Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der bisher innerhalb der Musikwissenschaft leider nur sehr wenig Beachtung gefunden hat. Dabei ist das Klavierwerk Franz LISZTs – zumindest quantitativ – in erster Linie durch dessen Bearbeitungen geprägt.
Es wird versucht, etwas Licht in ein klavieristisches Verfahren zu bringen, mit welchem im 19.Jh. erhebliches Aufsehen erregt wurde. Zu keiner anderen Zeit innerhalb der Musikgeschichte hat nicht originale Klaviermusik, sondern Übertragungen von Orchester- und anderer Musik aufs Tasteninstrument das öffentliche (!) Interesse aufgerüttelt. Daß hierzu gerade die Werke LISZTs für Klavier zu zwei Händen Hauptgegenstand der Untersuchung sind, liegt auf der Hand – stehen sie doch als die bekanntesten und spektakulärsten, aber auch auf größtem künstlerischen Niveau stehenden Stücke beispielhaft für die gesamte Epoche. Und durch Vergleiche mit den Bearbeitungsverfahren anderer Komponisten soll die LISZTsche Bearbeitungstechnik ein- und abgegrenzt werden, um so auch die Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die überhaupt für das Bearbeitungsverfahren im 19.Jh. üblich waren, und wie sie sich geändert haben.
So wurden speziell ausgewählt
- im Falle der Bearbeitung von Opernmusik das Finale von WAGNERs „Tristan“ (LISZT, v.BÜLOW);
- im Falle der Bearbeitung von Orchestermusik die Einleitung zum 1. Satz der 7. Sinfonie von BEETHOVEN (LISZT, BEETHOVEN, BRANDTS-BUYS);
- im Falle der Bearbeitung von Klavierliedern die „Forelle“ von SCHUBERT (LISZT, HELLER);
- im Falle der Bearbeitung von vierhändiger Klaviermusik die „Deux marches charaktéristiques“ von SCHUBERT (LISZT);
- im Falle der Bearbeitung von zweihändiger Klaviermusik SCHUBERTs Walzer (LISZT); und
- im Falle der Bearbeitung von Violin-solo-Musik die PAGANINI-Capricen (LISZT, SCHUMANN, BRAHMS).
Außerdem wurden noch andere Musikstücke zum Vergleich herangezogen, nämlich Bearbeitungen von GRIEG, BRAHMS und Johann Sebastian BACH.
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Klavierauszug, Opernfantasie und –paraphrase
Der „eigentliche“ Klavierauszug LISZTs
Liedtranskription
Aus vier mach’ zwei!
Umarbeitung von Klaviermusik
„Ihr sollt euch eben üben, gleichviel um welchen Preis“
Literaturhinweise
Vorwort
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der bisher innerhalb der Musikwissenschaft leider nur sehr wenig Beachtung gefunden hat. Dabei ist das Klavierwerk Franz LISZTs – zumindest quantitativ – in erster Linie durch dessen Bearbeitungen geprägt. Zwar deuten verschiedene Publikationen diese Thematik an (etwa die Lexika-Artikel über „Bearbeitung“, „Klavierauszug“, „Transkription“, „Paraphrase“ etc. in RML, MGG und anderen einschlägigen Enzyklopädien), doch beschäftigen sich keine davon speziell mit der Technik der Klavierbearbeitung bei Franz LISZT.
Etwas mehr Aufschluß über diese Thematik bietet jedoch der „Bericht über die Zweite Internationale Musikwissenschaftliche Konferenz“ in Budapest, 1961, insbesondere durch Aufsätze von CHOMINSKI, FELIX, JIRANEK und MOLNAR1). Sie gehen etwas mehr ins Detail, wenn sie auch weitläufig noch bei allgemeinen Aussagen stehen bleiben. Eine Arbeit jedoch, die LISZTs Technik im Einzelnen analysiert, ist auch in diesem Kongreßbericht nicht enthalten.
Inzwischen, seit Verfertigung dieser Arbeit im Jahre 1976, sind 1983 und 1984 weitere Schriften erschienen, so von Helmut LOOS2), Ernst Klaus SCHNEIDER3) und v.a. Thomas KABISCH4). Doch beschäftigen sich diese jeweils mit Ausschnitten aus dem Oeuvre LISZTs. Die vorliegende Arbeit versucht hingegen, etwas Licht in ein klavieristisches Verfahren zu bringen, mit welchem im 19.Jh. erhebliches Aufsehen erregt wurde – zu keiner anderen Zeit innerhalb der Musikgeschichte hat nicht originale Klaviermusik, sondern Übertragungen von Orchester- und anderer Musik aufs Tasteninstrument das öffentliche (!) Interesse aufgerüttelt. Daß hierzu gerade die Werke LISZTs für Klavier zu zwei Händen Hauptgegenstand der Untersuchung sind, liegt auf der Hand – stehen sie doch als die bekanntesten und spektakulärsten, aber auch auf größtem künstlerischen Niveau stehenden Stücke beispielhaft für die gesamte Epoche. Und durch Vergleiche mit den Bearbeitungsverfahren anderer Komponisten soll die LISZTsche Bearbeitungstechnik ein- und abgegrenzt werden, um so auch die Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die überhaupt für das Bearbeitungsverfahren im 19.Jh. üblich waren, und wie sie sich geändert haben.
So wurden speziell ausgewählt
- im Falle der Bearbeitung von Opernmusik das Finale von WAGNERs „Tristan“ (LISZT, v.BÜLOW);
- im Falle der Bearbeitung von Orchestermusik die Einleitung zum 1. Satz der 7. Sinfonie von BEETHOVEN (LISZT, BEETHOVEN, BRANDTS-BUYS);
- im Falle der Bearbeitung von Klavierliedern die „Forelle“ von SCHUBERT (LISZT, HELLER);
- im Falle der Bearbeitung von vierhändiger Klaviermusik die „Deux marches charaktéristiques“ von SCHUBERT (LISZT);
- im Falle der Bearbeitung von zweihändiger Klaviermusik SCHUBERTs Walzer (LISZT); und
- im Falle der Bearbeitung von Violin-solo-Musik die PAGANINI-Capricen (LISZT, SCHUMANN, BRAHMS).
Außerdem wurden noch andere Musikstücke zum Vergleich herangezogen, nämlich im Kapitel Orchestermusik und bei den Klavierliedern Bearbeitungen von GRIEG, im Kapitel vierhändige Klaviermusik solche von BRAHMS, und bei der Violinmusik ebenfalls BRAHMS sowie BACH.
Die Rolle, welche LISZT auf dem Gebiet der Bearbeitung gespielt hat, war nicht der einzige Aspekt für seine Wahl zu dieser Untersuchung. Sowohl in musikalischer wie in gesellschaftlicher und damit auch wirtschaftlicher Hinsicht kam LISZT (samt seinen Kollegen) nämlich die Ausnahmestellung des Spezialisten zu in einer Zeit, als gerade das Bearbeitungswesen innerhalb der populär gewordenen Klaviermusik eine herausragende Rolle spielte – namentlich die leichter spielbaren Fassungen von Opernquerschnitten, Sinfonien (diese besonders auch für Klavier zu vier Händen), Liedern usw., wie sie die Töchter der gutbürgerlichen Häuser und solcher, die es sein wollten, eben noch bewältigen konnten. Gerade solche Bearbeitungen waren auch die Haupteinnahmequelle der aufsprießenden Musikverlage. Beispielsweise konnte der 1770 gegründete Schott-Verlag 1819 eine Filiale in Leipzig und vier Jahre später bereits im Ausland (Antwerpen) gründen – dann 1826 Paris, 1830 Brüssel, 1835 London, vor 1853 Rotterdam, 1864 Frankfurt. Und Louis SPOHR berichtet von folgender Begebenheit um 1850:
Außer den genannten beiden Mozart’schen Opern erlebte aber euch noch eine dritte, eine neue Volks-Oper mit Musik von Hummel, durch einen sonderbaren Zufall, wie er wohl kein zweitesmal vorkommen wird, eine lange Reihe von täglichen Aufführungen. Sie hieß ' die Prinzessin Eselshaut ' und war von Seiten der Dichtung ein so erbärmliches Machwerk, daß sie trotz der hübschen Musik (…) ausgepfiffen wurde.“ (Im Laufe der Zeit gewann die Musik des Stücks jedoch beim Publikum zunehmendes Interesse, und so fährt SPOHR fort:) „Am Ende wurde es Mode, hinein zu gehen, auf das Stück zu schimpfen und die Musik zu loben. Hummel benutzte das schnell und gab einen Clavier-Auszug der beliebtesten Nummern heraus, der reißend abging.5)
Innerhalb dieser Situation waren die LISZTschen Bearbeitungen für die Verlage natürlich kaum von Interesse. Dennoch müssen diese – wenn auch nur an dieser Stelle – erwähnt werden, denn sie spiegeln auch eine Situation wieder, die geprägt ist vom Gegensatz zwischen dem großen Pianisten LISZT und dem häuslichen, einfachen Musizieren. Zwar ist anzunehmen, daß die Spielfertigkeiten der Dilettanten nicht unerheblich gewesen sein muß, wenn man etwa berücksichtigt, daß das vierhändige Original der DVORAKschen Slawischen Tänze in seiner ersten Auflage innerhalb der ersten vier Wochen vergriffen war – doch konnten diese natürlich in keiner Weise an die Kunstfertigkeit LISZTs heranreichen. Es ist denkbar, daß LISZT bewußt darauf reagiert hat. A. MOLNAR schreibt:
Die Mode, Klavierauszüge und Phantasien von Musikstücken oder beliebten Gesangwerken – Opern, Oratorien etc. – anzufertigen, genoß seit dem 18. Jahrhundert eine wachsende Verbreitung. Da das Klavier im Instrumentarium eine ähnliche Stelle behauptete wie unter den Arzneien die Universalmittel, kamen die Arrangements dem Notenhandel sehr zugute. Dieses Geschäft hatte hauptsächlich deshalb Erfolg, weil es der Liebhaberschaft entgegenkam; sein Augenmerk richtete sich auf die Vielzahl dilettantischer Stümper, so daß das Niveau der Bearbeitungen um eine nicht sehr erkleckliche Linie fluktuierte. Liszts ganze künstlerische und allgemein-kulturelle Berufung stand in diametralem Gegensatz zu diesem vulgären Interesse. Nicht bloß deshalb, weil seine Arrangements in erster Reihe für seine eigenen Konzerte, also auf höchste Virtuosität berechnet waren, blieben doch seine Bearbeitungen auf demselben hohen Stand auch in späteren Zeiten, da er weit seltener öffentlich auftrat. Die Reformen, durch die Liszt das Klavierspiel auf ein Maximum von Können hob, hatten vielmehr einen symbolischen Sinn. Er wollte damit für die allgemeine soziale Stellung der musikalischen Künstlerschaft durch Höchstleistung die Gleichberechtigung mit jeder anderen führenden Position erringen. Daß ihm dies auch gelang, macht seinen Klaviersatz zu einem Glanzpunkt in der Entwicklung der europäischen Kultur. Ausschließlich unter dieser Sicht kann es als verständlich gewürdigt werden, daß er nie müde geworden ist, immer neue und neue Klavierbearbeitungen in Riesenmaßen zu schaffen.6)
Beide Richtungen innerhalb der Klavierbearbeitung, die virtuose und die dilettantische, treffen sich – so sehr sie auch auseinanderklaffen mögen oder nicht – in einem Punkt, und das ist die Verbreitung von Musik überhaupt. LISZT steuerte hier auf seine Weise, sozusagen auf die „fachmännische“, bei. Durch seine zahlreichen Konzerte machte er – wie mit der einigermaßen noch für Liebhaber spielbaren Fassung der BEETHOVENschen Sinfonien – zahlreiche Musik bekannt und salonfähig. Neben LISZT versuchten dies noch etliche andere Klavierkünstler, die sich dann zumeist in virtuosem Alleinvergnügen dem Publikum produzierten. Bei LISZT jedoch hat Virtuosität Sinn, sie ist nicht Selbstzweck! Seine Art der Bearbeitung ist, wie die weiteren Untersuchungen zeigen werden, musikalisch-inhaltlich fundiert – das Problem ist bei LISZT nicht formalistisch, sondern inhaltlich gelöst.
Einleitung
Das Klavier umschließt im Umfang seiner sieben Oktaven… den ganzen Umfang eines Orchesters, und die zehn Finger eines Menschen genügen, um die Harmonien wiederzugeben, welche durch den Verein von Hunderten von Musizierenden hervorgebracht werden. Durch seine Vermittlung wird es möglich, Werke zu verbreiten, die sonst von den meisten wegen der Schwierigkeit, ein Orchester zu versammeln, ungekannt bleiben würden. Es ist so nach der Orchesterkomposition das, was der Stahlstich der Malerei ist, welche er vervielfältigt und vermittelt. (Franz LISZT 1835)
Der am 22.10.1811 im ungarischen Raiding geborene Franz LISZT ist in eine Welt hineingeboren, in welcher das deutsche Bürgertum sowohl politisch wie auch kulturell seine gesellschaftliche Macht erstrebte, errang und konsolidierte. Die politischen Umwälzungen um das Jahr 1848 haben sich fast das ganze 19. Jahrhundert nahezu in ganz Europa ausgewirkt, und sie mußten auch Künstler und Musiker, die sich für ihre Zeit verantwortlich fühlten7) , mit sich reißen:
Nun, da ein neues Zeitalter angebrochen war, galt es, denkend, planend, handelnd einzugreifen. (…) In Deutschland sehen wir Musiker als Schriftsteller; sie verfassen Entwürfe, Vorschläge, Pamphlete, Kritiken und ästhetische Schriften. Wir sehen sie Musikschulen, Musikverbände, Zeitschriften und die Herausgabe von Musikwerken organisieren. Es geht ihnen dabei in gleicher Weise um den heilsamen Einfluß der Musik auf das gesellschaftliche Leben wie um die Hebung der sozialen Stellung des Musikers. (…) Aber all dieser Fortschritt war um einen schweren Preis erkauft: um den Preis der Isolierung der guten Musik und der ernsten Musiker von den Massen des Volkes.
Es liegt nahe, das Klavierschaffen LISZTs in diesen von KNEPLER beschriebenen Zusammenhang einzuordnen. LISZT selbst war ja ein reger Organisator von Konzerten – auf ihn geht der Konzerttypus „Klavierabend“ zurück (siehe auch den Hinweis auf S. 43) – und er schuf Außerordentliches, um die Musik seiner Kollegen zu verbreiten.
Gerade die Klavierbearbeitungen waren wesentliches Mittel für LISZT, das musikalisch zu tun, was Robert SCHUMANN mit der Gründung der NZfM beabsichtigte und auf dem Wege der schriftstellerischen Musikbetrachtung erreichte. Und seine große Perfektion auf dem Gebiet des Klavierspiels war LISZT ein hilfreiches Mittel dazu: Er erregte allerorts Aufsehen – das machte ihn bekannt, und schon um LISZT zu bewundern, strömte das Publikum in die Konzertsäle.
LISZT hatte seine zahlreichen Klavierarrangements wohl weniger dazu geschrieben, daß sie – gedruckt – in den Bürgerhäusern Verbreitung fanden8): Zur Popularisierung war diese überaus schwer zu spielende Musik kaum geeignet. Die Aufgabe, dies im Aufbau des bürgerlichen Musiklebens vor allem bei Opern- und Orchestermusik zu erreichen, lag vielmehr bei den leichten Bearbeitungen und „Volksausgaben“. LISZT aber beschränkte sich auf den Konzertsaal: Er und SCHUMANN ergänzten sich sozusagen „arbeitsteilig“ in der Verbreitung von Musik.
Ist Arbeitsteilung das eine Kennzeichen, welches für den bürgerlichen Musikbetrieb spricht (wie für das industrielle und gesellschaftliche Leben insgesamt), so ist das andere die Spezialisierung, die die Arbeitsteilung zwangsläufig mit sich führt. LISZT war in der Tat ein Spezialist auf dem Klavier. Und als Spezialist brachte er es so weit, sämtliche denkbare Musik für sich zu beanspruchen und aufs Klavier zu übertragen. Das allein macht seinen Universalitätsanspruch aus. Er schreibt im Vorwort seiner BEETHOVEN-Sinfonien-Bearbeitungen:
Durch die unermeßliche Entwicklung seiner harmonischen Gewalt sucht das Pianoforte sich immer mehr und mehr alle Orchester-Kompositionen anzueignen.9)
LISZTs Klavierbearbeitungen übersteigen an Zahl weit die der Original-Klavierwerke – ein Indiz für die Bedeutung, die LISZT diesem Genre selbst beimaß. Und er bearbeitete, was ihm in die Finger kam. Offensichtlich genügte die vorhandene Klavierliteratur nicht, LISZTs geniale Fertigkeiten auf dem Klavier auszuschöpfen, und es scheint fast, als hätte er selbst es nicht vermocht, eigene Klavierwerke zu schaffen, die seinem Können entsprochen hätten. Ihn reizte wohl auch der fremde, unklaviermäßige Klang anderer Instrumente, und wie er diesen aufs Klavier bringen könne.
Folgende Übersicht versucht, einige Bearbeitungen LISZTs für Klavier zu zwei Händen aufzuzählen und in Kontext mit Lebensdaten und geschichtlichen Ereignissen der Zeit zu stellen10):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In dieser Tabelle nicht aufgeführt sind diese Klavierbearbeitungen LISZTs11):
- J.S. BACHs Orgelfantasie und Fuge g-moll
- Divertissement à la hongroise von SCHUBERT
- Bunte Reihe von Ferdinand DAVID
- Feuille morte. Elégie d’après SORRIANO
- Russischer Galopp von BULHAKOW
- Zigeuner-Polka von CONRADI
- La Romanesca
- Heroide nach Leier und Schwert von WEBER
- Elégie sur des motifs du Prince Louis de Prusse
- Gaudeamus igitur – Paraphrase und Humoreske
- God save the Queen. Grand Paraphrase de Concert
- Hussiten-Lied
- La Marseillaise
- Christus ist geboren – Weihnachtslied
- Zwei Stücke aus dem Christus-Oratorium
- Zwei Episoden aus LENAUs Faust
- Epithalam zu Eduard REMENYIs Vermählungsfeier
- Excelsior. Preludio zu: Die Glocken des Straßburger Münsters
- Fantasie über Motive aus BEETHOVENs Ruinen von Athen
- Nr. 2 der 9 Kirchen-Chor-Gesänge (Ave Maria)
- Zwei Stücke aus der Krönungsmesse
- Künstler-Festzug
- Totentanz. Paraphrase über „Dies irae“
- Vom Fels zum Meer. Deutscher Siegesmarsch
- Weimars Volkslied
- Réminiscences de la Juive d’Halévy. Fantaisie brillante
- Grande Fantaisie de Bravoure sur la Clochette de Paganini
- Sonnambula de Bellini. Große Konzert-Fantasie
- I Puritani de Bellini. Introduction et Polonaise
- Réminiscences des Puritains de Bellini. Grande Fantaisie
- Hexaméron. Morceau de concert. Grandes Variations de Bravours sur la Marche des Puritains de Bellini
- Bénédiction et Serment. Deux motifs de Benvenuto Cellini de Berlioz
- Marche funèbre de Dom Sébastien de Donizetti variée
- Réminiscences de Lucrezia Borgia de Donizetti. Grande Fantaisie
- Grande Paraphrase de la Marche de Donizetti
- Tscherkessen-Marsch aus GLINKAs Oper Russlan und Ludmilla
- Valse de l’opéra Faust de Gounod
- Berceuse de l’opéra: La Reine de Saba de Gounod
- Les Adieux. Rêverie sur un motif de l’opéra de Gounod: Roméo et Juliette
- Réminiscences de Robert le diable de Meyerbeer. Fantaisie
- Illustrations du Prophète de Meyerbeer
- Illustrations de l’Africaine. Opéra de Meyerbeer
- Fest-Marsch zu Schiller’s 100jähr. Geburtstagsfeier von Meyerbeer
- Fantaisie sur l’opéra hongrois: Szép Ilonka de Mosonyi
- Grande Fantaisie sur des motifs de Niobé de Pacini
- Andante finale und Marsch aus der Oper : König Alfred von RAFF
- La Serenata e l’Orgia. Grande Fantaisie sur des motifs des Soirées musicales de Rossini
- La Pastorella dell’Alpi e li Marinari. Deuxième Fantaisie sur des motifs des Soirées musicales de Rossini
- Salve Maria de „Jerusalem“ (I Lombardi), opéra de Verdi
- Finale de Don Carlos de Verdi
Klavier-Partituren :
- BEETHOVEN, Septett op. 20
- HUMMEL, Septett op. 74
- BERLIOZ, Marsch aus „Harold in Italien“
- BERIOZ, Sylventanz aus „Fausts Verdammnis“
- ROSSINI, Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“
- WEBER, Jubel-Ouvertüre
- WEBER, Freischütz-Ouvertüre
- WEBER, Oberon-Ouvertüre
Transkriptionen von Liedern von:
- ARCADELT
- MOZART
- BEETHOVEN
- BÜLOW
- CHOPIN
- DESSAUER
- FRANZ
- LASSEN
- MENDELSSOHN-BARTHOLDY
- MEYERBEER
- SCHUBERT
- SCHUMANN
- WEBER
- WIELHORSKY
- MERCADANTE
- DONIZETTI
- ALABIEFF
- LISZT
Im Zuge der Spezialisierung und Arbeitsteilung im gesellschaftlichen Leben vollzog sich im 19.Jh. auch weitgehend die Trennung von Komponist und Interpret. Meist dort, wo dies geschah, oder wo weniger begabte Komponisten (die aber ausgezeichnete Spieler auf ihrem Instrument waren) Stücke zu schreiben begannen, läßt sich auch eine Verflachung des musikalischen Inhalts erkennen. SEEGER weist in seinem Musiklexikon12) darauf hin, daß sich die Virtuosität im Zusammenhang mit der Entwicklung des bürgerlichen Konzertwesens im 19.Jh. immer mehr verabsolutierte; insbesondere bei PAGANINI sei die Loslösung der Virtuosität vom musikalischen Inhalt zu beobachten, und Klavierkünstler wie THALBERG, CZERNY, HERZ usw. hätten ebenfalls das Primat der Technik eingeräumt.
Betrachtet man beispielsweise die Bearbeitungen der SCHUBERTschen „Forelle“ von Stephen HELLER und die von LISZT nebeneinander (siehe S. 70ff.), so wird man der von LISZT musikalische Qualität bescheinigen müssen. Und das wird man auch bei allen oder den meisten virtuosen Stücken feststellen, welche aus den Händen guter Komponisten stammen.
Die namhaften Komponisten des 19.Jh., insbesondere auch SCHUMANN, haben sich um die Frage der Virtuosität und musikalischen Qualität Gedanken gemacht. Meint SCHUMANN auch, man solle sich üben, „gleichviel um welchen (qualitativen! – d.Verf.) Preis (siehe gleichlautendes Kapitel dieser Arbeit, S. 110ff.), so drückt er in seinen „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ unmißverständlich aus: „Nur wo die Fertigkeit höheren Zwecken dient, hat sie Wert.“
Daß diese Forderung SCHUMANNs bei LISZT in seinen Bearbeitungen größtenteils erfüllt wird, bestätigt auch J. JIRANEK in seinem Aufsatz „Liszt und Smetana“13):
…denn die Virtuosität diente Liszt niemals zur Dekoration eines (eigenen oder fremden) musikalischen Gedankens, sondern im Gegenteil, seine musikalischen Gedanken waren stets schon von Anfang an virtuos, und niemals dekorierte er nur einfach die Gedankenwelt anderer (Paraphrase usw.), sondern wandelte sie immer auf eine schöpferische Art um, ob nun durch Dramatisierung der einzelnen Elemente oder durch Typisieren und gegenseitiges Verbinden, durch die Vertiefung der musikalischen Illustration oder auch durch „bloßes“ Umschreiben des Klavierparts, dessen „Instrumentation“ nichtsdestoweniger so schöpferisch ist, daß er selbst dafür nicht das Wort „Auszug“ gebraucht, sondern den Ausdruck „Klavierpartitur“ (Partition de piano) prägt.
Und Antal MOLNAR geht sogar soweit zu behaupten14):
Aber was für Paraphrasen sind diese Lisztschen Bearbeitungen! Weit gefehlt, wenn man dächte, sie seien einfach aus den Modenummern zusammengekoppelt! Auch solche kommen in ihren vor, wollte doch der große Bearbeiter auch hier seine weitreichende Pädagogik anwenden, und zwar so, daß er aus dem Material ausgesprochen jene Genialitäten wählte, die in der Opernvorstellung keine besondere Aufmerksamkeit erwecken. Dadurch wirkte er auch auf diesem Gebiet reinigend, entdeckend, d.h. auf seine eigene Weise. Das allerschönste, verblüffendste ist aber dabei, daß in den Händen Liszts manches Packfong zu Gold wurde, und dies nicht bloß durch intensivere Beleuchtung, sorgfältigere Ökonomie, Abtönung, durch volleren Klang, nein, Liszt gibt sich die Mühe, auch gewähltere Harmonien in die Klangfolgen zu schmuggeln, wo die Invention seines vorgenommenen Musters etwas lässig war. Man pflegt in diesen Fällen zu bemerken: „Liszt wollte zeigen, wie der Komponist eigentlich hätte verfahren sollen!“ Das ist also mehr als Pädagogik; es ist treue Bewahrung und Weiterpflanzung von Kulturschätzen, u.zw. sozusagen im Geheimen, unter der Hand. Wirkung mit Ursache.
Sind diese Worte auch sehr euphorisch, fast sogar einseitig, so ist doch richtig aus diesen Zeilen zu lesen, daß es LISZT um die inhaltliche Auseinandersetzung über Musik gegangen ist. Seine Bearbeitungen zeigen, daß er nicht nur darstellen, sondern gleichzeitig auch kommentieren wollte. So wird auch virtuoses „Beiwerk“ beim näheren Betrachten plötzlich zum Teil des musikalischen Inhalts, welcher begründbar eingesetzt und nicht einfach den Originalstücken übergestülpt wurde.
Der andere Aspekt LISZTscher Bearbeitungskunst ist die schon erwähnte Darstellung des Orchester-klangs auf dem Klavier. Insbesondere die BEETHOVEN-Sinfonien ringen dem Klavierinstrument die letzten Möglichkeiten ab. JIRANEK erläutert dies treffend15):
Wir haben es hier im Grunde mit zwei dialektischen, d.h. gegensätzlichen, jedoch wechselseitig verknüpften und bedingten Tendenzen, einer synthetischen und analytischen, zu tun, gekennzeichnet durch das Bestreben, aus dem Klavier den ganzen orchestralen Klang einerseits und möglichst viele einzelnen Farben und individualisierte Instrumente andererseits herauszuholen. Die erste verlangte, Schluß zu machen mit der Vorstellung vom Klavier, nur als Klavier, nach seiner individuellen Bestimmung, klar und übersichtlich zu zeichnen. Liszt erreichte das dadurch, daß er einen Klavierstil schuf, der ganz zutreffend „al fresco“ bezeichnet wurde, und der nicht auf die Details, sondern auf das Ganze hinzielte, ganz ähnlich wie auch das Orchester nicht nur die Summe der einzelnen Instrumente, sondern deren schließliche Klang-Synthese ist (im logarithmischen, nicht im arithmetischen Sinne)!
In den Opern-Bearbeitungen LISZTs gibt es wesentliche Unterschiede, welche schon allein dadurch gekennzeichnet sind, daß die einen mit „Fantasie“, andere mit „Illustration“, wieder andere mit „Reminiscences“ usw. tituliert sind. Der Zweck der Bearbeitung wird so herausgestrichen: die „Illustration“, die veranschaulicht und erklärt; die „Reminiscences“, die Erinnerungsbilder darstellen sollen; die „Fantasie“, die eine freie Bearbeitung von verschiedenen Motiven (wie etwa bei der „Don-Juan-Fantasie“) zuläßt16). Allerdings hat LISZT innerhalb der WAGNER-Bearbeitungen auch solche hinterlassen, die mehr an einen Klavierauszug heranreichen, aber (in der Ausgabe der Ed.Peters) dennoch mit „Phantasien“ bezeichnet sind (siehe nächstes Kapitel, Fußn. 43, Seite 39). Dies betrifft hauptsächlich die Stücke aus „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, den „Festlichen Marsch“ aus „Parsifal“ und (als Gegenstand der Untersuchung im folgenden Kapitel) „Isoldens Liebestod“ aus der Oper „Tristan und Isolde“.
Warum der Verfasser gerade diese Bearbeitung gewählt hat, hängt damit zusammen, daß die einzige ihm bekannte detailliertere Untersuchung über die Klavierbearbeitungstechnik, das Buch „Die Technik des Klavierauszugs“ von Karl GRUNSKY17), sich mit dem dritten „Tristan“-Akt beschäftigt, und zwar speziell in der Bearbeitung von Hans von BÜLOW (1860) Somit ist eine Vergleichsmöglichkeit vorhanden, mittels welcher die LISZTsche Verfahrensweise plastischer verdeutlicht werden kann.
GRUNSKY ist ein Verfechter einer Auszugsart, die sich streng an die Partitur hält. Er distanziert sich ausdrücklich von LISZT, wenn er beispielsweise schreibt18):
Alle meine Ergebnisse, soweit sie sich als Grundsätze anbieten, entspringen dem Streben nach größtmöglicher Treue. Damit ist nun freilich dem Klavierstil als solchem im Auszug das Recht für immer untergraben. Daß ich den Donner der nachschlagenden Oktaven dem Auszug fernhalte, den blitzenden Glanz der oberen Klaviertonlage, das wütige Heruntergreifen der Linken als Liebhaberei einschränke, das wird man mir am meisten verübeln, da Liszts Klavierbehandlung in unbestrittenem Ansehen steht. Sie taugt aber für den getreuen Auszug nicht: das darf man wissen und sagen, ohne die Gefühle der Liebe, Verehrung und Dankbarkeit gegen Liszt zu verletzen. Er hat uns geniale Werke geschenkt, ein Vorbild menschlicher Größe des Charakters hinterlassen – aber er hat dem Klavier keine Sprache für den Auszug geschaffen. Nie hätte er es sich sonst nehmen lassen, die Schöpfungen seines Freundes selbst für alle Zeiten mustergültig zu übertragen! Mit Liszts Klavierstil sind dann die Übersetzer der Sinfonien Bruckners derartig gescheitert, daß sie den Gegenbeweis vor aller Aug und Ohr mit wünschenswerter Deutlichkeit vollendet haben… Denn allerdings sehe ich im Auszug und nicht in der eigentlichen Klaviermusik die Zukunft des Instruments. Wer sich zum Auszug wendet, wird den Anschlag verfeinern, sein Urteil bilden, sich Meisterkunst aneignen: vom Übergang aus der Klaviermusik zum Auszug erhoffe ich eine wesentliche Verbesserung unseres Musiktreibens, eine inhaltliche Änderung unseres Konzertlebens, etwas Edles, Feines, Segensreiches, statt des Unedlen, Unfeinen, Unfruchtbaren, in dem unsere Musikübung befangen ist.
GRUNSKY will also den Auszug von pianistischen Zusätzen reinigen. In seinem Kapitel § 7 – Klavierklang erläutert GRUNSKY dies ausführlicher. So meint er, daß WAGNERs Musik sich gerade dadurch auszeichne, daß sie dem virtuosen Bedürfen unter keinen Umständen auch nur das geringste zugesteht, da sie keine virtuose Vorlage sei19). Und etwas weiter unten heißt es20):
Als Schüler Chopins und Liszts sind die Verfasser der Klavierauszüge zu Wagners spätern Hauptwerken jener Gefahr nicht bewußt genug ausgewichen. Sie übersetzen zu viel, statt einfach zu übertragen, d.h. den Gedanken vom Orchester aufs Klavier hinüberzutragen.
GRUNSKY beruft sich zur Verteidigung dieser Anschauung auch auf WAGNER selbst: Er zitiert einen Brief des Komponisten an KLINDWORTH, in welchem WAGNER zu dessen Auszug der „Götterdämmerung“ Stellung bezieht21):
Ach Gott! Es ist bei so verzweifelten Dingen wenig zu sagen. Wie soll man’s machen? Immerhin glaube ich doch, wir sind genötigt, 1. nicht zu viel Kunst an die Arpeggien und Figurationen zu verschwenden, dagegen 2. die Hauptstimme, nötigenfalls selbst auf Kosten der harmonischen Mittelstimmen, herauszugeben und, wo dies dem Verständnis zu sehr schadet, 3. lieber ein Zwischensystem mit kleinen Noten (wie Sie es ja auch schon getan haben) in Gebrauch zu nehmen.
Fast kein Mensch spielt doch solch einen Klavierauszug, so wie Sie es sich gedacht haben; lieber also gleich nur für den gebildeteren Musiker besorgt sein, und diesem wenigstens das Verständnis erleichtern, welches dann ganz und gar erschwert wird, wenn die Partitur ganz in Klaviersatz wiedergegeben sein soll (wie z.B. in Bülows Arrangement des Tristan), - denn, wie ungeheuer wenige können es endlich – selbst nach großer Vorübung – spielen. Also: lieber gleich zur Andeutung, während jetzt der gewöhnliche Klavierspieler doch nur durchkommt, wenn er über die Hälfte der Noten ausläßt.
Damit ist gleichzeitig auch die Frage der leichten Spielbarkeit angeschnitten. Zwar geht GRUNSKY auf dieses Problem ebenfalls ein22), doch geht es ihm in seinen weiteren Ausführungen mehr um die Partiturtreue, als nun selbst einen Vorschlag für einen leicht spielbaren Auszug zu geben.
LISZT hat nun in der Tat keine leichten Fassungen geschrieben, und das lag auch nicht in seiner Absicht. Aber er hat statt dessen (wie noch im Einzelnen nachzuweisen sein wird) dem Klavier als nur Stellvertreter des Orchesters (und sich selbst als Spieler natürlich) die gebührende Weihe verliehen. GRUNSKY kreidet ihm das an, wenn er meint, LISZT bevorzuge den Klang zu sehr23) (den Klavierklang!): Liszt hat in Originalwerken und Übersetzungen den eigentlichen Klavierklang ausgebildet; er verlieh dem Klavier den höchstmöglichen eigenen (Hervorhebung d.Verf.) Glanz.24)
Der Verfasser der vorliegenden Arbeit ist nun der Auffassung, daß bei LISZT in seiner Fassung des „Liebestods“ nicht – wie GRUNSKY meint – das Klavier in dessen eigenstem Charakter zum Ausdruck käme, sondern daß gerade der Klang des Orchesters in vorbildlicher Weise durch das Tasteninstrument hindurchdringt. Es sei die These gewagt: LISZTs Bearbeitung des „Tristan“-Finales ist mehr als Klavierauszug. Und die Beurteilung dieser These möge der Leser sich selbst nach der Lektüre folgender Untersuchungen anheimstellen!
Klavierauszug,Opernfantasieund–paraphrase
Isoldens formaler und inhalticher Liebestod
Er hat uns geniale Werke geschenkt, ein Vorbild menschlicher Größe des Charakters hinterlassen – aber er hat dem Klavier keine Sprache für den Auszug geschaffen.
(Karl GRUNSKY25))
In GRUNSKYs Buch ist das Tristanfinale vollständig abgedruckt26), und zwar nicht in BÜLOWs Originalfassung, sondern in von GRUNSKY „verbesserter“ Form27). Wenn also im Folgenden von BÜLOWs Auszug die Rede ist, so ist dies mit der Einschränkung von GRUNSKYs Änderungen verbunden. Zwar geht GRUNSKY im Textteil auf verschiedene geänderte Takte ein (indem er z.B. BÜLOWs Fassung im Notenbeispiel zitiert), doch ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es nicht die einzigen sind.
So dürften wohl gleich in den ersten Takten des „Liebestods“28) die Akkorde in der linken Hand bei BÜLOW mit Tremolo auszuführen gewesen sein29). GRUNSKY neigt dazu, womöglich alle Tremoli durch normal angeschlagene und gehaltene Akkorde zu ersetzen, da sie ihm als pianistische Zutat erscheinen, die offenbar dem Partiturklang nicht gerecht werde30):
Dem gebildeten Laien ist das Tremolo längst zu einer ungelösten Frage geworden; er bemerkt, daß der Eindruck, als tremoliere Wagners Orchester „in einem fort“, mitverschuldet ist von der aufdringlichen Art, wie sich im Auszug das Tremolo zu ungunsten einer gediegenen Stimmen- und Harmoniefolge vordrängt. Unverständige Hereinnahme des Tremolos schädigt überhaupt den Genuß der Wiedergabe eines Auszugs.
So ist an mehreren Stellen, an denen in GRUNSKYs Fassung gehaltene Akkorde etc. auftreten, bei BÜLOW u.U. Tremolo (oder Arpeggio, welches GRUNSKY ebenso sparsam gebraucht wissen will31)) anzunehmen.
LISZT (der seine Opernfantasie eine 4-taktige Einleitung mit einer Abwandlung des „Todes-Motivs“ aus dem Liebesduett des zweiten Tristanaktes32):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
vorausschickt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
setzt in der linken Hand während der ganzen ersten 8 Takte Tremolo:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dies entspricht genau den tremolierenden Bratschen und Celli in WAGNERs Partitur:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Tremoli sind einfach nicht zu überhören, und LISZT deutet sie dennoch nur an, indem er jeweils nur zwei Stimmen miteinander tremolieren läßt: Der hörbare Orchesterklang soll auch im Klavierspiel wiedergegeben werden.
Da die tiefe Lage auf dem Klavier sehr dumpf klingt, verzichtet LISZT im ersten Takt (nun wie im Folgenden ohne die Einleitungstakte gerechnet) auf das As der untersten Celli. (BÜLOW/GRUNSKY können sich dessen Notierung erlauben, allerdings durch Preisgabe des flimmernden Orchesterklangs; ein Tremolo mit dem As eingeschlossen würde jedenfalls den Klang zu dick machen).
LISZT ändert auch die Kontrabaßstimme. Nach WAGNEs Partitur hätte sie die rhythmischen Werte:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
für die ersten vier Takte. LISZT notiert jedoch:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(die nachschlagenden Baßtöne beim Tremolo können hier zusammengefaßt werden, zumal Pedalgebrauch vorgeschrieben ist).
Damit ergibt sich jedoch ein etwas geänderter Sachverhalt, was die Grundtöne der Akkorde anbetrifft:
aus:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Grund hierfür dürfte darin liegen, daß LISZT dem musikalischen Zusammenhang von 2 + 2 Takten herausstellen wollte: Das Motiv „Mild und leise, wie er lächelt“ wird als Einheit betrachtet, die sich bei „wie das Auge hold er öffnet“ auf einer anderen harmonischen Stufe wiederholt, und das wird eben nicht nur motivisch zusammengehalten sondern auch im Gebrauch der Baßtöne. Der Bogen ist weiter gespannt, als es WAGNERs Partitur vorschreibt. WAGNER verleiht durch den kurzen Wegfall des Baßfundaments dem verklärt-staunenden Betrachten des Leichnams Tristan durch Isolde einen gefühsmäßigen Spannungsmoment, der hernach dem ersten Kernpunkt ihrer Kontemplation, das „lächelt“, Nachdruck verleiht. In LISZTs Klavierfassung fällt aber beim Hören der Text weg (nur der Pianist hat ihn, über die Noten notiert, vor sich), und LISZT ist somit darauf angewiesen, dem Hörer die Musik so neu zu übersetzen, daß sie „für sich selbst“, als „Musik“, sprechen kann. Eine blanke Übernahme der WAGNERschen Baßstimme dürfte deshalb als unzweckmäßig erschienen sein: Fehlt der Text, müssen Bedingungen für die Musik geschaffen werden, die sie in ihrem „internen“ Zusammenhang verstehbar macht. Der Fachmann auf dem Gebiet der Programmusik LISZT kann leicht über solche Einzelheiten hinwegsehen, wenn es ihm – wie in diesem Fall – gelingt, die Grundstimmung der Aussage dennoch zu treffen. Und dies ist hier die Verklärtheit und Milde der theatralischen Situation, ihre Intimität, die LISZT durch Vorschriften wie äußerstes Piano und „una corda“ hervorstreicht – gewiß nur ein Hilfsmittel, aber in der Begrenztheit der klavieristischen Mittel durchaus richtig angewandt.
In Takt 7/8 notiert LISZT jeweils auf die Takthälfte den Kontrabaß in 16teln und läßt dann die Tremoli der Celli und Bratschen nachfolgen:
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BÜLOW dagegen läßt in Takt 7 2.Hälfte den Baßton erst ein Viertel später folgen, um auf Zählzeit 3 den vollen Akkord zu haben; und in Takt 8 2.Hälfte – wo er ebenso verfahren könnte – kommt der Baßton vor dem Akkord mittels einer Vorschlagsnote:
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In Takt 8 ist bei BÜLOW außerdem der Einsatz des ersten Horns berücksichtigt, bei LISZT fehlt er. Das Resultat ist bei BÜLOW ein Mittelstimmensatz, der so voll von Akkordtönen ist, daß man weder das Horn noch die Stimmführung der geteilten Violinen heraushören kann. Man wird beim Vergleich dieser Stelle mit der von LISZT feststellen daß die entscheidenden Orchesterstimmen bei ihm (LISZT) viel deutlicher zur Geltung kommen. Ob GRUNSKY diesen Takt bei BÜLOW so belassen oder ob er ihn korrigiert hat, sei dahingestellt – jedenfalls verfährt er doch in seiner Auszugstechnik unkonsequent, wenn er einerseits meint33):
Man kann das Fehlen einer Stimme, welche mit mehr oder weniger Nachdenken hereingebracht werden konnte, manchmal heftiger beklagen, als eine ungenaue Linie,
andererseits aber der Klarheit der Stimmführung34) größten Vorzug einräumt, was BÜLOWs (oder GRUNSKYs) Fassung an dieser Stelle nun wahrlich nicht zu bieten vermag.auptwerkenH
Den Einsatz der Harfe Takt 9 verdeutlicht BÜLOW durch Arpeggio in der rechten Hand,
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führt sie jedoch in der ersten Takthälfte Takt 10 nicht fort. Statt dessen geht ein groß angelegter Lauf im gebrochenen Akkord (2. Takthälfte) weit über WAGNERs Harfenstimme:
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hinaus, wohl um das Crescendo besser hervortreten zu lassen. LISZT dagegen geht es an dieser Stelle wiederum mehr um den flimmernden Streicherklang,
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und er deutet die Harfe durch die drei Vorschlagsnoten in Takt 10 und die Arpeggien Takt 11 in der linken Hand nur an:
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Mit dem Akkordtremolo in der rechten Hand Takt 10/2. Hälfte braucht er sich im Übrigen um das Problem des Crescendo nicht zu sorgen, denn es ist auf diese Weise ja bekanntlich leicht zu realisieren.
Der elfte Takt weist zwischen BÜLOWs und LISZTs Version erhebliche Unterschiede auf. Das hängt u.a. damit zusammen, daß LISZT die Singstimme einbezieht35). Die Kontrabaßstimme schlägt bei BÜLOW
aufs zweite Viertel nach (während bei WAGNER hier ausdrücklich Pause steht):
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Die Harfenstimme ist jedoch – wenn auch um eine Oktave zu hoch – in der ersten Takthälfte genau übertragen worden. LISZT hingegen schreibt:
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Die Harfe ist hier also im letzten Teil der ersten Takthälfte und zu Anfang der zweiten (linke Hand) lediglich angedeutet.
Es ist schon richtig, wenn GRUNSKY solche Stelle als Klavierrausch o.ä. bezeichnen würde. Die Frage ist nur, ob zur Darstellung des Orchesterklangs LISZT nicht wesentlich genauer und feinsinniger verfährt. Und da spielt das Problem, was dem Klavierauszug angemessen sei, wohl eine sekundäre Rolle. Man könnte somit den Vergleich formulieren: GRUNSKY will das Gerippe, LISZT das Fleisch um es herum.
Damit sind bereits wesentliche Grundmomente der LISZTschen und BÜLOW/GRUNSKYschen Verfahrensweisen angesprochen. Deshalb kann sich der Vergleich der folgenden Takte auf die Hauptunterschiede bei beiden (bzw. den drei) Bearbeitungen beschränken. So genügt es zu erwähnen, daß die nun anschließenden Takte 12 bis 16 in beiden Fassungen weitgehend identisch oder ähnlich sind. Beide nehmen die Triolenbewegungen der Violinen und Bratschen:
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in die Mittelstimme, verteilt zwischen linker und rechter Hand; nur ist LISZT mehr darauf bedacht, die tiefste Baßstimme wirklich als Fundamentstimme zu belassen. Im BÜLOWschen Auszug fehlt dieses Fundament, und zwar nicht allein in satztechnischer Hinsicht (gleich zu Beginn in Takt 12 etwa greift das eis der Bratsche unter das Baß-fis, was zudem bei der Pedalangabe – gekennzeichnet durch die senkrechten Striche über dem System36) – einen falschen und dissonanten37) Eindruck im Baß hervorruft), sondern auch in klanglicher, denn der volle Klang des Orchesters wird hier auf die Mittellage des Klaviers reduziert:
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Bemerkenswert ist nun der Unterschied zwischen beiden vorliegenden Fassungen bei Takt 18ff. (eingeleitet schon in Takt 17). Während BÜLOW, partiturgetreu, die Triolenbewegungen fortsetzt, wo sie WAGNER vorschreibt:
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(und BÜLOW macht daraus:)
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geht LISZT ganz in 16tel-Bewegung über:
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und verfährt dennoch an einer Stelle partiturgetreuer als BÜLOW.:
Takt 20 heißt es in der Partitur:
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Und LISZT übersetzt die 2. Violine am Schluß des Taktes richtig:
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BÜLOW ändert dies jedoch in:
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wobei er das zweitletzte Achtel in der 2. Violine wohl deshalb punktiert, um mit dem nachfolgenden 16tel gleichzeitig die Bewegung der Bratsche in rhythmischer Genauigkeit zu Ende führen zu können.
LISZT übersetzt also hier nur die führenden Stimmen genau, während er mit dem Bewegung schaffenden „Beiwerk“ frei verfährt und es verändert. Dies geschieht vermutlich aus Gründen der Textinterpretation:
1. Für das „Mild und leise, wie er lächelt“ etc. wählt LISZT die bei WAGNER ebenfalls vorgeschriebenen Tremoli. Sie leisten hilfreiche Dienste im Klaviersatz zur Steigerung über das „Immer lichter…“ bis hin zum Höhepunkt „Sternumstrahlet hoch sich hebt“, welches in Takt 11 ohne Tremolo notiert ist.
2. Beim „mutigen Schwellen“ des Herzens Tristans und seinem „quellenden Busen“ kann LISZT WAGNERs Triolenfiguren übernehmen, die Belebung in den Satz bringen.
[...]
1) Bericht über die Zweite Internationale Musikwissenschaftliche Konferenz. Liszt - Bartók, Budapest 1961, in: Studia Musicologica (StMl) 5/1963, Budapest 1963
2) Helmut LOOS, Zur Klavierübertragung von Werken für und mit Orchester des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Walter KOLNEDER (Hrsg.), Schriften zur Musik, Bd. 25, München - Salzburg 1983
3) Ernst Klaus SCHNEIDER, Original und Bearbeitung, in: Richard JACOBY (Hrsg.), Kursmodelle Musik Sekundarstufe II, Ffm. - Bln. - München 1984, Kap. IX S. 141ff.
4) Thomas KABISCH, Liszt und Schubert, in: Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten Bd. 23, München - Salzburg 1984
5) Louis SPOHR, Selbstbiographie, Cassel 1860, Bd. I S. 215f.
6) Antal MOLNAR, Über Transkriptionen und Paraphrasen von Liszt, in: Studia Musicologica a.a.O., S. 227f.
7) und folgendes Zitat: Georg KNEPLER, Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts I, II, Bln.1961, Bd. I, S. 517ff.
8) A. MOLNAR, a.a.O. S. 228
9) Franz LISZT im Vorwort der Herausgabe der BEETHOVEN-Sinfonien-Bearbeitungen. Zit. nach: Franz Liszts musikalische Werke, hrsg. von der Fr.Liszt-Stiftung. Bearbeitungen Bd. II (Sinfonien 1-5), Verlag Breitkopf & Härtel 1922
10) unter ergänzender Zuhilfenahme von Wolfgang DÖMLING, Franz Liszt und seine Zeit, Laaber 1985, S. 9ff.
11) Bearbeitungen für Klavier zu vier Händen, zwei Klaviere oder Orgel sind bei dieser Aufstellung aus Gründen, die im Vorwort der Arbeit genannt sind, nicht aufgeführt; die Liste ist nicht vollständig!
12) Horst SEEGER, Musiklexikon I, II, Lpz. 1966, Bd.II, Stichw. „Virtuose“
13) Jaroslav. JIRANEK, Liszt und Smetana, in: Studia Musicologica a.a.O. S. 152
14) A. MOLNAR, a.a.O., S.231
15) JIRANEK a.a.O., S. 153
16) in der erweiterten Auflage 1877 (Thematisches Verzeichnis der Werke von Fr.Liszt, Lpz. – Anm.d.Verf.) unterscheidet Liszt zwischen: Bearbeitungen, Fantasien, Reminiszenzen, Illustrationen, Paraphrasen, Klavierauszügen und Tr (anskription) en – RML-Sachteil, Stichw. „Transkription“, S. 975
17) Karl GRUNSKY, Die Technik des Klavierauszugs – Entwickelt am dritten Akt von Wagners Tristan, Lpz. 1911
18) GRUNSKY a.a.O., S. XIIf.
19) GRUNSKY a.a.O., S. 78f.
20) GRUNSKY a.a.O., S. 79
21) zitiert nach GRUNSKY a.a.O., S. 8f.
22) GRUNSKY a.a.O., S. 6ff., 82
23) GRUNSKY a.a.O., S. 80
24) GRUNSKY a.a.O., S. 79
25) GRUNSKY a.a.O., S. XII
26) GRUNSKY a.a.O., Notenteil S. 20ff.
27) Das ist aus S. 169f. zu schließen, wo GRUNSKY BÜLOWs Fassung von T.30 mit
angibt und ihr seine eigene:
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gegenüberstellt, die dann im Notenteil – S.22, letzter Takt – abgedruckt ist.
28) GRUNSKY a.a.O., Notenteil S. 20, 2. Zeile T. 1-8
29) vgl. GRUNSKY a.a.O., § 6 S. 46ff.
30) GRUNSKY a.a.O., S. 46
31) GRUNSKY a.a.O., S. 88
32) Richard WAGNER, Tristan und Isolde, Klavier-Auszug mit Text. Neuausgabe von Karl KLINDWORTH, Collection Litolff Nr. 2514, Mz. 1906
33) GRUNSKY a.a.O., S. 236
34) GRUNSKY a.a.O., S. 69, 71
35) Bei beiden vorliegenden Bearbeitungen ist der Singstimmenpart weitgehend ausgeklammert. Das hängt aber damit zusammen, daß bis auf wenige Ausnahmen immer irgend welche Instrumente WAGNERs Isolde-Stimme colla parte mitspielen – entweder unverändert oder rhythmisch geringfügig verschoben. Nur bei wenigen Stellen hat die Singstimme einen anderen Notentext. LISZT berücksichtigt dies in seiner Bearbeitung immer, wo es vonnöten ist, etwa in Takt 5f., in Takt 11 (hier sogar durch die Oktavierung des vierten Achtels sehr deutlich hervorgehoben), oder Takt 34 2.Viertel.
BÜLOW dagegen läßt in Takt 5f. die Stimme der Isolde ganz weg, ebenso in Takt 11. Nur an zwei Stellen erscheint sie: Takt 34 4.Achtel (linke Hand in diminuierter Form von vier 32steln) und Takt 45f. jew. 4.Achtel (linke Hand). Die Begründung für solch unkonsequente Notierung ist leider nicht zu geben. GRUNDKY klammert dieses Problem in seinem Buch ohnehin weitgehend aus.
36) Anm.: BÜLOWs Pedalisierung ist in den anderen Notenausschnitten weggelassen worden; offensichtliche tonliche oder rhythmische Fehler in GRUNSKYs Veröffentlichung wurden stillschweigend korrigiert.
37) LISZTs Verteilung der Stimmen auf die Hände sowie die Pedalisierung läßt ebenfalls eine Eliminierung der eis-fis-Dissonanz nicht zu. Jedoch ist es ein Leichtes für den Spieler, sich den Part so zurecht zu legen, daß die Dissonanz aufgehoben ist:
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- Quote paper
- Manfred Schwenkglenks (Author), 2009, Studien über die Klavierbearbeitung bei Franz Liszt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132954
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