Die Grenzen dessen, was man im Fernsehen zeigen kann, werden sowohl auf Seiten der Darsteller als auch auf Seiten der Sender und Produktionsfirmen seit Jahren ausgeweitet. An dieser "Entgrenzung" im deutschen Rundfunk haben Trash-TV-Formate wie „Promis unter Palmen“ unbestreitbar großen Anteil: Eine Teilnehmerin wurde dort jüngst gar so schlimm gemobbt, dass sie freiwillig ging. Viel öffentliche Empörung und sogar eine Strafanzeige waren die Folge.
Sozusagen unter dem SOKO-Namen des gleichnamigen Investigativ-Magazins beim „Tätersender“ wird sich die „akte Sat.1“ hier nun im Nachgang dieser Causa widmen und den Sachverhalt ermittlerisch-kritisch aufarbeiten. Ein Theorie- und ein Praxisteil inklusive Eigenrecherche geben dabei die Struktur der medienrechtlichen Auseinandersetzung vor.
Inhalt
1 Von Klaus Stüwe zur „akte Sat.1"
2 Medienrechtliche Auseinandersetzung mit der „akte Sat.1"
2.1 Theoretischer Teil - Menschenwürde im Medienrecht
2.1.1 Grundrecht
2.1.2 Eingriff
2.1.3 Selbstbestimmungsfähigkeit
2.2 Praktischer Teil - Mobbing in „Promis unter Palmen"
2.2.1 Causa
2.2.2 Wirken
2.2.3 Extra: Eigenrecherche zur Strafanzeige
2.3 Fazit - Synthese und Prognose
3 Von der „akte Sat.1" zurück zu Klaus Stüwe
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
1 Von Klaus Stüwe zur „akte Sat.1
„Chaotisch, oft unter der Gürtellinie, aggressiv und am Ende würdelos." - So empfand Prof. Dr. Klaus Stüwe das erste TV-Duell zwischen dem amtierenden amerikanischen Präsidenten Donald Trump und seinem Herausforderer bei der Wahl am 3. November, Joseph „Joe" Biden. Damit lag der renommierte Politikwissenschaftler und Vizepräsident unserer Universität auf einer Linie mit deutschsprachigen Leitmedien. Diese hatten den Schlagabtausch zwischen Trump und Biden am 29. September, der unter anderem vom öffentlich-rechtlichen Sender ZDF live übertragen worden war, einhellig als „Schlammschlacht" verurteilt (vgl. Reiter, Gady und Ruf 2020).
Anders, weil nicht boulevardesk, hatte es der Leiter des Wirtschaftsressorts bei ntv.de, Jan Gänger, in seinem Kommentar evaluiert: „Das Fernseh-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden ist schmerzhaft. Es ist traurig zu sehen, was aus den USA geworden ist." (Gänger 2020, Abs.1). Dass Beschimpfungen, Verleumdungen und Herabwürdigungen ein TV-Format zum Zwecke der politischen Meinungsbildung, das von Abermillionen Zuschauern auf der ganzen Welt verfolgt wird, dominieren würden, hätten wohl die Wenigsten für möglich gehalten. Kannte man dergleichen doch sonst nur aus dem Trash-TV. - Aber stimmt das wirklich?
Nein, denn die Grenzen dessen, was man im Fernsehen bringen kann, werden sowohl auf Seiten der Darsteller als auch auf Seiten der Sender und Produktionsfirmen seit Jahren ausgeweitet. Nun eben so weit, dass es für einen Klaus Stüwe „würdelos" und für einen Jan Gänger sogar „schmerzhaft" wird. Daran haben Trash-TV-Formate wie „Promis unter Palmen" unbestreitbar großen Anteil: Eine Teilnehmerin wurde so schlimm gemobbt, dass sie freiwillig ging; viel Empörung und sogar eine Strafanzeige waren die Folge. - En Detail und angelehnt an das gleichnamige investigativjournalistische Magazin des „Tätersenders" wird sich die „akte Sat.1" dieser Causa widmen. Ein Theorie- und ein Praxisteil inklusive Eigenrecherche geben dabei die Struktur der medienrechtlichen Auseinandersetzung vor, die in der Synthese beider Teile gipfeln wird.
2 Medienrechtliche Auseinandersetzung mit der „akte Sat.1“
2.1 Theoretischer Teil - Menschenwürde im Medienrecht
2.1.1 Grundrecht
Die Menschenwürde ist ein Grundrecht. Und zwar dasjenige, das im Grundgesetz ganz vorne in Artikel 1 Absatz 1 steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Sein Träger „ist stets der konkrete Mensch [und] nicht eine Gruppe von Menschen, auch wenn diese in besonderer Weise verfolgt wurde" (Fricke 2010, S. 492). - Den „konkreten] Menschen]" schützt die Menschenwürde, weil sie ihm garantiert, dass sein Eigenwert, seine Intimität, seine Sozialbezogenheit und vor allem seine körperliche wie seelische Integrität gewahrt werden (vgl. Hufen 2010, S. 2).
Gerade aufgezählte Garantien bekommt der Einzelne vom Gesetzgeber nicht angeboten, sondern zugeschrieben, weshalb man häufig von der „Unverzichtbarkeit der Menschenwürde" (Fricke 2010, S. 501) spricht. Letztere kommtjeder natürlichen, juristischen und nicht juristischen Person zu (vgl. ebd., S. 492). - Übertragen aufdas triviale Beispiel „Schützenverein" heißt das: Der Schützenfreund (= eine natürliche Person) besitzt genauso eine Menschenwürde wie der - e. V. abgekürzte - eingetragene, rechtsfähige Verein (= eine juristische Person) und der uneingetragene, nicht rechtsfähige Watterstammtisch (= eine nicht juristische Person).
2.1.2 Eingriff
Ein Eingriff in das Grundrecht der Menschenwürde liegt dann vor, wenn „die wirkliche Basis und de[r] Wert des Menschen an sich" (ebd., S. 493) getroffen ist. Historische Beispiele hierfür sind Sklaverei oder Folter. Heute kennt man den Straftatbestand vorwiegend aus dem Kontext Demütigung/Schmähung. - Entscheidend: Für einen solchen Eingriff gibt es aufgrund des Absolutheitsanspruchs der Menschenwürde keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung (vgl. Gröschner/Lembcke 2009).
2.1.3 Selbstbestimmungsfähigkeit
Jedes Jahr wieder, wenn die Trash-TV-Flaggschiffe „Promi Big Brother" und „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" ausgestrahlt werden, regt sich heftige Kritik: „Wo bleibt da die Menschenwürde?!", echauffieren sich Kritiker dann öffentlich. De facto wird das Grundrecht der Menschenwürde aber in den allermeisten Fällen gewahrt. Warum? - Weil die Mitwirkenden sich freiwillig zur Teilnahme an den TV-Formaten entschieden haben. Damit haben sie auch zugestimmt, dabei gedemütigt und/oder geschmäht zu werden. Voraussetzung ist natürlich, ihnen wurde vor Unterschreiben des Teilnahmevertrages gesagt, dass solche Dinge passieren können; eine vollumfängliche Aufklärung muss stattgefunden haben.
Bei Minderjährigen gilt das Prinzip der Selbstbestimmungsfähigkeit jedoch nicht. Heißt das, die Produktionsverantwortlichen müssen einzig und allein auf den Jugendmedienschutz achten? Rechtfertigt die Selbstbestimmungsfähigkeit ansonsten alles, ist quasi ein medienrechtlicher Freifahrtschein? - Nein, denn der Gesetzgeber nimmt eine weitere Einschränkung im „sozialen Kontext" (Fricke 2010, S. 495) vor: die Schmerzgrenzen der Zuschauer, welche nicht überschritten werden dürfen. Das ist der Fall, wenn vor ihren Augen „der konkrete Mensch zum ,Objekt' degradiert wird" (ebd., S. 535). Man nennt dies auch die „Objektformel". Damit wird sozusagen die Menschenwürdegarantievon derVerletzung her mit Inhalt gefüllt.
Weil der Gesetzgeber unmittelbare negative Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft fürchtet, wenn sich Bürger ein Beispiel an den schlechten Verhaltensweisen mancher TV-Darsteller nehmen, verpflichtet er das Fernsehen, keine menschenverachtenden Bilder zu vermitteln. - Generell gilt: Die Frage, „ob es ein Gemeinwesen aushält und ertragen muss, [...] Darstellungen ausgesetzt [zu werden], die seine öffentliche Ordnung, die Grundregeln eines freien und gleichberechtigten Zusammenlebens, zu beschädigen drohen [oder] bereits verletzen" (ebd., S. 535), ist unter Beachtung des kompletten Kontextes der medialen Darstellung sowie unter Berücksichtigung des Grundrechts der Menschenwürde individual zu entscheiden.
2.2 Praktischer Teil - Mobbing in „Promis unter Palmen“
2.2.1 Causa
„Promis unter Palmen" ist ein deutsches Trash-TV-Format, in dem zehn mehr oder weniger Prominente in verschiedenen Spielen um 100.000 Euro kämpfen. Die erste Staffel wurde von 25. März bis 29. April (mittwochs) ab 20.15 Uhr auf dem Privatsender Sat.1 ausgestrahlt. Aufgezeichnet wurde das TV-Format im November 2019 in der Villa Grand Satis in der südthailändischen Provinz Phang-nga. Die Produktion von „Promis unter Palmen" hatte die ProSiebenSat.1 Media SE an die Endemol Shine Group Germany GmbH delegiert. Mit der Kölner Produktionsfirma arbeitet man in Unterföhring auch bei „Promi Big Brother" zusammen.
Das in der Einleitung angeteaserte Mobbing von „Luxus-Lady" Claudia Obert (59) aus Hamburg fand in der fünften Episode statt, welche am 22. April ausgestrahlt wurde. Die Mobber waren der Landshuter „Life-Coach" Bastian Yotta (43), die Recklinghäuser „Influencerin" Carina Spack (24) sowie der Hammelburger „TV-Star" Matthias Man- giapane (37). - Vorweg sei gesagt: Alle vier sind im Trash-TV-Genre erfahren und wissen demzufolge, wie sie zu möglichst viel Sendezeit kommen. Was Yotta, Spack und Mangiapane dieses Mal gemacht haben, ging aber zu weit. Es war reinstes Mobbing in Form persönlicher Beleidigung, sozialer Exklusion und öffentlicher Demütigung. Die Wiedergabe dreier Vorfälle im Folgenden wird das bestätigen:
Nummer 1: Yotta, Spack und Mangiapane finden, Obert hätte sich in der Villa daneben benommen. Sie wollen deshalb „der versoffenen, unerzogenen Kabarettistin Manieren beibringen", wie Yotta sagt. Infolgedessen überlegt Spack vor ihren zwei „Verbündeten", mit Oberts Zahnbürste Dreck wegzubürsten. Mangiapane findet den Plan gut, nimmt ihn zum Anlass für eine Schimpftirade auf Obert. Von „Pottsau" über „Hohlbratze" bis „Viech" kommt darin alles vor. Eigentlich in puncto Menschenverachtung also nicht mehr zu überbieten, meint man. - Yotta schafft es dennoch. Mit seinem herabwürdigenden Kommentar: „Die ist doch schizo, die Alte. Bipolar."
Nummer 2: Obert liegt im Bett, möchte schlafen. Spack rächt sich nun an Obert dafür, dass diese zuvor ihren Bikini und ihr Handtuch vom Balkon in den Garten hinuntergeschmissen hat, um eine bessere Aussicht zu haben. Sie knistert absichtlich laut mit Chipstüten und „gackert wie eine 13-Jährige auf Klassenfahrt in Buxtehude" (Halbroth 2020, Abs. 3). Als Obert genervt darüber stöhnt, reagiert Spack mit: „Hast Du einen Schlaganfall? Passtja zum Alter. [...] Weißt Du, was der Unterschied zwischen uns und Dir ist? - Wir haben allejemanden, der sich freut, wenn wir zurückkommen."
Nummer 3: Yotta fragt Obert: „Ich habe mir einen Pickel ausgedrückt. Weißt Du, an was mich erinnert hat, was da herausgekommen ist? - An dich, Claudia!" Diese Demütigung ins Gesicht ist selbst Obert, die im Fernsehen stets als taffe Frau auftritt, zu viel. Sie legt sich im Wohnzimmer auf den Fußboden (aus ihrem Bett ist sie ja von Spack vertrieben worden) und weint bitterlich. Am nächsten Morgen verlässt Obert freiwillig den „Hort des Hasses mit der einzig richtigen Botschaft an die Leute, die sie so behandelt haben: ,Fuck you!'" (Dittrich 2020, Abs. 4).
2.2.2 Wirken
Nennenswerte Negativkritik an „Promis unter Palmen" gab es bis einschließlich der vierten Episode nicht. Im Gegenteil: Das TV-Format wurde, wie der Bayer sagen würde, „über den Schellnkini gelobt". Im Kolumnenstil erschienen Donnerstag für Donnerstag Kritiken mit Akklamationscharakter auch im stern - einem Nachrichtenmagazin, das seit Jahrzehnten mit dem Privatsender RTL zusammenarbeitet und von dem man daher erwarten würde, dass es „Promis unter Palmen" allein schon deswegen kritisch gegenübersteht: Weil das TV-Format eine Produktion der Konkurrenz ist.
Luisa Schwebel, Redakteurin im Unterhaltungsressort, lobt nach Ausstrahlung der zweiten Episode (zur ersten gab es keine Kritik des sternY,„Promis unter Palmen' ist nicht nur eine willkommene Abwechslung im Quarantäne-Alltag, sondern, man kann es nicht anders sagen, einfach gutes Fernsehen." (Schwebel 02.04.2020, Abs. 3). Eine Woche später geht sie noch weiter, schwärmt regelrecht: „Es ist alles so zum Schä- men, so unangenehm, es tut weh - und ist doch so gut." (Schwebel 09.04.2020, Abs. 3). Womit Schwebel „Promis unter Palmen" den Ritterschlag erteilt, denn Fremdscham hervorrufen zu können ist der entscheidende Unterhaltungsfaktor im Trash-TV, wo die Einschaltquoten über allem stehen.
In ihrer Kritik zur vierten Episode, in der Yotta zum x-ten Mal mit seiner Menschenverachtung auffällig wurde, schwärmt Schwebel weiter von einem „wahnsinnig trashigen und gleichzeitig enorm unterhaltsamen [TV-Format]" (Schwebel 16.04.2020, Abs. 1). Erst nach Ausstrahlung der fünften Episode vollzog der stern genau wie alle anderen Medien, die bisher im Chor akklamiert hatten, die Kehrtwende. - Interessant, dass die entsprechende Kritik anstelle Schwebels von ihrem Chef verfasst wurde. Offenbar hatte Jens Maier die Fatalität dessen erkannt, was passiert war: Wochenlang hatte der stern Lobeshymnen auf ein toxisches TV-Format gehalten, in dem der Zuschauer „Zeuge menschlicher Total-Aussetzer" (Dittrich 2020, Abs. 1) geworden ist.
Wie sich jedoch nach Lektüre seiner Kritik im Kommentarstil - die Darstellungsform wurde ebenfalls geändert - herausstellen sollte, hatte Maier die Fatalität keinesfalls erkannt. Er urteilt zwar: „Hier zeigt sich das Dilemma voraufgezeichneter [...] [TV- Formate], Das Publikum als Richter und Regulator fällt aus. Hätte es eine Zuschauerabstimmung gegeben, [wäre] Yotta mit großer Wahrscheinlichkeit [...] wegen sozialer Inkompetenz [rausgewählt worden]." (Maier 2020, Abs. 3). Aber Maier verschweigt, dass der stern über Wochen hinweg von eben der „Trashigkeit" in „Promis unter Palmen" geschwärmt hatte, zu derYotta maßgeblich beigetragen hat.
Die Rechtfertigung von Sat.1 - „Wir schreiben den Promis nicht vor, wie sie sich als erwachsene Menschen zu verhalten haben" - lässt Maier unkommentiert. Betrachtet man das vor dem großen Shitstorm, den der Sender für seine Hinnahme der Mobbingszenen bereits am Tag zuvor auf Twitter kassiert hatte (vgl. Eiserbeck 2020), ist Maier sozusagen noch gar nicht am Bahnhof angekommen, als der Zug längst abgefahren ist. War er doch auch mit seiner Forderung, den „Mobber der Nation" (Maier 2020, Abs. 3) nicht mehr im Fernsehen auftreten zu lassen, hintendran.
Nämlich schon vor Ausstrahlung der fünften Episode hatten RTL und Sat.1 die weitere Zusammenarbeit mit Yotta ausgeschlossen. Grund für die Distanzierung der beiden Trash-TV-Platzhirsche von ihm war das „Drei-Loch-Video", in dem er sich „abfällig über Frauen geäußert und diese zu sexuellen Objekten degradiert [hatte], an denen sich Männer frei bedienen können" (Moritz 2020, Abs. 1). - Alles in allem bleibt festzuhalten: Maiers Kritik am TV-Format ist zwar keine Akklamation mehr (wie Schwebels bisherige),jedoch auch keine echte Verurteilung.
Die Woche darauf wechselte der stern erneut seinen Kritiker. Über die sechste Episode, das Finale, urteilt der freie Mitarbeiter Mark Stöhr. Während Schwebels Ablösung durch die vorgenommene Kehrtwende verständlich war, ist die von Maier so nicht erklärbar. Denn der stern behält Maiers Kurs der alleinigen Yotta-Kritik bei. Dass Bastian Josef Gillmeier (so lautet Yottas bürgerlicher Name) die 100.000 Euro gewonnen hat, kritisiert Stöhr, ohne dabei den Sender und die Produktionsfirma für die Hinnahme der Mobbingszenen in der vorherigen Episode zu kritisieren. - Wobei: Ganz am Ende findet sich dann doch noch eine Passage, wo er sie zumindest ins Visier nimmt:
„Während sich die Kandidaten mit schlimmsten Beleidigungen überzogen [...], bediente sich der [Off-]Kommentar einer mal kalauerigen, mal schmierigen AltherrenProsa, die nicht weniger unerträglich war. [...] Wer schreibt so was? Wie viel Schmerzensgeld bekommt er dafür?" (Stöhr 2020, Abs. 3). - Indes wenig glaubwürdig ist die Kritik des stern, wenn Carsten Heidböhmer, Redakteur im Kulturressort, am gleichen Tag kommentiert: ,,[D]ie Akteure [taten] nur das, wofür sie gecastet wurden. Die Empörung ist scheinheilig." (Heidböhmer 2020, Abs. 1). Wohl eher „scheinheilig" ist doch, dem (Konkurrenz-)Nachrichtenmagazin SPIEGEL vorzuwerfen, sie würden bei der jetzigen scharfen Kritik am TV-Format ihre frühere Begeisterung verschweigen (vgl. ebd., Abs. 3). Denn macht der stern etwa nicht das Gleiche, nur ohne Schärfe?
Letztere lieferte man dann in der Kritik zum Spezial „Promis unter Palmen - Die große Aussprache" nach. Dort dann aber in so konzentrierter Form, dass es vollkommen aufgesetzt wirkte. Kolumnenstilfan Schwebel, die ihre zweiwöchige Zurückhaltung in der Causa beendet hat, verurteiltjetzt als „einzige Katastrophe" (Schwebel 07.05.2020, Abs. 1), was für sie vor nicht allzu langer Zeit noch „einfach gutes Fernsehen" (Schwebel 02.04.2020, Abs. 3) war. Und dass Sat.1 Yotta im „Promis unter Palmen"-Spezial nicht eingeladen hat, ist für Schwebel, die diesen zuvor wegen seiner „Trashigkeit" hochgelobt hatte (vgl. Schwebel 02., 09. und 16.04.2020), nun auf einmal die „einzig richtige Entscheidung" (Schwebel 07.05.2020, Abs. 2).
Das Mobbing von Obert durch Yotta, Spack und Mangiapane, die sich alle drei nachträglich bei ihrem Opfer entschuldigt haben, erst hinzunehmen und später dann quasi achselzuckend auszustrahlen, ist nach Schwebels jetziger Meinung einer von vielen ,,Fehler[n], die der Sender bereits im Verlauf [des TV-Formats] gemacht hatte" (ebd., Abs. 1). - Der stern wurde also überdeutlich. Zweifellos rührte dies nicht zuletzt daher, dass die fünfte Episode von „Promis unter Palmen" in der Zwischenzeit immer weitere Kreise gezogen hatte. Ein Abriss davon soll im Folgenden wiedergegeben werden und die Dynamik, die in die Causa gekommen war, aufzeigen.
Um in der Chronologie zu bleiben, muss dabei mit einem Streit begonnen werden, der schon vor Ausstrahlung der fünften Episode aufgekommen war und sich um die Titelmelodie des TV-Formats drehte: Die Mitglieder der Berliner Reggae-Band SEEED erfuhren, dass Sat.1 ihr Lied „G€LD" aus dem aktuellen Album „Bam Bam" ohne ihr Einverständnis zum „Promis unter Palmen"-Jingle gemacht hatte. Daraufhin beschwerten sie sich beim Sender (vgl. Zeißler 2020, Abs. 2). - Erfolgreich, denn ab der vierten Episode lief im Intro nicht mehr „G€LD", sondern die 2007er-Single „Papaya" eines anderen Berliners: die von Electrolore-Künstler Alexander Marcus.
Eine Sat.1-Sprecherin erklärte dazu, fast alle Musiker würden sich über eine solche zusätzliche Werbung freuen. Außerdem sei man im Recht, weil die für derartige Fragen zuständige Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) erlaubt hätte, „G€LD" als „Promis unter Palmen"-Jingle zu verwenden. Um einen unnötigen rechtlichen Streit überhaupt nicht erst aufdie Bühne zu rufen, sei die Titelmelodie ausgetauscht worden (vgl. ebd., Abs. 2).
Speziell eine Folge der Mobbingszenen in der fünften Episode war, dass die Nord- stemmener SmileSecret GmbH & Co. KG - ein Zahnbleaching-Unternehmen - Spack und Yotta ihre Werbeverträge aufkündigte (vgl. Nastl 2020). Beide wurden zudem in den sozialen Netzwerken massiv angefeindet und bedroht. Spack ging deswegen zur Polizei: „Ich [...] habe mir die Mühe gemacht, diese ganzen Morddrohungen rauszusuchen und [anzuzeigen]. Dagegen wird jetzt ermittelt." (Berger 2020, Abs. 4). Weil die Morddroher (über IP-Adressen) noch nicht ausfindig gemacht werden konnten, stehe sie zudem unter Polizeischutz, schrieb Spack später auf Instagram.
Ebenfalls aufgrund der ausgestrahlten Mobbingszenen gingen mehrere Beschwerdeanrufe bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (FSF) ein. Ob der Jugendmedienschutz tatsächlich missachtet worden war, untersuchte daraufhin ein Ausschuss der FSF in einer Programmprüfung. Mitte Mai kamen die fünf unabhängigen Prüfer aus Pädagogik-, Kunst und Medienbereich zum Ergebnis: Die fünfte Episode von „Promis unter Palmen" hätte nicht vor 22 Uhr gezeigt werden dürfen, da sie für Zuschauer unter 16 Jahren ungeeignet sei. Ein sojunges Publikum könne die Inszenierung in einem Trash-TV-Format unmöglich erkennen. Besonders problematisch sei, dass „die Mobbingattacke letztlich erfolgreich war" (Riedmeier 2020, Abs. 4) und dadurch „Mobbing als übliches Sozialverhalten dargestellt [wurde]" (ebd., Abs. 4).
Weil alle zur ProSiebenSat.1 Media SE gehörenden Sender Mitglied im gemeinnützigen Verein der FSF sind, musste Sat.1 die beanstandete Episode sofort nach Einleitung der Programmprüfung quasi prophylaktisch aus der Mediathek (im Internet unter sat.l.de/videos) entfernen. Auch die Münchner Joyn GmbH, ein Tochterunternehmen, musste die Episode von seiner gleichnamigen Streaming-Plattform herunternehmen. - Hätte der FSF-Prüfungsausschuss pro „Promis unter Palmen" entschieden, wären beide Verpflichtungen dadurch wieder aufgehoben gewesen.
Das war passiert, nachdem Sat.1 Berufung eingelegt hatte. Der Sender durfte sich über ein komplett anderes Urteil in zweiter Instanz freuen. Die sieben Mitglieder des Berufungsausschusses, allesamt erfahrene FSF-Prüfer, welche nicht im Prüfungsausschuss vertreten gewesen sein dürfen, urteilten Anfang Juni so: „Zwar gewinnt die Person, die die Attacken [auf Obert] maßgeblich mit vorantreibt, letztlich die [100.000 Euro], aber nicht die Sympathien der [...] Zuschauer. Eine Vorbildwirkung des ausgrenzenden Verhaltens und in diesem Sinne eine sozialethische Desorientierung der [unter 16-Jährigen] wird daher nicht vermutet." (Ebd., Abs. 3). Gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses ging keiner der Beschwerdeanrufer in Revision, sodass die fünfte Episode von „Promis unter Palmen" wieder ins Internet gestellt werden konnte. Auch im Hauptabendprogramm dürfte sie Sat.1 erneut zeigen.
2.2.3 Extra: Eigenrecherche zur Strafanzeige
Diverse Medien berichteten vor dem Finale des TV-Formats über die - neben den Morddrohungen gegen Spack - sicherlich schwerwiegendste Folge von „Promis unter Palmen": einer Strafanzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft. Diese hatten die in der Hauptstadt wohnhaften Antidiskriminierungsaktivisten Carsten Stahl und Steve Hildebrandt als Vorsitzende von Camp Stahl e. V. bzw. Liebe wen Du willst e. V. gegen die ProSiebenSat.1 Media SE und die Endemol Shine Group Germany GmbH gestellt. Und zwar wegen der in Episode fünf hingenommenen Mobbingszenen.
Eine Anfrage an die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Berlin sollte klären, in welche Richtung im Zuge der Strafanzeige ermittelt wird, ob die Ermittlungen schon etwas ergeben haben und wie strafrechtliche Konsequenzen in der Causa aussähen. Jedoch konnte die stellvertretende Pressesprecherin, Staatsanwältin Mona Lorenz, zur Klärung der Fragen nichts beitragen, weil für sie „ein Ermittlungsverfahren, welches den [...] skizzierten Sachverhalt beinhaltet, nicht ermittelbar" gewesen wäre. Lorenz verwies auf die Staatsanwaltschaften Köln und München I, weil diese für die beschuldigtenjuristischen Personen örtlich zuständig seien.
Während man in Köln überhaupt nicht reagierte und alle E-Mails - die automatische Antwort mit der Anfrageeingangsbestätigung außen vor - unbeantwortet ließ, war man in der Staatsanwaltschaft München I sehr kooperativ. Pressesprecherin und Oberstaatsanwältin Anne Leiding antwortete ausführlich: ,,[U]nsere örtliche Zuständigkeit für die ProSiebenSat.1 Media SE mit Sitz in Unterföhring könnte ein Ermittlungsverfahren im Prinzip schon begründen, aber dann mü[ss]te sich die Strafanzei- ge/das Ermittlungsverfahren gegen einen hier verorteten Verantwortlichen richten. Wir ermitteln [ja] nicht ,gegen Unternehmen', sondern immer nur gegen strafrechtlich verantwortliche Personen. Ich kann hier [...] kein Ermittlungsverfahren zuordnen."
Lorenz' Information, die Strafanzeige sei ohne Eintragung direkt an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden, könne nicht stimmen, da jede Strafanzeige beijeder Staatsanwaltschaft immer eingetragen werde. Selbst bei offensichtlicher örtlicher Unzuständigkeit mache man das: „Erst wenn der Vorgang erfasst ist, wird dieser sodann an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Das würde dann auch dem Anzeigeerstatter so mitgeteilt." Leiding bemühte sich redlich, mit verschiedenen Parametern (Beschuldigte, Zeitraum, Causa, ...) das Ermittlungsverfahren, welches durch besagte Strafanzeige angestoßen worden sein müsste, im Datenbestand ausfindig zu machen, fand es aber nicht.
Jede der 115 deutschen Staatsanwaltschaften (pro Landgericht eine) könne allerdings auch nur auf die in der „eigenen örtlichen Zuständigkeit geführten Verfahren" zugreifen, schränkte Leiding ein. Angenommen, Lorenz hätte den Datenbestand der Staatsanwaltschaft Berlin genauso gründlich durchsucht wie sie selbst den der Staatsanwaltschaft München I, kämen für das Nichtauffinden des Ermittlungsverfahrens zwei Erklärungen in Frage: Erstens menschliches Versagen, sprich in der Empfängerstaatsanwaltschaft (Berlin) ist jemand der Eintragungspflicht nicht nachgekommen. Oder zweitens, das Stellen der Strafanzeige war bloß eine Prahlerei.
An der Stelle schien es erfolgversprechender, mit den Anzeigeerstattern in Kontakt zu treten. Denn im Falle menschlichen Versagens wäre weiteres Nachfragen bei der Berliner Staatsanwaltschaft zwecklos. Der „Versager" müsste schließlich unter über 800 Mitarbeitern an vier verschiedenen Standorten gefunden werden. - Stahl verriet zwar, dass sie die Strafanzeige wegen „unterlassener Hilfeleistung" und Verstoßes gegen Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz gestellt hätten, behielt aber für sich, bei welcher Staatsanwaltschaft das passiert sei. Auch gegen wen genau (die ProSiebenSat.1 Media SE als Unternehmen ist kein Subjekt des Strafrechts) nun ermittelt werde, teilte er nicht mit. Alle weiteren Rückfrage-E-Mails blieben unbeantwortet.
Weil keine Telefonnummern in den Impressi ihrer Internetseiten stehen und sie zudem keinen Telefonbucheintrag haben, konnten Camp Stahl e. V. bzw. Stahl selbst auch auf dem Wege nicht kontaktiert werden. - der zweite Anzeigeer statter, antwortete überhaupt nicht auf eine Anfrage per E-Mail, hatte aber seine Telefonnummer im Impressum der Internetseite von Liebe wen Du willst e. V. angegeben und konnte deshalb angerufen werden. Er versprach zweimal, „die Tage" eine Antwort zu schicken. Es vergingen Wochen, ohne dass sein Versprechen erfüllte. Man bekam den Eindruck, dass er log um abzuwimmeln, was natürlich die zweite mögliche Erklärung starkan Wahrscheinlichkeit zulegen ließ.
Ob das Stellen der Strafanzeige vielleicht wirklich nur eine Prahlerei gewesen war, sollte als Nächstes überprüft werden. Hierfür anzurufen, machte auf grund seiner leeren Versprechungen genauso wenig Sinn, wie die Pressestellen der Staatsanwaltschaften anzuschreiben. Schließlich würde ein Pressesprecher niemals über solche Dinge spekulieren. - Blieben noch Stahl und sein Verein, wo esja immer noch das Problem, dass keiner mehr zurückschrieb, zu lösen galt.
Die buchstäbliche Mauer des Schweigens dort musste irgendwie durchbrochen werden. Die Unterstellung, sie hätten nur damit geprahlt, Strafanzeige gestellt zu haben, schien zu dem Zweck perfekt geeignet. Bei einer E-Mail mit einem solchen Inhalt könnte Stahl nicht mehr aus. Denn dass die Prahlerei-Hypothese an die Öffentlichkeit gelangt, wäre nicht auszuschließen. Das würde Stahl, der sowieso unter Kritik steht (vgl. Betschka et al. 2019), weiter diskreditieren. Und tatsächlich: Dieser kreative, unorthodoxe Ansatz führte zum gewünschten Ergebnis. Noch in der Nacht, genauer gesagt um 3.48 Uhr (!), kam eine Antwort - wohlgemerkt, nachdem zuvor über Wochen alle E-Mails mit höflichen Bitten um Rückmeldung ignoriert worden waren.
Die wichtigste und gleichzeitig einzig weiterbringende Information darin war, dass sie die Strafanzeige bei der Zentralstelle der Staatsanwaltschaft Berlin für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle sowie intersexuelle Betroffene und Zeugen vorurteilsmotivierter Hasskriminalität (LSBTI) gestellt hätten. Der Empfängerstaatsanwalt sei Markus Oswald gewesen. - Im Glauben, nach langer, schwieriger Suche endlich an der richtigen Adresse angelangt zu sein, erfolgte eine Anfrage an die LSBTI. Zurück kam, dass Oswald derzeit sei. Seine Kollegin, Oberstaatsanwältin Ines Karl, versprach jedoch, ihn anzurufen und sich wieder zu melden. Das tat sie dann auch circa eine Woche später: ,,[l]ch konnte inzwischen Herrn Oswald befragen. [E]r hat mir mitgeteilt, dass er die [Strafanzeige seinerzeit, da ohne Bezug zur LSBTI-Zuständigkeit, an die Auszeichnungsstelle weitergeleitet hat. Sie ist demnach nicht in der Abteilung 284/237 bearbeitet worden." Auf Wunsch hatte Karl daraufhin die ursprüngliche Anfrage ebenfalls an die Auszeichnungsstelle weitergeleitet. Dort setzte sich fort, was bisher schon das Hauptproblem gewesen war: Niemand antwortete. - An der Stelle war das buchstäbliche Ende der Fahnenstange erreicht. Zwei Monate Eigenrecherche in der Causa mussten ohne zufriedenstellendes Ergebnis enden. Nicht zuletzt lag das an all den in sich widersprechenden Aussagen:
Karls Angaben konnten von Lorenz nicht bestätigt werden: ,,[E]s bleibt dabei: [...] Sollte es hier eine [Strafanzeige gegeben haben, so gehe ich davon aus, dass diese mangels Zuständigkeit hier in Berlin direkt ohne Eintragung bei uns an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde." Und diejenigen Lorenz' wiederum nicht von Leiding: „Dass eine Strafanzeige nicht aufgenommen wurde ,wegen örtlicher Unzuständigkeit', kann nicht sein." Alle Strafanzeigen würden von den Empfängerstaatsanwaltschaften immer im Datenbestand eingetragen. Erst danach schaue man, wer örtlich zuständig sei, und leite die Strafanzeige dorthin weiter. Solche Abgaben an andere Staatsanwaltschaften seien dann „natürlich erkennbar", weil man bei der Weiterleitung einen entsprechenden Vermerk in der Akte hinzufüge.
2.3 Fazit - Synthese und Prognose
Die Menschenwürdegarantie im Grundgesetz wendet sich zunächst nur an den Staat. Er darf Menschen nicht als Objekte behandeln. Unternehmen wie die ProSiebenSat.1 Media SE oder die Endemol Shine Group Germany GmbH sind über den „sozialen Kontext"jedoch indirekt auch daran gebunden. - Auf ebendiese Einschränkung beim Prinzip der Selbstbestimmungsfähigkeit im Medienrecht berufen sich Stahl und Hildebrandt bzw. ihre Vereine in der „Promis unter Palmen"-Strafanzeige.
Die Anzeigeerstatter argumentieren, mit dem Mobbing von Obert durch Yotta, Spack und Mangiapane sei den Zuschauern ein der Menschenwürde zuwiderlaufendes Bild vermittelt worden, welches unmittelbare negative Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft durch Nachahmung befürchten lasse. - An sich ein guter Punkt, denn der FSF-Prüfungsausschuss hatte ebenfalls befunden, dass hier Mobbing als „übliches Sozialverhalten" dargestellt worden sei. Doch damit die Verantwortlichen strafrechtlich belangt werden können, müsste es eine entsprechende Rechtsnorm geben.
Die Paragrafen 130 und 131 des Strafgesetzbuches, die die Menschenwürde schützen, greifen beide nicht, weil in der fünften Episode des TV-Formats weder Volksverhetzung betrieben, noch Gewalt dargestellt wurde. Das bestätigt auf Bitten, sich die Causa anzuschauen, auch der renommierte Hamburger Medienrechtler Prof. Dr.
Strafrechtliche Verurteilungen sind für ihn daher unwahrscheinlich. Stattdessen kann sich ein Bußgeld für Sat.1 wegen Verletzung von Paragraf 4 Absatz 1 Nummer 8 des Jugendmedienschutzstaatsvertrages vorstellen:
„Unbeschadet strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind Angebote unzulässig, wenn sie gegen die Menschenwürde verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die [...] seelischen Leiden [= das Mobbing von Obert] ausgesetzt sind." Dagegen spricht wiederum, dass der FSF-Berufungsausschuss beanstandete Episode jugendmedienschutzkonform beurteilt hatte. - Außerdem: Ein Ermittlungsverfahren war unauffindbar. Dass die Strafanzeige zu gar nichts führt, ist am allerwahrscheinlichsten.
3 Von der „akte Sat.1“ zurück zu Klaus Stüwe
Sollte die „Promis unter Palmen"-Strafanzeige keine straf- oder medienrechtlichen Konsequenzen haben, bliebe von der „akte Sat.1" hängen: ein Bastian Yotta, der von RTL und Sat.1 verbannt und dem sein Werbevertrag aufgekündigt wurde; eine Carina Spack, die den gleichen Werbepartner verlor und Morddrohungen bekam; ein Matthias Mangiapane, der im Fernsehen durchstartete, wenn auch ausschließlich auf Sat.1- und RTL; plus eine Claudia Obert, die von den drei Genannten öffentlich gede- mütigt, um nicht zu sagen ihrer Menschenwürde beraubt wurde.
Über Letzteres wollte Obert erst nicht sprechen. Dann ließ sie sich gegenüber der Boulevardzeitung Bi/d aber doch zu einem verbalen Nachschlag hinreißen: „Das war nicht nur Mobbing, das war geisteskrank!" (Peters 2020, Abs. 2). Allerdings sieht sich Obert inzwischen nicht mehr in der Opfer-, sondern der Siegerrolle. Schließlich seien ihre Popularitätswerte während der „Promis unter Palmen"-Ausstrahlung regelrecht explodiert: „Ich kannjetzt nicht mehr auf die Straße gehen, ohne dassjemand ein Selfie will oder sagt, wie gern er mich hat." (Peters 2020, Abs. 4). Noch stärker als Mangiapane hat Obert beruflich von der Aufregung um die „akte Sat.1" profitiert. 2020 wird, was die Anzahl der TV-Auftritte angeht, als das erfolgreichste Jahr in ihrer Karriere eingehen. - Also zwei Verlierer und zwei Sieger?
Nein, zwei Verlierer und vier Sieger. Denn auch der Sender und die Produktionsfirma gehen als Gewinner aus der „akte Sat.1" hervor: „Mit mehr als drei Millionen Zuschauern und einem durchschnittlichen Marktanteil von 18 Prozent in der Zielgruppe erwies sich ,Promis unter Palmen' [...] als riesiger Erfolg für Sat.1." (Krei 2020, Abs. 1). Wegen dieses „riesigefn] Erfolg[s]" kündigte der Sender wenige Tage nach Ausstrahlung des Finales an, dass die Endemol Shine Group Germany GmbH 2021 eine zweite Staffel produzieren wird. - „Hoffentlich dann ohne Herabwürdigungen", wünscht sich der Autor dieser Arbeit; gleichen Wunsch hat Klaus Stüwe für das voraussichtlich nächste TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden am 15. Oktober.
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Fricke, Ernst (22010): Recht fürJournalisten. Presse-Rundfunk-Neue Medien. Konstanz, S. 489-535 [Teil 11: Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht].
Gröschner, Rolf/Lembcke Oliver W. (12009): Das Dogma der Unantastbarkeit. Eine Auseinandersetzung mit dem Absolutheitsanspruch der Würde. Tübingen.
Hufen, Friedhelm (01/2010): Die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. In: Juristische Schulung, S. 1-10.
Sekundärliteratur
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Gady, Franz-Stefan (30.09.2020): Analyse US-TV-Duell. Diese Schlammschlacht verheißt nichts Gutes für Amerikas Demokratie, https://www.kleinezeitung.at/mei- nung/meinungktnhp/5874706/Analyse-USTVDuell_Diese-Schlammschlacht-ver- heisst-nichts-Gutes (zuletzt aufgerufen am 05.10.2020).
Gänger, Jan (30.09.2020): Würdeloses Trump-Biden-Duell. Amerika ist tief gesunken. https://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Amerika-ist-tief-gesunken- article22069257.html (zuletzt aufgerufen am 05.10.2020).
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Heidböhmer, Carsten (30.04.2020): Meinung. Sat.1-Show Der Mythos vom guten Trash-TV - warum die Aufregung über „Promis unter Palmen verlogen ist. https://www.stern.de/kul-tur/tv/-promis-unter-palmen-warum-die-aufregung- ueber-die-show-verlogen-ist-9245408.html (zuletzt aufgerufen am 27.09.2020).
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Ruf, Renzo (30.09.2020): Kommentar. Das erste Fernsehduell zwischen Donald Trump und Joe Biden war nicht schön anzusehen - es war aber dennoch erhellend. https://www.tagblatt.ch/meinung/trump-vs-biden-1-tv-duell-war-nicht-schoen- anzuschauen-ld.1262782 (zuletzt aufgerufen am 05.10.2020).
Schwebel, Luisa (02.04.2020): Trash-Fernsehen. „Promis unter Palmen". Eine keifende Désirée Nick, viel zu viel Alkohol und im Hintergrund feixt Schill, https:// www.stern.de/kultur/tv/-promis-unter-palmen-ronald-schill-geniesst-den-streit- im-haus-9208474.html (zuletzt aufgerufen am 26.09.2020).
Schwebel, Luisa (09.04.2020): TV-Kritik. „Promis unter Palmen". Alt gegen [J]ung - die keifenden Suffnasen empören die nüchternen Moralapostel, https:// www.stern.de/kultur/tv/-promis-unter-palmen-die-alten-zeigen-den-jungen- wie-trash-tv-geht-9217388.html (zuletzt aufgerufen am 26.09.2020).
Schwebel, Luisa (16.04.2020): TV-Kritik. „Promis unter Palmen". Sektenführer gegen Suffkopf - [w]ie Bastian Yotta versucht, Claudia Obert zu bekehren, https:// www.stern.de/kultur/tv/-promis-unter-palmen-claudia-obert-und-bastian-yotta- geraten-aneinander-9225414.html (zuletzt aufgerufen am 26.09.2020).
Schwebel, Luisa (07.05.2020): TV-Kritik. Überforderter Moderator und Zoff. Zwei Stunden Horror - [d]as „Promis unter Palmen"-Wiedersehen wird zur Zumutung. https://www.stern.de/kultur/tv/-promis-unter-palmen-die-grosse-aussprache- wird-zur-zumutung-9254116.html (zuletzt aufgerufen am 26.09.2020).
Stöhr, Mark (30.04.2020): TV-Kritik. „Promis unter Palmen". Die goldene Kokosnuss krönt Yottas windiges Kulissenleben, https://www.stern.de/kultur/tv/-promis- unter-palmen-die-goldene-kokos-nuss-kroent-yottas-windiges-kulissenleben- 9245268.html (zuletzt aufgerufen am 27.09.2020).
Zeißler, Nico (06.05.2020): „Promis unter Palmen"-Titelsong. Warum wir mittendrin nicht mehr SEEED zu hören bekamen, https://www.tag24.de/unterhaltung/tv/ promis-unter-palmen/titelsong-seeed-geld-alexander-marcus-papaya-warum- wir-mittendrin-nicht-mehr-seeed-zu-hoeren-bekamen-1497513 (zuletzt aufgerufen am 28.09.2020).
Häufig gestellte Fragen zur "akte Sat.1"
Was ist der Inhalt der "akte Sat.1"?
Die "akte Sat.1" untersucht die medienrechtlichen Aspekte von Trash-TV-Formaten, insbesondere im Kontext der Menschenwürde. Der Fokus liegt auf der Mobbing-Causa in der Sendung "Promis unter Palmen" und analysiert, wie die Menschenwürde in diesem Format verletzt wurde oder eben auch nicht verletzt wurde.
Welche Themen werden im theoretischen Teil behandelt?
Der theoretische Teil behandelt das Grundrecht der Menschenwürde, insbesondere im Hinblick auf Eingriffe in dieses Recht und die Bedeutung der Selbstbestimmungsfähigkeit der Teilnehmer von TV-Formaten. Es wird die Objektformel erläutert, die besagt, dass die Menschenwürde verletzt wird, wenn ein Mensch zum Objekt degradiert wird. Der theoretische teil behandelt die Themen:
- Grundrechte
- Eingriffe
- Selbstbestimmungsfähigkeit
Was wird im praktischen Teil anhand von "Promis unter Palmen" analysiert?
Der praktische Teil analysiert die Mobbing-Vorfälle gegen Claudia Obert in der Sendung "Promis unter Palmen". Er beschreibt die konkreten Vorfälle, die Reaktionen der Medien und die Folgen für die Beteiligten, wie z.B. den Verlust von Werbeverträgen. Untersucht werden die drei Mobbingattacken gegen Claudia Obert und die folgende Kritik. Es geht um die Auswirkung der Fälle auf die Protagonisten.
Gab es rechtliche Konsequenzen aufgrund der Mobbing-Vorfälle bei "Promis unter Palmen"?
Es gab eine Strafanzeige gegen die Produktionsfirmen wegen der hingenommenen Mobbingszenen. Die Eigenrecherche des Autors zeigt jedoch, dass das Ermittlungsverfahren nicht eindeutig nachvollziehbar ist und die Staatsanwaltschaften unterschiedliche Angaben machen. Ob es zu strafrechtlichen Konsequenzen kommt, wird im Fazit bezweifelt.
Wie wurde "Promis unter Palmen" von den Medien aufgenommen?
Zunächst gab es positive Kritiken, die das Format als unterhaltsam und trashig lobten. Nach den Mobbing-Vorfällen kam es jedoch zu einer Kehrtwende, und viele Medien verurteilten die Sendung. Die Kritik des stern war inkonsequent, da dieser zuvor die "Trashigkeit" des Formats bejubelt hatte.
Welche Konsequenzen hatten die Mobbing-Vorfälle für die Beteiligten?
Bastian Yotta wurde von RTL und Sat.1 verbannt und verlor seinen Werbevertrag. Carina Spack verlor ebenfalls einen Werbevertrag und erhielt Morddrohungen. Claudia Obert profitierte von der Aufregung und steigerte ihre Popularität. Sat.1 erzielte hohe Einschaltquoten mit der Sendung und kündigte eine zweite Staffel an.
Was ist das Fazit der "akte Sat.1"?
Die Strafanzeige wird voraussichtlich keine straf- oder medienrechtlichen Konsequenzen haben. Es wird ein Verstoß gegen die Menschenwürde argumentiert, aber es fehlt an einer entsprechenden Rechtsnorm, um strafrechtliche Verurteilungen zu erwirken. Ein Bußgeld für Sat.1 wegen Verletzung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages wird für möglich gehalten.
Welche Frage stellt sich im Rückblick auf Klaus Stüwe?
Die Frage ist, ob die Fernsehdebatten ohne Entwürdigung durchzuführen sind, die gleichen Wunsch hat Klaus Stüwe für das voraussichtlich nächste TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden am 15. Oktober.
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- Michael Stahl (Author), 2020, akte Sat.1. Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG, die Menschenwürde ist unantastbar?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1330561