In dieser Arbeit werden die Phasen der Gruppenentwicklung thematisiert, durch die Individuen zu einem handlungsfähigen Team avancieren. Es wird anhand von zunächst vier (idealtypischen) Phasenabläufen nach Bruce Tuckman (1965) die Gruppenentwicklung nachvollzogen, erläutert und kritisch diskutiert, ehe eine fünfte Phase vorgestellt wird. Immer wieder wird ein Rückbezug auf die Arbeit in Gruppen in der Schule hergestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Beispielsituation
2. Das Vier- Phasenmodell nach Bruce Tuckman (1965)
2.1. Erste Phase: Forming
2.1.1. Das Zusammenkommen: Herantasten an die jeweils anderen
2.1.2. Zwei Problemebenen
2.2. Zweite Phase: Storming
2.3. Dritte Phase: Norming
2.3.1. Absicherung der Gruppe über einen gemeinsamen Werte- und Normenkonsens
2.3.2. Mögliche Schwierigkeiten dieser Phase
2.3.3. Austausch und Kontrolle
2.3.4. Der „psychologische Kontrakt“
2.3.5. Die „kollektive Struktur“ - ein Handlungskorsett?
2.4. Vierte Phase: Performing
2.4.1. Beginn der Zusammenarbeit
2.4.2. Nutzung der ausgeprägten Kommunikationsmuster
2.4.3. Druck der Gruppe in Bezug auf Lösungsvorschläge
2.4.4. Die persönliche Bindung an die Gruppe
2.4.5. Mögliches Wiederdurchlaufen der Phasen
2.5. Eine mögliche Fünfte Phase
3. Fazit
Literatur:
Bilder
1. Einleitung
In den letzten Jahren wurde mehr und mehr die Forderung nach kooperativen Lernmethoden in der Schule laut[1]. Da wir in unserem Alltag durch die Struktur unserer Gesellschaft ständig Arbeitsgruppen begegnen und selbst immer wieder gezwungen sind, uns in solche einzufinden, um unsere Belange durchzusetzen, scheint es nur logisch, dass Kinder frühzeitig lernen, teamfähig zu sein und sich in immer neuen Gruppen zurecht zu finden.[2] Aber was geschieht mit den Individuen, wenn sie sich zu einer Gruppe zusammenfinden? Wie bewerkstelligen sie es, zusammen zu bleiben und wie schaffen sie es, zusammen zu arbeiten?
Zunächst will ich die Arbeitsgruppe als eine von einer übergeordneten Instanz für die Bearbeitung eines Sachthemas zusammengestellte Konstellation mehrer Personen, die über einen gewissen Zeitraum miteinander interagieren und dabei gemeinsame Werte und Normen festsetzten, sowie Rollen- und Kommunikationsmuster, als auch ein „Wir- Gefühl“ ausprägen, definieren.[3]
In der Fachliteratur werden Gruppenentwicklungen u.a. durch die Organisations-[4] aber auch durch die die Sozialpsychologie[5] thematisiert. Letztere zeigt, dass die Dynamik der Gruppe von Kognitionen, Emotionen, Kommunikation, sozialer Differenzierung, aber auch von Phasenübergängen abhängig ist.[6] Vor allem in informellen Gruppen, in denen die Funktionen der Einzelnen nicht von vornherein festgelegt worden sind, sind die entwickelten Strukturen dynamisch. Derartige Gruppen, die zum Zweck der Bearbeitung einer Aufgabe bestehen, repräsentieren in dieser Diskussion eine besondere Forschungssparte, weil sie, wie beschrieben, selbst oft keinen Einfluss auf ihre Zusammensetzung haben und nur über einen bestimmten Zeitraum existieren. Obwohl die Forschung der letzten Jahre nicht unbedingt zeigt, dass durch ein Lernen in der Gruppe, der Wissenszuwachs jedes einzelnen Individuums steigt, spricht sie sich doch dafür aus, dass die Gruppe flexibler auf komplexe Probleme reagieren kann, als ein Einzelkämpfer.
In dieser Arbeit sollen die Phasen der Gruppenentwicklung thematisiert werden, durch die Individuen zu einem handlungsfähigen Team avancieren. In der Forschung gibt es dazu viele Ansätze, die sich ähneln, aber auch ergänzen. Die Anzahl erforschter Entwicklungsphasen schwankt zwischen drei bis neun, da je nach Gruppentyp die Entwicklungsschemata sehr unterschiedlich ausfallen können. Hier soll anhand von zunächst vier (idealtypischen) Phasenabläufen nach Bruce Tuckman (1965)[7] die Gruppenentwicklung nachvollzogen, erläutert und kritisch diskutiert werden. Das linear- progressive Modell entwarf Bruce Tuckman (1965) nach der Auswertung von 50 Studien über die Gruppenentwicklung.[8]
Es wird angenommen, dass in Kleingruppen eine gewisse Dynamik in den Strukturen vorherrscht. Deren Auslöser soll auf den Grund gegangen werden. Immer wieder wird ein Rückbezug auf die Arbeit in Gruppen in der Schule, auch über die nachfolgende Beispielsituation, hergestellt werden.
1.1. Beispielsituation
Bevor auf die vier Phasen eingegangen werden wird, soll zunächst eine Ausgangssituation für die unten folgenden Beispiele einen Rahmen liefern:
Nach Abschluss der Grundschule findet sich zum ersten Unterrichtstag im neuen Schuljahr eine 7. Klasse einer Realschule in ihrem neuen Klassenraum wieder. Der Geschichtslehrer beschließt mit der Klasse eine Kleingruppen- Projektarbeit durchzuführen, bei der je fünf Schüler ein historisches Ereignis über den Verlauf einer Woche erschließen sollen. Die Gruppen stellt er willkürlich zusammen und tatsächlich sind sich jeweils die fünf Gruppenmitglieder gegenseitig unbekannt, was theoretisch bedeuten kann, dass sie alle mit den gleichen Chancen zur Ausprägung der Gruppenidentität in das neue Team kommen. Genau in dem Moment, in dem sich die Schüler das erste Mal in ihrer Gruppe gegenüberstehen, setzt Tuckmans Vier- Phasenmodell ein.
2. Das Vier- Phasenmodell nach Bruce Tuckman (1965)
2.1. Erste Phase: Forming
2.1.1. Das Zusammenkommen: Herantasten an die jeweils anderen
Nach Tuckman (1965) ist die erste Phase der Gruppenbildung die Formierung, von anderen Forschern auch „Engagement“, „contract creating“ oder „oral dependency“ genannt.[9] Das heißt nichts anderes, als dass in dem oben benannten Fall die Schüler sich zunächst zusammensetzen und miteinander bekannt machen, falls dies noch nötig ist. Sie werden einander wohl anfangs skeptisch gegenüberstehen, wenn sie zuvor noch nicht miteinander zu tun gehabt haben, was hier der Einfachheit halber angenommen werden soll.
Die Individuen sind zunächst darauf aus, nur sich selbst zu präsentieren und beziehen sich noch nicht übermäßig auf die anderen Gruppenmitglieder. Zwischen den einzelnen Verhaltensmustern kommt es zu einer Art Wettbewerb, in dem sich die fünf Schüler allmählich jeweils einem übergeordneten Muster annähren müssen.[10] In ihrem Verhalten zeigt sich ein ständiges Wechselspiel zwischen einerseits Distanzwahrung, um die eigene Identität zu profilieren und andererseits dem Suchen nach Nähe zu anderen Mitgliedern. Auf der einen Seite wollen sie nicht zu viel von sich preisgeben, auf der anderen wollen sie sich behaupten. Da sie sich noch nicht als akzeptierter Teil der Gruppe fühlen, legen sie ein eher für sich untypisches, meist überzogenes Verhalten an den Tag.[11] Die einzelnen Mitglieder nähern sich vorsichtig einander an. Diese erste Phase verzeichnet (besonders in Kleingruppen) nach Volker Tschuschke (1995) die meisten Aussteiger, da die Mitglieder großer Unsicherheit ausgesetzt sind und der Zusammenhalt der Gruppe noch nicht hergestellt werden konnte.[12] Die Schüler suchen zunächst nach Anleitung durch einen Leiter (im oben genannten Beispiel der Lehrer), um sich in der neuen Situation zurechtfinden zu können, wollen aber gleichzeitig unabhängig und frei bleiben.[13] Dennoch überwiegt die Unsicherheit, so dass sie sich den Anweisungen des Lehrers bereitwillig unterordnen.
Die Schüler greifen noch auf gewohntes Rollenverhalten zurück, suchen aber bereits ihre Rolle in der neuen Gruppe, indem sie zwar ihre Identität zu wahren beabsichtigen, aber auch nach Konformität in der Gruppe verlangen. Dazu ziehen sie Vorurteile über die anderen heran, um jeden ihrer neuen Partner in ein bekanntes Schema ordnen zu können, damit ihnen ein entsprechender Umgang mit den anderen ermöglicht wird.[14] Gerade, wenn der Schüler erwartet, von seinem Gegenüber bewertet zu werden, wird Adrenalin frei gesetzt, das ihm hilft, sich gezielt mit einer Aufgabe auseinander zu setzen.
Es ist der Gruppe zunächst aber gar nicht möglich, sich mit dem eigentlichen Sachthema zu beschäftigen, auch wenn sie schon grob die Aufgabe sichtet.[15] Zuerst muss nach Klärung auf der psychosozialen Ebene gestrebt werden.
[...]
[1] „Im Prozeß der demokratischen Entwicklung, der unseren Kindern das Gefühl der Gleichwertigkeit gab, wurden sie gegen die Herrschaft der Erwachsenen immun. Sie wurden frei, haben aber noch nicht gelernt, die volle Selbstverantwortung auf sich zu nehmen. Dieser Mangel an Verantwortlichkeit, der in unseren Familien und Schulen oft klar zutage tritt, beruht in erster Linie auf der Tatsache, daß die Erwachsenen, Eltern und Lehrer, immer noch alle Verantwortung auf sich nehmen und nicht wissen, wie man Kinder zu einem demokratischen Leben in Freiheit, aber mit Verantwortung führt. […] Dies erfordert von Seiten der Lehrer neue Methoden und von Seiten der Schüler zunehmende Selbstverwaltung.“ In: Dreikurs, Rudolf (2004): Psychologie im Klassenzimmer. 2. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta, S.112.
[2] „Kinder können eine wirksame Gruppentätigkeit entfalten. Dies erfordert aber, daß der Lehrer es fertig bringt, den Entscheidungen der Schüler zu vertrauen und an sie zu glauben, was hinwiederum die Kinder dazu bringt, einander und den Erwachsenen zu vertrauen. […] Wenn sie der Achtung, der Mitarbeit und der Unterstützung ihrer Lehrer sicher sind, können sie in jedem Alter schöpferisch an jedem Schulvorhaben mitarbeiten.“ In: Dreikurs, Rudolf (2004): Psychologie im Klassenzimmer (wie Anm. 1), S.113.
[3] Vgl. Gebert, Diether/ Rosenstiel, Lutz von (1996).Organisationspsychologie: Person und Organisation. 4., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, S. 127 und Vgl. auch Sader, Manfred (2002). Psychologie der Gruppe, 5. Aufl. München: Juventa- Verlag, S.39.
[4] Die Organisationspsychologie untersucht primär die das Erleben und die Reaktion eines Menschen ausgehend von nicht- psychologischen Konstanten. Vgl. Rosenstiel, Lutz von / Molt, Walter / Rüttinger, Bruno (2005). Organisationspsychologie. 9., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, S.20.
[5] Die Sozialpsychologie behandelt das Erleben und Verhalten des Individuums im sozialen Kontext.
[6] Vgl. Tschacher, Wolfgang/ Brunner, Ewald J.: Die Dynamik psychosozialer Systeme. In: Langthaler, Werner/ Schiepek, Günter (Hrsg.) (1995). Selbstorganisation und Dynamik in Gruppen: Beiträge zu einer systemwissenschaftlich orientierten Psychologie der Gruppe. Münster [u.a.]: LIT Verlag, S. 104.
[7] Vgl. Forgas, Joseph P. (1999). Soziale Interaktion und Kommunikation. 4. Aufl. Weinheim: PVU, S. 266.
[8] Vgl. Tschuschke, Volker: Gruppenentwicklung - unverzichtbar für gruppentherapeutische Effekte? In: Langthaler, Werner/ Schiepek, Günter (Hrsg.) (1995). Selbstorganisation und Dynamik in Gruppen : Beiträge zu einer systemwissenschaftlich orientierten Psychologie der Gruppe. Münster [u.a.]: LIT Verlag, S. 173.
[9] Vgl. Tschuschke, Volker: Gruppenentwicklung (wie Anm. 7), S. 174.
[10] Vgl. Schiepek, Günter/ Manteufel, Andreas/ Strunk, Guido/ Reicherts, Michael: Kooperationsdynamik in Systemspielen. Ein empirischer Ansatz zur Analyse selbstorganisierter Ordnungsbildung im komplexen Sozialsystemen, in: Langthaler, Werner/ Schiepek, Günter (Hrsg.) (1995). Selbstorganisation und Dynamik in Gruppen : Beiträge zu einer systemwissenschaftlich orientierten Psychologie der Gruppe. Münster [u.a.]: LIT Verlag, S. 127.
[11] Vgl. Langmaack, Barbara/ Braune-Krickau, Michael (1995). Wie die Gruppe laufen lernt. Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen. Ein praktisches Lehrbuch. 5. Aufl. Weinheim: Beltz, Psychologie Verlags Union, S. 72.
[12] Vgl. Tschuschke, Volker: Gruppenentwicklung (wie Anm. 7), S. 174.
[13] Vgl. Forgas, Joseph P. (1999). Soziale Interaktion (wie Anm. 6), S. 272.
[14] Vgl. Langmaack, Barbara/ Braune-Krickau, Michael (1995). Wie die Gruppe laufen lernt (wie Anm. 10), S. 71.
[15] Vgl. ebd., S. 64.
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