Diese Bachelorthesis soll einen Beitrag dazu leisten, Defizite des bestehenden Systems der Kinder- und Jugendhilfe aufzudecken und seine Ressourcen zu erkennen, miteinzubeziehen und zu nutzen, sodass Hilfesysteme sich nicht mehr "gesprengt" fühlen und Kinder und Jugendliche in der Folge nicht mehr aus ihm herausfallen. Es wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Heilpädagogik mit ihren entsprechenden Haltungen und Handlungsmöglichkeiten an dieser Stelle einnehmen und welche (heil- und traumapädagogischen) Strategien für den Umgang mit sogenannten Systemsprenger*innen entwickelt werden können.
Systemsprenger*innen sind junge Menschen, die sich im System der Kinder- und Jugendhilfe bewegen und dort kontinuierlich Grenzen und Kapazitäten „sprengen“, da es scheinbar keine Personen und Orte gibt, die ihnen gerecht werden können. Es handelt sich um Kinder und Jugendliche, die angeblich in keiner Betreuungsmaßnahme länger gehalten werden können und deren (Hilfe-)Biografien von vergebenen Chancen, Brüchen und Neuanfängen geprägt sind. Sie werden von Institution zu Institution gereicht, bis jede Handlungsoption des Systems und seiner Akteur*innen erschöpft ist. Vor allem herausfordernde und extreme Handlungsweisen sogenannter Systemsprenger*innen führen zu Ohnmachtsgefühlen und Überforderung pädagogischer Fachkräfte.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen „Systemsprenger*in“ und „herausfordernde Handlungsweisen“
2.1 Begriffsdiskussion
2.2 Das Abweichen von der gesellschaftlichen Norm
2.3 Systemisches Verständnis der Begrifflichkeit
2.4 Individualisierung herausfordernder Handlungsweisen
2.5 Das Etikett „Systemsprenger*in“
3 Das Phänomen „Systemsprenger*in“
3.1 Wer sind sogenannte Systemsprenger*innen?
3.2 Seelische Belastung und Trauma
3.2.1 Trauma
3.2.2 Kontexte und Wirkungen seelischer Belastungen und Traumatisierungen
4 Sogenannte Systemsprenger*innen im System der Kinder- und Jugendhilfe
4.1 Die Kinder- und Jugendhilfe
4.1.1 Die Hilfen zur Erziehung
4.1.2 Heimerziehung
4.1.3 Intensiv Sozialpädagogische Einzelbetreuung
4.2 Freiheitsentziehende Unterbringung und Maßnahmen
4.3 „Wer sprengt hier was und wen?“
4.4 Individuelle Subjektlogiken sogenannter Systemsprenger*innen
4.5 Abbrüche von Maßnahmen des Hilfesystems
5 Heilpädagogische Begegnung mit sogenannten Systemsprenger*innen
5.1 Heilpädagogik im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe
5.2 Heilpädagogische Einflussnahme und Traumapädagogik
5.3 Institutionelle Voraussetzungen und Settings
5.3.1 Heilpädagogische Diagnostik
5.3.2 Interdisziplinäre Zusammenarbeit
5.3.3 Der sichere Ort
6 Heilpädagogische Handlungskonzepte im Umgang mit sogenannten Systemsprenger*innen
6.1 Die „Mittel der Wahl“ und ihre Grenzen
6.2 Heilpädagogische Beziehungsgestaltung
6.2.1 Verstehen und gemeinsames Verstehen
6.2.2 Partizipation und Anerkennung der Expert*innenschaft sogenannter Systemsprenger*innen
6.2.3 Der/die Pädagog*in als Halt
6.2.4 „Konsequentes Menschsein“
6.3 Stabilisierung und Sicherheit für Mitarbeitende
6.4 Impulse für flexible, individualisierte Betreuungskonzepte
6.4.1 Heilpädagogische Wohngruppen
6.4.2 Institutionsübergreifende Fallbegleitung
6.4.3 Auslandsmaßnahmen
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
Abkürzungsverzeichnis
ABiE Abbrüche in stationären Erziehungshilfen (Studie)
Abs. Absatz
ADHS Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung
Art. Artikel
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
d.h. das heißt
ebd. ebenda
etc. et cetera
EVAS Evaluationsstudie Erzieherischer Hilfen (Studie)
f. folgend
GG Grundgesetz
Hrsg. Herausgeber*innen
ISE Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung
i. V. m. in Verbindung mit
MAZ. Modellversuch Abklärung und Zielerreichung in stationären Maßnahmen (Studie)
Nr. Nummer
S. Satz
SGB Sozialgesetzbuch
SPFH Sozialpädagogische Familienhilfe
u.a. und andere
z. B. zum Beispiel
1 Einleitung
„Du hast ganz schön viele Fotoalben.“
„Immer, wenn ich irgendwo rausfliege, dann kriege ich eins.“1
Der Film „Systemsprenger“ (2019) von Nora Fingscheidt sorgte nach seiner Veröffentlichung in politischen und insbesondere professionellen Kontexten für großes Aufsehen. Er thematisiert die Geschichte des Mädchens Benni, das sich im System der Kinder- und Jugendhilfe bewegt und dort kontinuierlich Grenzen und Kapazitäten „sprengt“, da es scheinbar keine Personen und Orte gibt, die ihr gerecht werden können. Als sogenannte Systemsprenger*innen werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die angeblich in keiner Betreuungsmaßnahme länger gehalten werden können und deren (Hilfe-)Biografien von vergebenen Chancen, Brüchen und Neuanfängen geprägt sind. Sie werden von Institution zu Institution gereicht, bis jede Handlungsoption des Systems und seiner Akteur*innen erschöpft ist. Vor allem herausfordernde und extreme Handlungsweisen sogenannter Systemsprenger*innen führen zu Ohnmachtsgefühlen und Überforderung pädagogischer Fachkräfte.
Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, Defizite des bestehenden Systems aufzudecken und seine Ressourcen zu erkennen, miteinzubeziehen und zu nutzen, sodass Hilfesysteme sich nicht mehr „gesprengt“ fühlen und Kinder und Jugendliche in der Folge nicht mehr aus ihm herausfallen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich der Titel der vorliegenden Arbeit: „Sogenannte ‚Systemsprenger*innen‘ in der Kinder- und Jugendhilfe – eine heilpädagogische Einordnung“. Es wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Heilpädagogik mit ihren entsprechenden Haltungen und Handlungsmöglichkeiten an dieser Stelle einnehmen und welche Strategien für den Umgang mit sogenannten Systemsprenger*innen entwickelt werden können. Heilpädagogik ist fest im System der Kinder- und Jugendhilfe verankert und kann als eine Pädagogik begriffen werden, die für Ausgegrenzte und Benachteiligte Partei ergreift (Kiessl 2015: 90f.).
Zunächst erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen „Systemsprenger*in“ und „herausfordernde Handlungsweisen“. Hierzu wird die Eignung der Begrifflichkeiten diskutiert. Es wird thematisiert, inwiefern die Zielgruppe von der gesellschaftlichen Norm abweicht. Dies soll neben der stigmatisierenden Etikettierung junger Menschen, die als „Systemsprenger“ in bezeichnet werden, dargelegt werden.
Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird geklärt, um wen es sich bei der Zielgruppe sogenannter Systemsprenger*innen handelt und es wird ein Überblick über biografische Aspekte und Risikofaktoren gegeben. Um die individuellen Belastungen der Kinder und Jugendlichen besser zu verstehen, werden seelische Belastungen bzw. Traumatisierung definiert sowie ihre Kontexte und Wirkungen näher betrachtet und ein Zusammenhang zu herausfordernden Handlungsweisen hergestellt.
Um zu klären, wer im System der Kinder- und Jugendhilfe weshalb durch wen „gesprengt“ wird, werden in Kapitel vier zunächst die Hilfen zur Erziehung im Allgemeinen sowie die spezifischen pädagogischen Maßnahmen geschildert. Vor diesem Hintergrund kann geklärt werden, wie sogenannte Systemsprenger*innen, Pädagog*innen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe sich wechselseitig beeinflussen und wie es zu „Sprengungen“ kommt. Um ihre Handlungsweisen besser verstehen zu können, werden innere Subjektlogiken sogenannter Systemsprenger*innen betrachtet. Darauffolgend werden Abbrüche von Hilfemaßnahmen thematisiert.
Kapitel fünf befasst sich mit der Rolle der Heilpädagogik bei der Begegnung mit sogenannten Systemsprenger*innen. Bevor die heilpädagogische Einflussnahme und Traumapädagogik im Umgang mit der Zielgruppe dargelegt werden, wird Heilpädagogik im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe betrachtet. Heilpädagogische Diagnostik, interdisziplinäre Zusammenarbeit und so weit als möglich sichere Orte sind institutionelle Voraussetzungen und Settings für die Arbeit mit sogenannten Systemsprenger*innen.
In Kapitel sechs sollen Antworten auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit gegeben werden. Hierzu sollen praktische heilpädagogische Handlungsoptionen und Strategien herausgearbeitet werden, die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Umgang mit sogenannten Systemsprenger*innen unterstützen könnten.
Die Arbeit wird mit einem abschließenden Fazit beendet.
2 Kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen „Systemsprenger*in“ und „herausfordernde Handlungsweisen“
Der Terminus „Systemsprenger*in“ wurde maßgeblich von Menno Baumann geprägt. Er bezeichnet damit junge Menschen als eine Gruppe von „Hoch-Risiko-Klientel, welches sich in einer durch Brüche geprägten negativen Interaktionsspirale mit dem Hilfesystem, den Bildungsinstitutionen und der Gesellschaft befindet und diese durch als schwierig wahrgenommene Verhaltensweisen aktiv mitgestaltet“ (Baumann 2019: 7). Es handelt sich um junge Menschen, die nicht in ihren Herkunftsfamilien leben und in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufgrund störender oder herausfordernder Handlungsweisen nicht tragbar scheinen – sie finden keinen Anschluss im pädagogischen System (Baumann 2012: 3).
Bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff stellen sich mehrere Fragen. Einerseits, inwiefern unterschiedliche Hilfeangebote und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich als ein einheitliches, zusammenwirkendes System verstanden werden können und andererseits, inwiefern die „Sprengung“ von Strukturen innerhalb des Hilfesystems notwendig ist, da diese in manchen Fällen eine gesunde Entwicklung von Menschen nicht begünstigen oder sogar verhindern.
Im Folgenden werden die Begriffe „Systemsprenger*in“ und „herausfordernde Handlungsweisen“ diskutiert und vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Normen und Werte kritisch betrachtet. Um zu einem oder einer sogenannten Systemsprenger*in werden zu können, bedarf es Systeme, die sich „gesprengt“ fühlen. Hierzu wird das systemische Verständnis der Begrifflichkeit beschrieben. Darauffolgend wird die Individualisierung herausfordernder Handlungsweisen und die damit einhergehende Etikettierung als sogenannte*r Systemsprenger*in thematisiert.
2.1 Begriffsdiskussion
In der Vergangenheit wurde Kindern und Jugendlichen, deren Handlungsweisen in spezifischen sozialen Situationen nicht den Erwartungen Außenstehender gerecht wurden, Begriffe wie „entwicklungsgestört“, „erziehungsschwierig“, „schwererziehbar“, „verwahrlost“ und vieles mehr zugeschrieben. Inzwischen werden diese Begriffe aus verschiedenen Gründen abgelehnt und sind überwiegend aus dem Sprachgebrauch verschwunden (Störmer 2013: 7; Myschker und Stein 2018: 51). In aktuellen fachpolitischen Debatten sind die Begriffe „Systemsprenger*in“, „Systemverweiger*in“, „Systemverlierer*in“ und „Problemjugendliche“ populär (Kieslinger, Dessel und Haar 2021: 17; Witte und Sander 2006: 7). Der am weitesten verbreitete Terminus „Systemsprenger*in“ ist höchst umstritten und kritisch zu betrachten. Bisher besteht keine allgemein akzeptierte Definition dieser Zielgruppe. Es handelt sich um keine „neue“ Zielgruppe, sondern um junge Menschen, die schon immer zu den Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe zählen (Kieslinger, Dessel und Haar 2021: 17). Die Bezeichnungen für diese Kinder und Jugendlichen wechselte in den vergangenen 150 Jahren ständig. Sie alle implizieren die „Unerziehbarkeit“, „Persönlichkeitsstörungen“ oder gar die „Gefährlichkeit“ der Zielgruppe und stellen immergleiche strukturelle Forderungen, wie mit diesen jungen Menschen umzugehen und an welchen gesonderten Orten sie unterzubringen seien (Peters 2020: 114).
Heutzutage finden die Begriffe „Verhaltensauffälligkeit“ und „Verhaltensstörung“ in der Fachliteratur am meisten Verwendung, um Menschen mit herausfordernden Handlungsweisen zu beschreiben (Myschker und Stein 2018: 52). All diese Termini versuchen unterschiedlichste Problemlagen und Handlungsweisen zusammenzufassen, wobei die breite Vielfalt des Sachverhalts und die Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen der als störend und herausfordernd angesehenen Handlungsweisen übersehen werden. Folglich sind die Begriffe unscharf und mehrdeutig (Störmer 2013: 14). Die Unspezifität und Weite verschiedener Definitionen von „Verhaltensstörungen“ werden immer wieder kritisiert, denn sie machen eine objektive und allgemeingültige Definition nahezu unmöglich. Die Ursachen negativer Abweichungen werden überwiegend bei Individuen selbst als Träger*innen und Verantwortliche ihrer „Verhaltensstörung“ gesucht, obwohl diese nicht selbstverständlich als eine Beschreibung von Merkmalen einer einzelnen Person betrachtet werden kann (ebd.: 20).
2.2 Das Abweichen von der gesellschaftlichen Norm
Normen bilden die Basis für ein Auffallen spezifischer Handlungsweisen und für Bewertungsprozesse, die Handlungsweisen als erwünscht, abweichend, tolerierbar, störend oder herausfordernd einordnen (Störmer 2013: 7). Wann Handlungsweisen als störend oder herausfordernd betitelt werden, wird also immer an spezifischen Regeln, Normen, Anforderungen und Ansprüchen gemessen, die in der Gesellschaft die weitverbreitetste Akzeptanz finden. Es handelt sich oftmals um institutionalisierte Anforderungsstrukturen, die sich auf soziale Sanktionen stützen und durch diese absichern. In diesem Kontext können herausfordernde Handlungsweisen nur durch das Nichteinhalten institutionell-organisatorischer Regeln, Normen, Anforderungen und Ansprüche charakterisiert werden. Sie gehen aus Bewertungen, Interpretationen und Urteilsbildungen von Pädagog*innen, Mediziner*innen und Psycholog*innen hervor und werden in diesem Sinne von alltagstheoretischen Erklärungsansätzen geprägt (ebd.: 43).
Laut Störmer fehlen Ansätze eines gesellschaftskritischen Einbezugs „negativer Abweichungen“ gänzlich, obwohl gerade herausfordernde Handlungsweisen als Indikatoren des gegenwärtigen Zustands einer Gesellschaft zu begreifen sind (2013: 20). Sie heben Krisensituationen vor, in denen junge Menschen mit Strömungen konfrontiert werden, die zwar auf gesellschaftlicher Ebene entstehen, aber dennoch von Individuen bewältigt werden sollen (ebd.: 20). Wenn störende oder unangemessene Handlungsweisen als ein Phänomen, „das in der Auseinandersetzung einzelner Kinder mit gesellschaftlichen Anforderungen entsteht“ (Kupffer 1992: 184) begriffen werden, reichen Erklärungsansätze, die negieren, dass Handlungsweisen nicht als individuelle Störung zu begreifen sind, nicht aus. Sie müssen folglich immer als eine Folge gesellschaftlicher Macht verstanden werden (Störmer 2013: 20f.). Der weitverbreitete Terminus „Verhaltensstörung“ wird oftmals nur angewendet, um „das Abweichen von einer fragwürdigen Norm gesellschaftlich bejahten Verhaltens (zu) stigmatisieren“ (Reichmann und Schneider 1984: 636) und liefert keine verbindlichen Sachaussagen über individuelle Persönlichkeitsmerkmale (Störmer 2013: 21).
2.3 Systemisches Verständnis der Begrifflichkeit
Der Begriff „Systemsprenger*in“ lässt ein systemisches Verständnis zu, welches suggeriert, dass ein Individuum erst in einem System, das gewissen Gesetzmäßigkeiten und Regeln folgt, zu einem oder einer sogenannten Systemsprenger*in wird und dieses System somit mitverantwortlich an dieser Entwicklung ist. Inwieweit ein System „gesprengt“ wird und sich vor sogenannten Systemsprenger*innen schützen muss, hängt von der Belastbarkeit des jeweiligen Systems ab. Allerdings wird immer mehr in den Blick genommen, dass bestehende Konzepte in den jeweiligen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als nicht mehr bedarfsgerecht eingestuft werden müssen, da sie durch enge Strukturen an ihre Grenzen kommen. In aktuellen Diskursen nimmt die Überlegung, ob die mit den Heranwachsenden einhergehende Problematik nicht eher im System begründet ist, immer mehr Raum ein (Kieslinger, Dessel und Haar 2021: 17).
2.4 Individualisierung herausfordernder Handlungsweisen
Zunächst scheint der häufig kritisierte Terminus „Systemsprenger*in“ eine Individuumszentrierung anzudeuten. Kinder und Jugendliche werden mit dieser Bezeichnung, die ihnen die alleinige Verantwortung für das Scheitern einer Hilfemaßnahme zuschreibt, belegt. Hierbei wird die Verantwortung des Hilfesystems, der Gesellschaft und der Familie ausgeklammert (Macsenaere und Feist-Ortmanns 2021: 92). Die Beobachtung herausfordernder oder störender Handlungsweisen findet in der Regel aus der Außenperspektive statt, indem z.B. von Eltern oder Mitarbeitenden in Einrichtungen Handlungsweisen beklagt werden, die nicht deren Normvorstellungen entsprechen und denen sie eventuell aufgrund persönlicher Betroffenheit oder fehlender Erklärungen hilflos gegenüberstehen (Theunissen 2021: 52). Zunächst haben also Beobachter*innen der erlebten unerwünschten oder herausfordernden Handlungsweisen in bestimmten sozialen Situationen ein Problem und nicht die Personen, die diese Handlungsweisen zeigen. Meist wird das Problem nicht von dieser Seite betrachtet, sondern die als störend empfundenen Handlungsweisen werden als ein persönliches Problem der agierenden Person betrachtet. Auf diese Individualisierung folgt häufig eine Pathologisierung, wodurch abweichende bzw. herausfordernde Handlungsweisen als „persönliche Störung“ einer einzelnen Person markiert und sodann auf verschiedenste Weise kategorisiert werden. Diese „persönlichen Störungen“ werden in verschiedenen Disziplinen wie der Medizin, Pädagogik oder Psychologie durch den Begriff „Verhaltensstörung“ zusammengefasst (Störmer 2013: 7f.). An Stellen, wo aufgrund von Test- und Diagnoseverfahren, Einrichtungen der Beratung und wissenschaftlichen Theorien Hilfen und Unterstützung versprochen werden, wird oftmals versucht, das Problem bei den Kindern und Jugendlichen zu beheben, obwohl diese im Ursprung häufig nur zum kleinsten Teil zu einem Problem beitragen (ebd.: 22).
2.5 Das Etikett „Systemsprenger*in“
Peters bemängelt, dass junge Menschen, die die Praxis vor bestimmte Herausforderungen stellen, durch das Etikett „Systemsprenger*in“ als einheitliche Gruppe zusammengefasst werden, da dadurch Einzelphänomenen weniger Aufmerksamkeit zugutekommen. Die Beschreibung einer Zielgruppe mit bestimmten Merkmalen kann eine zunehmende Problemverschiebung und Pathologisierung in die Richtung eines „schwierigen Falls“, der für Einrichtungen nicht mehr tragbar scheint, nach sich ziehen. Peters betont, dass sich Betroffene selbst nicht als „Systemsprenger*in“ bezeichnen, sondern dass diese Etikettierung aus der Perspektive von Organisationen formuliert wird und somit aus Machtkonstellationen hervorgeht. Kinder und Jugendliche werden unabhängig von ihrem Willen und ihren Bedürfnissen durch Institutionen mit dem Etikett „Systemsprenger*in“ klassifiziert und kategorisiert, weil sie innerhalb konstruierter Kategorien durch störende oder herausfordernde Handlungsweisen auffällig geworden sind. Da diese Zuschreibung gegen ihren Willen geschehen kann, wird deutlich, dass diese Institutionen auf Macht beruhen (2020: 114f.).
Ebenso gehen mit dem Begriff „Verhaltensstörung“ Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsprozesse für die mit diesem Terminus Bezeichneten einher (Störmer 2013: 8). Diese vage Bezeichnung kann beobachtbare Handlungsweisen allerdings nicht erklären oder verbindliche Aussagen über Persönlichkeitsmerkmale treffen. Eher wird die Gefahr, dass beobachtbare Handlungsweisen und damit einhergehende Zuschreibungen zu einem Etikett für betreffende Personen werden, erhöht. Diese Etikettierung wiederum kann institutionelle Absonderungen nach sich ziehen (ebd.: 44). Die Stigmatisierung des Abweichens von gesellschaftlich akzeptierten und konstruierten Normen sowie die Übertragung gestörter Verhältnisse bzw. gesellschaftlicher Störungen müssen schon auf der Begriffsebene abgewendet werden. Hierzu muss auf fachspezifische Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsbezeichnungen und daraus resultierende Symptomschemata verzichtet werden. Sinnvoller ist die Ansicht, „dass Intensität, Dauer, aber auch Reversibilität von problembehafteten Lebenslagen […] die sozialisationsbelastenden Phänomene besser erfasst als ein defizitorientiertes Etikett“ (Warzecha 1998: 7). Das Wort „Lebenslage“ verweist darauf, dass es sich um zeitlich begrenzte Krisen- und Konfliktphasen handelt (Warzecha 1998: 7).
Die Unspezifität des Begriffs „Verhalten“ kann kritisiert werden, denn er ist sehr vielschichtig und nicht immer eindeutig. Der Begriff bezieht sich auf Beschreibungen durch Außenstehende, während sich eine Handlung immer aus individuellen Motiven und Beweggründen ergibt, die durch innere Dynamiken entstehen und mit Zielen verbunden sind (Lindemann und Vossler 1999: 19). Er drückt lediglich aus, welche Handlungen eines Individuums in einer konkreten Situation für Außenstehende beobachtbar sind und hat dadurch einen ausschließlich beschreibenden Charakter (Störmer 2013: 23f.). Individuelle Beweggründe, wie etwa die Ziel- und Motivationsaspekte des Handelns, können durch äußere Beobachtungen nicht erfasst werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, zwischen Verhalten und einer Handlung zu unterscheiden (Lindemann und Vossler 1999: 19). Motive und Bedürfnisse, die einer Handlung zugrunde liegen, sind für Beobachter*innen nicht sichtbar. Besonders bei herausfordernden oder störenden Handlungsweisen von jungen Menschen ist davon auszugehen, dass eine Handlung bewusst und zielgerichtet ausgeübt wird, denn Handlungen erfolgen immer absichtlich. Menschen handeln so, wie sie es selbst für subjektiv sinnvoll erachten. Dies gilt selbst dann, wenn betreffenden Personen der tiefere Sinn einer Handlung selbst nicht bewusst ist oder sie diesen nicht benennen können (Störmer 2013: 29f.).
Die Bezeichnung „Systemsprenger*in“ wird aufgrund der Individualisierung zu „schweren „Fällen“ und der damit einhergehenden Problemlagen, Schuldzuschreibungen, Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsprozessen sowie der Etikettierung betroffener Kinder und Jugendlichen in der Fachwelt überwiegend abgelehnt. Für Betroffene sind die von Außenstehenden als störend empfundenen Handlungsweisen jedoch Teil der Auseinandersetzung mit Anforderungen ihrer Umwelt und subjektiv sinnvoll. Aufgrund der vorherig geführten Diskussion wird in der vorliegenden Arbeit auf die Verwendung der Begrifflichkeiten „Verhaltensauffälligkeit“ und „Verhaltensstörung“ verzichtet. Um Tätigkeiten und Reaktionen sogenannter Systemsprenger*innen zu beschreiben, werden die Bezeichnungen „Handlung“ und „Handlungsweise“ verwendet, da sie Individuen nicht aufgrund der von ihnen gezeigten herausfordernden oder störenden Handlungsweisen stigmatisieren oder ausgrenzen und von Schuldzuschreibungen von Individuen absehen.
3 Das Phänomen „Systemsprenger*in“
Sogenannte Systemsprenger*innen sind meist von zahlreichen Entwicklungsrisiken betroffen. In diesem Kapitel wird zunächst der Versuch unternommen, sogenannte Systemsprenger*innen zu charakterisieren und bio-psycho-soziale Risikofaktoren ihres Umfelds zu beschreiben. Um ein Verständnis für ihre Belastungen und Hintergründe sowie die damit einhergehenden Handlungsweisen zu schaffen, werden seelische Belastungen bzw. Traumatisierungen definiert und ihr Kontext sowie ihre Wirkung thematisiert.
3.1 Wer sind sogenannte Systemsprenger*innen?
Macsenaere und Feist-Ortmanns beziehen sich in ihrem Versuch, sogenannte Systemsprenger*innen zu charakterisieren, auf die Darstellung der Befunde der EVAS2 , die 2004 von Macsenaere und Knab3 veröffentlicht wurde. Es wurden 8.287 junge Menschen aus ganz Deutschland ausgewählt, die in der Vergangenheit mindestens zwei stationäre Hilfen zur Erziehung oder mindestens eine soziale Gruppenarbeit plus Heimerziehung plus Sozialpädagogische Familienhilfe4 in Anspruch nahmen. Um Merkmale sogenannter Systemsprenger*innen beschreiben zu können, wurden ihre Merkmale mit Merkmalen von jungen Menschen mit geringeren Jugendhilfevorerfahrung verglichen (2021: 91f.). Auf Grundlage der Befunde der EVAS werden sogenannte Systemsprenger*innen wie folgt charakterisiert:
Sie sind zu Beginn der Hilfen durchschnittlich 13,2 Jahre alt5 und ihre Biografien sind durch häufige Schul- und Wohnungswechsel geprägt. Meist wachsen sie in problembelasteten Wohnvierteln (groß-)städtischer Ballungsgebiete auf (Macsenaere und Feist-Ortmanns 2021: 92; Baumann 2012: 87). Entwicklungsdefizite und internalisierende Störungen treten nicht häufiger als bei der Vergleichsgruppe auf, doch psychische Erkrankungen mindestens eines Elternteils, häusliche Konflikte und Kindesmissbrauche sind bei familienbezogenen Hilfeanlässen überrepräsentiert. Nur selten liegt das Sorgerecht bei beiden Elternteilen, dafür umso häufiger bei einem Vormund. Die Bildungsabschlüsse der Eltern lassen auf bildungsbenachteiligte Hintergründe schließen (Macsenaere und Feist-Ortmanns 2021: 92; Baumann 2012: 86f.). Sogenannte Systemsprenger*innen verfügen über deutlich weniger Schutzfaktoren und Ressourcen als die Vergleichsgruppe und weisen erheblich mehr Defizite auf, wie etwa polizeilich ermittelte Straftaten oder Verurteilungen. Der Anteil der jungen Menschen innerhalb der Zielgruppe sogenannter Systemsprenger*innen, die regelmäßig Drogen konsumieren, liegt entsprechend der Befunde der EVAS bei 54,1%. Diagnosen und Symptome zu gesundheitlichen Problemen liegen bei der Zielgruppe vergleichsweise häufiger vor. Besonders oft betrifft dies unter anderem aggressives Verhalten, Bindungsstörungen, ADHS6, Ängste und Panikattacken, Auffälligkeiten im Sexualverhalten und depressive Verstimmungen. Folglich sind mangelnde Schutzfaktoren und eine große Anzahl von Risikofaktoren kennzeichnend für die Ausgangslagen sogenannter Systemsprenger*innen (Macsenaere und Feist-Ortmanns 2021: 92f.).
Physiologische Risikokonstellationen können Heranwachsende besonders vulnerabel für Umweltstressoren machen. Hierzu zählen z. B. hormonelle Störungen, neurologische Erkrankungen oder Wahrnehmungsproblematiken, die bei dem Hinzukommen von sozialen Risikofaktoren das Risiko schwerster Verhaltensprobleme erhöhen (Baumann 2021: 60). Auch schwere oder chronische Erkrankungen, körperliche Schädigungen während der Schwangerschaft oder nach der Geburt, wie etwa die Auswirkungen von Drogen oder Alkohol, zählen zu pathogenen Faktoren, die in Heranwachsenden selbst auftreten können (Mutzeck 2000: 71). Hinter herausfordernden Handlungsweisen können psychische und physische Faktoren oder andere genetisch bedingte Ursachen stecken, doch häufig liegt der Ursprung im sozialen Umfeld (Sarimski 2019: 15).
Sogenannte Systemsprenger*innen sind Kinder und Jugendliche, die über viele Jahre zwischen ihrer Familie und der Kinder- und Jugendhilfe, jedoch auch der Psychiatrie, der Straße oder sogar dem Gefängnis pendeln (Witte und Sander 2006: 7). Ihre Lebenserfahrungen sind durch Gewalt, emotionale und ökonomische Unterversorgung oder (sexuellen) Missbrauch geprägt, sie fassen im regulären Bildungssystem kaum Fuß und sind durch differenzierte Hilfe- und Kontrollformen kaum oder gar nicht mehr erreichbar (Villányi und Witte 2006: 19). Einige Betroffene werden kriminell auffällig und sind deshalb für Einrichtungen nicht mehr tragbar, für den Strafvollzug jedoch noch nicht auffällig genug (Witte und Sander 2006: 7).
3.2 Seelische Belastung und Trauma
Die aufgezeigten Beispiele schildern, wie komplex die Gestalt sogenannter Systemsprenger*innen ist. Es gibt zahlreiche Faktoren und Kontexte für Problemlagen sogenannter Systemsprenger*innen, die sich überlappen und teilweise eng zusammenhängen. Vernachlässigung, Misshandlung, miterlebte Gewalt, traumatische Sexualisierung und traumatische Trennung sind Risikofaktoren, die bei Heranwachsende seelische Belastungen erzeugen und am häufigsten zu Traumatisierungen führen (Ondracek 2009: 112; Gebrande 2021b: 163).
3.2.1 Trauma
Das altgriechische Wort „Trauma“ bedeutet Wunde oder Verletzung. Ein psychisches Trauma ist eine seelische Verletzung, die als Reaktion auf eine belastende Situation oder ein Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung von kürzerer oder längerer Dauer tiefe Verzweiflung hervorruft (Gebrande 2021b: 162; Wübker 2020: 13). Menschen mit seelischer Belastung und/oder Traumatisierung sind einer dauerhaften oder sich häufig wiederholenden Belastung ausgesetzt, die im psychischen oder sozialen Kontext von irreparabler Schädigung, soziokultureller Verankerung, chronischer Erkrankung, gesellschaftlicher Exklusion, etc. entsteht. Es ist ein sehr komplexes Phänomen, das stark von sozialen Faktoren sowie individuellen Unterschieden abhängt und sich schwer systematisieren lässt. Die Zielgruppe der Menschen mit seelischer Belastung und/oder Traumatisierung zeichnet sich durch eine hohe individuelle Mannigfaltigkeit aus. Während manche Menschen durch die Nutzung von Ressourcen und unter Anwendung von Copingstrategien dazu in der Lage sind, psychische Belastungen zu überwinden, tragen andere eine andauernde tiefe seelische Wunde in sich. Seelische Belastungen bzw. Traumatisierungen entstehen durch stark belastende Erlebnisse, Prozesse und Situationen, die die üblichen subjektiven Strategien der Anpassung überfordern und ein überdauerndes Gefühl von Hilflosigkeit, Angst, Ohnmacht und des Ausgeliefertseins erzeugen (Ondracek 2009: 109).
Traumatisierten Menschen können sich Sinneseindrücke und Bilder in Form von Flashbacks und unkontrollierten Erinnerungen aufdrängen, die für sie so real wirken, als ob sie das traumatische Erlebnis erneut erleben, weshalb sie aus Angst vor diesen Zuständen oft mit Vermeidung und Verdrängung reagieren. Während traumatischen Erlebnissen werden Sinnesreize, z. B. Bilder oder Gerüche, gespeichert. Werden diese Erinnerungen (sogenannte Trigger) zu späteren Zeitpunkten stimuliert, kann es immer wieder zu Wiederholungen der Erinnerung an das traumatische Erlebnis kommen. Bewusst oder unbewusst meiden sie alle Gefühle, Aktivitäten oder Situationen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. Traumatische Ereignisse führen dazu, dass sich Betroffene nicht mehr sicher fühlen und in einem ständigen Bewusstsein der drohenden Wiederholung des Traumas und der unkontrollierbaren Erinnerungen sind. Diese Überwachsamkeit geht häufig mit Reizbarkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsproblemen einher (Gebrande 2021b: 163f.; Mangels 2015: 150).
Während sich Traumafolgestörungen ab dem Schulalter eher durch sozial auffällige Handlungsweisen äußern, zeigen sie sich in der frühen Kindheit überwiegend in unzureichenden Fähigkeiten zur Regulation und der unsicheren Bindungsqualität. Diese Schwierigkeiten sind vor allem im Umgang mit Stress und Gefühlen sichtbar, allerdings können sie auch die Teilhabe in der Familie, in Peer-Groups und in der Schule beeinträchtigen. Sie können sich sogar durch Konflikte mit dem Gesetz und durch körperliche, gesundheitliche Symptome äußern (Gebrande 2021b: 164).
3.2.2 Kontexte und Wirkungen seelischer Belastungen und Traumatisierungen
Es gibt sehr viele verschiedene Ereignisse, die Kindern und Jugendlichen widerfahren und sie traumatisieren können (Gebrande 2021b: 163). Bereits in der frühen Kindheit durchleben einige sogenannte Systemsprenger*innen bereits Trennung- und Verlustängste, da ihnen in eher desolaten familiären Verhältnissen schon in den ersten Lebensjahren Sicherheiten und lebensnotwendige Orientierungen fehlen. Die familiären Strukturen zeichnen sich in vielen Fällen durch multifaktorielle Problematiken aus, weshalb die Kinder unter enorm belastenden und einschneidenden psychischen, sozialen, jedoch auch sozioökonomischen Lebensbedingungen heranwachsen. Oftmals fehlen den Heranwachsenden Bezugspersonen und ihre Beziehungen zeichnen sich durch Lieblosigkeit, häufige Personenwechsel, zerstrittene Beziehungen oder den resignativen Rückzug der Eltern aus (Witte und Sander 2006: 8f.). Die Risikofaktoren Vernachlässigung, Misshandlung, miterlebte Gewalt, traumatische Sexualisierung und traumatische Trennung werden im Anhang näher beschrieben.
Welche Wirkung belastende Ereignisse, Situationen und Prozesse zeigen, hängt von sozial verankerten Schutzfaktoren und der individuellen seelischen Stabilität einer Person ab. Diese Wirkungen können in manchen Fällen entwicklungsfördernd sein, indem eine Person seelische Belastungen überwindet. Wenn sie jedoch ein Trauma oder eine gehemmte Entwicklung nach sich ziehen, ist eine psychiatrische, psychotherapeutische und/oder heilpädagogische Unterstützung notwendig. Im Leben der meisten Personen, die der konstruierten Zielgruppe sogenannter Systemsprenger*innen zugeordnet werden können, ist eine intensive seelische Verletzung und chronische seelische Belastung zu finden, die weder aufgearbeitet noch überwunden werden konnten (Ondracek 2009: 112).
Durch das Erleiden einer chronischen seelischen Belastung bzw. Traumatisierung wird das Empfinden, Handeln, Verhalten, Entwicklung und die Persönlichkeitsbildung im negativen Sinne beeinflusst. Dies hat Auswirkungen auf das Selbstbild sowie die Selbstwahrnehmung und -steuerungsfähigkeit. Das Selbstbild kann z.B. durch negative Überzeugungen von sich selbst, anderen und der Welt, Schuldgefühlen, Scham, Abhängigkeit und Zweifeln geprägt sein (Ondracek 2009: 118). Traumafolgen hängen von dem Alter, der Art des Traumas, der Dauer, der Wiederholung der Taten und anschließender sozialer Unterstützung ab. Traumatisierungen durch enge Bezugspersonen, wie bei innerfamiliärer (sexueller) Gewalt, werden neben Folter als am gravierendsten beschrieben (Mangels 2015: 149). Misshandlungen stellen die elementarste Art der Erniedrigung dar und beschädigen das Selbstvertrauen, das unter anderem durch gewaltsame Angriffe auf den Körper ruiniert werden kann. Laut Honneth tritt diese Missachtung in Form körperlicher oder sexueller Gewalt ein, wobei eine Person psychisch und physisch verletzt wird. Auf diese Weise kann ein Mensch sein Vertrauen in sich selbst und die Welt verlieren und erfährt soziale Scham. Das vorher aufgebaute Selbstvertrauen und die Integration seelischer und leiblicher Verhaltensqualitäten wird durch äußere Einflüsse nachträglich aufgebrochen, was eine nachhaltige Zerstörung der Selbstbeziehung und Selbstvertrauens sich zieht (Honneth 2016: 214f.). Die Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung, die für das „nackte Überleben“ und für die Entwicklung im sozialen Umfeld zuständig ist, wird ebenfalls beeinträchtigt und eingeschränkt. Dies äußert sich in Angst und Unsicherheit vor neuen Beziehungserfahrungen, einem Schwanken zwischen Annähern und Vermeiden, Kontrolltendenzen in Beziehungen und unterdrückten Beziehungsbedürfnissen (Ondracek 2009: 118f.).
Erlittene Belastungen und/oder Traumatisierungen wirken sich auf die Handlungsweisen einer Person aus. Bestimmte erforderliche Aktivitäten können in unangemessener Intensität, gar nicht oder nicht der Situation entsprechend durchgeführt werden (Ondracek 2009: 119). Auf traumatische Erlebnisse können körperliche Reaktionen, wie etwa Kampf- und Fluchtimpulse, die in Bedrohungsmomenten dem Überleben dienen, später zu unerwünschten Handlungsweisen führen (Mangels 2015: 148). Das Motiv hinter Handlungsweisen ist immer die subjektiv notwendige Verringerung der Belastung. Die beeinträchtigte Verhaltens- bzw. Handlungssteuerung nimmt unterschiedliche Formen an. Dies können unter anderem eine schwache oder nicht vorhandene Impulskontrolle und unzureichend entwickelte emotionale Kompetenz oder psychische Erstarrung anstelle der Nutzung angemessener Bewältigungsstrategien sein. Ebenfalls kann es zur Reinszenierung bestimmter Handlungsweisen in aktuellen Beziehungen kommen, die Betroffenen in anderen Situationen dienlich waren (Ondracek 2009: 119f.).
Interaktionen und Kommunikation mit der sozialen Umwelt werden von Personen, die eine seelische Belastung und/oder Traumatisierung erlitten haben, oft so gestaltet, dass ihr Umfeld zunächst nicht verstehen kann, weshalb Betroffene mit unangemessenen oder störenden Handlungsweisen reagieren und sich dadurch das interaktive Kommunikationswechselspiel belastend auswirkt. Die Beziehungsgestaltung und die Verständigung werden erschwert, wenn die Interaktion auf der interpersonalen Ebene Merkmale aufweist, die einen emotionalen Unterton des Ärgers und der Unzufriedenheit hervorrufen. Es geht vor allem um Konflikte, Missverständnisse, Frustration, Resignation, Ablehnung und Enttäuschung. Die Interaktion weist auf der Gruppenebene neben den bereits genannten Merkmalen noch weitere belastende Faktoren auf, die den Umgang der Gruppenmitglieder untereinander erschweren. Diese Faktoren können ebenfalls Angst und Befürchtungen hervorrufen oder einen Ausschluss aus dem Gruppengeschehen bewirken. Zentral sind Gruppenspaltungen, -strafe und -druck, Ausschluss, Einsamkeit sowie ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl (Ondracek 2009: 120). Damit werden Botschaften, die sogenannte Systemsprenger*innen ohnehin verinnerlicht haben, wiederholt. Sie haben das Gefühl, dass niemand sie aushält oder dass andere aus Beziehungen mit ihnen flüchten (Gebrande 2021b: 159).
Auf gesellschaftlicher Ebene wird Interaktion überwiegend durch das Gelingen bzw. Misslingen der Hilfemaßnahme gekennzeichnet. Dies hat meist die verminderte Teilhabe der Person mit seelischer Belastung und/oder Traumatisierung zur Folge. Es geht insbesondere um Hilfemaßnahmen und Therapien, Abbrüche, institutionelle und/oder strukturelle Macht, Fremdbestimmung, negative Aufmerksamkeit, Strafe, Etikette und Stigmatisierung (Ondracek 2009: 120).
Nach traumatischen Ereignissen sind soziale Unterstützung, Verständnis für die besondere Lage und das Mitgefühl der Umgebung die wichtigsten Schutzfaktoren. Gleichzeitig stellen das familiäre, soziale, aber auch das gesellschaftliche Klima die größten Risikofaktoren bei der Bewältigung einer Traumatisierung dar (Gebrande 2021b: 165).
Sogenannte Systemsprenger*innen sind in ihren Biografien meist von schweren seelischen Belastungen und/oder Traumatisierungen betroffen, die herausfordernde Handlungsweisen nach sich ziehen. Die Handlungsweisen stellen „ein Signal für psychisches Ungleichgewicht, für nicht zu bewältigende Konfliktgeschehen dar“ (Vernooij und Schneider 2018: 138). Hinter herausfordernden Handlungsweisen können seelische Belastungen und/oder Traumatisierungen stecken, die diese unter bestimmten Umständen und in individuellen Kombinationen verursachen oder verschlimmern (Sarimski 2019: 39). Wirkungen seelischer Belastung und/oder Traumatisierung sind individuell und unterschiedlich intensiv. Nicht jede Person mit herausfordernden Handlungsweisen hat eine diagnostizierte „Störung“. Dennoch ist das Wissen nützlich, um als Heilpädagog*in im Alltag der Kinder- und Jugendhilfe kompetent auf Menschen mit diagnostiziertem Trauma einzugehen (Ondracek 2009: 125f.).
4 Sogenannte Systemsprenger*innen im System der Kinder- und Jugendhilfe
Sogenannte Systemsprenger*innen durchliefen bereits mehrere Einrichtungen der Erziehungshilfe und mussten sie verlassen, da sie „systemsprengend“ oder „nicht mehr tragbar“ seien (Kieslinger, Dessler und Haar 2021: 18). Wenn sogenannten Systemsprenger*innen mangelnde Mitwirkungsbereitschaft an Hilfemaßnahmen unterstellt wird und Defizite folglich als zu groß bewertet werden, werden Betroffene an „intensivere Angebote“ weitervermittelt (Götsch und Bliemetsrieder 2021: 22f.). Ihre Problemlagen verdichten sich häufig durch Abbrüche, Settingwechsel und Wechseln zwischen verschiedenen Versorgungssystemen. Sie waren also schon mehrmals mit dem Verlust der ihnen bekannten Lebensentwürfe sowie Strukturen und somit mit existenziellen Belastungsproben konfrontiert. Zusätzlich zu diesen Verlusten werden die Ideen und Lebensentwürfe dieser jungen Menschen nicht anerkannt oder sogar gesellschaftlich abgelehnt (Kieslinger, Dessler und Haar 2021: 16).
Laut Witte und Sander verdeutlichen die Heranwachsenden immer wieder die Grenzen des Hilfesystems. Sie scheinen kaum oder schwer pädagogisch erreichbar oder gar erziehungsresistent zu sein. Durch sie werden Grenzen von Strukturen, Handlungskonzepten, Grenzen der Geduld von Professionellen sowie deren Zuständigkeiten und die Grenzen öffentlicher Akzeptanz für auffallende, herausfordernde und abweichende Handlungsweisen sichtbar. Ihre scheinbar zur Normalität gewordenen „maßnahmen-resistenten“ Handlungsweisen führen oftmals zur Hilflosigkeit und Ohnmacht von pädagogisch Tätigen. Bei den „besonders Schwierigen“ versagen vielfach unterschiedliche Formen professioneller Hilfe, wodurch institutionelle Rahmen „gesprengt“ werden (2006: 7).
In diesem Kapitel wird zunächst das System der Kinder- und Jugendhilfe beschrieben. Hierbei werden die Hilfen zur Erziehung, Heimerziehung, intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung sowie freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen näher beleuchtet, da sie für die Betreuung sogenannter Systemsprenger*innen von essenzieller Bedeutung sind. Im Folgenden werden Interaktionsprozesse zwischen sogenannten Systemsprenger*innen, pädagogischen Fachkräften und dem Jugendhilfesystem geschildert, um zu klären, wie und weshalb es zur „Sprengung“ des Systems kommt. Für ein vertieftes Verständnis werden individuelle Subjektlogiken sogenannter Systemsprenger*innen und Abbrüche von Hilfemaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe thematisiert.
4.1 Die Kinder- und Jugendhilfe
Um problematische Strukturen innerhalb des Kinder- und Jugendhilfesystems zu beleuchten, wird zunächst ein Überblick über Gesetzesgrundlagen gegeben. Das SGB VIII beinhaltet die essenziellen Rechtsgrundlagen der Kinder- und Jugendhilfe. Akteur*innen in den Erziehungshilfen sind meist Pädagog*innen, Kinder und Jugendliche, ihre Familie und das zuständige Jugendamt.
Bereits in §1 SGB VIII wird beschrieben, dass jeder junge Mensch „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung“ hat, um sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person zu entwickeln. Gemäß Art. 6 Abs 2 GG i. V. m. §1 Abs. 2 SGB VIII sind die Pflege und Erziehung von Kindern nicht nur das natürliche Recht der Eltern, sondern auch die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Es wird staatlich überwacht, ob Eltern ihre Pflicht umsetzen. Die elterliche Sorge ist in §1626 BGB geregelt und umfasst die Personen- und Vermögenssorge des Kindes. Für die Jugendhilfe ist §1 Abs. 3 S. 1 SGB VIII von besonderer Bedeutung, denn hier wird beschrieben, dass sie junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern sowie Benachteiligung entgegenwirken und abbauen soll. Weitere Aufgaben der Jugendhilfe werden in §1 Abs. 3 S. 2-4 SGB VIII zusammengefasst. Hierzu zählen die Beratung und Unterstützung der Eltern, der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl sowie das Erhalten bzw. Erschaffen positiver Lebensbedingungen für die jungen Menschen und ihre Familien.
4.1.1 Die Hilfen zur Erziehung
Wenn eine dem Wohl eines Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet werden kann und Hilfe nötig und geeignet ist, hat ein*e Personensorgeberechtigte*r gemäß §27 Abs. 1 SGB VIII Anspruch auf Hilfen zur Erziehung. §27 Abs. 2 S. 2 SGB VIII besagt, dass sich Art und Umfang einer Hilfe nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall richten und dass das engere soziale Umfeld des Kindes oder des/der Jugendlichen in den Hilfeprozess einbezogen werden soll. Eltern unterschreiben in der Regel einen Antrag auf Hilfen zur Erziehung und haben entsprechend §5 SGB VIII das Recht, zwischen Einrichtungen und Trägern zu wählen und Wünsche bezüglich der Gestaltung der Hilfe zu äußern.
Die Mitwirkung der Eltern ist zentral für den Erfolg von Hilfemaßnahmen. Im Zusammenhang mit der stetigen Weiterentwicklung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe, dem Jugendamt, ist es unerlässlich nicht nur über, sondern mit Familien, Kindern und Jugendlichen, bei denen das System versagt hat, zu sprechen (Kieslinger, Dressel und Haar 2021: 15). Nicht selten ist betreffenden Familien das Ausmaß ihrer Probleme und deren Konsequenzen nicht bewusst, wodurch der junge Mensch mit seinen existenziellen Nöten auf sich gestellt ist. Die Eltern sind oftmals zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den grundlegenden Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden (Bigos 2014: 39).
Um die Art und den Umfang einer geeigneten und notwendigen Hilfe festzuhalten, wird gemäß §36 Abs. 1 und 2 SGB VIII ein Hilfeplan erstellt. Dieser beinhaltet die Feststellungen über den Hilfebedarf und notwendige Leistungen. An der Erstellung des Hilfeplans sollen Fachkräfte, Personensorgeberechtigte und der junge Mensch selbst beteiligt sein. Die Eignung und Notwendigkeit der im Hilfeplan aufgeführten Leistungen soll in regelmäßigen Zeitabständen überprüft werden.
In akuten Notsituationen, also wenn eine dringende Gefahr für das Wohl eines jungen Menschen besteht, ist nach §42 SGB VIII eine Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen vorgesehen. Eine Fremdunterbringung durch das Eingreifen von Behörden kann jedoch auch den Sinn erfüllen, junge Menschen, die als gefährlich empfunden werden, zunächst durch die Maßnahme zu isolieren und somit eine Gefährdung des Heranwachsenden und Dritter zu reduzieren (Bigos 2014: 36).
4.1.2 Heimerziehung
„Benni, wir haben dir wirklich sehr viele Chancen gegeben.“
„Das ist mir scheißegal.“
„Super, toll! In wie viele Wohngruppen willst’n du noch gehen?!“7
Die gesetzlichen Grundlagen für unterschiedliche Formen der Hilfen zur Erziehung sind insbesondere in §§28 bis 35 SGB VIII aufgeführt. §27 Abs. 2 SGB VIII bezieht sich auch auf §34 SGB VIII (Heimerziehung), der für den erzieherischen Bedarf sogenannter Systemsprenger*innen meist besonders relevant ist. Im Jahr 2019 befanden sich über 136.000 Kinder und Jugendliche in Heimerziehung (Destatis 2022). Physische und/oder psychische Misshandlung, Vernachlässigung und Erziehungsunfähigkeit der Eltern sind die häufigsten Gründe für Heimunterbringungen (Bigos 2014: 36).
Die „klassische“ Heimerziehung, wie sie in §34 SGB VIII aufgeführt wird, ist längerfristig nur begrenzt als Maßnahme geeignet und sollte und darf nicht die Methode der Wahl darstellen. Vorher sollte immer geprüft werden, ob nicht ambulante oder teilstationäre Hilfen der Erziehung, wie beispielsweise SPFH (§31 SGB VIII) oder die Erziehung in einer Tagesgruppe (§32 SGB VIII), geeigneter wären. Nur wenn andere Hilfeangebote nicht greifen oder wenn diese Optionen bereits keinen Erfolg zeigten, sollte die stationäre Erziehung angeboten werden (Bigos 2014: 26).
Die Hilfe soll sich an dem Alter, Entwicklungsstand sowie der persönlichen Bindungen eines jungen Menschen und an den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie bemessen (Bigos 2014: 25f.). §34 S. 1 SGB VIII besagt, dass die Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in sonstigen betreuten Wohnformen „Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern“ soll. Heimerziehung gehört zu den stationären Formen der Erziehungshilfen und wird somit außerhalb der Herkunftsfamilien durchgeführt. Sie umfasst eine Vielzahl verschiedener Lebensorte und Sozialräume. Hierzu zählen zum Beispiel heilpädagogische und therapeutische Heime, Kinderdörfer, Kinder- und Jugendnotdienste sowie Aufnahme- und Klärungsstellen (ebd. 2014: 24).
Das Ziel der Heimerziehung ist gemäß §34 S. 2 Nr. 1-3 SGB VIII die Rückkehr in die Herkunftsfamilie, die Vorbereitung für die Erziehung in einer anderen Familie oder eine auf längere Zeit angelegte Lebensform, die auf ein selbstständiges Leben vorbereitet, sofern sich dies entsprechend §37 Abs. 1 S. 2 SGB VIII „innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums“ realisieren lässt. Ob eine Rückführung in die Herkunftsfamilie gelingt, hängt unter anderem von der Qualität der Hilfemaßnahme, also der Qualifikation der Fachkräfte aus verschiedenen Professionen und deren interdisziplinären Zusammenwirken, ab. Zudem spielen bei der Reintegration in die Familie das Ausmaß der herausfordernden Handlungsweisen des jungen Menschen und die Dysfunktionalität der Familie und deren sozialen Umfelds eine wichtige Rolle. Ist eine Reintegration in die Herkunftsfamilie auf absehbare Zeit ausgeschlossen, müssen alternative Zukunftsperspektiven gefunden werden (Bigos 2014: 25).
4.1.3 Intensiv Sozialpädagogische Einzelbetreuung
Hilfemaßnahmen der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung8 werden häufig für sogenannte Systemsprenger*innen in Betracht gezogen. Diese Art der Hilfe wird in §35 SGB VIII folgendermaßen zusammengefasst:
„Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung soll Jugendlichen gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen. ²Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt und soll den individuellen Bedürfnissen des Jugendlichen Rechnung tragen.“
Individualpädagogische Hilfe sind „ flexible, am Einzelfall partizipativ ausgerichtete, intensive, ambulante bzw. stationäre Betreuungsmaßnahmen innerhalb der Jugendhilfe (meist 1:1) in einem familienanalogen Alltagssetting“ (Güntert 2011: 1). ISE-Maßnahmen zeichnen sich durch eine größere Formenvielfalt der Angebote und größeren Offenheit der Inhalte, z.B. den Einbezug erlebnispädagogischer Angebote, aus (Jordan und Sengling 2000: 202). Es handelt sich um flexible, differenzierte Angebote für Heranwachsende, die durch klassische Betreuungsmaßnahmen nicht mehr erreicht werden. Ihnen sollen Handlungsalternativen und -strategien eröffnet werden. Das Betreuungssetting ist mit Einbezug der Betroffenen auf den Einzelfall zugeschnitten. Persönliche Erfahrungen, Situationen und Ressourcen bilden die Grundlage für die Konstruktion individueller Hilfekonzepte. Zentral ist nicht die Anpassung eines jungen Menschen an ein bestehendes Betreuungsangebot, sondern der Mensch selbst als Ausgangspunkt für die Gestaltung eines passgenauen Settings (Mangels 2015: 143f.).
[...]
1 Zitat aus dem Film „Systemsprenger“ (Fingscheidt 2019, 00:14:12).
2 EVAS (Evaluationsstudie Erzieherischer Hilfen).
3 MACSENAERE, Michael und Eckhart Knab, 2004 . Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS). Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
4 Im Folgenden abgekürzt als SPFH.
5 Stand 2004.
6 ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung).
7 Zitat aus dem Film „Systemsprenger“ (Fingscheidt 2019, 00:04:36).
8 Im Folgenden abgekürzt als ISE.
- Quote paper
- Marie Dieterich (Author), 2022, "Systemsprenger*innen" in der Kinder- und Jugendhilfe. Welche Rolle nimmt die Heilpädagogik ein?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1329275
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