In der vorliegenden Arbeit soll dargelegt werden, auf welche ökonomische Vorstellungswelt der EG-Vertrag und insbesondere das Beihilferecht aufgebaut sind. Dass das Beihilferegime aber kein Selbstzweck, sondern von anderen EU-Politiken abhängig ist, möchte ein zweiter Teil anhand der Ausnahmen vom Beihilfeverbot demonstrieren. In einem dritten Teil wird auf die aktuellen Entwicklungen in der Beihilfenpolitik eingegangen, vor allem aber auf den Neustarts der Lissabon-Strategie und die damit verbundene Neuausrichtung der Beihilfenpolitik.
Inhalt
1 Einleitung
2 Ökonomische Konzeptionen im EGV
3 Abhängigkeiten von anderen Zielsetzungen
3.1 Die Legalausnahmen des Art. 87 (2) EGV
3.2 Die fakultativen Ausnahmen des Art. 87 (3) EGV
3.3 Freistellungsverordnungen
4 Aktuelle Entwicklungen
4.1 Arbeitsstrategie der Kommission: Umgang mit dem Transparenzproblem
4.2 Entwicklungen in der Daseinsvorsorge
4.3 Neustart der Lissabon-Strategie
4.3.1 Auswirkungen auf die Beihilfenpolitik
5 Ausblick
6 Quellen
1 Einleitung
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Beihilfenpolitik der EU selten mehr als das Stiefkind der Wettbewerbspolitik. Das hat seinen Grund vermutlich darin, dass es für sie keine nationale Entsprechung gibt – die Beihilfenkontrolle ist eine originär europäische Erfindung, während die anderen Aktionsbereiche der Wettbewerbspolitik, also die Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle, auf nationale Erfahrungen und Vorverständnis treffen.
Artikel 87 (1) EGV beinhaltet ein striktes Verbot von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen jeglicher Art an bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige – das Beihilfeverbot. Es ist offensichtlich, dass dies aber genau das ist, was Staaten gerne tun, weil sie es als wichtigen Teil ihrer Wirtschaftspolitik betrachten. Deshalb hat auch kein Staat sich von selbst eine derartige Regelung auferlegt, einzelne Staaten sehen Beihilfekontrolle schlicht nicht als in ihrem Interesse. Als logische Konsequenz ist dieser Politikbereich rein supranational angelegt: Die Kommission wacht über die Einhaltung des Beihilfeverbots.
Gerade weil das Beihilferegime von seiner Anlage her hinter den verschlossenen Türen der Kommission gemacht werden kann, sieht sich diese häufig herber Kritik ausgesetzt: Fehlende Transparenz, zu viel Entscheidungskompetenz, Bürokratismus und lange Bearbeitungszeit sind die häufigsten Vorwürfe. Ein reines Verbot würde aber kaum so viel Arbeit machen. Das Problem entsteht an der Stelle des Ausnahmevorbehalts: Die Kommission beschäftigt sich weniger mit dem Verbot als der Genehmigung von Beihilfen, die die EU ihrerseits zur Erreichung eigener Zielsetzungen instrumentalisiert.
Die vorliegende Arbeit soll nun klären, warum sich die Europäische Union überhaupt ein Beihilfeverbot gegeben hat (ökonomische Grundlagen), welche Arten von Ausnahmen und damit welche Zielsetzungen es gibt, was die Kommission gegen die Vorwürfe der Intransparenz tut und wie sich dies alles in den aktuellen Entwicklungen im Zusammenspiel zeigt.
2 Ökonomische Konzeptionen im EGV
Wirtschaftspolitik ist der Ursprung der EU und hat deshalb eine sehr feste Basis im EG-Vertrag. Anders als zum Beispiel die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist der EGV wirtschaftspolitisch nicht neutral. So verschreibt sich die EU dem „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“.[1] Sie sieht in diesem Wirtschaftsprinzip die beste Möglichkeit, ihre in Art. 2 EGV genannten Ziele zu verwirklichen. Wenn man diese Ziele in wirtschaftspolitische Schlagworte fassen möchte, so bieten sich harmonische Wirtschaftsentwicklung auf stabilem Wachstumspfad, die effiziente Allokation im Raum (Ressourceneffizienz)[2] und – seit der EEA – die interregionale Distribution bzw. Kohäsion[3] an.[4]
Die Durchführungsmittel sind der Gemeinsame Markt und die Wirtschafts- und Währungsunion. Für das Beihilfenverbot ist vor allem die Idee des Binnenmarktes von Bedeutung. Die vier Grundfreiheiten sollen einen Raum ohne Binnengrenzen für den Handel schaffen, staatliche Diskriminierungsmaßnahmen, die künstliche Barrieren kreieren könnten, werden unterbunden. Das Beihilfenverbot schlägt in die gleiche Kerbe: Beihilfen verschaffen bestimmten Unternehmen im Land des Beihilfegebers Vorteile, die sie sonst nie erlangt hätten. Der Wettbewerb wird also verfälscht, die Handelsströme können nicht so fließen, wie sie effizienter Weise sollen. Das möchte die Europäische Union verhindern.[5] Das Beihilfenverbot ist also neben den Grundfreiheiten der wichtigste Garant für einen funktionierenden Binnenmarkt.
Nach dem neoklassischen Konzept besteht „die Wettbewerbspolitik in der Unterlassung staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen (und in den) Maßnahmen zur Beseitigung (unternehmerischer) Wettbewerbsbeschränkungen“[6], was sich offensichtlich im EGV wiederfindet. Zur Unterlassung staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen gehören hierbei die Grundfreiheiten und das Beihilfeverbot, während in Art. 81 ff. EGV Maßnahmen gegen unternehmerische Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehen sind. Deshalb und wegen der primär allokativen Ausrichtung der Grundfreiheiten bezeichnet Ciresa die Konzeption des EGV als klassisch-neoklassisch.[7]
Das Beihilferecht im Besonderen entspricht einer funktionalen Konzeption. In den Art. 2 und 3 EGV wird die Wettbewerbspolitik als Mittel zur Erreichung der Globalziele definiert (s.o.). Der Wettbewerb ist hier also nicht Selbstzweck, sondern offen zur Besetzung und Instrumentalisierung für diverse, u. U. auch wirtschaftsfremde Ziele. An Marktinterventionismus ist aber nicht gedacht, dafür ist das Beihilfeverbot doch zu strikt und die Ausnahmen nicht ausschweifend genug.[8] Außerdem setzt sich die Kommission für eine eklatante Reduzierung der Beihilfen ein. Nur die wenigen Beihilfen, die dann noch vergeben werden, sollen vernünftigen Zielsetzungen dienen, die dann auch über den Ausgleich von Marktunvollkommenheiten hinausgehen können. Dem Reiz distributiver Zielsetzungen kann auch die EU sich nicht vollständig entziehen.[9]
3 Abhängigkeiten von anderen Zielsetzungen
Im Folgenden soll dargestellt werden, an welche Arten von Zielen die Beihilfenpolitik gekoppelt ist. Dazu werden zunächst die Legalausnahmen des Art. 87 (2) EGV und die fakultativen Ausnahmen des Art 87 (3) EGV analysiert, daran schließt sich eine Auseinandersetzung mit den derzeit gültigen Leitlinien und Freistellungsverordnungen an, die allesamt auf Art. 87 (3) EGV aufbauen.
3.1 Die Legalausnahmen des Art. 87 (2) EGV
Legalausnahme bedeutet, dass die Kommission die Genehmigung für diese Art von Beihilfen in jedem Fall erteilen muss. Sie hat hierbei kein Ermessen.
Der erste Fall sind „Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher“[10]. Darunter versteht man zum Beispiel Heizmittelzuwendungen, Kleidungszuwendungen oder Lebensmittelzuwendungen, die sozial bedürftigen Endverbrauchern zugute kommen müssen. Natürlich kann hier nur mittelbar überhaupt der Tatbestand der Unternehmensbegünstigung vorliegen, ist aber dann erlaubt. Beispiel: Der Staat kauft seine Notrationen immer bei der gleichen Firma ohne öffentliches Vergabevefahren.
Zweite Möglichkeit sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden (z.B. Naturkatastrophen, Umweltkatastrophen).[11]
Diese beiden Ausnahmen sind vom Vorwurf der Instrumentalisierung auf jeden Fall freizusprechen. Sie verfolgen lediglich das Ziel, im akuten Krisenfall den Fortbestand und die Handlungsmöglichkeiten des Staates zu sichern. Sie sind also die natürlichen Ausnahmen vom Beihilfeverbot, die dem guten Menschenverstand zuzuordnen sind.
Die dritte Legalausnahme stellen „Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der BRD“[12] dar. Hierbei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass damit nicht die neuen Bundesländer allgemein gemeint sein können. Die Regelung stammt noch aus der Zeit vor 1990 und zielte vor allem auf Zonenrandgebiete ab. Heute wird sie kaum noch verwendet.[13] Dennoch zeigt diese sog. Deutschland-Klausel schon nicht unerhebliche Anzeichen distributiver Zielsetzungen, die mit Staats- oder Wettbewerbserhalt nichts zu tun haben. Für den Binnenmarkt vor 1990 können die teilungsbedingten Nachteile in Deutschland nicht derart relevant gewesen sein, dass eine Legalausnahme zur Herstellung innereuropäischen Wettbewerbs gerechtfertigt gewesen wäre. Interessanter ist in diesem Zusammenhang die Argumentation Deutschlands nach 1990, dass Beihilfen nötig seien, weil in der Ex-DDR zunächst ein marktwirtschaftliches System installiert werden müsse, um den Wettbewerb überhaupt erst herzustellen.[14] Die Kommission ist auf diese Argumentation nicht eingegangen und verfolgt eine sehr restriktive Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes[15], ist es doch gerade die allokations-effiziente Wirkung des Wettbewerbs, die ihn sich selbst schaffen lässt. Eine planerische Umgestaltung einer Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft scheint auch schon im Ansatz fragwürdig. Außerdem hätten die neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU bei einer anderen Kommissionspraxis jetzt nahezu freie Hand in ihrer Beihilfenpraxis, was das Funktionieren des Binnenmarktes immens beeinträchtigen würde.
[...]
[1] vgl. Art. 98 EGV.
[2] vgl. Art. 98 EGV Satz 2.
[3] vgl. Titel XVII. EGV Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt.
[4] Ciresa, Beihilfenkontrolle und Wettbewerbspolitik in der EG, S.13.
[5] vgl. Art. 3g EGV.
[6] Willeke, Grundsätze wettbewerbspolitischer Konzeptionen, S.53.
[7] Ciresa, Beihilfenkontrolle und Wettbewerbspolitik in der EG, S.14.
[8] Ciresa, Beihilfenkontrolle und Wettbewerbspolitik in der EG, S.124f.
[9] Harden: State Aid: Community Law and Policy, S.14.
[10] vgl. Art. 87 (2) a EGV.
[11] Koenig: EG-Beihilfenrecht, S.93ff.
[12] vgl. Art 87 (2) c EGV.
[13] Koenig: EG-Beihilfenrecht, S. 96ff.
[14] Schütterle in EuZW 1991, S. 662.
[15] Bonkamp: Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft, S. 114ff.
- Quote paper
- Tatjana Böttger (Author), 2005, Beihilfenpolitik der EU, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132610
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