Anhand des Romans "Making History" werden in einem kurzen Aufriss zur Thematik die Möglichkeiten virtueller Geschichte ausgelotet. Es wurde auf jeglichen Versuch verzichtet literaturwissenschaftlich mit dem Text zu arbeiten; vielmehr wird die wenige historisch-wissenschaftliche Literatur am Verlauf der Handlung des Roman gespiegelt und diskutiert. Ein typischer Essay eben. Viel Spaß beim Lesen und danke an Marie für die kleine Unterstützung.
„What if“ oder „Was wäre, wenn“ ist eine Frage, die schon häufig an Geschichte gestellt wurde, so zum Beispiel in Harris Fatherland und auch in „Geschichte machen“ von Stephen Fry. Selbigen findet man in der freien Enzyklopädie Wikipedia zum Thema Zeitreisen. Der vorliegende Essay diskutiert nach einem kurzen inhaltlichen Überblick die Möglichkeiten virtueller Geschichte anhand des Romans, die von bekannten Historikern wie zum Beispiel Alexander Demandt oder auch von öffentlichkeitswirksameren Historikern wie Niall Ferguson zunächst in die Fachwissenschaft und dann auch einem breiterem Publikum zugänglich gemacht wurden.
„Geschichte machen“ spielt mit dem wohl populärsten Gedanken der virtuellen Geschichte, nämlich dem, dass das Dritte Reich und all seine Folgen nicht existiert hätten oder gar nicht hätte zu Stande kommen können. Dazu treffen schon im Exposé des Romans die Möglichkeiten, die Katastrophe Drittes Reich zu verhindern, aufeinander. Zunächst in der personellen Besetzung Michael Youngs, Protagonist des Romans, Doktorand an der Cambridge Universität und zugleich Experte für die frühen Jahre Adolf Hitlers in dessen Geburtsort Braunau, dann der Physiker Leo Zuckermann, der emsig an einer Zeitmaschine forscht, getrieben vom Drang, das vom Vater begangene Unrecht an den Juden wieder gut zu machen und schlussendlich Michaels Freundin Jane, die als biowissenschaftliche Expertin eine anti-Fertilitätspille erforschte. Somit ist das Einführung für die Verhinderung von Adolf Hitlers Geburt gegeben, indem schlicht das Trinkwasser des Brunnens aus dem Mutter Hitler für die Familie Wasser holt mit einer solchen Pille vergiftet wird mit dem Ergebnis, dass Adolf Hitler auf Grund der Unfruchtbarkeit der Mutter nicht geboren werden kann.
Nun schreibt jedoch Alexander Demandt: „Ändern wir den Kurs der Geschichte an irgendeinem Punkt, dann erreicht sie niemals den Ort, wo sie sich heute befindet. Mit der Folgezeit verwandelt sich auch unsere Gegenwart, unser persönliches Leben.“[1] So findet sich Michael Young, der ursprünglich in Cambridge studierte, nach einem großen Knall nun in einem veränderten Paralleluniversum in den Vereinigten Staaten in Harvard als Philosophiestudent, sein eigenes Leben nicht erkennend, wieder. Er wird dort vom Geheimdienst verdächtigt, ein deutscher Agent zu sein. Allmählich erfährt er über Archive, wie sich die Geschichte ab dem Punkt, der von ihm und Leo Zuckermann verändert wurde, in der alternativen Realität entwickelte. Auch in dieser führt der Nationalsozialismus einen Siegeszug durch Europa; an der Spitze der nationalsozialistischen Partei Deutschlands steht Rudolf, Rudi, Gloder. Ihm ist es als charismatischer Aufhetzer der Massen, Kriegs- und Wissenschaftsstratege und dessen visionärer Leitung des alternativen Dritten Reichs zu verdanken, dass Deutschland durch Ausbeutung jüdischer Wissenschaftler schon 1938 in den Besitz der Atombombe gelangt und diese gegen Sowjetrussland zum Einsatz bringt. Zur veränderten Zeitlinie ein Zitat aus dem Roman:
„Kapitulation Skandinaviens, der Benelux-Staaten, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs. King Edward VIII von Großbritannien, Marschall Pétain, Benito Mussolini, Generalissimo Franco und andere Staatsoberhäupter nehmen an der Ersten Großdeutschen Reichskonferenz in Berlin teil. Kooperationsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Unter Deutschlands Vorsitz wird die Kontrolle über den Pazifischen Raum zwischen Amerika und dem Japanischen Kaiserreich aufgeteilt. Britische Kolonien in Indien, Australien und Afrika fallen faktisch unter deutscher Kontrolle. Kanada wahrt seine Neutralität.“[2]
So fand auch in Michaels neuer Geschichte eine Blockbildung statt, nämlich die der freien demokratischen Welt gegen ein extrem weiträumiges Nazi-Reich. Aus der Angst vor dem Feind heraus entwickelt sich jedoch das demokratische Amerika anders als das dem Leser bekannte. Entgegen der uns bekannten Zeitlinie findet im Roman aus konservativen Reflexen heraus zum Beispiel keine 68er Revolution statt und die angebliche Freiheit wird mit totalitären Mitteln gewahrt, so dass sich die 90er Jahre in der alternativen Geschichte des Romans für Michael wie die 50er Jahre anfühlen.
Nun steht er vor dem Platonischen Dilemma, den Höhlenbewohnern zu erklären, dass es außerhalb Licht gibt. Mit anderen Worten, niemand außer seinem neuen Freund Steve glaubt ihm, dass er ursprünglich aus England und dem dem Leser bekannten Geschichtsablauf stammt; was auch seinen britischen Akzent erklären würde. Gemeinsam mit Steve macht sich Michael nun daran, die ursprüngliche Geschichte wieder herzustellen, indem er versucht, den Kontakt mit Leo Zuckermann zu knüpfen. Bei einem Gespräch mit dem Physiker stellt sich wieder heraus, dass dieser vom Schuldkomplex wegen der Verantwortlichkeit seines Vaters bei der Judenfrage geplagt ist. Zuckermann, alias Axel Bauer, deutscher Top-Physiker und aus dem Nazireich geflohen, erfuhr vorher, dass sein Vater das Wasser des Brunnens, der Adolf Hitlers Geburt verhinderte, synthetisierte und damit wesentlich zur Endlösung beitrug. Dieses Wasser wird den, von den Nazis in einem Staat auf dem Gebiet Montenegros zusammengefassten, Juden gegeben, damit diese keine Nachkommen zeugen können, und somit eliminiert werden. Von Michael über den ursprünglichen Geschichtsverlauf aufgeklärt, willigt Leo Zuckermann ein, eine neue Zeitmaschine herzustellen, um diesen wieder herzustellen. Mit einigen Hindernissen und popdiskursiven Action-Einlagen gelangen also tote, verwesende Ratten in den Trinkwasserbrunnen der Hitlers, was verhindert, dass verhindert wird, womit sich Michael, nach einem Knall, wieder in seiner Zeit befindet.
[...]
[1] Alexander Demandt: Ungeschehene Geschichte, Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn …?, Göttingen 2005, S. 19, im folgenden zitiert mit Demandt: Geschichte
[2] Stephen Fry: Geschichte machen. Berlin 2007, S. 346.
- Arbeit zitieren
- Jan Dahlke (Autor:in), 2008, Zu den Möglichkeiten der virtuellen Geschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133023
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