Das Ziel dieser Arbeit ist es, der Frage nachzugehen, inwiefern Fermi-Aufgaben ein geeignetes Aufgabenformat im Mathematikunterricht der Grundschule darstellen. Der Schwerpunkt dieser empirischen Untersuchung liegt auf den verbalen sowie verschriftlichten Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler.
Die Grundschule legt durch das Aufnehmen von frühen mathematischen Alltagserfahrungen der Kinder und das Entwickeln allgemeiner Kompetenzen eine Basis für das Mathematiklernen. Dabei wird der weitere Bildungsverlauf an die Erkenntnisse der Schülerinnen und Schüler aus der Primarstufe angeschlossen. Die Entwicklung der Kompetenzen und Erfahrungen sorgt für eine lebenslange Auseinandersetzung mit der Mathematik im Alltag. Dabei sind Realitätsbezüge in der Mathematik historisch betrachtet keine Neuheit. Konkrete und alltagsrelevante Fragestellungen der außermathematischen Umwelt führten letztendlich zu einer innermathematischen, abstrahierten Form der Mathematik, wie wir sie heute kennen.
Ein zentrales Thema des Mathematikunterrichts ist im Bereich des Sachrechnens das mathematische Modellieren, welches innerhalb der nationalen deutschen Bildungsstandards für Grundschulen als eine von fünf Kompetenzen beschrieben wird. Das Modellieren beinhaltet das Strukturieren, Mathematisieren und Interpretieren. Die Schülerinnen und Schüler sollen digitale Werkzeuge und ihre mathematischen Kompetenzen nutzen, um an einer konkreten lebenswirklichen Aufgabenstellung zu arbeiten. Dabei sollen Sachsituationen erfasst und in ein mathematisches Modell übertragen werden. Schlussendlich wird ihre Lösung wieder auf die Sachsituation bezogen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Mathematisches Modellieren
2.1 Exkurs: Situationsmodell
2.2 Modellierungskreislauf nach Blum und Leiß
3 Fermi-Aufgaben
3.1 Herkunft
3.2 Merkmale und Besonderheiten
3.3 Kompetenzerwerb durch den Einsatz von Fermi-Aufgaben
3.3.1 Prozessbezogene Kompetenzen
3.3.2 Inhaltsbezogene Kompetenzen
3.3 Grenzen
4 Problemlösen lernen
4.1 Polyas Verlaufsmodell
4.2 Einflussfaktoren und gestufte Hilfen
4.3 Problemlösestrategien
4.3.1 Heurismen
4.3.2 Vorgehensweisen in der Grundschule
5 Empirische Untersuchung
5.1 Teilnehmer/innen
5.2 Auswahl und Aufbau der Fermi-Aufgabe
5.3 Methodische Umsetzung
5.4 Auswertungsmethoden
5.5 Zusammensetzung der Stichproben
5.6 Analyse
5.6.1 Darstellung
5.6.2 Diskussion
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
Anhang 4
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht ausgewählter Heurismen
Tabelle 2: Musterlösung als Modellierungsprozess
Tabelle 3: Modellierungsprozess Gruppe 1
Tabelle 4: Modellierungsprozess Gruppe 2
Tabelle 5: Modellierungsprozess Gruppe 3
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Modellierungsprozess nach Blum & Leiß (2005)
Abbildung 2: Gestufte Hilfen zum Modellieren
Abbildung 3: Arbeitsblatt
Abbildung 4: Sonnencreme
Abbildung 5: Lösung Gruppe 1
Abbildung 6: Lösung Gruppe 2
Abbildung 7: Lösung Gruppe 3
Abbildung 8: Arbeitsblatt Fermi-Aufgabe
Abbildung 9: Arbeitsblatt Gruppe 1
Abbildung 10: Arbeitsblatt Gruppe 2
Abbildung 11: Arbeitsblatt Gruppe 3
Abbildung 12: Arbeitsblatt Gruppe 4
Abbildung 13: Arbeitsblatt Gruppe 5
Abbildung 14: Arbeitsblatt Gruppe 6
Abbildung 15: Hilfszettel
1 Einleitung
Die Grundschule legt durch das Aufnehmen von frühen mathematischen Alltagserfahrungen der Kinder und das Entwickeln allgemeiner Kompetenzen eine Basis für das Mathematiklernen. Dabei wird der weitere Bildungsverlauf an die Erkenntnisse der Schülerinnen und Schüler aus der Primarstufe angeschlossen. Die Entwicklung der Kompetenzen und Erfahrungen sorgt für eine lebenslange Auseinandersetzung mit der Mathematik im Alltag (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 51). Dabei sind Realitätsbezüge in der Mathematik historisch betrachtet keine Neuheit. Konkrete und alltagsrelevante Fragestellungen der außermathematischen Umwelt führten letztendlich zu einer innermathematischen, abstrahierten Form der Mathematik, wie wir sie heute kennen (vgl. Bruder et. al., 2015, S. 19).
Ein zentrales Thema des Mathematikunterrichts ist im Bereich des Sachrechnens das mathematische Modellieren, welches innerhalb der nationalen deutschen Bildungsstandards für Grundschulen als eine von fünf Kompetenzen beschrieben wird (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S.II, 1). Das Modellieren beinhaltet das Strukturieren, Mathematisieren und Interpretieren. Die Schülerinnen und Schüler sollen digitale Werkzeuge und ihre mathematischen Kompetenzen nutzen, um an einer konkreten lebenswirklichen Aufgabenstellung zu arbeiten. Dabei sollen Sachsituationen erfasst und in ein mathematisches Modell übertragen werden. Schlussendlich wird ihre Lösung wieder auf die Sachsituation bezogen (vgl. RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung, 2021, S. 78).
Aufgrund einer erhöhten Forderung der Anschlussfähigkeit von Bildungsprozessen bietet gerade das Modellieren eine Möglichkeit realitätsbezogene Aufgaben zu stellen und somit eine Verknüpfung von Problemen aus der Umwelt mithilfe von mathematischen Kenntnissen zu lösen (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 51). Jedoch wird häufig festgestellt, dass innerhalb des Sachrechnens ein hoher Stellenwert auf den aktuellen mathematischen Inhalt gerichtet wird. In Folge dessen steht die „Sache“ selbst nicht im Vordergrund und die realitätsfernen Routineaufgaben führen bei Grundschulkindern zu einem Motivationsverlust (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 31f. und vgl. Peter-Koop, 2004, S. 454). Fermi-Aufgaben schließen an dieses Problem an und bieten unteranderem durch ihren Realitätsbezug die Möglichkeit dieses Problem zu verhindern. Zusätzlich kann durch das Einsetzen des Aufgabenformats die Entwicklung und Förderung von fachlichen als auch sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler entwickelt und gefördert werden. In Grundschulen werden Fermi-Aufgaben als Einstieg für das mathematische Modellieren verwendet. Jedoch wurde in einigen Studien festgestellt, dass Lehrkräfte Problematiken bei der Gestaltung und dem Einsetzen von Modellierungsaufgaben im Unterricht aufweisen. Außerdem haben besonders jüngere Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten dabei sich mit zweidimensionalen mathematischen Inhalten zu befassen. Dennoch hat sich gezeigt, dass diese Schwierigkeit überwunden werden kann, sobald das Problem selbst vereinfacht wird (vgl. Ferrando & Albarracm, 2019, S. 61f.) Das Ziel dieser Arbeit ist es, der Frage nachzugehen, inwiefern Fermi-Aufgaben ein geeignetes Aufgabenformat im Mathematikunterricht der Grundschule darstellen. Um die theoretische Basis dieser Arbeit zu schaffen, werden folgende drei Hauptthemen unterteilt: das (2) mathematische Modellieren, (3) Fermi-Aufgaben und das (4) Problemlösen lernen. Die daraus entnommenen Befunde und Theorien stellen die Grundlage der (5) empirischen Untersuchung dar. Der Schwerpunkt dieser empirischen Untersuchung liegt auf den verbalen sowie verschriftlichten Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler. Diese wurden durch aufgezeichneten audiovisuellen Aufnahmen ergänzt und anschließend transkribiert. Die Ergebnisse der (5.6) Analyse werden in einer Darstellung beschrieben und anschließend in Bezug auf den theoretischen Hintergrund diskutiert. In dem abschließenden Fazit werden die Befunde der empirischen Untersuchung auf die Forschungsfrage bezogen und untersucht.
2 Mathematisches Modellieren
Um genauer auf den Modellierungsprozess eingehen zu können, wird in diesem Abschnitt geklärt, was unter dem mathematischen Modellieren verstanden wird. Dazu wird ein kurzer Exkurs in Reussers (1989) Situationsmodell durchgeführt, um die Bedeutsamkeit einzelner Schritte des Modellierens aufzuführen und dieses Wissen anschließend mit dem Modellierungskreislauf von Blum und Leiß (2005) zu verknüpfen.
Ein zentrales Ziel des Modellierens ist die Förderung der Bereitschaft, Probleme aus der realen Welt mit mathematischen Mitteln zu lösen. Das mathematische Modellieren kann dabei genutzt werden, um das Verständnis für die Aufgabe zu verbessern (vgl. Maaß, 2009, S. 38). Dabei trägt „das Übersetzen zwischen Realsituationen und mathematischen Begriffen, Resultaten oder Methoden“ eine große Bedeutung (KMK, 2022, S.11).
2.1 Exkurs: Situationsmodell
Damit eine reale Situation in ein mathematisches Modell überführt werden kann, wird laut Reusser, innerhalb des persönlichen kognitiven Verstehensprozess ein Zwischenstopp benötigt (vgl. Reusser, 1989, S. 136f.). Diese Zwischenstation wird als Situationsmodell beschrieben, welches durch ein entsprechendes Situationsverständnis aufgebaut werden kann. Dabei werden Zusammenhänge und zugrunde liegende Beziehungen erfasst, um anschließend mehr Informationen zu erhalten als in der Ausgangssituation (vgl. Reusser, 1989, S.135f.). Davon ausgehend, tragen die Grundvorstellungen der Mathematik dazu bei, in ein mathematisches Modell überzugehen. Grundvorstellungen stellen grundlegende mathematische Konzepte, Methoden und ihre Interpretation dar. Sie beschreiben Zusammenhänge zwischen realen Situationen, mathematischen Strukturen und individuellen psychologischen Prozessen (vgl. Kleine, Jordan & Harvey, 2005, S. 228). Bezogen auf die Rechenoperationen (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) kommen unterschiedliche Grundsituationen auf, welche jeweils wesentliche Grundvorstellungen repräsentieren. Insgesamt werden drei zentrale Grundvorstellungen unterschieden: räumlich-simultane Anordnungen, zeitlich-sukzessive Handlungen und kombinatorische Kontexte (vgl. Padberg & Benz, 2011, S. 130). Anhand eines Repräsentationswechsels können diese eindeutiger beschrieben werden (vgl. Stender, 2021, S.248). Nachdem das mathematische Modell mithilfe der Grundvorstellungen gelöst wurde, wird das Ergebnis im Hinblick auf das Ausgangsproblem abschließend interpretiert (vgl. Kleine, Jordan & Harvey, 2005, S. 228).
Es soll deutlich gemacht werden, dass der Übergang einer realen Situation in ein mathematisches Modell nicht nur durch das Anwenden von Rechenoperationen durchgeführt werden kann. Das Verstehen ist ein bedeutsamer Faktor, der besonders für eine Interpretation der Lösung hinsichtlich der realen Situation entscheidend ist.
2.2 Modellierungskreislauf nach Blum und Leiß
Innerhalb der Mathematikdidaktik werden Modellierungskreisläufe genutzt, um die unterschiedlichen Anforderungen beim Lösen einer Modellierungsaufgabe anschaulich darzustellen. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Modellierungskreisläufe entsprechend ihrer unterschiedlichen Perspektiven auf das mathematische Modellieren (vgl. Bruder et. al., 2015, S. 364). Besonders verbreitet ist der Modellierungskreislauf nach Blum und Leiß (2005). Dieser beinhaltet eine detaillierte Beschreibung über die verschiedenen Teilprozesse des mathematischen Modellierens (vgl. Greefrath & Hankeln, 2020, S. 369). Mithilfe dieses Kreislaufes kann eine Analyse des Bearbeitungsprozesses der jeweiligen Modellierungsaufgabe durchgeführt werden. Eine Analyse kann Lehrkräften dabei helfen, die Durchführung von mathematischen Modellierungen der Schülerinnen und Schüler besser nachzuvollziehen (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 32). Aus diesem Grund stellt es ein geeignetes Werkzeug im Hinblick auf eine empirische Untersuchung der Bearbeitungs- und Modellierungsprozesse von Schülerinnen und Schülern dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß (2005)
Quelle: Eilerts & Skutella, 2018, S. 133)
Der Modellierungskreislauf umfasst insgesamt sieben Schritte, um vollständig durchlaufen zu sein (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 32). Diese Schritte werden insgesamt als Modellierungskompetenz beschrieben. Sie werden eingesetzt, um ein vorliegendes Problem in der Umwelt zu erkennen und es in die Mathematik zu übersetzen. Das entsprechende Resultat wird im Hinblick auf die gegebene Situation der realen Welt interpretiert und anschließend validiert. So bezeichnet man die Fähigkeit den gesamten Modellierungskreislauf durchlaufen zu können als Modellierungskompetenz. Wird lediglich ein Teilprozess durchgeführt, so verfügt man über eine spezifische Teilkompetenz des mathematischen Modellierens (vgl. Greefrath & Hankeln, 2020, S. 370).
Zu Beginn des Modellierungsprozesses steht eine komplexe problemhaltige Realsituation als Ausgangspunkt, worauf sieben weitere Schritte folgen. Zunächst folgt das (1) Konstruieren und Verstehen, indem die Aufgabenstellung gelesen wird. Dabei werden wichtige Informationen aus dem Text entnommen und mit Vorwissen verknüpft. Das Stellen von verschiedenen Fragen kann dabei behilflich sein, die Situation zu verstehen. Es entsteht ein Situationsmodell. Daraufhin folgt das (2) Vereinfachen und Strukturieren. Das Ziel dabei ist es, da zuvor entwickelte Situationsmodell in ein Realmodell zu vereinfachen. Dazu werden relevante Informationen von unrelevanten unterschieden. Es können beispielsweise verschiedenste Überlegungen zur Notwendigkeit von erhaltenden Informationen gestellt werden. Darüber hinaus können in diesem Schritt Annahmen getroffen werden, die zum Lösen der Aufgabe bedeutsam sind. Anschließend folgt das (3) Mathematisieren des Realmodells in das mathematische Modell (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 32). Da beispielsweise die Verwendung von Zahlen direkt zu einem mathematischen Modell führt, kann eine Unterscheidung der beiden Modelle innerhalb von Praxisbeispielen kaum vollzogen werden und wird aus diesem Grund als komplex beschrieben. Innerhalb dieser Phase findet die Übersetzung der Modellbeschreibung aus der Alltagssprache in die Sprache der Mathematik statt. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass der nächste Schritt, das (4) mathematische Arbeiten durchgeführt werden kann. (vgl. Maaß, 2009, S. 13). Durch die Verwendung von heuristischen Strategien, wie auch mathematischen Algorithmen erhält man eine mathematische Lösung. Das Ergebnis wird zurück auf die Realsituation (5) interpretiert und im Hinblick auf ihre Plausibilität (6) validiert. Die gesamte Modellierung wird dabei reflektiert und geeigneter Weise mit Vergleichswerten verglichen. Bei Erhalten eines unangemessenen Ergebnis können entweder Teilschritte oder auch der gesamte Modellierungsprozess erneuert werden. Zuletzt werden die Modellierer zum (7) Darlegen und Erklären animiert. Dieser letzte Schritt hat eine didaktische Funktion. Die Lernenden dokumentieren und präsentieren ihre Lösungswege, um sie für andere nachvollziehbar darzustellen (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 32f.).
Trotz einer theoretischen Einteilung in die verschiedenen Teilkompetenzen lassen sich die die einzelnen Phasen nicht immer eindeutig voneinander trennen, sodass sie oftmals fließend ineinander übergehen (Kira-Team, o. J.).
3 Fermi-Aufgaben
3.1 Herkunft
Fermi-Aufgaben wurden nach dem italienischen Kernphysiker Enrico Fermi (1901-1954) benannt, welchem 1938 den Nobelpreis für Physik verliehen wurde. Der Physiker war bekannt dafür seinen Studenten offene Problemaufgaben zu stellen, die ausschließlich mithilfe von passablen Einschätzungen gelöst werden können. Seine wohl bekannteste Frage „Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago?“ zeigt beispielhaft, dass Fermi-Aufgaben ohne Rückgriff auf weitere Angaben nicht gelöst werden können (vgl. Peter-Koop, 2004, S. 457). Größenordnungen werden schrittweise durch das Schätzen von verschiedenen Annahmen getroffen, wie die Einwohneranzahl von Chicago, die Anzahl von Haushalten mit Klavier oder die Dauer des Klavierstimmens. Das Ergebnis wird also durch eine sinnvolle Auswahl von geschätzten Daten bestimmt (vgl. Büchter et. al., 2019, S. 22).
3.2 Merkmale und Besonderheiten
Die elementaren Besonderheiten von Fermi-Aufgaben sind ihre Offenheit, die Zugänglichkeit, ihr Realitätsbezug und das Finden einer Lösung mithilfe eines Modellierungsprozesses (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 33).
Fermi-Aufgaben gelten als Modellierungsaufgaben und werden im Mathematikunterricht der Grundschule als offene Sachaufgaben bzw. offene Sachprobleme eingesetzt (vgl. Steinweg, 2012, S. 32). Offene Aufgaben werden nach Eindeutigkeit von Anfangs- und Endzustand, sowie Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit der Transformation in insgesamt acht verschiedene Typen offener Aufgaben unterteilt (vgl. Greefrath, 2004, S. 73). Da bei einer Fermi-Aufgabe genaue Informationen zu einem Problem nicht vorliegen, handelt es sich um eine unklare Ausgangssituation. Die Lernenden können eigenständig Fragen formulieren und diese mithilfe der Mathematik bearbeiten und beantworten. Aufgrund dieser Anforderungen sind sowohl der Zielzustand, als auch die Transformation unklar. Der entsprechende Aufgabentyp wird als Problemsituation beschrieben, unter denen Fermi-Aufgaben zugeordnet werden können (vgl. Greefrath, 2004, S. 19). Somit haben Fermi-Aufgaben keinen eindeutigen bzw. richtigen Lösungsweg und auch kein exaktes Ergebnis. Die Beschaffung von Angaben und Daten erfolgt durch wiederholtes Schätzen, das Aktivieren von Stützpunktwissen und Informationsbeschaffung aus der Umwelt (vgl. Büchter et. al., 2019, S. 25f.).
Heutzutage wird der Begriff Fermi-Aufgaben auch für offene Aufgaben verwendet, in denen die Frage oder die Aufgabenstellung aus wenigen Informationen oder nur einer Abbildung besteht. Im Vordergrund von Fermi-Aufgaben steht nicht das bloße Rechnen, sondern die einzelnen Schritte des Modellierungsprozesses, wie sie in Abschnitt 2.2. bereits aufgeführt wurden. Des Weiteren werden Themen wie der Umgang mit Ungenauigkeiten eingebracht. Schülerinnen und Schülern wird bewusst gemacht, wann genau das Schätzen und Überschlagen zum Lösen einer Aufgabe angemessen ist. Zudem arbeiten sie mit heuristischen Mitteln, ihren Alltagserfahrungen und ihrem bereits vorhandenem Wissen (vgl. Büchter et. al., 2019, S. 22). Aufgrund ihrer offenen Aufgabenstellung können Kinder mit verschiedenen Leistungsniveaus dieselbe Fermi-Aufgabe mithilfe ihres individuellen Lösungsweges bearbeiten (vgl. Maaß, 2009, S. 14).
Bezogen auf den Einsatz von Fermi-Aufgaben in der Grundschule lassen sich Grundcharakteristika von Fermi-Aufgaben feststellen, die Peter-Koop (2004) hinsichtlich ihrer Untersuchung zur Hervorhebung und Förderung von kooperativen mathematischen Modellierungsprozessen mithilfe von Fermi-Aufgaben in Grundschulen auflistet. Die Auflistung kann als erste Orientierung im Hinblick auf die Auswahl einer geeigneten Fermi- Aufgabe im Mathematikunterricht der Grundschule genutzt werden.
- Die Fermi-Aufgabe sollte für die Schülerinnen und Schüler herausfordernd sein. Die Zusammenarbeit und Interaktion von Gleichaltrigen innerhalb einer Gruppenarbeit soll für jede Person motivierend wirken.
- In der Formulierung der Aufgabe sollten keine Zahlen enthalten sein, um das sofortige Rechnen der Kinder zu vermeiden. Dadurch wird der Kontext der angegebenen Aufgabe zunächst analysiert und das Suchen von relevanten Daten mithilfe von Schätzungen oder das Überschlagen von Angaben ermittelt.
- Die Aufgabe sollte auf einer Auswahl realitätsbezogener Kontexte der jeweiligen Klassenstufe basieren.
- Die realitätsbezogene Aufgabe sollte einen offenen bzw. unklaren Anfangszustand, wie auch einen offenen Endzustand enthalten. Damit soll die Entscheidungsfindung in Bezug auf den Modellierungsprozess gefördert werden (vgl. Peter-Koop, 2004, S. 457).
3.3 Kompetenzerwerb durch den Einsatz von Fermi-Aufgaben
Um eine passende Aufgabe auszuwählen, ist es sinnvoll die mathematischen Inhalte und Ziele der jeweiligen Klassenstufe zu beachten. Innerhalb der Grundschule können Aufgaben den verschiedenen Sachgebieten Arithmetik, Geometrie, Größen und Sachrechnen zugeordnet werden. Das Ziel im Mathematikunterricht ist es mithilfe von prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzen ein nachhaltiges und anschlussfähiges Lernen von Mathematik zu schaffen, welches eine Verknüpfung zwischen den einzelnen Sachgebieten entstehen lässt, die Kompetenzerwartungen (vgl. KMK, 2022, S. 6f.). Die Prozesse und Inhalte lassen sich nicht trennen und bedingen sich gegenseitig (vgl. RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung, 2021, S. 77). Der Erwerb inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen findet durch eine aktive Beschäftigung mit mathematischen Anforderungen und Aufgabenstellungen statt. Dazu lassen sich drei Anforderungsbereiche unterscheiden (vgl. KMK, 2022, S. 9):
- Anforderungsbereich I: das Reproduzieren
Die Wiedergabe von Grundwissen und das Ausführen von Routineaufgaben mit direkter Anwendung elementarer Verfahren und Begriffen
- Anforderungsbereich II: Zusammenhänge herstellen
Das Erkennen mathematischer Zusammenhänge, sowie das Verknüpfen von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Bearbeitung mathematischer Aufgabenstellungen
- Anforderungsbereich III: Verallgemeinern und Reflektieren
Das Übertragen von Erkenntnissen auf neue Fragestellungen, wie auch das Entwickeln und Reflektieren von Begründungen, Strategien und Rückschlüssen
Wie zuvor erwähnt, ermöglicht die Offenheit von Fermi-Aufgaben eine individuelle Umsetzung der Schülerinnen und Schüler. Somit können sowohl leistungsstarke, als auch leistungsschwache Kinder dieselbe Aufgabe durchführen und kommen zu einer für sie akkuraten Lösung. Dadurch können alle drei Anforderungsbereiche erreicht werden (vgl. Büchter et. al., 2019, S. 21).
Das Einsetzen von Fermi-Aufgaben bietet den Vorteil, dass beinahe sämtliche Kompetenzbereiche der Bildungsstandards abgedeckt werden (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 33f.). Im Folgenden werden die einzelnen prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzen, die durch das Einsetzen von Fermi-Aufgaben entwickelt und gefördert werden, dargestellt.
3.3.1 Prozessbezogene Kompetenzen
Die prozessbezogenen Kompetenzen werden in fünf weitere Kompetenzen unterteilt. Zu diesen gehören das Problemlösen, Modellieren, Kommunizieren, Argumentieren und Darstellen.
- Problemlösen
Fermi-Aufgaben lassen sich durch ihren offenen Anfangs- und Endzustand als keine Routineaufgaben bezeichnen, die nicht bloß durch vorhandenes Wissen und Fertigkeiten gelöst werden können. Das Erkennen des mathematischen Problems, das Entwickeln von Lösungsideen mithilfe von heuristischen Mitteln und das Reflektieren des Lösungsweges werden beim Bearbeiten einer Fermi-Aufgabe benötigt. In der Primarstufe werden Heurismen, wie das systematische Probieren, das Zeichnen von Skizzen und Tabellen, wie auch das Vor- und Rückwärtsarbeiten verwendet (vgl. KMK, 2022, S. 10).
- Modellieren
Besonders das mathematische Modellieren wird beim Bearbeiten von Fermi-Aufgaben gefördert. Fermi-Aufgaben sind für ihren Realitätsbezug bekannt, welcher beim Modellieren gefördert wird. Die Schülerinnen und Schüler verwenden typische Teilschritte des Modellierens, wie das Vereinfachen und Strukturieren der Realsituation, das Übersetzen des Problems in die Sprache der Mathematik, das Interpretieren und das Prüfen von mathematischen Resultaten. Die Lernenden beziehen ihre Lösungen anschließend auf die gegebene Ausgangssituation (vgl. KMK, 2022, S. 11 und Büchter et. al., 2019, S. 21).
- Kommunizieren
Fermi-Aufgaben werden primär in Gruppenarbeiten durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler kommunizieren mündlich oder schriftlich über mathematische Bearbeitungswege. Dabei treffen sie gemeinsam Entscheidungen und gehen gemeinsam auf den Inhalt der Aufgabe ein. Sie diskutieren über verschiedene Überlegungen, erläutern Zusammenhänge zwischen mathematischen und inhaltlichen Aspekten und hinterfragen sich gegenseitig (vgl. KMK, 2022, S. 10).
- Darstellen
Je nach Realitätsbezug können Fermi-Aufgaben unterschiedlich an die Lernenden herangebracht werden. Beim Darstellen ist es bedeutsam mathematische Darstellungen vernetzen zu können. Mit den verschiedenen Darstellungen sind unteranderem bildliche, materielle, verbal-sprachliche, tabellarische, wie auch graphisch-visuelle Darstellungen gemeint. Die Schülerinnen und Schüler wenden Darstellungen an, können Darstellungen interpretieren und überprüfen ihre Bedeutsamkeit. Beim Erstellen von Darstellungen werden mathematische Objekte und Sachverhalte präsentiert und können zum Lösen der Fermi- Aufgabe von Vorteil sein (vgl. KMK, 2022, S. 11).
- Argumentieren
Fermi-Aufgaben können das Argumentieren entwickeln und fördern. Besonders in der Primarstufe entsteht ein Bewusstsein für das Stellen von strittigen Fragen zu bestimmten mathematischen Gegenständen. Es entsteht ein sogenanntes Bedürfnis diese Fragen aufzuklären. Durch den offenen Anfangszustand werden Schülerinnen und Schüler dazu verleitet, Aussagen und Vermutungen zu stellen. Diese werden in der Gruppe hinterfragt und begründet (vgl. KMK, 2022, S. 10).
3.3.2 Inhaltsbezogene Kompetenzen
Im folgenden Abschnitt werden die inhaltsbezogenen Kompetenzen aufgeführt, die beim Einsetzen von Fermi-Aufgaben entwickelt und gefördert werden.
Zu den inhaltsbezogenen Kompetenzen gehören Zahl und Operation, Größen und Messen, Daten und Zufall, Raum und Form, wie auch Muster, Strukturen und funktionaler Zusammenhang. Das Erkennen von Mustern, Strukturen und funktionalen Zusammenhängen spielt dabei eine übergeordnete Rolle für die restlichen vier Leitideen. Er wird als sogenannter „Wesenskem der Mathematik“ (KMK, 2022, S. 13) beschrieben und umfasst elementare Gesetzmäßigkeiten der Mathematik. Die vier weiteren Leitideen werden aus diesem Grund in einem engen Bezug mit dem Wesenskern gelernt.
- Zahl und Operation
Zum Lösen einer Fermi-Aufgabe werden die vier Grundrechenarten (das Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren) benötigt. Diese sollen flexibel eingesetzt und miteinander verknüpft werden. Zur Berechnung und Überprüfung der Aufgabe werden primär das Schätzen und das Überschlagsrechnen eingesetzt. Bei der Bearbeitung von Fermi-Aufgaben ist das angemessene Rechnen mit und in Kontexten bedeutsam, welches ebenfalls ein wesentlicher Aspekt der Leitidee Zahl und Operation einschließt (vgl. KMK, S. 13f.).
- Größe und Messen
Die Leitidee Größen und Messen ist ebenfalls in einigen Fermi-Aufgaben vertreten. Die Bearbeitung von Fermi-Aufgaben führt zu einem Verständniserwerb des Grundprinzips des Bestimmens und Vergleichens von Größen, wie auch eine sachgerechte Anwendung erworbener Kompetenzen zu Größen in Kontexten. Besonders das Schätzen von Größen mit Bezug auf geeignete Repräsentanten ist nahezu in allen Fermi-Aufgaben vertreten. In Bezug auf die Sachsituation der Aufgabe sollen die Schülerinnen und Schüler mit ihren Näherungswerten rechnen und ihr Ergebnis im Anschluss auf die Plausibilität prüfen (vgl. KMK, S. 15).
- Muster, Strukturen, funktionaler Zusammenhang
Wie bereits erwähnt, nimmt die Leitidee Muster, Strukturen und funktionaler Zusammenhang eine übergeordnete Rolle ein. Die Schülerinnen und Schüler sollen beim Lösen der Fermi- Aufgabe mathematische Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten erkennen, beschreiben und darstellen. Dabei haben Kinder die Möglichkeit Terme verschieden darzustellen . Sie können außerdem Zahlendarstellungen, Anschauungsmittel, sowie Veranschaulichungen nutzen und die funktionale Beziehung zwischen Sachsituationen (z.B. Anzahl - Preis) einordnen (vgl. KMK, S. 16).
3.3 Grenzen
Mehrere Studien haben bei der Bearbeitung von realitätsnahen Problemaufgaben gezeigt, dass sich Grundschüler häufig auf willkürliche operative Kombinationen einlassen, woraufhin sie die Beziehung zwischen den gegebenen Daten und dem Sachverhalt verkennen. Darauf eingehend fanden Renkl und Stern (1994) heraus, dass durch wiederholtes Üben solcher Aufgaben sich die Lösungen der realitätsbezogenen Problemaufgaben nicht signifikant verbessert. Das Problem unterliegt der Schwierigkeit des Verstehens und führt zu einer irreführenden Zusammensetzung von Daten (vgl. Peter-Koop, 2004, S. 454).
Um diesem Problem entgegenzuwirken, führen Lehrkräfte häufig ein 3-Schritt-System ein. Der erste Schritt ist das Finden der Frage. Daraufhin folgt die Rechnung und zum Schluss soll eine Antwort bzw. ein Antwortsatz formuliert werden. In der Unterrichtspraxis wird das Modellieren bei der Bearbeitung von offenen realitätsnahen Problemaufgaben daher stark vereinfacht dargestellt und ähnelt einer simpleren Version des Problemlöseprozesses von Polya (1957). Bezogen auf das Problemlösen kann eine stark vereinfachte Vorgehensweise zu einem NichtVerstehen der Aufgabe führen (vgl. Peter-Koop, 2004, S. 456).
Eine weitere Hürde im Modellierungsprozess ist die Übersetzung der mathematischen Lösung in die reale Problemsituation. Schülerinnen und Schüler verstehen häufig nicht, dass sich die Lösung des Problems nicht eindeutig auf die reale Welt übertragen lässt. Während einer Untersuchung fanden Verschaffel und De Corte (1997) diesbezüglich heraus, dass Fünftklässler häufig „37.5 Jeeps“ als Lösung zu der Frage „Wie viele Jeeps braucht man?“ angaben. Obwohl die Antwort mathematisch korrekt war, ist ihnen der Transfer in die reale Situation nicht gelungen. Freudenthal (1984) nennt die Fähigkeit einen gelungenen Transfer in das reale Problem durchführen zu können die Konstruktion einer „magical compatibility“ (Peter-Koop, 2004, S. 545).
4 Problemlösen lernen
Das Problemlösen und Modellieren werden häufig in einen Zusammenhang gebracht. Es lassen sich beide in den prozessbezogenen Kompetenzen wiederfinden und befassen sich in der Regel mit einem mathematischen Problem, welches nicht mit einem standardisiertem Verfahren gelöst werden kann. Setzt man einen Modellierungskreislauf ein, so können inhaltsbezogene Kompetenzen eindeutig im Kreislauf identifiziert werden. Das Problemlösen lässt sich jedoch nicht präzise bestimmen und kann grundsätzlich in allen Schritten des Modellierungskreislaufes aufkommen (vgl. Greefrath, 2010, S. 58f.)
Im Allgemeinen besteht dann ein Problem, wenn zwischen dem Anfangszustand (momentaner Zustand) und dem erwünschten Endzustand eine Barriere besteht, die erst überwunden werden muss. Der Problemloser muss sich erst auf die „Suche“ begeben, um die Barriere mithilfe von Mitteln aufzulösen (vgl. Philipp, 2013, S. 37 und Rieß, 2018, S. 213). Da dem Problemlöser keinen naheliegenden Lösungsweg zur Verfügung steht, kann das Erstellen eines Planes und das Anwenden verschiedener Strategien zum Lösen eines Problems beitragen (vgl. Greefrath, 2010, S. 59f, 63f.).
4.1 Polyas Verlaufsmodell
Im Bereich des mathematischen Problemlösens entstanden unterschiedliche Verlaufsmodelle, die eine Beschreibung und Analyse von Problemlösungsprozessen darstellen. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Fokussierungen. Eines der bekanntesten Modelle lässt sich Polya (1949) zuordnen. Sein Verlaufsmodell fokussiert sich auf die Linearität des Prozessverlaufs und stellt fest, inwiefern metakognitive Elemente einbezogen werden. Laut Polya wird das Lösen eines mathematischen Problems in vier aufeinanderfolgenden Schritten absolviert:
- Verstehen der Aufgabe, das Erfassen und Herausarbeiten von Forderungen, Bedingungen und Gegebenheiten
- Ausdenken eines Planes, das Entwickeln eines gedanklichen Lösungsplanes in seine Einzelheiten
- Ausführen des Planes, die tatsächliche Ausführung des Planes in seinen Einzelheiten
- Rückschau und Ausblick, das Überprüfen der Lösung und das Herleiten seines oder eines anderen Lösungsweges (vgl. Bruder et. al., 2015, S. 287).
Dieses und auch weitere Verlaufsmodelle stellen das Problemlösen als einen linearen, in sich aufbauenden Prozess dar. Dabei kann ein Problemlöseprozess sprunghaft, dynamisch oder auch zyklisch durchlaufen werden. Beobachtungen aus der Schulpraxis machen deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten dabei haben, zentrale Fragestellungen der jeweiligen Schritte zu beachten und somit ihren Problemlöseprozess produktiv linear oder nichtlinear zu steuern. In einer empirischen Studie fand Rott (2013) heraus, dass ca. zwei Drittel der ausgewerteten Problemlösungsprozesse von Fünftklässlerinnen und Fünftklässler linear verlaufen, wie es Polya (1949) in seinem Modell darstellt und lässt das häufige Einsetzen des 3-Schritt-Systems erklären, welches im Kapitel 3.3. erläutert wurde. Bei dem restlichen Drittel konnte ein eher zyklischer Prozess festgestellt werden (vgl. Bruder et. al., 2015, S. 287).
4.2 Einflussfaktoren und gestufte Hilfen
Inwiefern der Inhalt und Verlauf von Problemlöseprozessen stattfindet, hängt von Einflussfaktoren ab. Sie wurden innerhalb der Mathematikdidaktik in Anlehnung an denkpsychologische Arbeiten herausgearbeitet und beinhalten folgende Aspekte:
- Kognitionen, das fachliche Wissen und Können über Heurismen und Bereichswissen, wie Sätze, algorithmische Verfahren, Definitionen, etc.
- Metakognitionen/ die Selbstregulation, das Wissen über mathematisches Denken und Steuerungsprozesse bei der Bearbeitung des Problems
- Einstellungen (bzw. Grundhaltungen) zum aktuellen mathematischen Problem
- Sonstiges (z.B. Rahmenbedingungen) (vgl. Bruder et. al., 2015, S. 289).
Um den Einflussfaktoren entgegenzuwirken, können Hilfestellungen genutzt werden, die sich beispielsweise motivierend auf die Bearbeitung der Aufgabe auswirken. Es sollte beachtet werden, dass das „Prinzip der minimalen Hilfen“ (Maaß, 2009, S. 38) eingehalten wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Gestufte Hilfen zum Modellieren
Quelle: Maaß, 2009, S. 39.
Demnach soll die Lehrperson die Rolle des Beobachters einnehmen und nur dann einschreiten, wenn es nötig ist. Maaß (2009) präsentiert dazu gestufte Hilfen, die als Hierarchie betrachtet werden. Diese erstrecken sich von Motivationshilfen („Du schaffst das schon!“) bis hin zu inhaltlichen Hilfen („Stelle einen Zusammenhang zwischen den beiden Werten her!“).
4.3 Problemlösestrategien
Im Gegensatz zu Routineaufgaben lässt sich das Problemlosen nicht ausschließlich diuch eine Wissensstruktur bearbeiten (vgl. Binder et. al., 2015, 289f). Mit dem Erlernen und flexiblen Anwenden von Problemlösestrategien werden Möglichkeiten geboten schwierige Aufgaben leichter zu lösen. Damit ist gemeint, dass diuch das Einsetzen von heuristischen Vorgehensweisen das Problemlosen leichter bewältigt werden kann (vgl. Binder, 2003, S. 19f). Besonders bei der Förderung der Problemfälligkeit von Schülerinnen und Schülern werden heuristischen Denkweisen die größte Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Binder et. al., 2015, 289f). Diuch das bewusste oder intuitive Einsetzten von Heurismen können diese als hilfreich erachtet werden, sobald man bei der Bearbeitung der Aufgabe mehr Schwierigkeiten ohne sie hat. Das eigentliche Erlernen von Heurismen findet demnach diuch das eigene Ausprobieren und Bewerten statt (vgl. Binder et. al., 2015, S. 291).
Das Ziel ist es von einem bewussten Erlernen von Problemlösestrategien in das unbewusste Einsetzten verschiedener Strategien zu kommen. Binder bezeichnet gute Problemloser als Menschen mit einer hohen geistlichen „Beweglichkeit“ (Binder, 2003, S. 20).
4.3.1 Heurismen
Heurismen lassen sich in drei verschiedene Unterkategorien an Vorgehensweisen aufteilen: Heuristische Strategien, heuristische Prinzipien und heuristische Hilfsmittel. Zu den heuristischen Strategien gehören das Vorwärtsarbeiten, Rückwärtsarbeiten, systematisches Probieren und die Suche nach Gleichungen, Beziehungen bzw. Matheinatisierungsinustem. Heuristische Prinzipien hingegen sind beispielsweise das Rückfuhrungsprinzip, Zerlegungsprinzip, und das Symmetrieprinzip (vgl. Binder, 2003, S. 19f).
Des Weiteren können heuristische Mittel veiwendet werden. Es handelt sich nicht um anwendbare Strategien, sondern stellen Hilfsmittel dar, die dabei helfen das gegebene Problem zu verstehen. Dazu gehören Zeichnungen oder Skizzen, strukturierte Textdarstellungen, Tabellen, Gleichungen, informative Figuren und der eigene Wissensspeicher (vgl. Binder et. al., 2015, S. 290).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht ausgewählter Heurismen
Quelle: vgl. Kipmaim (2020), S. 23-30.
In der Untenichtspraxis werden Heurismen im Allgemeinen als ein Teilkomponent vielseitig eingesetzt. Aufgrund ihres vielfältigen Einsatzes und ihrer Komplexität der Systematisierung gestaltet sich für Schülerinnen und Schüler das Erlernen von Heurismen als komplex. Ihr Lernprozess erstreckt sich über eine längere Zeit und verläuft stufenweise. Davon ausgehend kann die Verwendung von str ategischen Hilfsmitteln bezogen auf die derzeitig erreichte Stufe unterschiedliche Ergebnisse hervorrufen (vgl. Herold-Blasius, 2021, S. 108).
4.3.2 Vorgehensweisen in der Grundschule
Bezogen auf die Grundschule konnte Fuchs (2006) bei einer mehrjährigen Untersuchung von begabten Dritt- und Viertklässlem verschiedene Vorgehensweisen beim Problemlosen feststellen und diese anschließend kategorisieren. Nachuntersuchungen zeigten, dass diese Klassifikationen ebenfalls auf nicht begabte Schülerinnen mid Schüler angewandt werden kann (vgl. Käpnick, 2014, S. 119f.) Es lassen sich folgende Vorgehensweisen beim Problemlosen feststellen:
- Hartnäckiges Probieren
Die Lernenden probieren lange und unnachgiebig an die Lösung zu kommen. Dabei erkennen und nutzen sie keine bedeutenden inhaltliche Zusammenhänge. Ihre Strategie ist es eine Richtung zu verfolgen. Dabei nutzen sie keinen Repräsentationswechsel. Die Darstellung der Ergebnisse ist meist überschaubar. Allerdings stehen sie ihren eigenen Lösungen kritisch gegenüber, was zu einem Bewusstsein vermuten lässt, wesentliche Inhalte nicht verstanden zu haben. Kinder die hartnäckig probieren nehmen gerne die Einfälle und Äußerungen anderer Kinder an. Sie arbeiten außerdem gerne in Gruppen. Den Untersuchungen zufolge kommt diese Vorgehensweise häufiger bei weniger begabten Schülerinnen und Schülern vor (vgl. Käpnick, 2014, S. 120).
- Intuitives Erahnen einer Problemlösung bzw. Herantasten an eine Lösung
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln beim intuitiven Erahnen bzw. Herantasten sehr schnell und oft außergewöhnliche Lösungen. Die Kinder haben ein auffälliges Empfinden für mathematische Sachverhalte und Zahlen. Ihre Darstellungen sind meist unübersichtlich und lückenhaft. Ihren eigenen Lösungsweg können sie häufig nicht erklären und sie zeigen kaum Interesse daran ihre Resultate zu prüfen. Intuitive Problemlöser arbeiten gerne alleine und können dabei energisch vorgehen (vgl. Käpnick, 2014, S. 120f.)
- Abwechselndes Probieren und Überlegen
Das abwechselnde Probieren und Überlegen wird als natürliches Vorgehen beschrieben und kommt aus diesem Grund mehrfach vor. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten selbstständig und effizient, da zentrale Bedingungen der Aufgaben schnell begriffen werden. Die Kinder arbeiten mit großer Motivation und können mehrfache Lösungsansätze entwickeln. Wird ein Lösungsmuster erkannt, kann der Lösungsprozess vereinfacht werden. Aufgrund ihrer kognitiven und anpassungsfähigen mathematischen Kompetenzen verkörpern die Kinder eine positive Selbstsicherheit. Ihre Lösungsdarstellungen sind häufig vollständig und übersichtlich (vgl. Käpnick, 2014, S. 122).
- Systemhaftes Vorgehen
Die Kinder besitzen häufig eine hohe Ausprägung an mathematischen Kompetenzen und vermuten beim Lösen der Aufgabe auf einen einfachen Trick. Sie wirken oft sehr ausgeglichen und bescheiden. Jedoch erfreuen sie sich an den Entdeckungsmoment des richtigen Lösungsweges. Die Problemlöser arbeiten gerne für sich und bevorzugen dabei eine stille Lernatmosphäre. Ihre Lösungsdarstellungen sind häufig vollständig und sehr übersichtlich gestaltet. Da allgemeine Zusammenhänge erkannt wurden, kann die Lösungsqualität häufig als sehr hoch beschrieben werden (vgl. Käpnick, 2014, S. 122f.).
- Mischtyp
Die „Mischtypen“ sind Kinder, die ihre Vorgehensweisen bei der Bearbeitung einer Aufgabe wechseln. Dabei ist die Aufgabenpräsentation oder situationsabhängige Gegebenheit entscheidend. Sie arbeiten meist mit mehreren Repräsentationsebenen und setzen die Ideen anderer Kinder gekonnt um. Teilweise veranlasst ein eigener Leistungsdruck die Kinder zu einem unruhigen Verhalten (vgl. Käpnick, 2014, S. 122). Die Lösungsdarstellungen der Kinder sind mehrheitlich zugänglich und werden in der Gruppe genaustens geprüft (vgl. Käpnick, 2014, S. 123).
5 Empirische Untersuchung
Auf Basis des zuvor aufgeführten Forschungsstandes und vorliegender Theorien wird in diesem Abschnitt das zugrundeliegende Ziel dieser Untersuchung im Hinblick auf Problemlösestrategien und Modellierungsprozesse nun in offene Forschungsfragen unterteilt. Dies ermöglicht theoretische Vorannahmen nicht zu sehr einzuschränken und lässt Offenheit bezüglich der Forschungsergebnisse zu (vgl. Döring & Bortz, 2016, S. 51).
Folgende Fragen sind:
- Inwiefern erfolgt mathematisches Modellieren beim Einsetzen von Fermi-Aufgaben in der vierten Klasse?
- Welche Problemlösestrategien verwenden Viertklässlerinnen und Viertklässler bei der Bearbeitung von Fermi-Aufgaben?
- Wie gestaltet sich der Verlauf des Problemlösens?
5.1 Teilnehmer/innen
Wie bereits in Kapitel 3.2. erwähnt, sollte der Fokus auf die Aufgabenauswahl besonders auf die Realität der Kinder gerichtet werden. Aus diesem Grund ist es relevant sich mit der Umwelt der Kinder zu beschäftigen und den Fokus auf die Schülerinnen und Schüler zu richten.
Die Datenerhebung wurde in der Katharinenschule Unna durchgeführt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren 24 Schülerinnen und Schüler aus insgesamt drei verschiedenen vierten Klassen. Die Kinder wurden innerhalb der Klassen in geschlechterunspezifische Vierergruppen aufgeteilt. Laut Angaben der Lehrkräfte beinhalteten die insgesamt sechs Untersuchungsgruppen sowohl leistungsschwache, als auch leistungsstarke Kinder. Somit können die einzelnen Untersuchungsgruppen bezogen auf ihr Geschlecht und ihre eingeschätzten mathematischen Fähigkeiten jeweils als heterogen beschrieben werden. Des Weiteren wurde die Datenerhebung vor Beginn der Sommerferien durchgeführt, sodass sich die Kinder zeitlich gesehen am Ende der vierten Klasse befanden. In einem Vorgespräch berichteten die Kinder und Lehrkräfte, dass einige Wochen vorher eine fünftägige Klassenfahrt nach Norderney unternommen wurde. Dort hätten sich einige Kinder einen Sonnenbrand geholt und man hätte ausreichend Lichtschutzfaktor vergessen.
5.2 Auswahl und Aufbau der Fermi-Aufgabe
Auf Basis von Gesprächen mit Lehrkräften und den Kindern wurde eine Fermi-Aufgabe für die Viertklässlerinnen und Viertklässler entwickelt und anschließend erprobt. Aus den Gesprächen ergaben sich aktuelle Themen aus der Umwelt der Kinder, sodass die Aspekte Klassenfahrt und Lichtschutzfaktor in eine Fermi-Aufgabe eingeschlossen wurden.
Nach Rücksprache mit den Lehrkräften wurden Fermi-Aufgaben bislang gar nicht oder nur einmal im Mathematikunterricht eingesetzt. Jedoch seien Sachaufgaben mit dem in Kapitel 3.4 erwähnten 3-Schritt-System (Frage-Rechnung-Antwort) bekannt und würden häufig eingesetzt werden. Nach Berücksichtigung dieser Faktoren wird eine weniger komplexe Fermi-Aufgabe gewählt. Dies ermöglicht ein erstes Heranführen an Modellierungsaufgaben und dem zugrundeliegenden Modellierungsprozess (siehe Kapitel 2).
In Anbetracht der inhaltsbezogenen und prozessbezogenen Kompetenzen, welche am Ende der vierten Klasse erreicht werden sollen, werden diese für die Bearbeitung der Fermi-Aufgabe als vorausgesetzt angesehen. Damit sind beispielsweise das Zahl und Operationsverständnis gemeint. Die Schülerinnen und Schüler können unteranderem im Zahlenraum von bis 1.000.000 umgehen und verfügen über die jeweiligen Grundvorstellungen der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division (vgl. RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung, 2021, S. 85ff.).
Die entwickelte Aufgabe Sonnencreme beinhaltete folgenden Text: „Die Klasse 4plant eine Klassenfahrt an den Möhnesee. Im Wetterbericht wird sehr viele Sonne angezeigt. Um sich vor den Sonneneinstrahlungen zu schützen, wird empfohlen sich ausreichend mit Sonnencreme einzucremen. Wie viel Sonnencreme braucht man, damit sich jede Person eincremen kann?“. Die Fermi-Aufgabe wird in Form eines Arbeitsblattes präsentiert, welches in vier Abschnitte unterteilt werden kann: die Aufgabe und der zugehörige Text, das Sammeln von Fragen, die Angaben zum Lösen der Aufgabe und die Rechnung. Orientiert wurde sich dabei an das vorbedruckte Plakat zur Untersuchung von Kompetenzentwicklung durch Fermi-Aufgaben von Haberzettl, Klett und Schukajlow (vgl. Eilerts & Skutella, 2018, S. 37). Außerdem werden dabei einzelne Elemente des Verlaufsmodells von Polya miteingeschlossen. Anders als bei dem Plakat von Haberzettl, Klett und Schukajlow ist die Aufgabe und der zugehörige Text auf dem Arbeitsblatt abgebildet. Dies ermöglicht ein mehrmaliges Lesen der Aufgabe am Arbeitsplatz und führt zum Verstehen der Aufgabe. Dadurch können erste Überlegungen, Fragen und Bedingungen aufkommen, die in den nächsten Abschnitten des Arbeitsblattes schriftlich festgehalten Fragen sollen separat verschriftlicht werden. Unabhängig von ihrer Relevanz können dabei jegliche Fragen aufgeschrieben werden. Die Angaben zum Lösen der Aufgabe ergeben sich aus dem Beantworten der vorherigen Fragen. Die Kinder sollen dabei ihr Wissen aktivieren, Daten aus ihrer Umwelt entnehmen und Schätzen (siehe Kapitel 3.2). Zugleich wird dadurch ein Lösungsplan entwickelt. Es wird geschaut, ob etwas Hilfreiches abgeleitet werden kann und dadurch Teile der Aufgabe gelöst werden können. Das Ausführen des Planes erfolgt durch die Rechnung. Es werden alle relevanten Angaben zum Lösen der Aufgabe verwendet, um zu einem Ergebnis zu gelangen (siehe Kapitel 4.1). Falls mehr Platz benötigt werden sollte, kann die Rückseite des Arbeitsblattes oder ein weiteres Blatt verwendet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung [3]: Arteiteblatt werden (siehe Kapitel 4.1). Aufkommende
Quelle: eigene
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- Katja Gerlitz (Author), 2022, Fermi-Aufgaben im Mathematikunterricht der Grundschule. Eine empirische Untersuchung zu Problemlösestrategien und Modellierungsprozessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1321078
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