich auch Kanzlerin Angela Merkel zur Sache und erklärte, dass die Bundesregierung dem Strafverlangen der türkischen Regierung entspreche, gleichzeitig aber bis 2018 einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung des § 103 Strafgesetzbuch (StGB)3 im Bundestag verabschieden wolle.4
Im Folgenden soll der in der Praxis nur noch selten relevante und selbst unter Juristen wenig bekannte § 103 vorgestellt und auf seine Zeitgemäßheit beleuchtet werden.
II. Entwicklungsgeschichte und Regelungszweck des § 103 StGB
1.) Entwicklungsgeschichte: Von 1871 bis heute
Der heutige § 103 (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) entstammt ursprünglich aus der Justiz des deutschen Kaiserreichs (Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich5, 1871) und sollte das Ansehen von monarchischen Staatsoberhäuptern schützen, weswegen er umgangssprachlich auch als „Majestätsbeleidigungsparagraf“ bezeichnet wird.
Der Straftatbestand war bereits bei seiner Wiedereinführung im Rahmen des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes 1953 umstritten. Unter anderem bestand die Befürchtung, dass die Strafbarkeit insbesondere im Hinblick auf Diktaturen zu weit ausgedehnt werden könnte.6 Der auch als „Schah-Paragraf7 bekannte § 103 (In den Sechzigerjahren hatte sich Schah Mohammad Reza Pahlavi von Persien häufiger auf ihn berufen) sei deshalb inzwischen „völlig aus der Zeit gefallen“, findet Justizminister Heiko Maas.8
Die praktische Relevanz des § 103 war zuletzt tatsächlich gering. Von 2007 bis 2014 ist es bundesweit überhaupt nur zu insgesamt fünf Verurteilungen wegen eines Delikts aus dem Dritten Abschnitt des Strafgesetzbuches (Straftaten gegen ausländische Staaten) gekommen.9 Mancher Jurist fordert deshalb inzwischen gar eine Überarbeitung des gesamten politischen Strafrechts aus den ersten vier Titeln des Besonderen Teils des StGB, §§ 80 ff.10
2.) Regelungszweck und Verhältnis zu den §§ 185 ff.
Die Norm gewährt den Repräsentanten ausländischer Staaten einen gegenüber den §§ 185 ff. im Sanktionsrahmen verschärften Ehrenschutz (Anwendungsbereich).11 Als Tathandlung erfasst § 103 alle Verhaltensweisen, bei denen sonst die §§ 185 ff. anwendbar sind, wobei im Rahmen des § 103 nur dem Strafrahmen nach differenziert wird.12 Handelt es sich um eine Beleidigung im Sinne des (i.S.d.) § 185 oder um eine üble Nachrede i.S.d. § 186, ist die Tat mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht.
Nach herrschender Meinung (hM) werden die §§ 185 ff. vom § 103 als lex specialis13 verdrängt, wenn dessen Anwendungsbereich eröffnet ist. Wenn allerdings die Bestrafung aus § 103 am Fehlen einer Verfolgungsvoraussetzung (§ 104a) scheitern würde, sollen die §§ 185 ff. anwendbar bleiben, da anderenfalls bestimmten Personen der Ehrenschutz gänzlich entzogen wäre.14 Folgt man der hM, so schützt der § 103 nicht die individuelle Ehre des von der Tat betroffenen Repräsentanten des ausländischen Staates, sondern allein das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu ausländischen Staaten.15
Der § 103 ist im Gegensatz zu den § 185 ff. kein Privatklagedelikt und von Amts wegen zu betreiben. Verneint die Staatsanwaltschaft das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Verfolgung der Tat, kann der Betroffene immer noch Privatklage erheben, wobei dann allein die §§ 185 ff. Gegenstand des Verfahrens sind.16
III. Diskussion um Abschaffung
Am 28.04.2016 reichten die Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig- Holstein und Thüringen einen Gesetzesentwurf in den Bundesrat ein, der die Aufhebung des § 103 vorsieht.17 Die Länder anerkennen darin zwar grundsätzlich das Spannungsfeld zwischen Ehrschutz und Meinungsfreiheit (bzw. Presse- oder Kunstfreiheit), sie verweisen aber auch auf Urteile des BVerfG18 und EuGH19, wonach der Freiheit von Äußerungen - insbesondere einen Politiker oder Repräsentanten eines Staates betreffend im Zweifel ein größeres Gewicht - zukomme.
Ein Sonderstrafrecht, das Regierungsvertreter ausländischer Staaten in besonderer Weise vor Ehrverletzungen schützen soll, sei nicht mehr zeitgemäß, zumal über § 104a (Strafverfolgungsermächtigung) jedes Mal auch die Bundesregierung in eine ungünstige Lage gebracht werde, einen Ausgleich der mit dem Strafverlangen verbundenen Erwartungen des ausländischen Regierungsoberhaupts und den hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz herbeiführen zu müssen.20
In der Begründung wird des Weiteren ausgeführt, dass die im Vergleich zu den §§ 185 ff. erhöhte Strafandrohung des § 103 auf einem überholten kooperatistischen Staatsverständnis beruhe, welches die Bürger im Hinblick auf die Erfüllung staatlicher Aufgaben mit in die Pflicht nehme. Nach modernem Verständnis sei die Pflege der diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland aber alleinige Aufgabe des Staates.21
Überdies zeigten nicht nur die wenigen praktischen Anwendungsfälle der Vergangenheit, dass tatbestandlich als Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten anzusehendes Verhalten regelmäßig im Kontext der Meinungsfreiheit gesehen werden müsse.22 Es gehöre gerade zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, Maßnahmen von staatlichen Einrichtungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können.23
Eine Strafbarkeitslücke entstünde durch die ersatzlose Streichung nicht, da ehrverletzende Äußerungen gegenüber dem geschützten Personenkreis weiterhin durch die Tatbestände des Vierzehnten Abschnitts des StGB (Beleidigung) sanktioniert werden können. Im Unterschied zum § 103 würde hierbei der Politik die Entscheidung über die Strafverfolgung entzogen und in die Hände der zuständigen Strafverfolgungsbehörden gelegt.24
Schließlich bestehe nach herrschender Ansicht auch keine völkerrechtliche Verpflichtung, Sonderstrafnormen für Repräsentanten eines ausländischen Staates mit erhöhter Strafdrohung aufzustellen.25
Dieser Argumentation scheint sich nach anfänglichem Zögern26 nun auch der Bundesrat anzuschließen, nachdem dessen Rechtsausschuss nach Prüfung des Sachverhalts eine Aufhebung des Gesetzes empfiehlt.27
Indes kritisiert die Gegenmeinung in der „Entkriminalisierungsdebatte“ die Fixierung von Fachpresse und medialer Berichterstattung auf den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und staatlichem Strafverfolgungsinteresse, ohne jedoch einmal nach dem Schutzzweck der Norm und also dem Grund zu fragen, warum das in § 103 geregelte Verhalten überhaupt pönalisiert ist.28
[...]
1 tagesschau.de: Wie 24 Zeilen zur Staatsaffäre wurden (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
2 SPON/Hipp: Wie Erdogan die Bundesregierung austrickste (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
3 Im Folgenden sind alle §§ ohne Gesetzesangabe solche des StGB.
4 Welt.de: Erst bei Paragraf 103 findet Merkel ihren Rhythmus (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
5 Wikisource: Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
6 MüKo StGB-Kreß, 2. Aufl. 2012, § 103 Rn. 3.
7 SPON: Dieser Paragraf soll jetzt abgeschafft werden (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
8 Welt.de/Bewarder, Jungholt, Poschardt: Die Abschaffung der "Majestätsbeleidigung" ist bereits auf dem Weg (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
9 BT-Drucks. 214/16.
10 LTO/Mansdörfer: Das politische Strafrecht ist überholt (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
11 Nomos-Wohlers, 2. Aufl. 2005, § 103 Rn. 1.
12 Ebd., Rn. 2.
13 Schönke/Schröder- Eser, 29. Aufl. 2014, § 103 StGB Rn. 8.
14 Nomos-Wohlers, 2. Aufl. 2005, § 103 Rn. 4; vgl. Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, § 103 Rn. 2.
15 Nomos-Wohlers, 2. Aufl. 2005, § 103 Rn. 4; ebd.-Kargl, Vorb. § 102 Rn. 2.
16 Ebd.-Wolters, § 103 StGB, Rn. 4; vgl. LK-Laufhütte, 12. Aufl. 2012, § 103 Rn. 6.
17 BT-Drucks. 214/16.
18 BVerfG, NJW 1992, 2815; BVerfGE 93, 266.
19 EGMR, NJW 1999, 1321; EGMR, NJOZ 2012, 833.
20 BT-Drucks. 214/16.
21 Ebd.
22 Ebd.
23 BVerfG, NJW 1992, 2815.
24 BT-Drucks. 214/16.
25 Ebd; vgl. MüKo StGB-Kreß, 2. Aufl. 2012, Vor. §§ 102 ff., Rn. 2 f.
26 tagesschau.de: "Böhmermann-Paragraf" - sofortige Abschaffung abgelehnt (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
27 BT-Drucks. 214/1/16; vgl. LTO: Bundesratsausschüsse empfehlen Abschaffung (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
28 LTO/Heinze: Bei Nichtgefallen Gesetz zurück (zul. abgerufen: 9.7.16, 13h).
- Arbeit zitieren
- Julian Heidenreich (Autor:in), 2016, § 103 StGB im Lichte der Böhmermann-Affäre. Die heutige Relevanz des Paragraphen der "Majestätsbeleidigung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1333513
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